In "Der Kaiser" zeichnet Ebers ein Bild der frühen Jahre des Christentums im ägyptischen Alexandria zur Zeit Kaiser Hadrians.
Ebook: http://originalbook.ru
Der Kaiser. Georg Ebers
Seinem teueren, in glücklichen und trüben, in ernsten und heiteren Stunden gleich bewährten Freunde und Kollegen Otto Stobbe, dem Germanisten, widmet dieses Buch in unwandelbarer Liebe und Treue der Verfasser
Vorwort
Vor vierzehn Jahren plante ich nach einer Reihe von Vorlesungen, welche ich über die Römerzeit in Ägypten gehalten hatte, die Geschichte, welche ich in diesem Buche erzähle. Aber wissenschaftliche Arbeit drängte die Lust am poetischen Schaffen zurück, und als diese die Flügel wiederum kräftiger zu regen begann, fühlte ich mich von anderen Stoffen lebendiger angeregt. So kam es denn, daß ich die Zeit Hadrians später zum Hintergrunde einer Dichtung wählte, als selbst die jüngere Epoche der anachoretischen Bewegung.
Mit der Beendigung dieses Romans hat mein alter Wunsch, die wichtigsten Abschnitte der Geschichte des ehrwürdigen Volkes, dem ich seit beinahe einem Vierteljahrhundert mein Leben weihe, dichterisch zusammenzufassen, seine Erfüllung gefunden. Die Glanztage der Pharaonenzeit habe ich in der »Uarda«, den Heimfall Ägyptens an die junge Weltmacht der Perser in der »Königstochter«, die hellenische Epoche unter den Lagiden in den »Schwestern«, die Römerzeit und das Aufkeimen des jungen Christentums in dem »Kaiser« und die anachoretische Bewegung in den Ägypten benachbarten Wüsten und Felsenlandschaften in »Homo sum« zur Darstellung zu bringen versucht. So wird denn »Der Kaiser« der letzte Roman sein, dem ich das alte Ägypten zum Schauplatz anweise.
Diese Reihe von Dichtungen hat meine Leser nicht nur mit der Kulturgeschichte Ägyptens bekannt machen, sondern ihnen auch die Erkenntnis von einigen besonders mächtigen Ideen, welche das Altertum bewegt haben, erleichtern sollen.
Wieweit es mir gelungen ist, die dargestellten Epochen zu farbigen, der Wirklichkeit nahekommenden Gemälden zusammenzufassen, wage ich nicht zu beurteilen. Denn wenn sich schon gegenwärtige Dinge in verschiedenen Köpfen verschieden spiegeln, so muß dies doch weit bestimmter bei längst vergangenen und halb vergessenen der Fall sein.
Wie oft war ich genötigt, wenn bei der Wiederbelebung einer fernen Vergangenheit die Mittel der Wissenschaft versagten, von der Einbildungskraft Rat und Hilfe zu fordern und mich des Wortes zu erinnern, daß der Dichter ein rückwärts schauender Prophet sein soll. Ruhig durfte ich der Phantasie gestatten, die Flügel zu entfalten, denn ich blieb Herr über sie und kannte die Grenzen, bis zu denen ich ihr erlauben durfte, sich aufzuschwingen. Ich hielt es für mein Recht, viel frei Erfundenes zu zeigen, aber nichts, das nicht in der darzustellenden Zeit möglich gewesen wäre. Die Rücksicht auf diese Möglichkeit hat überall der Phantasie Schranken gesetzt; wo die vorhandenen Quellen gestatteten, völlig treu und wahr zu sein, bin ich es stets gewesen, und die vorzüglichsten unter meinen Fachgenossen in Deutschland, England, Frankreich und Holland haben dies mehr als einmal bezeugt. Aber ich brauche wohl kaum hervorzuheben, daß die dichterische Wahrheit eine andere ist als die historische, denn diese soll möglichst unberührt bleiben von der Subjektivität ihres Verkünders, jene kann nur durch das Medium der Phantasie des Künstlers zur Wirkung gelangen.
Wie meine beiden letzten Romane, so lasse ich auch den »Kaiser« ohne Anmerkungen. Ich tue es in dem frohen Bewußtsein, durch gelehrte und andere Arbeiten einiges Recht auf das Vertrauen der Leser gewonnen zu haben. Nichts hat mich mehr zu immer neuem poetischem Schaffen ermutigt als der Umstand, daß durch diese Dichtungen meiner Wissenschaft mehrere Jünger zugeführt worden sind, deren Namen jetzt unter den Ägyptologen mit Achtung genannt werden.
Jeder mit der Zeit Hadrians Vertraute wird auch bei kleineren Zügen erkennen, welchem Autor, welcher Inschrift, welchem Denkmal sie entnommen worden sind; dem größeren Kreise meiner Leser will ich den Genuß an der Dichtung nicht trüben. Es würde mich beglücken, wenn dieser Roman den Namen eines echten Kunstwerkes verdiente, und die Betrachtung eines solchen soll vor allen Dingen erfreuen und erheben. Wer dabei Bereicherung seines Wissens empfängt, darf doch nicht merken, daß er belehrt wird.
Kenner der Geschichte Alexandrias unter den Römern werden sich wundern, daß ich Therapeuten am mareotischen See unberücksichtigt lasse. Ich hatte ihnen ursprünglich ein eigenes Kapitel zugedacht, Lucäs neueste Untersuchungen bestimmten mich aber, es ungeschrieben zu lassen.
Jahre des Studiums habe ich den Anfängen des Christentums, namentlich in Ägypten, gewidmet, und es gereicht mir zum besonderen Genuß, auch anderen zu vergegenwärtigen, wie sich zur Zeit Hadrians die reine, von menschlichen Zutaten noch wenig getrübte Lehre des Heilandes der Herzen bemächtigte und bemächtigen mußte. Neben dem triumphierenden Glauben zeige ich die edle Blüte des Wesens, die Kunst, welche in späteren Jahrhunderten vom Christentum, um sich mit ihren schönen Formen zu schmücken, herangezogen wurde. Die aus der Zeit meiner Erzählung stammenden Antinousstatuen und Büsten beweisen, daß es der welkenden Pflanze beschieden war, unter Hadrian neue Blätter zu treiben.
Die romantischen Züge, die ich dem Charakter meines die Welt durchwandernden Helden beilege, der Berge bestieg, um sich am Glanz der aufgehenden Sonne zu freuen, sind ihm tatsächlich eigen gewesen. Eine der schwierigsten Aufgaben, welche ich mir jemals gestellt habe, war die, aus den an inneren Widersprüchen so reichen Nachrichten über Hadrian ein Menschenbild zu gestalten, an dessen Wahrheit ich selbst zu glauben vermochte; aber wie gern bin ich an ihre Lösung gegangen! Es gab bei der Anlage dieser Dichtung viel zu bedenken, aber sie selbst ist ganz aus dem Herzen ihres Verfassers gegossen. Möge sie auch den Weg in die Herzen der Leser finden.
Leipzig, den 2. November 1880.
Erstes Kapitel
Die Morgendämmerung war geschwunden, die Sonne des ersten Dezembers im Jahre 129 nach der Geburt des Heilands aufgegangen, aber sie wurde von milchweißen Dünsten verhüllt, die dem Meere entstiegen. Es war kalt.
Der Kasius, ein Berg von mittlerer Höhe, steht auf einer Landzunge der Küste zwischen dem südlichen Palästina und Ägypten und wird an seiner Nordseite vom Meere bespült, das heute nicht wie an anderen Tagen in leuchtendem Ultramarin schimmert. In finsterem Schwarzblau bewegen sich langsam seine ferneren Wogen, die näheren aber sind völlig anders gefärbt und schließen sich in trübem, grünlichem Grau an ihre dem Horizont benachbarten Schwestern wie staubiger Rasen an dunkle Lavaflächen.
Der Nordostwind, der sich nach dem Aufgang der Sonne erhoben hatte, begann lebhafter zu wehen, milchweißer Schaum zeigte sich auf den Häuptern der Wellen, diese aber schlugen heute nicht wild und kräftig den Fuß des Berges, sondern wälzten sich mit unabsehbar langen gekrümmten Rücken träge zu ihnen heran, als bestünden sie aus schwerem geschmolzenen Blei. Dennoch spritzten leichte und helle Tropfen auf, wenn sie eine Schwungfeder der Möwen berührte, die unruhig und als triebe die Angst sie hierhin und dorthin, scharenweis mit schrillem Gekreisch über dem Wasser schwebten.
Drei Männer wanderten langsam auf dem von der Spitze des Berges in die Ebene führenden Wege zu Tale, aber nur der älteste von ihnen, der den beiden anderen voranschritt, achtete auf den Himmel, das Meer, die Möwen und die wüste, unter ihm ruhende Fläche. Jetzt blieb er stehen, und sobald er den Fuß hemmte, taten die beiden anderen das gleiche. Die Landschaft unter ihm schien seine Blicke zu fesseln und rechtfertigte die Befremdung, mit der er das in einer leichten Neigung gesenkte bärtige Haupt schüttelte. Ein schmaler Wüstenstreifen streckte sich, zwei Wasser voneinander scheidend, soweit das Auge reichte, nach Abend hin vor ihm aus. Auf diesem natürlichen Damme zog eine Karawane dahin. Der weiche Fuß der Kamele fiel lautlos auf den Weg, den sie zogen. Ihre in weiße Mäntel gehüllten Reiter schienen zu schlafen und ihre Treiber zu träumen. Die grauen Adler am Saume der Straße rührten sich nicht bei ihrem Nahen.
Links von der Landnehrung, auf welcher der von Syrien nach Ägypten führende Weg sich hinzog, lag das glanzlose, mit grauem Gewölk verschwimmende Meer, links, mitten in der Wüste, ein seltsames, landschaftliches Etwas, dessen Ende nach Osten und Westen hin das Auge nicht zu erreichen vermochte und das hier einem Schneefelde, dort einem stehenden Wasser und an anderen Stellen einem Binsendickicht gleichsah.
Der älteste Wanderer schaute stets nach dem Himmel und in die Ferne, der zweite, ein Sklave, der Decken und Mäntel auf der breiten Schulter trug, verwandte keinen Blick von seinem Gebieter, und der dritte, ein freier Jüngling, blickte müde und träumerisch auf den Weg nieder.
Eine breite, auf ein stattliches Tempelgebäude zuführende Straße kreuzte den von der Spitze des Berges an die Küste führenden Pfad, und der bärtige Wanderer betrat sie. Aber er folgte ihr nur wenige Schritte, dann blieb er stehen, warf unwillig das Haupt zur Seite, murmelte einige unverständliche Worte in den Bart, wandte sich um, kehrte mit beschleunigtem Schritte zu dem schmalen Wege zurück und ging talabwärts.
Sein jugendlicher Begleiter folgte ihm, ohne das Haupt zu erheben und seine Träumerei zu unterbrechen, als sei er sein Schatten; der Sklave jedoch erhob den kurz geschorenen blonden Kopf, und ein überlegenes Lächeln flog ihm um den Mund, als er am linken Saume der Straße die Leiche eines gefallenen schwarzen Böckleins und neben ihr ein altes Hirtenweib erblickte, das ihr faltiges Antlitz beim Nahen der Männer ängstlich mit dem blauschwarzen Schleier bedeckt hatte. »Also darum,« murmelte der Sklave vor sich hin und nickte, die Luft mit dem spitzen Munde küssend, dem schwarzköpfigen Mädchen zu, das zu Füßen der Greisin kauerte. Aber die also Gegrüßte bemerkte nicht diese stumme Werbung; denn ihre Augen folgten wie gebannt den Wanderern und besonders dem jungen Manne. Sobald die drei sich weit genug entfernt hatten, um ihre Stimme nicht mehr zu hören, fragte das Mädchen zusammenschauernd, als sei ein Wüstengeist ihr begegnet, mit gedämpfter Stimme: »Großmutter, wer war das?«
Die Alte lüftete den Schleier, legte der Enkelin die Hand auf die Lippen und flüsterte ängstlich: »Er ist es.«
»Der Kaiser?«
Die Antwort der Alten bestand in einem bedeutungsvollen Nicken; das Mädchen aber drängte sich mit leidenschaftlicher Neugier an die Großmutter, streckte den braunen Kopf weit vor, um besser zu sehen, und fragte leise: »Der junge?«
»Närrin! Der Voranschreitende, der Graubart.«
»Der? Ich wollte, der junge wäre der Kaiser.«
Roms Imperator Hadrian war es in der Tat, der dort schweigend seinen Begleitern voranzog, und es war, als belebe sein Kommen die Einöde; denn sobald er sich dem Schilf nahte, flogen mit pfeifendem Schrei Kibitze in die Höhe und hinter einem Dünenhügel am Saume der breiteren Straße, die Hadrian gemieden, traten zwei Männer in priesterlichen Kleidern hervor. Sie gehörten beide zum Tempel des klassischen Baal, einem kleinen Bauwerk von festem Gestein, das dem Meere zugekehrt war und das gestern der Kaiser besuchte.
»Ob er den Weg verfehlte?« fragte der eine Priester den anderen in phönizischer Sprache.
»Schwerlich,« lautete die Antwort. »Mastor erzählte, er finde jeden Weg, den er einmal gegangen, auch im Dunkeln wieder.«
»Und doch sieht er mehr in die Wolken als auf den Boden.«
»Aber er versprach uns doch gestern . . .«
»Bestimmtes hat er nicht zugesagt,« unterbrach ihn der andere.
»Doch; beim Abschied rief er, ich habe es deutlich gehört: Vielleicht komm' ich wieder und befrage euer Orakel.«
»Vielleicht.«
»Ich glaube, er hat »wahrscheinlich« gesagt.«
»Wer weiß, welch ein Zeichen, das er da oben gesehen, ihn forttreibt. Er geht auf das Lager am Meere zu.«
»Aber in unserem Festsaal steht doch die Mahlzeit für ihn bereit.«
»Für den deckt sich überall die Tafel. Komm! Ein abscheulicher Morgen; mich friert.«
»Warte noch etwas. – Sieh nur.«
»Was?«
»Er trägt nicht einmal einen Hut auf den grauen Locken.«
»Auf Reisen sah ihn noch keiner mit bedecktem Haupte.«
»Und sein grauer Mantel sieht gar nicht kaiserlich aus.«
»Beim Gastmahl trägt er immer den Purpur.«
»Weißt du, an wen mich sein Gang und sein Aussehen erinnern?«
»Nun?«
»An unseren verstorbenen Oberpriester Abibaal; der schritt auch so mächtig und sinnend einher und trug den Bart wie der Kaiser.«
»Ja, ja, und das grübelnde, sinnende Auge.«
»Er sah auch oft in die Höhe. Selbst die breite Stirn haben beide gemein – aber Abibaals Nase war mehr gebogen und sein Haupt weniger kraus gelockt.«
»Unseres Meisters Mund war würdevoll ernst, während die Lippen Hadrians bei allem, was er sagte und hörte, sich spitzten und zuckten, als wollte er spotten.«
»Sieh nur, jetzt wendet er sich zu seinem Liebling – Antonius mein' ich, heißt der schmucke Geselle.«
»Antinous, nicht Antonius. In Bithynien, sagen sie, habe er ihn aufgelesen.«
»Schön ist er.«
»Schön ohnegleichen. Welcher Wuchs, welches Antlitz! Aber ich wollte doch nicht, daß er mein Sohn wäre.«
»Des Kaisers Liebling?«
»Eben darum. Er sieht jetzt schon aus, als hätte er alles genossen und könnte über nichts mehr Freude empfinden.«
Auf einer kleinen Fläche hart am Ufer des Meeres, die von bröckligen Klippen vor dem Ostwinde geschützt war, standen mehrere Zelte. Zwischen ihnen brannten Feuer, um die sich römische Soldaten und kaiserliche Diener geschart hatten. Halbnackte Knaben, Kinder der in dieser Wüste hausenden Fischer und Kameltreiber, liefen geschäftig hin und her, um die Flammen mit dürren Schilfstengeln und welkem Wüstengestrüpp zu speisen; aber so hoch die Lohe auch aufschlug, schwebte der Rauch doch nicht himmelan, sondern trieb sich, von kurzen Windstößen hin und her gejagt, wie eine auseinandergesprengte Schafherde in kleinen Wolken über den Boden hin. Es war, als fürchte er sich, in die graue, unfreundliche und feuchte Luft aufzusteigen.
Das größte unter den Zelten, vor dem vier römische Soldaten zu zwei und zwei Wache haltend auf und nieder schritten, war nach dem Meere hin weit geöffnet. Die Sklaven, die durch sein breites Tor ins Freie traten, mußten die Bretter, die sie auf den geschorenen Köpfen trugen und auf denen silberne und goldene Schüsseln, Teller, Weinkrüge und Becher mit den Resten einer Mahlzeit standen, mit beiden Händen festhalten, damit der Wind sie nicht zu Boden wehe. Das Innere des Zeltes war völlig schmucklos.
Auf einem Polster an seiner rechten, vom Sturm bewegten Wand lag der Kaiser. Seine blutlosen Lippen waren fest aufeinander gepreßt, die Arme über der Brust gekreuzt und die Augen halb geschlossen. Aber er schlief nicht; denn manchmal öffnete sich sein Mund und zog sich hin und her, als hätte er den Geschmack einer Speise zu prüfen. Bisweilen schlug er auch die langen, mit kleinen Falten und bläulichen Adern ganz überzogenen Lider der Augen auf, wandte sie in die Höhe oder ließ den Blick zur Seite und niederwärts nach der Mitte des Zeltes hin rollen.
Dort lag auf dem mit blauem Tuche verbrämten Felle eines gewaltigen Bären Hadrians Liebling Antinous. Sein schönes Haupt ruhte auf dem künstlich erhaltenen Kopfe des von seinem Gebieter erlegten Tieres, sein rechtes Bein spielte, gestützt von dem in die Höhe gezogenen linken, frei in der Luft und seine Hände beschäftigten sich mit dem Molosserhunde des Kaisers, der seinen klugen Kopf an die hochgewölbte nackte Brust des Jünglings geschmiegt hatte und oft zu seinem weichen Munde hinanstrebte, um ihm seine Zärtlichkeit zu beweisen. Aber Antinous wehrte ihn von sich ab, preßte scherzend die Schnauze des Tieres mit den Händen zusammen oder umwickelte sein Haupt mit dem Ende des weißen Palliums, das ihm von den Schultern gesunken war.
Dem Hunde schien dies Spiel zu behagen; als der Jüngling aber einmal das Tuch fester um seinen Kopf geschlungen hatte und er sich vergeblich bemühte, sich von der Hülle zu befreien, die ihm den Atem beengte, heulte er laut auf, und dieser Klageton veranlaßte den Kaiser, die Lage zu verändern und dem auf dem Bärenfell Ruhenden einen mißbilligenden Blick zuzuwerfen, nur einen Blick, kein Wort des Tadels. Bald veränderte sich auch der Ausdruck in Hadrians Auge, das sich mit so liebevoller Aufmerksamkeit an die Gestalt des Jünglings heftete, als sei sie ein edles, niemals genug zu bewunderndes Kunstwerk. Und wahrlich, die Himmlischen hatten dieses Menschenkindes Leib zu einem solchen gestaltet! Wundervoll weich und doch kräftig war jeder Muskel an diesem Halse, dieser Brust, diesen Armen und Beinen! Ebenmäßiger als das seine konnte kein Menschenantlitz geschnitten sein.
Antinous bemerkte, daß der Gebieter seine Aufmerksamkeit auf das Spiel mit dem Hunde richtete, ließ den Molosser los und wandte das große, aber wenig belebte Auge dem Kaiser zu.
»Was treibst du da?« fragte Hadrian freundlich.
»Nichts,« lautete die Antwort.
»Niemand tut nichts. Wer es dennoch dahin gebracht zu haben meint, der denkt doch wenigstens, daß er unbeschäftigt sei, und denken ist viel.«
»Ich kann gar nicht denken.«
»Jedermann kann's, und tatest du es jetzt eben nicht, dann hast du gespielt.«
»Ja, mit dem Hunde.«
Bei dieser Antwort ließ Antinous die Füße zu Boden sinken, wehrte das Tier ab und legte beide Hände unter das lockige Haupt.
»Du bist müde?« fragte der Kaiser.
»Ja?«
»Wir haben beide den gleichen Teil der Nacht durchwacht, und ich, der um so viel Ältere, fühle mich munter.«
»Du sagtest erst gestern, die alten Soldaten taugten am besten zum Nachtdienst.«
Der Kaiser nickte und versetzte dabei:
»In deinen Jahren lebt man, solange man wacht, dreimal so schnell wie in meinen, darum braucht man wohl auch doppelt so langen Schlaf. Du hast das Recht, müde zu sein. Freilich erst drei Stunden nach Mitternacht erstiegen wir den Berg, und wie häufig endet ein Gastmahl weit später.«
»Es war kalt und unfreundlich da oben!«
»Erst nach dem Aufgang der Sonne.«
»Vorher bemerktest du's nicht; denn du hattest bis dahin mit den Sternen zu tun.«
»Und du nur mit dir selbst, das ist richtig.«
»Ich dachte auch an deine Gesundheit, als sich vor der Ausfahrt des Helios die kalte Luft erhob.«
»Ich mußte sein Erscheinen erwarten.«
»Erkennst du auch an der Art und Weise des Sonnenaufgangs zukünftige Dinge?«
Hadrian schaute den also Fragenden befremdet an, schüttelte verneinend das Haupt, blickte zur Decke des Zeltes hinauf und sagte nach einer längeren Pause in kurzen, von mancher Gedankenpause unterbrochenen Sätzen:
»Der Tag ist lauter Gegenwart, und aus dem Dunkeln erwächst Zukünftiges; aus der Ackerscholle ersteht das Korn, aus der finsteren Wolke fließt der Regen, aus dem Mutterschoße kommen neue Geschlechter, im Schlaf erneut sich die Frische der Glieder. Was aus dem dunklen Tode hervorgeht, wer weiß es?«
Nachdem der Kaiser dann längere Zeit geschwiegen hatte, fragte der Jüngling: »Aber wenn dich der Sonnenaufgang nichts Zukünftiges lehrt, warum unterbrichst du dann so oft die nächtliche Ruhe und besteigst die Berge, um ihn zu sehen?«
»Warum? warum?« gab Hadrian langsam zurück, strich nachdenklich den ergrauenden Bart und fuhr wie im Selbstgespräche fort:
»Dem Verstande fehlt auf diese Frage die Antwort, dem Munde das Wort, und stünde es mir zur Verfügung, wer begriffe mich wohl von dem Gesindel? Mit Bildern kommt man bei solchen Fragen am weitesten. Wer am Leben teilhat, ist ein Schauspieler auf der Bühne der Welt. Wer groß sein will auf dem Theater, der besteigt den Kothurn, und ist ein Berg nicht die höchste Unterlage, die der Mensch seiner Sohle zu geben vermag? Der Kasius dort ist ein Hügel, aber ich habe auf gewaltigeren Gipfeln gestanden und unter mir wie Jupiter auf seinem Olymp die Wolken geschaut.«
»Du brauchst keine Berge zu ersteigen, um dich als Gott zu fühlen,« rief Antinous. »Der Göttliche wirst du genannt – du befiehlst, und die Welt muß gehorchen. Mit dem Berge unter sich ist man allerdings dem Himmel näher als in der Ebene, aber . . .«
»Nun?«
»Ich getraue mich nicht herauszusagen, was mir da einfiel.«
»Sprich nur.«
»Da war ein kleines Mädchen. Wenn ich das auf die Schulter nahm, so streckte es gern den Arm hoch in die Höhe und sagte: ›Ich bin so groß!‹ Es dachte dann, es sei höher als ich, und war doch nur die kleine Panthea.«
»Aber in ihrer Vorstellung war sie die große, und das gibt den Ausschlag; denn für jeden ist jedes Ding nur das, wofür er es hält. – Gewiß, sie nennen mich göttlich, aber ich fühle doch täglich hundertmal die Beschränktheit der menschlichen Kraft und Natur, über die ich nirgends hinaus kann. Auf der Spitze eines Berges empfind' ich sie nicht. Da will es mir scheinen, als wäre ich groß; denn nichts auf Erden überragt meinen Scheitel in der Nähe und Ferne. Und wenn dort vor meinen Blicken die Nacht verschwindet, das Glanzlicht der jungen Sonne die Welt neu für mich gebiert, indem sie alles noch jüngst vom Dunkel Verschlungene meiner Vorstellung zurückgibt, dann heben mir tiefere Atemzüge die Brust, und die Lunge füllt sich gern mit der reineren und leichteren Luft der Höhe. Dort oben allein und in einsamer Stille berührt mich keine Mahnung an das Treiben da unten, fühle ich mich eins mit der großen vor mir ausgebreiteten Natur. Es kommen und gehen die Wogen des Meeres, es neigen und heben sich die Kronen der Bäume des Waldes, Nebel und Dünste und Wolken wallen auf und verteilen sich hierhin und dorthin, und ich fühle mich da oben so ganz verschmolzen mit dem Geschaffenen, das mich umgibt, daß es mir oftmals scheinen will, als sei es mein Atem, der es bewegt. Wie die Kraniche und Schwalben, so zieht es auch mich in die Weite, und wo wäre es dem Auge wohl eher gestattet, das unerreichbare Ziel wenigstens ahnend zu erspähen, als auf dem Gipfel eines Berges? Die unbegrenzte Ferne, die die Seele sucht, scheint hier eine mit dem Sinnen erfaßbare Form zu gewinnen, und der Blick berührt ihre Schranken. Erweitert, nicht erhoben nur fühlt sich da das ganze Wesen, und die Sehnsucht, die ich, sobald ich das Gewühl des Lebens teile und die Sorge für den Staat meine Kräfte aufrufen, fühle, sie schwindet . . . Aber das verstehst du nicht, Knabe – das alles sind Dinge, die ich mit keinem anderen Sterblichen teile.«
»Nur mir verschmähst du nicht sie zu zeigen,« rief Antinous, der sich dem Kaiser voll zugewandt und mit weit geöffneten Augen keines seiner Worte verloren hatte.
»Dir?« fragte Hadrian, und ein Lächeln, das nicht frei war von Spott, flog ihm um die Lippen. »Vor dir hab' ich so wenig ein Geheimnis wie vor dem Amor des Praxiteles in meinem Arbeitszimmer zu Rom.«
Aus des Jünglings Herzen stieg das Blut in die Wangen und färbte sie mit flammendem Purpur.
Der Kaiser bemerkte es und fügte begütigend hinzu:
»Du bist mir mehr als das Kunstwerk. Der Marmor kann nicht erröten. In der Zeit des Atheners regierte die Schönheit das Leben, du aber beweist mir, daß es den Göttern gefällt, sie auch in unserer heutigen Welt zu verkörpern. Dein Anblick versöhnt mich mit den Disharmonien des Daseins. Es tut mir wohl, aber wie sollt' ich von dir verlangen, daß du mich verstehst? Deine Stirne ward nicht zum Grübeln geschaffen. Oder hättest du eines von meinen Worten verstanden?«
Antinous stützte den Oberkörper auf die Linke, und die Rechte erhebend rief er ein entschiedenes »Ja«.
»Welches?« fragte der Kaiser.
»Ich kenne die Sehnsucht.«
»Wonach?«
»Nach vielen Dingen.«
»Nenne mir eines.«
»Genuß, dem keine Ernüchterung folgt; ich kenne keinen.«
»Diesen Wunsch teilst du mit der ganzen römischen Jugend; sie pflegt sich nur den Nachsatz zu sparen. Weiter!«
»Ich darf nicht.«
»Wer verbietet dir, offen mit mir zu reden?«
»Du tatest es selbst.«
»Ich?«
»Ja, du; denn du untersagtest mir, dir von meiner Heimat, meiner Mutter, den Meinen zu sprechen.«
Des Kaisers Stirn faltete sich, und gebieterisch fiel er ihm ins Wort:
»Ich bin dein Vater, und mir soll deine ganze Seele gehören.«
»Sie ist dein eigen,« entgegnete der Jüngling, ließ sich auf das Bärenfell zurückfallen und zog das Pallium fest um seine Schultern; denn ein Windstoß blies kalt durch das sich öffnende Tor des Zeltes, durch das Phlegon, der Geheimschreiber des Kaisers, dem Gebieter entgegentrat. Ihm folgte ein Sklave mit mehreren versiegelten Rollen unter dem Arme.
»Ist es dir genehm, Cäsar, daß wir die eingelaufenen Schriften und Briefe erledigen?« fragte der Beamte, dessen schön geordnete Haare der Seewind zerzaust hatte.
»Ja; dann aber wollen wir aufzeichnen, was ich in dieser Nacht am Himmel beobachten konnte. Hast du die Tafeln zur Hand?«
»Ich ließ sie in dem zur Arbeit aufgeschlagenen Zelte ausbreiten, Cäsar.«
»Der Sturm ist heftig geworden?«
»Er scheint zugleich von Osten und Norden zu wehen. Die See geht sehr hoch. Die Kaiserin wird eine schlimme Überfahrt haben.«
»Wann brach sie auf?«
»Gegen Mitternacht wurden die Anker gelichtet. Das Schiff, mit dem sie aus Alexandria geholt ward, ist ein schönes Fahrzeug, aber es rollt in unangenehmer Weise von der einen Seite zur anderen.«
Hadrian lachte bei diesen Worten mit schneidiger Schärfe auf und rief:
»Das wird ihr das Herz und den Magen von oberst zu unterst kehren. Ich wünschte, ich könnte dabei sein! Aber nein – bei allen Göttern nein, ich wollte es nicht! Heute vergißt sie sicher sich zu schminken. Und wer baut ihr die Haare auf, wenn auch ihre Frauen das Schicksal ereilt? Wir bleiben heute hier; denn treffe ich sie bald nach ihrer Ankunft in Alexandria, so ist sie lauter Galle und Essig.«
Hadrian erhob sich bei diesen Worten vom Lager und trat, indem er Antinous mit der Hand grüßte, dem Geheimschreiber voran ins Freie.
Dem Gespräche des Günstlings mit dem Gebieter hatte als Dritter vom Hintergrunde des Zeltes aus der Jazygier Mastor beigewohnt. Er war Sklave und wurde darum so wenig beachtet wie der molossische Hund, der Hadrian gefolgt war, oder das Polster, auf dem der Kaiser gelegen.
Der hübsche, gut gewachsene Mann drehte eine Zeitlang die Enden seines langen rötlichen Schnurrbartes, strich sich mit der Hand über den runden, kurz geschorenen Schädel, zog den offenen Chiton über die in besonders hellem Weiß schimmernde Brust zusammen und verwandte dabei keinen Blick von Antinous, der sich umgekehrt hatte und das Antlitz samt den Händen, die es bedeckten, in das Fell am Hinterhaupte des Bären drückte.
Mastor hatte ihm etwas zu sagen, aber er wagte es nicht, ihn anzurufen, denn der Günstling war unberechenbar in seinem Verhalten gegen ihn. Manchmal hörte er ihm gerne zu und sprach mit ihm wie mit einem Freunde, manchmal wies er ihn härter zurück als ein strenger Emporkömmling den untersten Diener. Endlich faßte der Sklave sich ein Herz und rief den Jüngling an; denn es schien ihm leichter, Scheltworte hinzunehmen, als einen schon in Worte umgesetzten, warm empfundenen Gedanken, so klein er auch sein mochte, in sich zu verschließen.
Antinous hob das Haupt ein wenig über die Hände empor und fragte:
»Was willst du?«
»Ich wollte dir nur sagen,« entgegnete der Jazygier, »daß ich weiß, wer das kleine Mädchen war, das du dir manchmal auf die Schultern setztest. Nicht wahr, es ist dein Schwesterchen gewesen, von dem du mir neulich erzähltest?«
Der also Angeredete nickte mit dem Kopfe, vergrub ihn wiederum in die Hände, und seine Schultern flogen so lebhaft auf und nieder, daß es aussah, als ob er weine.
Da schwieg Mastor einige Minuten. Dann trat er Antinous näher und sagte:
»Du weißt, ich habe einen Sohn und ein Töchterchen zu Hause, und ich höre gern von kleinen Mädchen erzählen. Wir sind beide allein, und wenn dir's die Seele erleichtert . . .«
»Laß nur, ich habe dir schon zehnmal von meiner Mutter und der kleinen Panthea erzählt,« entgegnete Antinous, indem er sich gefaßt zu erscheinen bemühte.
»So tue es heute getrost zum elften Male,« bat der Sklave. »Ich kann im Lager und in der Küche über die Meinen so viel sprechen, wie ich nur will. Aber du? Wie hieß gleich das Hündchen, dem die kleine Panthea die rote Kappe nähte?«
»Kalliste nannten wir's,« rief Antinous und wischte die Augen mit dem Rücken der Hand. »Mein Vater wollte es nicht dulden, wir aber gewannen die Mutter. Ich war ihr Liebling, und wenn ich sie umfaßte und mit beiden Augen bittend zu ihr aufsah, so sagte sie »Ja« zu allem, um was ich sie bat.«
Ein froher Glanz leuchtete aus dem müden Auge des Jünglings, er hatte an eine Reihe von Freuden gedacht, auf die keine Ernüchterung gefolgt war.
Zweites Kapitel
Einer der von den ptolemäischen Fürsten in Alexandria erbauten Königspaläste lag auf der Landzunge Lochias, die sich wie ein nach Norden weisender Finger in das blaue Meer hinausstreckte. Sie bildete die östliche Grenze des großen Hafens. Es fehlte ihm niemals an zahlreichen Fahrzeugen jeder Art, heute aber war er besonders reich besetzt und die mit geglätteten Steinplatten gepflasterte Kaistraße, die aus dem vom Meer bespülten Palastviertel der Stadt, dem sogenannten Bruchium, zu der Landzunge führte, war so überfüllt von neugierigen Bürgern zu Fuß und zu Wagen, daß diese, bevor sie den Privathafen der kaiserlichen Schiffe erreicht hatten, die Fahrt unterbrechen mußten.
Es gab aber auch Ungewöhnliches an dem Landungsplatze zu sehen; denn da lagen, von hohen Molen geschützt, die prächtigen Dreiruderer, Galeeren, Lang- und Lastschiffe, die die Gattin des Hadrian und das Gefolge des Herrscherpaares nach Alexandria gebracht hatten. Ein mächtiges Fahrzeug mit einem sehr hohen Kajütenhause auf dem Hinterdeck und dem Kopf einer Wölfin am baumhohen, kühn geschwungenen Schnabel erregte die größte Aufmerksamkeit. Es war ganz aus Zedernholz gearbeitet, reich mit Bronze und Elfenbeinzierat geschmückt und hieß »Sabina«. Ein junger Bürger wies mit dem Finger auf diesen am Stern des Schiffes mit goldenen Lettern angebrachten Namen, stieß seine Begleiter an und sagte lachend:
»Sabina hat den Kopf einer Wölfin.«
»Ein Pfauenkopf würde besser passen. Sahst du sie gestern ins Cäsareum fahren?« entgegnete der andere.
»Leider,« rief der erstere, schwieg aber sogleich, als er dicht hinter sich einen römischen Liktor bemerkte, der ein schön zusammengeschnürtes Bündel von Ulmenruten, die Faszes, auf der linken Schulter trug und mit dem Stöcklein in der rechten Hand, unterstützt von seinen Genossen, die Menge zu zerteilen und Platz für den Wagen seines Gebieters, des kaiserlichen Präfekten Titianus, zu schaffen suchte, der ihm in langsamem Schritte folgte.
Der hohe Beamte hatte die losen Worte der Bürger vernommen und sagte, indem er sich an den neben ihm stehenden Mann wandte und das Ende der Toga mit einem raschen Wurfe in neue Falten brachte:
»Wunderliches Volk! Ich kann ihm nicht gram sein, aber ich ritte lieber auf einem Messer als auf einer alexandrinischen Zunge von hier nach Kanopus.«
»Hörtest du, was der Dicke vorhin über Verus sagte?«
»Der Liktor wollte ihn fassen, aber mit Strenge kommt man bei ihnen zu gar nichts. Müßten sie für jedes giftige Wort nur einen Sesterz zahlen, ich sage dir, Pontius, die Stadt würde verarmen und unser Schatz bald voller sein als der des alten Gyges von Sardes.«
»Laß sie reich bleiben,« rief der andere, der Oberbaumeister der Stadt, ein Mann von einigen dreißig Jahren mit hochgewölbten, tatkräftig dreinschauenden Augen, und fuhr, indem er die Rolle, die er in der Hand hielt, kräftig zusammenfaßte, mit tiefer Baßstimme fort: »Sie verstehen zu arbeiten und Schweiß ist salzig. Beim Schaffen fördern, in der Ruhe beißen sie einander wie übermütige Rosse an der gleichen Stange. Der Wolf ist ein stattliches Tier, aber brich ihm die Zähne aus, so wird er zum garstigen Hunde.«
»Mir aus der Seele gesprochen,« rief der Präfekt. »Aber da sind wir. Ewige Götter, so schlimm hab' ich mir das Ding doch nicht gedacht. Von weitem sah es immer noch stattlich genug aus!«
Titianus und der Baumeister stiegen vom Wagen. Jener befahl einem Liktor, den Vorsteher des Palastes zu rufen, und besichtigte dann mit dem Begleiter zuerst die in den Palast führende Pforte. Sie bot mit den doppelten Säulen, die den hohen Giebel trugen, einen majestätischen Anblick, aber sie bot einen keineswegs freundlichen Anblick; denn der Stuck war an vielen Stellen von den Wänden gefallen, die Kapitäle der marmornen Säulen waren kläglich verstümmelt, und die hohen, mit Metall beschlagenen Türflügel hingen schief in den Angeln.
Pontius maß jeden Teil der Pforte scharf prüfenden Blickes und trat dann mit dem Präfekten in den ersten Hof des Palastes, in dem zur Zeit der ptolemäischen Fürsten die Zelte der Gesandten, Schreiber und diensttuenden Beamten der Könige gestanden hatten.
Dort stellte sich den beiden ein unvermutetes Hindernis entgegen, denn von dem Häuschen aus, in dem der Torhüter wohnte, waren mehrere Stricke quer über den gepflasterten Raum gespannt, auf dem Gras grünte und hohe Disteln blühten.
An den Seilen hing feuchte Wäsche von jeder Größe und Form.
»Ein hübsches Quartier für den Kaiser,« seufzte Titianus, die Achseln zuckend, und wehrte dem Liktor, der die Faszes erhoben hatte, um die Stricke zu Boden zu schlagen.
»Ist nicht so schlimm, wie es aussieht,« sagte der Baumeister entschieden. »Torhüter! He, Torhüter! Wo steckt nur der Nichtstuer?«
Während er rief und der Liktor in das Innere des Palastes eilte, schritt Pontius auf das Häuschen des Wächters zu und blieb, nachdem er sich in gebückter Stellung einen Weg durch die feuchten Tücher gebahnt hatte, stehen. Ungeduld und Verdruß hatten sich, seitdem er die Schwelle des Tores überschritten, auf seinen Zügen gespiegelt, jetzt aber begann sein kräftiger Mund zu lächeln und mit halblauter Stimme rief er dem Präfekten zu:
»Titiane, gib dir die Mühe!«
Dem alternden Würdenträger, dessen hohe Gestalt die des Baumeisters um eines vollen Hauptes Länge überragte, wurde es nicht eben leicht, mit gekrümmtem Rücken unter den Seilen dahinzuschreiten. Aber er tat es mit guter Laune, und indem er sorglich vermied, die Wäsche herunterzureißen, rief er Pontius zu: »Ich beginne die Kinderhemden zu achten. Unter ihnen kommt man doch mit ungebrochenem Rückgrat hindurch. – Ach, ach! Das ist köstlich!«
Dieser Ruf galt dem Anblick, zu dem der Baumeister den Präfekten geladen und der allerdings eigentümlich genug war.
Die Vorderseite des Torhüterhäuschens war ganz mit Efeu umwachsen, der auch das Fenster und die Tür der Wächterwohnung mit vollen Ranken einrahmte. Zwischen dem grünen Laubwerke hingen zahlreiche Käfige mit Staren, Amseln und kleineren Singvögeln. Die breite Pforte des Häuschens stand weit geöffnet und gestattete, ein ziemlich geräumiges, heiter bemaltes Zimmer ganz zu überblicken. Im Hintergründe dieses Gemaches sah man das Tonmodell eines Apollo von vortrefflicher Arbeit. Über und neben ihm hingen an der Wand Lauten und Leiern von verschiedener Größe und Form.
In der Mitte des Zimmers und dicht neben der geöffneten Tür war ein Tisch zu sehen, auf dem ein großer Vogelbauer mit mehreren Nestern voll junger Stieglitze und mit grünem Kraut zwischen den rundlichen Stäbchen, ein großer Weinkrug und ein mit fein geschnitztem Bildwerk geschmückter elfenbeinerner Becher stand. Neben dem Trinkgeschirre ruhte auf der steinernen Platte der Tafel der Arm einer ältlichen Frau, die in ihrem Lehnsessel eingeschlafen war. Trotz des kleinen grauen Schnurrbarts an der Oberlippe und des kräftigen Rots auf der Stirn und den Wangen sah sie freundlich und gut aus. Es mußte ihr auch etwas sehr Angenehmes träumen; denn die Stellung ihres Mundes und der Augen, von denen das eine halb offen, das andere fest verschlossen war, gaben ihr das Ansehen, als ob sie sich freute.
In ihrem Schoße schlief eine graue Katze und neben ihr, als meide die Zwietracht dies heitere Gemach, das keineswegs der Geruch der Armut, sondern ein angenehmer, eigentümlicher Duft erfüllte, ein kleiner, zottiger Hund, der das schneeige Weiß seines Felles sicherlich besonders sorgsamer Pflege verdankte. Zwei andere, dem ersteren ähnliche Hündlein lagen lang ausgestreckt auf dem Estrich zu Füßen der Alten und schienen nicht weniger fest als diese zu schlafen.
Der Baumeister wies, sobald der Präfekt ihn erreicht hatte, mit dem Finger in dies Stilleben hinein und flüsterte:
»Hätten wir hier einen Maler, das gäbe ein prächtiges Bildchen.«
»Unvergleichlich!« gab Titianus zurück. »Nur scheint mir das tiefe Inkarnat auf dem Antlitz der Alten mit Hinblick auf die Größe des neben ihr stehenden Weinkruges ein wenig bedenklich.«
»Aber sahst du jemals ein friedvoller, freundlicher gestimmtes Bildnis?«
»So hat Baucis geschlafen, wenn Philemon sich einmal einen Ausgang erlaubte. Oder war dieser anhängliche Gatte immer zu Hause?«
»Wahrscheinlich. Aber nun ist's vorbei mit dem Frieden.«
Die Nähe der Freunde hatte das eine Hündchen erweckt. Es schlug an, und sogleich erhoben sich seine Gefährten und bellten mit ihm um die Wette. Auch der Liebling der Alten sprang ihr vom Schöße. Seine Herrin und die Katze ließen sich indessen von diesem Lärm nicht stören und schliefen weiter.
»Eine Wächterin wie sie sein soll,« lachte der Architekt.
»Und diese Phalanx von Hunden, welche den Palast eines Kaisers bewacht,« fügte Titianus hinzu, »läßt sich leicht mit einem Schlage erlegen. Gib acht, jetzt erwacht die würdige Matrone.«
Die Alte war in der Tat von dem Gebell der Hunde gestört worden, hatte sich ein wenig aufgerichtet, die Hände erhoben und sich dann, indem sie einen kurzen Satz halb sang, halb sprach, wieder in den Lehnstuhl zurückgeworfen.
»Das ist köstlich,« rief der Präfekt. »Nur immer munter, hat sie aus dem Schlafe gerufen. Wie sich dies seltsame Menschenkind wohl ausnehmen mag, wenn es wach ist?«
»Mir wär' es leid, die Alte aus ihrem Neste zu treiben,« sagte der Baumeister, indem er die Rolle entfaltete.
»Du rührst mir nicht an das Häuschen,« rief der Präfekt mit lebendigem Eifer. »Ich kenne Hadrian. Er liebt so eigentümliche Dinge und Menschen, und ich wette, daß er mit der Alten in seiner Weise anbinden wird. Da kommt wohl endlich der Verwalter dieses Palastes.«
Der Präfekt irrte sich nicht; denn die raschen Schritte, deren Nahen er vernommen hatte, gingen von dem Erwarteten aus.
Schon aus einiger Entfernung hörte man das Keuchen des sich beeilenden Mannes, der auf dem weiteren Gange, bevor Titianus es hindern konnte, die über den Hof gespannten Stricke mitsamt der an ihnen hängenden Wäsche zu Boden riß.
Nachdem der Vorhang gefallen war, der ihn von dem Vertreter des Kaisers und seinem Begleiter trennte, verneigte er sich so tief wie vor jenem, wie dies die große Fülle seines Leibes gestattete. Aber der schnelle Lauf, die Gewalttat, die er begangen, und seine Überraschung über das Erscheinen des mächtigsten Mannes am Nil in dem seiner Obhut anvertrauten Gebäude beraubten ihn so ganz des ohnehin nicht ausgiebigen Atems, daß er selbst den herkömmlichen Gruß nicht zu stammeln vermochte.
Titianus ließ ihm auch wenig Zeit; denn, nachdem er dem Bedauern über das schlimme Schicksal der am Boden liegenden Wäsche Ausdruck gegeben und dem Beamten den Namen und Beruf seines Freundes Pontius genannt hatte, eröffnete er ihm in knappen Worten, daß der Kaiser wünsche, in dem von ihm gehüteten Palaste zu wohnen, daß er, Titianus, Kenntnis von seiner schlechten Erhaltung besitze und gekommen sei, um mit dem Architekten und ihm zu beraten, was in wenigen Tagen geschehen könnte, um das vernachlässigte Schloß für Hadrian bewohnbar zu machen und wenigstens die ins Auge fallenden Schäden auszubessern. Er, der Verwalter, möge ihn nun von einem Raum in den anderen führen.
»Sogleich – sofort,« entgegnete der in vielen Jahren der Ruhe zu seinem schweren Körpergewicht gelangte Grieche. »Ich eile und hole die Schlüssel!«
Während er sich keuchend entfernte, lockerte er mit schnellen Bewegungen der kurzen, runden Finger die rechte Seite des immer noch vollen Haares auf.
Pontius schaute ihm nach und sagte:
»Ruf ihn zurück, Titianus. Er wurde beim Brennen seiner Locken gestört. Nur die eine Seite war fertig, als der Liktor ihn abrief. Ich biete meinen Kopf zum Pfande, daß er auch die andere kräuseln läßt, bevor er zurückkehrt. Ich kenne meine Griechen!«
»Laß ihn!« entgegnete Titianus. »Schätzest du ihn richtig, so wird er doch erst ohne Nebengedanken auf unsere Fragen eingehen, wenn auch die andere Hälfte des Haares gelockt ist. Ich weiß gleichfalls meine Hellenen zu nehmen.«
»Besser als ich, wie ich sehe,« versetzte der Architekt im Tone fester Überzeugung. »Ein Staatsmann arbeitet eben mit Menschen, wie wir mit leblosen Massen. Sahst du, wie der Dicke erbleichte, als du von den wenigen Tagen sprachst, nach deren Ablauf der Kaiser hier den Einzug zu halten gedenkt? Es muß schön in dem alten Dinge dort aussehen! Jede Stunde ist kostbar, und wir haben hier schon zu lange gesäumt.«
Der Präfekt nickte dem Baumeister beistimmend zu und folgte ihm in die inneren Räume des Schlosses.
Wie groß, wie harmonisch war die Anlage dieses ungeheuren Baues, durch den der nunmehr rings von schönen Locken geschmückte Palastvorsteher Keraunus die Römer führte!
Der Palast stand auf einem künstlichen Hügel inmitten der Landzunge Lochias, und von manchem Fenster und manchem Altane aus ließen sich die Straßen und Plätze, die Häuser, Tempel und öffentlichen Bauten der Weltstadt und ihr von Schiffen wimmelnder Hafen schön überblicken. Reich, mannigfaltig und vielfarbig war die Aussicht von der Lochias nach Westen und Süden; wer aber von dem Altan des Ptolemäerpalastes nach Morgen und Mitternacht schaute, vor dem eröffnete sich der niemals ermüdende Blick über die nur vom Himmelsgewölbe begrenzte unendliche See.
Als Hadrian vom Kasischen Berge aus seinem Präfekten Titianus durch einen eilenden Boten befohlen hatte, gerade dies Bauwerk zu seinem Empfang einrichten zu lassen, wußte er wohl, was seine Lage ihm bieten konnte; – das vernachlässigte Innere des seit dem Sturze Kleopatras unbewohnten Schlosses genügend herzustellen, war die Sache seiner Beamten.
Acht, vielleicht neun Tage ließ er ihnen Zeit, wenig mehr als eine Woche! Und wie fanden Titianus und Pontius, dem beim Sehen und Zeichnen, Untersuchen und Schreiben der helle Schweiß von der Stirn rann, diese verkommene, ausgeplünderte Stätte des höchsten Glanzes!
Die Säulen und Treppen in den Innenräumen waren erträglich erhalten, aber in die offenen Decken der Fest- und Versammlungssäle hatte es hineingeregnet, die herrlichen Mosaikfußböden waren hier auseinandergewichen, dort sproß mitten in einem Saal, einer Halle oder einem Säulenhofe eine kleine Wiese; denn schon Oktavianus Augustus, Tiberius, Vespasian, Titus und eine ganze Reihe von Präfekten hatten die schönsten musivischen Bilder aus dem berühmten Ptolemäerpalast auf der Lochias sorgfältig ausbrechen und nach Rom oder in die Provinz bringen lassen, um dort ihre Stadthäuser oder Villen mit ihnen zu zieren.
Ebenso war es gerade den schönsten Bildsäulen ergangen, mit denen vor einigen hundert Jahren die kunstsinnigen Lagiden diesen Palast, neben dem sie freilich noch andere größere im Bruchium besaßen, geschmückt hatten.
Mitten in einer weiten Marmorhalle stand ein mit dem vortrefflichen Aquädukt der Stadt zusammenhängender, herrlich gearbeiteter Springbrunnen. Der Zugwind strömte in diesen Saal ein und peitschte das Wasser in stürmischen Tagen über seinen ganzen, des musivischen Schmuckes beraubten Boden, der nun, wohin auch der Fuß trat, mit einem dünnen, dunkelgrünen, schlüpfrig feuchten Überzug von moosigen Pflanzengeweben bedeckt war.
In dieser Halle war es, wo der Palastvorsteher Keraunus sich keuchend an eine Wand lehnte und, die Stirn trocknend, mehr schnaufte als sagte: »Angelangt – am Ende!«
Diese Worte hörten sich an, als meine er sein eigenes Ende, nicht das des Palastes, und es klang wie ein gegen ihn gerichteter Hohn, als der Baumeister Pontius ungesäumt mit der ihm eigenen Entschiedenheit entgegnete:
»Gut, so können wir die Untersuchung von hier aus sogleich von neuem beginnen.«
Keraunus widersprach nicht, als er aber der vielen wiederum zu ersteigenden Treppen gedachte, sah er aus, als habe man ihm das Todesurteil gesprochen.
»Ist es nötig, daß ich auch bei deiner weiteren Arbeit, die doch wohl das einzelne ins Auge faßt, bei dir bleibe?« fragte der Präfekt den Baumeister.
»Nein,« entgegnete dieser, »vorausgesetzt freilich, daß du dich bequemst, gleich jetzt in meinen Plan zu schauen, dich im ganzen von dem, was ich vorhabe, zu unterrichten und mir Vollmacht zu erteilen, in jedem einzelnen Falle über Menschen und Mittel frei zu verfügen.«
»Zugestanden,« entgegnete Titianus. – »Ich weiß, daß Pontius keinen Mann und keinen Sesterz mehr oder weniger in Anspruch nehmen wird, als der Zweck es gebietet.«
Der Baumeister verneigte sich schweigend, Titianus aber fuhr fort:
»Vor allen Dingen: glaubst du in acht Tagen und neun Nächten mit deiner Aufgabe zu Ende zu kommen?«
»Zur Not – vielleicht. – Stünden mir nur vier Tage mehr zur Verfügung, wahrscheinlich.«
»Es würde also gelten, Hadrians Ankunft um viermal vierundzwanzig Stunden zu verzögern.«
»Sende ihm anregende Leute, etwa den Astronomen Ptolemäus und den Sophisten Favorinus, der ihn hier erwartet, nach Pelusium entgegen. Sie bringen es fertig, ihn dort aufzuhalten.«
»Kein übler Gedanke! Wir wollen sehen. Aber wer kann mit den Stimmungen der Kaiserin rechnen? Denke in jedem Falle, du hättest nur über acht Tage zu gebieten.«
»Gut.«
»Wo hoffst du Hadrian unterbringen zu können?«
»Brauchbar im eigentlichen Sinne sind nur kleine Teile des alten Gebäudes.«
»Davon mußte ich mich leider selbst überzeugen,« erwiderte der Präfekt mit Nachdruck und fuhr, indem er sich an den Vorsteher wandte, nicht streng verweisend, doch im Ton des Bedauerns fort:
»Mir will es scheinen, Keraunus, als wäre es deine Pflicht gewesen, mich schon früher über den Verfall dieses Bauwerks in Kenntnis zu setzen.«
»Ich klagte bereits,« entgegnete der Angeredete, »aber ich erhielt auf meine Eingabe zur Antwort, es stünden keine Mittel zur Verfügung.«
»Ich weiß nichts von dieser Sache,« rief Titianus. »Wann sandtest du dein Gesuch auf die Präfektur?«
»Unter deinem Vorgänger Haterius Nepos geschah es.«
»So –« entgegnete der Präfekt gedehnt. »Damals! Ich an deiner Stelle hätte meine Eingabe in jedem Jahre und unbedingt beim Amtsantritt des neuen Präfekten wiederholt. Aber wir haben jetzt keine Zeit, über Versäumtes zu klagen. Während der Anwesenheit des Kaisers sende ich vielleicht einen meiner Beamten zu deiner Unterstützung hierher.«
Dabei wandte Titianus dem Verwalter kurz den Rücken und fragte den Baumeister:
»Nun, mein Pontius, welchen Teil des Palastes hast du ins Auge gefaßt?«
»Die inneren Säle und Zimmer sind noch am besten erhalten.«
»Aber an sie dürfen wir am wenigsten denken!« rief Titianus. »Der Kaiser ist im Lager mit allem zufrieden, doch wo es freie Luft gibt und einen Blick in die Ferne, da muß er sie haben.«
»So wählen wir die westliche Zimmerreihe. Halte den Plan, mein stattlicher Freund.«
Der Verwalter tat, wie ihm geheißen. Der Baumeister ergriff den Stift, strich mit ihm kräftig durch die Luft über die linke Seite des Risses und sagte:
»Dies ist die Abendfront des Palastes, die man vom Hafen aus überblickt. Von Süden her kommt man zuerst in das hohe Peristyl, das als Warteraum benützt werden mag. Es wird von Zimmern für die Sklaven und Leibwächter umgeben. Die folgenden kleineren Säle neben dem Hauptgange weisen wir den Beamten und Schreibern an, in dieser geräumigen hypäthralen Halle – die mit den Musen – erteilt Hadrian Audienzen und es können sich in ihr die Gäste versammeln, denen er in diesem breiten Peristyl an seiner Tafel zu speisen gestattet. Die kleineren, gut erhaltenen Zimmer zur Seite des langen Ganges hier, der in die Wohnung des Verwalters führt, sollen den Pagen, Sekretären und anderen persönlichen Dienern des Cäsar gehören. Der lange, mit edlem Porphyr und grünem Marmor getäfelte und mit dem schönen Bronzefries geschmückte Raum wird Hadrian, denke ich, als Arbeitsgemach und Ruhezimmer gefallen.«
»Vortrefflich!« rief Titianus. »Ich möchte deinen Plan der Kaiserin zeigen.«
»Dann würde ich statt acht Tage ebensoviel Wochen gebrauchen,« entgegnete Pontius gelassen.
»Du hast recht,« lachte der Präfekt und fragte dann: »Aber sage, Keraunus, warum fehlen gerade in den besten Zimmern die Türen?«
»Sie bestanden aus kostbarem Thyiaholze und man begehrte sie in Rom zu haben.«
»Ich bin dort wohl einer oder der anderen begegnet,« murmelte der Präfekt. »Deine Schreiner müssen sich tummeln, Pontius.«
»Sage lieber, die Teppichhändler können sich freuen. Wo es angeht, verschließen wir mit schweren Vorhängen die Pforten.«
»Was wird aus dieser feuchten Wohnung für Frösche, die, wenn ich nicht irre, an den Speisesaal stoßen muß?«
»Ein mit Blattpflanzen angefüllter Garten.«
»Das läßt sich hören. Aber die zerbrochenen Bildsäulen da drin?«
»Die schlimmsten schaffen wir fort.«
»Steht Apoll mit den neun Musen nicht in dem von dir zum Audienzsaal bestimmten Raume?«
»Ja.«
»Sie sind, denk' ich, erträglich erhalten?«
»So so.«
»Die Urania fehlt gänzlich,« bemerkte der Palastvorsteher, indem er immer noch den Plan vor sich hin hielt.
»Wo kam sie hin?« fragte Titianus nicht ohne Erregung.
»Deinem Vorgänger, dem Präfekten Haterius Nepos, gefiel sie besonders, und er nahm sie mit sich nach Rom,« lautete die Antwort.
»Warum auch gerade Urania?« rief Titianus verdrießlich. »Sie darf im Audienzsaal des himmelskundigen Kaisers nicht fehlen. Was ist da zu tun?«
»Es wird schwer sein, eine andere fertige Urania in der Größe ihrer Schwestern zu finden, und zum Suchen fehlt es an Zeit; so muß denn eine neue hergestellt werden.«
»In acht Tagen?«
»Und ebenso vielen Nächten!«
»Aber ich bitte dich; bevor der Marmor . . .«
»Wer denkt an den? Papias macht uns eine aus Stroh und Tüchern und Gips – ich kenne den Zauber – und damit die anderen nicht zu sehr von der neugeborenen Schwester abstechen, werden sie sämtlich weiß übertüncht.«
»Vortrefflich; aber warum wählst du einen Papias, da wir doch einen Harmodius haben?«
»Harmodius nimmt es ernst mit der Kunst, und bevor er fertig ist mit seinen Entwürfen, kommt schon der Kaiser. Papias arbeitet mit dreißig Gehilfen, was man auch bei ihm bestellt, wenn es nur Geld bringt. Seine letzten Sachen freilich, besonders die schöne Hygieia für den Juden Dositheos und die im Cäsareum aufgestellte Büste Plutarchs machten mich stutzig; denn sie sind voller Anmut und Kraft. Aber wer mag unterscheiden, was ihm gehört, was seinen Schülern? Genug, er weiß, wie man's macht, und gibt es was Rechtes zu verdienen, so haut er dir in fünf Tagen eine ganze Seeschlacht aus Marmor.«
»So gib Papias den Auftrag. Aber die armen, verstümmelten Fußböden; was tust du mit ihnen?«
»Gips und Farbe müssen sie heilen,« entgegnete Pontius. »Wo das nicht glücken will, legen wir nach der Sitte des Morgenlandes Teppiche über den Estrich. Gnädige Nacht, wie dunkel es wird! Gib den Plan, Keraunus, und sorge für Fackeln und Lampen; denn der heutige Tag und seine Nachfolger werden vierundzwanzig voll gemessene Stunden haben. Ich bitte dich um ein halbes Dutzend zuverlässiger Sklaven, Titiane. Sie müssen als Boten benutzbar sein. Was stehst du da, Mann? Licht hab' ich gesagt! Ein halbes Leben hattest du Zeit, dich auszuruhen, und dir blühen nach dem Abschied des Kaisers ebensoviel Jahre zu dem gleichen köstlichen Zwecke . . .«
Der Verwalter hatte sich bei diesen Worten schweigend entfernt, der Baumeister schenkte ihm aber nicht das Ende des Satzes und rief ihm nach:
»Wenn du bis dahin nicht in deinem Fette erstickt bist. – Ob wohl Nilschlamm oder Blut in den Adern dieses Ungetüms rollt?«
»Kann mir gleich sein,« entgegnete der Präfekt, »wenn in den deinen das immer prächtiger glühende Feuer nur bis zum Ende des Werkes aushält. Hüte dich vor übergroßer Ermüdung am Anfang, und mute deiner Kraft nicht das Unmögliche zu; denn Rom und die Welt erwarten noch Großes von dir. Völlig beruhigt schreib' ich nun dem Kaiser, daß auf der Lochias alles für ihn bereit sein wird, und zum Abschied rufe ich dir zu: Verzagen ist Torheit – wenn Pontius nur da und Pontius mit seinem Beistand zur Hand ist.«
Drittes Kapitel
Der Präfekt befahl den neben seinem Wagen auf ihn wartenden Liktoren, in sein Haus zu eilen und mehrere zuverlässige, in Alexandria heimische Sklaven, die er einzeln namhaft machte, dem Baumeister Pontius zuzuführen und außerdem für den Architekten ein gutes Ruhebett mit Polstern und Decken, sowie eine Mahlzeit und edlen Wein in den alten Palast auf der Lochias zu schicken. Dann bestieg er den Wagen und fuhr durch das Bruchium dem Meere entlang zu dem das Cäsareum genannten Prachtbau.
Er kam nur langsam vorwärts; denn je mehr er sich seinem Ziele näherte, je dichter wurde die Menge der neugierigen Bürger, die Kopf an Kopf das weitläufige Gebäude umstanden.
Schon von fern leuchtete dem Präfekten helles Licht entgegen. Es stieg aus großen Pechpfannen gen Himmel, die man auf den Türmen zu beiden Seiten des hohen, dem Meere zugewandten Tores des Cäsareums aufgestellt hatte.
Zur Linken und Rechten dieser Pforte erhob sich je ein stattlicher Obelisk. An beiden entzündete man noch die Lampen, die gestern an ihren vier Seiten und auf ihrer Spitze befestigt worden waren. Zu Ehren Sabinas, dachte der Präfekt. Was dieser Pontius ausführt, hat Hand und Fuß, und es gibt kein überflüssigeres Geschäft, als seine Anordnungen zu überwachen.
Ganz erfüllt von dieser Erwägung unterließ er es auch, sich dem erleuchteten Tore zu nähern, das in den von Oktavian gegründeten Tempel Julius Cäsars führte; vielmehr befahl er dem Rosselenker, an der den Gärten des Ptolemäerpalastes im Bruchium zugewandten und im ägyptischen Stil errichteten Pforte zu halten, die in das kaiserliche Schloß führte. Dies hatten die Alexandriner zu Ehren des Tiberius erbaut. Unter den späteren Kaisern war es mancherlei Erweiterungen und Ausschmückungen unterworfen worden. Ein heiliger Hain trennte es von dem Tempel des Cäsar, mit dem es durch einen bedeckten Säulengang verbunden war.
Vor dem Haupttore hielten mehrere bespannte Wagen und wartete eine ganze Schar von weißen und schwarzen Sklaven neben den Sänften der Herren. Liktoren drängten hier die schaulustige Menge zurück, Offiziere lehnten dort an den Säulen, und die römische Schloßwache sammelte sich soeben mit Waffengerassel und beim Klang einer Trompete hinter dem Tore, um ihre Ablösung zu erwarten.
Ehrfurchtsvoll wich alles vor dem Wagen des Präfekten zurück, und als Titianus durch die erleuchteten Säulengänge des Cäsareums schritt und an den zahlreichen hier aufgestellten Meisterwerken der Bildhauerkunst, den Gemäldereihen und den Sälen vorbeikam, in denen sich die Büchersammlung dieses Palastes befand, dachte er an die Mühe und Sorgfalt, die er, von Pontius unterstützt, monatelang aufgewandt hatte, um diesen seit dem Aufbruch des Titus nach Judäa unbenutzt gebliebenen Palast zu einem dem Hadrian zusagenden Quartiere umzugestalten.
Die Kaiserin bewohnte nun die für ihren Gemahl bestimmten, mit den auserlesensten Kunstwerken geschmückten Gemächer, und Titianus sagte sich mit Bedauern, daß es, nachdem Sabina einmal von ihrem Vorhandensein Kenntnis genommen, unmöglich sein würde, sie in den Palast auf der Lochias überzuführen.
Vor dem schönen Saale, den er dem Kaiser zugedacht hatte, damit er in ihm seine Besucher empfange, traf er den Kämmerer Sabinas, der es übernahm, ihn sogleich bei der Herrin einzuführen.
Die im Sommer geöffnete Decke der Halle, in der der Präfekt die Kaiserin finden sollte, war nun, um den Regen des alexandrinischen Winters abzuwehren und weil Sabina gewöhnlich selbst in der wärmeren Jahreszeit über Kälte zu klagen pflegte, durch einen frei schwebenden kupfernen Schirm, neben dem die Luft eine weite Öffnung fand, in zweckmäßiger Weise beschützt.
Als Titianus diesen Raum betrat, wehten ihm angenehme Wärme und seine Düfte entgegen. Diese wurde durch sehr eigentümliche, inmitten der Halle stehende große Ofen erzeugt. Der eine stellte die Schmiede Vulkans dar. Hell glühende Holzkohlen lagen vor dem Blasebalge, den ein Automat in kurzen, regelmäßigen Zwischenräumen bewegte. Der Gott und seine Genossen umgaben, aus Erz gearbeitet, mit Zangen und Hämmern das wärmende Feuer. Der andere Ofen bestand aus einem großen silbernen Vogelneste, in dem gleichfalls Holzkohlen brannten. Aber ihrer Glut schwebte die aus Erz gegossene, einem Adler gleichende gefiederte Gestalt des Phönixvogels himmelan. Außerdem erhellten zahlreiche Lampen den reich mit edel geformten Sitzen, Ruhebetten und Tischen, Blumenvasen und Bildsäulen ausgestatteten Raum, der freilich zu groß erschien für die Zahl der in ihm versammelten Menschen.
Für kleine Zusammenkünfte hatten der Präfekt und Pontius früher ein ganz anderes Zimmer ins Auge gefaßt und seiner Bestimmung gemäß ausgestattet, die Kaiserin aber die Halle dem weniger geräumigen Zimmer vorgezogen. Mißbehagen, ja eine ihn befremdende Befangenheit erfüllte den hochgeborenen, ergrauten Staatsmann, als er die hier weilenden, zu kleinen Gruppen vereinten Menschen mit den Blicken zusammensuchen mußte und hier gedämpfte Worte, dort unverständliches Murmeln oder verhaltenes Kichern, nirgends aber eine frisch von den Lippen strömende Rede vernahm.
Einen Augenblick wollte es ihm vorkommen, als sei er in das Gemach der flüsternden Verleumdung getreten, und doch war ihm bekannt, warum hier niemand wagte, frei herauszureden.
Laute Worte taten der Kaiserin wehe, eine helle Stimme war ihr ein Greuel, und doch verfügten wenige Menschen über so weit vernehmbare und kräftige Brusttöne, wie ihr eigener Gemahl, der sich keinem Menschen, auch nicht seiner Gattin gegenüber, Zwang auferlegte.
Sabina saß auf einem großen, mehr einem Bette als einem Stuhle gleichenden Ruhesitze. Ihre Beine waren tief in dem zottigen Felle eines Auerstieres vergraben, und die herniederhängenden Füße rings mit seidenen Federkissen umgeben.
Ihr Kopf war steil in die Höhe gerichtet. Man begriff kaum, wie der dünne Hals ihn und die Perlenschnüre und Edelsteinketten, die durch das hohe Gebäu ihrer blondroten, in langen Zylindern dicht aneinander gereihten Locken geflochten waren, zu tragen vermochte. Das hagere Gesicht der Kaiserin erschien besonders klein unter der Menge des natürlichen und künstlichen Schmuckes, der ihr Stirn und Scheitel bedeckte. Schön konnte es selbst in der Jugend nicht gewesen sein, aber es war regelmäßig geschnitten, und der Präfekt sagte sich, als er in Sabinas von winzigen Fältchen zerrissene, weiß und rot gemalte Züge schaute, daß der Künstler, dem vor einigen Jahren der Auftrag zuerteilt worden war, sie als Venus victrix zu bilden, immerhin in der Lage gewesen war, der Göttin eine gewisse Ähnlichkeit mit seinem kaiserlichen Modell zu erteilen. Wären nur die völlig wimperlosen Augen dieser Matrone trotz der dunklen Pinselstriche an ihren Rändern nicht gar so winzig klein erschienen, hätten die Sehnen an ihrem Halse sich nur nicht aus dem Fleische, das sie zu bedecken verschmähte, in so augenfälliger Weise hervorgedrängt.
Titianus ergriff, sich tief verneigend, Sabinas mit Ringen überladene Rechte; sie aber entzog schnell und als ob sie fürchte, daß es Schaden leiden könnte, dies sorgsam gepflegte, aber für keinen nützlichen Zweck verwendbare Spielzeug dem Freunde und Verwandten ihres Gemahls und verbarg Hand und Arm unter dem Obergewande. Die herzliche Begrüßung des Präfekten erwiderte sie mit aller ihr zu Gebote stehenden Wärme.
Sie sah Titianus, den sie zu Rom in früherer Zeit täglich in ihrem Hause zu sehen gewohnt gewesen war, in Alexandria zum erstenmal; denn gestern war sie, erschöpft von den Leiden der Seefahrt, in einer verschlossenen Sänfte in das Cäsareum getragen worden; heute morgen aber hatte sie seinen Besuch abweisen müssen, weil sie von den Ärzten, Badefrauen und Haarkünstlern völlig in Anspruch genommen worden war.
»Wie hältst du es aus in diesem Lande?« fragte sie mit leiser, schmelzloser Stimme, aus der man stets herauszuhören meinte, daß das Reden ein schweres, lästiges, fruchtloses Geschäft sei. »Am Mittag brennt die Sonne, und des Abends wird es so kalt, so unerträglich kalt.«
Bei diesen Worten zog sie das Obergewand noch fester zusammen, Titianus aber wies auf die Öfen inmitten der Halle und sagte:
»Ich dachte, wir hätten dem ohnehin matten Bogen des ägyptischen Winters die Sehne zerschnitten.«
»Immer noch jung, immer noch bilderreich, immer noch ein Dichter,« entgegnete die Kaiserin matt. »Vor zwei Stunden habe ich auch deine Gattin begrüßt. Ihr scheint Afrika weniger gut zu bekommen; ich erschrak, die schöne Matrone Julia so wiederzufinden. Sie sieht nicht gut aus.«
»Die Jahre sind die Feinde der Schönheit.«
»Häufig; aber die echte Schönheit widerstand ihrem Angriff doch häufig.«
»Du selbst bist der lebende Beweis für diese Behauptung.«
»Das heißt, daß ich alt werde.«
»Nein, daß du schön zu bleiben verstehst.«
»Dichter!« murmelte die Kaiserin und ihre schmale Unterlippe verzog sich.
»Die Staatsgeschäfte sind der Muse nicht hold.«
»Aber wer die Dinge schöner sieht, als sie sind, oder sie doch mit glänzenderen Namen benennt, als sie es verdienen, den nenn' ich einen Poeten, einen Schwärmer, einen Schmeichler – wie es so kommt.«
»Die Bescheidenheit weist auch wohlverdiente Bewunderung abweisend zurück.«
»Wozu dies törichte Wortgeplänkel,« seufzte Sabina und warf sich tief in den Stuhl zurück. »Du bist bei den Silbenstechern hier im Museum in die Schule gegangen, ich nicht. Da drüben sitzt der Sophist Favorinus. Er beweist vielleicht dem Astronomen Ptolemäus, daß die Sterne nichts sind als Blutflecken in unserem Auge, die wir am Himmel zu sehen vermeinen. Florus der Historiker zeichnet diese wichtige Unterredung auf, der Dichter Pankrates besingt den großen Gedanken des Philosophen, und welche Aufgabe bei diesem wichtigen Anlaß dem Grammatiker dort zufällt, das weißt du besser als ich. Wie heißt der Mann?«
»Apollonius.«
»Hadrian gab ihm den Beinamen des Dunkeln. Je schwerer man die Reden dieser Herren versteht, desto höher werden sie geschätzt.«
»Nach dem, was in der Tiefe ruht, muß man tauchen; was auf der Oberfläche schwimmt, führt jede Welle fort, und die Kinder spielen damit. Apollonius ist ein großer Gelehrter.«
»So sollte ihn mein Gatte bei seinen Schülern und Büchern lassen. Er gebot mir, diese Leute zur Tafel zu laden. Den Florus und Pankrates ließ' ich mir gefallen – aber die anderen.«
»Von Favorinus und Ptolemäus könnt' ich dich leicht befreien. Schicke sie dem Kaiser entgegen.«
»Zu welchem Zweck?«
»Um ihn zu unterhalten.«
»Er hat sein Spielzeug bei sich,« sagte Sabina, und die Lippen hoben sich ihr diesmal mit dem Ausdruck bitterer Verachtung.
»Sein kunstsinniges Auge freut sich an den vielgerühmten Formen des Antinous, den es mir bisher noch nicht zu sehen vergönnt war.«
»Du bist gespannt auf dies Wunder?«
»Ich will es nicht leugnen.«
»Und wünschest dennoch die Begegnung mit dem Kaiser hinauszuschieben?« fragte Sabina, und aus ihren kleinen Augen blitzte ein prüfender, mißtrauischer Blick. »Warum willst du die Ankunft meines Gatten verzögern?«
»Brauch' ich dir zu sagen,« entgegnete Titianus lebhaft, »wie sehr ich mich freue, meinen Gebieter und Jugendgefährten, den größten und weisesten Menschen, nach vier Jahren wiederzusehen? Was gäb' ich darum, wenn er schon hier wäre! Dennoch wollt' ich, er träfe nicht in acht, sondern in vierzehn Tagen hier ein.«
»Was gibt es?«
»Ein reitender Bote überbrachte mir heute einen Brief, in dem der Kaiser erklärt, in dem alten Palast auf der Lochias, nicht hier im Cäsareum, absteigen zu wollen.«
Bei dieser Mitteilung runzelte sich die Stirn Sabinas, ihr Blick senkte sich finster und starr in ihren Schoß, und indem sie die Unterlippe zwischen die Zähne nahm, zischte sie hervor:
»Weil ich hier wohne!«
Titianus gab sich das Ansehen, als habe er diese Anklage überhört, und fuhr in leichtem Tone fort:
»Er findet dort jene weite Ausschau in die Ferne, die er von Jugend auf liebt. Aber das alte Bauwerk ist verfallen, und wenn ich auch schon mit Hilfe unseres vorzüglichen Architekten Pontius begonnen habe, alle Kräfte aufzubieten, um wenigstens einen seiner Teile in eine mögliche, ja nicht gerade unbequeme Wohnung umzugestalten, so ist die Zeit doch zu kurz, um etwas Rechtes, Würdiges . . .«
»Ich wünsche meinen Gemahl je eher desto lieber hier zu sehen,« unterbrach die Kaiserin den Präfekten mit Entschiedenheit.
Dann wandte sie sich dem Säulengange zu, der die rechte Wand der Halle begrenzte und ziemlich weit von ihrem Ruhesitze entfernt war, und rief:
»Verus!«
Aber ihre Stimme war so schwach, daß sie ihr Ziel nicht erreichte, und so kehrte sie das Antlitz wieder dem Präfekten zu und sagte:
»Ich bitte dich, rufe mir Verus herbei, den Prätor Lucius Aurelius Verus.«
Titianus gehorchte sogleich.
Er hatte schon beim Eintritt in die Halle mit dem Manne, den die Kaiserin zu sprechen wünschte, freundliche Grüße getauscht. Jetzt wurde er von ihm nicht eher bemerkt, als bis er dicht an seine Seite getreten war; denn er bildete den Mittelpunkt einer kleinen Gruppe von Männern und Frauen, die gleichsam an seinem Munde hingen.
Was er ihnen mit leiser Stimme erzählte, mußte außerordentlich lustig sein; denn man sah seinen Zuhörern an, daß sie sich alle Mühe gaben, ihr leises Kichern nicht in lautes, die weite Halle erschütterndes Gelächter ausarten zu lassen, das die Kaiserin haßte.
Als der Präfekt Verus erreicht hatte, schlug diesem eben ein junges Mädchen, dessen hübscher Kopf von einem wahren Berge kleiner rundlicher Löckchen gekrönt war, auf den Arm und sagte:
»Aber das ist zu stark; wenn du so fortfährst, halt' ich mir künftig, sobald du mich anredest, die Ohren zu, so wahr ich Balbilla heiße.«
»Und von König Antiochus abstamme,« fügte Verus sich verneigend hinzu.
»Immer der Alte,« lachte der Präfekt, indem er dem Übermütigen winkte. »Sabina wünscht dich zu sprechen.«
»Gleich, gleich,« entgegnete Verus. »Meine Geschichte ist wahr und ihr solltet ihr alle dankbar sein; denn sie hat uns von dem langweiligen Grammatikus befreit, der nun dort drüben meinen witzigen Freund Favorinus festhält. Dein Alexandria gefällt mir, Titianus, aber eine Großstadt wie Rom ist es doch nicht. Die Leute haben noch nicht verlernt, sich zu wundern. Sie geraten noch in Erstaunen. Als ich spazieren fuhr . . .«
»Deine Läufer sollen mit Rosen im Haar und mit Flüglein an den Schultern dir als Liebesgötter vorausgeschwebt sein.«
»Den Alexandrinerinnen zu Ehren.«
»Wie zu Rom den Römerinnen und zu Athen den attischen Frauen,« unterbrach ihn Balbilla.
»Die Läufer des Prätors rennen schneller als parthische Rosse,« rief der Kämmerer der Kaiserin. »Er hat ihnen den Namen der Winde gegeben.«
»Den sie verdienen,« fügte Verus hinzu. »Komm jetzt, Titiane.«
Vertraulich legte er den kräftigen Arm in den des Präfekten, der mit ihm verwandt war, und murmelte ihm, während sich beide Sabina näherten, ins Ohr:
»Zum Besten des Kaisers laß ich sie warten.«
Der Sophist Favorinus, der mit dem Astronomen Ptolemäus, dem Grammatiker Apollonius und dem Philosophen und Dichter Pankrates an einer anderen Stelle der Halle im Gespräch verweilte, schaute beiden Männern nach und sagte:
»Ein schönes Paar. Der eine die Verkörperung der weltbeherrschenden, ehrwürdigen Roma, der andere mit seiner Hermesgestalt . . .«
»Der andere,« unterbrach der Grammatiker den Sophisten mit Ernst und Unwillen, »der andere ist das Abbild des Übermutes, der bis zum Unsinn gesteigerten Üppigkeit und der schmählichen Verderbtheit der Hauptstadt. Dieser wüste Weiberheld . . .«
»Ich will seine Art nicht verteidigen,« fiel ihm Favorinus mit wohllautender Stimme und einer Feinheit der Aussprache des Griechischen ins Wort, die selbst den Grammatiker entzückte. »Sein Tun und Treiben ist schmählich; aber du wirst mir zugeben müssen, daß sein Wesen vom Zauber der hellenischen Schönheit gestreift wird, daß die Charitinnen ihn küßten, als er ins Leben eintrat, und daß er, den die ernste Tugendlehre verdammt, von dem freundlichen Schönheitssinn mit Lob und Kränzen geehrt zu werden verdient.«
»Für den Künstler, der ein Modell braucht, ist er ein gefundener Bissen.«
»Die Richter in Athen sprachen Phryne frei, weil sie schön war.«
»Sie taten unrecht.«
»Kaum im Sinne der Götter, deren vollendetste Werke Achtung verdienen.«
»Auch in schönen Gefäßen findet man Gift.«
»Aber Leib und Seele entsprechen einander dennoch stets einigermaßen.«
»Kannst du es wagen, den schönen Verus auch den trefflichen zu nennen?«
»Nein, aber der ruchlose Lucius Aurelius Verus ist zugleich der heiterste, anmutigste aller Römer, der, fern von jeder Bosheit und Sorge, sich um keine Tugendlehre bekümmert, der, was ihm gefällt, zu besitzen begehrt und dafür auch einem jeden zu gefallen bestrebt ist.«
»An mir hat er diese Mühe verschwendet.«
»Ich tu' ihm den Willen!«
Die letzten Worte sowohl des Grammatikers als des Sophisten waren lauter gesprochen worden, als es in Gegenwart der Kaiserin üblich.
Sabina, die eben dem Prätor erzählt hatte, welche Wohnung ihr Gatte gewählt habe, zog auch sogleich die Schultern zusammen und bewegte den Mund, als ob sie Schmerz empfinde; Verus aber wandte das schöne, bei aller Feinheit und Regelmäßigkeit der Formen männliche Antlitz mißbilligend den Redenden zu.
Sein großes, glänzendes Auge begegnete dabei einem feindseligen Blicke des Grammatikers.
Eine Kundgebung der Abneigung gegen seine Person gehörte für ihn zu den unerträglichen Dingen, und so fuhr er denn schnell mit der Hand durch das blauschwarze, nur an den Schläfen leicht ergrauende Haar, das ihm ungelockt, doch in weichen, sanft gebogenen Wellen das Haupt umgab, und sagte unbekümmert um Sabinas Frage nach seiner Ansicht über die letzte Verfügung ihres Gemahls:
»Ein widerwärtiger Gesell, dieser Wortklauber. Er hat ein böses Auge, das uns alle mit Schaden bedroht, und seine Trompetenstimme kann dir nicht weher tun als mir. Müssen wir ihn täglich bei Tische ertragen?«
»Hadrian wünscht es.«
»So reise ich nach Rom,« entgegnete Verus. »Meine Frau will ohnehin zu den Kindern zurück, und als Prätor schickt es sich besser für mich, am Tiber zu sein als am Nil.«
Diese Worte wurden so leichthin gesprochen, als enthielten sie nur einen Vorschlag für die Abendmahlzeit; sie schienen aber die Kaiserin sehr zu erregen; denn sie schüttelte den Kopf, welcher, solange Titianus mit ihr geredet hatte, fast unbeweglich erschienen war, so heftig, daß die Perlen und Edelsteine in ihrem Lockengebäude zusammenschlugen.
Dann schaute sie einige Sekunden lang starr in den Schoß. Während Verus sich bückte, um einen aus ihrem Haar gefallenen Diamanten aufzuheben, sagte sie schnell: »Du hast recht. Apollonius ist unerträglich. Schicken wir ihn meinem Gatten entgegen.«
»Dann bleib' ich,« entgegnete Verus, so vergnügt wie ein trotziger Knabe, dem man den Willen getan hat.
»Wirbelwind!« hauchte Sabina und drohte ihm lächelnd mit dem Finger. »Zeig diesen Stein! Er ist einer von den größten und reinsten; du darfst ihn behalten.«
Als eine Stunde später Verus mit dem Präfekten die Halle verließ, sagte dieser:
»Du hast mir, ohne es zu ahnen, einen Dienst erwiesen, Vetter. Kannst du auch bewirken, daß man den Astronomen Ptolemäus und den Sophisten Favorinus mit dem Grammatiker dem Kaiser bis Pelusium entgegenschickt?«
»Nichts leichter als das,« lautete die Antwort.
Noch am selben Abend brachte der Haushofmeister des Präfekten dem Baumeister Pontius die Nachricht, daß ihm für seine Arbeiten statt acht oder neun, wahrscheinlich vierzehn Tage zur Verfügung stehen würden.
Viertes Kapitel
Im Cäsareum, der Wohnung der Kaiserin, erlosch ein Licht nach dem andern, in dem Palast auf der Lochias aber wurde es heller und heller.
Bei jeder festlichen Beleuchtung des Hafens pflegten Pechpfannen auf dem Dache und lange Reihen von Lampen, die den architektonischen Linien des stattlichen Bauwerks folgten, zu brennen; aus seinem Innern aber hatte seit Menschengedenken kein so helles Licht gestrahlt wie in dieser Nacht.
Die Hafenwächter schauten zuerst ängstlich besorgt zu der Lochias auf; denn sie fürchteten, ein Feuer sei in dem alten Schlosse ausgebrochen; bald aber wurden sie durch einen Liktor des Präfekten Titianus beruhigt; denn er erteilte ihnen den Befehl, die Hafentore in dieser und jener folgenden Nacht bis zur Ankunft des Kaisers für jeden offen zu halten, der sich im Auftrage des Baumeisters Pontius aus der Lochias in die Stadt oder aus der Stadt auf die Landzunge zu begeben wünschte.
Und es verlief auch bis lange nach Mitternacht keine Viertelstunde, in der nicht Leute, die der Architekt zu sich beschieden hatte, an die nur angelehnte, aber gut behütete Pforte geklopft hätten.
Auch das Torwächterhäuschen war hell beleuchtet.
Die Vögel und die Katze der alten Frau, die der Präfekt und sein Begleiter neben ihrem Weinkruge schlummernd gefunden hatten, schliefen nun fest, die kleinen Hündinnen aber stürzten, sobald ein neuer Ankömmling durch die offene Pforte schritt, laut kläffend in den Hof.
»Aber Aglaja, was soll man von dir denken? Schönste Thalia, schickt sich denn das für ein artiges Tierchen? Komm hierher, Euphrosyne, und sei hübsch verständig,« rief die Alte, die, nun völlig wach, die getrocknete Wäsche hinter dem Tisch zusammenlegte, mit besonders freundlicher, nichts weniger als gebieterischer Stimme.
Die mit den Namen der Grazien geschmückten Kläffer kümmerten sich indes wenig um diese freundliche Mahnung; zu ihrem Nachteil, denn jeder von ihnen hatte mehr als einmal Gelegenheit, wenn ihn der Fuß eines neuen Ankömmlings getroffen, schreiend und winselnd in das Häuschen zu kriechen und nach Trost verlangend, sich an seine Herrin zu schmiegen. Diese hob auch jedesmal die Leidenden auf und beruhigte sie mit Küssen und zärtlichen Schmeichelworten.
Übrigens war sie nicht mehr allein; denn im Hintergrund des Zimmers lag auf dem langen und schmalen Ruhebette vor der schönen Apollostatue ein großer, hagerer, mit einem roten Chiton bekleideter Mann. Ein von der Decke herniederhängendes Lämpchen beschien ihn und die Laute, auf der er spielte, mit mattem Licht.
Zu dem leisen Klang der Saiten dieses ziemlich großen Instrumentes, das er neben sich in das Polster stemmte, sang oder murmelte er lange Stücke.
Zwei-, drei- und viermal wiederholte er die gleichen Weisen.
Manchmal ließ er die hohe und, obgleich sein Haar schon völlig ergraut war, nicht übel klingende Stimme plötzlich laut ertönen und sang einige Sätze voller Ausdruck und mit kunstreichem Vortrag; manchmal aber, wenn die Hunde gar zu ungestüm bellten, sprang er auf und stürzte mit der Laute in der Linken und einem langen, biegsamen Schilfrohr in der Rechten in den Hof, schrie den Kläffern ihre Namen entgegen und hieb auf sie ein, als wollt' er sie töten; traf aber geflissentlich nie ihren Leib, sondern schlug immer nur neben sie hin auf das Pflaster.
Wenn er von solchem Ausfalle zurückkehrte, und sich auf dem Lager ausstreckte, rief die Alte, indem sie nach dem hängenden Lämpchen wies, an das der große, heftige Mann häufig mit dem Scheitel rührte:
»Euphorion – das Öl!« Er aber entgegnete immer mit derselben drohenden Handbewegung und mit dem gleichen Rollen der schwarzen Augen:
»Das Viehzeug!«
Eine Stunde lang mochte der eifrige Sänger seine musikalischen Übungen fortgesetzt haben, als die Hunde nicht bellend, sondern mit lautem Freudengeheul in den Hof jagten.
Da legte die Alte ihre Wäsche schnell aus der Hand und lauschte ins Freie hinaus; ihr hochgewachsener Mann aber sagte:
»Dem Kaiser fliegen so viele Vögel voraus wie Möwen dem Sturme. Wenn man uns nur in Ruhe läßt!«
»Gib acht, das ist Pollux; ich kenne die Hunde,« rief das Weib und eilte, so schnell es vermochte, über die Schwelle ins Freie.
Da stand schon der Erwartete und hob die drei vierfüßigen Grazien, die an ihm hinaufsprangen, eine hinter der andern an dem Rückenfell in die Höhe und gab jeder einen leisen Nasenstüber.
Dann eilte er der Alten entgegen, faßte mit beiden Händen ihren Kopf, küßte ihr die Stirn und sagte:
»Guten Abend, kleine Mutter.«
Dem Sänger schüttelte er die Hand und rief dabei:
»Sei gegrüßt, großer Vater.«
»Bist nicht kleiner als ich,« entgegnete dieser, zog den jungen Mann prüfend an sich und legte seine große Hand flach auf den eigenen grauen und zugleich auf den mit vollem braunem Haar geschmückten Kopf seines Erstgeborenen.
»Wie aus der gleichen Form gehoben,« rief der Jüngling, und in der Tat sah er dem Vater sehr ähnlich; freilich nur so wie ein edles Roß dem schlichten Pferde, wie Marmor dem Kalkstein, wie die Zeder der Kiefer.
Beide waren von stattlicher Größe, hatten starkes Haar, dunkle Augen und mäßig gebogene, völlig gleich geformte Nasen; aber die Heiterkeit, die aus dem Blicke des Jünglings strahlte, die hatte er nicht von dem langen Sänger geerbt, sondern von der kleinen Frau, die, seinen Arm streichelnd, zu ihm aufsah. Und woher kam ihm das mächtige, unbeschreibliche Etwas, das sein Haupt adelte, und von dem man nicht wußte, ob es von seinen Augen ausging oder von der hohen, ganz anders als die des Alten gewölbten Stirn?
»Ich wußte, daß du kommen würdest,« rief seine Mutter. »Heut nachmittag hat mir's geträumt, und ich will dir beweisen, daß du mich nicht überraschest. Dort auf dem Kohlenbecken steht der gedämpfte Kohl mit den Würstchen und wartet auf dich.«
»Ich kann jetzt nicht bleiben,« entgegnete Pollux, »wahrhaftig, ich kann nicht, so freundlich mir auch dein gutes Gesicht zulacht und die lieben Wurstäuglein im Kohl mich anblinzeln. Mein Meister Papias ist vorangegangen, und drin im Palast wird es gelten, ein Wunder in kürzerer Zeit zustande zu bringen, als man sonst bedarf, um zu überlegen, von welcher Seite man seine Arbeit anfaßt.«
»So bring' ich dir den Kohl in das Schloß,« sagte Doris und stellte sich auf die Zehen, um dem Mund ihres großen Sohnes ein Würstchen zu nähern.
Pollux biß kräftig zu und sagte dann kauend:
»Ausgezeichnet! Ich möchte, das Ding, das ich da oben formen will, würde so sicher eine gute Statue, wie der saftige kleine Zylinder, der hier eben verschwindet, eine bemerkenswert vortreffliche Wurst war.«
»Noch eine?« fragte Doris.
»Nein, Mutter; und du sollst mir auch den Kohl nicht hinauftragen. Bis nach Mitternacht darf kein Augenblick verloren gehen, und mach' ich dann eine Pause, so mußt du längst von allerlei lustigen Dingen träumen.«
»Ich bringe dir den Kohl,« sagte der Vater; »denn ich komme ohnehin nicht so bald zu Bette. Der Hymnus an Sabina, den Mesomedes gedichtet, soll, sobald die Kaiserin das Theater besucht, mit Chören aufgeführt werden, und ich habe die hohe Stimme unter den Greisen, die durch ihren Anblick wieder jung werden, zu führen. Morgen ist Probe, und kann ich noch gar nichts. Das Alte steckt mir Ton für Ton in der Kehle; aber das Neue, das Neue!«
»Es ist danach,« lachte Pollux.
»Wollten sie nur deines Vaters Satyrspiel und seinen Theseus zur Aufführung bringen!« rief Doris.
»Warte nur, ich empfehle ihn dem Kaiser, wenn er mich erst als den Phidias seiner Zeit mit Stolz seinen Freund nennt. Fragt er mich dann: Wer ist der Glückliche, der dich erzeugte? so werde ich sagen: Euphorion ist's, der göttliche Dichter und Sänger; meine Mutter aber ist eine würdige Matrone, die Hüterin deines Palastes, die gräuliche Wäsche in schneeweißes Linnen verwandelnde Doris.«
Das sang der junge Künstler mit schöner und kräftiger Stimme nach einer von seinem Vater erdachten, wunderlichen Weise.
»Wärest du Sänger geworden!« rief Euphorion.
»Dann hätt' ich die Aussicht,« gab Pollux zurück, »am Abende meines Lebens in diesem Häuschen dein Nachfolger zu werden.«
»Jetzt pflanzst du für elenden Lohn die Lorbeeren, mit denen Papius sich schmückt,« entgegnete der Alte und zuckte die Achseln.
»Auch seine Stunde schlägt, auch er wird anerkannt werden,« fiel Doris ein; »ich hab' ihn mit einem großen Kranz auf den Locken im Traume gesehen.«
»Geduld, Vater, Geduld!« sagte der junge Mann und ergriff die Hand des Vaters. »Ich bin jung und gesund und tue, was ich vermag, hier hinter der Stirn wimmelt's von guten Gedanken; was ich selbständig vollenden durfte, hat wenigstens anderen zum Ruhme gereicht, und obgleich es noch lange nicht dem Schönheitsbilde entspricht, das ich da – da – da in weiter Ferne hinter Nebeln ahne, so meine ich doch, daß, wenn auf das alles das Glück in einer freundlichen Stunde ein paar frische Tautropfen fallen läßt, immerhin etwas mehr aus mir werden kann als die kläglich bezahlte rechte Hand des Papias, der da oben ohne mich nicht wissen wird, was er tun soll.«
»Nur immer munter und fleißig!« rief Doris.
»Hilft nichts ohne Glück,« murmelte der Sänger und zuckte die Achseln. Damit sagte der junge Künstler den Eltern Lebewohl und wollte sich entfernen, seine Mutter aber hielt ihn zurück, um ihm die jungen Stieglitze zu zeigen, die gestern aus den Eiern gekrochen.
Pollux tat ihr den Willen, nicht nur um ihr gefällig zu sein, sondern weil es ihn freute, den bunten Vogel zu sehen, der seine Kleinen beschützte und wärmte.
Neben dem Käfige stand der große Weinkrug und der von ihm selbst mit zierlichem Bildwerk bedeckte Becher der Mutter.
Sein Blick fiel auf diese Gefäße, und schweigend rückte er sie hin und her.
Dann faßte er sich ein Herz und sagte lachend:
»Der Kaiser wird hier oft vorüberkommen, Mutter. Laß jetzt die Feier deiner dionysischen Feste. Wie wär's, wenn du dich zu einem Viertel Wein und drei Viertel Wasser entschlössest? Es mundet auch so.«
»Schade um die gute Gabe,« entgegnete die Alte.
»Ein Viertel Wein, mir zu Gefallen,« bat Pollux, ergriff beide Schultern der Mutter und küßte ihr die Stirn.
»Dir zu Gefallen, großer Junge?« fragte Doris und die Augen füllten sich ihr mit Tränen; »für dich, wenn es sein muß, lauter elendes Wasser! Euphorion, trinke du nachher den Rest aus dem Kruge.«
________________________________________
Der Baumeister Pontius hatte seine Tätigkeit begonnen, zunächst nur unterstützt von den Gehilfen, die ihm zu Fuß nachgefolgt waren. Vermessend, erwägend, kurze Briefe hinwerfend und Zahlen, Namen, Gedanken in den Grundriß und auf doppelte Wachstafeln verzeichnend, war er keinen Augenblick müßig.
Häufig wurde er durch die auf die Lochias beschiedenen Vorsteher der Werkstätten und Fabriken, deren Tätigkeit er in Anspruch zu nehmen gedachte, unterbrochen.
Sie kamen zu so später Stunde; denn sie waren im Auftrag des Präfekten berufen worden.
Als einer der letzten stellte sich der Bildhauer Papias ein, obgleich ihm Pontius mit eigener Hand geschrieben hatte, daß er ihm für den Kaiser einen großen lohnenden und besonders eiligen Auftrag zu erteilen habe, der vielleicht schon in dieser Nacht in Angriff genommen werden könnte. Es handle sich um die Statue einer Urania, die in zehn Tagen in der Weise, die er, Papias, bei dem letzten Adonisfeste angewandt habe, und nach den Maßen, die er, Pontius, beilege, auf der Lochias selbst vollendet werden müßte. Über viele Herstellungsarbeiten, die nicht weniger schnell ausgeführt werden sollten, und die zu zahlenden Preise würde man sich an Ort und Stelle einigen.
Der Bildhauer war ein umsichtiger Mann und erschien nicht allein, sondern mit seinem besten Gehilfen Pollux, dem Sohne des Torhüterpaares, und mehreren Sklaven, die ihm auf Karren und Wagen Werkzeuge, Bretter, Ton, Gips und andere Rohstoffe nachführten.
Auf dem Weg in die Lochias hatte er dem jungen Bildhauer mitgeteilt, um was es sich handle, und ihm in herablassendem Tone eröffnet, daß er ihm gestatten werde, bei der Herstellung der Urania seine Kraft zu versuchen.
An der Pforte des Palastes hatte er Pollux aufgefordert, seine Eltern zu begrüßen, und sich dann allein in das Schloß begeben, um ohne Zeugen die Verhandlungen mit dem Baumeister Pontius zu eröffnen.
Der junge Gehilfe verstand den Meister.
Er wußte, daß es ihm obliegen würde, die Urania auszuführen, und daß sein Brotherr, nachdem er einige kleine Änderungen an der fertigen Arbeit vorgenommen, sie für das eigene Werk ausgeben würde.
Das gleiche hatte sich Pollux seit zwei Jahren mehr als einmal gefallen lassen, und er fügte sich auch heute ohne Widerrede diesem unredlichen Verfahren; denn bei seinem Meister gab es zu tun, und das Schaffen war ihm der höchste aller Genüsse.
Papias, zu dem er sich früh in die Lehre begeben und dem er sein Können verdankte, war kein Knauser, er aber brauchte Geld, nicht nur für sich, sondern weil er es auf sich genommen, seine verwitwete Schwester mit ihren Kindern, als wären sie seine eigene Familie, zu ernähren. Es freute ihn auch, einiges Behagen in das Häuschen der armen Eltern bringen und seinen jungen Bruder Teuker, der sich der Steinschneidekunst gewidmet hatte, während der Lehrzeit erhalten zu können.
Manchmal kam es ihm wohl in den Sinn, dem Brotherrn zu kündigen, sich auf eigene Füße zu stellen und Lorbeeren zu ernten; aber was sollte dann aus denen werden, die sich auf seine Hilfe verließen, wenn er seinen sichern, guten Erwerb preisgab und wenn er, wie es so vielen unbekannten Anfängern erging, ohne Bestellungen blieb.
Was nützte ihm alles Können und der redlichste Wille ohne die Gelegenheit, seine Werke in edlem Material auszuführen? Es mit eigenen Mitteln anzuschaffen, verbot ihm seine Armut.
Während er bei den Eltern vorsprach, hatte Papias die Verhandlungen mit dem Baumeister begonnen. Pontius legte dem Bildhauer dar, was er von ihm begehrte.
Dieser hörte aufmerksam zu, unterbrach den anderen nie, strich nur das mit besonderer Sorgfalt rasierte, ebenmäßig wie eine Wachsmaske geformte und gefärbte Gesicht von Zeit zu Zeit mit der rechten Hand noch glatter, als es ohnehin war, und legte das Bruststück seiner kostbaren blauen Toga, die er in der Weise der römischen Senatoren zu tragen liebte, in neue Falten.
Als Pontius ihm am Ende der für den Kaiser bestimmten Räume die letzte von ihm herzustellende Statue, die eines neuen Armes bedurfte, gezeigt hatte, rief Papias entschieden:
»Es geht nicht.«
»Das ist eine vorschnelle Behauptung,« versetzte der Baumeister. »Kennst du nicht den Satz, der, weil er gut ist, von mehr als einem Weisen zuerst ausgesprochen worden sein soll, daß es immer unvorsichtiger sei, zu sagen, ein Ding sei unmöglich, als sich zu vermessen, ein Werk zu Ende zu führen, das höchst wahrscheinlich unsere Kraft übersteigt.«
Papias lächelte, schaute auf die mit goldenem Zierat besetzten Schuhe und sagte:
»Uns Bildhauern wird es schwerer als euch, die ihr mit ungeheuren Massen arbeitet, uns in den Titanenkampf gegen das Unmögliche hineinzudenken. Ich sehe die Mittel noch nicht, die mir den Mut geben könnten, dem Unausführbaren zu Leibe zu gehen.«
»Ich will sie dir nennen,« entgegnete Pontius schnell und fest; »von deiner Seite guter Wille, zahlreiche Gehilfen und Nachtwachen, von unserer der Beifall des Kaisers und sehr viel Gold.«
Nach dieser Verheißung nahmen die Verhandlungen einen raschen und günstigen Verlauf, und der Baumeister mußte den klugen, wohlüberlegten Vorschlägen des Bildhauers in den meisten Fällen volle Anerkennung erteilen.
»Ich begebe mich nach Hause,« schloß Papias. »Mein Gehilfe beginnt gleich jetzt mit den Vorarbeiten. Hinter Schranken müssen wir schaffen, damit keiner uns stört und mit Bemerkungen aufhält.«
Eine halbe Stunde später hatte man bereits ein Gerüst inmitten der Halle, in der die Urania zu stehen kommen sollte, aufgerichtet. Es wurde von hohen hölzernen, mit starker Leinwand bespannten Rahmen den Blicken entzogen, und hinter diesen Schirmen war Pollux tätig, ein kleines Modell aus Wachs zu formen, während sein Brotherr sich nach Hause begab, um Vorbereitungen für die Arbeiten des folgenden Morgens zu treffen.
Nur eine Stunde fehlte bis Mitternacht, und immer noch war die von dem Präfekten für den Baumeister in den Palast geschickte Mahlzeit unberührt geblieben.
Pontius hatte Hunger; bevor er aber dem Braten, der ihn einladend genug anschaute, der feuerroten Languste, der bräunlichgelben Pastete und den vielfarbigen Früchten zu Leibe ging, die ein Sklave auf eine marmorne Tafel gesetzt hatte, hielt er sich doch für verpflichtet, die herzustellende Zimmerreihe noch einmal zu durchwandern.
Es galt nachzusehen, ob die zunächst mit der Reinigung sämtlicher Räume beschäftigten Sklaven, die noch einige Stunden arbeiten, dann ausruhen und beim Aufgange der Sonne, verstärkt durch andere freie und unfreie Arbeiter, wieder ans Werk gehen sollten, von den Aufsehern verständig geleitet würden, ihre Schuldigkeit täten und alles hätten, was sie bedurften.
Bessere Beleuchtung, mehr Licht wurde überall verlangt, und als auch die Leute, die den Estrich der Musenhalle säuberten und die Säulen in ihr abputzten, laut nach Fackeln und Lampen verlangten, da streckte sich über die Schranken, die den für die Herstellung der Urania bestimmten Platz umgaben, ein jugendlicher Männerkopf weit hinaus, und eine klangvolle Stimme rief:
»Meine Muse mit ihrer Himmelskugel steht den Sternsehern bei und wird sich in der Nacht am wohlsten befinden; aber noch ist sie ja keine Göttin. Um sie zu formen, braucht man Licht, viel Licht! Ist es hier heller, so wird auch der Lärm der Leute da unten, der in diesem leeren Stalle nicht eben angenehm wirkt, sich verringern. Schaffe drum Licht, o Mann, Licht für die unsterbliche Göttin und die sterblichen, scheuernden Menschen.«
Pontius schaute lächelnd zu dem Künstler auf, der diese Sätze gerufen, und sagte:
»Dein Notschrei, mein Freund, ist berechtigt. Glaubst du aber ernstlich, daß dem Licht die Macht innewohne, Geräusche zu dämpfen?«
»Wo es fehlt,« versetzte Pollux, »das heißt, im Dunkeln, scheint sich wenigstens jeder Lärm zu verdoppeln.«
»Das ist richtig; aber es lassen sich dafür auch andere Gründe finden,« entgegnete der Architekt. »Morgen in einer Arbeitspause wollen wir uns über diese Dinge weiter unterreden. Jetzt werde ich für Lampen und Lichter sorgen.«
»Das wird Urania, die auch die schönen Künste behütet, dir danken,« rief Pollux dem Baumeister nach.
Dieser ging dem obersten Werkführer entgegen, um ihn zu fragen, ob er nicht seinem Befehle gemäß dem Palastvorsteher Keraunus aufgetragen habe, zu ihm zu kommen und ihm die für die äußere Beleuchtung des Schlosses vorhandenen Lampen und Pechpfannen zur Verfügung zu stellen.
»Dreimal,« lautete die unwillige Antwort, »war ich bei dem Manne; doch jedesmal blies er sich auf wie ein Frosch, redete kein Wort mit mir und ließ mich nur von seiner Tochter, die du sehen mußt, denn sie ist reizend, und einem elenden schwarzen Sklaven in ein Kämmerchen führen, wo ich die paar Lampen fand, die hier brennen.«
»Befahlst du ihm, zu mir zu kommen?«
»Schon vor drei Stunden, und als du mit dem Bildhauer Papias redetest, zum zweitenmal«.«
Unwillig kehrte der Architekt und mit einer schnellen Wendung dem Werkmeister den Rücken, entfaltete den Plan des Palastes, fand schnell die Wohnung des widerspenstigen Verwalters heraus, ergriff ein neben ihm stehendes Lämpchen von rotem Ton und ging, gewohnt sich von Baurissen führen zu lassen, geradeswegs auf das nur durch wenige Zimmer und einen längeren Gang von der Musenhalle getrennte Quartier des pflichtvergessenen Mannes los.
Eine unverschlossene Pforte führte ihn in ein dunkles Vorgemach, dem eine andere Stube und endlich ein großer, gut eingerichteter Raum folgte.
Die zu diesem, augenscheinlich dem Wohn- und Speisezimmer des Verwalters, führenden Eingänge waren ohne Türen und nur durch weit zurückgeschobene Zeugvorhänge verschließbar.
Pontius konnte ungehindert und unbemerkt den Tisch überschauen, auf dem eine dreiarmige Lampe von Bronze zwischen einer Schüssel und Tellern stand.
Der dicke Mann wandte das runde, stark gerötete Antlitz dem Baumeister zu, der ihm erregt, wie er war, schnell und mit Entschiedenheit entgegengetreten wäre, wenn nicht, bevor er das zweite Zimmer betrat, ein leises, aber schmerzliches Schluchzen sein Ohr erreicht hätte.
Die Weinende war ein schlankes junges Mädchen, das aus der hintern Tür des Wohnraumes vortrat und nun ein Brettchen mit einem Brote neben den Verwalter auf den Tisch stellte.
»Weine doch nicht, Selene,« sagte der Verwalter und zerbrach das Backwerk langsam und mit dem Bestreben, sein Kind zu beruhigen.
»Wie sollt' ich nicht weinen,« entgegnete das Mädchen. »Erlaube nur, daß ich morgen ein Stück Fleisch für dich kaufe; der Arzt hat dir verboten, Brot und immer nur Brot zu essen.«
»Satt werden muß der Mensch,« entgegnete der Dicke. »Fleisch ist teuer. Ich habe neun Mäuler zu stopfen, die Sklaven gar nicht gerechnet. Wo sollt' ich das Geld hernehmen, um uns alle mit kostbarem Fleisch zu füttern?«
»Wir brauchen keins, aber für dich ist es nötig.«
»Es geht nicht, Kind. Der Fleischer will nicht mehr borgen, die anderen Gläubiger drängen, und es bleiben uns bis ans Ende des Monats nur noch zehn Drachmen.«
Das Mädchen erbleichte und fragte ängstlich:
»Aber, Vater, du zeigtest mir ja heute früh die drei Goldstücke, die dir von dem Geschenke zugekommen sind, das bei der Ankunft der Kaiserin unter die Bürger verteilt ward.«
Da rollte der Verwalter ein Stück Brotteig verlegen zwischen den Fingern zusammen und sagte:
»Ich kaufte dafür diese Fibula mit dem geschnittenen Onyx; spottwohlfeil, sage ich dir! Wenn der Kaiser kommt, so muß er sehen, wer ich bin, und sterb' ich, so gibt euch jeder doppelt so viel für das Kunstwerk, als ich dafür bezahlte. Ich sage dir, das Geld der Kaiserin ist gut angelegt worden in dem Onyx.«
Selene entgegnete nichts; doch seufzte sie tief auf und ihr Blick überflog eine Reihe von höchst unnützen Dingen, die der Verwalter, weil sie »billig« gewesen, eingekauft und mit nach Hause gebracht hatte, während es ihr und ihren sieben Geschwistern an dem Nötigsten gebrach.
»Vater,« hob das Mädchen nach kurzem Schweigen von neuem an, »ich soll nicht mehr davon reden, aber wenn du auch böse wirst, so tu' ich es doch. Der Baumeister, der die Arbeiter drüben anführt, hat nun schon zweimal nach dir gesandt.«
»Schweig!« rief der Dicke und schlug mit der Sand auf den Tisch. »Wer ist dieser Pontius und wer bin ich!«
»Du bist von edler, mazedonischer Herkunft, vielleicht sogar mit dem ptolemäischen Königshause verwandt und hast deinen Sitz in der Bürgerversammlung, aber sei doch diesmal herablassend und gütig. Der Mann hat alle Hände voll zu tun, er ist müde . . .«
»Hab ich heute etwa still sitzen dürfen? Was sich schickt, das schickt sich. Ich bin Keraunus, des Ptolemäus Sohn, dessen Väter mit dem großen Alexander nach Ägypten kamen und diese Stadt gründen halfen, das weiß ein jeder. Unser Besitz ward geschmälert, aber gerade darum halt' ich darauf, daß unser edles Blut anerkannt werde. Pontius läßt den Keraunus rufen! War' es nicht empörend, wird' es lächerlich sein; denn wer ist dieser Mann!? Ich sagt' es ja schon! Sein Großvater war der Freigelassene des verstorbenen Präfekten Claudius Valbillus. Erst durch die Gunst der Römer ist sein Vater heraufgekommen und reich geworden. Von Sklaven stammt er, und du forderst, daß ich sein gehorsamer Diener sein soll, wenn es ihm gefällt, mich zu rufen?«
»Aber, Vater, Vater, er ließ ja nicht den Sohn des Ptolemäus, er ließ den Verwalter dieses Palastes bitten, zu ihm zu kommen.«
»Wortklauberei! Du schweigst, ich komme ihm keinen Schritt entgegen.«
Da schlug das Mädchen die Hände vor das Antlitz und schluchzte laut und jammervoll auf.
Keraunus erschrak und wie außer sich rief er:
»Beim großen Serapis, ich kann das nicht länger ertragen! Was soll das Gewimmer?«
Da faßte sich das Mädchen ein Herz, und indem sie dem erregten Manne näher trat, sagte sie, mehr als einmal von Schluchzen unterbrochen:
»Du mußt gehen, Vater, du mußt! Ich habe mit dem Werkführer gesprochen und er sagte kalt und entschieden, der Baumeister stünde hier im Namen des Kaisers, und wenn du ihm nicht folgtest, würde er dich sofort deines Amtes entsetzen! Und wenn das geschähe, das! O Vater, Vater, denke doch an den blinden Helios und die arme Berenice! Arsinoe und ich finden schon unser Brot, aber die Kleinen, die Kleinen!«
Bei den letzten Worten hatte sich das Mädchen auf die Knie geworfen und die Hände zu dem widerspenstigen Manne erhoben.
Diesem war das Blut in den Kopf und die Augen gestiegen, und mit den Fingern an der hochroten Stirne spielend, sank er wie vom Schlage getroffen in den Stuhl zurück.
Sogleich sprang seine Tochter vom Boden auf und reichte ihm den mit Wein und Wasser gefüllten Pokal, der auf dem Tische gestanden hatte; Keraunus aber wies ihn mit der Hand zurück und rief, nach Atem ringend und keuchend:
»Mich meines Amtes entsetzen, mich aus diesem Palaste vertreiben! Da – da drinnen in der Ebenholztruhe liegt das Schreiben des Euergetes, das meinem Ahnherrn Philippus das Amt des Verwalters dieses Schlosses als eine in seiner Familie forterbende Würde überträgt. Dieses Philippus Gattin hatte die Ehre, die Geliebte oder, wie andere sagen, die Tochter des Königs zu sein. Da drin liegt das Dokument, mit roter und schwarzer Tinte auf gelbem Papyrus geschrieben und mit dem Siegel und der Unterschrift des zweiten Euergetes versehen. Alle Fürsten aus dem Kaufe der Lagiden haben es bestätigt, von allen Präfekten Roms ward es geachtet, und nun, nun . . .«
»Aber, Vater,« unterbrach das Mädchen den verzweifelnd die Hände ringenden Mann, »Du bist ja noch im Amte, und wolltest du dich nur bequemen . . .«
»Bequemen, bequemen!« schrie der Dicke und schüttelte die beiden feisten Hände über dem mit Blut überfüllten Haupte. »Ich will mich bequemen! Ich werde euch nicht ins Unglück stürzen. Ich gehe, gehe schon. Für meine Kinder lasse ich mich mißhandeln und treten. Wie der Pelikan will ich meine Jungen mit dem eigenen Herzblut erhalten. Aber du sollst wissen, was es mich kostet, diese Demütigung auf mich zu nehmen! Unerträglich ist sie, und das Herz will mir bersten; denn der Baumeister hat mich geschmäht, als wär' ich sein Diener; er hat mir, ja, mit diesen Ohren hab' ich's gehört, er hat mir, mir, dem der Arzt ohnehin droht, ich könnte an einem Schlagflusse sterben – er hat mir den bübischen Wunsch nachgeschrien, ich möchte in meinem Fleische ersticken! Laß mich nur, laß mich! Ich weiß, was alles möglich ist unter den Römern. So – da steh' ich! Hol mir das krokusfarbige Pallium, das ich im Rate trage, hol mir meinen goldenen Stirnreifen! Wie ein Opfertier werd' ich mich schmücken und will ihm auch zeigen . . .«
Dem Baumeister war kein Wort von diesem Gespräche entgangen, das ihn bald verdrossen, bald zum Lachen gereizt, bald auch das Herz bewegt hatte.
Seiner tatkräftigen Natur widerstand jedes träge, müßige Wesen, und das langsame, gleichgültige Verhalten des dicken Mannes bei einer Angelegenheit, die ihn und jeden Beteiligten drängen mußte, schnell und mit dem Aufgebot aller Kräfte zu handeln, hatte ihm Worte auf die Lippen gedrängt, die er nun lieber nicht gesprochen zu haben wünschte.
Gewiß, der törichte Bettelstolz des Verwalters war ihm ärgerlich gewesen, und wer hörte wohl gern von einem seine Herkunft befleckenden Makel reden? Aber die Klage der Tochter dieses armseligen Vaters hatte ihm das Herz ergriffen. Der unverständige Tropf, den er durch einen Wink seiner Hand ins Elend zu stürzen vermochte, der aber durch seine Mahnung wohl sehr viel tiefer gekränkt worden war, als er durch das, was er soeben vernommen, jammerte ihn, und so folgte er gern dem freundlichen Antriebe seiner edlen Natur, des Unglücklichen zu schonen.
Kräftig schlug er mit dem gebogenen Finger an die Innenseite der Tür des Vorzimmers, dann hustete er laut auf und sagte, indem er sich auf der Schwelle des Wohngemachs sehr tief vor dem Verwalter verneigte:
»Ich bin gekommen, edler Keraunus, um dir, wie sich's ziemt, meinen Besuch abzustatten. Verzeih die späte Stunde, aber du weißt kaum, wie beschäftigt ich war, seitdem wir uns trennten.«
Keraunus hatte den späten Gast zuerst erschrocken, dann verblüfft angeschaut.
Nun trat er ihm näher, streckte ihm wie von einem Alp befreit beide Hände entgegen und über sein Gesicht breitete sich ein so warmer Schimmer aufrichtiger Herzensbefriedigung, daß Pontius sich wunderte, ganz übersehen zu haben, ein wie wohlgebildetes Gesicht dieser dicke Sonderling hatte.
»Nimm an unserem bescheidenen Tische Platz,« bat Keraunus. »Geh, Selene, und rufe den Sklaven. Vielleicht ist noch ein Fasan im Hause, ein gebratenes Hühnchen oder dergleichen; – aber freilich die Stunde ist spät.«
»Verbindlichsten Dank,« entgegnete der Baumeister lächelnd. »Mein Abendbrot wartet auf mich in der Musenhalle, und ich muß zu den Leuten zurück. Ich wäre dir dankbar, wenn du mich begleiten wolltest. Wir haben über die Beleuchtung der Räume miteinander zu reden, und so etwas bespricht sich am besten bei einem saftigen Braten und einem Schluck Wein.«
»Ganz zu deinen Diensten,« sagte Keraunus und verneigte sich höflich.
»Ich gehe voran,« rief der Baumeister. »Habe nur zuerst die Güte, alles, was du an Lichtern, Lampen und Pechpfannen besitzest, den Sklaven zu übergeben, die in wenigen Minuten vor deiner Tür auf deinen Befehl warten werden.«
Als sich Pontius entfernt hatte, sagte Selene tief aufatmend:
»O, diese Angst! Ich gehe jetzt und suche die Lampen. Wie schrecklich konnte das enden!«
»Es ist gut, daß es so kam!« murmelte Keraunus. »Der Baumeister ist für seine Herkunft immerhin ein artiger Mann.«
Fünftes Kapitel
Pontius hatte mit gerunzelter Stirn die Wohnung des Palastvorstehers aufgesucht und kehrte mit einem Lächeln auf den kräftigen Lippen und leichten Schrittes zu seinen Leuten zurück.
Dem Werkführer, der ihm mit einem fragenden Blick entgegentrat, sagte er:
»Der Herr Verwalter war mit Recht ein wenig empfindlich; nun sind wir Freunde, und er wird für die Beleuchtung tun, was er kann.«
In der Musenhalle blieb er vor dem Verschlage, hinter dem Pollux arbeitete, stehen und rief ihm zu:
»Freund Bildhauer, höre, es ist hohe Zeit zum Nachtessen geworden.«
»Gewiß,« versetzte Pollux, »sonst wird es ein Frühstück.«
»Lege denn in einer Viertelstunde das Werkzeug nieder und hilf mir mit dem Verwalter dieses Hauses das Mahl vertilgen, das man mir sandte.«
»Du bedarfst keines andern Mannes Beistand, wenn Keraunus dabei ist. Vor ihm schmilzt jede Speise dahin wie das Eis vor der Sonne.«
»So rette ihn vor Überlastung des Magens.«
»Unmöglich; denn ich habe soeben einer Schüssel voll Kohl mit Würstchen unbarmherzig zugesetzt. Meine Mutter bereitete diese Götterspeise, und mein Vater brachte sie dem ältesten Sohne.«
»Kohl mit Würstchen,« wiederholte der Baumeister, und man hörte ihm an, daß sein hungriger Magen gern mit diesem Gericht in nähere Verbindung getreten wäre.
»Komm herein,« rief Pollux sogleich, »und sei du mein Gast. Dem Kohl ist begegnet, was diesem Palaste bevorsteht: er ist aufgewärmt worden.«
»Aufgewärmter Kohl schmeckt besser als frischer, aber das Feuer, auf dem wir dies Bauwerk wieder genießbar zu machen versuchen, brennt zu heiß und muß zu kräftig geschürt werden. Die besten Sachen sind noch dazu fortgekommen und unersetzbar.«
»Wie die Würstchen, die ich aus meinem Kohl herausgefischt habe,« lachte der Bildhauer. »Ich kann dich doch nicht zu Gaste laden; denn ich würde dieser Schüssel schmeicheln, wenn ich sie »Kohl mit Würstchen« heiße. Wie ein Bergwerk hab' ich sie behandelt, und nachdem die Wurstminen beinah' erschöpft sind, bleibt wenig übrig als der Grundstoff, in dem zwei oder drei erbärmliche Fragmente an den vergangenen Reichtum erinnern. Nächstens soll meine Mutter dies Gericht für dich kochen; sie bereitet es mit unübertrefflicher Kunst.«
»Ein guter Gedanke; heute aber bist du mein Gast.«
»Ich bin völlig gesättigt.«
»So würze uns mit deiner guten Laune die Mahlzeit.«
»Verzeih, Herr, und laß mich lieber hier hinter meinen Schranken. Erstens bin ich bei guter Stimmung, im rechten Zug und fühle, daß in dieser Nacht etwas bei der Arbeit herauskommt . . .«
»Auf morgen also.«
»Hör mich zu Ende.«
»Nun?«
»Du würdest auch mit meiner Gegenwart deinem zweiten Gast einen schlechten Dienst erweisen.«
»Du kennst den Verwalter?«
»Von Kind an; bin ich doch der Sohn des Torwächters dieses Palastes.«
»Ei sieh! So stammst du aus dem lustigen Häuschen mit dem Efeu, den Vögeln und der munteren Alten?«
»Sie hat mich geboren und wird, sobald ihr Leibmetzger schlachtet, für dich und mich ein Kohlgericht sondergleichen vollenden.«
»Eine freundliche Aussicht!«
»Da stampft ein Nilpferd heran, oder bei näherer Betrachtung der Verwalter Keraunus.«
»Du bist mit ihm verfeindet?«
»Ich mit ihm, nein, aber er mit mir, ja,« entgegnete der Bildhauer. »Das sind dumme Geschichten! Frage mich bei unserem Mahl nicht nach ihnen, wenn du einen fröhlichen Tischgenossen zu haben begehrst. Sage Keraunus auch lieber nicht, daß ich hier bin; es führt zu nichts Gutem.«
»Wie du wünschest; da wären auch unsere Lampen!«
»Es sind genug, um die Unterwelt damit zu erleuchten,« rief Pollux, winkte dem Architekten einen Gruß zu und verschwand hinter den Schranken, um mit voller Hingabe an seiner Urania zu arbeiten.
________________________________________
Mitternacht war längst vorüber und die Sklaven, die mit großem Eifer ans Werk gegangen waren, hatten ihre Arbeit in der Musenhalle beendet. Sie durften nun auf dem in einem anderen Flügel des Palastes ausgebreiteten Stroh einige Stunden ruhen.
Auch der Architekt Pontius wünschte diese Zeit zu benützen, um sich durch einen kurzen Schlaf für die Anstrengungen des morgenden Tages zu stärken, aber zwischen dieser Absicht und ihrer Verwirklichung stand die umfangreiche Gestalt seines Gastes.
Er hatte den Mann, der sich, um Geld zu sparen, nur mit Brot nährte, eingeladen, um ihn mit Fleisch zu sättigen, und Keraunus zeigte sich jeder in dieser Beziehung an ihn gestellten Zumutung gewachsen.
Nachdem aber die letzte Schüssel abgetragen worden war, hielt es der Verwalter für geboten, seinem Wirt durch die Gegenwart seiner vornehmen Person Ehre zu erweisen.
Dabei löste der gute Wein des Präfekten dem sonst wenig mitteilsamen Manne die Zunge.
Erst sprach er von den mancherlei Stockungen, die ihn quälten und sein Leben gefährdeten, und als Pontius, um ihn auf andere Dinge zu bringen, unvorsichtigerweise des Rats der Bürgerschaft erwähnte, ließ Keraunus seine Beredsamkeit glänzen und suchte, Becher auf Becher leerend, die Gründe darzulegen, die ihn und seine Freunde bestimmten, alles dranzusetzen, den Mitgliedern der großen jüdischen Gemeinde der Stadt das Bürgerrecht zu entziehen und sie womöglich aus Alexandria zu vertreiben.
So groß war sein Eifer, daß er der Gegenwart des Baumeisters und seiner ihm wohlbekannten Herkunft völlig vergaß und es für notwendig erklärte, auch die Nachkommen von freigelassenen Sklaven aus der Bürgerschaft zu entfernen.
Pontius sah den glühenden Wangen und Augen des Verwalters an, daß der Wein aus ihm rede, und erwiderte ihm nichts; aber entschlossen, sich die Ruhe, deren er bedurfte, nicht schmälern zu lassen, erhob er sich von der Tafel und ging, indem er sich kurz entschuldigte, in das Gemach, in dem ein Lager für ihn aufgeschlagen worden war.
Nachdem er sich ausgekleidet hatte, befahl er seinem Sklaven, nachzusehen, was Keraunus treibe, und erhielt bald die beruhigende Antwort, der Verwalter sei fest eingeschlafen und schnarche.
»Horche nur,« schloß der Diener den Bericht, »man hört das Rollen und Sägen bis hierher. Ich schob ihm ein Kissen unter den dicken Kopf; denn bei seiner Fülle kann der überstarke Herr sonst Schaden erleiden.«
Liebe ist eine Pflanze, die vielen zuwächst, ohne daß sie sie gesät hätten, und die für manchen, der sie weder hegte noch pflegte, zum schattigen Baum ward.
Wie wenig hatte der Palastverwalter Keraunus getan, um sich das Herz der Tochter zu gewinnen, und wie vieles, das nicht verfehlen konnte, den Lauf ihres jungen Lebens zu trüben und zu verkümmern. Dennoch saß Selene, deren neunzehnjähriger Körper der Ruhe bedurfte und die sich des Abends auf den erlösenden Schlaf weit mehr freute als des Morgens auf den neue Sorgen und Lasten bringenden Tag, immer noch neben der dreiarmigen Lampe und wachte und ängstigte sich, je später es wurde, desto mehr über das lange Ausbleiben des Vaters. Vor einer Woche waren dem starken Manne plötzlich, wenn auch nur auf Minuten, die Sinne geschwunden, und der Arzt hatte ihr gesagt, daß der scheinbar von Gesundheit strotzende Kranke sich streng nach seinen Vorschriften halten und jedes Übermaß meiden müsse. Eine einzige Unvorsichtigkeit könne seinen Lebensfaden schnell und plötzlich zerreißen.
Nachdem der Vater fortgegangen war, um der Einladung des Baumeisters zu folgen, hatte Selene die Kleider ihrer jüngeren Geschwister vorgenommen, um sie auszubessern. Wohl hätte ihre zwei Jahre jüngere Schwester Arsinoe, deren Finger geschickt waren wie ihre eigenen, ihr dabei helfen können, aber sie war früh zur Ruhe gegangen und schlief bei den Kindern, die in der Nacht nicht ohne Aufsicht bleiben sollten.
Ihre Sklavin, die schon im Dienste ihrer Großeltern gestanden, sollte ihr helfen, aber die alte, halbblinde Negerin sah bei Licht noch schlechter als am Tage und konnte nach wenigen Nadelstichen nichts mehr erkennen.
Selene schickte sie zur Ruhe und setzte sich dann allein an die Arbeit.
In der ersten Stunde nähte sie, ohne aufzusehen, und dachte nach, wie es am besten möglich wäre, die Ihren mit den wenigen Drachmen, über die sie noch verfügte, in schicklicher Weise bis an das Ende des Monats zu erhalten.
Als es später ward, wurde sie müder und müder, aber sie blieb dennoch, und obgleich ihr der hübsche Kopf oft auf die Brust sank, vor ihrer Arbeit sitzen.
Sie mußte die Rückkehr des Vaters abwarten; denn da stand der vom Arzt für ihn bereitete Trank, und sie fürchtete, daß er ihn vergäße, wenn sie ihn nicht erinnerte.
Am Ende der zweiten Stunde übermannte sie die Schläfrigkeit, und es war ihr, als zerbreche der Stuhl, auf dem sie saß, und als sinke sie erst langsam, dann aber schneller und schneller in einen tiefen Abgrund, der sich unter ihr auftat.
Nach Hilfe suchend schaute sie im Traume aufwärts; aber da war nichts zu sehen als das Gesicht des Vaters, das gleichgültig zur Seite schaute. Im weiteren Verlauf des Traumes rief sie ihn und rief ihn wieder; er aber schien sie lange Zeit nicht zu hören.
Endlich blickte er zu ihr nieder, und als er sie bemerkt hatte, lächelte er sie an; aber statt ihr Hilfe zu leisten, nahm er Steine und Erde vom Rande des Abgrunds und warf sie ihr auf die Finger, die sich an den Brombeerstauden und den Wurzeln, die aus den Fugen der Felsen herauswuchsen, angeklammert hatten.
Sie bat ihn, von diesem Spiele zu lassen, sie flehte ihn an, sie rief um Schonung, aber in dem Gesichte über ihr regte sich kein Muskel. Während eines leeren Lächelns schien es erstarrt zu sein, und auch das Herz des Vaters war wohl erstorben; denn mitleidlos warf er einen Kiesel, ein Erdstück nach dem anderen auf sie herunter, bis ihre Hände den letzten gebrechlichen Halt loslassen mußten und sie in den todbringenden Schlund hinunterstürzte.
Von ihrem eigenen lauten Angstschrei wachte sie auf, aber während sie aus dem Traum in die Wirklichkeit zurückkehrte, sah sie hinter schnell zerreißenden Nebeln, einen Augenblick nur und doch klar und deutlich, das mit weißen und gelben Kamillensternen, mit veilchenfarbigen Blütenglocken und rotem Mohn geschmückte hohe Gras einer Wiese, in das sie wie in ein weiches grünes Bett gefallen war; neben dem Rasen aber blaute ein schimmernder See und hinter ihm erhoben sich schön gerundete Berge mit rötlichen Felsenhängen und grünen Hainen und Matten, die in hellem Sonnenschein glänzten. Ein reiner Himmel, an dem ein leiser Hauch leichte silberne Wölkchen sanft bewegte, wölbte sich über dies freundliche, schnell verfliegende Bild, das sie mit nichts von allem zu vergleichen wußte, was sie jemals in ihrer Heimat gesehen.
Nur kurze Zeit hatte sie geschlafen, als sie aber, der Wirklichkeit völlig zurückgegeben, die Augen rieb, meinte sie, ihr Traum habe lange Stunden gedauert.
Eine Flamme an ihrer dreiarmigen Lampe war qualmend erloschen und an einer anderen begann der Docht zu verschwelen. Sie drückte ihn schnell mit der an einem Kettchen hängenden Zange aus, goß dann auf den letzten noch brennenden Docht neues Öl und leuchtete in das Schlafgemach ihres Vaters.
Noch immer war er nicht heimgekehrt.
Nun überfiel sie große Angst.
Hatte ihm der Wein des Baumeisters die Sinne benommen?
War er auf dem Wege nach seiner Wohnung von einem neuen Schwindel erfaßt worden?
Im Geiste sah sie den schweren Mann unfähig, sich aufzurichten, ja vielleicht sterbend am Boden liegen.
Hier blieb keine Wahl!
Sie mußte sich in die Musenhalle begeben und sehen, was dem Vater zugestoßen war, ihn aufrichten, ihm Hilfe bringen oder, wenn sie ihn noch beim Schmause fand, unter irgend einem Vorwand nach Hause zu locken versuchen.
Es stand alles auf dem Spiele: das Leben des Vaters und mit ihm Unterhalt und Obdach für acht hilflose Wesen.
Die Dezembernacht war rauh.
Schneidend kalte Luft zog durch die schlecht verwahrte Öffnung in der Decke des Zimmers, und so band Selene, bevor sie die Wanderung begann, ein Tüchlein um den Kopf und warf den weiten Mantel, den ihre verstorbene Mutter getragen hatte, über die Schultern.
In dem langen, zwischen der Wohnung der Familie und dem vorderen Teil des Palastes gelegenen Gange mußte sie das flackernde Licht des Lämpchens, das sie in der Rechten trug, mit der Linken vor dem Verlöschen bewahren.
Die vom Zugwinde bewegte Flamme und ihre eigene Gestalt spiegelten sich hier und dort in den glatten Flächen des dunklen Marmors wider.
Die unter ihren Fuß geschnürte starke Sohle erweckte in den leeren Räumen lauten Widerhall, sobald sie den steinernen Estrich berührte, und in Selenens Seele schlich sich die Furcht ein. Ihre Finger, die die Leuchte hielten, zitterten, und ihr Herz schlug überlaut, als sie mit angehaltenem Atem durch den runden Kuppelsaal schritt, in dem Ptolemäus Euergetes, der Dicke, vor vielen Jahren den eigenen Sohn ermordet haben sollte und in dem jeder laute Atemzug ein Echo erweckte. Aber selbst in diesem Raum vergaß sie nicht, nach dem Vater auszuschauen.
Erleichtert atmete sie auf, als sie einen Lichtstrahl bemerkte, der durch die klaffenden Fugen einer geborstenen Seitenpforte der Musenhalle drang und sich gebrochen auf dem Estrich und einer Wand des letzten Raumes, den sie durchschreiten mußte, spiegelte.
Jetzt betrat sie den weiten Saal, der von den Lampen hinter den Schranken des Bildhauers und mehreren tief herabgebrannten Kerzen matt beleuchtet wurde.
Diese standen auf der in einer Ecke am äußersten Ende der Halle aus Holzböcken und Brettern zusammengefügten Tafel, hinter der ihr Vater längst schon entschlummert war.
Die tiefen, aus der breiten Brust des Schläfers dringenden Töne klangen von den nackten Wänden des weiten, leeren Raumes unheimlich wider, und nun ängstigte sie sich vor ihnen und mehr noch vor den tiefen und langen Schatten der Säulen, die sich wie Schranken über ihren Weg legten.
Lauschend blieb sie in der Mitte der Halle stehen, und bald erkannte sie in dem befremdlichen Getön einen ihr nur zu wohl bekannten Klang.
Ungesäumt hob sie die Füße zum Laufe und eilte auf den Schlafenden zu, rüttelte und schüttelte ihn, rief ihn, besprengte ihm die Stirn mit Wasser und nannte ihn bei den zärtlichsten Namen, mit denen ihre Schwester Arsinoe ihm zu schmeicheln pflegte. Als er sich trotz alledem nicht rührte und regte, leuchtete sie ihm mit dem Lämpchen ins Angesicht. Nun glaubte sie wahrzunehmen, daß sich ein bläulicher Schimmer über sein aufgedunsenes Antlitz breite, und wiederum brach sie in jenes tief schmerzliche Weinen aus, das das Herz des Baumeisters vor wenigen Stunden gerührt hatte.
Jetzt ward es hinter den Schranken, die den Bildhauer und sein entstehendes Werk umgaben, lebendig.
Pollux hatte lange mit Lust und Eifer gearbeitet, endlich aber das Schnarchen des Verwalters ihn zu stören begonnen.
Der Körper seiner Muse hatte schon entschiedene Formen gewonnen, den Kopf konnte er erst beim Lichte des Tages auszuführen beginnen.
Jetzt ließ er die Arme sinken; denn seitdem er sich nicht mehr mit Herz und Sinn dem Schaffen hingab, fühlte er sich müde und sah ein, daß er ohne Modell nicht mit der Gewandung der Urania zustande kommen würde. Darum zog er den Sessel an eine große mit Gips gefüllte Kiste, um an diese gelehnt ein wenig zu ruhen.
Aber den von seiner schnellen Nachtarbeit tief erregten Künstler war der Schlaf geflohen, und sobald Selene die Tür öffnete, richtete er sich auf und schaute durch eine Öffnung zwischen den Rahmen, die seine Arbeitsstätte umgaben.
Als er die hohe, verhüllte Gestalt erblickte, in deren Hand eine Lampe zitterte, als er sie den weiten Raum durchschreiten und plötzlich stillstehen sah, erschrak er nicht wenig, aber das hinderte ihn nicht, jeden Schritt des nächtlichen Spukbildes mit weit mehr Neugier als Furcht zu verfolgen.
Als dann Selene sich umschaute und das Licht ihrer Lampe ihr das Antlitz beschien, erkannte er die Tochter des Verwalters und begriff nun schnell, was sie hier suchte.
Ihre vergeblichen Weckversuche hatten gewiß etwas Rührendes, aber doch zu gleicher Zeit auch etwas unwiderstehlich Erheiterndes. Pollux fühlte sich denn auch stark versucht zu lachen. Sobald aber Selene so schmerzlich zu weinen begann, bog er schnell zwei Rahmen seiner Schranken auseinander, näherte sich ihr und rief, um sie nicht zu erschrecken, erst leise und dann immer lauter ihren Namen. Als sie ihr Haupt nach ihm umwandte, bat er sie freundlich, sich nicht zu fürchten; denn er sei kein Geist, sondern nur ein ganz bescheidener Sterblicher, und zwar, wie sie sehe, leider nichts Besseres als des Torhüters Euphorion nichtsnutziger, aber auf dem Wege der Besserung wandelnder Sohn.
»Du, Pollux?« fragte das Mädchen überrascht.
»Ich selbst. Aber du? Kann ich dir helfen?«
»Mein armer Vater,« klagte Selene. »Er rührt sich nicht, er ist starr – und sein Gesicht – o ihr ewigen Götter!«
»Wer schnarcht, ist nicht tot,« entgegnete der Bildhauer.
»Aber der Arzt hat gesagt . . .«
»Er ist gar nicht krank! Pontius setzte ihm nur stärkeren Wein vor, als er zu trinken gewohnt ist. Laß ihn ruhen. Mit dem Kissen unter dem Nacken schläft er so fest wie ein Kind. Als er vorhin gar zu kräftig zu brummen begann, hab' ich so laut wie ein Regenvogel gepfiffen; denn das bringt die Schnarcher manchmal zum Schweigen; eher aber hätte ich die steinernen Musen dort zum Tanzen bringen können, als ihn aus dem Schlafe.«
»Könnten wir ihn nur ins Bett schaffen.«
»Wenn du vier Pferde zur Hand hast . . .«
»Du bist immer noch so schlecht wie früher.«
»Etwas weniger, Selene. Du mußt dich nur wieder an meine Redeweise gewöhnen. Diesmal meinte ich nur, daß wir beide zusammen nicht stark genug wären, ihn fortzutragen.«
»Aber was soll ich denn tun? Der Arzt hat gesagt . . .«
»Bleib mir fort mit dem Arzte. Die Krankheit, an der dein Vater leidet, die kenn' ich! Morgen ist sie vorüber, und den einzigen Schmerz, den sie vielleicht bis zum Untergange der Sonne zurückläßt, wird er unter den Haaren verspüren. Laß ihn nur schlafen.«
»Es ist so kalt hier.«
»Da nimm meinen Mantel und decke ihn zu.«
»Dann wirst du frieren.«
»Das bin ich gewöhnt. Seit wann hat denn Keraunus mit den Ärzten zu schaffen?«
Selene erzählte, welcher Unfall den Vater betroffen und wie berechtigt ihre Befürchtungen wären.
Schweigend hörte der Bildhauer ihr zu und sagte dann in völlig verändertem Ton:
»Das tut mir herzlich leid. Legen wir ihm kaltes Wasser auf die Stirn. Bis die Sklaven wieder kommen, will ich jede Viertelstunde den Umschlag wechseln. Da steht ein Gefäß, und hier ist ein Tuch. Gut! Das wäre gelungen! Vielleicht erwacht er dadurch, und wenn nicht, so tragen ihn die Leute in eure Wohnung.«
»Schmählich – schmählich!« seufzte das Mädchen.
»Nicht doch; auch der Oberpriester des Serapis kann unwohl werden. Laß mich nur machen.«
»Dir zu begegnen, wird ihn von neuem erregen. Er ist dir so böse – so böse!«
»Gewaltiger Zeus, was hab' ich denn Großes verbrochen? Die Götter vergeben den Weisesten schwere Sünden und ein Mensch will nicht verzeihen, was ein dummer Junge in seinem Übermute verbrach!«
»Du hast ihn verhöhnt.«
»Ich setzte an die Stelle des abgebrochenen Hauptes zwischen die Schultern des dicken Silen neben dem Tore einen Kopf von Ton, der ihm gleichsah. Meine erste selbständige Arbeit ist es gewesen.«
»Du hast sie nur gemacht, um den Vater zu kränken.«
»Gewiß nicht, Selene. Mich reizte der Spaß und nichts weiter.«
»Aber du wußtest, wie empfindlich er ist.«
»Überlegt denn ein fünfzehnjähriger Wildfang die Folgen seines Übermuts? Hätte er mir nur den Rücken verprügelt, dann würde sein Groll sich mit Blitz und Donner entladen haben, und die Luft wäre wieder rein geworden. Aber so! Von meinem Werke schnitt er mit dem Messer das Gesicht ab und zertrat langsam die am Boden liegenden Stücke. Mir gab er einen einzigen Puff mit dem Daumen, den ich freilich heute noch fühle, und dann schmähte er mich und die Eltern so kühl und hart und mit so bitterer Verachtung . . .«
»Er wird niemals recht heftig, aber der Ärger frißt sich in ihn hinein, und so verdrossen wie damals sah ich ihn selten.«
»Hätte er nur unter vier Augen die Rechnung mit mir beglichen; aber so war mein Vater dabei und es regnete heftige Worte, zu denen meine Mutter das Ihrige gab, und seitdem war die Feindschaft fertig zwischen dem Häuschen da unten und euch hier oben. Am meisten hat mich's gekränkt, daß es dir und deiner Schwester verboten wurde, zu uns zu kommen und mit uns zu spielen.«
»Das verdarb mir auch manche Stunde.«
»Es war auch hübsch, wenn wir uns mit dem Theaterkram und den Mänteln des Vaters ausputzten.«
»Und wenn du uns Puppen aus Ton formtest.«
»Oder wenn wir olympische Wettkämpfe aufführten.«
»Ich war immer die Lehrerin, wenn wir mit den kleinen Geschwistern Schule spielten.«
»Arsinoe machte dir am meisten zu schaffen.«
»Wie hübsch ist das Angeln gewesen! Wenn wir Fische nach Hause brachten, dann gab uns meine Mutter Mehl und Rosinen, um damit zu kochen.«
»Erinnerst du dich noch an das Adonisfest, und wie ich den durchgegangenen Fuchs des numidischen Reiters aufhielt?«
»Das Pferd hatte Arsinoe schon umgeworfen, und als wir nach Hause kamen, schenkte die Mutter dir einen Mandelkuchen.«
»Aber zum Dank biß deine undankbare Schwester tapfer hinein und ließ mir nur ein winziges Stückchen übrig. Ist Arsinoe so hübsch geworden, wie sie zu werden versprach? Vor zwei Jahren hab' ich sie zum letztenmal gesehen; unsereiner findet erst, wenn es finster wird, Zeit, die Arbeit zu verlassen. Acht Monate lang hatt' ich für den Meister in Ptolemais zu tun, und oft sah ich die Alten nur einmal im Monat.«
»Wir kommen auch wenig hinaus und dürfen nicht bei euch eintreten. Meine Schwester –«
»Ist sie sehr schön?«
»Ich glaube ja. Wo sie ein Band erwischt, da flicht sie es in das Haar, und auf der Straße sehen die Männer ihr nach. Sie ist sechzehn Jahre alt geworden.«
»Sechzehn Jahre, die kleine Arsinoe! Wie lang ist es denn her seit dem Tod deiner Mutter?«
»Vier Jahre und acht Monate.«
»Du behieltest die Zeit ihres Endes wohl im Gedächtnis. Solch eine Mutter ist auch schwer zu vergessen. Sie war eine gute Frau, ja eine freundlichere ist mir nie begegnet, und ich weiß auch, daß sie es versuchte, deinen Vater milder zu stimmen. Aber es glückte ihr nicht, und dann mußte sie sterben.«
»Ja,« sagte Selene dumpf. »Wie haben die Götter das tun können! Sie sind oft grausamer als die härtesten Menschen!«
»Deine armen kleinen Geschwister.«
Das Mädchen nickte trüb mit dem Kopfe, und auch Pollux blickte eine Zeitlang schweigend zu Boden. Dann hob er den Kopf und rief:
»Ich habe etwas für dich, was dich freuen wird.«
»Mich will nichts mehr freuen, seitdem sie tot ist.«
»Doch, doch,« entgegnete der Bildhauer lebhaft. »Ich konnte die gute Frau nicht vergessen und formte einmal in müßigen Stunden ihre Büste aus dem Gedächtnis. Morgen bring ich sie dir.«
»Oh!« rief Selene und aus ihren großen, kühlen Augen leuchtete ein sonniger Glanz.
»Nicht wahr, das freut dich?«
»Ja gewiß, sehr. Aber wenn der Vater erfährt, daß du mir das Bildnis schenktest . . .«
»So ist er imstande, es zu zerschlagen?«
»Wenn er es auch nicht zerschlägt, so duldet er's doch nicht im Hause, sobald er erfährt, daß du es machtest.«
Da nahm Pollux den Umschlag von der Stirn des Verwalters, feuchtete ihn an und rief, während er ihn wieder auf den Kopf des Schlafenden zurücklegte:
»Ich hab' einen Einfall. Es kommt doch nur darauf an, daß dich meine Büste manchmal an deine Mutter erinnert. In eurer Wohnung braucht der Kopf nicht zu stehen. Auf dem Rundell, das ihr von eurem Altan aus sehen könnt und an dem du vorbeigehen kannst, wann du willst, stehen die Büsten der ptolemäischen Frauen, von denen einige arg verstümmelt sind und geflickt werden müssen. Ich übernehme die Herstellung der Berenice und setze ihr den Kopf deiner Mutter auf den Hals. Du trittst ins Freie und kannst sie sehen. Ist es dir recht so?«
»Ja, Pollux, Du bist doch ein guter Mensch.«
»Sagt' ich dir's nicht? Ich fange schon an, mich zu bessern. Aber die Zeit, die Zeit! Wenn ich auch noch die Berenice übernehme, dann gilt es, mit den Minuten zu geizen.«
»Geh nur an deine Arbeit zurück; das Umschlägemachen versteh' ich nur zu gut.«
Bei dieser Versicherung schlug Selene den Mantel ihrer Mutter, um den Händen freien Spielraum zu schaffen, über die Schulter und stand mit ihrer schlanken Gestalt, dem bleichen Gesicht und den schönen Falten in dem weiten Umwurf von gutem Stoff dem Künstler wie eine Bildsäule gegenüber.
»So bleibst du – so – ganz so!« rief Pollux dem überraschten Mädchen so laut und lebhaft zu, daß es erschrak. »Der Mantel liegt wundervoll ungezwungen auf deiner Schulter. Um aller Götter willen rühr ihn nicht an! Darf ich ihn nachmodellieren, so gewinne ich in wenigen Minuten einen ganzen Tag für unsere Berenice. Die Umschläge mach' ich während der Pausen.«
Ohne Selenens Antwort abzuwarten, eilte der Bildhauer in den Verschlag zurück. Dann erschien er erst mit einer Arbeitslampe in jeder Hand und mit kleinen Werkzeugen im Munde, endlich aber mit seinem Wachsmodell, das er auf die äußerste Kante des Tisches stellte, hinter dem der Verwalter ruhte.
Die Kerzen wurden verlöscht, die Lampen hier- und dorthin gerückt und auf und nieder geschoben, und als endlich ein erträgliches Licht gewonnen war, warf sich Pollux auf einen Sessel, streckte die Beine von sich, reckte den Hals und den Kopf mit der gebogenen Nase weit von sich wie ein Geier, der ein fernes Ziel mit dem Blicke zu erfassen sucht – senkte das Auge, hob es wieder, um etwas Neues mit ihm zu erbeuten, und wandte es auf längere Zeit niederwärts. Dabei tanzten seine Fingerspitzen und Nägel über die Fläche der Wachsfigur hin, versenkten sich in den bildsamen Stoff, klebten neue Stücke auf scheinbar vollendete Formen, beseitigten andere mit entschiedenen Schnitten und rundeten sie mit wirbelnder Schnelligkeit, um sie für einen neuen Zweck zu verwenden. Ein Krampf schien in seine Hände gefahren zu sein, aber unter den zusammengezogenen Brauen glänzte sein Auge ernst, fest, ruhig, und doch voll von unaussprechlich tiefer Begeisterung.
Selene hatte ihm mit keinem Worte gestattet, sie als Vorbild zu benutzen; dennoch war sie, als habe sein Eifer sich auf sie übertragen, regungslos stehengeblieben, und wenn, während er arbeitete, sein Blick sie traf, ahnte sie den schweren Ernst, der in dieser Stunde ihren muntern Gefährten erfüllte.
Weder er noch sie regten eine Zeitlang die Lippen.
Endlich trat er von seinem Werke zurück, bückte sich tief, schaute erst Selene, dann seine Arbeit mit einem scharfen, lauernden Blick von unten nach oben an und sagte, während er hochaufatmend das Wachs von den Fingern rieb: »So! So muß es werden! Jetzt mach' ich deinem Vater einen neuen Umschlag, und dann fahren wir fort. Wenn du müde bist, darfst du dich rühren.«
Sie machte nur bescheidenen Gebrauch von dieser Erlaubnis, und bald begann die Arbeit von neuem.
Als er einige gesunkene Falten ihres Umwurfs sorgfältig erneuerte, hob sie den Fuß, um zurückzutreten; er aber sagte ernst: »Du bleibst stehen,« und sie folgte seinem Geheiß.
Von nun an bewegte Pollux Finger und Stäbchen mit größerer Ruhe. Der Blick seines Auges war weniger gespannt als vorher, und er begann auch wieder zu sprechen.
»Du bist sehr bleich,« sagte er. »Freilich, das Lampenlicht und die schlaflose Nacht« . . .
»Ich sehe bei Tage ebenso aus; aber krank bin ich doch nicht.«
»Ich dachte, nur Arsinoe würde deiner Mutter ähnlich werden; jetzt aber finde ich viele Züge von ihr auch in deinem Antlitze wieder. Das Oval ist das gleiche, fast geradlinig schmiegt sich auch bei dir die Nase der Stirn an, deine großen Augen und der Schwung der Brauen sind wie aus ihrem Antlitz genommen; doch dein Mund ist kleiner und zierlicher geschnitten, und die Verstorbene hätte wohl schwerlich das Haar zu einem so schweren Knoten am Hinterkopfe zusammenschlingen können. Ich meine auch, daß das deine heller . . .«
»Sie soll als Mädchen noch volleres Haar gehabt haben und ist vielleicht als Kind ebenso blond gewesen, wie ich war. Jetzt bin ich braun.«
»Das hast du auch von ihr, daß sich das Haar, ohne kraus zu sein, in so weichen Wellen um das Haupt legt.«
»Es läßt sich leicht regieren.«
»Bist du nicht höher gewachsen?«
»Ich glaube; aber weil sie voller war, sah sie wohl weniger groß aus. – Bist du bald fertig?«
»Du wirst müde vom Stehen?«
»Nicht sehr.«
»So habe noch ein wenig Geduld. Dein Anblick erinnert mich mehr und mehr an frühere Jahre. Ich freue mich, auch Arsinoe wiederzusehen. Mir ist zumute, als sei die Zeit ein gutes Stück rückwärts gegangen. Hast du dieselbe Empfindung?«
Selene schüttelte das Haupt.
»Du bist nicht glücklich?«
»Nein.«
»Ich weiß wohl. Für deine Jugend hast du sehr schwere Pflichten zu erfüllen.«
»Es geht so hin.«
»Nein, nein, ich weiß, daß du die Dinge nicht gehen läßt, wie sie wollen. Wie eine Mutter sorgst du für die Geschwister.«
»Wie eine Mutter,« wiederholte Selene und ihr Mund verzog sich zu einem abweisend bitteren Lächeln.
»Freilich! Mutterliebe ist ein ganz besonderes Ding; doch dein Vater und deine Geschwister sollen allen Grund haben, auch mit der deinen zufrieden zu sein.«
»Vielleicht sind's die Kleinen und unser blinder Helios, aber Arsinoe tut, was sie mag.«
»Du bist gewiß nicht zufrieden! Ich hör' es dir an, und du warst doch früher frisch und heiter, wenn auch nicht so übermütig wie deine Schwester.«
»Früher.«
»Wie traurig das klingt! Und doch, doch, du bist schön, bist jung, das Leben liegt vor dir!«
»Welch ein Leben!«
»Welches?« fragte der Bildhauer, indem er die Hände von der Arbeit entfernte, die schöne, bleiche Jungfrau feurig ansah und mit Herzlichkeit fortfuhr:
»Ein Leben, das ganz voll sein könnte von Glück und heiterer Liebe.«
Da schüttelte das Mädchen verneinend den Kopf und versetzte gelassen:
»Liebe ist Freude, sagt die Christin, die unsere Arbeit in der Papyrusfabrik beaufsichtigt, und seit die Mutter tot ist, habe ich mich nie mehr gefreut. Alles Glück genoß ich in der Kindheit auf einmal. Jetzt bin ich froh, wenn uns das schwerste Unglück erspart bleibt. Was sonst die Tage bringen, nehm' ich hin, weil ich es nicht zu ändern vermag. Mein Herz ist ganz leer, und wenn es wirklich etwas empfindet, so ist es Furcht. Gutes von der Zukunft zu erwarten, das hab' ich schon lange verlernt.«
»Mädchen, Mädchen!« rief Pollux. »Was ist mit dir vorgegangen? Ich begreife auch nur die Hälfte von dem, was du sprichst. Wie kommst du in die Papyrusfabrik?«
»Verrate mich nicht,« bat Selene ängstlich. »Wenn der Vater es hörte . . .«
»Er schläft, und was du mir hier vertraust, wird niemand erfahren.«
»Warum soll ich's verschweigen? Täglich gehe ich mit Arsinoe auf einige Stunden in die Werkstätte und arbeite dort, um etwas Geld zu verdienen.«
»Hinter dem Rücken deines Vaters?«
»Ja. Er ließe uns lieber verhungern, als daß er das litte. Unaufhörlich gibt es den gleichen Ekel bei dem gleichen Betrug zu ertragen, aber es geht nicht anders; denn Arsinoe denkt nur an sich selbst, spielt mit dem Vater das Brettspiel, brennt ihm die Locken und tändelt manchmal mit den Kindern herum, als wären es Puppen; mir aber liegt es ob, für die Kleinen zu sorgen.«
»Und du, du sagst, daß du lieblos wärest? Zum Glück glaubt es dir niemand, und ich am letzten. Neulich erzählte mir die Mutter von dir, und da dacht' ich, du wärest ein Mädchen, das eine Frau geben könnte gerade so wie sie sein soll.«
»Und heute?«
»Heute weiß ich's gewiß.«
»Du könntest dich irren.«
»Nein, nein! Du heißt Selene, und mild wie das freundliche Mondlicht bist du, Namen haben ihre Bedeutung.«
»Mein blinder Bruder, der das Licht noch niemals gesehen hat, heißt Helios,« entgegnete das Mädchen höhnisch.
Pollux hatte mit großer Wärme gesprochen; Selenens letzte Worte erschreckten ihn aber und dämpften seine hoch aufwallende Empfindung.
Als er nichts auf ihren bitteren Ausruf antwortete, sagte sie erst kühl, dann immer wärmer: »Du fängst an, mir zu glauben, und du hast recht, denn was ich für die Kleinen tue, geschieht nicht aus Güte, nicht aus Liebe, nicht weil ihr Wohl mir höher steht als das meine. Vom Vater erbte ich den Stolz, und so wäre es mir gräßlich, wenn die Geschwister zerlumpt einhergingen und die Leute uns für so arm und elend hielten, wie wir es sind. Das Schrecklichste ist mir Krankheit im Hause; denn sie steigert die Angst, die mich nie verläßt, und verschlingt die letzten Sesterze; darum dürfen die Kinder nicht darben. Ich will mich nicht schlechter machen als ich bin: es tut mir auch leid, sie verkommen zu sehen. Aber Freude bereitet mir nichts von dem, was ich tue; es mäßigt höchstens die Furcht. Du fragst, wovor ich mich ängstige? Vor allem, ja allem, was kommen kann; denn Gutes zu erwarten fehlt mir jeglicher Grund. Wenn es klopft, so kann es ein Gläubiger sein; wenn sie Arsinoe auf der Straße nachstarren, seh' ich die Unehre sie schon umschleichen; wenn der Vater gegen den Willen des Arztes handelt, so mein' ich, wir stünden bereits obdachlos auf offener Straße. Was tät' ich wohl freudigen Herzens! Gewiß, ich bin nicht müßig, aber ich beneide jedes Weib, das die Hände in den Schoß legen und sich von Sklavinnen bedienen lassen kann. Fiele mir nur ein goldener Schatz in die Hände, ich rührte gewiß keinen Finger mehr und schliefe jeden Tag, bis die Sonne hoch steht, und ließe Sklaven für den Vater und die Geschwister sorgen. Mein Leben ist lauter Elend. Gibt es einmal eine bessere Stunde, so wundere ich mich, und eh' ich mit dem Erstaunen zu Ende bin, ist sie auch schon vorüber.«
Den Bildhauer überlief es kalt, und sein Herz, das sich seiner schönen Gespielin weit geöffnet hatte, zog sich zusammen.
Bevor er das rechte, ermutigende Wort gefunden, nach dem er suchte, ließ sich aus dem Saale, in dem die Arbeiter und Sklaven ruhten, ein Trompetenstoß hören, der sie zu erwecken bestimmt war.
Selene schrak zusammen, zog den Mantel fester um sich, bat Pollux, für den Vater Sorge zu tragen und den neben ihm stehenden Weinkrug vor den Leuten zu verbergen, und ging dann, indem sie der Lampe vergaß, schnell der Pforte entgegen, durch die sie gekommen war.
Pollux eilte ihr nach, um ihr zu leuchten, und während er sie bis zur Tür ihrer Wohnung begleitete, gewann er ihr mit warmen, dringenden Worten, die ihr das Herz wunderbar berührten, das Versprechen ab, ihm noch einmal in dem Mantel Modell zu stehen.
Eine Viertelstunde später lag der Verwalter im Bette und fuhr fort zu schlafen; Pollux aber, der sich hinter den Schranken auf einem Polster ausgestreckt hatte, mußte noch lange an das blasse Mädchen mit der erstarrten Seele denken.
Endlich übermannte auch ihn der Schlummer, ein freundlicher Traum zeigte ihm die hübsche kleine Arsinoe, die ohne ihn beim Adonisfeste von dem scheuen Roß des Numidiers unfehlbar zu Boden gerissen worden wäre, wie sie ihrer Schwester Selene einen Mandelkuchen fortnahm und ihn ihm überbrachte. Die blasse Beraubte ließ sich dies ruhig gefallen und lächelte dabei still und kühl vor sich hin.
Sechstes Kapitel
Alexandria war in großer Erregung. Der in naher Aussicht stehende Besuch des Kaisers lenkte die fleißige Ameisenschar der Bürger von den Pfaden ab, auf denen sie Tag für Tag wimmelnd, eilend, einander fördernd und überrennend nach Brot und den Mitteln jagten, die arbeitsfreien Stunden mit Freude und Lust bis zum Rande zu füllen.
In vielen Fabriken, Werkstätten, Hörsälen und Magazinen stockte das sich schnell und rastlos schwingende Rad des Fleißes; denn alle Berufsklassen und Stände waren von dem gleichen Streben beseelt, den Besuch Hadrians durch Feste von unerhörtem Glanze zu feiern.
Was die Bürgerschaft an erfinderischem Sinn, an Reichtum und Schönheit besaß, war aufgerufen worden, sich an den Spielen und Aufzügen zu beteiligen; die eine ganze Reihe von Tagen ausfüllen sollten.
Die reichsten heidnischen Bürger hatten die Ausstattung der aufzuführenden Theaterstücke, der vor dem Kaiser zu liefernden Scheingefechte zur See, sowie der blutigen Spiele im Amphitheater übernommen, und die Zahl der Begüterten war so groß, daß sich für kleinere Leistungen weit mehr Zahlungslustige meldeten, als berücksichtigt werden konnten.
Dennoch nahm die Ausstattung von einzelnen Teilen des Aufzugs, an die auch Unbemittelte sich anschließen durften, die Ausführung der Bauten im Hippodrom, die Ausschmückung der Straßen und die Bewirtung der römischen Gäste so beträchtliche Summen in Anspruch, daß sie selbst dem Präfekten Titianus, der gewohnt war, die römischen Standesgenossen mit Millionen spielen zu sehen, außerordentlich hoch erschienen waren. Als kaiserlichem Statthalter lag es ihm ob, jeder seinem Gebieter vorzuführenden Augen- und Ohrenweide die Zustimmung zu erteilen.
Im ganzen ließ er den Bürgern der Großstadt freie Hand; gegen das Zuviel mußte er indes mehr als einmal kräftig einschreiten; denn wenn der Kaiser auch viel Vergnügen zu ertragen vermochte, so überstieg doch das, was die Alexandriner ursprünglich ihm anzusehen und anzuhören aufgeben wollten, auch die unermüdlichste Menschenkraft.
Am meisten Not verursachten nicht nur ihm, sondern auch den von der Bürgerschaft erwählten Festleitern die zwischen dem heidnischen und jüdischen Teile der Einwohnerschaft niemals ruhenden Zwistigkeiten und die Festzüge; denn keine Abteilung wollte die letzte, kein Mitglied einer solchen auch nur das dritte und vierte sein.
Aus einer Versammlung, in der all diese Vorbereitungen endlich durch sein straffes Eingreifen zu einem unwiderruflichen Abschluß gebracht worden waren, begab sich Titianus in das Cäsareum, um der Kaiserin den Besuch abzustatten, den sie täglich von ihm erwartete.
Er war froh, mit diesen Dingen wenigstens vorläufig zum Ziele gelangt zu sein; denn sechs Tage waren, seitdem man die Arbeiten im Palaste auf der Lochias begonnen hatte, verstrichen, und Hadrians Ankunft rückte näher und näher.
Er fand Sabina wie immer auf ihren Polstern; doch lehnte die Kaiserin sich heute in aufrechter Stellung an die Kissen.
Sie schien die Anstrengungen der Seefahrt überwunden zu haben, hatte zum Zeichen, daß sie sich wohler befinde, mehr Rot als vor drei Tagen auf die Wangen und Lippen gelegt, und weil sie den Besuch der Bildhauer Papias und Aristeas empfangen, das Haar so ordnen lassen, wie es die Bildsäule der siegreichen Venus trug, mit deren Attributen sie, allerdings mit Widerstreben, vor fünf Jahren in Marmor gebildet worden war.
Als man eine Nachbildung dieser Statue in Alexandria aufgestellt hatte, war von einer bösen Zunge das häufig unter den Bürgern der Stadt wiederholte Wort ausgesprochen worden: »Siegreich ist diese Aphrodite gewiß; denn wer sie sieht, macht schnell, daß er fortkommt. Man sollte sie ›die in die Flucht treibende Kypris‹ nennen!«
Erregt von den erbitterten Zänkereien und unerfreulichen Auftritten, denen er soeben beigewohnt hatte, trat Titianus vor die Kaiserin, die er diesmal allein mit ihrem Kämmerer und einigen dienenden Frauen in einem kleinen Gemache fand.
Auf die ehrfurchtsvolle Frage des Präfekten nach ihrem Befinden antwortete sie, die Achseln zuckend:
»Wie soll es gehen? Sagt' ich gut, so würde ich lügen, sagt' ich schlecht, so gäb' es bedauerliche Gesichter, die man nicht gern ansieht. Man muß eben das Leben ertragen, Und doch! Die vielen Türen in diesen Gemächern bringen mich noch um, wenn ich hier lange bleiben muß.«
Titianus schaute auf die beiden Pforten des Gemaches, in dem die Kaiserin sich befand, und begann dem Bedauern über diesen Übelstand, der von ihm unbemerkt geblieben sei, Ausdruck zu geben; Sabina unterbrach ihn aber und sagte:
»Ihr Männer nehmt niemals wahr, was uns Frauen weh tut. Unser Verus ist der einzige, der es fühlt und versteht – es ahnt, möchte ich sagen. Fünfunddreißig Türen befinden sich in den von mir bewohnten Gemächern; ich ließ sie zählen! Fünfunddreißig! Wären sie nicht alt und beständen sie nicht aus kostbarem Holze, würde ich denken, man hätte sie mir zum Possen anbringen lassen.«
»Einige können vielleicht durch Vorhänge ersetzt werden.«
»Laß nur! Auf etliche Plagen mehr oder weniger kommt es in meinem Leben nicht an. Sind die Alexandriner endlich mit den Vorbereitungen fertig?«
»So hoff´ ich,« entgegnete der Präfekt aufseufzend. »Sie setzen alles daran, ihr Bestes zu geben; doch in dem Bestreben, sich vorzudrängen, führt jeder Krieg gegen den anderen, und ich stehe noch unter dem Einflusse des widerwärtigen Gezänkes, dem ich stundenlang beiwohnen mußte, und das ich durch manches derbe ›Warte, ich will euch!‹ zu beschwichtigen hatte.«
»So?« fragte die Kaiserin und verzog, als hätte sie etwas Angenehmes vernommen, lächelnd die Lippen. »Erzähle mir etwas von dieser Versammlung. Ich langweile mich zum Sterben; denn Verus, Balbilla und die anderen haben mich um Erlaubnis gebeten, die Arbeiten auf der Lochias besichtigen zu dürfen. Daß man überall lieber ist als bei mir, bin ich ja gewohnt. Darf mich das wundern, wenn meine Gegenwart nicht einmal genügt, einen Freund meines Gatten eine Disharmonie, die Erinnerung an kleine Widerwärtigkeiten vergessen zu lassen? Meine Flüchtlinge bleiben lange aus; es muß viel Schönes auf der Lochias zu sehen geben.«
Der Präfekt unterdrückte sein Mißbehagen, gab der Besorgnis, daß der Baumeister und seine Gehilfen gestört werden könnten, keinerlei Ausdruck und begann im Ton des Boten in der Tragödie:
»Der erste Streit entspann sich wegen der Anordnung der Aufzüge.«
»Tritt etwas weiter zurück,« bat Sabina und drückte die mit Ringen bedeckte Rechte, als ob sie einen Schmerz empfinde, auf das Ohr.
Die Wangen des Präfekten röteten sich leise; aber er tat der Gattin des Cäsars den Willen und fuhr, indem er die Stimme tiefer dämpfte, in seinem Berichte fort:
»Wegen der Aufzüge wurde also die Ruhe zuerst unterbrochen.«
»Das hab' ich schon einmal gehört,« entgegnete die Matrone und gähnte. »Ich liebe die Aufzüge.«
»Aber,« sagte der Präfekt, ein Mann im Anfang der sechziger Jahre, mit wachsender Erregung, »sie sind hier wie zu Rom und überall, wo sie nicht der strenge Befehl eines einzelnen ordnet, Kinder des Streites und gebären Streit, auch wenn sie zur Feier eines Friedensfestes veranstaltet werden.«
»So scheint es dich zu verdrießen, daß man Hadrian durch sie zu ehren begehrt.«
»Du scherzest. Eben weil mir alles daran gelegen ist, sie möglichst glänzend ausfallen zu lassen, bekümmerte ich mich in eigener Person auch um das Einzelne und habe es auch zu meiner Freude verstanden, selbst die Widerwilligen gefügig zu machen. Es wäre wohl kaum meines Amtes . . .«
»Ich dachte, du dientest nicht bloß dem Staate, sondern wärest auch der Freund meines Gatten.«
»Ich bin stolz, mich so nennen zu dürfen.«
»Ja, Hadrian hat viele, sehr viele Freunde, seitdem er den Purpur trägt. Hast du jetzt deine üble Laune vergessen? Du mußt sehr empfindlich geworden sein, Titianus; die arme Julia hat einen reizbaren Gatten.«
»Sie ist weniger beklagenswert, als du denkst,« entgegnete Titianus mit Würde, »denn mein Amt nimmt mich so ganz in Anspruch, daß sie nur selten in der Lage ist, wahrzunehmen, was mich bewegt. Wenn ich meine Erregung vor dir zu verbergen vergaß, so bitte ich, dies meinem Eifer, Hadrian einen würdigen Empfang zu sichern, vergeben zu wollen.«
»Als ob ich dir zürnte! Aber um auf deine Gattin zurückzukommen. Sie ist also, wie ich höre, meine Schicksalsgenossin. Wir Armen, die wir von unseren Männern nichts zu erwarten haben als das abgestandene Gericht, das die Geschäfte, die alles andere verschlingen, uns übrig lassen! Aber deine Erzählung, deine Erzählung!«
»Die schwersten Stunden bereitete mir das üble Verhältnis der Juden zu den anderen Bürgern.«
»Ich hasse diese verruchten Sekten: Juden, Christen, oder wie sie sonst heißen mögen! Weigern sie sich, das Ihre für den Empfang des Kaisers zu steuern?«
»Im Gegenteil. Der Alabarch, ihr reiches Oberhaupt, hatte sich erboten, die gesamten Kosten für die Naumachie zu bestreiten, und sein Glaubensgenosse Artemion . . .«
»Nun? – man nehme ihr Geld, man nehm' es!«
»Die hellenischen Bürger fühlen sich reich genug, alle Ausgaben, die vielen Millionen Sesterze betragen werden, zu bestreiten, und wünschen die Juden, wo es nur angeht, von ihren Aufzügen und Spielen auszuschließen.«
»Sie haben recht.«
»Erlaube mir, dich zu fragen, ob es gerecht sein würde, die Hälfte der Alexandriner zu verhindern, ihrem Kaiser Ehre zu erweisen?«
»Dieser Ehre wird Hadrian mit Vergnügen entsagen. Der ›Afrikanische‹, der ›Germanische‹, der ›Dazische‹ genannt zu werden, gereichte unseren Siegern zum Ruhm, Titus aber schlug es aus, nachdem er Jerusalem zerstört hatte, sich den ›Jüdischen‹ nennen zu lassen.«
»Er tat es, weil er die Erinnerung an die Blutströme scheute, die vergossen werden mußten, um den furchtbar zähen Widerstand dieses Volkes zu brechen. Dem Besiegten hatte Glied auf Glied, Finger auf Finger geknickt werden müssen, bevor er sich entschließen konnte, sich zu ergeben.«
»Du sprichst wieder halb wie ein Dichter. Oder haben dich diese Leute zu ihrem Sachwalter erwählt?«
»Ich kenne sie und bin bestrebt, ihnen wie allen Bürgern dieses Landes, das ich im Namen des Staates und Kaisers verwalte, Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Sie zahlen Steuern so viel wie die anderen Alexandriner, ja mehr; denn es gibt unter ihnen sehr reiche Männer. Sie tun sich rühmlich hervor im Handel, in Gewerben, Wissenschaft und Kunst, und darum messe ich sie mit gleichem Maß wie die übrigen Bewohner dieser Stadt. Ihr Aberglauben ficht mich so wenig an wie der der Ägypter.«
»Aber es überschreitet das Maß. Sie weigerten sich, zu Aelia capitolina, das Hadrian mit vielen Bauten geschmückt hat, den Bildsäulen des Jupiter und der Hera zu opfern. Das heißt, sie verschmähen es, mir und meinem Gatten zu huldigen.«
»Es ist ihnen verboten, einem andern als ihrem eigenen Gotte zu dienen. Aelia ward auf dem Grund und Boden des zerstörten Jerusalems erbaut, und die Statuen, von denen du redest, stehen an ihren heiligsten Stätten.«
»Was geht das uns an?«
»Du weißt, auch Kajus konnte sie nicht dahin bringen, seine Bildsäule im Allerheiligsten ihres Tempels aufzustellen. Selbst der Statthalter Petronius mußte zugestehen, sie zwingen, hieße sie aufreiben.«
»So mag ihnen geschehen, was sie verdienen, so vertilge man sie!« rief Sabina.
»Vertilgen?« fragte der Präfekt. »In Alexandria allein beinah die Hälfte der Bürger, das heißt mehrere Hunderttausend von gehorsamen Untertanen – vertilgen?«
»So viele?« fuhr die Kaiserin erschrocken auf. »Das ist ja entsetzlich! Gewaltiger Zeus, wenn diese Masse gegen uns aufsteht! Niemand redete mir von diesen Gefahren! – In der Kyrenaika und zu Salamis auf Kyprus haben sie ihre Mitbürger zu Zehntausenden gemordet.«
»Man hatte sie aufs äußerste gereizt, und sie waren ihren Bedrängern an Macht überlegen.«
»Und in ihrem eigenen Lande soll sich Aufstand an Aufstand schließen.«
»Wegen der Opfer, von denen wir sprachen.«
»Tinnius Rufus ist jetzt Legat in Palästina. Er hat eine widerwärtige, schrille Stimme – aber er sieht aus, als ließe er nicht mit sich spaßen, und wird die gefährliche Brut zu bändigen wissen.«
»Vielleicht,« entgegnete Titianus; »doch ich fürchte, daß er mit bloßer Härte sein Ziel nicht erreicht und, erreicht er es dennoch, eine Provinz entvölkert.«
»Es gibt nur zu viele Menschen im Reiche.«
»Aber niemals genug nützliche Bürger.«
»Aufrührerische Götterverächter und nützliche Bürger!«
»Hier in Alexandria, wo sich viele von ihnen völlig den Sitten und der Denkweise der Hellenen gefügt und alle ihre Sprache angenommen haben, sind sie es gewiß und zweifellos dem Kaiser aufs treueste ergeben.«
»Sie nehmen teil an den Festen?«
»Soweit es die hellenischen Bürger zulassen, ja.«
»Und die Ausstattung der Naumachie?«
»Wird nicht auf sie übertragen; dem Artemion wurde jedoch gestattet, die wilden Tiere für die Spiele im Amphitheater zu stellen.«
»Und er erwies sich nicht geizig?«
»So wenig, daß du staunen wirst. Der Mann muß es wie Midas verstehen, Steine in Gold zu verwandeln.«
»Gibt es viel seinesgleichen unter euren Juden?«
»Eine hübsche Anzahl.«
»So wünscht' ich, daß sie einen Aufstand versuchten; denn wenn dieser auch die reichen Leute verschlingt, so bleibt uns doch ihr Gold.«
»Einstweilen suche ich sie als gute Steuerzahler am Leben zu erhalten.«
»Teilt Hadrian diesen Wunsch?«
»Ohne Zweifel.«
»Dein Nachfolger bringt ihn vielleicht auf andere Gedanken.«
»Er handelt stets nach seinem eigenen Ermessen, und noch bin ich im Amte,« versetzte Titianus stolz.
»Und der Judengott möge dich lange darin erhalten,« entgegnete Sabina höhnisch.
Siebentes Kapitel
Bevor Titianus die Lippen zu einer Antwort öffnen konnte, wurde die Haupttür des Gemaches vorsichtig, aber weit aufgetan, und der Prätor Lucius Aurelius Verus, seine Gattin Domitia Lucilla, die junge Balbilla und als letzter der Geschichtsschreiber Annäus Florus betraten das Gemach.
Alle vier waren heiter erregt und wollten gleich nach den ersten Begrüßungen der Kaiserin über das, was sie auf der Lochias gesehen hatten, Bericht erstatten; Sabina aber wehrte ihnen mit der Hand und hauchte:
»Nicht, nicht, noch nicht; ich fühle mich erschöpft. Das lange Warten, und dann – mein Riechfläschchen, Verus! Leukippe, einen Becher Wasser mit Fruchtsaft; aber nicht so süß wie gewöhnlich!«
Die griechische Sklavin beeilte sich, diesen Auftrag zu erfüllen, und während die Kaiserin das aus Onyx geschnittene zierliche Fläschchen zur Nase führte, sagte sie:
»Nicht wahr, Titianus, es ist eine kleine Ewigkeit her, seitdem wir uns von Staatsgeschäften unterhalten? Ihr anderen wißt ja, daß ich offen bin und nicht schweigen kann, wenn mir verkehrte Ansichten begegnen. Während ihr fort waret, habe ich viel hören und sprechen müssen. Das hätte auch einem Stärkeren die Kräfte gebrochen. Mich wundert, daß ihr mich nicht elender findet, denn was gibt es wohl Aufreibenderes für eine Frau, als gegen einen Mann, der etwas ganz anderes verteidigt, für männliche Entschiedenheit eintreten zu müssen? Reich mir das Wasser, Leukippe.«
Während die Kaiserin, indem sie ohne Unterlaß die schmalen Lippen kostend bewegte, den Fruchtsaft in kleinen Zügen austrank, näherte sich Verus dem Präfekten und fragte ihn flüsternd: »Du warst lange mit Sabina allein, mein Vetter?«
»Ja,« entgegnete Titianus, und damit biß er die Zähne so fest zusammen und ballte die Faust so kräftig, daß der Prätor seine Meinung nicht mißverstehen konnte und ihm zuraunte:
»Sie ist zu beklagen, und namentlich jetzt hat sie Stunden . . .«
»Was für Stunden?« fragte Sabina, indem sie den Becher von den Lippen entfernte.
»Solche,« entgegnete Verus schnell, »in denen ich mich nicht um den Senat und die Staatsgeschäfte zu kümmern brauche. Wem anders dank' ich das wieder als Dir?«
Bei dieser Frage nahte er sich der Matrone und nahm ihr so liebevoll dienstbeflissen wie ein aufmerksamer Sohn seiner verehrten leidenden Mutter den geleerten Pokal aus der Hand, um ihn der Griechin zu reichen.
Die Kaiserin winkte dem Prätor mehrmals, als Zeichen ihres Dankes, wohlgefällig zu und sagte dann mit einem Anflug von Heiterkeit in der Stimme:
»Nun? Was gab es auf der Lochias zu sehen?«
»Wunderdinge,« entgegnete Balbilla schnell und schlug die kleinen Hände zusammen. »Ein Bienenschwarm, ein Ameisenhaufen ist in den alten Palast eingedrungen. Weiße und braune und schwarze Arme – mehr, als wir zählen konnten, fanden wir tätig, und von den Hunderten von Arbeitern, die sich da regten, war keiner dem andern im Wege, denn wie die vorsichtige Weisheit der Götter die Sterne in der ›gnädigen, gnädigen Nacht‹ Wege führt, auf denen sie einander niemals hindern und stoßen, so lenkte diese alle ein kleiner Mann.«
»Ich muß für den Baumeister Pontius eintreten,« unterbrach Verus das Mädchen. »Er ist immerhin ein Mann von mittlerer Größe.«
»Sagen wir also, um deinem Gerechtigkeitsgefühl zu genügen,« fuhr Balbilla fort, »sagen wir also, es lenkt sie alle ein Menschenkind von mittlerer Größe mit einer Papyrusrolle in der Rechten und einem Stift in der Linken. Gefällt dir meine Ausdrucksweise so besser?«
»Sie kann mir niemals mißfallen,« entgegnete der Prätor.
»Laß Balbilla weiter erzählen,« befahl die Kaiserin gütig.
»Wir haben das Chaos gesehen,« sagte das Mädchen, »doch ahnt man in dem Durcheinander die Bedingungen für eine künftige geordnete Schöpfung; ja man sieht sie mit Augen.«
»Und man stößt sich an mancherlei mit den Füßen,« lachte der Prätor. »Wäre es dunkel gewesen und wären die Arbeiter Würmer, wir hätten die Hälfte tot getreten, so wimmelten sie überall auf dem Estrich umher.«
»Was machten sie da?« fragte Sabina.
»Alles,« entgegnete Balbilla schnell. »Diese glätteten schadhaft gewordene Stellen, jene legten neue Mosaikstücke in die leeren Betten, aus denen man die alten geraubt hatte, und gewandte Künstler malten auf glatte Gipsflächen bunte Figuren. Jede Säule, jede Statue war von einem Gerüst umgeben, das bis an die Decke reichte, und alles wurde von Menschen erstiegen, die einander drängten wie die Matrosen, die bei einer Naumachie den Bord des feindlichen Schiffes ersteigen.«
Die Wangen des hübschen Mädchens hatten sich bei der lebhaften Erinnerung an das Gesehene gerötet, und während sie sprach und dabei die Hände voll Ausdruck bewegte, zitterte das hohe Lockengebäu, das sein Köpfchen krönte.
»Deine Schilderung fängt an poetisch zu werden,« unterbrach die Kaiserin ihre junge Gefährtin. »Vielleicht begeistert die Muse dich noch zu Versen.«
»Alle neun Pieriden,« sagte der Prätor, »sind auf der Lochias vertreten. Acht haben wir gesehen; die neunte aber, die den Beobachtern der Sterne hilfreiche Beschützerin der schönen Künste, die hohe Urania, hatte noch an Stelle des Kopfes – erlaube mir, dich raten zu lassen, was? göttliche Sabina.«
»Nun?«
»Einen Strohwisch.«
»O weh,« seufzte die Kaiserin. »Was meinst du, Florus. – Sollte es unter deinen gelehrten und Verse schmiedenden Genossen keinen geben, der dieser Urania gleichsieht?«
»Jedenfalls,« entgegnete der Angeredete, »sind wir vorsichtiger als die Göttin; denn der Inhalt unserer Köpfe wird von der harten Kapsel des Schädels und mehr oder weniger reichlichen Haaren verborgen, Urania trägt ihr Stroh offen zur Schau.«
»Das klingt ja beinah,« lachte Balbilla, auf ihre Lockenfülle weisend, »als täte es mir besonders not, das, was unter diesen Haaren sitzt, zu verbergen?«
»Auch der lesbische Schwan ward ›die schöngelockte‹ genannt,« entgegnete Florus.
»Und du bist unsere Sappho,« sagte Lucilla, die Gattin des Prätors, und zog das Mädchen liebreich an sich.
»Allen Ernsts! Willst du nicht in Verse bringen, was du heute sahst?« fragte die Kaiserin.
Da schaute Balbilla zu Boden und versetzte frisch:
»Es könnte mich reizen. – Alles Seltsame, das mir begegnet, drängt mich zu Versen.«
»Folge indes dem Rat des Grammatikers Apollonius,« mahnte Florus. »Du bist die Sappho unserer Zeit und solltest darum nicht in attischem Griechisch, sondern in der alten äolischen Sprechweise dichten.«
Verus lachte. – Die Kaiserin, deren Zwerchfell sich niemals kräftig bewegte, kicherte kurz und schneidend auf, Balbilla aber fragte lebhaft:
»Glaubt ihr, es würde mir nicht gelingen, das zustande zu bringen? Morgen fange ich an, mich in der alten äolischen Mundart zu üben.«
»Laß das,« bat Domitia Lucilla. »Deine einfachsten Lieder sind immer die schönsten gewesen.«
»Man soll nicht über mich lachen,« entgegnete Balbilla eigenwillig. »In wenigen Wochen verstehe ich den äolischen Dialekt zu gebrauchen; denn ich kann alles, was ich will, alles – alles –«
»Was für ein Trotzkopf steckt unter diesen Locken!« sagte die Kaiserin und drohte gnädig mit dem Finger.
»Und welches Fassungsvermögen!« rief Florus. »Ihr Lehrer in der Grammatik und Metrik sagte mir, sein bester Schüler wäre ein Weib von edlem Geschlechte, und dazu eine Dichterin, wäre Balbilla gewesen.«
Das Mädchen errötete bei diesem Lobe und fragte freudig bewegt:
»Schmeichelst du, oder hat Hephästion das wirklich gesagt?«
»O weh!« rief der Prätor. »Hephästion war auch mein Lehrer, und ich gehöre also zu den von Balbilla geschlagenen männlichen Schülern. Aber das ist mir nichts Neues; denn der Alexandriner vertraute mir das Nämliche wie dem Florus, und ich bin nicht eitel genug auf meine Verse, um nicht zu fühlen, daß sein Urteil gerecht ist.«
»Ihr folgt verschiedenen Mustern,« sagte Florus, »du dem Ovid, sie der Sappho. Du dichtest lateinisch, sie griechisch. Führst du noch immer die Liebesgesänge deines Ovid bei dir?«
»Stets,« entgegnete Verus. »Wie Alexander seinen Homer.«
»Und aus Ehrfurcht vor dem Meister bemüht sich dein Gatte, unter dem Beistand der Venus nach diesen Gesängen zu leben,« fügte die Kaiserin hinzu, indem sie sich an Domitia Lucilla wandte.
Die schlanke und schöne Römerin antwortete nur mit einem leisen Achselzucken auf diese wenig freundlich gemeinten Worte; Verus aber sagte, indem er Sabinas zu Boden gesunkene seidene Decke aufhob und sie ihr sorgfältig über die Knie breitete:
»Mein schönstes Glück ist das, daß die siegreiche Venus mir wohl will. Aber wir sind mit unserem Berichte noch nicht zu Ende: unser lesbischer Schwan ist auf der Lochias einem anderen Vogel begegnet, einem plastischen Künstler.«
»Seit wann werden die Bildhauer zu den Vögeln gerechnet?« fragte Sabina. »Man könnte sie höchstens mit den Spechten vergleichen.«
»Wenn sie in Holz arbeiten,« lachte Verus; »unser Künstler ist aber ein Gehilfe des Papias und behandelt edle Stoffe in großem Stil. Diesmal freilich fügte er seine Statue aus ganz wunderlichem Material zusammen.«
»Verus nennt unsern neuen Bekannten wohl einen Vogel,« unterbrach Balbilla den Prätor, »weil er, als wir uns den Schranken nahten, hinter denen er arbeitete, ein Lied so rein und munter und laut mit den Lippen pfiff, daß es den Lärm der Arbeiter übertönte und hell durch die weite, leere Halle klang. Eine Nachtigall flötet nicht schöner. Wir blieben stehen und lauschten, bis der heitere Gesell, der nichts von unserer Anwesenheit ahnte, still schwieg. Erst als er die Stimme des Baumeisters vernahm, rief er ihm über seine Schranken hinweg zu: ›Nun muß es der Urania an den Kopf gehen. Ich sah ihn auch schon vor den Augen und mit drei Dutzend Griffen brächt' ich ihn fertig; Papias aber sagte, er hätte einen auf Lager. Ich bin neugierig auf das honigsüße Dutzendgesicht, das er meinem Torso, der mir wenigstens bis übermorgen gefällt, auf den Hals stülpt. Schaffe mir für die Büste der Sappho, die ich herstellen soll, ein gutes Modell! Es spuken mir tausend Bremsen im Kopfe. Ich bin so erregt, so erregt! Was ich jetzt auch vornehme, das wird was!‹«
Balbilla hatte sich bemüht, bei diesem Ausruf die tiefe Stimme eines Mannes nachzuahmen, und als sie die Kaiserin lächeln sah, fuhr sie lebhaft fort:
»Das kam alles so frisch aus einem bis zum Springen von heiterer, übermütiger Schaffenslust erfüllten Herzen, daß mir's ganz wohl ward, und wir alle an die Schranken traten und den Bildhauer ersuchten, uns seine Arbeit sehen zu lassen.«
»Und ihr fandet –?« fragte Sabina.
»Er versagte uns entschieden, sein Gehege zu durchbrechen,« entgegnete der Prätor; »aber Balbilla schmeichelte ihm die Erlaubnis ab, und der lange Gesell hat wirklich etwas gelernt. Der Faltenwurf des Gewandes, das die Gestalt der Muse bedeckt, ist der Möglichkeit durchaus entsprechend, reich, kräftig behandelt und dabei von erstaunlicher Feinheit. Urania schlingt den Mantel fester um die schlanken Glieder, als schütze sie sich, nach den Sternen schauend, vor der Kühlung der Nacht. Wenn er mit seiner Muse fertig ist, soll er einige verstümmelte Frauenbüsten wieder herstellen. Einer Berenice setzt er noch heute den fertigen Kopf auf; für die Sappho aber hab' ich ihm Balbilla zum Modell vorgeschlagen.«
»Ein guter Gedanke,« versetzte die Kaiserin. »Wenn die Büste gelingt, so nehm' ich sie mit mir nach Rom.«
»Ich sitze ihm gern,« rief das Mädchen; »der frische Bursche gefiel mir.«
»Und Balbilla ihm,« fügte die Gattin des Prätors hinzu. »Er staunte sie an wie ein Wunder, und sie versprach ihm auch, wenn du es gestatten würdest, ihm morgen auf drei Stunden ihr Antlitz zur Verfügung zu stellen.«
»Mit dem Kopfe beginnt er,« fiel Verus ein. »Was für ein glücklicher Mensch ist doch solch ein Künstler! Von ihm läßt sie sich ohne Bedenken das Haupt drehen und den Peplos in Falten legen; als es aber vorhin Sümpfe von Gips und Lachen von frischer Farbe zu umgehen gab, hat sie kaum den Saum ihres Kleides geschützt und mir, der ihr so gern beigestanden hätte, nicht einmal gestattet, sie über die schlimmsten Stellen zu heben.«
Da errötete Balbilla und sagte gereizt:
»Ernstlich, Verus, ich leide es nicht, daß Du so von mir sprichst, und damit du es ein für allemal weißt: was nicht sauber ist, lieb' ich so wenig, daß es mir auch ohne Beistand leicht wird, es zu vermeiden.«
»Du bist zu streng,« unterbrach die Kaiserin das Mädchen mit einem häßlichen Lächeln. »Nicht wahr, Domitia Lucilla, sie sollte deinem Gatten das Recht gewähren, ihr dienlich zu sein?«
»Wenn die Kaiserin selbst es für schicklich und recht hält,« entgegnete die Angeredete schnell, indem sie die Schultern hob, mit einer bedeutungsvollen Handbewegung.
Sabina verstand ihre Meinung, und indem sie ein neues Gähnen erzwang, sagte sie leichthin:
»Man muß in unserer Zeit nachsichtig sein gegen einen Gemahl, der die Liebesgesänge Ovids zu seinem treuesten Begleiter erwählte. – Was gibt es da wieder, Titianus?«
Schon während Balbilla von ihrer Begegnung mit dem Bildhauer Pollux erzählt hatte, war dem Präfekten durch einen Kämmerer ein wichtiger, keinen Aufschub duldender Brief überbracht worden.
Der Staatsmann hatte sich mit ihm in den Hintergrund des Gemaches zurückgezogen, das feste Siegel eröffnet und ihn eben zu Ende gelesen, als die Kaiserin ihn befragte. Sabinas kleinen Augen entging nichts, was in ihrer Umgebung geschah, und so bemerkte sie auch, daß der Statthalter, während er das an ihn gerichtete Schreiben zusammenlegte, sich unruhig bewegt hatte.
Es mußte wichtige Dinge enthalten.
»Ein dringender Brief,« entgegnete Titianus, »ruft mich in die Präfektur zurück. Ich sage dir Lebewohl und hoffe, dir bald etwas Angenehmes mitteilen zu können.«
»Was enthält dieser Brief?«
»Wichtige Nachrichten aus der Provinz,« entgegnete Titianus.
»Darf man erfahren?«
»Ich muß diese Frage leider verneinen. Der Kaiser befahl ausdrücklich, diese Sache völlig geheim zu halten. Ihre Erledigung fordert die größte Eile, und so seh' ich mich leider gezwungen, dich sogleich zu verlassen.«
Sabina erwiderte mit eisiger Kühlheit den Abschiedsgruß des Präfekten und verlangte sogleich in die inneren Gemächer geführt zu werden, um sich für die Abendmahlzeit ankleiden zu lassen.
Balbilla bekleidete sie, Florus aber begab sich in die »olympische Tafel«, die vortreffliche Garküche des Lykortas, von der ihm Feinschmecker zu Rom erstaunliche Dinge erzählt hatten.
Als Verus mit der Gattin allein war, näherte er sich ihr freundlich und fragte:
»Darf ich dich in deine Wohnung zurückführen?«
Domitia Lucilla hatte sich in ein Polster geworfen, das Antlitz mit beiden Händen bedeckt und blieb ihm die Antwort schuldig.
»Darf ich?« wiederholte der Prätor.
Als seine Gemahlin in ihrem Schweigen verharrte, trat er ihr näher, legte die Rechte auf die zierlichen Finger, mit denen sie das Antlitz bedeckte, und sagte:
»Ich glaube, du zürnst mir?«
Da wies sie seine Hand mit einer leichten Bewegung zurück und rief:
»Laß mich!«
»Ja, leider muß ich dich verlassen,« seufzte Verus. »Geschäfte rufen mich in die Stadt, und ich werde . . .«
»Und du wirst dir von den jungen Alexandrinern, mit denen du gestern die Nacht durchschwärmtest, neue Schönheiten zeigen lassen; das weiß ich.«
»Es gibt hier in der Tat Frauen von unglaublicher Anmut,« gab Verus völlig unbefangen zurück, »weiße, braune, kupferfarbene, schwarze, und alle sind in ihrer Art reizend. Man wird nicht müde, sie zu bewundern.«
»Und deine Gattin?« fragte Lucilla und stellte sich ihm ernst gegenüber.
»Meine Gattin? Ja, Schönste: Gattin ist ein ernster Ehrentitel und hat nichts mit den Freuden des Lebens zu tun! Wie möchte ich deinen Namen in einer Stunde mit demjenigen der armen Kinder nennen, die mir müßige Stunden verkürzen?«
Domitia Lucilla war an ähnliche Worte gewöhnt, und doch taten sie ihr auch diesmal weh. Aber sie verbarg ihren Schmerz, und die Arme kreuzend, sagte sie würdevoll und entschieden:
»So fahre mit deinem Ovid und deinen Liebesgöttern weiter durchs Leben; aber versuche es nicht, die Unschuld unter die Räder deines Wagens zu werfen.«
»Du meinst Balbilla?« fragte der Prätor und lachte laut auf. »Sie weiß sich selber zu wehren und hat zu viel Geist, um sich von den Eroten fangen zu lassen. Das Söhnlein der Venus hat nichts mit so guten Freunden, wie wir sind, zu schaffen.«
»Ich darf dir glauben?«
»Mein Wort darauf, daß ich nichts von ihr begehre als gute Worte,« rief er und hielt der Gattin freimütig die Hand hin.
Lucilla berührte sie nur leicht mit den Fingern und sagte dann:
»Sende mich nach Rom zurück. Ich sehne mich unsagbar nach den Kindern, besonders nach unserem Knaben.«
»Es geht nicht,« entgegnete Verus ernst. »Jetzt nicht, jedoch hoffentlich in einigen Wochen.«
»Warum nicht eher?«
»Frage mich nicht.«
»Eine Mutter darf zu wissen verlangen, warum man sie von ihrem in der Wiege liegenden Sohne trennt.«
»Diese Wiege steht jetzt im Hause deiner Mutter, und sie sorgt treu für unsere Kleinen. Bewahre die Geduld noch ein Weilchen; denn das, wonach ich für dich und für mich und nicht zuletzt für unseren Sohn strebe, ist so groß, so ungeheuer groß und schwer, daß es Jahre der Sehnsucht aufwiegt.«
Diese Versicherung hatte Verus leise, doch mit einer ihm nur in entscheidenden Augenblicken eigenen Würde gesprochen; seine Gattin aber faßte, bevor er noch die Rede geschlossen, seine Rechte mit beiden Händen und fragte leise und ängstlich:
»Du strebst nach dem Purpur?«
Er nickte bejahend mit dem Kopfe.
»Darum also,« murmelte sie.
»Was?«
»Sabina und du.«
»Nicht nur darum. Sie ist hart und scharf gegen andere; mir aber hat sie schon als Knabe nur Gutes erwiesen.«
»Sie haßt mich.«
»Geduld, Lucilla, Geduld! Es kommt ein Tag, an dem des Nigrinus Tochter die Gattin des Cäsar sein wird, und die frühere Kaiserin . . . Aber das sprech' ich nicht aus. Ich bin, du weißt es ja, Sabina verbunden und wünsche dem Kaiser aufrichtig ein langes Leben.«
»Und die Adoption?«
»Leise! Er denkt an sie, und seine Gemahlin wünscht sie.«
»Kann sie bald erfolgen?«
»Wer vermag in diesem Augenblicke zu wissen, was der Kaiser in der nächsten Stunde beschließt? Vielleicht aber erfolgt die Entscheidung am dreißigsten Dezember.«
»An deinem Geburtstag?«
»Er fragte nach ihm, und sicher stellt er mein Horoskop in der Nacht, in der mich die Mutter gebar.«
»So werden die Sterne unser Los entscheiden?«
»Sie nicht allein. Hadrian muß auch gewillt sein, sie zu meinen Gunsten zu deuten.«
»Wie kann ich dir helfen?«
»Zeige dich im Verkehr mit dem Kaiser ganz, wie du bist.«
»Ich danke dir für diesen Rat und bitte dich auch nicht mehr, mich reisen zu lassen. Wär' es noch etwas anderes als ein Ehrenposten, das Weib des Verus zu sein, so fragte ich nicht nach der neuen Würde der Gattin des Cäsar.«
»Ich gehe heut nicht in die Stadt und bleibe bei dir. Bist du zufrieden?«
»Ja, ja!« rief sie und erhob den Arm, um ihn um den Hals des schönen Gatten zu schlingen – er aber wies sie zurück und raunte ihr zu:
»Laß das – Schäferspiel taugt nichts bei der Jagd nach dem Purpur!«
Achtes Kapitel
Titianus befahl dem Wagenlenker, sogleich nach der Lochias zu fahren. Der Weg führte an seiner auf dem Bruchium gelegenen Wohnung im Präfekturpalaste vorbei, und er ließ vor ihr halten; denn der Brief, den die Brustfalten seiner Toga verbargen, enthielt eine Nachricht, die ihm leicht in wenigen Stunden die Notwendigkeit auferlegen konnte, erst am folgenden Morgen nach Hause zu kommen.
Ohne sich von den Beamten, Offizieren und Liktoren aufhalten zu lassen, die auf seine Heimkehr warteten, um ihm Mitteilungen zu machen und Befehle einzuholen, durchschritt er die Vorräume und die weite Männerhalle, um seine Gattin in dem an den Garten der Präfektur grenzenden Frauensaale aufzusuchen.
Schon vor der Tür dieses Raumes konnte er die Gemahlin begrüßen; denn sie hatte die Schritte des Nahenden erkannt und war ihm entgegengegangen.
»So täuschte ich mich doch nicht,« rief die Matrone mit aufrichtiger Freude. »Wie schön, daß du dich diesmal so früh losmachen konntest! Ich hatte dich nicht vor dem Ende der Abendmahlzeit erwartet.«
»Ich komme auch nur, um zu gehen,« entgegnete Titianus, indem er das Gemach der Gattin betrat. »Laß mir ein Stück Brot und einen Becher mit gemischtem Wein reichen. Aber nein, da steht ja schon, was ich brauche, als hätt' ich's bestellt. Du hast recht, ich war diesmal weniger lange als sonst bei Sabina; aber sie tat das Ihre, in kurzer Zeit so viel saure Worte zusammenzudrängen, als hätten wir einen halben Tag miteinander verhandelt. In fünf Minuten verlass ich dich wieder, um wann? das wissen die Götter, zurückzukehren. Es wird mir schwer, es über die Lippen zu bringen, doch all unsere Mühe, unsere Sorge und Eile und die umsichtige Arbeit des armen Pontius ist vergebens gewesen.«
Bei dieser Klage warf der Präfekt sich in ein Polster; seine Gattin aber reichte ihm die Erfrischung, die er begehrt hatte, und sagte, indem sie ihm mit der Hand über den ergrauten Scheitel strich:
»Armer Mann! Hat sich Hadrian dennoch entschlossen, im Cäsareum zu wohnen?«
»Nein! Geh hinaus, Syra! Du wirst gleich sehen! Bitte, lies mir den Brief des Kaisers noch einmal vor. Da ist er.«
Julia, die Gattin des Präfekten, faltete den feinen Papyrus auseinander und begann:
»Hadrian seinem Freunde Titianus, dem Statthalter von Ägypten. Tiefstes Geheimnis! – Hadrian grüßt Titianus, wie er es seit Jahren so oft am Anfang widerwärtiger Geschäftsbriefe und nur mit halbem Herzen getan hat. Morgen hofft er indessen seinen lieben Jugendfreund und weisen Stellvertreter nicht nur mit ganzer Seele, sondern auch mit Hand und Mund begrüßen zu können. Und nun, um deutlicher zu sein, das Folgende: Ich komme schon morgen den fünfzehnten Dezember gegen Abend ganz allein mit Antinous, mit dem Sklaven Mastor und dem Geheimschreiber Phlegon nach Alexandria. Wir landen im kleinen Hafen an der Lochias, und mein Schiff wird an einem großen silbernen Stern am Schnabel kenntlich sein. Sollte es Nacht werden bis zu meiner Ankunft, werden dir drei rote Laternen an der Spitze des Mastes mitteilen, welcher Freund sich dir naht. Die gelehrten und witzigen Männer, die du mir entgegensandtest, um mich aufzuhalten und um mehr Zeit für die Herstellung des alten Nestes zu gewinnen, in dem es mich bei den Vögeln Minervas zu hausen gelüstet, die ihr hoffentlich noch nicht alle vertriebet, hab' ich heimgesandt, damit es Sabina und ihrem Troß nicht an Unterhaltung fehle und um die berühmten Herren nicht unnötig in der Arbeit zu stören. Ich brauche sie nicht. Wenn du es vielleicht dennoch nicht warst, der sie sandte, so bitt' ich dich um Vergebung. Freilich würde ein Irrtum in diesem Falle immerhin etwas Demütigendes in sich schließen; denn es ist leichter Geschehenes zu erklären, als Kommendes vorauszusehen. Oder sollte es sich umgekehrt verhalten? Ich werde die klugen Männer für die unnütze Reise entschädigen, indem ich im Museum mit ihnen und ihren Genossen über diese Frage disputiere. Dem Grammatiker, dem die Gelehrsamkeit aus jeder Haarspitze hervorsieht, und der mehr stillsitzt, als ihm gut ist, wird die schnelle Bewegung, zu der er sich um meinetwillen entschloß, das Leben verlängern. – Wir kommen in schlichter Kleidung und werden auf der Lochias schlafen. Du weißt, daß ich mehr als einmal auf der harten Erde geruht habe, und wenn es sein muß, ebenso gern auf einer Matte wie auf Polstern schlummere. Mein Kopfkissen folgt mir. Es ist mein großer Molosser, den du ja kennst. Ein Zimmerchen, in dem ich ungestört meine Aufzeichnungen für das folgende Jahr vornehmen kann, wird sich ja finden. Ich ersuche dich, mein Geheimnis sorgsam zu hüten. Keiner und keine, ich bitte dich so dringend, wie ich als Freund und Kaiser nur immer zu bitten vermag, darf von meiner Ankunft das geringste erfahren. Auch nicht die kleinste Vorbereitung soll verraten, wen du empfängst. Meinem lieben Titianus kann ich nichts befehlen, aber ich lege ihm noch einmal ans Herz, meinen Wunsch zu erfüllen. – Wie freue ich mich, dich wiederzusehen, und welche Lust wird mir der Wirrwarr bereiten, den ich auf der Lochias zu finden hoffe. Bei den Künstlern, von denen es jetzt gewiß in dem alten Schlosse wimmelt, führst du mich als den Baumeister Claudius Venator aus Rom ein, der dem Pontius mit seinem Rate zur Seite stehen soll. – Dieser Pontius, der für Herodes Atticus so schöne Bauten ausführte, ist mir bei dem reichen Sophisten begegnet. – Er wird mich sicher wiedererkennen. Teile ihm also mit, was ich vorhabe. Er ist ein ernster, zuverlässiger Mann, kein Schwätzer oder windiger Tropf, der sich selbst vergißt. Ziehe ihn also mit ins Geheimnis, aber erst wenn mein Fahrzeug in Sicht ist. Mag es dir wohl ergehen.«
»Nun, was sagst du?« fragte Titianus, indem er der Gattin den Brief aus der Hand nahm. »Ist das nicht mehr als verdrießlich? Unser Werk war so köstlich im Gange.«
»Aber,« entgegnete Julia bedächtig und mit einem klugen Lächeln, »vielleicht wäret ihr doch nicht fertig geworden. Wie die Dinge jetzt liegen, braucht ihr es gar nicht zu sein, und Hadrian sieht jedenfalls den guten Willen. Ich freue mich über diesen Brief, denn er nimmt dir eine schwere Verantwortung von den ohnehin überlasteten Schultern.«
»Du siehst immer das Rechte,« rief der Präfekt. »Es ist gut, daß ich herkam; denn ich erwarte jetzt den Kaiser mit viel leichterem Herzen. Laß mich den Brief verschließen, und nun lebe wohl. Dieser Abschied gilt dir auf viele Stunden und meiner Ruhe auf eine lange Reihe von Tagen.«
Titianus reichte der Gattin die Hand.
Sie hielt sie fest und sagte:
»Bevor du gehst, muß ich dir gestehen, daß ich sehr stolz bin.«
»Das ist dein Recht.«
»Du hast mich mit keinem Wort zu schweigen gebeten.«
»Weil du deine Proben bestanden. Aber freilich, auch du bist ein Weib, und noch dazu ein sehr schönes.«
»Eine alte Großmutter mit ergrauendem Haar!«
»Und doch noch immer stattlicher und reicher an Anmut – als tausend viel bewunderte junge.«
»Du willst mich zwingen, in meinen alten Tagen den Stolz mit der Eitelkeit zu vertauschen.«
»Nein, nein! Ich sah dich nur, wie unser Gespräch das mit sich brachte, mit prüfenden Augen an und dachte an Sabinas Seufzer, die schöne Julia sähe nicht gut aus. Aber wo gibt es denn ein anderes Weib in deinem Alter mit solcher Haltung, mit so faltenlosen Zügen, mit einer so reinen Stirn, so tiefen und guten Augen, so wundervoll gemeißelten Armen . . .«
»Schweig doch,« rief Julia, »du machst mich erröten.«
»Soll mich's nicht freuen, daß dies einer Großmutter aus Rom, die mein Weib ist, so leicht wird? Du bist ganz anders als die anderen Frauen.«
»Weil du anders bist als die anderen Männer.«
»Schmeichlerin; seitdem die Kinder alle fort sind, ist es, als fingen wir unsere Ehe von vorn an.«
»Die Zankäpfel fehlen im Hause.«
»Für das Liebste gerät man allerdings am leichtesten in Eifer. Aber nun noch einmal, lebe wohl!«
Titianus küßte die Stirn seiner Gattin und eilte der Tür zu; Julia aber rief ihn zurück und sagte:
»Etwas kann man doch für den Kaiser tun. Ich sende dem Baumeister täglich eine Mahlzeit auf die Lochias. Heute soll sie dreimal so reichlich ausfallen als sonst.«
»Vortrefflich.«
»Auf ein glückliches Wiedersehen!«
»Wenn es die Götter und der Kaiser uns gönnen.«
________________________________________
Als der Präfekt an der bezeichneten Stelle anlangte, war kein Schiff mit einem silbernen Sterne zu sehen.
Die Sonne ging unter, und kein Fahrzeug mit drei roten Laternen wollte sich zeigen.
Der Hafenvorsteher, in dessen Haus Titianus getreten war, und dem er mitteilte, daß er einen großen Baumeister aus Rom, der Pontius mit seinem Rat bei den Arbeiten auf der Lochias beistehen sollte, erwarte, fand die Ehre, die der Statthalter dem fremden Künstler erwies, begreiflich; die ganze Stadt wußte ja schon, mit welch unerhörter Eile und mit dem Aufgebot wie großer Mittel der alte Ptolemäerpalast als Wohnung für den Kaiser hergestellt werde.
Während des Wartens dachte Titianus an den jungen Bildhauer Pollux, den er kennen gelernt hatte, und an seine Mutter in dem freundlichen Torwärterhäuschen.
Wohlgesinnt, wie er war, schickte er sogleich zu der alten Doris und ließ sie ersuchen, sie möge sich diesen Abend nicht zur Ruhe begeben; denn er, der Präfekt, käme noch spät auf die Lochias.
»Sage der Frau von deiner Seite, nicht von der meinen,« befahl Titianus dem Boten, »daß ich vielleicht bei ihr eintreten würde. Sie mag ihr Stübchen gut beleuchten und in Ordnung halten.«
Auf der Lochias ahnte niemand etwas von der Ehre, die dem alten Palast bevorstand.
Nachdem Verus mit seiner Gattin und Balbilla ihn verlassen und der Bildhauer Pollux wieder eine Stunde lang tätig gewesen war, trat er aus seinem Gehege heraus, reckte die Arme und rief dem auf einem Gerüst stehenden Baumeister Pontius zu:
»Ich muß mich ausruhen oder etwas Neues vornehmen. Das eine bewahrt mich so gut vor Müdigkeit wie das andere. Geht es dir auch so?«
»Genau so,« entgegnete der Gefragte und leitete weiter die Arbeit der Bausklaven, die ein neues korinthisches Säulenkapital an die Stelle eines alten zerbrochenen zu setzen hatten.
»Laß dich nicht stören,« rief Pollux wieder hinauf. »Ich will dich nur bitten, meinem Meister Papias, wenn er mit dem Antiquitätenhändler Gabinus herkommt, zu sagen, er fände mich auf dem Rundell, das du gestern mit mir ansahst. Ich setze der Berenice den neuen Kopf auf. Mein Lehrjunge müßte mit den Vorarbeiten längst fertig sein, doch der Schlingel kam mit zwei linken Händen zur Welt, und weil er das eine Auge verwirft, kommt ihm alles Gerade schief vor und nach den Gesetzen der Optik das Schiefe gerade. Er hat den Holzstift, der den neuen Kopf halten soll, jedenfalls schräg in den Hals hineingetrieben, und da kein Historiker mitteilt, daß Berenice jemals den Kopf schief trug wie der alte Farbenreiber da hinten, muß ich schon selbst nach dem Rechten sehen. In einer halben Stunde, denk' ich, wird die kluge Königin nicht mehr zu den kopflosen Frauen gehören.«
»Wo hast du das neue Haupt her?« fragte Pontius.
»Aus dem geheimen Archiv meiner Erinnerungsköpfe,« versetzte Pollux. »Hast du es gesehen?«
»Ja.«
»Gefällt es dir?«
»Sehr.«
»Dann ist es wert, daß es lebe,« sang der Bildhauer und verließ die Halle. Dabei winkte er dem Baumeister mit der Linken und steckte mit der Rechten eine Nelke, die er am Morgen von einem der Blumenstöcke im Hause seiner Mutter gebrochen, hinter das Ohr.
Auf dem Rundell hatte der Lehrling seine Sache besser gemacht, als sein Meister es erwartet; mit seinen eigenen Anordnungen war Pollux indes keineswegs zufrieden. Sein Werk mußte nun wie viele andere auf der gleichen Seite der Plattform stehende Büsten dem Altan des Palastverwalters den Rücken zukehren, und doch hatte er sich nur von dem ihm so lieben Porträtkopfe der Mutter Selenens getrennt, damit seine Spielgefährtin ihm zu jeder beliebigen Stunde ins Gesicht sehen könnte.
Zu seiner Beruhigung fand er, daß die Büsten nur durch ihre eigene Schwere auf den hohen Postamenten festgehalten wurden, und so beschloß er denn, die geschichtliche Ordnung der Frauenköpfe zu unterbrechen, eine Umstellung vorzunehmen und die berühmte Kleopatra dem Hause den Rücken kehren zu lassen, damit sein Lieblingskopf es anschauen könne.
Um dies Vorhaben sogleich zur Ausführung zu bringen, rief er einige Sklaven heran und ließ sich von ihnen bei dem Umtausche helfen.
Dabei erscholl mehr als ein mahnender Ruf, und das laute Reden und Befehlen an dieser seit Jahren vereinsamten Stelle lockte eine Neugierige herbei, die sich, schon kurz nachdem der Lehrling die Arbeit begonnen, auf dem Altan der Verwalterswohnung gezeigt hatte, aber rasch wieder zurückgetreten war, nachdem sie den garstigen, über und über mit Gips befleckten Burschen erblickt hatte.
Diesmal blieb sie stehen und folgte jeder Bewegung des die Sklaven leitenden Pollux, der ihr indessen bei allem, was er vornahm, den Rücken zukehrte.
Jetzt hatte der gegen die Abdrücke der Arbeiterhände mit einem Tuche verwahrte Porträtkopf den rechten Platz gefunden.
Aufatmend drehte der Künstler sich um und wandte dem Verwalterhause sein volles Antlitz zu, und sogleich rief eine helle, heitere Frauenstimme:
»Der lange Pollux! Wahrhaftig, es ist der lange Pollux! Wie mich das freut!«
Dabei klatschte das Mädchen auf dem Altane laut und froh in die Hände, und als der Bildhauer winkte und ihr zurief: »Die kleine Arsinoe bist du! – Ewige Götter, was ist aus dem kleinen Dinge geworden!« stellte sie sich auf die Zehen, um recht groß zu erscheinen, nickte ihm freundlich zu und lachte hinunter:
»Ich bin mit dem Wachsen noch nicht einmal fertig, aber du, du siehst ordentlich ehrwürdig aus mit dem Bart am Kinn und der Adlernase. Selene vertraute mir erst heute, daß du da drin mit den andern dein Wesen triebest.«
Des Künstlers Augen hingen wie gebannt an dem Mädchen.
Es gibt Dichternaturen, deren Einbildungskraft das ungewöhnliche, was sie erblicken oder erleben, schnell in eine Geschichte verwandeln, oder in eine rasch sich bildende Reihe von Versen verweben, und wie viele seines Berufes, konnte auch Pollux keinem schönen Menschengebilde mit den Augen begegnen, ohne es sogleich mit seiner Kunst in Verbindung zu bringen.
Eine Galatea, eine Galatea sondergleichen, dachte er, während sein Blick sich an Arsinoes Gestalt und Antlitz heftete. Als wäre sie vor einer Sekunde dem Meere entstiegen, so frisch, so froh, so gesund steht diese Gestalt da. Und wie die kleinen Locken von der Stirn aufstreben, als schwämmen sie noch auf dem Wasser. Nun biegt sie sich grüßend niederwärts. Wie rund ist jede Bewegung! Es ist, als schmiege sich die Tochter des Nereus an die zum Wellenberg sich erhebende und sich zum Wellental niederwärts neigende Woge. Sie sieht Selene und ihrer Mutter in der Form des Kopfes und dem griechischen Schnitt des Gesichtes ähnlich, aber die ältere Schwester gleicht einem Prometheusbilde, bevor es beseelt ward, und Arsinoe demselben Meisterwerke, nachdem sich das himmlische Feuer in seine Adern ergoß.
In wenigen Sekunden hatte der Künstler das alles gefühlt und gedacht, dem Mädchen aber dauerte das Schweigen ihres stummen Bewunderers zu lange, und ungeduldig rief es:
»Du hast mich noch gar nicht recht begrüßt. Was machst du da unten?«
»Sieh her,« versetzte er munter und zog das Tuch von dem wohlgetroffenen Bildwerke.
Arsinoe beugte sich weit über die Brüstung des Altans, beschattete die Augen mit der Hand und schwieg länger als eine Minute.
Dann schrie sie plötzlich laut auf, und mit dem Rufe: »Die Mutter! die Mutter!« eilte sie in das Zimmer zurück.
Jetzt ruft sie ihren Vater und wird der armen Selene die Freude verderben, dachte Pollux, während er den schweren Marmorsockel, den sein Gipskopf krönte, zurechtrückte. Mag er nun kommen! Jetzt haben wir hier zu gebieten, und an des Kaisers Eigentum darf Keraunus nicht rühren.
Mit gekreuzten Armen stellte er sich dann der Büste gegenüber und murmelte vor sich hin:
»Flickwerk, erbärmliches Flickwerk! Aus lauter Lappen stümpern wir ein Kleid für den Kaiser zusammen; Tapezierer sind wir hier oben und keine Künstler. Wär's nicht für Hadrian, für Diotima und ihre Kinder, keinen Finger rührt' ich hier weiter!«
Aus der Wohnung des Verwalters leitete der Weg durch Gänge und über einige Treppen zu dem Rundell, auf dem der Bildhauer stand; und doch hatte es Arsinoe, nachdem sie von dem Altan verschwunden war, in nicht viel länger als einer Minute erreicht.
Mit geröteten Wangen drängte sie den Bildhauer von seinem Werke zurück und stellte sich auf den Platz, auf dem er gestanden, um fort und fort in die geliebten Züge zu schauen. Dann rief sie:
»Die Mutter, die Mutter!«
Dabei liefen ihr helle Tränen über die Wangen, und sie kümmerte sich weder um den Künstler, noch um die Arbeiter und Sklaven, an denen sie vorbeigeeilt war und die sie so ängstlich anstarrten, als wäre sie von Dämonen besessen.
Pollux störte sie nicht.
Ihm wurde weich ums Herz, als er die Zähren sah, die über die Wangen dieses heiteren Kindes rannen, und er dachte dabei, es verlohne sich doch gut zu sein, wenn man dafür so lange dauernde und warme Liebe ernte, wie die arme, verstorbene Frau dort auf dem Postamente.
Nachdem Arsinoe lange Zeit das Werk des Bildhauers betrachtet hatte, ward sie ruhiger, wandte sich zu Pollux und fragte:
»Hast du das gemacht?«
»Ja,« entgegnete er und schlug die Augen nieder.
»Und ganz aus dem Gedächtnis?«
»Ja doch!«
»Weißt du was?«
»Nun?«
»Dann hatte die Seherin beim Adionsfeste recht, als sie im Jalemus sang, das halbe Werk eines Künstlers machten die Götter.«
»Arsinoe!« rief Pollux, dem es bei diesen Worten zumute war, als ergieße sich ein heißer Quell in sein Herz, und erfaßte dankbar ihre Hand; sie aber entzog sie ihm; denn ihre Schwester Selena war auf den Altan getreten und rief sie.
Pollux hatte für die ältere Jugendgespielin und nicht für Arsinoe sein Werk aufgestellt, und nun wirkte der Anblick Selenes doch erkältend und störend auf seine bewegte Seele.
»Da steht das Bild deiner Mutter,« rief er in erklärendem Ton, indem er auf die Büste wies, zu dem Altane hinauf.
»Ich seh' es,« entgegnete sie kühl. »Nachher will ich es näher betrachten. Komm herauf, Arsinoe, der Vater will mit dir reden.«
Pollux stand wieder allein.
Als Selene in ihr Zimmer zurücktrat, schüttelte sie leise das blasse Haupt und murmelte:
»Für mich sollte es sein, hatte Pollux gesagt; einmal etwas für mich, und auch diese Freude verdorben!«
Neuntes Kapitel
Der Palastvorsteher, zu dem Selene seine jüngere Tochter Arsinoe berufen hatte, war soeben aus der Bürgerversammlung heimgekehrt, und sein alter schwarzer Sklave, der ihm stets, wenn er ausging, folgte, nahm ihm das krokusgelbe Pallium von den Schultern und den goldenen Reifen, mit dem er außerhalb des Hauses die gebrannten Locken zu umgeben liebte, vom Haupte.
Keraunus sah noch erhitzter aus, seine Augen traten noch weiter vor als gewöhnlich, und heller Schweiß perlte ihm auf der Stirn, als seine Töchter zu ihm in das Wohngemach traten.
Arsinoes freundlichen Gruß beantwortete er gedankenlos mit zwei hingeworfenen Worten und ging, bevor er die wichtige Mitteilung, die er zu machen hatte, den Töchtern eröffnete, eine Zeitlang vor ihnen auf und nieder. Dabei blies er die starken Wangen voll auf und kreuzte die Arme.
Selene war ängstlich, Arsinoe längst ungeduldig geworden, als er endlich begann:
»Habt ihr von den Festen gehört, die zu Ehren des Kaisers gefeiert werden sollen?«
Selene nickte bejahend mit dem Kopfe, und ihre Schwester rief:
»Freilich! Hast du Plätze für uns auf den Bänken des Rates bekommen?«
»Unterbrich mich nicht,« herrschte der Verwalter mürrisch die Tochter an. »Von Zuschauen ist keine Rede. Wohl forderte man die Bürger auf, ihre Töchter an den zu veranstaltenden großen Dingen teilnehmen zu lassen und gefragt, wie viele Mädchen sie hätten . . .«
»Wir sollen an den Spielen teilnehmen?« fiel Arsinoe ihm froh überrascht in die Rede.
»Ich wollte mich, bevor der Aufruf erfolgte, zurückziehen, aber der Schiffsbaumeister Tryphon, der unten neben dem königlichen Hafen seine Werkstätte hat, hielt mich zurück und rief in die Versammlung, seine Söhne sagten, ich besäße zwei schöne junge Töchter. Woher wissen sie das?«
Bei dieser Frage zog der Verwalter die grauen Augenbrauen unwillig in die Höhe, und sein Antlitz rötete sich bis zur Stirn.
Selene zuckte die Achseln, Arsinoe aber sagte:
»Die Werft des Tryphon liegt ja da unten, und wir gehen oft an ihr vorüber; aber ihn selbst oder seine Söhne kennen wir nicht. Hast du sie gesehen, Selene? Es ist jedenfalls artig von ihnen, uns schön zu nennen.«
»Keiner darf sich um euer Aussehen kümmern, der euch nicht von mir zum Weibe begehrt,« entgegnete der Verwalter mürrisch.
»Was hast du Tryphon entgegnet?« fragte Selene.
»Ich tat, was ich mußte. Euer Vater verwaltet einen großen Palast, der ja nun einmal Rom und seinem Imperator gehört; so werde ich Hadrian als Gast in dieser Wohnung meiner Väter aufnehmen, und kann ihm darum weniger als andere Bürger meinen Teil an der Ehre vorenthalten, die der Rat der Stadt ihm zu erweisen beschloß.«
»Wir dürfen also?« fragte Arsinoe und näherte sich dem Vater, um ihn mit schmeichelnder Hand zu streicheln.
Keraunus war indes nicht geneigt, Liebkosungen entgegenzunehmen, wies sie mit einem verdrossenen: »Laß mich!« zurück und fuhr würdevoll fort:
»Wenn Hadrian fragen sollte: ›Wo waren deine Töchter an meinem Ehrentage, Keraunus?‹ und ich müßte entgegnen: ›Sie fehlten unter den Töchtern der edlen Bürger‹, so würde das eine Beleidigung für den Cäsar sein, dem ich im Grunde wohlgesinnt bin. Das alles bedachte ich und nannte darum eure Namen und versprach, euch zu der Versammlung der Jungfrauen im kleinen Theater zu senden. Ihr werdet dort den edelsten Matronen und Töchtern der Stadt begegnen, und die ersten Maler und Bildhauer sollen bestimmen, zu welchem Teile der Spiele sich euer Aussehen am besten eignet.«
»Aber, Vater,« rief Selene, »wie können wir uns in unseren einfachen Kleidern in dieser Versammlung zeigen, und woher nehmen wir Geld, uns neue zu schaffen?«
»Wir können uns in sauberer weißer Wolle und hübsch mit frischen Bändern geputzt neben allen anderen Mädchen sehen lassen,« versicherte Arsinoe, indem sie sich zwischen die Schwester und den Vater drängte.
»Das ist es nicht, was mich besorgt macht,« entgegnete der Verwalter. »Die Kostüme sind's, die Kostüme! Nur den Töchtern ärmerer Bürger werden sie vom Rate bezahlt, und zu den Armen gezählt zu werden, würde uns schänden. Ihr versteht mich, Kinder.«
»Ich nehme nicht teil an dem Zuge,« erklärte Selene entschieden; Arsinoe aber fiel ihr ins Wort:
»Arm zu sein ist unbequem und widerwärtig, aber eine Schande ist es gewiß nicht. Den mächtigsten Römern in alter Zeit gereichte es gar zur Ehre, als arme Leute zu sterben. Unsere mazedonische Herkunft bleibt uns, auch wenn uns die Stadt die Kostüme bezahlt.«
»Still!« rief der Verwalter. »Es ist nicht das erstemal, daß ich solch niedrige Gesinnung an dir bemerke. Die Nachteile der Armut kann auch der Edle ertragen, aber die Vorteile, die sie bringt, vermag er nur zu genießen, wenn er sich entschließt, aus der Reihe der Edlen zu treten.«
Dem Verwalter hatte es schwere Mühe gekostet, diesen Gedanken, den er sich nicht erinnerte von einem anderen gehört zu haben, der ihm fremd vorkam und der doch völlig wiedergab, was er empfand, in verständlicher Form zum Ausdruck zu bringen. Darum ließ er sich mit allen Anzeichen der Erschöpfung langsam auf das Polster des Diwans sinken, der eine tiefe Seitennische seines geräumigen Wohngemaches umgab.
In diesem Räume sollten Kleopatra mit Antonius jene Gastmähler genossen haben, deren erlesene und unübertroffene Feinheit durch alle Gaben der Kunst und des Witzes gewürzt worden war.
Gerade an demselben Platze, auf dem jetzt Keraunus ruhte, hatte wohl das Speiselager des berühmten Liebespaares gestanden; denn das ganze Zimmer war zwar mit einem sorgfältig gearbeiteten Estrich versehen, hier aber befand sich ein aus Steinen von verschiedenen Farben zusammengesetztes Gemälde von so großer Schönheit und Feinheit der Ausführung, daß Keraunus seinen Kindern stets verboten hatte, darauf zu treten. Dies war freilich weit weniger aus Achtung vor dem herrlichen Kunstwerke geschehen, als weil ihm sein Vater, und diesem der seinige das gleiche untersagt hatte. Das Gemälde brachte die Hochzeit der Thetis mit dem Peleus zur Darstellung, und der Diwan bedeckte nur den mit einer Reihe von lieblichen Eroten geschmückten unteren Rand des herrlichen Bildes.
Keraunus befahl seiner Tochter, ihm einen Becher Wein zu reichen, sie aber mischte den Rebensaft reichlich mit Wasser.
Nachdem er mit vielen Zeichen des Abscheus den verdünnten Inhalt des Pokals zur Hälfte ausgetrunken hatte, sagte er:
»Wollt ihr wissen, was ein einziger von euren Anzügen, wenn wir nicht gar zu weit hinter den anderen zurückstehen wollen, kostet?«
»Nun?« fragte Arsinoe ängstlich.
»Unter siebenhundert Drachmen, sagt der Schneider Philinus, der für das Theater arbeitet, sei etwas Rechtes herzustellen unmöglich.«
»Du denkst doch nicht im Ernst an solche wahnsinnige Ausgabe!« rief Selene. »Wir haben nichts, und den möchte ich kennen, der uns noch borgte!«
Die jüngere Tochter des Verwalters schaute verlegen auf die Fingerspitzen und schwieg; ihre in Tränen schwimmenden Augen verrieten aber, was sie empfand.
Keraunus war erfreut über die stumme Zustimmung, die Arsinoe seinem Wunsch zu erteilen schien, sie um jeden Preis bei den Schaustellungen mitwirken zu lassen. Daß er ihr soeben niedrige Gesinnung vorgeworfen hatte, vergaß er und sagte:
»Die Kleine fühlt immer, was recht ist. Dir, Selene, geb' ich ernstlich zu bedenken, daß ich dein Vater bin und mir diesen zurechtweisenden Ton verbitte. Du hast ihn dir bei deinem Verkehr mit den Kindern angewöhnt, und ihnen gegenüber magst du ihn weiter gebrauchen. Vierzehnhundert Drachmen scheinen auf den ersten Blick eine hohe Summe, wenn man aber den Stoff und den Schmuck, den ihr gebraucht, mit dem rechten Verständnis einkauft, so läßt er sich vielleicht nach dem Fest wieder mit Nutzen an den Mann bringen.«
»Mit Nutzen!« rief Selene bitter. »Nicht die Hälfte wird für die alten Sachen bezahlt, nicht ein Viertel! Und wenn du mich aus dem Hause jagst – ich will nicht helfen, uns tiefer ins Elend zu stürzen. Ich nehme nicht teil an den Spielen.«
Dem Verwalter stieg diesmal das Blut nicht in den Kopf, er wurde auch nicht heftig, vielmehr erhob er gelassen und nicht ohne Anflug von Zufriedenheit den Blick und verglich die eine seiner Töchter mit der anderen.
Er war gewöhnt, Selene als sein nützliches, Arsinoe als sein schönes Kind in seiner Weise zu lieben, und weil es hier im Grunde doch nur galt, seiner Eitelkeit Genüge zu tun und dieser Zweck durch die jüngere Tochter allein erreicht werden konnte, sagte er:
»So bleibe du meinetwegen bei den Kindern. Wir entschuldigen dich mit schwacher Gesundheit, und wirklich, Mädchen, du siehst wieder bleich aus zum Erbarmen. Für die Kleine allein schaff' ich die Mittel schon eher.«
Auf Arsinoes Wangen zeigten sich wieder zwei reizende Grübchen; Selenens Lippen aber waren so bleich wie ihre blutlosen Wangen, als sie jetzt rief:
»Aber, Vater, Vater! Weder der Bäcker noch der Schlächter haben seit zwei Monaten einen Sesterz bekommen, und du willst siebenhundert Drachmen verschwenden!«
»Verschwenden?« fuhr Keraunus unwillig auf und fügte dann eher kleinlaut als aufbrausend hinzu: »Ich verbiete dir nochmals, so mit mir zu reden. Die reichsten jungen Herren nehmen teil an dem Spiele; Arsinoe ist schön und vielleicht wählt sie sich einer von ihnen zur Gattin. Heißt es verschwenden, wenn ein Vater bestrebt ist, für sein Kind einen würdigen Gemahl zu finden! Und was weißt du eigentlich von dem Stand meines Besitzes?«
»Wir haben nichts, darum kann ich nichts von ihm wissen!« rief das Mädchen außer sich.
»Sooo?« fragte Keraunus gedehnt und mit einem überlegenen Lächeln. »Ist das nichts, was in dem Schranke dort liegt und hier auf dem Sims steht? Euch zuliebe werd' ich mich davon trennen. Die Onyxfibula, die Ringe, den goldenen Reifen und den Gürtel freilich . . .«
»Sie sind nur von vergoldetem Silber,« fiel Selene erbarmungslos ein. »Des Großvaters echte Sachen verkauftest du nach dem Tode der Mutter.«
»Sie mußte unserem Stande gemäß verbrannt und bestattet werden,« entgegnete Keraunus. »Jetzt will ich an diese traurigen Tage nicht denken.«
»Denke nur an sie, Vater!«
»Schweig! Was zu meinem Schmucke gehört, kann ich natürlich nicht missen; denn ich muß dem Kaiser entgegentreten als der, der ich bin; aber was wird der kleine Eros von Bronze dort wert sein, der elfenbeinerne, köstlich geschnitzte Becher Plutarchs, vor allem aber das Bild dort, von dem sein früherer Besitzer fest überzeugt war, daß es von dem großen Apelles selbst hier in Alexandria gemalt war. Gleich sollt ihr erfahren, was die kleinen Dinge dort wert sind; denn als hätten es die Götter also gefügt, bin ich hier im Palaste, als ich nach Hause kam, dem Kunsthändler Gabinius von Nizäa begegnet. Er versprach mir, nachdem er das Geschäft mit dem Baumeister abgeschlossen habe, zu mir zu kommen, meine Schätze zu besichtigen und was ihm zusagt, gegen bares Geld anzukaufen. Wenn mein »Apelles« ihm gefällt, so gibt er allein für ihn zehn Talente, und kauft er ihn auch nur für die Hälfte oder den zehnten Teil dieser Summe, so zwing' ich dich, Selene, dir auch einmal eine Freude zu gönnen.«
»Wir werden ja sehen,« sagte das bleiche Mädchen, die Achseln zuckend, und Arsinoe rief:
»Zeig ihm auch das Schwert, von dem du immer sagst, es hätte dem Antonius gehört, und gibt er viel dafür, so kaufst du mir ein goldenes Armband.«
»Auch Selene wird eines erhalten. Aber auf das Schwert setz' ich die allergeringste Hoffnung – denn ein Kenner wird es schwerlich für echt erklären. Doch ich habe da andere, ganz andere Sachen! Horch! das wird Gabinius schon sein. Schnell, Selene, wirf mir das Pallium wieder um. Meinen Reifen her, Arsinoe! Dem Wohlhabenden bietet man höhere Preise als dem ärmlichen Manne. Dem Sklaven befahl ich, den Händler im Vorsaale zu erwarten; so wird es in jedem guten Hause gehalten!«
Der Kunsthändler war ein kleiner, hagerer Mann, der sich mit Klugheit und Glück zum Vornehmsten unter seinesgleichen und zum reichen Manne heraufgearbeitet hatte. Durch Fleiß und Erfahrung zum Kenner gereift, verstand er wie kein anderer Gutes vom Mittelmäßigen und Schlechten, Echtes vom Unechten zu unterscheiden. Niemand hatte feinere Augen als er, doch er war roh im Verkehr mit jedem, von dem er nichts zu erwarten hatte. Da freilich, wo Gewinn in Aussicht stand, konnte er höflich bis zur Unterwürfigkeit sein und unermüdliche Geduld bewahren.
Er gewann es auch über sich, dem Verwalter mit dem Ausdruck der Überzeugung zuzuhören, als dieser ihm von oben herab versicherte, er sei seiner kleinen Besitztümer überdrüssig, er könne sie ebensogut behalten, wie nicht behalten; aber er wolle sie ihm, dem besseren Kenner, doch zeigen und sich auch von ihnen trennen, wenn ihm für das brachliegende Kapital eine hübsche, flüssige Summe geboten werde.
Ein Stück nach dem anderen wanderte durch die feinen Finger des Kenners und wurde vor ihn hingestellt, damit er es betrachte.
Der Mann war sehr schweigsam und schüttelte, sobald er einen neuen Gegenstand geprüft hatte, den klugen Kopf.
Wenn Keraunus ihm erzählte, woher dieses oder jenes Stück seines Schatzes stammte, murmelte er ein »So!«, »Du glaubst!« oder »Wirklich?«
Nachdem das letzte Stück durch seine Hände gegangen war, fragte der Verwalter:
»Nun? Was sagst du?« Der Anfang dieses Satzes klang zuversichtlich, das Ende fast ängstlich; denn der Kunsthändler lächelte nur und schüttelte abermals den Kopf, bevor er sagte:
»Recht artige Sächelchen sind darunter, aber nichts, was der Rede wert ist. Ich rate dir, sie zu behalten; denn sie sind dir lieb, für mich aber gibt es wenig daran zu verdienen.«
Keraunus vermied es, Selene anzuschauen, deren große Augen voller Angst an den Lippen des Kaufmanns gehangen hatten; Arsinoe aber, die nicht minder aufmerksam seinen Bewegungen gefolgt war, ließ sich weniger schnell entmutigen und fragte, indem sie mit dem Finger auf den Apelles ihres Vaters wies:
»Und auch dies Gemälde sollte nichts wert sein?«
»Es tut mir leid, daß ich einer so schönen Jungfrau nicht sagen kann, es sei unschätzbar,« entgegnete der Kunsthändler, den grauen Zwickelbart streichend. »Aber wir haben es hier leider nur mit einer recht schwachen Nachahmung zu tun. Das Original befindet sich in der Villa des Plinius am Lariussee, die er den Kothurn nennt. Ich habe gar keine Verwendung für dieses Stück.«
»Und dieser geschnitzte Becher?« fragte Keraunus. »Er stammt aus dem Nachlaß des Plutarch, ich kann es beweisen, und er soll ein Geschenk des Kaisers Trajan sein.«
»Das hübscheste Stück aus der Sammlung,« entgegnete Gabinius, »doch mit vierhundert Drachmen mehr als reichlich bezahlt.«
»Und dieser Zylinder aus Zypern mit der schönen Gravierung?«
Der Verwalter griff nach dem glatt geschliffenen Kristall, aber seine Hand zitterte vor Erregung und so stieß er ihn, statt ihn zu erfassen, vom Tische.
Klirrend rollte er auf dem Estrich hin und über das glatte Mosaikgemälde fort bis zu den Polstern.
Keraunus wollte sich bücken, um ihn aufzuheben, seine beiden Töchter hielten ihn aber fest, und Selene rief:
»Vater, du sollst nicht; der Arzt hat es aufs strengste verboten!«
Während der Verwalter die Mädchen brummend von sich abwehrte, hatte sich der Kunsthändler schon auf ein Knie niedergelassen, um den Zylinder aufzuheben.
Es schien übrigens dem zierlich gebauten Manne weit weniger schwer zu fallen, sich zu bücken, als sich vom Boden zu erheben; denn es dauerte mehrere Minuten, bis er wieder auf den Füßen und vor Keraunus stand.
Seine Züge hatten einen gespannten Ausdruck angenommen, und noch einmal ergriff er die dem Apelles zugeschriebene Tafel, setzte sich mit ihr auf das Polster und schien sich in das Gemälde, das sein Antlitz den drei Anwesenden verbarg, ganz zu vertiefen.
Aber sein Auge weilte keineswegs auf dem Bilde vor ihm, sondern auf der Hochzeit zu seinen Füßen, in der er jeden Augenblick neue, unschätzbare Vorzüge entdeckte.
Als der Kunsthändler minutenlang regungslos mit dem kleinen Bilde dagesessen hatte, erheiterten sich die Züge des Verwalters, Selene atmete auf, und Arsinoe näherte sich dem Vater, um sich an seinen Arm zu klammern und ihm ins Ohr zu flüstern:
»Gib ihm den Apelles nicht billig und denk an mein Armband.«
Jetzt erhob sich Gabinius, überblickte die auf dem Tische vor ihm stehenden Sachen und sagte weit kürzer und geschäftsmäßiger als vorher:
»Für alle diese Dinge zusammen kann ich dir, warte – zwanzig – siebenzig – vierhundert – vierhundertfünfzig – kann ich sechshundertfünfzig Drachmen bieten; keinen Sesterz mehr!«
»Du scherzest!« rief Keraunus.
»Keinen Sesterz mehr,« entgegnete der andere kühl; »ich will nichts verdienen, aber daß ich auch nicht mit sicherer Aussicht auf Verlust zu kaufen wünsche, wirst du als billiger Mann begreifen. Was den Apelles angeht . . .«
»Nun?«
»So könnte er schon Wert für mich haben, aber nur unter gewissen Bedingungen. Es hat mit dem Bild seine eigene Bewandtnis. Ihr beiden Jungfrauen, ihr wißt, daß schon mein Geschäft mich alles schätzen lehrt, was schön ist, aber ich muß euch doch bitten, mich ein wenig mit eurem Vater allein zu lassen. Ich habe mit ihm über dies seltsame Gemälde zu reden.«
Keraunus winkte den Töchtern, und sie entfernten sich sogleich.
Bevor die Tür sich hinter ihnen schloß, rief der Kunsthändler ihnen nach:
»Es dämmert bereits; darf ich euch bitten, mir durch euren Sklaven eine möglichst hellbrennende Lampe zu senden?«
»Was ist's mit dem Bilde?« fragte Keraunus.
»Reden wir, bis das Licht gebracht wird, von etwas anderem,« bat Gabinius.
»So nimm Platz auf dem Polster,« sagte Keraunus. »Du tust mir und vielleicht auch dir selbst einen Gefallen damit.«
Sobald die Ruhebank beide Männer aufgenommen hatte, begann Gabinius:
»Man gibt solche kleine Dinge, die man mit Liebe gesammelt, nicht gern aus den Händen; ich weiß es aus langer Erfahrung. Mancher Mann, der, nachdem er seine kleinen Altertümer verkauft hatte, zu Besitz kam, bot mir das Zehnfache des von mir gezahlten Preises, um sie zurückzuerwerben; leider gewöhnlich vergebens. Was von anderen gilt, das gilt auch von dir. Bedürftest du augenblicklich keines Geldes, so hättest du mir schwerlich die Dinge dort angeboten.«
»Ich muß dich ersuchen –« unterbrach ihn Keraunus; der Kunsthändler aber schnitt ihm das Wort ab und fuhr gelassen fort:
»Auch dem Reichsten fehlt es zuzeiten an barem Gelde, das weiß keiner besser als ich; dem doch – ich darf es bekennen – große Summen zur Verfügung stehen. Jetzt gerade wär' es mir leicht, dich aus jeder Verlegenheit zu befreien.«
»Da steht mein Apelles,« fiel der Verwalter dem Kaufmann in die Rede. »Er gehört dir, wenn dein Gebot mir ansteht.«
»Das Licht, da wäre das Licht!« rief Gabinius und nahm dem alten Sklaven die dreiarmige, von Selene schnell mit neuem Docht versehene Lampe aus der Hand und stellte sie, indem er Keraunus ein »Du erlaubst« zugemurmelt hatte, inmitten des musivischen Gemäldes nieder.
Der Verwalter schaute den seltsamen Mann zu seiner Linken verdutzt und fragend an, Gabinius aber beachtete ihn nicht, sondern ließ sich wiederum auf die Knie nieder, betastete die Mosaik mit den Händen und verschlang das Bild der Hochzeit des Peleus mit beiden Augen.
»Hast du etwas verloren?« fragte Keraunus.
»Nein, gar nichts. Da, in der Ecke . . . Nun weiß ich genug. Darf ich die Lampe dort auf den Tisch stellen? So! Und nun zurück zu unserem Geschäft!«
»Ich bitte darum, aber es sei dir im voraus gesagt, es handelt sich bei mir nicht mehr um Drachmen, sondern um ganze attische Talente.«
»Das versteht sich von selbst, und ich biete dir deren fünf, daß heißt eine Summe, für die du in manchem Viertel der Stadt ein schönes, geräumiges Haus kaufst!«
Diesmal stieg dem Verwalter wiederum das Blut in den Kopf.
Einige Minuten lang vermochte er kein Wort zu reden; denn das Herz schlug ihm heftig; endlich aber ward er so weit Herr seiner selbst, daß er, fest gewillt, wenigstens diesmal das Glück beim Schöpfe zu fassen und sich nicht übervorteilen zu lassen, entgegnen konnte:
»Fünf Talente tun es nicht; biete mehr!«
»So sagen wir sechs.«
»Wenn du das Doppelte zahlst, so sind wir einig!«
»Mehr als zehn Talente vermag ich nicht zu bewilligen. Man baut sich für diese Summe einen hübschen Palast.«
»Ich bleibe bei zwölf.«
»So geschehe dein Wille; aber keinen Sesterz gebe ich mehr.«
»Ich trenne mich ungern von dem edlen Kunstwerk,« seufzte Keraunus, »doch ich tu' dir den Willen und lasse dir meinen Apelles.«
»Es handelt sich nicht um diese Tafel, die wenig Wert hat und an der du dich weiterfreuen magst,« entgegnete der Händler. »Ich wünsche ein anderes Kunstwerk aus diesem Zimmer, das dir bisher kaum der Beachtung wert schien. Ich hab' es entdeckt, und ein reicher Kunde von mir sucht gerade dergleichen.«
»Ich weiß nicht . . .«
»Dir gehört doch alles Gerät in diesem Zimmer?«
»Wem anders?«
»So darfst du auch darüber verfügen?«
»Gewiß.«
»Nun wohl; die zwölf attischen Talente, die ich dir bot, beziehen sich auf das Gemälde zu unseren Füßen.«
»Die Mosaik? die? Die gehört zum Palaste.«
»Zu deiner Wohnung gehört sie, und diese, das hörte ich aus deinem eigenen Munde, haben deine Vorfahren seit länger als hundert Jahren inne. Ich kenne das Gesetz. Es spricht aus, daß alles, was sich seit hundert Jahren im unbestrittenen Besitz einer Familie befindet, ihr als Eigentum zufällt.«
»Diese Mosaik gehört dem Palaste.«
»Ich behaupte das Gegenteil. Sie ist ein Bestandteil deiner Familienwohnung und du darfst frei über sie verfügen.«
»Sie gehört dem Palaste.«
»Nein, nochmals nein; du bist der Besitzer! Morgen früh erhältst du zwölf attische Talente in Gold, und ich werde später mit Hilfe meines Sohnes das Gemälde loslösen, verpacken und, wenn es dunkelt, fortschaffen lassen. Sorge für einen Teppich, mit dem wir einstweilen die leere Stelle verdecken. An der Geheimhaltung der Sache muß mir natürlich ebensoviel und mehr noch gelegen sein als dir selbst.«
»Die Mosaik gehört dem Palaste!« rief der Verwalter diesmal mit lauter Stimme. »Hörst du's, sie gehört dem Palaste, und wer sie anrührt, dem zerbrech' ich die Knochen.«
Bei dieser Drohung erhob sich Keraunus, sein gewaltiger Körper keuchte, seine Wangen und Stirn waren kirschrot gefärbt und seine gegen den Kunsthändler erhobenen Fäuste bebten.
Gabinius trat erschrocken zurück und fragte:
»Du willst also nicht meine zwölf Talente?«
»Ich will – ich will –« röchelte Keraunus, »ich will dir zeigen, wie ich den behandle, der mich für einen Spitzbuben hält. Hinaus, Schurke, und kein Wort mehr von dem Gemälde und dem Diebstahl im Dunkeln, sonst schick ich dir die Liktoren des Präfekten auf den Hals und lasse dich in Eisen werfen, du lumpiger Räuber.«
Gabinius zog sich eilends zur Tür zurück; dort aber wandte er sich noch einmal nach dem stöhnenden und schnaubenden Kolosse um und rief, während er die Schwelle betrat:
»Behalte deinen Kram. Wir sprechen uns wieder!« –
Als Selene und Arsinoe in das Wohngemach zurückkehrten, fanden sie den Vater tief atmend mit weit vorgeneigtem Haupte auf dem Polster sitzen.
Erschrocken näherten sie sich ihm; er aber wiederholte fortwährend die Rufe:
»Wasser, einen Schluck Wasser! Der Dieb! Der Halunke!«
Ohne jeden Seelenkampf hatte der bedrängte Mann das zurückgewiesen, was ihm und den Seinen ein freundliches Los bereiten konnte; aber er würde sich nicht gescheut haben, dieselbe, ja die doppelte Summe, gleichviel ob von einem Armen oder Reichen, zu leihen, obgleich er sicher wußte, daß er niemals imstande gewesen wäre, sie ihm zurückzuerstatten.
Er war gar nicht stolz auf seine Tat, sondern fand sie nur natürlich für einen mazedonischen Edeln.
Auf den Vorschlag des Händlers einzugehen, lag für ihn völlig außerhalb des Bereichs der möglichen Dinge.
Aber woher sollte er nun das Geld für Arsinoes Anzug nehmen, wie seine in der Bürgerversammlung gegebene Zusage halten?
Eine Stunde lang blieb er sinnend auf dem Polster liegen. Dann nahm er eine Wachstafel aus der Truhe und begann einen Brief an den Präfekten in sie einzuritzen. Er wollte Titianus das kostbare Mosaikgemälde, das sich in seiner Wohnung befand, für den Kaiser zur Verfügung stellen; doch er brachte das Schreiben nicht zu Ende, denn er verwickelte sich bald in hochtönenden Sätzen. Endlich verzweifelte er an dem Gelingen der Arbeit, warf den unvollendeten Brief in die Kiste und legte sich schlafen.
Zehntes Kapitel
Während in der Wohnung des Verwalters die Sorge sich breit machte und Kummer, Angst und Enttäuschung mit schweren Wolken die Seelen umdüsterten, wurde in der Musenhalle fröhlich geschmaust und gelacht.
Julia, die Gattin des Präfekten, hatte dem Baumeister ein für sechs hungrige Magen genügendes, sorgsam bereitetes Mahl auf die Lochias geschickt, und ein Sklave des Baumeisters Pontius, der es in Empfang genommen und Schüssel für Schüssel ausgepackt und auf die schlichteste aller Tafeln aufgestellt hatte, war zu dem Herrn geeilt, um ihm all diese Wunder der Kochkunst zu zeigen.
Der Baumeister hatte beim Anblick eines so überreichen Segens den Kopf geschüttelt und vor sich hin gemurmelt:
»Titianus hält mich für ein Krokodil oder besser für zwei Krokodile.«
Dann war er dem Verschlag des Bildhauers genaht, in dem er Papias, seinen Meister, fand, um beide Männer zu bitten, das Mahl mit ihm zu teilen.
Außerdem lud er zwei Maler und den vorzüglichsten unter allen Mosaizisten der Stadt ein, die den ganzen Tag emsig an der Herstellung der alten, verblichenen Deckenbilder und Fußböden gearbeitet hatten, und bald leerten sich bei gutem Wein und heiterem Gespräch die Schüsseln, Vasen und Dosen.
Wer lange Stunden den Geist oder die Hände oder gar beide auf einmal regt, der wird hungrig, und hier war seit einer Reihe von Tagen von allen Künstlern, die Pontius auf die Lochias berufen hatte, bis zur Erschöpfung gearbeitet worden.
Jeder tat sein Bestes, zunächst gewiß, um dem hochgeachteten Pontius und sich selbst zu genügen, dann aber auch, um dem Kaiser eine Probe seines Könnens vorzuführen und ihm zu zeigen, was man in Alexandria vermöge.
Als die Schüsseln abgetragen worden waren und die reichlich gesättigten Tischgenossen die Hände gereinigt und getrocknet hatten, wurden aus einem Mischkruge, dessen Größe dem genossenen Mahle entsprach, die Becher gefüllt.
Nun schlug einer der Maler vor, ein ordentliches Trinkgelage zu veranstalten und den Bildhauer Papias, der als vortrefflicher Tischredner ebenso bekannt war wie als Künstler, zum Festleiter zu erwählen.
Aber der Meister des jungen Pollux versicherte, diese Ehre nicht annehmen zu können; denn sie gebühre dem Würdigsten unter ihnen, dem Manne, der vor wenigen Tagen in diesen leeren Palast getreten sei und dort als ein zweiter Deukalion so edle Künstler wie die hier versammelten, in großer Zahl und geschickte Arbeiter zu Hunderten, statt aus bildsamem Stein, aus dem Nichts erweckt habe.
Während er sodann versicherte, daß er Hammer und Meißel besser als die Zunge zu gebrauchen verstehe, und es nicht gelernt habe, eine Festrede zu halten, kleidete er seinen Wunsch, Pontius möge das Gelage leiten, in die Form einer solchen.
Aber es war ihm nicht vergönnt, diese Probe seiner Gewandtheit zu Ende zu führen; denn der Torhüter des kaiserlichen Palastes, Euphorion, der Vater des jungen Pollux, trat eilig mit einem Brief in der Hand in die Musenhalle und reichte ihn dem Baumeister.
»In geflügelter Eile zu lesen,« sagte er dabei, indem er sich mit theatralischer Würde vor den Künstlern verneigte. »Ein Liktor des Präfekten überbrachte diese, wenn anders mein Wunsch sich erfüllt, heilbringende Botschaft. – Haltet die Schnauzen, Lumpenzeug, sonst schlag' ich euch nieder!«
Diese Drohung, die sich, was ihren Ton betraf, sehr wenig harmonisch an die für die Ohren der Künstler berechnete Anrede schloß, galt den drei vierfüßigen Grazien seiner Frau, die ihm gegen seinen Willen gefolgt waren und bellend die Tafel umsprangen, auf der die spärlichen Reste der aufgegessenen Mahlzeit standen.
Pontius liebte die Tiere, hatte sich mit den Hündchen der Torwächtersfrau befreundet und sagte, während er den Brief des Präfekten öffnete:
»Ich lade die drei Kleinen für die Reste unserer Mahlzeit zu Gaste. Gib ihnen, was für sie taugt, Euphorion, und was dir besser für deinen eigenen Magen zu passen scheint, das soll ihm bekommen!«
Während der Baumeister das Schreiben zuerst rasch durchflog, dann aber aufmerksam durchlas, hatte der Sänger manchen guten Bissen für die Lieblinge seiner Frau auf einen Teller zusammengelegt und endlich die letzte übriggebliebene Pastete samt der Schüssel, auf der sie stand, seiner Adlernase genähert.
»Für Menschen oder für Hunde?« fragte er den Sohn, indem er mit dem straff ausgestreckten Finger auf die Pastete wies.
»Für Götter,« antwortete Pollux. »Bring sie der Mutter. Sie wird gern einmal Ambrosia essen.«
»Fröhlichen Abend!« rief der Sänger, verneigte sich vor den die Becher leerenden Künstlern und entfernte sich mit der Pastete und den drei Hündchen aus der Halle.
Während er noch den weiten Raum mit langen Schritten durchmaß, hob der in seiner Rede unterbrochene Papias den Becher von neuem und begann:
»Unser Deukalion, unser mehr als Deukalion also . . .«
»Entschuldige,« unterbrach Pontius den Bildhauer, »wenn ich deine Rede, die so vielversprechend begann, unterbreche; dieser Brief enthält wichtige Nachrichten und mit dem Zechen ist es für heute vorbei. Verschieben wir unser Symposion und deinen Trinkspruch.«
»Es war kein Trinkspruch; denn wenn ein bescheidener Mann . . .« begann Papias.
Da fiel Pontius ihm wiederum ins Wort:
»Titianus schreibt mir, er gedenke heute abend auf die Lochias zu kommen. Jeden Augenblick kann er hier erscheinen, und zwar nicht allein, sondern mit meinem Kunstgenossen Claudius Venator aus Rom. Der Mann soll mir mit seinem Rate zur Seite stehen.«
»Ich hörte seinen Namen noch nie,« sagte Papias, der sich ebensoviel um die Personen wie um die Werke anderer Künstler zu kümmern pflegte.
»Das wundert mich,« entgegnete Pontius, indem er die doppelte Tafel, die die Nachricht enthielt, daß der Kaiser heute noch ankommen werde, zusammenschlug.
»Kann er etwas?« fragte Pollux.
»Mehr als wir alle,« gab Pontius zurück. »Er ist ein gewaltiger Mensch.«
»Das ist schön!« rief Pollux. »Ich sehe gern große Männer. Wenn sie einem ins Auge schauen, ist es immer, als flöße etwas von ihrer Fülle in uns über, und unwillkürlich reckt man sich und denkt: es wäre doch schön, wenn man dem eines Tages bis ans Kinn reichen könnte.«
»Nur keinen krankhaften Ehrgeiz,« unterbrach Papias den Schüler im Ton der Ermahnung. »Nicht wer sich auf die Zehen stellt, sondern wer fleißig seine Pflicht tut, erreicht etwas Großes.«
»Er tut redlich die seine,« entgegnete der Baumeister, indem er sich erhob und Pollux die Hand auf die Schulter legte. »Wir tun sie alle. Morgen beim Aufgang der Sonne sei jeder wieder auf dem Posten. Um meines Kollegen willen wird es gut sein, wenn ihr alle beizeiten da seid.«
Die Künstler erhoben sich mit Dank und Bedauern.
»Die Fortsetzung dieses Abends bleibt dir nicht geschenkt,« rief einer der Maler, und Papias bemerkte, indem er sich von Pontius verabschiedete:
»Wenn wir wieder zusammenkommen, werd' ich dir zeigen, was ich unter einem Trinkspruch verstehe. Er wird vielleicht deinem römischen Gastfreunde gelten. Ich bin neugierig, was er über unsere Urania sagt. Pollux hat sein Teil an der Arbeit gut ausgeführt, und ich hab' ihr vorhin noch ein Stündchen gewidmet, das ihr gut getan haben möchte. Je schlichter unser Material ist, desto mehr würde es mich freuen, wenn sie dem Kaiser gefiele; er ist ja selbst ein wenig Bildhauer.«
»Wenn Hadrian das hörte!« fiel einer der Maler ein. »Für einen gewaltigen Künstler will er gelten, den ersten in unserer Zeit. Man sagt, er hätte dem großen Baumeister Apollodor, der für Trajan so herrliche Werke ausführte, das Lebenslicht ausblasen lassen. Und warum? Weil der vorzügliche Mann den kaiserlichen Pfuscher früher einmal als Stümper behandelt hatte und seinen Plan für den Venustempel in Rom nicht billigen wollte.«
»Gerede,« gab Pontius auf diese Beschuldigung zurück. »Apollodor ist im Gefängnis gestorben, aber seine Verhaftung hat mit seinem Urteil über die Leistungen des Kaisers nur wenig zu tun. – Entschuldigt mich, ihr Herren! – Muß die Risse und Anschläge noch einmal durchsehen.«
Der Architekt entfernte sich; Pollux aber setzte das begonnene Gespräch fort.
»Ich begreife nur nicht,« begann er, »wie einer, der so viele Künste zugleich treibt und dabei doch für den Staat und seine Regierung sorgt, der ein leidenschaftlicher Jäger ist und sich mit allerlei gelehrtem Schnickschnack abgibt, seine fünf Sinne, die er hierhin und dahin und dorthin ausfliegen ließ, gleich wieder ins Nest zurückbekommt, wenn er sie für die Übung einer besonderen Kunst gebrauchen möchte. In seinem Kopfe muß es aussehen wie in der hübschen, von uns ins Nichts beförderten Salatschüssel, in der Papias dreierlei Fisch, schwarzes und weißes Fleisch, Austern und noch fünf andere Substanzen entdeckte.«
»Und wer,« fiel ihm Papias ins Wort, »wird leugnen, daß, wenn das Talent die Mutter und der Fleiß der Vater jeder künstlerischen Tätigkeit ist, die Übung der Erzieher des Künstlers sein muß? Seitdem Hadrian bildhauert und malt, ist es überall und auch hier Mode geworden, diese Künste zu betreiben, und unter den reichen jungen Leuten, die in meine Werkstätte kommen, sind manche sehr gut begabt; keiner von ihnen bringt aber etwas Rechtes zustande, weil ihnen das Gymnasium, die Bäder, die Wachtelkämpfe, die Gastmähler und was weiß ich, so viele Zeit nehmen, daß es mit der Übung nichts wird.«
»Ja,« fügte einer der Maler hinzu, »ohne den Zwang und die Plage der Lehrjahre kann keiner zu freiem und freudigem Schaffen gelangen. In der Rhetorenschule, auf der Jagd und im Kriege macht man aber keine Zeichenstudien. Erst wenn ein Schüler fest zu sitzen und sich sechs Stunden hintereinander hat plagen lernen, fang' ich an zu glauben, es könnte etwas Rechtes aus ihm werden. Hat einer von euch ein Werk des Kaisers gesehen?«
»Ich,« antwortete der Mosaizist. »Vor mehreren Jahren ließ mir Hadrian ein Bild, das er gemalt hatte, übersenden. Ich sollte eine Mosaik danach machen. Es war ein Fruchtstück: Melonen, Kürbisse, Äpfel und grüne Blätter. Die Zeichnung war so so, die Farbe über alles Erlaubte lebendig und die Komposition gefiel mir durch Rundheit und Fülle. Besser doch, denkt man, wenn man sie ansieht, solcher Überreichtum als magere Armut. Die großen Früchte unter den saftstrotzenden Blättern hatten wohl etwas so Ungeheuerliches, als wären sie im Garten der Üppigkeit selbst erwachsen; aber das Ganze sah doch nach etwas aus. Bei meiner Ausführung dämpfte ich die Farben ein wenig. Eine Kopie dieses Bildes könnt' ihr noch bei mir sehen. Sie hängt im Saal meiner Zeichner. Der reiche Nealkes ließ in seiner Fabrik einen Teppich nach ihr weben, mit dem Pontius die eine Wand des Arbeitszimmers da hinten behängen will; ich aber hab' einen schönen Rahmen an sie gewendet.«
»Sag lieber an ihren Erfinder!«
»Oder noch zutreffender: an seinen möglichen Besuch deiner Werkstätte,« lachte der gesprächigste unter den Malern. »Ob der Kaiser wohl auch zu uns kommt? Meine Begrüßung Alexanders im Tempel des Jupiter Ammon möcht' ich gern an ihn verkaufen.«
»Ich hoffe, daß du ihn, wenn es den Preis festzustellen gilt, als Kollegen behandelst,« sagte sein Kunstgenosse schmunzelnd.
»Ich werde mich nach deinem Beispiel richten,« entgegnete der andere.
»Dabei wirst du kaum zu kurz kommen,« rief Papias; »denn Eustorgius weiß, was seine Arbeiten wert sind. Wenn übrigens Hadrian bei allen Meistern, in deren Kunst er hineinpfuscht, Bestellungen macht, wird er eine besondere Flotte brauchen, um seine Einkäufe nach Rom zu schaffen.«
»Man sagt,« lachte der Maler Eustorgius, »er sei der Maler unter den Dichtern, der Bildhauer unter den Malern, der Astronom unter den Musikern, der Sophist unter den Künstlern, das heißt, daß er jede Kunst und Wissenschaft als seine Nebenbeschäftigung mit einigem Glück betreibt.«
Bei dieser Erklärung war Pontius wieder zu den Künstlern zurückgekehrt, die die Tafel mit dem Mischkruge umstanden. Er hatte die letzten Worte des Malers gehört und unterbrach ihn, indem er sagte:
»Aber, Freund, du vergißt, daß er unter den Regenten, und nicht nur unter denen von heute, in des Wortes vollster Bedeutung Regent ist. Jeder von euch leistet in seiner Kunst gewiß mehr und Vollendeteres; doch wie groß ist der Mann, der nicht nur mit müßiger Neugier, sondern mit Ernst und Geschick allem nahe tritt, was der Geist nur immer zu erfassen und der künstlerisch bildende Sinn zu gestalten vermag! Ich kenne ihn und weiß, daß er tüchtige Meister liebt und mit fürstlicher Freigebigkeit aufzumuntern bestrebt ist. Aber er hat die Ohren überall und wird schnell zum unerbittlichen Feind eines jeden, der seine Empfindlichkeit reizt. Hütet darum jetzt eure losen alexandrinischen Zungen und laßt euch sagen, daß mein Kollege, den ich aus Rom erwarte, Hadrian nahe steht. Er ist sein Altersgenosse, sieht ihm auch ähnlich und verschweigt ihm nichts, was er über ihn hört. Laßt also das Gerede über den Kaiser und beurteilt den Dilettanten in Purpur nicht strenger als eure reichen, aus Liebhaberei malenden und bildhauenden Schüler, für die euch so leicht ein ›allerliebst‹, ›wunderhübsch‹ oder ›außerordentlich nett‹ über die Lippen schlüpft. Nehmt mir den warnenden Ton nicht übel – ihr wißt, wie ich's meine.«
Aus dieser Bitte war den Anwesenden jene männliche Innigkeit entgegengeklungen, die der tiefen Stimme des Baumeisters zu Gebote stand und ihm auch das Vertrauen des Widerstrebenden sicher gewann.
Grüße und Händedrücke wurden getauscht, die Künstler verließen die Halle, ein Sklave trug den Mischkrug fort und säuberte die Tafel, auf der Pontius seine Risse und Anschläge auszubreiten begann.
Aber er blieb nicht lange allein; denn bald stand Pollux neben ihm und sagte mit komischem Pathos, indem er die Nase mit dem Finger berührte:
»Ich bin aus meinem Käfig entsprungen, um dir noch etwas zu sagen.«
»Nun?«
»Die Stunde naht, in der ich dir die Wohltaten, die du meinem Magen zu verschiedenen Zeiten erwiesest, zu vergelten gedenke. Meine Mutter kann dir morgen ihr Kohlgericht vorsetzen. Eher ging's nicht; denn der in seiner Art einzige Wurstmacher, der König seiner Zunft, bereitet nur in jeder Woche einmal seine saftigen kleinen Zylinder. Vor wenigen Stunden hat er die Würstlein vollendet, und morgen wärmt uns die Mutter zum Frühstück das edle Gericht auf, das heute abend bereitet wurde – denn, ich sagte dir's schon – im aufgewärmten Zustand ist es erst das Ideal seiner Gattung. Was später noch Süßes kommt, haben wir wieder der Kunst meiner Mutter, das erheiternd Erquickende aber, ich meine den finstere Sorgen brechenden Wein, meiner Schwester zu danken.«
»Ich komme,« entgegnete Pontius, »wenn mir unser Gast eine freie Stunde übrig läßt, und freue mich auf das gute Gericht. Aber was weißt du munterer Vogel von finsteren Sorgen!«
»Das Wort paßt in den Hexameter,« entgegnete Pollux, »und ich habe von meinem Vater, der, wenn er nicht das Tor hütet, auch singt und dichtet, die leidige Notwendigkeit geerbt, sobald mir etwas die Seele bewegt, rhythmisch zu reden.«
»Du warst heut schweigsamer als sonst, und doch kamst du mir unglaublich vergnügt vor. Nicht nur dein Gesicht, sondern du ganzer langer Mensch vom Fuß bis zum Scheitel sahst aus wie ein Gefäß der Freude.«
»Es ist auch schön auf der Welt!« rief Pollux, dehnte sich wohlig und streckte die Arme mit gefalteten Händen hoch über seinem Kopfe gen Himmel.
»Hat sich etwas besonders Angenehmes für dich ereignet?«
»Ist gar nicht vonnöten! Ich lebe hier in herrlicher Gesellschaft, die Arbeit fleckt und – warum sollt' ich's verhehlen? – es gab heute auch etwas Besonderes zu verzeichnen. Ich bin einer alten Bekannten wieder begegnet.«
»Einer alten?«
»Seit sechzehn Jahren kenn' ich sie schon; aber als ich sie zum erstenmal sah, da lag sie noch in den Windeln.«
»Also mehr als sechzehn, höchstens siebzehn Jahre zählt diese würdige Freundin? Ist Eros der Freund des Glücklichen oder kommt das Glück erst in seinem Gefolge?«
Während der Baumeister diese Frage nachdenklich vor sich hin sprach, lauschte Pollux aufmerksam auf und sagte:
»Was mag zu so später Stunde da draußen vorgehen? Hörst du nicht das tiefe Gebell eines großen Hundes zwischen dem hohen Gekläff der drei Grazien?«
»Titianus bringt den Baumeister aus Rom,« sagte Pontius erregt. »Ich gehe ihm entgegen. Und noch eins, mein Freund! Auch du hast eine alexandrinische Zunge. Hüte dich, in Gegenwart des Römers über die künstlerischen Leistungen des Kaisers zu spotten. Der Mann, der da kommt, ich wiederhole es, ist uns allen überlegen, und nichts mir tiefer zuwider, als wenn Kleine sich in die Brust werfen, weil sie an großen Männern ein wundes Stellchen gefunden zu haben meinen, das zufällig an ihrem eigenen winzigen Leibe gesund ist. Der Künstler, den ich erwarte, ist groß; doch Kaiser Hadrian ist noch weit größer. Nun geh hinter deine Schranken zurück, und morgen will ich dein Gast sein.«
Elftes Kapitel
Pontius warf das Pallium über den Chiton, den er bei der Arbeit zu tragen pflegte, und ging dem Beherrscher der Welt, von dessen Ankunft er durch den Brief des Präfekten unterrichtet worden war, entgegen. Er war dabei völlig ruhig, und wenn das Herz ihm schneller schlug als sonst, so geschah es nur, weil er sich freute, dem wunderbaren Manne, dessen Persönlichkeit einen tiefen Eindruck auf ihn gemacht hatte, wieder zu begegnen.
In dem Bewußtsein, was in seinen Kräften stand, getan zu haben und keinen Tadel zu verdienen, schritt er durch die Vorräume und das Haupttor des Palastes in den Hof hinaus, auf dem viele Sklaven beim Fackellicht mit dem Legen von neuen marmornen Fliesen beschäftigt waren.
Weder diese Leute noch ihre Aufseher hatten acht auf das Hundegebell und das laute Reden, das sich seit kurzer Zeit neben dem Wächterhäuschen hören ließ; denn es war den Arbeitern und ihren Führern eine besondere Belohnung in Aussicht gestellt worden, wenn sie bis zu einer gewissen Zeit ein begrenztes Stück des neuen Pflasters zur Zufriedenheit des Baumeisters vollendet haben würden.
Niemand ahnte, wem die tiefe Männerstimme angehörte, die vom Tore her über den Hof klang.
Der Kaiser war von widrigen Winden aufgehalten worden und erst kurz vor Mitternacht im Hafen eingelaufen.
Er begrüßte den auf ihn wartenden Titianus als lieben alten Freund mit von Herzen kommender Wärme und bestieg mit ihm und Antinous sogleich den Wagen des Präfekten, während der Geheimschreiber Phlegon, der Arzt Hermogenes und der Sklave Mastor mit dem Gepäck, zu dem auch Feldbetten gehörten, auf einem anderen Fuhrwerke ihm folgen sollten.
Die Hafenwächter stellten sich dem in großer Eile in der dunklen Straße dahinsausenden Wagen und der ungeheuren, die Ruhe der Nacht mit ihrem Gebell störenden Dogge unmutig entgegen; sobald sie aber Titianus erkannten, traten sie ehrerbietig zur Seite.
Der Torhüter und sein Weib waren, gehorsam der Mahnung des Präfekten, wach geblieben, und sobald der Sänger den Wagen, der den Kaiser trug, nahen hörte, eilte er an die Pforte des Palastes und öffnete sie.
Das aufgerissene Pflaster und die mit seiner Erneuerung beschäftigten Leute nötigten Titianus und seinen Begleiter, hier von dem Fuhrwerk zu steigen und hart an dem Torwärterhäuschen vorüberzugehen.
Hadrian, von dem nichts unbemerkt blieb, was auf seinen Wegen der Beachtung wert zu sein schien, blieb vor der weit geöffneten Tür der Wohnung Euphorions stehen und blickte in den freundlichen, mit Blumen und Vögeln und der Apollostatue geschmückten Raum, auf dessen Schwelle Frau Doris in ihrem neuesten Gewande den Präfekten erwartete. Titianus begrüßte sie herzlich; denn er war gewöhnt, so oft er auf die Lochias kam, manches heitere und kluge Wort mit ihr zu tauschen.
Die kleinen Hunde waren schon in ihre Körbchen gekrochen; sobald sie aber die fremde Dogge witterten, stürzten sie mit lautem Gekläffe an ihrer Herrin vorbei ins Freie, und so sah sich Frau Doris gezwungen, während sie den Gruß ihres freundlichen Gönners erwiderte, Euphrosyne, Aglaja und Thalia mehr als einmal bei ihren schönen Namen zu rufen.
»Prächtig, prächtig!« rief Hadrian und wies in das Häuschen. »Ein Idyll, ein reines Idyll. Wer hätte solchen lachenden Friedenswinkel in der unruhigsten, geschäftigsten Stadt des Reiches zu finden erwartet!«
»Ich und Pontius waren auch überrascht über dies Nestchen und ließen es darum unangetastet,« sagte der Präfekt.
»Verständige Leute verstehen einander, und ich weiß euch Dank für die Schonung dieses Häuschens,« entgegnete der Kaiser. »Welches Omen, welche günstige, überaus günstige Vorbedeutung das ist! Die Grazien empfangen uns hier in dem alten Gemäuer; Aglaja, Euphrosyne, Thalia!«
»Freue dich, Herr,« rief nun Doris dem Präfekten entgegen.
»Wir kommen spät,« sagte Hadrian.
»Das schadet nichts,« lachte die Alte. »Hier auf der Lochias haben wir seit einer Woche ohnehin verlernt, Tag und Nacht zu unterscheiden, und das Gute kommt niemals zu spät.«
»Ich bringe heute auch einen vortrefflichen Gast mit,« sagte Titianus, »den großen römischen Baumeister Claudius Venator. Erst vor wenigen Minuten ist er dem Schiff entstiegen.«
»So wird ein Schluck Wein ihm wohltun. Wir haben guten mareotischen weißen aus dem am See gelegenen Garten meiner Tochter im Hause. Wenn dein Freund bescheidenen Leuten die Ehre erweisen will, so bitte ich ihn, bei uns einzutreten. Nicht wahr, Herr, sauber ist es bei uns, und des Bechers, den ich ihm reiche, braucht sich der Kaiser selbst nicht zu schämen. Wer weiß, was ihr da oben in dem schrecklichen Wirrwarr findet.«
»Ich folge deiner Einladung gern, mein Mütterchen,« gab Hadrian zurück. »Man sieht es dir an, daß du uns gern bewirtest, und man könnte dich um dein Häuschen beneiden.«
»Wenn Kletterrosen und Geißblatt erblühen, wird es noch hübscher,« entgegnete Doris und füllte den Becher. »Hier ist auch das Wasser für die Mischung.«
Der Kaiser ergriff den von Pollux geschnitzten Pokal, sah ihn in voller Bewunderung an und sagte, bevor er ihn an die Lippen führte:
»Ein Meisterwerk, Mutter. Woraus soll hier der Kaiser trinken, wenn die Torhüter sich solcher Gefäße bedienen? Wer verfertigte diese vortreffliche Arbeit?«
»Mein Sohn hat ihn in freien Stunden für mich geschnitzt!«
»Er ist ein tüchtiger Bildhauer,« fügte Titianus ergänzend hinzu.
Nachdem der Kaiser mit großem Behagen den Becher halb geleert hatte, stellte er ihn auf den Tisch und sagte: »Ein ausgezeichneter Trank! Ich danke dir, Mutter.«
»Und ich dir, daß du mich Mutter nennst. Es gibt keinen schöneren Titel für eine Frau, die gute Kinder heranzog, und ich habe deren drei, die sich sehen lassen können.«
»So wünsch' ich dir Glück zu ihnen, mein Mütterchen,« entgegnete der Kaiser. »Wir sehen uns wieder; denn ich bleibe einige Tage hier auf der Lochias.«
»Jetzt, in diesem Getreibe?« fragte Doris.
»Dieser große Baumeister,« sagte Titianus erklärend, »soll den vortrefflichen Pontius unterstützen.«
»Der braucht keine Hilfe!« rief die Alte. »Der ist ein Mann vom besten Schlage. Seine Umsicht und Tatkraft, sagt mein Sohn, wären ohnegleichen. Ich habe ihn auch selbst befehlen sehen und kenne meine Leute.«
»Und was hat dir an ihm besonders gefallen?« fragte Hadrian, den die unbefangene Art der klugen Frau ergötzte.
»Er verliert keinen Augenblick die Ruhe in dieser Hast, spricht kein Wort zu viel oder zu wenig, kann streng sein, wo es not tut, und ist gegen Geringere freundlich. Was er als Künstler vermag, das verstehe ich nicht zu würdigen, aber ganz sicher weiß ich, daß er ein rechter, tüchtiger Mann ist.«
»Ich kenne ihn selbst,« sagte der Kaiser, »und du schilderst ihn richtig; doch er ist mir strenger erschienen.«
»Weil er ein Mann ist, muß er auch hart sein können; doch er ist es nur, wo es not tut, und wie gütig er sein kann, das zeigt er uns täglich. Man macht sich seine eigenen Gedanken, wenn man häufig allein ist, und das habe ich bemerkt: wer sich abweisend und herb gegen Geringere benimmt, der ist selbst nichts Hohes; denn er hält es für nötig, der Gefahr vorzubeugen, daß man ihn für ebenso klein hält wie den Armen, mit dem er verkehrt. Wer was Rechtes ist, der weiß, daß man's ihm ansieht, auch wenn er unsereinen wie seinesgleichen behandelt. Pontius tut es, und der edle Statthalter Titianus und du, der du sein Freund bist, nicht minder. Es ist schön, daß du herkamst; doch, wie gesagt, der Baumeister oben wird auch ohne dich fertig.«
»Du scheinst meine Tüchtigkeit nicht eben hoch anzuschlagen: das tut mir leid; denn du hast mit offenen Augen gelebt und die Menschen gut beurteilen lernen.«
Da schaute Doris den Kaiser mit den freundlichen Augen klug und prüfend an und entgegnete in zuversichtlichem Tone: »Du – du bist etwas Großes, und es kann sein, daß dein Auge manches sieht, was Pontius entgeht. Es gibt einige Wenige, mit denen es die Musen besonders gut meinen, und zu ihnen wirst du gehören.«
»Was führt dich auf diese Vermutung?«
»Ich erkenne es an deinem Blicke, an deiner Stirn.«
»Seherin!«
»Nein, ich bin nichts dergleichen; doch ich bin eine Mutter, die zwei Söhne hat, denen die Himmlischen auch etwas Besonderes verliehen, das ich nicht zu beschreiben vermöchte. Bei ihnen sah ich's zuerst, und wo ich es dann bei anderen Künstlern und Menschen wiederfand, da waren's die größten in ihrem Kreise. Du aber, daß du in dem deinigen die anderen hoch überragst, darauf möchte ich schwören!«
»Nimm's nicht zu leicht mit dem Eide,« lachte der Kaiser. »Wir reden noch mehr miteinander, mein Mütterchen, und beim Abschied will ich dich fragen, ob du dich nicht dennoch in mir getäuscht hast. Komm nun, Telemachus, dich scheinen die Vögel dieser Frau besonders zu freuen!«
Diese heitere Frage richtete sich an Antinous, der von einem Käfig an den anderen getreten war und die schlafenden gefiederten Lieblinge der Alten neugierig und mit Vergnügen betrachtete.
»Ist das dein Sohn?« fragte Doris und wies auf den Jüngling.
»Nein, Mutter. Er ist nur mein Schüler; aber ich halte ihn, als wär' er mein Kind.«
»Ein schöner Bursch!«
»Seh einer! Unsere Alte schaut noch den Jünglingen nach.«
»Das lassen wir nicht bis zum hundertsten Jahr oder bis uns die Parze den Lebensfaden zerschneidet.«
»Welches Bekenntnis!«
»Laß mich nur zu Ende reden. Wir verlernen es nie, uns an schönen jungen Gesellen zu freuen! Aber nur solange wir jung sind, fragen wir, was sie uns etwa gewähren könnten; im Alter genügt es uns völlig, ihnen Freundliches zu erweisen. Hörst du, junger Herr, du findest mich immer hier, wenn du etwas brauchst, womit ich dir dienen kann. Wie eine Schnecke bin ich und verlasse nur selten mein Häuschen.«
»Auf Wiedersehen!« rief Hadrian und betrat mit den Begleitern den Hof.
Hier galt es, auf dem gelockerten Pflaster einen Halt für die Füße zu finden.
Titianus schritt dem Kaiser und Antinous voran, und es konnten nur wenige Worte des Wohlgefallens über diese erste freundliche Begegnung zwischen dem Herrscher und seinem Statthalter gewechselt werden.
Hadrian schritt behutsam vorwärts und lächelte dabei voller Befriedigung vor sich hin.
Das Urteil der schlichten, klugen Frau aus dem Volke hatte ihm größeres Vergnügen bereitet als die schwülstigen Lieder, in denen Mesomedes und seinesgleichen ihn besangen, und die Schmeichelworte, mit denen Sophisten und Rhetoren ihn zu überschütten pflegten.
Die Alte hielt ihn für einen einfachen Künstler. Sie konnte nicht wissen, wer er sei, und erkannte dennoch – oder war Titianus unvorsichtig gewesen?
Wußte oder vermutete das Weib, mit wem sie es zu tun hatte?
Hadrians äußerst mißtrauischer Geist ließ ihm keine Ruhe. Er begann die Worte der Torhütersfrau für eingelernt, ihre Bewillkommnung für eine Veranstaltung zu halten, und indem er plötzlich stehenblieb, ersuchte er den Präfekten, ihn zu erwarten, Antinous aber, mit dem Hunde zurückzubleiben.
Er selbst kehrte um, näherte sich von neuem der Torwächterwohnung und schlich sich in sehr unfürstlicher Weise zu ihr heran.
Vor der immer noch weit geöffneten Tür des Häuschens blieb er stehen und horchte auf das Gespräch, das Frau Doris mit ihrem Gatten führte. »Ein stattlicher Mann,« sagte Euphorion, »er gleicht dem Kaiser ein wenig.«
»Doch nicht,« entgegnete Doris. »Denke nur an das Standbild Hadrians im Paneumsgarten: das sieht unzufrieden und spöttisch drein, und der Baumeister hat wohl eine ernste Stirn, doch aus seinen Zügen leuchtet lauter freundliche Güte. Nur wegen des Bartes denkt man, wenn man den einen sieht, an den andern. Hadrian könnte sich freuen, wenn er aussähe wie der Gast des Präfekten.«
»Ja, der ist auch schöner – wie soll ich sagen, ist den Göttern ähnlicher als das kalte, marmorne Standbild,« deklamierte Euphorion. »Ein großer Herr ist er gewiß, aber doch auch ein Künstler. Ob man ihn nicht durch Pontius, Papias, Aristeas oder einen der großen Maler veranlassen könnte, in unserer Gruppe beim Festspiele den Seher Kalchas zu spielen? Er würde ihn anders zur Darstellung bringen als der dürre Elfenbeinschnitzer Philemon. Reiche mir meine Laute. Ich habe den Anfang der letzten Verse schon wieder vergessen. Oh, dieses Gedächtnis! Ich danke!«
Euphorion griff kräftig in die Saiten und sang mit der gut geschulten Stimme, die immer noch von erträglichem Wohlklang:
»›Sabina, Heil dir, Sabina! – Heil und siegreiches Heil der gewaltigen Göttin Sabina!‹ Wäre Pollux nur hier, der brächte mich wieder auf die richtigen Worte. ›Heil und siegreiches Heil der hundertfachen Sabina.‹ – Unsinn: ›Heil und göttliches Heil der siegesgewissen Sabina.‹ Auch so war es nicht! Wenn ein Krokidil diese Sabina verschlingen wollte, ich gäbe ihm gern den frischen Kuchen dort auf der Schüssel zum Nachtisch! Aber halt, nun hab' ich's! ›Heil und hundertfach Heil der gewaltigen Göttin Sabina.‹«
Hadrian hatte genug gehört.
Während Euphorion seinen Vers zwanzig- und mehrmal dem widerspenstigen Gedächtnis einzuprägen versuchte, wandte er dem Wächterhäuschen den Rücken, und indem er sich mit den Begleitern nicht ohne Mühe den Weg durch die hier und da am Boden kauernden Arbeiter suchte, klopfte er Titianus mehr als einmal auf die Schulter und rief, nachdem er die Begrüßung des Baumeisters Pontius entgegengenommen:
»Ich segne meinen Entschluß, schon jetzt hieher zukommen! Ein guter Abend, ein ganz vortrefflicher Abend!«
Seit Jahren hatte der Kaiser sich nicht so sorglos und heiter gefühlt wie heute, und als er trotz der späten Stunde die Arbeiter noch überall tätig fand und sah, was in dem alten Palaste schon alles hergestellt war und seiner Erneuerung entgegenging, gab der rastlose Mann seiner Zufriedenheit Ausdruck, indem er Antinous zurief:
»Hier kann man sehen, daß auch in unserer nüchternen Zeit durch guten Willen, Fleiß und Geschick große Wunder geschehen können. Erkläre mir, wie du dies Ungeheuer von einem Gerüst konstruiert hast, mein Pontius!«
Zwölftes Kapitel
Dem heiteren Einzuge des Kaisers in seine halbfertige Wohnung auf der Lochias sollten noch andere gute Nachtstunden folgen.
Pontius schlug ihm vor, mehrere wohlerhaltene Zimmer, die ursprünglich für die Herren seines Gefolges bestimmt worden waren und von denen eins einen freien Ausblick auf den Hafen, die Stadt und die Insel Antirrhodus gewährte, vorläufig für seine Aufnahme einrichten zu lassen.
Dank der Umsicht des Baumeisters, den geübten Händen des Sklaven Mastor und den vielen auf der Lochias tätigen, zu jeder Dienstleistung geschickten Arbeitern, war schnell für die nächtliche Ruhe Hadrians und seiner Begleiter gesorgt.
Das gute Lager, das der Präfekt für Pontius auf die Lochias gesandt hatte, ward in das Schlafgemach des Kaisers gebracht, und in anderen Kammern standen bald die Feldbetten für Antinous und das Gefolge.
Tische, Polster und mancherlei Gerät, das alexandrinische Fabriken bereits abgeliefert hatten und noch unausgepackt in Ballen und Kisten in dem großen Mittelhofe des Palastes lagerte, wurde rasch, soweit es verwendbar war, in den schnell ausgestatteten Zimmern aufgestellt.
Bevor Hadrian noch unter Führung des Präfekten das letzte Zimmer, in dem die Herstellungsarbeiten vorgenommen wurden, besichtigt hatte, war Pontius mit seinen Anordnungen fertig und konnte dem Kaiser die Versicherung erteilen, daß er heute schon ein gutes Lager und ein erträgliches Unterkommen, morgen aber recht artig ausgestattete Zimmer finden werde.
»Schön, schön, ganz vortrefflich!« rief der Herrscher, als er sein Gemach betrat. »Man sollte glauben, daß euch fleißige Dämonen beistünden. Gieße mir Wasser über die Hände, Mastor, und dann zur Mahlzeit! Mich hungert wie den Hund eines Bettlers.«
»Ich denke, wir finden, was du brauchst,« entgegnete Titianus, während Hadrian sich die Hände und das bärtige Gesicht wusch. »Hast du alles verzehrt, was wir dir heute auf die Lochias sandten, mein Pontius?
»Leider ja,« entgegnete dieser seufzend.
»Aber ich hatte befohlen, dir eine Mahlzeit für fünf Männer zu senden.«
»Sie hat sechs hungrige Künstler gesättigt,« gab der Baumeister zurück. »Hätt' ich nur ahnen können, für wen das viele Essen bestimmt war! Was ist nun zu machen? Wein und Brot steht wohl noch in der Musenhalle; indessen –«
»Das muß auch genug sein,« erwiderte der Kaiser und trocknete das Antlitz. »Im dazischen Kriege, in Numidien und auf mancher Jagd war ich froh, wenn es dem hungrigen Magen nicht an dem einen oder andern gebrach.«
Antinous, der sehr müde und hungrig war, machte bei diesem Bekenntnis ein betrübtes Gesicht.
Als Hadrian dies wahrnahm, sagte er lächelnd:
»Die Jugend braucht mehr als Brot und Wein, um zu leben. Ihr zeigtet mir ja vorhin den Eingang zu der Wohnung des Palastverwalters. Sollte man bei ihm kein Stück Fleisch, keinen Käse oder dergleichen finden?«
»Schwerlich, entgegnete Pontius; »denn der Mann stopft den großen Magen und seine acht Kinder mit Brot und Mehlbrei. Aber ein Versuch würde sich immerhin lohnen.«
»So sende zu ihm; uns aber führe sogleich in den Saal, woselbst die Musen Brot und Wein, die sie ihren Jüngern nicht immer gewähren, für mich und diesen da aufbewahren.«
Pontius führte den Kaiser sogleich in die Halle.
Auf dem Wege dorthin fragte Hadrian:
»Ist der Verwalter so elend gestellt, daß er gezwungen ist, sich mit so magerer Kost zu begnügen?«
»Er hat freie Wohnung und monatlich zweihundert Drachmen.«
»Das ist nicht so gar wenig. Wie heißt der Mann und wes Geistes Kind ist er?«
»Er heißt Keraunus und ist von alter mazedonischer Herkunft. Seine Vorfahren bekleideten seit unvordenklicher Zeit das Amt, dem er vorsteht, und er bildet sich sogar ein, durch irgendeine Geliebte eines Lagiden mit dem ausgestorbenen Königsgeschlechte verwandt zu sein. Keraunus sitzt im Rate der Bürger und geht nie ohne seinen Sklaven, der zu denen gehört, die die Händler den Käufern auf dem Markte zugeben, auf die Straße. Er ist dick wie ein gemästeter Hamster, kleidet sich wie ein Senator, ist ein Freund von Altertümern und Raritäten, die er sich für seine letzten Groschen aufhängen läßt, trägt seine Armut mit mehr Hochmut als Würde, ist aber ein ehrlicher Mann, der sich auch brauchen läßt, wenn man ihn richtig anfaßt.«
»Also ein seltsamer Bursch. Du sagst, er sei dick. Ist er heiter?«
»Nichts weniger als das.«
»Fette und mürrische Leute sind mir zuwider. Was ist das für ein Verschlag hier in der Halle?«
»Hinter diesen Schranken arbeitet der beste Schüler des Papias. Er heißt Pollux und ist der Sohn des Torhüterpaares. Er wird dir gefallen.«
»Rufe ihn an,« bat der Kaiser.
Bevor noch der Baumeister dem Geheiß willfahren konnte, tauchte über den Schranken der Kopf des Bildhauers hervor.
Der junge Mann hatte die Stimmen und Schritte der Nahenden vernommen, grüßte den Präfekten von seiner hohen Stellung aus ehrerbietig und wollte, nachdem er seine Neugier befriedigt hatte, wieder von dem Gestell, auf das er gestiegen war, herunterspringen, als Pontius ihm zurief, der Baumeister Claudius Venator aus Rom wünsche ihn kennen zu lernen.
»Das ist freundlich von ihm und mehr noch von dir,« rief Pollux hernieder; »denn nur durch dich kann er wissen, daß ich unter dem Monde wandle und Hammer und Meißel zu brauchen lernte. Laß mich von meinem vierbeinigen Kothurn steigen, Herr; denn jetzt mußt du zu mir hinaufsehen, und nach dem, was Pontius mir von deinem Können erzählte, dürfte es nichts Verkehrteres geben.«
»Bleibe nur, wo du bist,« entgegnete Hadrian. »Unter Kunstgenossen bedarf es keiner Förmlichkeiten. – Was machst du da drin?«
»Ich schiebe gleich die eine Schranke zurück, um dir unsere Urania zu zeigen. Es tut gut, von einem Manne, der das Ding ernstlich versteht, ein Urteil zu hören.«
»Nachher, Freund, nachher; erst laß mich einen Bissen Brot genießen; denn die Grausamkeit meines Hungers könnte sich leicht auf mein Urteil übertragen.«
Der Baumeister reichte dem Kaiser während dieser Bemerkung eine Tafel mit Brot, Salz und einem Becher Wein, die ihm sein Sklave überbracht hatte.
Als Pollux diese spärliche Mahlzeit erblickte, rief er hinunter:
»Das ist ja Gefangenenkost, Pontius. Haben wir denn gar nichts weiter im Hause?«
»Vermutlich hast du mitgeholfen, die guten Schüsseln, die ich dem Baumeister sandte, zu vertilgen,« entgegnete der Präfekt und drohte Pollux mit dem Finger.
»Du trübst eine süße Erinnerung,« seufzte der Bildhauer mit komischer Wehmut. »Aber, beim Herkules, ich habe das Meine bei dem Vernichtungswerke getan. Wenn man nur – Halt! Da kommt mir ein Gedanke, der des Aristoteles würdig. Das Frühstück, zu dem ich dich auf morgen einlud, edelster Pontius, steht fertig bei meiner Mutter und kann in wenigen Minuten aufgewärmt werden. Erschrick nicht, Herr, es handelt sich um Kohl mit Würstchen, eine Speise, die wie die Seele eines Ägypters im Zustand der Auferstehung edlere Eigenschaften besitzt, als wenn sie zum ersten Male das Licht sieht.«
»Vortrefflich,« rief Hadrian, »Kohl mit Würstchen.«
Schmunzelnd wischte er mit der Hand die vollen Lippen und lachte laut auf, als er das aus dem Kerzen kommende freudige »Ah!« des Antinous vernahm, der näher zu den Schranken herantrat.
»Auch ein Gaumen und Magen kann in beglückenden Zukunftsbildern schwelgen,« rief der Kaiser dem Präfekten zu, indem er auf den Liebling hinwies. Doch er hatte den frohen Ruf des Knaben falsch gedeutet; denn der Name des einfachen Gerichts, das die Mutter des Günstlings in Bithynien oft auf den Tisch ihres schlichten Hauses gestellt hatte, erinnerte Antinous an die Heimat und Kindheit und versetzte ihn mitten unter die Seinen. Eine schnelle Bewegung des Herzens, nicht nur ein lüsterner Reiz des Gaumens hatte ihm das »Ah!« auf die Lippen gedrängt. Und doch freute er sich auf die heimische Speise, und er hätte sie nicht für das köstlichste Gastmahl hergeben mögen.
Pollux war indes aus der Umhegung hervorgetreten und sagte:
»In einer Viertelstunde bin ich mit meinem in eine Abendmahlzeit verwandelten Frühstück bei euch. Vertreibt nur den gröbsten Hunger mit dem Brot und dem Salz; denn das Kohlgericht meiner Mutter sättigt nicht nur, es will auch mit ruhigem Verständnis genossen werden.«
»Grüße Frau Doris,« rief Hadrian dem Bildhauer nach, und als Pollux die Halle verlassen hatte, sagte er, indem er sich an Titianus und Pontius wandte:
»Ein prächtiger Junge. Ich bin neugierig, zu sehen, was er als Künstler leistet.«
»So folge mir,« entgegnete Pontius und führte Hadrian hinter die Schranken.
»Was sagst du zu dieser Urania? Das Haupt der Muse hat Papias gemacht, den Körper und die Gewandung formte Pollux mit eigener Hand in wenigen Tagen.«
Der kaiserliche Künstler stellte sich mit gekreuzten Armen der Statue gegenüber und blieb lange schweigend vor ihr stehen.
Dann nickte er beifällig mit dem bärtigen Haupte und sagte ernst:
»Ein tiefdurchdachtes und mit wunderbarer Freiheit hingeworfenes Werk. Dieses über die Brust zusammengezogenen Mantels brauchte sich kein Phidias zu schämen. Alles groß, eigentümlich und wahr! Hat der junge Meister seine Modelle hier auf der Lochias benützt?«
»Ich habe keins gesehen und möchte glauben, daß er die Figur aus dem Kopfe modellierte,« entgegnete Pontius.
»Unmöglich, völlig unmöglich!« rief der Kaiser im Tone des Kenners, der seiner Sache gewiß ist. »Solche Linien, solche Flächen wäre kein Praxiteles zu erfinden fähig gewesen. Sie müssen geschaut, müssen gegenüber dem frischen Anblick des Lebens geformt sein. Wir werden ihn fragen. Was soll aus dieser neu aufgebauten Tonmasse werden?«
»Vielleicht die Büste einer Fürstin aus dem Hause der Lagiden. Du wirst morgen einen Berenicekopf von unserem jungen Freunde sehen, der mir zu dem Besten zu gehören scheint, was je in Alexandria gemacht ward.«
»Versteht sich dieser Bursch auf magische Künste?« fragte Hadrian. »Diese Urania und einen durchgeführten Frauenkopf in wenigen Tagen fertigzustellen, ist einfach unmöglich.«
Pontius teilte dem Kaiser nun mit, daß Pollux den Gipskopf auf ein vorhandenes Bruststück gesetzt habe, und verriet ihm, indem er seine Fragen ohne Rückhalt beantwortete, welche Kunstgriffe angewandt worden seien, um dem vernachlässigten Gebäude ein schickliches und in seiner Weise glänzendes Aussehen zu geben.
Er bekannte frei, hier nur auf den Schein hin zu arbeiten, und sprach mit Hadrian durchaus ebenso, wie er mit jedem andern Kunstgenossen über den gleichen Gegenstand geredet haben würde.
Während der Kaiser und der Baumeister sich in dieser Weise eifrig unterhielten und der Präfekt sich von dem Geheimschreiber Phlegon erzählen ließ, was sie auf ihrer Reise erlebt hatten, erschien Pollux mit seinem Vater in der Musenhalle.
Der Sänger trug auf einer Schüssel ein dampfendes Gericht, frischen Kuchen und die Pastete, die er vor wenigen Stunden seiner Frau von der Tafel des Baumeisters heimgebracht hatte.
Pollux drückte einen ziemlich großen, doppelt gehenkelten Krug mit mareotischem Wein an die Brust, um den er schnell grüne Efeuranken geschlungen.
Wenige Minuten später lag der Kaiser auf einem für ihn aufgestellten Polster und griff tapfer in das schmackhafte Gericht. Er war in der glücklichsten Stimmung, rief Antinous, den Arzt und den Geheimschreiber zu sich heran, legte mit eigener Hand tüchtige Portionen auf die Teller, die sie ihm hinreichen mußten, und versicherte dabei, er tue das, damit sie ihm nicht die leckersten Würstchen aus dem Kohl fischen möchten.
Auch dem mareotischen Wein sprach er wacker zu.
Als er dann an die Öffnung der Pastete ging, änderte sich der Ausdruck seiner Züge.
Er runzelte die Stirn und fragte den Präfekten mißtrauisch, ernst und streng:
»Wie kommen diese Leute zu solchem Gericht?«
»Woher hast du diese Pastete?« verlangte der Präfekt von dem Sänger zu wissen.
»Von dem Gastmahl, das der Baumeister heute den Künstlern gab,« antwortete Euphorion. »Die Knochen wurden den Grazien, diese unangerührte Schüssel mir selbst für meine Frau überlassen. Sie widmet sie mit Vergnügen dem Gaste des Pontius.«
Titianus lachte und tief:
»So also erklärt sich das völlige Verschwinden der reichlichen Mahlzeit, die wir dem Baumeister sandten. Diese Pastete – darf ich sie ansehen? – diese Pastete ward nach der Angabe des Verus bereitet. Er lud sich gestern zu uns zum Frühstück und hat meinen Koch gelehrt, sie zu bereiten.«
»Kein Platoniker kann eifriger die Lehre seines Meisters verbreiten als Verus die Vorzüge dieses Gerichtes,« sagte der Kaiser, der die Heiterkeit wiederfand, sobald er sah, daß auch hier an keine künstliche Veranstaltung gedacht werden konnte. »Was dies verzogene Glückskind für Torheiten treibt! Kocht er jetzt gar mit eigenen Händen?«
»Das nicht,« entgegnete der Präfekt. »Er ließ sich nur ein Polster in die Küche schaffen, streckte sich lang aus und gab nun meinem Koch an, wie er diese Pastete bereiten müsse, die ja auch dir – ich wollte sagen, die der Kaiser besonders gern essen soll. Sie besteht aus Fasan, Schinken, Euter und röschem Teig.«
»Ich teile den Geschmack Hadrians,« lachte der Kaiser und tat dem guten Gericht alle Ehre an. »Ihr bewirtet mich köstlich, meine Freunde, und macht mich zu eurem Schuldner. – Wie heißt du gleich, junger Mann?«
»Pollux.«
»Deine Urania, Pollux, ist eine gute Arbeit, und Pontius sagt, du hättest den Mantel ohne Modell vollendet. Das ist indes einfach unmöglich – ich wiederhol' es.«
»Und zwar mit gutem Rechte. Ein Mädchen hat mir gestanden.«
Der Kaiser sah den Baumeister an, als wollte er sagen: Da siehst du! Pontius aber fragte erstaunt:
»Wann denn? Ich sah hier nie ein weibliches Wesen.«
»Neulich.«
»Aber ich habe die Lochias keine Minute verlassen, bin nie vor Mitternacht zur Ruhe gegangen und war längst vor dem Aufgang der Sonne wieder auf den Beinen.«
»Zwischen deinem Einschlafen und Erwachen lagen indes immerhin einige inhaltreiche Stunden,« entgegnete Pollux.
»Die Jugend, die Jugend!« rief der Kaiser, und ein faunisches Lächeln trat ihm auf die Lippen. »Trenne Damon und Phyllis durch eiserne Tore, und durch die Schlüssellöcher finden sie den Weg zueinander!«
Euphorion sah bedenklich auf den Sohn hin, der Baumeister unterdrückte kopfschüttelnd weitere Fragen, Hadrian aber erhob sich vom Lager, gestattete Antinous und dem Geheimschreiber freundlich, zur Ruhe zu gehen, bat Titianus so gütig wie dringend, heimzukehren und seine Gattin zu grüßen, und forderte Pollux auf, ihn hinter seine Schranken zu führen; denn er sei nicht müde und gewohnt, sich mit wenigen Stunden Schlaf zu begnügen.
Der Bildhauer fühlte sich von dem gewaltigen Manne mächtig angezogen.
Es war ihm nicht entgangen, wie sehr der graubärtige Fremde dem Kaiser glich; Pontius aber hatte ihn auf diese Ähnlichkeit vorbereitet, und es lag doch manches in den Augen und um den Mund des römischen Architekten, das er auf keinem Bildnisse des Imperators gefunden. Gegenüber seiner kaum vollendeten Bildsäule wuchs seine Achtung vor dem neuen Gaste der Lochias; denn er wies ihn mit ernster Freimütigkeit auf einige Fehler hin, und indem er die Vorzüge der schnell entstandenen Bildsäule lobte, legte er in kurzen, kernigen Sätzen dar, wie er selbst das Wesen der Urania auffasse.
Dann entwickelte er knapp und klar, wie der plastische Künstler nach seiner Ansicht sich gegenüber seinen Aufgaben zu verhalten habe.
Das Herz des jungen Mannes begann schneller zu schlagen und mehrmals überlief es ihn kalt und heiß; denn von den bärtigen Lippen dieses gewaltigen Mannes hörte er in wohltönenden und verständlichen Worten Dinge aussprechen, die er oftmals geahnt und dunkel empfunden, für die er aber lernend, beobachtend und schaffend niemals nach einem Ausdruck gesucht hatte.
Und wie freundlich nahm der große Meister seine schüchternen Bemerkungen auf, wie schlagend wußte er ihnen zu entgegnen.
Solchem Manne war er noch nie begegnet, so willig hatte er sich noch nie vor der Überlegenheit und Übermacht eines anderen Geistes gebeugt.
Die zweite Stunde nach Mitternacht war angebrochen, als Hadrian vor der roh angelegten Tonbüste stehen blieb und Pollux fragte:
»Was wird das?«
»Ein Frauenbildnis,« lautete die Antwort.
»Etwa das deines mutigen Modells, das sich in der Nacht auf die Lochias wagt?«
»Nein, eine vornehme Dame will mir sitzen.«
»Aus Alexandria?«
»O nein. Eine Schöne aus dem Gefolge der Kaiserin.«
»Wie heißt sie? Ich kenne die Römerinnen alle.«
»Balbilla.«
»Balbilla? Es gibt mehrere dieses Namens. Wie sieht die aus, die du meinst?« fragte Hadrian mit einem schelmisch lauernden Blicke.
»Das ist leichter gefragt als gesagt,« entgegnete der Künstler, der, als er den ernsten Graubart lächeln sah, die heitere Lebendigkeit wiederfand. »Aber warte! Du hast doch Pfauen gesehen, die ein Rad schlagen? Denke dir nun, jedes Auge im Schwanz des Vogels der Hera wäre ein rundes, zierliches Löckchen, und setze unter das Rad ein reizendes, kluges Mädchengesicht mit einer lustigen kleinen Nase und einer etwas zu hohen Stirn, dann hast du das Bild des vornehmen Frauenzimmers, das mir gestatten will, seine Büste zu formen.«
Hadrian lachte hell auf, warf das Pallium ab und rief:
»Tritt zurück! Ich kenne das Mädchen, und wenn ich eine falsche meine, so sollst du es sagen.«
Noch während er diese Worte sprach, hatte er mit den nervigen Händen in den gefügigen Ton gegriffen, und wie ein gut geschulter Bildhauer, knetend und formend, abreißend und zusetzend, bildete er ein Frauengesicht mit einem gewaltigen Lockengebäu, das Balbilla gleichsah, aber jede ihrer besonders ins Auge fallenden Eigenheiten so fratzenhaft übertrieben wiedergab, daß Pollux sich vor Vergnügen nicht zu halten wußte.
Als Hadrian endlich von dem gelungenen Zerrbilde zurücktrat und ihn aufforderte, zu erklären, ob das die Römerin sei, die er meine, rief Pollux:
»Sie ist es so sicher, wie du nicht nur ein großer Baumeister, sondern auch ein vortrefflicher Bildhauer bist. Grob ist das Ding da, aber unglaublich charakteristisch.«
Dem Kaiser schien sein plastischer Scherz große Freude zu bereiten; denn er beschaute ihn lachend wieder und wieder.
Ganz anders schien er auf den Baumeister Pontius zu wirken.
Voller Teilnahme war er dem Gespräche des Bildhauers mit Hadrian und dem Beginn seiner Arbeit gefolgt.
Später hatte er sich von ihr abgewandt; denn er haßte jene Verzerrung schöner Formen, die er oft von den Ägyptern mit besonderer Freude vornehmen sah.
Es war ihm geradezu schmerzlich, ein anmutiges, reich begabtes, wehrloses Geschöpf, mit dem er sich durch Bande der Dankbarkeit verbunden fühlte, in solcher Weise von einem Manne wie der Kaiser verunglimpft zu sehen.
Heute zum ersten Male war er Balbilla begegnet, aber er hatte durch Titianus gehört, daß sie mit der Kaiserin im Cäsareum weile, und durch den Präfekten erfahren, daß sie die Enkelin desselben Statthalters Claudius Balbillus sei, der seinem Großvater, einem gelehrten griechischen Sklaven, die Freiheit geschenkt hatte.
Mit dankbarer Teilnahme und Ergebenheit war er ihr entgegengekommen, ihr heiteres, lebhaftes Wesen hatte ihn erfreut, und bei jedem unbesonnenen Worte, das sie gesprochen, hätte er ihr so gern einen warnenden Wink gegeben, als stünde sie ihm ganz nahe durch Bande des Blutes oder eine alte, manches Recht gewährende Freundschaft.
Die herausfordernd werbende Weise, in der Verus, der leichtfertige Herzensbrecher, mit ihr verkehrt hatte, war ihm empörend und Besorgnis erregend erschienen, und nachdem der vornehme Besuch die Lochias längst verlassen, hatte er oft an sie gedacht und sich vorgenommen, wenn es anginge, offenen Auges über der Enkelin des Wohltäters seines Hauses zu wachen.
Er hielt es für seine heilige Pflicht, sie, die ihm vorkam wie ein leichter, schöner, waffenloser Singvogel, zu hüten und zu beschützen.
Des Kaisers Zerrbild wirkte auf ihn, als habe man vor seinen Augen etwas beschimpft, das heilig gehalten zu werden verdiente.
Da stand nun der ergrauende Herrscher vor seinem häßlichen Machwerke und wurde nicht müde, sich daran zu ergötzen.
Das tat Pontius weh; denn wie allen edlen Naturen war es ihm schmerzlich, etwas Kleines, Gemeines an einem Mann zu entdecken, zu dem er als zu einer gewaltigen Erscheinung hinaufgeblickt hatte.
Als Künstler durfte der Kaiser die Schönheit, als Mensch die wehrlose Unschuld nicht in solcher Weise beleidigen.
In der Seele des Baumeisters, der bisher zu den wärmsten Bewunderern des Imperators gehört hatte, machte sich eine leise Abneigung gegen ihn geltend, und er war froh, als Hadrian sich endlich zur Ruhe begab.
In seinem Schlafgemach fand der Kaiser alles, was er zu gebrauchen gewohnt war, und während sein Sklave Mastor ihn entkleidete, seine Nachtlampe anzündete und ihm die Kissen zurechtschob, sagte er:
»Der beste Abend, den ich seit Jahren erlebte. – Ist Antinous gut gebettet?«
»Wie in Rom.«
»Und der Molosser?«
»Ich lege seine Decke auf den Gang vor deine Schwelle.«
»Hat er Futter bekommen?«
»Knochen, Brot und Wasser.«
»Hoffentlich hast du selbst zu Abend gegessen?«
»Ich war nicht hungrig, und es gab ja Brot und Wein zur Genüge.«
»Morgen werden wir besser versorgt sein. Nun gute Nacht. Wägt die Worte, damit ihr mich nicht verratet. Einige Tage hier ohne Störung; es wäre köstlich!«
Bei diesem Ausruf wandte der Kaiser sich auf dem Lager um und entschlummerte bald.
Auch der Sklave Mastor legte sich zur Ruhe, nachdem er auf dem Gang vor dem Schlafzimmer des Kaisers eine Decke für die Dogge ausgebreitet hatte.
Sein Kopf lehnte sich an einen Schild von starkem Rindsleder, der sich über ein kurzes Schwert wölbte.
Dies Lager war schlecht; Mastor aber hatte seit Jahren auf keinem besseren geruht und sich doch des traumlosen Schlummers der Kinder erfreut; heute aber floh ihn der Schlaf, und von Zeit zu Zeit faßte er mit der Hand an die weit geöffneten Augen, um das salzige Naß zu trocknen, das sich wieder und wieder in sie ergoß.
Er hatte die Tränen lange Zeit tapfer genug zurückgehalten; denn der Kaiser wünschte bei seiner Bedienung nur heitere Gesichter zu sehen; ja, er hatte ihm einmal gesagt, daß er ihm wegen seiner fröhlichen Augen die Sorge für seine Person anvertraut hätte.
Der arme, muntere Mastor!
Er war nur ein Sklave, aber hatte doch auch ein Herz, das dem Leid und der Freude, der Lust und dem Kummer, dem Haß und der Liebe offen stand. In seiner Kindheit war sein Heimatsdorf den Feinden seines Stammes in die Hände gefallen.
Er und sein Bruder waren als Sklaven erst nach Kleinasien und dann, weil beide besonders hübsche, blondhaarige Buben waren, nach Rom geführt worden.
Dort hatte man sie für den Kaiser gekauft.
Mastor wurde dem persönlichen Dienste Hadrians, sein Bruder den Arbeiten in den Gärten zugewiesen.
Es gebrach beiden an nichts als an der Freiheit, und es quälte sie nichts als die Sehnsucht nach der Heimat.
Auch diese verschwand völlig, nachdem er das hübsche Töchterchen eines unfreien Aufsehers der kaiserlichen Gärten geheiratet hatte.
Es war ein lebhaftes Weibchen mit feurigen Augen, an dem niemand vorüberging, ohne sie zu bemerken.
Dem Sklaven ließ der Dienst wenig Zeit, sich an der hübschen Gefährtin und den beiden Kindern zu freuen, die sie ihm geboren; aber der Gedanke, sie zu besitzen, machte ihn glücklich, wenn er mit dem Gebieter auf die Jagd zog oder das Reich durchwanderte.
Seit sieben Monaten hatte er nichts von den Seinen gehört; zu Pelusium aber war ihm ein Brieflein zugekommen, das mit den für den Kaiser bestimmten Schreiben von Ostia nach Ägypten geschickt worden war.
Er konnte nicht lesen, und infolge der eiligen Reise des Kaisers war er erst auf der Lochias dazu gekommen, sich über seinen Inhalt zu unterrichten.
Antionus hatte ihm, bevor er sich zur Ruhe legte, den Brief, den ein öffentlicher Schreiber für seinen Bruder verfaßt hatte, vorgelesen, und sein Inhalt mußte wohl auch das Herz eines Sklaven erschüttern.
Seine hübsche, kleine Frau war aus seinem Hause und dem Dienste des Kaisers entflohen und strich mit einem griechischen Schiffsführer in der Welt herum. Sein ältester Knabe, der Liebling seines Herzens, war gestorben, und seine blondlockige, zierliche, kleine Tullia mit den weißen Zähnchen, den runden Ärmchen und den niedlichen Fingern, mit denen sie manchmal sein geschorenes Haar zu zausen versucht oder freundlich gestreichelt hatte, war in dem elenden Hause untergebracht worden, unter dessen niedrigem Dache man die Waisen verstorbener Sklaven großzog.
Noch vor zwei Stunden hatte er in seiner Vorstellung ein eigenes Heim und einen Kreis von lieben Menschen besessen; jetzt aber war das alles dahin und mit wie harter Faust ihn auch der tiefste Jammer schüttelte, durfte er doch nicht schluchzen oder laut aufstöhnen oder nur sich von der rechten auf die linke Seite werfen, wozu es ihn doch wieder und wieder ungestüm antrieb; denn sein Herr hatte einen leisen Schlaf, und jedes Geräusch konnte ihn stören.
Wie vorhin, so sollte er dem Kaiser auch beim Aufgang der Sonne heiter entgegentreten, und doch kam es ihm vor, als müßte er wie sein Heim und sein Glück selbst kläglich zugrunde gehen.
Der Schmerz riß ihm das Herz in Stücke, aber er regte sich nicht und unterdrückte das Stöhnen.
Dreizehntes Kapitel
Nicht weniger schlaflos als für den Sklaven war auch für des Palastverwalters Keraunus Tochter Selene diese Nacht vergangen.
Der eitle Wunsch ihres Vaters, Arsinoe mit den reichen Bürgerstöchtern an den für den Kaiser zu veranstaltenden Schaustellungen teilnehmen zu lassen, erfüllte ihr das Herz mit neuer Angst.
Das war der entscheidende Schlag, der das auf schwankendem Grunde stehende Gebäude ihres Scheinlebens einreißen und die Ihren und mit ihnen sie selbst in Schande und Not stürzen mußte.
Wenn das letzte Stück von einigem Werte verkauft war und die Gläubiger sich gerade während der Anwesenheit des Kaisers nicht länger zurückhalten ließen und ihren Vater auszupfänden oder ins Schuldgefängnis abzuführen kamen, war es dann nicht so gut wie gewiß, daß ein anderer seine Stelle erhielt und sie mit ihren Geschwistern dem Elend anheimfiel?
Da lag Arsinoe neben ihr und schlief mit so ruhigen, tiefen Atemzügen wie der blinde Helios und die anderen Kleinen.
Vor dem Zubettegehen hatte sie das unbesonnene Mädchen so innig und beredt, wie sie nur konnte, zu überreden versucht, gebeten und angefleht, ebenso, wie sie es getan, dem Vater bestimmt zu erklären, keinen Teil an den bevorstehenden Aufzügen zu nehmen; Arsinoe aber hatte sie zuerst unwillig zurückgewiesen, dann geweint und zuletzt trotzig erklärt, es würde sich doch vielleicht noch Rat finden, und was der Vater erlaube, das habe sie, Selene, kein Recht, ihr zu verkümmern oder gar zu verbieten. Als sie später Arsinoe so ruhig an ihrer Seite schlafen sah, hätte sie sie am liebsten aufgerüttelt; doch war sie gewohnt, alle Sorgen des Hauses allein zu tragen und von ihrer Schwester unwillig abgewiesen zu werden, wenn sie es versuchte, sie zu ermahnen, daß sie es unterließ.
Arsinoe hatte ein gutes, weiches Herz; aber sie war jung und schön und eitel.
Mit zärtlichem Zureden wäre alles von ihr zu gewinnen gewesen; aber Selene ließ sie bei jeder Mahnung die Überlegenheit fühlen, die ihr ihre Sorge für die Familie und ihr gereifteres Wesen verliehen.
So verging denn kein Tag, an dem es unter diesen so verschiedenen und doch gutgesinnten Schwestern nicht zu Zank und Tränen gekommen wäre.
Arsinoe war immer die erste, die zur Versöhnung die Hand bot, aber Selene hatte für ihre freundlichsten Worte selten ein liebevolleres Wort als ein »Laß nur« oder »Ich weiß schon«.
Ihr äußerer Verkehr trug den Stempel einer Lieblosigkeit, die sich bis zu feindselig klingenden Worten zu steigern vermochte.
Hundertmal gingen sie, ohne einander »Gute Nacht« zu wünschen, ins Bett, und öfter noch sparten sie den Morgengruß, wenn sie einander zum erstenmal in der Frühe begegneten.
Arsinoe sprach gern, aber in Selenes Gegenwart wurde sie schweigsam; Selene fand an wenigen Dingen Freude, die die Jugend ergötzten, ihre Schwester an allen.
Die älteste Tochter des Verwalters sorgte für den Bedarf des Lebens der Kinder, ihre Kost und Kleider, die zweite für ihr Spiel und die Puppen. Jene bewachte und unterwies sie mit ängstlicher Sorge, indem sie in jeder kleinen Unart den Keim zu künftigen schlimmen Neigungen sah, diese verlockte sie zu Torheiten, aber öffnete ihr Gemüt dem Frohsinn und erreichte durch Küsse und gute Worte weit mehr als Selene durch Tadel. Selene mußte die Kleinen mehrmals rufen, wenn sie etwas von ihnen verlangte, auf Arsinoe liefen sie zu, sobald sie sie erblickten. Ihr gehörten die Herzen der Kinder, und das empfand Selene bitter und wollte ihr ungerecht erscheinen; denn sie sah, daß die Schwester durch Tändeleien in müßigen Stunden süßeren Lohn gewann, als sie durch Sorge, Mühe und schwere Arbeit, mit der sie sich oft die Nächte verdarb.
Aber Kinder sind so ungerecht nicht.
Freilich zahlen sie nur mit dem Herzen und nicht mit dem Kopfe. Wer ihnen die wärmere Liebe reicht, dem erstatten sie sie redlich zurück.
In dieser Nacht waren es sicher wenig schwesterliche Gefühle, mit denen Selene auf die schlummernde Arsinoe blickte, und die Worte, mit denen diese entschlummert war, hatten recht unfreundlich geklungen. Aber darum fühlten beide doch warm füreinander, und wer es versucht hätte, die eine vor der anderen auch nur mit einem Worte anzugreifen, der würde bald erfahren haben, wie ein inniges Band diese beiden so verschieden gearteten Herzen verknüpfte.
Völlig schlaflos verbringt kein neunzehnjähriges Mädchen die Nacht, wie sorgenvoll es sich auch auf dem Lager wendet und umherwirft.
Auch Selene übermannte auf Viertelstunden der Schlummer, und jedesmal träumte ihr dann von der Schwester.
Einmal sah sie Arsinoe als Königin aufgeputzt und von Bettelkindern mit häßlichen Worten verfolgt. Dann erblickte sie sie auf dem Rundplatze unter ihrem Altane, wie sie in ausgelassenem Getändel mit Pollux die Büste ihrer Mutter zerschlug. Endlich träumte ihr, daß sie selbst, wie in der Kinderzeit, im Garten des Torhüters mit dem Bildhauer spielte. Sie formten zusammen Kuchen aus Sand, und Arsinoe sprang auf alle, sobald sie fertig waren, und trat sie in Stücke.
Den erquickenden, traumlosen, festen Schlaf der Jugend kannte das schöne, bleiche Mädchen schon lange nicht mehr; denn der süßeste Schlummer sucht diejenigen eher auf, die bei Tage ruhen, als bis zum Übermaß Ermüdete, und zu diesen pflegte Selene Abend für Abend zu gehören.
In jeder Nacht hatte sie Träume; doch sie waren fast immer von trauriger Art und so beängstigend, daß sie oft über ihr eigenes banges Stöhnen erwachte oder Arsinoe durch lautes Schreien den ruhigen Schlummer verdarb.
Ihren Vater störten diese Angstrufe niemals; denn er begann in jeder Nacht und so auch in dieser, bald nachdem er zur Ruhe gegangen, zu schnarchen und hörte damit erst auf, wenn er sich vom Lager erhob.
Selene war stets vor allen anderen, selbst vor den Sklaven, im Hause tätig.
Heute erschien der Schlaflosen das Nahen des Morgens wie eine Erlösung.
Als sie aufstand, war es noch völlig dunkel; doch sie wußte, daß der Aufgang der Dezembersonne nur noch wenige Stunden auf sich warten lassen werde.
Ohne auf die anderen Schlafenden zu achten und sich zu bemühen, geräuschlos aufzutreten oder was es zu tun gab, so zu verrichten, zündete sie ihr Lämpchen an dem Nachtlichte an, wusch sich, ordnete sich das Haar und schlug an die Tür der alten Sklaven.
Nachdem diese ihr ein verschlafenes »Sogleich« und »Ja doch« zugegähnt hatten, ging sie in das Zimmer des Vaters und nahm seinen Krug, um frisches Wasser für ihn zu holen.
Der beste Brunnen des Palastes stand auf einer kleinen Terrasse auf seiner westlichen Seite. Er wurde von der Wasserleitung der Stadt versorgt und bestand aus fünf Mischgestalten aus Marmor, die auf den gewundenen Fischschwänzen eine Muschel trugen, in der ein bärtiger Flußgott ruhte. Ihre Roßköpfe spien Wasser in ein großes Becken, das sich im Lauf der Jahrhunderte mit grünen Pflanzenfäden erfüllt hatte.
Um zu diesem Brunnen zu gelangen, mußte Selene den Gang durchschreiten, an dem die von dem Kaiser und seinem Gefolge bewohnten Zimmer lagen.
Sie wußte nur, daß ein Baumeister aus Rom in der Lochias abgestiegen sei; denn sie war für ihn nach Mitternacht um Fleisch und Salz angegangen worden; aber in welchen Räumen man den Fremden untergebracht, hatte ihr niemand gesagt.
Als sie heute denselben Weg, den sie Tag für Tag zur gleichen Stunde zurückzulegen pflegte, antrat, beschlich sie ein banges Gefühl.
Es war ihr, als sei hier nicht alles wie sonst, und als sie den Fuß auf die letzte zu dem Gange hinaufführende Stufe gesetzt hatte und das Lämpchen höher hob, um zu sehen, woher das Geräusch kam, das sie zu hören meinte, nahm sie im Halbdunkel ein furchtbares Etwas wahr, das, als es ihr näher kam, einem Hunde glich und doch größer, viel größer war als ein solcher.
Das Blut erstarrte ihr vor Schreck.
Einige Augenblicke stand sie wie gebannt und wußte nur, daß das Brummen und Knirschen, das sie vernahm, böse war und sie bedrohte.
Endlich fand sie die Kraft, sich zur Flucht umzuwenden, aber schon im nämlichen Augenblick ertönte hinter ihr ein lautes, wütendes Gebell, und sie vernahm die schnellen Sätze des Ungetüms, das über den steinernen Fußboden des Ganges auf sie zujagte.
Jetzt wurde sie heftig gestoßen. Der Krug flog ihr aus der Hand und zersprang in tausend Scherben, und von einer warmen; rauhen, schrecklichen Last niedergerissen, sank sie zu Boden.
Ihr lautes Jammergeschrei hallte von den harten, nackten Wänden des Ganges wider und erweckte die Schläfer an seiner Seite.
»Sieh zu, was das ist,« rief Hadrian seinem Sklaven zu, der sofort aufgesprungen war und Schild und Schwert ergriffen hatte.
»Der Molosser wird ein Weib, das hier vorbei wollte, angefallen haben,« entgegnete Mastor.
»Halt ihn zurück, aber schlage ihn nicht!« rief der Kaiser ihm nach; »Argus hat nur getan, was seine Schuldigkeit ist.«
Der Sklave eilte, so schnell er vermochte, den Gang hinunter und rief laut den Namen des Molossers.
Aber ein anderer hatte diesen bereits von seinem Opfer zurückgerissen, und zwar Antinous, dessen Gemach dicht bei der Stätte dieses Überfalls gelegen war, und der, sobald er das Gebell des Argus und das Geschrei Selenes vernommen, sich beeilt hatte, die auf der Wacht und im Dunkeln furchtbar grimmige Dogge zurückzuhalten.
Als Mastor erschien, war es dem Jüngling eben gelungen, den Hund von Selene zurückzuziehen, die auf den zu dem Gange führenden Stufen lag. Bevor Antinous sie erreichen konnte, hatte sich Argus, die Zähne fletschend und knurrend über sie hingestellt.
Der Hund, den die begütigenden und verweisenden Worte der Freunde schnell zur Ruhe brachten, trat still und mit gesenktem Kopf zur Seite, als Antinous neben dem ohnmächtigen Mädchen niederkniete, auf das durch eine breite Fensteröffnung das junge Licht des erwachenden Morgens fiel.
Ängstlich schaute der Jüngling in das bleiche Antlitz der Ohnmächtigen, hob ihr die regungslosen Arme in die Höhe und suchte auf ihrem hellen Gewande nach dem Blute, das sie vielleicht vergossen hatte – aber vergebens.
Nachdem er auch wahrgenommen, daß sie atme und ihre Lippen sich regten, rief er Mastor zu:
»Argus scheint sie nur niedergerissen und nicht verwundet zu haben. Sie hat die Besinnung verloren. Geh rasch in mein Zimmer und bringe mir das bläuliche Fläschchen aus meinem Salbenkasten und dazu einen Becher mit Wasser.«
Der Sklave pfiff dem Hunde und folgte, so schnell er konnte, diesem Befehl.
Indessen blieb Antinous neben der leblosen Jungfrau auf den Knien liegen und wagte es, ihr das Haupt mit dem weichen, vollen Haarschmuck in die Höhe zu richten.
Wie wunderschön waren diese marmorbleichen, edelgeschnittenen Züge, wie rührend erschien ihm das schmerzliche Zucken, das ihr den Mund umspielte, und wie wohl tat es dem verzogenen Günstling des Kaisers, dem sich Liebe aufdrängte, wo er sich zeigte, sich ungerufen hilf- und liebreich erweisen zu können.
»Wach auf, wache doch auf!« rief er Selene zu – und als sie sich dennoch nicht regte, rief er dringender und zärtlicher: »Wache doch auf!«
Sie hörte ihn nicht und blieb auch regungslos, als er den Peplos, den die Dogge ihr abgerissen, ihr leise errötend über die entblößte Schulter breitete.
Jetzt erschien Mastor mit dem Wasser und dem blauen Fläschchen und gab dem Bithynier beide in die Hand. Während Antinous das Haupt des Mädchens in seinen Schoß sinken ließ, entfernte der Sklave sich schnell, indem er sagte:
»Der Kaiser rief mich.«
Da benetzte der Jüngling die Stirn Selenes mit dem belebenden Naß, ließ sie den kräftigen Duft der Essenz, die die Phiole enthielt, einatmen und rief von neuem laut und innig sein:
»Erwache, wache doch auf!«
Jetzt öffneten sich ihre blutlosen Lippen und zeigten ihm ihre kleinen, schneeweißen Zähne, jetzt erhoben sich auch langsam die Lider, die ihr die Augen bedeckt hatten.
Tief aufatmend stellte er den Pokal und die Phiole auf den Boden, um sie zu stützen, wenn sie sich langsam erheben würde; aber kaum hatte er das Antlitz wieder dem ihren zugewandt, als sie schnell und heftig auffuhr, beide Hände in Todesangst ihm um den Hals schlang und aufschrie:
»Rettung, Pollux, Rettung! Das Ungeheuer verschlingt mich!«
Antinous faßte von Schreck ergriffen die Arme des Mädchens, um sie von seinem Halse zu lösen; aber schon gaben sie ihn frei und sanken nieder.
Im nächsten Augenblicke schüttelte sich Selene, als habe ein Fieberschauer sie überfallen.
Dann erhob sie wiederum die Hände, drückte sie an die Schläfen und schaute dem neben ihr knienden Jüngling verwirrt und angstvoll ins Antlitz.
»Was ist das? Wer bist du?« fragte sie leise.
Da erhob er sich schnell von der Erde, und während er sie bei dem Versuch, sich aufzurichten und auf die Füße zu stellen, unterstützte, sagte er:
»Den Göttern sei Dank, daß du lebst. Unser großer Molosser warf dich zu Boden. Er hat so furchtbare Zähne.«
Selene stand jetzt aufrecht dem Jüngling gegenüber, bei dessen letzten Worten sie von neuem zusammenschauderte.
»Fühlst du Schmerzen?« fragte Antinous ängstlich.
»Ja,« entgegnete sie dumpf.
»Er hat dich gebissen?«
»Ich glaube nicht. Hebe die Spange dort auf; sie ist mir vom Peplos gefallen.«
Der Bithynier folgte sogleich diesem Geheiß, und während das Mädchen das Gewand von neuem an der Schulter befestigte, fragte sie abermals:
»Wer bist du? Wie kommt der Molosser in unseren Palast?«
»Er gehört – er gehört zu uns. Spät abends sind wir hier angelangt, und Pontius hat uns –«
»So gehörst du zu dem Baumeister aus Rom?«
»Ja; aber wer bist du?«
»Des Palastvorstehers Keraunus Tochter, Selene.«
»Und wer ist Pollux, den du zu Hilfe riefst, als du erwachtest?«
»Was geht das dich an?«
Antinous errötete und gab verlegen zurück:
»Ich erschrak, als du mit seinem Namen auf den Lippen so heftig auffuhrst, nachdem ich dich mit Wasser und dieser Essenz ins Leben gerufen.«
»Ich wäre auch so erwacht und kann wieder gehen. Wer wütende Hunde in ein fremdes Haus führt, sollte sie besser behüten. Binde die Dogge fest; denn die Kinder, meine kleinen Geschwister, kommen hier vorbei, wenn sie ins Freie wollen. Ich danke dir für deine Hilfe. Und mein Krug?«
Sie sah sich bei dieser Frage nach dem hübschen Gefäß um, das ihre Mutter besonders gern gehabt hatte. Als sie es in Scherben daliegen sah, schluchzte sie, ohne zu weinen, auf. Dann rief sie entrüstet:
»Nichtswürdig ist es!«
Mit diesem Ausruf wandte sie Antinous den Rücken und ging, indem sie den linken Fuß, der sie schmerzte, vorsichtig nachzog, auf die Wohnung ihres Vaters zu.
Der Jüngling schaute der schlanken Gestalt Selenes schweigend nach.
Es drängte ihn, ihr zu folgen und ihr zu sagen, wie leid ihm der Unfall tue, der sie betroffen, und daß der Molosser nicht ihm, sondern einem anderen gehöre; doch er wagte es nicht.
Nachdem sie schon längst seinen Blicken entschwunden, stand er noch immer an der nämlichen Stelle.
Endlich raffte er sich zusammen, begab sich langsam in sein Zimmer zurück, setzte sich dort auf sein Lager und blickte träumend zu Boden, bis des Kaisers Ruf ihn aufschreckte. Selene hatte Antinous kaum eines Blickes gewürdigt.
Sie litt Schmerzen nicht nur am linken Fuße, sondern auch am Hinterhaupte, in dem sich eine offene Wunde befand. Ihr starkes Haar hatte das Blut, das dieser Verletzung entflossen war, zurückgehalten.
Sie fühlte sich recht matt; und der Verlust ihres hübschen Kruges, der nun wieder durch einen anderen ersetzt werden mußte, verdroß sie mehr, als sie die Schönheit des Günstlings hätte erfreuen können.
Langsam und müde betrat sie das Wohngemach, in dem der Vater bereits auf sie und das Wasser wartete.
Er war gewohnt, es stets zur gleichen Stunde zu erhalten, und weil Selene heute länger ausblieb als sonst, wußte er nichts Besseres zu tun, als sich die Zeit mit Brummen und leisem Schelten zu vertreiben.
Als seine Tochter endlich die Schwelle übertrat, bemerkte er sogleich, daß sie ohne Krug erschien, und fragte mürrisch:
»Soll ich heute gar kein Wasser bekommen?«
Selene schüttelte das Haupt, ließ sich auf einen Stuhl gleiten und begann leise zu weinen.
»Was hast du?« fragte der Verwalter.
»Der Krug ist zerbrochen,« entgegnete sie traurig.
»Gib doch besser acht auf die teuren Sachen,« schalt Keraunus; »du jammerst immer, wenn es an Geld fehlt, und dabei zerbrichst du die halbe Wirtschaft.«
»Ich ward zu Boden gerissen,« gab Selene zurück und trocknete die Augen.
»Zu Boden gerissen? Von wem?« fragte der Verwalter und erhob sich langsam.
»Von der bösen Dogge des Baumeisters, der gestern abend aus Rom hier ankam, und dem wir in dieser Nacht Salz und Brot gaben. Er hat auf der Lochias geschlafen.«
»Und er hetzt seinen Hund auf mein Kind!« rief Keraunus mit rollenden Augen.
»Der Molosser war allein in dem Gange, als ich hinausging.«
»Hat er dich gebissen?«
»Nein; aber er riß mich nieder und stellte sich über mich hin und fletschte mich an; oh, es war gräßlich!«
»Verfluchter, hergelaufener Lump!« grollte der Verwalter. »Ich will ihn lehren, wie man sich in einem fremden Hause beträgt.«
»Laß nur,« bat Selene, als sie sah, daß der Vater nach dem krokusgelben Pallium griff; »das Geschehene ist nicht zu ändern, und wenn es Ärger und Streit gibt, wird es dir schaden.«
»Gesindel, freches Volk, das sich mit bissigen Kötern in meinem Palaste breit macht,« murrte Keraunus vor sich hin, ohne auf die Tochter zu hören. Indem er dann die Falten des Palliums zurechtzog, grollte er: »Arsinoe! Ob das Mädchen wohl jemals hört!«
Als die Gerufene endlich erschien, befahl er, das Eisen zu wärmen und ihm die Locken zu brennen.
»Es liegt schon bei dem Feuer,« entgegnete Arsinoe; »komm mit in die Küche.«
Keraunus folgte ihr und ließ sich den gefärbten Haarschmuck ringeln und salben.
Dabei umstanden ihn seine jüngeren Kinder, die in der Küche auf den Mehlbrei warteten; denn Selene pflegte ihn ihnen jetzt zu reichen.
Keraunus hatte ihren Morgengruß mit so freundlichem Nicken beantwortet, wie es Arsinoes Zange, die seinen Kopf an den Haaren festhielt, gestatten wollte.
Nur den blinden Helios, einen hübschen Knaben von sechs Jahren, zog er an sich und gab ihm einen Kuß auf die Wange.
Er liebte dies des edelsten Sinnes beraubte und doch immer heitere Kind mit besonderer Zärtlichkeit. Einmal lachte er auch auf, als der Bube sich an seine das Eisen schwingende Schwester drängte und ihn fragte: »Weißt du, Vater, warum ich mich ärgere, nicht sehen zu können?« und dann auf das neugierig klingende: »Nun?« des Verwalters die Antwort erteilte: »Weil ich dich so gern einmal mit den schönen Locken sehen möchte, die Arsinoe dir brennt.«
Aber die Heiterkeit des sorgenvolles Mannes schwand, als seine jüngere Tochter die Arbeit unterbrach und ihn halb ernst, halb scherzend fragte:
»Hast du weiter über den Empfang des Kaisers nachgedacht, Vater? Ich putze dich täglich so schön heraus; aber diesmal sollst du mich putzen.«
»Wir werden sehen,« entgegnete Keraunus ausweichend.
»Weißt du,« fuhr Arsinoe nach einer kleinen Pause fort und klemmte die letzte Locke in die erwärmte Zange, »heute nacht hab' ich alles noch einmal überlegt. Wenn es uns gar nicht glücken will, das Geld für meine Kleider zusammenzubringen, dann könnte man doch wohl –«
»Was?«
»Selene hätte auch nichts dagegen.«
»Wogegen?«
»Du wirst wieder böse.«
»Sprich nur.«
»Du bezahlst doch Steuern wie jeder andere Bürger.«
»Was soll das?«
»Daß wir also berechtigt wären, auch etwas von der Stadt zu verlangen.«
»Wozu?«
»Um meine Kleider für das Fest zu bezahlen, das nicht ein einzelner, sondern die Bürgerschaft für den Kaiser veranstaltet. Almosen dürfen wir nicht annehmen; aber es wäre doch Torheit, auszuschlagen, was die reiche Stadt uns anbietet. Das hieße geradezu sie beschenken.«
»Du schweigst,« rief Keraunus aufrichtig empört und besann sich vergebens auf den Satz, mit dem er gestern das gleiche Ansinnen zurückgewiesen. »Du schweigst und wartest ab, bis ich selbst wieder von diesen Dingen zu reden beginne.«
Da warf Arsinoe die Zange so unwillig auf den Herd, daß sie laut klirrend auf den Stein schlug; ihr Vater aber verließ die Küche und ging in das Wohnzimmer zurück.
Dort fand er Selene auf seinem Polster und die alte Sklavin, die ihr ein nasses Tuch auf den Hinterkopf preßte und ihr ein anderes auf den nackten linken Fuß gelegt hatte.
»Verwundet?« lief Keraunus und die Augen begannen ihm langsam von rechts nach links und von links nach rechts zu rollen.
»Da sieh die Geschwulst,« kreischte die Alte in gebrochenem Griechisch, indem sie mit der schwarzen Hand den schneeweißen Fuß Selenes den Augen des Vaters näherte. »Tausend reiche Herrinnen haben keine Hand so klein wie das da. Armes, armes kleines Fuß.«
Nach dieser Klage drückte die Alte die Lippen auf die feinen Zehen des Mädchens.
Doch Selene drängte sie zurück und sagte, indem sie sich an den Vater wandte:
»Die Wunde da oben ist klein und hat gar nichts zu sagen; aber das Fleisch und die Adern sind hier am Knöchel geschwollen. Das Bein tut etwas weh, wenn ich auftrete. Als der Hund mich umriß, hab' ich mich wohl an den steinernen Stufen geschlagen.«
»Es ist unerhört!« rief Keraunus, dem das Blut von neuem zu Kopfe stieg. »Warte nur! Ich werde ihnen zeigen, was ich von solcher Aufführung halte.«
»Nein, nein,« bat Selene. »Ersuche sie nur höflich, den Hund einzuschließen oder an die Kette zu legen, damit er den Kindern nichts tut.«
Ihre Stimme klang sehr ängstlich bei dieser Bitte; denn die Furcht, der Vater könnte seine Stelle verlieren, die er ihr, sie wußte selber nicht warum, längst verwirkt zu haben schien, regte sich in ihr heute noch lebendiger als sonst.
»Zu dem, was hier geschehen ist, auch noch gute Worte!« entgegnete Keraunus abweisend und als würde ihm Unerhörtes zugemutet.
»Nein, nein, sag ihm nur deine Meinung,« schrie die Alte. »Wenn das deinem Vater geschehen wäre, der würde dem fremden Steinhauer gut auf den Leib gerückt sein!«
»Und sein Sohn Keraunus wird ihm auch nichts schenken,« versicherte der Verwalter und verließ das Gemach, ohne auf Selenes Bitte, daß er sich nicht ereifern möge, zu achten.
Im Vorzimmer fand er seinen alten Sklaven und befahl ihm, einen Stock zu ergreifen, ihm voranzugehen und ihn bei dem Gaste des Baumeisters Pontius zu melden, der in einem der Gemächer zur Seite des Brunnenganges wohne.
So war es vornehm, und so kam der Schwarze früher als er mit dem Molosser in Berührung, den er wie alle Hunde für ein verabscheuungswürdiges Tier hielt.
Als er sich seinem Ziele näherte, befand er sich in der rechten Stimmung, dem Fremden, der hierher gekommen war, um Mitglieder seines Hauses von bissigen Hunden niederreißen zu lassen, die Wahrheit zu sagen.
Vierzehntes Kapitel
Hadrian hatte vortrefflich geschlafen; wenige Stunden nur, aber diese genügten völlig, ihm den Geist zu erfrischen.
Jetzt war er in das Wohngemach und an das Fenster getreten, das seine lange westliche Wand mehr als zur Hälfte einnahm und sich nach dem Meere hin öffnete.
Zwei hohe Säulen mit Schäften von edlem braunrotem, weißgesprenkeltem Porphyr und mit vergoldeten korinthischen Kapitellen begrenzten die sehr breite und schon wenige Spannen über dem Fußboden beginnende Öffnung zur Rechten und Linken.
Der Kaiser lehnte sich an einen der Porphyrschäfte und streichelte den Molosser, dessen rüstige Wachsamkeit ihn erfreute. Was fragte er nach dem Schreck, den der Hund einem Mädchen verursacht haben sollte?
Bei der anderen Säule stand Antinous.
Er hatte den rechten Fuß auf die niedrige Fensterbrüstung gestellt und neigte den Oberkörper weit in das Zimmer. Das Kinn ruhte ihm dabei in der Hand, der Ellbogen auf dem Knie.
»Dieser Pontius ist wirklich ein ganzer Mann,« sagte Hadrian, indem er mit der Hand auf eine an der Schmalseite des Gemaches aufgehängte Tapete zeigte. »Dies Gewebe ward nach einem Fruchtstücke verfertigt, das ich einmal malte und hier in Mosaik ausführen ließ. Gestern war dieser Raum noch gar nicht für mich bestimmt, also muß die Tapete da zwischen unserer Ankunft und jetzt aufgehängt worden sein, und wie viel andere gute Dinge stehen hier herum! Es sieht wohnlich bei mir aus, und das Auge findet schon mancherlei, woran es sich freut.«
»Hast du die prächtigen Polster da hinten versucht?« fragte Antinous. »Auch die Bronzefiguren dort in den Ecken gefallen mir nicht übel.«
»Vortreffliche Arbeiten sind es,« sagte der Kaiser; »aber ich möchte sie um dieses Fensters willen mit Freuden missen. Was ist hier blauer, der Himmel oder das Meer? Wie milde Frühlingsluft weht uns hier im Dezember entgegen! Woran soll man sich mehr freuen, an den zahllosen Schiffen im Hafen, die diesen blühenden Ort mit entlegenen Ländern verbinden und mit Reichtum segnen, oder an den Bauten, die das Auge anziehen, wohin es sich auch richte? Man weiß nicht, soll man zuerst ihre stattliche Größe oder die harmonische Schönheit ihrer Form bewundern.«
»Was ist das für ein langer mächtiger Damm, der die Insel mit dem Festland verbindet? Sieh nur, da fährt ein großer Dreiruderer durch einen der breitgespannten Bogen, auf denen er ruht. Und da kommt noch ein anderer!«
»Das ist der Brückenbau, den die Alexandriner mit Stolz ihr Heptastadion nennen, weil er sieben Stadien lang sein soll. In seinem oberen Teile birgt er, wie ein Holunderast das Mark, eine steinerne Rinne, durch die die Insel Pharus mit Wasser versorgt wird.«
»Schade,« bemerkte Antinous, »daß man den Bau und die Menschen und Fuhrwerke, die auf seinem Rücken wie geschäftige Ameisen wimmeln, von hier aus nicht ganz übersehen kann. Die kleine Insel dort und die schmale in den Hafen hineinragende Landzunge mit dem hohen weißen Gebäude am Ende verdecken sie halb.«
»Aber sie dienen für sich zur Belebung des Bildes,« entgegnete der Kaiser. »Das Schlößchen auf dem Eiland mit seinem Hafen hat Kleopatra oft bewohnt, und in der weißen Villa an der Nordspitze der Landzunge dort, die jetzt die blauen Wellen umspülen und die Möwen und Tauben so lustig umkreisen hielt sich Antonius nach der Schlacht bei Actium auf.«
»Um seine Schmach zu vergessen,« rief Antinous.
»Er nannte sie sein Timonium, weil er dort wie der weise Menschenhasser aus Athen von den anderen Sterblichen unbehelligt zu bleiben wünschte. Wie wäre es, wenn ich die Lochias mein Timonium hieße?«
»Ruhm und Größe braucht man nicht zu verbergen.«
»Wer sagt dir,« fragte der kaiserliche Sophist, »daß Antonius sich aus Scham in dem Ding da versteckte? Er hatte oft genug an der Spitze seiner Reiter bewiesen, daß er ein braver Soldat sei, und wenn er bei Actium, als alles noch gut stand, das Schiff wenden ließ, so geschah es nicht aus Furcht vor Schwertern und Lanzen, sondern weil das Verhängnis ihn zwang, seinen starken Willen den Wünschen des Weibes unterzuordnen, von dessen Schicksal das seine abhing.«
»So entschuldigst du sein Verhalten?«
»Ich suche es nur zu verstehen und werde mich nie zu glauben bequemen, daß Scham den Antonius zu irgend etwas veranlassen konnte. Meinst du, ich könnte erröten? Man schämt sich nicht mehr, wenn man es so weit gebracht hat, die Welt zu verachten.«
»Aber warum verschloß sich denn Marc Anton in dieses vom Meer bespülte Gefängnis?«
»Weil für jeden rechten Mann, der mit Weibern, Spaßmachern und Schmeichlern ganze Jahre verschwärmte, einmal der Augenblick kommt, in dem er von Ekel überfallen wird. In solchen Stunden findet er, daß er unter all dem Gelichter der einzige Mensch ist, mit dem es sich zu verkehren lohnt. Nach Actium ging dem Antonius das auf, und um einmal in guter Gesellschaft zu sein, verließ er die Menschen.«
»Das ist es wohl auch, was dich manchmal in die Einsamkeit treibt?«
»Vielleicht; aber du, du darfst mich immer begleiten.«
»So hältst du mich für besser als andere,« rief Antinous erfreut.
»In jedem Falle für schöner,« entgegnete Hadrian freundlich. »Frage nur weiter.«
Antinous bedurfte einiger Minuten, bevor er dieser Aufforderung nachkommen konnte. Endlich nahm er sich zusammen und ließ sich erklären, warum die meisten Schiffe in den jenseits des Heptastadions gelegenen Hafen des Eunostus einführen. Der Eingang in ihn, erfuhr er, sei weniger gefährlich als derjenige, der zwischen dem Pharus und der Spitze der Lochias zu den östlicheren Landungsstellen führte. – Über jedes Bauwerk in der Stadt, nach dem der Günstling sich erkundigte, wußte Hadrian Auskunft zu erteilen.
Nachdem der Kaiser auf das Soma gewiesen hatte, in dem die Reste Alexanders des Großen ruhten, wurde er nachdenklich und sagte vor sich hin:
»Der Große. – Man könnte den mazedonischen Jüngling beneiden! Nicht um diesen Ehrennamen; denn den haben viele von geringem Werte getragen; aber weil er ihn wirklich verdiente.«
Auch auf keine der ferneren Fragen des Bithyniers blieb Hadrian die Antwort schuldig.
Antinous folgte mit wachsendem Erstaunen seinen Erklärungen und rief endlich aus:
»Wie du in dieser Stadt Bescheid weißt, und doch hast du sie noch niemals besucht!«
»Das ist eines der besten Vergnügen, die das Reisen gewährt,« entgegnete Hadrian, »daß wir unterwegs viele Dinge in Wirklichkeit sehen, von denen wir uns nach Büchern und Erzählungen eine Vorstellung gebildet haben. Nun fordern sie uns auf, sie mit dem Bilde von ihnen zu vergleichen, das vor unserem geistigen Auge stand, bevor wir ihnen selbst begegnet waren. Von unerwartetem Neuen überrascht zu werden, scheint mir einen weit geringeren Genuß zu gewähren, als Bekanntes, das wir für wert hielten, uns näher nach ihm zu erkundigen, zum erstenmal zu erblicken. Weißt du, was ich meine?«
»Ich glaube wohl. Man hört von etwas, und wenn man's dann sieht, so fragt man sich, ob man sich's richtig gedacht hat. Ich stelle mir Menschen und Gegenden, die man mir lobte, immer schöner vor, als ich sie dann finde.«
»Der Rest, der sich daraus zum Nachteil der wirklichen Dinge ergibt,« entgegnete Hadrian, »gereicht ihnen zu geringerem Vorwurfe, als der emsigen und verschönernden Einbildungskraft deiner Jahre zur Ehre. Ich – ich –« und der Kaiser schaute, den Bart streichend, ins Weite, »ich erfahre, je älter ich werde, desto öfter, daß es möglich ist, sich Menschen, Gegenden und Dinge so vorzustellen, daß wir, wenn wir ihnen zum erstenmal begegnen, zu glauben berechtigt sind, wir hätten sie längst gekannt, sie besucht und mit Augen geschaut. – Auch hier will es mir scheinen, als erblickte ich nichts Neues, sondern sähe nur längst Gekanntes wieder. Aber das ist kein Wunder; denn ich kenne meinen Strabo und habe hundert Berichte über diese Stadt gehört und gelesen. Doch es gibt auch vieles, das mir ganz fremd war und doch, wenn es an mich herantritt, mich anmutet, als hätte ich es früher schon gesehen oder erlebt.«
»Etwas Ähnliches hab' auch ich wohl erfahren,« versicherte Antinous. »Sollte unsere Seele wirklich schon in anderen Körpern gelebt haben und sich manchmal an Wahrnehmungen aus dem früheren Leben erinnern? Favorinus erzählte mir einmal, ein großer Philosoph, ich glaube Plato, behaupte, daß die Seelen vor unserer Geburt am Firmament auf und nieder geführt würden, damit sie sich die Erde betrachten könnten, auf der es ihnen doch später zu leben bestimmt sei. Außerdem sagt Favorinus . . .«
»Favorinus!« rief Hadrian geringschätzig. »Dieser Schönredner besitzt viel Geschick, dem von Größeren Gedachten neue, ansprechende Formen zu geben; doch die Geheimnisse der eigenen Seele zu belauschen, versteht er mit nichten. Dazu redet er zu viel, dazu kann er den Lärm des Lebens zu wenig entbehren.«
»Die Erscheinung nahmst auch du wahr; doch du mißbilligst die Erklärung des Favorinus?«
»Ja; denn mir sind Menschen und Dinge als alte Bekannte begegnet, die erst lange nach meiner Geburt die Welt erblickt haben oder entstanden sind. Vielleicht paßt meine eigene Deutung nicht auf alle Sterblichen, in mir aber lebt, das weiß ich gewiß, ein geheimnisvolles Etwas, das unabhängig von mir selbst in mir wirkt und schafft, in mich einkehrt oder mich verläßt nach seinem Belieben. Heißen wir es meinen Dämon oder auch meinen Genius, auf den Namen kommt es nicht an. Nicht immer erscheint dieses Etwas, wenn ich es rufe, und oft wirkt es in mir, wenn ich's am letzten erwarte. Zu jeder Stunde, in der es mir innewohnt, gehört vieles mir, was eigentlich ihm an Erfahrung und Können zu eigen. Was ihm bekannt war, das erscheint mir ebenso, wenn es mir später begegnet. Alexandria ist mir nicht fremd, weil es mein Genius auf seinem Fluge gesehen hat. Vieles schuf, erfuhr, erlernte er in mir und für mich. Hundertmal frag' ich mich gegenüber den eigenen vollendeten Werken: Ist es möglich, daß du, Hadrian, der Sohn deiner Mutter, dies vollbracht haben solltest? Wie heißt nur die fremde Kraft, die dir bei seiner Herstellung half? Jetzt kenn' ich sie und sehe sie auch in anderen wirken. In wen sie einkehrt, der überragt bald seinesgleichen, und am wirksamsten zeigt sie sich in den Künstlern. Oder werden aus gemeinen Menschen große Künstler, eben weil der Genius sie zu seiner Wohnung erwählte? Hast du mich verstanden?«
»Nicht ganz,« entgegnete Antinous, dessen großes Auge, solange es mit dem Kaiser die Stadt zu betrachten galt, lebhaft geglänzt hatte, jetzt aber umschleiert und müde zu Boden schaute. »Zürne mir nicht, Herr. Dergleichen werde ich gewiß niemals verstehen; denn es gibt gewiß keinen Menschen, mit dem das, was du deinen Genius nennst, weniger zu tun hat. Eigenes Denken kenn' ich nicht, den Gedanken anderer zu folgen wird mir schwer, und ich möchte wohl wissen, was ich jemals Rechtes zu schaffen vermöchte! Wenn ich etwas leisten soll, dann hilft meiner Seele kein Dämon, nein, sie fühlt sich ganz ratlos und verfällt in Träumereien. Bring' ich einmal etwas fertig, so muß ich mir sagen, daß es mir gewiß möglich gewesen wäre, es besser zu machen.«
»Selbsterkenntnis,« lachte Hadrian, »ist der Gipfel der Weisheit. Jeder hat das Seine getan, wenn er die Vorstellung eines Freundes mit etwas Schönem bereichert. Was andere durch Werke, das mußt du durch dein bloßes Dasein bewirken. Ruhig, Argus!«
Der Molosser hatte sich vor kurzem auflauschend erhoben und sich knurrend der Türe genähert. Trotz des Rufes seines Herrn schlug er laut an, als sich ein kräftiges Klopfen vernehmen ließ.
Hadrian schaute befremdet nach der Pforte hin und fragte: »Wo ist Mastor?«
Antinous rief den Namen des Sklaven in das neben dem Wohnzimmer gelegene Schlafgemach des Kaisers, aber vergebens.
»Was hat nur der Bursch?« fragte Hadrian. »Sonst ist er doch stets bei der Hand und frisch wie eine Lerche, heute aber sah er aus wie ein Träumer und beim Ankleiden fiel ihm erst ein Schuh und dann sogar meine Schulterspange aus der Hand.«
»Gestern las ich ihm einen Brief aus Rom vor. Sein junges Weib ist mit einem Schiffsführer ins Weite gegangen.«
»Wünschen wir ihm Glück, daß er wieder frei ist.«
»Er war ihr gut.«
»Ein hübscher Bursch, der, mein Leibsklav, findet Ersatz, so viel er begehrt.«
»Aber er hat ihn noch nicht. Fürs erste schmerzt ihn noch das, was er verlor.«
»Wie weise! Da klopft es schon wieder. Sieh nach, wer sich erlaubt . . . Aber es hat ja jedermann das Recht, hier zu klopfen; bin ich doch auf der Lochias nicht der Kaiser, sondern ein einfacher Privatmann. Leg dich, Argus! Bist du besessen, Alter? Der Hund hält mehr als ich selbst auf meine Würde. – Das Baumeisterspielen scheint ihm nicht zu gefallen.«
Antinous hatte schon die Hand erhoben, um den Klopfer anzufassen, als die Tür von außen her leise geöffnet wurde und der Sklave des Palastverwalters über die Schwelle trat.
Der alte Schwarze bot einen kläglichen Anblick.
Die ehrfurchtgebietende Gestalt des Kaisers und die schönen Kleider des Günstlings setzten ihn in Verlegenheit, das drohende Geknurr des Molossers aber flößte ihm solche Angst ein, daß er die hageren Negerbeine furchtsam zusammenzog und, soweit es gehen wollte, mit dem fadenscheinigen Röckchen beschützte.
Hadrian schaute dies Bild des Jammers verwundert an und fragte:
»Was willst du, Bursch?«
Da versuchte der Sklave einen Schritt weiter vorzutreten; auf Hadrians kräftiges Geheiß blieb er aber stehen und kratzte, indem er auf die Plattfüße schaute, das kurzgeschorene, an einzelnen runden Flecken ausgefallene graue Wollhaar.
»Nun?« fragte Hadrian abermals in nichts weniger als ermutigendem Ton und lockerte die Finger, die das Halsband des Molossers hielten, in bedenklicher Weise.
Die gebogenen Knie des Sklaven begannen zu zittern und indem er die breite Handfläche dem graubärtigen Herrn, der ihm nicht weniger furchtbar erschien als sein Hund, entgegenstreckte, begann er in grausam verstümmeltem Griechisch die Anrede herzustammeln, die sein Gebieter ihm mehrmals vorgesagt hatte und aus der hervorging, daß er vor dem Baumeister Claudius Venator aus Rom erscheine, um ihm seinen Gebieter, »das Mitglied des Rates der Stadt, den mazedonischen und römischen Bürger Keraunus, Sohn des Ptolemäus, Vorsteher des früher königlichen, jetzt kaiserlichen Palastes auf der Lochias«, zu melden.
Hadrian ließ den armen Burschen, auf dessen Stirn heller Angstschweiß perlte, mitleidslos und indem er sich vor Vergnügen die Hände rieb, zu Ende reden.
Um den willkommenen Scherz zu verlängern, hütete er sich wohl, dem beklagenswerten Alten einzuhelfen, wenn seine stammelnde Zunge auf unübersteigbare Hindernisse stieß.
Als der Neger endlich die schwülstige Meldung zu Ende gebracht hatte, sagte Hadrian freundlich:
»Sage deinem Herrn, er dürfe eintreten.«
Kaum hatte der Sklave das Zimmer verlassen, als der Herrscher dem Günstlinge zurief:
»Das gibt einen köstlichen Spaß! Wie wird der Jupiter aussehen, dem dieser Adler voranfliegt!«
Keraunus ließ nicht lange auf sich warten.
Während er in dem Gange, an dem die Gemächer des Kaisers lagen, auf und nieder gegangen war, hatte sich seine üble Stimmung gesteigert; denn er mußte es wie eine Nichtachtung von seiten des Baumeisters empfinden, daß er ihn, von dessen Geburt und Würde ihn der Sklave gewiß unterrichtet hatte, mehrere Minuten, die ihm so lang wie Viertelstunden erschienen, allein ließ.
Auch seine Voraussetzung, daß ihn der Römer in eigener Person in sein Zimmer führen werde, sollte keineswegs in Erfüllung gehen; denn des Sklaven Botschaft lautete kurz: »er dürfe eintreten«.
»Sagte er: ›ich dürfe‹, nicht ›ich möge‹ oder ›ich möchte die Güte haben‹?« fragte der Verwalter.
»Er darf, hat er gesagt,« entgegnete der Sklave.
Keraunus rief ein kurzes »So«, rückte den goldenen Reifen auf den Locken zurecht, warf den Kopf zurück, kreuzte, tief atmend, die Arme über der breiten Brust und befahl dem Schwarzen: »Öffne die Tür.«
Würdevoll überschritt der Verwalter die Schwelle. Dann verbeugte er sich, um nicht gegen die Höflichkeit zu verstoßen, ins Blaue hinein und wollte schon in scharfen Worten seinen Verweis auszusprechen beginnen, als ein Blick auf den Kaiser, die glänzende Ausschmückung, die sein Gemach seit gestern erfahren, und wohl auch das recht unfreundlich klingende Knurren des Molossers ihn veranlaßten, mildere Saiten aufzuziehen.
Der Sklave war ihm gefolgt und hatte sich zwischen der Türwand des Gemaches und den Polstern einen sicheren Platz gesucht; er selbst aber trat, indem er die Furcht vor der Dogge besiegte, ein gutes Stück in das Zimmer vor.
Der Kaiser hatte sich auf die Fensterbrüstung gesetzt, drückte den Fuß leicht auf den Hals des Molossers und schaute Keraunus wie eine bemerkenswerte Seltenheit an.
Dabei begegnete sein Blick dem des Verwalters und lehrte diesen, daß er es mit einem größeren Herrn zu tun habe, als er erwartet.
Es lag etwas Überwältigendes in der Person des Mannes, der da vor ihm saß; aber gerade darum stellte sich sein Stolz auf die Zehen und wenn auch nicht scharf und ausfallend, wie das in seiner Absicht gelegen, aber doch mit gespreizter Würde fragte er:
»Stehe ich vor dem neuen Gaste der Lochias, dem Baumeister Claudius Venator aus Rom?«
»Du stehst –« entgegnete der Kaiser und warf Antinous einen schalkhaften Seitenblick zu.
»Du hast freundliche Aufnahme in diesem Palaste gefunden. Wie meine Väter, die ihn seit Jahrhunderten verwalten, so weiß auch ich das Gastrecht heilig zu halten.«
»Ich bin überrascht über das hohe Alter deines Geschlechtes und beuge mich vor eurer frommen Gesinnung,« entgegnete Hadrian in ähnlichem Tone wie der Verwalter. »Was werden wir sonst noch von dir erfahren?«
»Ich kam nicht hierher, um Geschichten zu erzählen,« fuhr Keraunus fort, in dem die Galle sich regte, weil er ein spöttisches Lächeln am Munde des Fremden wahrzunehmen glaubte, »ich kam nicht hierher, um Geschichten zu erzählen, sondern um mich zu beklagen, daß du als freundlich willkommen geheißener Gast dich so wenig bestrebt zeigst, deine Wirte vor Schaden zu hüten.«
»Was soll das?« fragte Hadrian, erhob sich von seinem Sitze und winkte Antinous, die Dogge festzuhalten; denn Argus legte eine besondere Abneigung gegen den Verwalter an den Tag. Vermutlich sah er ihm an, daß er nicht gekommen sei, um seinem Herrn etwas Freundliches zu erweisen.
»Ist dieser gefährliche, zähnefletschende Hund dein Eigentum?« fragte Keraunus.
»Ja.«
»Heute morgen hat er meine Tochter zu Boden gerissen und den kostbaren Krug, mit dem sie des Morgens gern ins Freie tritt, zertrümmert.«
»Ich hörte von diesem Unfall,« entgegnete Hadrian, »und gäbe viel darum, wenn ich ihn ungeschehen machen könnte. Das Gefäß soll dir reichlich ersetzt werden.«
»Ich bitte dich, zu dem Übel, das wir durch deine Schuld erfuhren, nicht noch Beleidigungen zu fügen. Ein Vater, dessen Tochter überfallen und verwundet worden ist . . .«
»So hat sie Argus dennoch gebissen?« rief Antinous erschreckt.
»Nein,« gab Keraunus zurück. »Aber ihr Kopf und ihr Fuß haben, als sie zu Boden gerissen wurde, Verletzungen erfahren, und sie leidet Schmerzen.«
»Das ist traurig; und da ich selbst nicht unerfahren in der Heilkunde bin,« sagte Hadrian, »so will ich dem armen Mädchen gern zu helfen versuchen.«
»Ich besolde einen Heilkünstler von Beruf, der mir und den Meinigen dient,« erwiderte der Verwalter in abweisendem Ton, »und kam hierher, um zu bitten, oder wenn ich offen sein soll, um zu fordern . . .«
»Was?«
»Erstens, daß man mich um Entschuldigung bittet.«
»Dazu ist der Baumeister Claudius Venator immer bereit, wenn ein anderer durch seine oder der Seinen Schuld Schaden erleiden mußte. Das Geschehene, ich wiederhole es, tut mir aufrichtig leid, und ich bitte dich, der Jungfrau, die der Unfall betraf, sagen zu wollen, ihr Schmerz sei der meine. Was wünschest du weiter?«
Des Verwalters Züge glätteten sich und weniger erregt als vorher klang seine Antwort:
»Ich muß dich ersuchen, deinen Hund an die Ketten zu legen, einzusperren oder in anderer Weise unschädlich zu machen.«
»Das ist stark!« rief der Kaiser.
»Es ist nur eine billige Forderung, auf der ich bestehe,« entgegnete Keraunus entschieden. »Weder ich noch meine Kinder sind ihres Lebens sicher, solange diese wilde Bestie hier nach Gefallen wütet.«
Hadrian hatte verstorbenen Lieblingshunden und Rossen Denkmäler gesetzt, und sein treuer Argus war ihm nicht weniger teuer als anderen kinderlosen Männern ihr vierfüßiger Genosse; darum erschien ihm das Verlangen des wunderlichen Dicken so frech und ungeheuerlich, daß er unwillig ausrief:
»Torheit! Man wird den Hund bewachen, und nun nichts weiter.«
»Du legst ihn an die Kette,« forderte Keraunus mit rollenden Augen, »oder es wird sich ein anderer finden, der ihn auf immer unschädlich macht.«
»Das würde dem feigen Mörder übel bekommen,« rief Hadrian. »Was meinst du, Argus?«
Die Dogge richtete sich bei dieser Frage auf und wäre dem Verwalter an die Kehle gesprungen, wenn sie ihr Herr und Antinous nicht zurückgehalten hätten.
Keraunus fühlte sich von dem Molosser bedroht; in diesem Augenblicke hätte er sich aber von ihm zerreißen lassen, ohne zurückzuweichen, so ganz beherrschte ihn der aus seinem verletzten Stolz entsprungene Ingrimm.
»Also auch auf mich soll in diesem Hause der Hund gehetzt werden?« fragte er herausfordernd und stemmte die linke Faust in die Seite. »Jedes Ding hat seine Grenze, und so auch meine Geduld mit dem Gaste, der trotz seiner reifen Jahre jede Rücksicht vergißt. Dem Präfekten Titianus werde ich melden, wie du dich hier aufführst, und der Kaiser soll, wenn er hier ist, erfahren« . . .
»Was?« lachte Hadrian.
»Was du dir gegen mich herausnimmst.«
»Bis dahin bleibt die Dogge, wo sie ist, und zwar unter guter Aufsicht. Aber, Mann, laß dir im voraus sagen, Hadrian ist den Hunden ebenso freundlich gesinnt wie ich und mir noch freundlicher als den Hunden.«
»Wir werden ja sehen,« grollte Keraunus. »Ich oder die Dogge!«
»Ich fürchte, es wird heißen, die Dogge.«
»Und damit beginge Rom einen neuen Gewaltstreich,« rief Keraunus und seine Augen rollten dabei von der linken zur rechten Seite und wieder zurück. »Ihr habt den Ptolemäern Ägypten genommen.«
»Mit gutem Grunde, und außerdem sind das verjährte Geschichten.«
»Das Recht verjährt nicht wie eine schlechte Schuld.«
»Doch es wird hinfällig mit den Personen, auf die es Bezug hat. Wie lange gibt es keine Lagiden mehr!«
»Das glaubt ihr, weil es euch nützlich scheint, es zu glauben,« entgegnete der Verwalter. »In dem Manne, der hier vor dir steht, fließt das Blut der mazedonischen Fürsten dieses Landes. Mein ältester Sohn trägt den Namen des Ptolemäus Helios, mit dem, wie ihr vorgebt, der letzte Lagide dahinging.«
»Der gute, kleine, blinde Helios,« fiel der schwarze Sklave seinem Herrn in die Rede; denn er war gewohnt, den Namen des unglücklichen Kleinen wie einen Schild zu benutzen, wenn sich Keraunus in bedenklicher Stimmung befand.
»Also blind ist der letzte Nachkomme des Lagus,« lachte der Kaiser. »Rom kann seine Ansprüche abwarten. Aber ich werde dem Kaiser mitteilen, einen wie gefährlichen Prätendenten dies Haus beherbergt.«
»Gib mich an, verklage, verleumde mich,« rief der Verwalter verachtungsvoll. »Aber ich lasse mich nicht treten. Geduld; Geduld! Du wirst mich kennen lernen!«
»Und du den Molosser,« entgegnete Hadrian, »wenn du nicht augenblicklich mit deiner mausernden Krähe dort dies Zimmer verläßt.«
Da winkte Keraunus dem Sklaven und wandte ohne Gruß seinen Feinden den Rücken.
Auf der Schwelle des Gemaches blieb er noch einen Augenblick stehen und rief Hadrian zu:
»Verlaß dich darauf; ich klage im Rat und schreibe dem Kaiser, wie man sich hier gegen einen mazedonischen Bürger zu handeln erdreistet.«
Als der Verwalter das Gemach verlassen hatte, ließ Hadrian den Molosser frei, der wütend auf die Tür losstürzte, die sich zwischen ihm und dem Gegenstande seiner Abneigung geschlossen hatte.
Hadrian gebot ihm Ruhe und sagte dann, indem er sich an den Liebling wandte:
»Ein Ungetüm von einem Manne! Lächerlich und dabei widerwärtig im höchsten Grade! Wie die Wut in ihm tobte und doch zu keinem rechten Ausbruch zu kommen vermochte! Vor solchen verstockten Gesellen bin ich gern auf der Hut. Gebt acht auf meinen Argus und bedenkt, daß wir in Ägypten sind, dem Lande, das, wie schon Homer sagt, voll ist von Giften. Mastor soll die Augen offen halten; da ist er ja endlich.«
Fünfzehntes Kapitel
Als der Leibsklave des Kaisers sich aufgemacht hatte, um der von dem Molosser seines Herrn bedrohten Selene Hilfe zu leisten, war ihm schon etwas begegnet, das er nicht vergessen konnte, hatte er einen Eindruck empfangen, den er nicht zu verwischen vermochte, hatten ihm Worte und Klänge die Seele berührt, die unaufhörlich in ihr nachtönten und ihm Herz und Sinn so mächtig bedrückten, daß er befangen und halb im Traume dem Herrn die Handreichungen leistete, die er sonst Morgen für Morgen frisch und mit aller Aufmerksamkeit zu verrichten gewohnt war.
Sommer und Winter pflegte Mastor vor Sonnenaufgang das Schlafgemach seines Herrn zu verlassen, um alles vorzubereiten, was Hadrian bedurfte, wenn er sich vom Lager erhob.
Da gab es die Goldbeschläge an der schmalen Beinschiene und die Lederriemen, die zu den Soldatenstiefeln seines Herrn gehörten, zu putzen, seine Kleider zu lüften und neu mit dem kaum merklichen, zarten Wohlgeruch, den er liebte, zu besprengen; die meiste Zeit aber nahmen die Vorbereitungen für das Bad Hadrians in Anspruch.
Auf der Lochias gab es noch nicht, wie zu Rom in den Kaiserpalästen, wohleingerichtete Bäder, und doch wußte der Diener, daß sein Herr auch hier eine Fülle von Wasser brauchen würde.
Man hatte ihm gesagt, er möge sich, sobald er etwas für seinen Gebieter bedürfen sollte, an den Baumeister Pontius wenden. Er fand diesen auch, ohne ihn zu suchen, vor dem für Hadrian bestimmten Wohngemache, dem er, während der Kaiser schlief, mit seinen Gehilfen ein behagliches und dem Auge zusagendes Ansehen zu geben bestrebt war. Der Architekt verwies den Sklaven auf die Arbeiter, die im ersten Vorhof des Palastes mit der Legung des Pflasters beschäftigt waren. Diese Leute sollten ihm so viel Wasser hertragen, wie er nur immer gebrauchte.
Den Leibdiener des Kaisers enthob seine Stellung von dergleichen niedrigen Diensten; aber auf der Jagd, auf Reisen und wo es nottat, pflegte er sie ungefragt und gern zu verrichten.
Die Sonne war noch nicht aufgegangen, als er in den Hof trat.
Viele Sklaven lagen dort noch auf ihren Matten und schliefen, andere hatten sich um ein Feuer gelagert und warteten auf ihre Suppe, die ein Knabe und ein alter Mann mit hölzernen Stäben umrührten.
Weder die einen noch die anderen wollte Mastor stören, er ging vielmehr auf eine Gruppe von Arbeitern zu, die sich erst nur miteinander zu unterhalten schienen, jetzt aber aufmerksam auf die Rede eines alten Mannes lauschten, der ihnen wohl eine Geschichte erzählte.
Das Herz des armen Burschen war sehr schwer und sein Sinn nicht auf Märchen und Kurzweil gerichtet.
Das Leben war ihm ganz vergällt. Die Dienstleistungen, die von ihm verlangt wurden, schienen ihm sonst eine alles andere überragende Wichtigkeit zu besitzen; heute aber stand es anders.
Er hatte die dunkle Empfindung, als habe ihn das Schicksal selbst von all seinen Pflichten entbunden, als habe das Unglück das Band zerschnitten, das ihn an seinen Dienst und den Kaiser fesselte, und ihn zu einem einsamen und auf sich selbst gestellten Manne gemacht.
Es kam ihm auch in den Sinn, ob er nicht die Goldstücke, die ihm Hadrian und reiche Leute, die früher als andere aus dem Wartezimmer vor die Person des Kaisers geführt zu werden wünschten, zugeworfen oder in die Hand gesteckt hatten, zusammennehmen, die Flucht ergreifen und, was er besaß, in den Schenken der großen Stadt beim Wein und mit lustigen Dirnen verjubeln sollte. Was dann geschah, konnte ihm gleich sein.
Wenn man ihn wieder einfing, wurde er vielleicht zu Tode gepeitscht; aber er hatte Fußtritte und Schläge genug bekommen, bevor er in den Dienst des Kaisers gelangte, ja als er nach Rom geschleppt wurde, war er sogar einmal mit Hunden gehetzt worden. Kam er ums Leben, was tat es? Einmal war ja doch alles vorbei, und die Zukunft schien ihm nichts zu bieten als Übermüdung im Dienst eines ruhelosen Herrn, Kummer und Hohn.
Er war ein grundguter Mensch, der niemand ein Leid zufügen mochte und dem es sogar schwer fiel, andere in ihrem Vergnügen oder in ihrer Unterhaltung zu stören.
Heute war er am wenigsten dazu geneigt; denn wem das Herz weh tut, der empfindet fein, wie es seinesgleichen zu Mute ist.
Als er sich der Arbeitergruppe, aus der er sich die Wasserträger wählen wollte, genähert hatte, beschloß er, den Erzähler, an dessen Lippen die Blicke der ihn umgebenden Leute hingen, ausreden zu lassen.
Der Schein des Feuers unter dem Suppenkessel fiel auf das Antlitz des Redenden.
Es war ein alter Arbeiter, jedoch ein freier Mann, das bewiesen seine langen Haare. Wegen des vollen weißen Bartes fühlte sich Mastor geneigt, ihn für einen Juden oder Phönizier zu halten. Nichts Ungewöhnliches war an dem mit einem ärmlichen Kittel bekleideten Greise als seine eigentümlich glänzenden, unbewegt gen Himmel gerichteten Augen und die schräge Neigung des Hauptes, dessen linke Seite sich an die erhobenen Hände schmiegte.
»Und nun,« sagte der Erzähler, indem er die Arme sinken ließ, »laßt uns wieder an die Arbeit gehen, Brüder! ›Im Schweiße eures Angesichtes sollt ihr euer Brot essen‹, so steht es geschrieben. Uns Alten fällt es manchmal schwer, die Steine zu heben und den steifen Rücken so lange zu krümmen; aber wir sind ja einer schöneren Zeit näher als ihr. Das Leben wird uns allen nicht leicht; doch der Herr hat ja gerade uns, die wir schwere Mühe und Last tragen, vor allen anderen zu Gaste geladen, und die Sklaven unter uns gewiß nicht am letzten.«
»Kommet her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken,« unterbrach ein jüngerer Mann den Alten, indem er die Worte Christi wiederholte.
»Ja, so spricht der Heiland,« fuhr der Alte zustimmend fort, »und dabei hat er gewiß an uns gedacht. Ich sagte schon: wir haben's nicht leicht, aber um wie viel schwerer war doch die Last, die Er freiwillig auf sich nahm, um uns vom Leid zu erlösen. – Arbeiten muß jeder, muß auch der Kaiser, Er aber, der in seines Vaters Herrlichkeit leben konnte, ließ sich verspotten und verhöhnen und ins Gesicht speien, ließ sich Dornen in die arme Stirn drücken, trug sein schweres Kreuz, dessen Gewicht ihn erdrückte, und litt den qualvollsten Tod, und das alles um unsertwillen, ohne zu murren. Aber er litt nicht vergebens; denn der Herr nahm das Opfer seines Sohnes an und tat ihm den Willen und sagte: ›Alle, die an ihn glauben, sollen nicht verloren sein, sondern das ewige Leben haben.‹ – So mag denn ein neuer schwerer Tag beginnen, so mögen ihm denn tausend schwerere folgen, so mag denn der Tod das Leben beschließen: wir glauben an unseren Erlöser, wir haben Gottes Versprechen, uns aus Leid und Jammer in seinen Himmel zu laden und uns für eine kurze Zeit des Elends in dieser Welt nie endende Jahrtausende der Freude zu schenken. – Geht nun an die Arbeit. Für dich, mein Knakias, arbeitet wohl der rüstige Krates, bis deine Finger geheilt sind. Wenn das Brot verteilt wird, so denke doch jeder an die Kinder des guten, seligen Philammon. Dir, mein armer Gibbus, wird das Schaffen heute sauer werden. Der Herr dieses Mannes, meine lieben Brüder, hat gestern seine beiden Töchter an einen Händler aus Smyrna verkauft. Wenn nicht hier in Ägypten oder in einem anderen Lande, mein Gibbus, so findet ihr euch doch bei unserem himmlischen Vater wieder, darauf vertraue. Das Erdenleben ist unser Weg, das Ziel ist der Himmel, und der Führer, der uns lehrt, es nie zu verfehlen, ist unser Erlöser. Mühe und Arbeit, Kummer und Leid sind leicht für jeden zu tragen, der da weiß, daß, wenn der Feierabend naht, ihm der König der Könige seine Wohnung öffnen wird, um ihn als lieben Gast in sein Haus zu rufen, das alle, die uns teuer waren, beherbergt.«
»Kommet her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken,« sprach wiederum mit lauter Stimme ein Mann aus dem rings um den Alten lagernden Kreise.
Der Greis stand auf, winkte einem Knaben, der Brot zu gleichen Teilen unter die Arbeiter verteilte, und griff nach einem Henkelkruge, um einen größeren hölzernen Becher mit Wein zu füllen.
Mastor war kein Wort von dieser Rede entgangen, und das mehrmals wiederholte: »Kommet her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken,« klang in ihm wider wie das Gastgebot eines freundlichen, zu schönen Tagen der Freiheit und Freude ladenden Wirtes.
In der Nacht seines Kummers zeigte sich ein ferner leuchtender Schimmer, der einen neuen Morgen zu verheißen schien, und ehrerbietig nahte er sich dem Alten, um ihn zunächst zu fragen, ob er der Aufseher der um ihn versammelten Arbeiter sei.
»Der bin ich,« entgegnete der Greis und wies ihm, sobald er gehört hatte, was Mastor im Auftrage des leitenden Baumeisters begehrte, einige jüngere Sklaven zu, die schnell das nötige Wasser herbeischafften.
Pontius begegnete dem Diener des Kaisers und seinen Krugträgern und sagte so laut, daß Mastor ihn verstand, zu dem ihn begleitenden Bildhauer Pollux:
»Der Sklave des Baumeisters läßt heute seinen Herrn von Christen bedienen. Das sind ordentliche, nüchterne Arbeiter, die still ihre Pflicht tun.«
Während Mastor seinem Herrn Tücher reichte, ihn trocknete und ankleidete, war er weit weniger als sonst bei der Sache gewesen, denn die Worte, die er aus dem Munde des alten Aufsehers vernommen hatte, kamen ihm nicht aus dem Sinn.
Er hatte sie nicht alle verstanden, aber wohl begriffen, daß es einen freundlichen Gott gäbe, der in eigener Person die schwersten Qualen erlitten, der den Armen, den Elenden und Sklaven besonders hold und sie zu erquicken, zu trösten und mit allen, die ihnen einst teuer gewesen, zusammenzuführen bereit sei.
Das »Kommet her zu mir« klang ihm wieder und immer wieder so heimlich und warm ans Herz, daß er dabei erst an seine Mutter denken mußte, die ihm manchmal, als er noch ein Kind war, gerufen hatte, um ihn, wenn er auf sie zugeeilt war, in den weit geöffneten Armen aufzufangen und ans Herz zu ziehen. Ebenso hatte er es mit seinem kleinen verstorbenen Sohne mehr als einmal gemacht, und die Empfindung, daß es jemand geben könnte, der ihn, den verlassenen, einsamen Mann, liebreich zu sich heranrufen könnte, um ihn von seinem Leid zu erlösen, um ihn mit seiner Mutter, seinem Vater und den in der fernen verlorenen Heimat zurückgebliebenen Lieben wieder zu vereinigen, nahm seinem Kummer die Hälfte der Bitterkeit.
Er war gewohnt, auf alles zu hören, was in des Kaisers Nähe gesprochen wurde, und hatte von Jahr zu Jahr mehr davon zu verstehen gelernt.
Oft war über die Christen geredet worden, und zwar gewöhnlich als von irregeleiteten und gefährlichen Toren.
Es hieß auch von mehreren seiner Mitsklaven, sie wären christliche Narren; manchmal aber hatten besonnene Männer und zuzeiten sogar Hadrian selbst für die Christianer Partei genommen.
Jetzt hatte Mastor zum erstenmal aus ihrem eigenen Munde gehört, was sie glaubten und hofften, und während er seinen Dienst verrichtet, hatte er es kaum erwarten können, den alten Pflasterleger wiederum aufzusuchen, ihn zu befragen und die Hoffnungen, die seine Worte in ihm erweckt hatten, von ihm bestätigt zu hören.
Sobald Hadrian mit Antinous das Wohngemach betreten hatte, war Mastor auf den Hof zu den Christen zurückgeeilt. Dort hatte er mit dem Aufseher ein Gespräch über seinen Glauben anzuknüpfen versucht; aber der Alte ihm nur erwidert, alles habe seine Zeit. Jetzt dürfe die Arbeit nicht unterbrochen werden. Nach Untergang der Sonne möge er wiederkommen. Dann würde er ihm von Demjenigen reden, der verheißen habe, die Leidtragenden zu erquicken. Von da an hatte Mastor nicht mehr an Flucht gedacht.
Als er wieder vor seinen Gebieter trat, lag ein so sonniger Glanz in seinen blauen Augen, daß Hadrian die scheltenden Worte, die er für ihn bereit hielt, unausgesprochen ließ und, indem er auf ihn hinwies, Antinous lachend zurief:
»Ich glaube, der Schelm hat sich schon getröstet und ein neues Weibchen gefunden. Laß auch uns, so gut es gehen will, dem Horaz folgen und den heutigen Tag genießen. Die Zukunft gehen zu lassen, wie sie mag, kann sich der Dichter erlauben, ich nicht; denn leider bin ich ja Kaiser.«
»Rom weiß den Göttern Dank, daß du es bist,« entgegnete Antinous.
»Was der Junge manchmal für gute Worte findet,« lachte Hadrian und strich dem Liebling über die braunen Locken. »Jetzt arbeite ich bis Mittag mit Phlegon und Titianus, den ich erwarte, und dann wird es vielleicht etwas zu lachen geben. Frage den langen Bildhauer hinter den Schranken, zu welcher Stunde Balbilla ihm zu seiner Büste zu sitzen gedenkt. Man muß die Arbeiten des Baumeisters und der alexandrinischen Künstler auch bei Tage betrachten; das haben sie mit ihrem Eifer verdient.«
Hadrian begab sich in das Gemach, woselbst sein Geheimschreiber die aus Rom und der Provinz eingelaufenen Briefe und Schriften, die der Kaiser zu lesen und zu unterschreiben hatte, für ihn bereit hielt.
Antinous blieb allein in dem Wohngemach zurück und schaute eine Stunde lang den Schiffen zu, die in dem Hafen vor Anker gingen oder die Reede verließen, und freute sich an den schnellen Booten, die, wie Wespen die reifen Früchte, die großen Fahrzeuge umschwärmten. Dann hörte er auf den Gesang der Matrosen und das des Flötisten, der den Takt des Ruderschlages auf dem Dreiruderer leitete, der eben den kaiserlichen Privathafen dicht unter ihm verließ. Auch die reine Bläue des Himmels und die Wärme des schönen Morgens erfreute ihn, und er fragte sich, ob der leichte, den Hafen umwehende Teergeruch angenehm sei oder nicht.
Als die Sonne höher stieg, blendete ihn ihr grelles Licht. Gähnend zog er sich von dem Fenster zurück, streckte sich auf einem Polster aus und schaute gedankenlos und ohne sich um die Gegenstände zu kümmern, die die verblichenen Gemälde an der Decke des Zimmers darstellten, zu ihnen hinauf.
Der Müßiggang war längst die Tätigkeit seines Lebens geworden; aber so sehr er sich auch an ihn gewöhnt hatte, empfand er doch noch manchmal seinen grauen Schatten, die Langeweile, als eine widerwärtige, störende Beeinträchtigung der Lebenslust.
Gewöhnlich dachte er in solchen einsamen Stunden müßiger Träumerei an die Seinen in Bithynien, von denen er vor dem Kaiser nicht reden durfte, oder auch an Jagdzüge, die er mit Hadrian unternommen hatte, an erlegtes Wildbret, an Fische, die er, ein guter Angler, erbeutet hatte, oder dergleichen.
Was die Zukunft bringen würde, kümmerte ihn nicht; denn Schaffenslust, Ehrgeiz und alles, was einer leidenschaftlichen Regung gleichsah, war bis dahin seiner Seele fremd geblieben.
Die Bewunderung, die seine Schönheit überall erregte, freute ihn nicht, und manchmal war es ihm zumute, als lohne es sich nicht, ein Glied zu rühren oder Atem zu holen.
Fast alles, was er sah, war ihm völlig gleichgültig, nur nicht ein gutes Wort aus dem Munde des Kaisers der ihm über alles Menschenmaß groß zu sein schien, den er fürchtete wie ein Schicksal und mit dem er sich doch verbunden fühlte wie die Blume mit dem Baum, die sterben muß, wenn man den Stamm vernichtet, an dem sie wie ein freundlicher Zierat flattert.
Als er sich heute auf dem Diwan ausstreckte, nahmen seine Träumereien eine neue Richtung.
Er mußte des blassen Mädchens gedenken, das er vor den Zähnen des Molossers gerettet, der weißen, kalten Hand, die sich einen Augenblick um seinen Hals geschlungen, und der kühlen Worte, mit denen sie ihn dann zurückgewiesen hatte.
Antinous begann sich mächtig nach Selene zu sehnen, derselbe Antinous, dem in allen Städten, die er mit dem Kaiser besuchte, und besonders zu Rom, die gefeierten Schönen Blumensträuße und zärtliche Briefe zutragen ließen, und der doch, seitdem er die Heimat verlassen, noch nie für ein weibliches Wesen auch nur halb so große Teilnahme empfunden hatte wie für das Jagdpferd, das ihm der Kaiser geschenkt, oder für den großen Molosser.
Wie atmender Marmor kam dieses Mädchen ihm vor. Vielleicht mußte derjenige sterben, den sie an die kühle Brust schloß, aber solcher Tod mußte wonnevoll sein, und es schien ihm tausendmal seliger, mit erstarrtem Blut als durch überschnelle Schläge des Herzens zugrunde zu gehen.
»Selene,« murmelten seine Lippen mehrmals mit leisem Beben; eine seinem stillen Wesen fremde, sich durch all seine Glieder fortpflanzende Unruhe bemächtigte sich seiner, und er, der sonst stundenlang, ohne sich zu regen, auf einem Polster ausgestreckt liegen und träumen konnte, sprang jetzt vom Lager in die Höhe und durchmaß tief atmend mit langen Schritten das Gemach.
Leidenschaftliche Sehnsucht nach Selene trieb ihn auf und nieder, und der Wunsch, sie wiederzusehen, härtete sich zum Vorsatz und trieb ihn an, emsig auf Mittel und Wege zu sinnen, sie vor der Rückkehr des Kaisers wiederzusehen.
Ohne weiteres in die Wohnung des empörten Vaters zu dringen, schien ihm unmöglich, und doch war er gewiß, sie dort zu finden; denn ihr verletzter Fuß hielt sie sicher im Hause zurück.
Sollte er den Verwalter wieder um Brot und Salz angehen?
Aber in Hadrians Namen durfte er nach dem Auftritte, der vor kurzem hier stattgefunden hatte, Keraunus um nichts ersuchen.
Sollte er hingehen und ihr einen neuen Krug an Stelle des zerbrochenen bringen? Das würde den hochmütigen Mann von neuem empören.
Sollte – sollte – sollte er nicht. Nein, dies alles war völlig unmöglich! Aber das, das, ja das war das Rechte!
In seinem Salbenkasten standen einige Essenzen, die ihm der Kaiser gegeben. Von diesen wollte er ihr eine anbieten, um sie, mit Wasser verdünnt, auf den kranken Fuß zu legen. Diese Tat des Mitleids konnte auch sein Gebieter, der selbst seine Kenntnisse in der Heilkunst gern an Kranken erprobte, nicht mißbilligen.
Sogleich rief er Mastor und befahl ihm, den Molosser, der ihm bei seinen Wanderungen durch das Zimmer gefolgt war, zu hüten; dann ging er in sein Schlafgemach, nahm dort ein Fläschchen von äußerst kostbarem Stoff, das ihm Hadrian an seinem letzten Geburtstage geschenkt und das früher Plotina, die Gattin Trajans, besessen hatte, und begab sich in die Wohnung des Verwalters. Bei den Stufen, auf denen er Selene gefunden hatte, begegnete er dem schwarzen Sklaven mit einigen Kindern.
Der Alte war aus Furcht vor der Dogge des Römers hier sitzen geblieben.
Antinous trat zu dem Sklaven heran und bat ihn, ihn zur Wohnung seines Herrn zu führen.
Der Neger ging ihm sogleich voran, öffnete die Tür des Vorgemachs und sagte, indem er mit dem Finger nach dem Wohnzimmer wies:
»Dort! Aber Keraunus ist ausgegangen.«
Ohne sich weiter um Antinous zu kümmern, ging der Sklave zu den Kindern zurück. Jetzt blieb der Bithynier unschlüssig mit seinem Fläschchen stehen; denn außer der Stimme Selenes hörte er auch die Stimme eines anderen Mädchens und die tiefere eines Mannes.
Er zauderte noch, als ihn die laute Frage Arsinoes: »Wer kommt da?« zu weiterem Vorschreiten nötigte.
In dem Wohngemache stand Selene in einem langen, hellen Gewande und mit dem Schleier über dem Haupte, wie zum Ausgehen gerüstet; ihre jüngere Schwester aber schwebte so, daß nur ihre Fußspitzen den Erdboden berührten, an dem Rand eines Tisches, auf dem viele altertümliche Dinge lagen.
Vor ihr stand ein phönizischer Herr in mittleren Jahren, der einen schön geschnitzten Becher in der Hand hielt. Er schien mit der Jungfrau um ihn zu handeln.
Keraunus hatte sich heute wiederum zu einem Kunsthändler begeben, ihn aber nicht zu Hause getroffen und in seinem Magazin die Aufforderung zurückgelassen, Hiram möge ihn in seiner Wohnung auf der Lochias besuchen; denn er könnte ihm dort wertvolle Seltenheiten zeigen.
Der Phönizier war vor der Heimkehr des Verwalters, der in einer Sitzung des Rates festgehalten wurde, bei Keraunus eingetreten, und Arsinoe zeigte ihm jetzt die Schätze ihres Vaters, deren Vorzüge sie mit großer Beredsamkeit hervorhob.
Leider tat Hiram nicht viel höhere Angebote als der gestern abend von dem Verwalter so übel heimgesandte Gabinius.
Selene war von vornherein des Mißerfolges gewiß gewesen und wünschte dem Handel bald ein Ende zu machen; denn die Stunde nahte, in der sie sich mit Arsinoe in die Papyrusfabrik begeben mußte. Der Weigerung der Schwester, sie zu begleiten, und die Bitte der Sklavin, wenigstens heute ihren Fuß zu schonen, hatte sie ein trotziges: »Ich gehe!« entgegengesetzt.
Das Erscheinen des Jünglings versetzte die Mädchen in einige Unruhe.
Selene erkannte ihn sogleich, Arsinoe fand ihn schön, aber linkisch; der Kunsthändler aber sah ihn voll Verwunderung an und bot ihm zuerst seinen Gruß.
Antinous erwiderte ihn, verneigte sich höflich vor den Schwestern und sagte dann, indem er sich an Selene wandte:
»Wir hörten, du wärest am Kopfe verwundet und dein Fuß sei beschädigt, und weil wir doch an deinem Unfall schuld sind, möchten wir dir dies Fläschchen anbieten, das ein gutes Mittel gegen solche Schäden enthält.«
»Ich danke dir,« entgegnete die Jungfrau; »aber ich fühle mich wieder so gut, daß ich gleich auszugehen versuche.«
»Das solltest du nicht tun,« bat Antinous dringend.
»Ich muß,« versetzte Selene entschieden.
»So behalte wenigstens das Fläschchen, um später Umschläge zu machen. Zehn Tropfen gießt du in einen Becher mit Wasser.«
»Ich kann es versuchen, wenn ich zurück bin.«
»Tu es, und du wirst sehen, wie heilsam es ist. Du bist uns doch nicht mehr böse?«
»Nein.«
»Das freut mich!« rief er und schaute Selene mit den großen Träumeraugen voll stiller Leidenschaft an.
Ihr mißfiel dieser Blick, und kühler als vorher fragte sie den Bithynier:
»An wen geb' ich dies Fläschchen zurück, wenn ich seinen Inhalt benützte?«
»Behalte es, bitte,« bat Antinous. »Es ist schön und gewinnt doppelten Wert für mich, wenn du es besitzest.«
»Hübsch ist es; aber ich mag keine Geschenke.«
»So zerschlag' es, wenn du es gebrauchtest. Du hast uns den schlimmen Streich der Dogge doch nicht verziehen, und es tut uns so herzlich leid, daß unser Hund . . .«
»Ich zürne dir nicht. – Arsinoe, gieße doch die Arznei in ein Schälchen.«
Die jüngere Tochter des Verwalters tat sogleich, wie ihr geheißen, und als sie dabei bemerkte, wie hübsch das Fläschchen war und in wie vielen Farben es spielte, sagte sie unbefangen:
»Wenn meine Schwester es nicht will, so schenke es mir. Wie kann man nur um ein Nichts solch Aufhebens machen, Selene!«
»So nimm es,« versetzte Antinous und schaute ängstlich zu Boden; denn jetzt kam ihm auf einmal in den Sinn, wie hoch der Kaiser dies kleine Gefäß geschätzt hatte, und daß er ihn vielleicht später einmal danach fragen könnte.
Selene zuckte die Achseln und rief, indem sie den Schleier über die Stirn zog, der Schwester mit einem unzufriedenen Blicke zu:
»Es ist hohe Zeit.«
»Ich mag heute nicht,« entgegnete Arsinoe trotzig, »und es ist Unsinn, daß du mit deinem geschwollenen Fuß eine Viertelstunde lang gehen willst.«
»Es wäre besser, wenn du dich schontest,« sagte der Kunsthändler höflich, und Antinous fügte besorgt hinzu:
»Wenn sich dein Leiden verschlimmert, so verschärfst du den Vorwurf, den wir uns machen.«
»Ich muß gehen,« entgegnete Selene entschieden, »und du kommst mit mir, Schwester.« Diese Worte sprach sie nicht aus Eigensinn, nein, herbe Notwendigkeit drängte sie ihr auf die Lippen.
Sie durfte heute in der Papyrusfabrik nicht fehlen; denn der Wochenlohn für Arsinoe und ihre eigene Arbeit sollte ausgezahlt werden. Außerdem blieben morgen und vier andere Tage die Werkstätten und Kassen geschlossen; denn der Kaiser hatte dem reichen Besitzer der Fabrik zugesagt, sie zu besuchen, und zu Ehren Hadrians sollte viel Schadhaftes in den alten Räumen hergestellt und mancherlei Zierat an dem schmucklosen Hause angebracht werden.
Heute von der Werkstätte fern bleiben, hieß nicht nur den Lohn einer Woche, sondern den von zwölf Tagen einbüßen; denn es war den Arbeitern eröffnet worden, daß ihnen als Zeichen der Freude über den kaiserlichen Besuch der volle Sold für die freie Zeit ausgezahlt werden sollte; Selene aber brauchte Geld für die Erhaltung der Ihren und mußte darum auf ihrem Willen bestehen.
Als sie sah, daß Arsinoe keine Miene machte, ihr zu folgen, fragte sie sie noch einmal mit strengem Ernst:
»Wirst du kommen? Ja oder nein!«
»Nein!« rief Arsinoe trotzig und setzte sich fester auf den Tischrand.
»So soll ich allein gehen?«
»Hierbleiben sollst du!«
Selene trat noch einmal näher auf die Schwester zu und schaute sie fragend und vorwurfsvoll an.
Aber Arsinoe bestand auf ihrem Willen.
Wie ein schmollendes Kind verzog sie den Mund, schlug mit den Handflächen, auf die sie sich gestützt hatte, dreimal auf den Tisch und rief ihr ebenso oft »nein« zu. Da winkte Selene der alten Sklavin, befahl ihr, in dem Wohnzimmer zu bleiben, bis der Vater zurückkehren würde, grüßte den Kunsthändler freundlich, Antinous nur mit einer gleichgültigen Neigung des Kopfes, und verließ das Zimmer.
Der Jüngling folgte ihr und traf mit ihr bei den Kindern zusammen. Sie zog ihnen die Kleidchen zurecht und gebot ihnen, wegen des bösen Hundes dem Gange fern zu bleiben. Antinous strich dem kleinen blinden Helios über den hübschen Lockenkopf und fragte Selene, als sie sich anschickte, die Treppe hinanzusteigen:
»Darf ich dir helfen?«
»Ja,« lautete die Antwort; denn schon auf der ersten Stufe empfand sie einen stechenden Schmerz im Fuße und hielt dem jungen Mann den Ellbogen hin, damit er ihn stütze.
Ihre Entgegnung wäre anders ausgefallen, wenn sie auch nur das geringste für den Liebling des Kaisers empfunden hätte; aber sie hatte das Bild eines anderen Mannes im Herzen und sah nicht einmal, daß Antinous schön war.
So schnell hatte das Herz des Bithyniers noch nie geschlagen, wie während der kurzen Augenblicke, in denen es ihm jetzt gestattet war, Selenes Arm zu berühren.
Er fühlte sich wie berauscht, aber er nahm dennoch wahr, daß sie Schmerzen litt, während sie die wenigen Stufen der kleinen Treppe hinanstieg.
»Bleibe doch heute zu Hause und schone dich,« bat er noch einmal mit unsicherer Stimme.
»Ihr langweilt mich,« antwortete sie verdrossen. »Ich muß gehen und hab' es nicht weit.«
»Darf ich dich begleiten?«
Da lachte sie auf und entgegnete mit leisem Hohn in der Stimme:
»Gewiß nicht! Führe mich nur durch den Gang, damit der Hund mich nicht wieder anfällt; dann gehe, wohin du willst, nur nicht mit mir.«
Er gehorchte, und als er ihr da, wo der Gang an einen größeren Saal stieß, »Lebewohl« sagte, dankte sie ihm mit einigen freundlichen Worten.
Es gab zwei Wege, um aus des Vaters Wohnung ins Freie zu gelangen. Der eine führte durch den Rundellplatz mit den Köpfen der ptolemäischen Frauen über viele Terrassen treppauf, treppab in den ersten Hof, der andere in ebener Fläche durch die Zimmer und Säle des Palastes.
Sie mußte den letzteren wählen, weil es ihr unmöglich gewesen wäre, mit dem schmerzenden Fuße ohne Hilfe viele Stufen zu erklimmen und von ihnen niederzusteigen; doch sie entschied sich ungern für diesen Weg; denn sie wußte, wie viele Männer gerade hier mit Erneuerungsarbeiten beschäftigt waren.
Um sicher zu gehen, nahm sie sich vor, ihren Gespielen zu bitten, sie durch die Scharen der Werkleute und rohen Sklaven bis zum Hause seiner Eltern zu führen.
Auch dieser Entschluß war ihr nicht leicht; denn seit dem Nachmittage, an dem Pollux die Büste der Mutter ihrer Schwester Arsinoe eher als ihr gezeigt hatte, grollte sie dem Bildhauer, dem sich noch jüngst die ermattete, liebesarme Seele weit, weit geöffnet hatte. Und ihr Groll hatte sich nicht vermindert, sondern war mit der Zeit gewachsen.
Ja, zu jeder Stunde des Tages und bei allem, was sie tat, mußte sie sich wiederholen, daß sie Grund habe, ihm gram zu sein.
Sie hatte ihm ein zweites Mal zum Modell gedient, mehrmals mit ihm geredet und bei ihrem letzten Abschied versprochen, ihm heute abend noch einmal zu gestatten, den Faltenwurf ihres Mantels zum Vorbild zu nehmen.
Wie sehnlich hatte sie das neue Beisammensein mit Pollux erwartet, wie besonders liebenswert war er ihr bei jeder neuen Begegnung erschienen, wie lebhaft wußte auch er seiner Freude Ausdruck zu geben, so oft er sie sah.
Von vielerlei, auch von Liebe hatten sie miteinander geredet, und wie eifrig war er geworden, als er ihr die Versicherung erteilte, um glücklich zu sein, fehle ihr nichts als ein guter Mann, der sie, wie sie es verdiene, auf den Händen tragen würde. Dabei hatte er auf seine großen Finger geschaut, sie aber war rot geworden und hatte gedacht, daß sie, wenn er nur wollte, gern den Versuch wagen würde, das Leben an seiner Seite froh zu genießen.
Es wollte ihr scheinen, als gehörten sie beide zusammen, als wäre sie für ihn und er für sie geboren.
Warum hatte er nun gestern das Bild ihrer Mutter Arsinoe eher gezeigt als ihr?
Jetzt wollte sie ihn fragen, ob er es für sie oder für ihre Schwester auf dem Rundplatze aufgestellt habe, und ihm ihre Unzufriedenheit zu fühlen geben. Sie mußt ihm auch mitteilen, daß sie heute abend nicht wieder Modell stehen könnte. Schon um des Fußes willen war dies unmöglich.
Mit steigendem Schmerz überschritt sie die Schwelle der Musenhalle und näherte sich den Schranken, die den Gespielen verbargen.
Er war nicht allein; denn es wurde in dem Verschlage gesprochen, und kein Mann, sondern eine Frau leistete ihm Gesellschaft; sie hörte schon von weitem ihr heiteres Lachen.
Als sie dann neben den Schranken stand, um Pollux zu rufen, erhob das Weib, das er jetzt gewiß als Modell benutzte, die Stimme noch lauter als vorher und rief lustig:
»Aber das ist stark. An die Stelle meiner Zofe soll ich dich setzen! Was sich doch solch ein Künstler herausnimmt.«
»Sage ja,« bat er mit derselben gemütvoll heiteren Stimme, die ihr mehr als einmal das Herz umstrickt hatte. »Du bist wunderschön, Balbilla; wenn du mich aber gewähren ließest, so könntest du noch viel schöner sein, als du bist.«
Wieder erscholl ein munteres Gelächter hinter den Schranken.
Sein heller Ton mußte der armen Selene wohl sehr wehe getan haben; denn sie hob die Schultern hoch in die Höhe und verzog das schöne Gesicht, als ob sie einen großen Schmerz erdulde, während sie an den Schranken des mit seiner Schönen tändelnden Gespielen vorbei und dann über den Hof auf die Straße hinkte.
Was marterte die Arme so schwer? Die Not ihres Hauses, ihr körperliches Leid, das sich mit jedem neuen Schritte vermehrte, oder ihr erstarrendes, wundes, um seine jung erblühte, schönste und letzte Hoffnung betrogenes Herz?
Sechzehntes Kapitel
Wenn Selene sonst auf die Straße trat, schaute ihr mancher Mann mit Bewunderung nach; heute aber bildeten nur zwei Gassenbuben ihr Gefolge. Sie riefen fortwährend »Klipp, klapp!« hinter ihr her. Dazu reizte die erbarmungslosen Gesellen die locker angeschnallte Sohle an des Mädchens krankem Fuße, die bei jedem seiner Schritte auf das Pflaster schlug.
Während Selene so unter grausamen Schmerzen der Papyrusfabrik näher kam, kehrten Freude und Glück bei Arsinoe ein; denn kaum hatte ihre Schwester mit Antinous die Wohnung ihres Vaters verlassen, als der Kunsthändler Hiram sie bat, ihm das Fläschchen zu zeigen, das der schöne junge Mann ihr soeben geschenkt hatte.
Aufmerksam wandte es der Kaufmann im Lichte der Sonne nach allen Seiten, prüfte seinen Klang, fuhr mit dem Stein in seinem Ringe darüber hin und murmelte dann in leisem Selbstgespräch: »Vasa Murrhina.«
Arsinoes scharfen Ohren entging dieses Wort nicht, und sie wußte durch den Vater, daß die kostbarsten von allen Ziergefäßen, mit denen reiche Römer ihre Prunkgemächer schmückten, Vasa Murrhina wären. Darum erklärte sie ihm sogleich, daß sie wisse, wie hohe Summen man für solche Fläschchen zahle, und daß sie ihm das ihre keinesfalls billig verkaufe. Da begann er zu bieten. Lachend verlangte sie den zehnfachen Preis, und nach einem zwischen dem Kunsthändler und dem Mädchen bald heiter, bald mit großem Ernste ausgefochtenen Streite sagte der Phönizier:
»Zweitausend Drachmen; keinen Sesterz mehr.«
»Das ist gewiß noch lange nicht genug; aber da hast du's.«
»Einer weniger schönen Verkäuferin hätte ich kaum die Hälfte bewilligt.«
»Und ich laß es dir nur, weil du solch ein artiger Mann bist.«
»Das Geld schicke ich vor dem Untergange der Sonne.«
Diese Worte machten das Mädchen, das vor Überraschung und Freude strahlte und dem kahlköpfigen Kaufmann oder ihrer noch weniger schönen Sklavin und am liebsten der ganzen Welt gern um den Hals gefallen wäre, bedenklich; denn der Vater kam gewiß bald nach Hause, und sie verhehlte sich nicht, daß er ihr Tun mißbilligen und wahrscheinlich dem jungen Manne sein Fläschchen und dem Kunsthändler sein Geld zurückschicken würde. Sie selbst hätte den Fremden niemals um das Gefäß gebeten, wenn ihr die Höhe seines Wertes bekannt gewesen wäre, aber nun gehörte es ihr einmal, und gab sie es wieder fort, so geschah damit niemand ein Gefallen, wahrscheinlich hätte sie den Fremden nur beleidigt und sich dazu selbst um das größte Vergnügen gebracht, auf das sie sich jemals gefreut.
Was war nun zu tun?
Immer noch saß sie auf dem Tische, hielt die Spitze ihres linken Fußes mit der rechten Hand gefangen und schaute in dieser verwegenen Stellung so ernst zu Boden, als ob sie einen Gedanken oder ein Auskunftsmittel aus den Figuren auf dem Estrich herauszulesen versuche.
Der Kunsthändler ergötzte sich einen Augenblick an ihrer Verlegenheit, die ihr reizend stand, und wünschte seinen Sohn, einen jungen Maler, an seine Stelle; endlich aber brach er das Schweigen und sagte:
»Dein Vater wäre vielleicht mit unserem Handel nicht einverstanden, und doch wünschest du für ihn das Geld zu erlangen?«
»Wer sagt das?«
»Böte er mir wohl seine Schätze, wenn er keines bedürfte?«
»Es ist nur – ich kann nur –« stammelte Arsinoe, die wenig geübt im Lügen, »ich möchte ihm nur nicht gestehen –«
»Ich sah ja, wie unschuldig du zu dem Fläschchen kamst,« entgegnete der Kaufmann, »und Keraunus braucht von dem Dinge da gar nichts zu wissen. Denke dir, du hättest es zerbrochen und seine Scherben lägen da draußen im Meere. Auf welche von diesen Sachen legt Keraunus den geringsten Wert?«
»Auf dies alte Schwert des Antonius,« gab das Mädchen zurück, dessen Züge sich wieder erhellten. »Er sagt, es sei doch wohl zu lang und zu schmal für das, was es vorstellen solle. Ich für mein Teil glaube, daß es gar kein Schwert ist, sondern ein Bratspieß.«
»Zu diesem Zwecke laß ich es morgen in meiner Küche verwenden,« entgegnete der Kaufmann, »aber ich biete zweitausend Drachmen dafür, nehme es mit und sende den Betrag in einigen Stunden. Ist es recht so?«
Arsinoe ließ den Fuß fallen, glitt von dem Tische und klatschte erfreut in die Hände.
»Sag ihm nur,« fuhr der Kaufmann fort, »ich könnte jetzt viel für dergleichen zahlen, weil sich der Kaiser gewiß nach Dingen umsehen würde, die Julius Cäsar, Marcus Antonius, Octavianus Augustus und andere große Römer in Ägypten gebraucht hätten. Die Alte da mag mir den Bratspieß nachtragen. Draußen wartet mein Sklave und soll ihn bis vor meine Küchentür unter seinem Chiton verstecken; denn trägt er ihn unverdeckt, würden mich vorübergehende Kenner um den kostbaren Schatz beneiden, und vor mißgünstigen Blicken tut man wohl sich hüten.«
Der Kunsthändler lachte, steckte das Fläschchen zu sich, gab der Alten das Schwert und nahm von dem Mädchen freundlichen Abschied.
Sobald Arsinoe allein war, lief sie in ihr Schlafgemach, um Schuhe anzuziehen, sich den Schleier überzuwerfen und in die Papyrusfabrik zu eilen.
Selene sollte wissen, welch unerwartetes Glück ihr und ihnen allen widerfahren, und dann wollte sie das arme Mädchen in einer Sänfte, die stets am Hafen zu finden war, nach Hause tragen lassen.
Es ging ja nicht immer friedlich, ja es ging oft recht stürmisch und unfriedlich her zwischen den Schwestern, was aber Arsinoe Bedeutendes begegnete, mochte es Gutes, mochte es Schlimmes sein, das mußte sie doch mit Selene teilen.
Ewige Götter, welche Lust!
Sie durfte mitten unter den Töchtern der großen Bürger nicht weniger reich geschmückt als eine von ihnen an dem Festzuge teilnehmen, es blieb noch ein hübsches Sümmchen für den Vater und die Geschwister übrig, und mit der Arbeit in der Fabrik, die sie anwiderte, die ihr verhaßt und gräßlich war, sollt' es nun hoffentlich auf immer vorbei sein.
Der alte Sklave saß noch mit den Kindern neben der Treppe.
Arsinoe hob jedes einzelne zu sich herauf, gab ihm einen Kuß und flüsterte ihm ins Ohr:
»Heute abend gibt's Kuchen!«
Dem blinden Helios preßte sie die Lippen auf beide Augen und sagte:
»Du kannst mit mir kommen, liebes Kerlchen. Ich nehme nachher für Selene eine Sänfte, und da setz' ich dich mit hinein und du wirst wie ein reiches Herrlein nach Hause getragen.«
Der kleine Blinde strebte jubelnd zu ihr empor und rief: »Durch die Luft, durch die Luft, und nicht fallen!«
Als sie ihn noch auf den Armen hielt, kam ihr Vater mit triefender Stirn und mit großer Aufregung die Treppe herauf, die von dem Rundplatze zu dem Gange führt, und sagte, nachdem er sich das Antlitz getrocknet und schnaufend den nötigen Atem gewonnen:
»Draußen ist mir der Kunsthändler Hiram mit dem Schwerte des Antonius begegnet. Du hast es ihm für zweitausend Drachmen verkauft, du Närrin!«
»Aber Vater,« lachte Arsinoe, »du hättest den Bratspieß für eine Pastete und einen Schluck Wein hergegeben.«
»Ich?« rief Keraunus, »den dreifachen Preis hätte ich für das ehrwürdige Andenken, das der Kaiser mit Talenten aufwiegen wird, zu erzielen gewußt; aber verkauft ist verkauft. Ich möchte dich auch nicht vor dem Manne bloßstellen und will dich nicht schelten. Aber doch – doch! – Der Gedanke, das Schwert des Antonius nicht mehr zu besitzen, wird mir schlaflose Nächte bereiten.«
»Wenn wir dir heute abend ein gutes Stück Fleisch vorgesetzt haben, so kommt schon der Schlummer,« entgegnete Arsinoe, nahm Keraunus das Tuch aus der Hand, trocknete ihm schmeichelnd damit die Schläfen und fuhr munter fort:
»Wir sind jetzt reiche Leute, Vater, und werden den anderen Bürgermädchen zeigen, was wir vermögen.«
»Ihr nehmt nun beide an dem Feste teil,« sagte der Verwalter bestimmt. »Der Kaiser soll sehen, daß ich zu seiner Ehre kein Opfer scheue, und wenn er euch bemerkt und ich meine Klage wegen des frechen Baumeisters bei ihm anbringe . . .«
»Das mußt du jetzt lassen,« bat Arsinoe, »wenn nur der Fuß der armen Selene bis dahin gesund ist.«
»Wo ist sie?«
»Ausgegangen.«
»Dann wird es ja mit dem Fuße so schlimm nicht sein. Sie kommt hoffentlich bald nach Hause.«
»Vielleicht; ich wollte sie eben mit einer Sänfte abholen.«
»Sänfte?« fragte Keraunus erstaunt. »Die zweitausend Drachmen haben dem Mädchen den Kopf verdreht!«
»Wegen ihres Fußes. Er tat ihr so weh, als sie fortging.«
»Warum ist sie denn nicht zu Hause geblieben? Da wird gewiß wie gewöhnlich eine Stunde lang um einen halben Sesterz gehandelt, und ihr habt beide keine Zeit zu verlieren.«
»Ich suche sie gleich.«
»Nein, nein, du wenigstens mußt hierbleiben; denn in zwei Stunden sollen sich die Frauen und Jungfrauen im Theater versammeln.«
»In zwei Stunden? Aber großer Serapis, was ziehen wir an?«
»Dafür zu sorgen ist deine Sache,« entgegnete Keraunus. »Ich werde mich selbst der Sänfte bedienen, von der du sprachst, und mich zu dem Schiffsbaumeister Tryphon tragen lassen. Ist da noch Geld in Selenes Schachtel?«
Arsinoe ging sogleich in ihr Schlafgemach und sagte, als sie zurückkam: »Das ist alles. Sechs doppelte Drachmen.«
»Mit vieren hab' ich genug,« entgegnete der Verwalter, steckte aber nach kurzem Besinnen das ganze halbe Dutzend zu sich.
»Was willst du bei dem Schiffsbauer?« fragte Arsinoe.
»Im Rat,« versetzte Keraunus, »wurde ich wieder um euretwillen geplagt. Eine meiner Töchter, sagte ich, wäre krank und die andere müsse sie pflegen; das ließ man nicht gelten und verlangte nach der gesunden. Nun erklärte ich, ihr hättet keine Mutter mehr, wir lebten einsam für uns und es widerstünde mir, mein Kind allein, ohne Hüterin in die Versammlung zu schicken. Da sagte der Schiffsbauer Tryphon, es würde seiner Frau Vergnügen bereiten, dich mit ihrer Tochter ins Theater zu führen. Das nahm ich auch halb und halb an, erklärte aber gleich, du würdest nicht gehen wollen, wenn es deiner älteren Schwester nicht besser ginge. Bestimmte Zusagen konnte ich nicht erteilen, du weißt schon, weswegen.«
»Oh, der brave Antonius und sein herrlicher Bratspieß!« rief Arsinoe. »Jetzt ist alles in Ordnung, und du meldest uns bei dem Schiffsbauer an. Unsere weißen Gewänder sind noch ganz gut, aber einige Ellen neues hellblaues Band für mein Haar und rotes für das Selenes mußt du unterwegs bei dem Phönizier Abibaal kaufen.«
»Gut.«
»Ich sorge schon für beide Kleider, aber freilich: wann müssen wir fertig sein?«
»In zwei Stunden.«
»Weißt du was, Väterchen?«
»Nun?«
»Unsere Alte ist halb blind und macht alles verkehrt. Erlaube mir, daß ich Frau Doris aus dem Torwärterhäuschen zu Hilfe nehme. Sie ist so geschickt und freundlich und niemand bügelt so gut.«
»Schweig,« unterbrach der Torhüter die Tochter voller Entrüstung. »Dies Volk wird nie wieder meine Schwelle betreten.«
»Aber mein Haar; sieh nur, wie es aussieht!« rief Arsinoe erregt und wühlte mit den Fingern in ihrem vollen Hauptschmuck, den sie dabei gewaltsam auseinanderzog. »Das da neu aufzubauen, mit Band neu zu durchflechten, unsere beiden Kleider zu bügeln und die Spangen darauf zu nähen, das brächte die Zofe der Kaiserin in zwei Stunden nicht fertig.«
»Doris wird diese Schwelle nie überschreiten,« wiederholte Keraunus statt jeder anderen Antwort.
»So laß mir von dem Schneider Hippias eine Gehilfin schicken; aber das wird wieder Geld kosten.«
»Wir haben's und können's,« entgegnete Keraunus stolz und murmelte, um seine Aufträge nicht zu vergessen, während er die Sänfte aufsuchte, fortwährend vor sich hin: »Der Schneider Hippias, blaues Band, rotes Band, der Schiffsbaumeister Tryphon.«
Die flinke Gehilfin des Schneiders half Arsinoe ihr und Selenes Gewand herrichten und wurde nicht müde, den schönen Glanz und die seidene Weichheit der Haare Arsinoes zu preisen, während sie sie hoch aufbaute, mit Bändern durchflocht und am Hinterkopfe so zierlich unter dem Kamm drehte, daß sie ihr als ein Busch von artig geringelten, langen Locken über den Nacken und Rücken flossen.
Als Keraunus zurückkehrte, sah er mit wohlberechtigtem Stolz auf sein schönes Kind.
Er war vergnügt und kicherte sogar leise vor sich hin, als er die Goldstücke, die ihm der Diener des Kunsthändlers überbracht hatte, in Reihen legte und zählte.
Arsinoe trat ihm bei dieser Beschäftigung näher und fragte lachend: »Hiram hat mich doch nicht übervorteilt?«
Keraunus bat sie, ihn nicht zu stören und erwiderte: »Bedenke! Des großen Antonius Waffe. Vielleicht dieselbe, die er sich in die Brust stieß. – Wo nur Selene bleibt?«
Zwei und drei halbe Stunden waren vergangen, und als auch die vierte längst begonnen hatte und seine älteste Tochter noch immer nicht kam, erklärte der Verwalter, sie müßten aufbrechen; denn es ginge nicht an, die Gattin des Schiffsbaumeisters warten du lassen.
Es tat Arsinoe aufrichtig leid, ohne die Schwester gehen zu müssen. Sie hatte Selenes Gewand so gut instand gesetzt wie ihr eigenes, hatte es sorgfältig auf das Polster neben dem Mosaikgemälde gelegt und sich bei der Arbeit große Mühe gegeben. Noch niemals war sie allein auf die Straße getreten, und es schien ihr undenkbar, etwas allein, ohne die Gesellschaft der Abwesenden unternehmen und genießen zu sollen. Aber ihres Vaters Versicherung, man würde Selene auch noch später mit Freuden einen Platz unter den Jungfrauen anweisen, beruhigte das von froher Erwartung erfüllte Mädchen.
Zuletzt besprengte sie sich noch ein wenig mit der duftenden Essenz, deren sich Keraunus zu bedienen pflegte, bevor er in den Rat ging, und veranlaßte den Vater, der Sklavin zu befehlen, während ihrer Abwesenheit für die Kinder den versprochenen Kuchen zu kaufen.
Die Kleinen hatten sich alle um sie versammelt und bewunderten sie mit lautem »Ah« und »Oh« wie eine ehrfurchtgebietende Erscheinung, der man nicht nahetreten und die man nicht anfassen darf.
Um des Haarschmucks willen beugte sie sich auch nicht wie sonst zu ihnen nieder.
Nur dem kleinen Helios streichelte sie die Locken und sagte: »Morgen geht's durch die Luft. Vielleicht erzählt dir Selene nachher eine schöne Geschichte.«
Das Herz schlug ihr viel schneller als sonst, als sie in die Sänfte stieg, die vor der Torhüterwohnung auf sie wartete.
Frau Doris freute sich von fern an ihrem Aussehen, und als Keraunus in die Straße trat, um auch für sich eine Sänfte zu rufen, schnitt die Alte schnell die beiden schönsten Rosen von ihren Stöcken, huschte aus ihrem Häuschen heraus und gab sie, indem sie den Zeigefinger auf den schelmisch lächelnden Mund drückte, dem Mädchen in die Hand.
Wie im Traume kam Arsinoe zum Hause des Schiffsbaumeisters und ins Theater. Zum erstenmal erfuhr sie auf diesem Wege, daß Angst und Freude in ein und demselben Mädchenherzen nebeneinander Platz finden, und daß die eine die andere nicht hindert, sich wacker zu regen.
Furcht und Erwartung beherrschten sie so ganz, daß sie weder hörte noch sah, was um sie her vorging. Nur einmal vernahm sie, wie ein bekränzter junger Mann, der Arm in Arm mit einem andern an ihr vorbeiging, ihr munter nachrief: »Es lebe die Schönheit!«
Von da an schaute sie immerfort in den Schoß und auf die Rosen, die ihr Frau Doris geschenkt.
Die Blumen erinnerten sie an den Sohn der freundlichen Alten, und sie fragte sich, ob der lange Pollux sie nicht vielleicht auch in ihrem Putze gesehen habe.
Das hätte sie sehr gefreut, und es wäre auch gar nicht unmöglich gewesen; denn Pollux ging gewiß, seit er auf der Lochias arbeitete, oft zu den Eltern.
Vielleicht hatte er die Rosen selbst für sie gepflückt und sie ihr nur nicht wegen des Vaters zu überreichen gewagt.
Siebzehntes Kapitel
Der junge Bildhauer war nicht in dem Torhüterhäuschen gewesen, als Arsinoe vorbeikam. An sie gedacht hatte er oft genug, seitdem er sie vor der Büste ihrer Mutter wiedergesehen; aber gerade an jenem Nachmittag war seine Zeit und sein Können von einem anderen Mädchen in Anspruch genommen worden.
Balbilla hatte sich gegen Mittag auf die Lochias begeben, und zwar in Begleitung der würdigen Claudia, einer armen Senatorswitwe, die ihr, der reichen, vater- und mutterlosen Waise, seit mehreren Jahren als Ehrendame und Gesellschafterin zur Seite stand.
Zu Rom leitete diese Matrone den Hausstand Balbillas, und zwar mit ebenso großem Geschick wie Vergnügen. Aber sie war doch nicht völlig mit ihrem Lose zufrieden; denn die Reiselust ihrer Schutzbefohlenen zwang sie oft, die Hauptstadt zu verlassen, und es gab für sie außer Rom keinen Ort, in dem es sich zu leben lohnte.
Nach Bajae ins Bad zu gehen, im Winter einmal, um der Kälte des Januar und Februar zu entfliehen, an der ligurischen Küste einige Wintermonate zuzubringen, das ließ sie sich gefallen; denn dort war sie sicher, wenn auch nicht Rom, so doch Römer wiederzufinden; aber dem Wunsche Balbillas, in einem schwankenden Meerschiffe das heiße Afrika aufzusuchen, das sie sich wie einen glühenden Ofen vorstellte, hatte sie entschiedenen Widerstand entgegengesetzt. Zuletzt war sie doch gezwungen worden, gute Miene zum bösen Spiel zu machen; denn die Kaiserin hatte dem Verlangen, Balbilla mit an den Nil zu nehmen, so entschiedenen Ausdruck gegeben, daß Widerspruch Ungehorsam gewesen wäre. Im stillen mußte sie sich auch sagen, daß ihr übermütiges und eigenwilliges Pflegetöchterchen – so nannte sie Balbilla am liebsten – auch ohne die Einmischung Sabinas den Willen durchgesetzt hätte.
Balbilla war in den Palast gekommen, um Pollux zu einer Büste zu sitzen.
Als Selene an den Schranken vorbeikam, die den Jugendgespielen und seine Arbeit ihren Blicken entzogen, war die würdige Matrone auf ihrem Polster entschlummert und der Bildhauer mit allem Eifer bestrebt gewesen, der vornehmen Jungfrau zu beweisen, daß die Größe ihres Haarschmucks übertrieben sei und durch seine Masse die Wirkung der feinen Züge ihres Antlitzes beeinträchtige.
Er bat sie, sich zu erinnern, in wie einfacher Weise die großen Meister von Athen in den Blütentagen der plastischen Kunst den Haarschmuck anmutiger Frauen zu behandeln gelehrt hätten, und bot ihr an, ihr mit eigener Hand das Haar, wie es sich kleiden würde, zu ordnen, wenn sie morgen, bevor ihre Zofe das erste Löckchen gebrannt, zu ihm zurückkehrte. Heute, sagte er, würden die niedlichen Dingelchen doch wieder in ihre Rundung zurückspringen, wie die Feder an einer Fibula, die man auseinandergebogen.
Balbilla widersprach ihm mit heiterer Lebendigkeit, verwahrte sich gegen sein Verlangen, ihr Zofendienste zu leisten, und verteidigte ihre Haartracht mit den Anforderungen der Mode.
»Aber diese Mode ist unschön, ungeheuerlich, ins Auge schlagend,« rief Pollux. »Nicht um zu verschönern, um aufzufallen, erdachten sie eitle Römerinnen in müßigen Stunden.«
»Durch mein Äußeres aufzufallen,« entgegnete Balbilla, »ist mir zuwider. Gerade wenn man der Mode folgt, und wäre sie noch so auffällig, macht man sich weniger bemerkbar, als wenn man ihr trotzt und sich geflissentlich viel schlichter, bescheidener, kurz anders trägt, als sie es gebietet. Wen hältst du für eitler, die modisch gekleideten jungen Herren auf der kanopischen Straße, oder die zynischen Philosophen mit dem zerzausten Haar, dem künstlich zerrissenen Filz auf den Schultern und dem groben Knüttel in der schmutzigen Hand?«
»Die letzteren,« gab Pollux zurück; »aber sie sündigen gegen die Gesetze der Schönheit, für die ich dich gewinnen möchte und die jede Anforderung der Mode so sicher überleben werden wie die homerische Ilias das Geleier eines Straßensängers, der von der Mordtat erzählt, die gestern unsere Stadt in Aufregung versetzte. Bin ich der erste, der es versucht, ein Bildnis von dir zu formen?«
»Nein,« lachte Balbilla, »fünf römische Künstler haben sich schon an diesem Kopfe versucht.«
»Und ist eine ihrer Büsten so ausgefallen, daß sie dir genügt?«
»Besser als herzlich schlecht hab' ich keine gefunden.«
»So wird dein hübsches Antlitz also in fünffältiger Verzerrung auf die Nachwelt kommen.«
»O nein, ich ließ sie alle zerschlagen.«
»Das war ihnen gesund,« rief Pollux eifrig. Dann wandte er sich mit einer natürlichen Bewegung seinem entstehenden Bildwerke zu und redete es an: »Armer Ton. Wenn die schöne Dame, der du ähnlich gemacht werden sollst, das Chaos ihrer Locken nicht preisgibt, so wird es dir ganz gewiß wie deinen fünf Vorgängern ergehen.«
Bei dieser Verheißung war die Matrone erwacht und fragte:
»Ihr sprecht wohl von Balbillas zerschlagenen Büsten?«
»Ja,« entgegnete die Dichterin.
»Vielleicht wird diese hier ihnen folgen,« seufzte Claudia. »Weißt du auch, was ihr in diesem Falle bevorsteht?«
»Nun?«
»Diese Jungfrau versteht sich ein wenig auf deine Kunst.«
»Ich habe bei Aristeas etwas stümpern gelernt,« unterbrach sie Balbilla.
»Aha, weil das durch den Kaiser in Mode gekommen ist, und es in Rom auffiele, sich nicht mit Bildhauerei zu beschäftigen.«
»Vielleicht!«
»Und bei jeder fertigen Büste,« fuhr die Matrone fort, »versuchte sie, was ihr besonders mißfiel, mit eigener Hand zu verändern.«
»Ich arbeitete nur den Sklaven vor,« fiel Balbilla der Begleiterin ins Wort. »Meine Leute haben übrigens nach und nach eine gewisse Übung im Zerschlagen erlangt.«
»So ist meinem Werke wenigstens ein schnelles Ende beschieden,« seufzte Pollux. »Freilich: alles Entstehende kommt mit seinem Todesurteil auf die Welt.«
»Würde dich ein schneller Untergang deiner Arbeit kränken?« fragte Balbilla.
»Ja, wenn ich mein Werk für gelungen, nein, wenn ich es für verfehlt hielte.«
»Wer eine schlechte Büste aufbewahrt,« sagte Balbilla, »trägt Sorge, daß eine unverdient schlechte Nachrede über ihn auf spätere Geschlechter kommt.«
»Gewiß! Aber woher nimmst du den Mut, dich zum sechstenmal solcher schwer zu verwischenden Verleumdung auszusetzen?«
»Weil ich zerschlagen lassen kann, was mir beliebt,« lachte das verwöhnte Mädchen. »Das Stillsitzen ist sonst nicht meine Sache.«
»Wahrhaftig nicht,« seufzte Claudia. »Von dir erwartet sie indes etwas Gutes.«
»Ich danke,« versetzte Pollux, »und will mir alle Mühe geben, etwas zustande zu bringen, das den Anforderungen entspricht, die ich an ein Marmorbildnis stelle, das erhalten zu werden verdient.«
»Und diese Anforderungen heißen?«
Einige Augenblicke dachte Pollux nach und entgegnete dann:
»Mir steht nicht immer das rechte Wort für das, was ich als Künstler empfinde, zur Verfügung. Ein plastisches Bildnis, das seinem Schöpfer genügen kann, muß zwei Bedingungen erfüllen: es soll in äußerlich ähnlichen Formen der Nachwelt zeigen, was in dem dargestellten Menschen steckte, und ferner derselben Nachwelt vor Augen führen, was die Kunst zu derjenigen Zeit, in der es hergestellt ward, zu leisten vermochte.«
»Das läßt sich hören; aber du vergißt dich selbst.«
»Du meinst meinen Ruhm?«
»Freilich.«
»Ich arbeite für Papias und diene der Kunst. – Das ist mir genug. Der Ruhm fragt einstweilen nicht nach mir und ich nicht nach ihm.«
»Du wirst aber doch auch meine Büste mit deinem Namen versehen?«
»Warum nicht!«
»Weiser Cicero!«
»Cicero?«
»Du kennst wohl kaum die kluge Bemerkung des alten Tullius, daß die Philosophen, die über die Eitelkeit des Ruhmes schreiben, dennoch ihren Namen auf ihre Bücher setzen.«
»Ich verachte den Lorbeer nicht, aber ich will nichts erjagen, was mir nur den Wert zu haben scheint, wenn es mir ungesucht zufällt, weil es mir zufallen muß.«
»Gut. Deine erste Bedingung würde aber doch nur erfüllbar für dich sein, wenn es dir gelänge, mein Denken, mein Empfinden, alles in allem mein ganzes inneres Wesen zu erkennen.«
»Ich sehe dich an und rede mit dir,« entgegnete Pollux.
Claudia lachte laut auf und rief:
»Unterhalte dich statt zweimal zwei Stunden ebenso viele Jahre mit ihr, und du wirst immer Neues an ihr entdecken. Keine Woche vergeht, in der sie Rom nicht etwas zu raten aufgibt. Dieser rastlose Tollkopf kommt niemals zur Ruhe; dafür aber bleibt sich freilich dies goldene Herz immer und überall gleich.«
»Und du glaubst, daß mir das neu sei?« fragte Pollux. »Den rastlosen Geist meines Modells seh' ich auf seiner Stirn und an seinem Munde, und wie sein Gemüt beschaffen ist, das verraten mir die Augen.«
»Und meine Stumpfnase?« fragte Balbilla.
»Sie legt Zeugnis ab, daß Rom recht hat, wenn deine wunderlich lustigen Einfälle es in Erstaunen versetzen.«
»Vielleicht arbeitest du doch nicht für den Hammer der Sklaven,« lachte Balbilla.
»Und täte ich's,« entgegnete Pollux, »so bliebe mir immerhin die Erinnerung an diese angenehme Stunde.«
Der Baumeister Pontius unterbrach den Bildhauer und ersuchte Balbilla, ihn zu entschuldigen, wenn er die Sitzung störe. Pollux müsse sogleich etwas Wichtiges begutachten, werde aber in zehn Minuten wieder bei der Arbeit sein.
Sobald die beiden Frauen allein waren, stand Balbilla auf und sah sich in der von Schranken begrenzten Werkstätte des Bildhauers neugierig um; ihre Begleiterin aber sagte:
»Ein artiger junger Mann, dieser Pollux; doch etwas ungezwungen und überlebendig.«
»Ein Künstler,« entgegnete Balbilla und kehrte jedes Bild und Täfelchen mit den Zeichenstudien des Bildhauers um, hob das Tuch von dem Wachsmodell der Urania, prüfte den Klang der Laute, die an einer der Schranken hing, war bald hier, bald dort und blieb zuletzt vor einem großen, mit Tüchern fest umwickelten Tonstück in einer Ecke der Werkstätte stehen.
»Was mag das sein?« fragte sie Claudia.
»Gewiß ein halb vollendetes neues Modell.«
Balbilla betastete den vor ihr stehenden Körper mit den Fingerspitzen und sagte:
»Es scheint mir ein Kopf zu sein. Jedenfalls etwas Besonderes! Auf so fest verdeckten Schüsseln liegen oft die besten Gerichte. Enthüllen wir denn dies verschleierte Bildnis.«
»Wer weiß, was es ist,« warnte Claudia, indem sie eine Schnur von den Tüchern löste, die die Büste verbargen. »Es gibt oft merkwürdige Sachen in solchen Werkstätten.«
»Ei was! Es ist nur ein menschliches Haupt; ich fühl' es,« rief Balbilla.
»Aber man kann doch nicht wissen,« fügte die Matrone hinzu und löste einen Knoten. »Diese Künstler sind so unbändige, unberechenbare Menschen.«
»Nimm du diesen Zipfel, ich hebe hier,« bat Balbilla, und einen Augenblick später schaute das Zerrbild der jungen Römerin, das Hadrian am letzten Abend geformt hatte, in seiner ganzen fratzenhaften Häßlichkeit der Dichterin entgegen.
Sie erkannte sich sogleich wieder und lachte im ersten Augenblick laut auf; je länger sie aber das Zerrbild betrachtete, desto ärgerlicher, verdrossener, empörter schaute sie drein. Sie kannte ihr eigenes Antlitz Zug für Zug und wußte, was schön, was weniger schön an ihm war; dies Bildnis aber berücksichtigte nichts als das weniger Ansprechende, hob es schonungslos hervor und übertrieb es mit ausgesuchter Bosheit. Dieser Kopf war häßlich zum Erschrecken und dennoch der ihre. Während sie ihn auch von der Seite betrachtete, erinnerte sie sich der Eigenschaften, die Pollux aus ihren Zügen herauszulesen versichert hatte, und tiefe Empörung bemächtigte sich ihrer jungen Seele.
Ihr großer, unerschöpflicher Reichtum, der ihr jede ihrer Launen rücksichtslos zu befriedigen gestattete und ihr Bewunderung selbst für ihre Torheiten sicherte, hatte sie doch nicht vor mancher Enttäuschung geschützt, die anderen Mädchen in bescheidener Lebensstellung erspart bleiben.
Ihre Güte und ihre offene Hand waren oft mißbraucht worden, auch von Künstlern, und das war gewiß, daß der Mann, der dieses Zerrbild geformt und sich an allem, was unschön an ihr war, so boshaft ergötzt hatte, nicht um ihrer selbst willen seine Kunst an ihr zu bewähren begehrte, sondern nur um des hohen Lohnes willen, den sie für ein schmeichelndes Bildnis zu zahlen vermochte.
Sie hatte Wohlgefallen an der frischen und freudigen Künstlernatur des jungen Bildhauers, seinem offenen Wesen und seiner ehrlichen Sprechweise gefunden. Sie war überzeugt gewesen, daß Pollux eher als ein anderer das auffassen würde, was ihrem in strengem Sinne nicht schönen Gesichte jenen eigentümlichen Zauber verlieh, den sie sich trotz des Zerrbildes, das da vor ihr stand, nicht abstreiten ließ.
Sie fühlte sich um eine trübe Erfahrung reicher, empört und beleidigt.
Gewohnt, auch ihrem Mißfallen Ausdruck zu geben, rief sie lebhaft und mit feuchten Augen:
»Das ist schändlich, das ist gemein! Meinen Umwurf, Claudia! Keinen Augenblick will ich diesem Menschen länger zur Zielscheibe für seine plumpen, boshaften Spaße dienen.«
»Es ist nichtswürdig,« rief die Matrone, »eine Jungfrau von deinem Stande so zu verunglimpfen. Hoffentlich wartet die Sänfte draußen.«
Der Baumeister Pontius hatte die zürnenden Worte Balbillas gehört. Er war ohne Pollux, mit dem der Präfekt noch immer redete, in die Werkstätte getreten und sagte, indem er sich Balbilla näherte, ernst:
»Du hast recht, empört zu sein, edle Jungfrau. Dies Ding ist eine Beleidigung von Ton, boshaft und dabei roh in jedem Zuge; aber Pollux hat es nicht gemacht, und es ist nicht gut, zu verdammen, ohne zu prüfen.«
»Du verteidigst den Freund,« rief Balbilla.
»Auch für meinen Bruder würde ich nicht die Unwahrheit reden.«
»Wie der andere im Scherz, so weißt du dir im Ernst das Ansehen redlicher Gesinnung zu geben.«
»Du bist gereizt und nicht gewohnt, die Zunge zu zügeln,« entgegnete der Baumeister. »Pollux, ich wiederhole es, hat diese Fratze nicht gemacht, sondern ein Bildhauer aus Rom.«
»Welcher? Wir kennen sie alle.«
»Ich darf seinen Namen nicht nennen.«
»Da hast du's. Gehen wir, Claudia.«
»Bleibe,« sagte Pontius entschieden. »Wärest du nicht die, die du bist, ich ließe dich gehen, wohin du begehrst mit deinem Zorne und der doppelten Schuld auf der Seele, zwei wohlgesinnten Männern unrecht getan zu haben. Da du aber des Claudius Balbillus Enkelin bist, halte ich es für meine Pflicht, dir zu sagen: hätte Pollux dies Zerrbild gemacht, wär' er nicht mehr in diesem Palaste; denn ich würde ihn hinausgewiesen und dies Machwerk ihm nachgeworfen haben. Du siehst mich verwundert an; denn du weißt nicht, wer hier so mit dir redet.«
»Doch, doch,« entgegnete Balbilla beruhigt; denn sie war überzeugt, daß dieser Mann, der wie aus Erz gegossen und mit zusammengezogenen Augenbrauen vor ihr stand, die Wahrheit rede und irgendein Recht besitze, so ungewöhnlich entschieden mit ihr zu sprechen. »Doch! Du bist der erste Baumeister dieser Stadt, von dem Titianus, nachdem wir dich kennen gelernt hatten, uns Großes erzählte; aber wie soll ich mir deine besondere Teilnahme erklären?«
»Es ist meine Pflicht, dir zu dienen – wenn es sein muß, auch mit dem Leben.«
»Du?« fragte Balbilla befangen. »Ich sah dich gestern zum ersten Male.«
»Und dennoch darfst du frei über alles, was ich bin und habe, verfügen; denn mein Großvater war der Sklave des deinen.«
»Ich weiß nicht,« entgegnete Balbilla mit wachsender Verlegenheit.
»Sollte in deinem Hause der Lehrer deines edlen Großvaters, der alte Sophinus, völlig vergessen worden sein, den Claudius Balbillus freigab und der auch deinem Vater Unterricht erteilte?«
»Gewiß, ganz gewiß nicht,« rief Balbilla. »Er war ein herrlicher Mann und dazu ein großer Gelehrter.«
»Meines Vaters Vater,« sagte der Baumeister.
»Also gehörst du mit zu unserer Familie,« rief Balbilla und streckte ihm freudig die Hand hin.
»Dank für dies Wort,« gab ihr Pontius zurück, »und nun noch einmal: Pollux hat nichts mit diesem Machwerke zu tun.«
»Nimm mir den Umwurf ab, Claudia,« befahl das Mädchen; »ich fahre fort, dem jungen Künstler zu sitzen.«
»Heute nicht; es würde der Arbeit nur schaden,« entgegnete der Baumeister. »Laß den Verdruß, dem du einen so heftigen Ausdruck gabst – ich bitt' dich – in anderer Umgebung verklingen. Der Bildhauer darf nicht wissen, daß du dies Machwerk gesehen hast; es würde ihm die Unbefangenheit rauben. Kommst du mit beruhigter Seele und heiterer, von Anmut beschränkter Lebendigkeit morgen wieder, dann kann Pollux ein Bildnis von dir gestalten, das der Großtochter des Claudius Balbillus gerecht wird.«
»Und hoffentlich auch dem Enkel seines weisen, unvergessenen Lehrers,« sagte das Mädchen, grüßte den Baumeister freundlich und schritt mit der Begleiterin dem Ausgange der Musenhalle zu, bei dem sie von einigen Sklaven erwartet wurde.
Pontius gab ihr schweigend bis zu ihren Dienern das Geleite. Dann kehrte er zu der Werkstätte des Bildhauers zurück und band von neuem das Tuch fest um das Zerrbild.
Als er aus den Schranken wieder hinaus in die Halle trat, eilte ihm Pollux entgegen und rief ihm zu:
»Der Baumeister aus Rom will dich sprechen; – ein großartiger Mensch.«
»Balbilla ist abgerufen worden und läßt dich grüßen,« entgegnete Pontius. »Schaffe das Ding da fort, damit sie es nicht sieht. Es ist roh und abscheulich.«
Wenige Augenblicke später stand er vor dem Kaiser, der ihm seinen Wunsch zu erkennen gab, die Sitzung Balbillas ein wenig zu belauschen.
Als der Baumeister ihm mit der Bitte, Pollux den Vorfall zu verschweigen, erzählte, was sich hinter den Schranken zugetragen hatte und wie entrüstet sich die junge Römerin über ihr allerdings beleidigendes Zerrbild gezeigt habe, rieb Hadrian sich die Hände und lachte laut vor Vergnügen.
Pontius biß die Zähne aufeinander und sagte dann ernst:
»Balbilla scheint mir eine heitere, aber edel gesinnte Jungfrau zu sein. Ich sehe keine Ursache, sie zu verlachen.«
Hadrian sah dem kühnen Baumeister scharf in die ernsten Augen, ließ ihm die Hand auf die Schulter fallen und entgegnete mit einem Anflug von Drohung in der tiefen Stimme:
»Das in meiner Gegenwart zu tun, würde dir und jedem anderen auch übel bekommen. Der Alte nimmt sich heraus, mit Kunstwerken zu spielen, die die Kinder nicht anrühren dürfen!«
Achtzehntes Kapitel
Selene trat durch das Eingangstor der unabsehbar langen Mauer von ungebrannten Ziegeln, die die weite Fläche umgab, auf der die Höfe, Wasserbehälter und Häuser standen, die zu der großen Papyrusfabrik des Plutarch gehörten, in der sie mit der Schwester zu arbeiten pflegte.
Sonst konnte sie ihr Ziel leicht in einer guten Viertelstunde erreichen, heute hatte sie mehr als viermal so lange gebraucht, und sie wußte selbst nicht, wie es ihr möglich geworden, sich trotz der großen Schmerzen, die sie erlitt, aufrecht zu erhalten und fortzuschreiten, zu hinken, zu taumeln.
An jeden Vorübergehenden hätte sie sich klammern, an jeden langsam dahinfahrenden Wagen, an jedes Lasttier, das an ihr vorbeizog, sich hängen mögen; – aber mitleidslos und ohne auf sie zu achten zogen Mensch und Tier die eigenen Wege.
Mancher Eilige stieß sie und schaute sich kaum um, wenn sie sich mit leisem Gestöhn hinter ihm zusammenzog und sich auf der nächsten Schwelle, einem Prellstein oder Warenballen niederließ, um die Augen zu trocknen oder das hochgeschwollene Fußgelenk leise mit der Handfläche zu drücken. Sie meinte, wenn sie dies tat, mit Hilfe des neuen Schmerzes die alte, gleichmäßige, unerträgliche Pein wenigstens auf Minuten vergessen zu können.
Die Gassenbuben, welche sie mit dem höhnenden »Klipp, klapp!« verfolgt hatten, verließen sie, nachdem sie stetig fortzuwandern aufgehört hatte.
Eine Frau mit einem Kind auf dem Arme fragte sie, als sie sich wieder, um auszuruhen, auf einer Türschwelle niederließ, was ihr fehle, schritt aber weiter, als Selene nur den Kopf schüttelte und ihr die Antwort schuldig blieb.
Einmal glaubte sie erliegen zu müssen; denn der Fußweg füllte sich plötzlich mit lachenden Buben, neugierigen Männern und Frauen. – Der übermütige Verus kam auf seinem Wagen dahergefahren, und auf welchem Wagen!
Die Alexandriner waren gewohnt, viel Seltsames in den belebten Straßen ihrer volkreichen Stadt zu sehen; dies Fuhrwerk zog aber dennoch alle Blicke auf sich und erregte, wo es erschien, Erstaunen, Bewunderung, Heiterkeit und nicht am seltensten bitteren Spott.
Mitten auf dem vergoldeten Wagen stand der schöne Römer und lenkte vier breitgespannte Schimmel mit eigener Hand. Auf dem Kopfe trug er einen Kranz, schräg über die Brust hin zog sich eine Rosengirlande. Auf dem Trittbrette des Wagens saßen zwei reizende, als Amoretten aufgeputzte Kinder. Ihre Beinchen schaukelten sich in der Luft, und in den kleinen Händen hielten sie an langen goldenen Drähten weiße Tauben, die dem Gespanne voranflatterten.
Die einander drängende und treibende Menge stieß Selene schonungslos an eine Wand.
Statt dem seltsamen Aufzuge nachzuschauen, bedeckte sie, um ihre Züge ungesehen schmerzlich verziehen zu können, das Angesicht mit den Händen. Aber sie hatte doch den glänzenden Wagen, das goldene Geschirr der Schimmel und die Gestalt des übermütigen Mannes wie ein Traumbild, das ihr Schmerz dunkel umschleierte, an ihr vorübergleiten sehen, und dieser Anblick erweckte in ihrer von Pein und Jammer halb gelähmten Seele bittere Abneigung und den Gedanken, daß die Pferdezäume dieses Verschwenders genügen würden, sie und die Ihren ein ganzes Jahr lang vor Elend zu schützen.
Als das Fuhrwerk um die nächste Straßenecke bog und die Menge ihm nacheilte, wäre sie beinahe zu Boden gerissen worden. Sie konnte nicht mehr weiter und sah sich nach einer Sänfte um; aber während es hier sonst niemals an Tragsesseln fehlte, wollte heute keiner erscheinen.
Mit einigen hundert Schritten war die Fabrik zu erreichen, aber diese nahmen in ihrer Vorstellung die Länge vieler Stadien an.
Da kamen einige Arbeiter und Arbeiterinnen aus der Fabrik an ihr vorüber.
Sie lachten und zeigten einander ihren Lohn.
Die Geldverteilung war also schon in vollem Gange.
Ein Blick nach dem Stande der Sonne lehrte sie, wie lange sie schon unterwegs sei, und erinnerte sie wieder an den Zweck ihres Ausganges.
Mit einem gewaltsamen Aufgebot ihrer Widerstandskraft hinkte sie einige Schritte weiter. Als ihr dann der Mut von neuem zu erlahmen begann, kam ihr ein kleines Mädchen entgegengelaufen, das für den Tisch, an dem sie und Arsinoe zu arbeiten pflegten, Handlangerdienste leistete und jetzt einen Henkelkrug trug. Sie rief die kleine braune Ägypterin zu sich heran und sagte:
»Bitte, Hathor, komm mit mir bis zur Fabrik zurück. Ich kann nicht mehr weiter, so schrecklich weh tut mir der Fuß da. Wenn ich mich etwas auf deine Schulter stütze, dann geht es schon besser.«
»Ich mag nicht,« rief das Kind. »Wenn ich bald zurück bin, so bekomme ich Datteln.« Dabei lief es weiter.
Selene blickte ihm nach, und eine Stimme in ihrem Innern, gegen die sie heute nicht zum ersten Male anzukämpfen hatte, fragte sie, warum denn gerade sie sich für andere quäle, da doch die übrigen Menschen nur immer an sich selbst dächten.
Seufzend unternahm sie einen neuen Versuch, vorwärts zu kommen.
Als sie wenige Schritte zurückgelegt hatte, ohne das, was an ihr vorbeikam, zu sehen oder zu hören, rief ein Mädchen sie an und fragte sie schüchtern und freundlich, was ihr fehle.
Es war eine Blattkleberin, die ihr in der Fabrik gegenüber zu sitzen pflegte, ein armes, verwachsenes Geschöpf, das aber stets heiter und still die geschickten Finger regte und ihr und Arsinoe anfänglich manchen nützlichen Handgriff gezeigt hatte.
Jetzt bot die Arbeiterin ungebeten Selene die schiefe Schulter zur Stütze und richtete jeden ihrer Schritte mit so feinem Gefühl nach denen der Leidenden, als ob sie alles, was dieser weh tat, mit ihr empfinde. So gelangten beide, ohne miteinander zu reden, bis zum Tore der Fabrik.
In dem ersten Hofe nötigte die Verwachsene Selene, sich auf ein Bündel von Papyrusstengeln zu setzen, die überall neben großen Wasserbehältern, in denen die Pflanzen aufgefrischt wurden, nach ihrer Heimat geordnet und zu hohen Haufen aufgetürmt, nebeneinander lagen.
Nach kurzer Rast durchschritten sie den Saal, in dem die dreikantigen grünen Stengel nach der Güte des weichen Markes, das sie enthielten, ausgesucht wurden.
Die folgenden Räume, in denen Männer die grüne Schale der Stengel von den weichen inneren Geweben ablösten, und die langen Säle, in denen besonders geschickte Arbeiter das Mark mit scharfen Messern in lange, fingerbreite, feuchte Streifen von verschiedener Feinheit zerspalteten, schienen ihr, je weiter sie ging, desto länger zu werden und gar nicht aufhören zu wollen.
Sonst saßen hier zur Rechten und Linken eines breiten Ganges, den die Sklaven benützten, wenn sie die fertigen Lamellen ins Trockenhaus trugen, die Markspalter in langen Reihen, jeder für sich an seinem Tischchen; heute aber hatten die meisten schon die Plätze verlassen und standen plaudernd beieinander oder packten die hölzernen Schraubstöcke, Messer und Schleifsteine zusammen.
In der Mitte dieses Raumes sank die Hand Selenes von der Schulter der Begleiterin. Ein Schwindel erfaßte sie und leise klang es ihr von den Lippen:
»Ich kann nicht mehr.«
Die Verwachsene hielt sie aufrecht, so gut sie konnte. Obgleich sie selbst nicht stark war, gelang es ihr dennoch, Selene bis zu einer leeren Bank mehr zu tragen als zu führen, und sie auf ihr niederzulassen.
Einige Arbeiter scharten sich um die zusammengesunkene Ohnmächtige und brachten Wasser herbei. Als die Leidende die Augen endlich wieder aufschlug und sie erfuhren, daß sie in diejenigen Räume gehörte, in denen man die fertigen Papyrusblätter aneinander klebte, erboten sich einige, sie dahin zu tragen.
Ehe Selenes Zustimmung erfolgt war, hatten sie die Bank ergriffen und mit ihrer leichten Last hochgehoben. Das verletzte Glied hing nun in der Luft und verursachte der Leidenden solchen Schmerz, daß sie aufschrie, den kranken Fuß an sich zu ziehen versuchte und mit der Hand nach dem Knöchel griff. Ihre Begleiterin lieh ihr sogleich Hilfe; denn sie nahm ungebeten Selenes Fuß in die Hand und stützte ihn mit zarter, vorsichtiger Sorgfalt.
Aller Augen richteten sich auf das wie im Triumph von Männern getragene, hoch in der Luft schwebende Mädchen. Die Leidende fühlte dies; es war ihr aber dabei zumute, als sei sie eine Verbrecherin, die man durch die Straßen führte, um den Bürgern ihre Schande zu zeigen.
In den großen Räumen, woselbst hier Männer, dort gut geübte und besonders geschickte Mädchen und Frauen die getrockneten schmalen Papyrusstreifen kreuzweise zu Bogen übereinander klebten, fühlte sie sich kräftig genug, um den Schleier fest um ihr tief geneigtes Antlitz zu ziehen.
Arsinoe und sie selbst hatten stets, um unerkannt zu bleiben, dicht verschleiert diese Räume durchschritten, und nur in dem kleinen Zimmer, in dem sie mit zwanzig anderen Frauen fertige Bogen zusammenklebten, die Hüllen abgelegt.
Jetzt sahen alle sie prüfend und neugierig an.
Gewiß, ihr Fuß tat ihr weh, gewiß brannte ihr die Wunde am Haupte, gewiß fühlte sie sich elend; dennoch aber fand der Bettelstolz, den sie vom Vater geerbt hatte, und das herabsetzende Bewußtsein, von diesen geringen Leuten für eine der Ihren gehalten zu werden, Raum genug in ihrer Seele.
In ihrem Arbeitszimmer waren nur freie Frauen tätig; aber mehr als tausend Sklaven rührten in der Fabrik die Hände, und sie hätte ebenso gern mit Tieren aus einer Schüssel gegessen, als mit diesen etwas geteilt.
Zu einer Zeit, in der es in ihrem Hause an allem gebrach, hatte ihr eigener Vater ihr Auge auf die Fabrik gerichtet, indem er entrüstet erzählte, daß die Töchter eines verarmten Bürgers sich und ihren ganzen Stand erniedrigten, indem sie sich, um Geld zu verdienen, mit Papyrusmacherei abgäben.
Sie würden freilich gut genug bezahlt, und auf Selenes Frage hatte er die Höhe des Lohnes angegeben, den sie erhielten, und den Namen des reichen Fabrikanten genannt, der ihnen mit seinem Golde die bürgerliche Ehre abgekauft habe.
Bald darauf war sie allein in die Fabrik gegangen, hatte mit ihrem Leiter alles Nötige besprochen und dann mit Arsinoe die Tätigkeit in der Werkstätte begonnen, in der beide nun schon seit zwei Jahren Tag für Tag mehrere Stunden fertige Papyrusblätter zusammenklebten.
Wie oft hatte Arsinoe beim Beginn einer neuen Woche oder wenn sich besonderer Widerwille gegen die Arbeit in ihr regte, sich geweigert, ihr von neuem in die Fabrik zu folgen, und wieviel Überredungskunst hatte sie aufbieten, wieviele neue Bänder kaufen, wie oft die Teilnahme an einer Schaustellung bewilligen müssen, deren Besuch die Hälfte eines ganzen Wochenlohnes verschlang, um Arsinoe zu bewegen, bei der Arbeit auszuharren und die Drohung, dem Vater zu verraten, wohin sie ihre sogenannten Spaziergänge richteten, unausgeführt zu lassen.
Als Selene, die bis an die Tür der Werkstätte getragen worden war, wieder auf dem gewöhnlichen Arbeitsschemel und vor dem langen Klebebrette saß, auf dem hundert fertige Papyrusblätter zusammengefügt werden sollten, fühlte sie sich kaum fähig, die Hülle vom Gesichte zu entfernen.
Den obersten Bogen zog sie vor sich hin, tauchte den Pinsel in das Gummigefäß und begann den Rand des Blattes mit dem Klebestoffe zu bestreichen – aber mitten bei dieser Arbeit versagte ihr die Kraft, und das leichte Werkzeug entfiel ihren Fingern. Entmutigt legte sie die Hände auf den Tisch, das Gesicht in die Hände und begann leise zu weinen.
Während ihre Tränen langsam flossen, die Schultern ihr zuckten und Schauer auf Schauer ihr den jungen Leib schüttelte, hatte eine Frau, die Selene gegenübersaß, die Verwachsene zu sich herangerufen und leise mit ihr geflüstert, ihr dann die Hand fest und innig gedrückt und ihr mit den großen, völlig glutlosen, aber rein und hell glänzenden Augen ins Antlitz geschaut.
Darauf setzte sich die Verwachsene schweigend auf den leeren Platz Arsinoes neben Selene und schob der Frau die kleinere Hälfte der vor ihr liegenden Blätter zu. Dann begannen beide emsig zu kleben.
Sie hatten sich schon lange dieser Arbeit hingegeben, als Selene endlich das Haupt erhob und von neuem den Pinsel zu ergreifen versuchte. Sie schaute sich um und sah ihre Begleiterin, der sie nicht einmal Dank für ihre Hilfe gesagt hatte, auf Arsinoes Platz eifrig die Hände regen.
Fragend schaute sie mit den immer noch feuchten Augen die Nachbarin an, und als diese, ganz von der Arbeit in Anspruch genommen, den Blick der Leidenden nicht bemerkte, sagte Selene mehr verwundert als freundlich:
»Das ist meiner Schwester Platz. Heute magst du ihn benützen; wenn aber die Fabrik wieder auf ist, muß sie wieder neben mir sitzen.«
»Ich weiß, ich weiß,« entgegnete die Arbeiterin schüchtern. »Ich mache da nur eure Bogen fertig; denn ich habe nichts mehr zu tun, und man sieht dir ja an, wie weh dir dein Fuß tut.«
Was hier geschah, war für Selene etwas so Fremdes und Neues, daß sie die Nachbarin nicht verstand und, die Achsel zuckend, entgegnete:
»Meinethalben verdiene dir, so viel du kannst; ich bringe heut doch nichts zustande.«
Die Verwachsene errötete und blickte die ihr gegenübersitzende Frau unschlüssig an. Diese legte sogleich den Pinsel aus der Hand und sagte, indem sie sich an Selene wandte:
»So meint es Maria nicht, liebes Kind. Sie übernahm die eine Hälfte deiner Tagesarbeit und ich die andere fertig zu machen, damit dein Leiden dich nicht um den Tagelohn bringe.«
»Seh' ich so arm aus?« fragte die Tochter des Keraunus, und lichtes Rot färbte ihr die blassen Züge.
»Gewiß nicht, Kind,« entgegnete die Frau. »Du und deine Schwester, ihr seid bestimmt aus einem guten Hause; aber gönn' uns doch die Freude, dir behilflich zu sein!«
»Ich weiß nicht . . .« stammelte Selene.
»Wenn du sähest, daß es mir schwer fiele, mich zu bücken, und der Wind wehte die Blätter hier auf den Boden, würdest du sie nicht gern für mich aufheben?« fragte die Frau. »Was wir hier für dich tun, ist nicht weniger und auch nicht viel mehr. In einigen Minuten sind wir fertig, und dann können wir den anderen folgen. Ich bin eure Aufseherin, wie du weißt, und muß ohnehin hierbleiben, bis die letzte von euch Kleberinnen die Werkstätte verläßt.«
Selene fühlte wohl, daß sie für die Freundlichkeit, die diese beiden Frauen ihr erwiesen, dankbar zu sein habe, und doch wollte sie ihr vorkommen wie ein Almosen, das man ihr aufdrang. Darum versetzte sie rasch und immer noch mit zartem Rot auf den Wangen:
»Ich bin sehr erkenntlich für euren guten Willen, gewiß sehr erkenntlich; hier aber arbeitet doch jede für sich, und es würde sich nicht für mich schicken, mir von euch schenken zu lassen, was ihr euch verdient habt.«
Diese Zurückweisung war dem Mädchen mit einer von Hochmut keineswegs freien Entschiedenheit von den Lippen geklungen; doch sie trübte nicht die gütige Ruhe der Frau, die die Arbeiterinnen »Witwe Hanna« zu nennen pflegten, und die nun, den ruhigen Blick der großen Augen auf Selene richtend, freundlich erwiderte:
»Wir haben gern für dich gearbeitet, liebe Tochter, und ein göttlicher Weiser sagte, Geben sei seliger denn Nehmen. Verstehst du, was das bedeutet? In unserem Falle will es sagen, daß es gute Menschen weit glücklicher macht, sich gefällig zu erweisen, als von anderen gute Gaben zu empfangen. Du sagst ja, du wärest uns erkenntlich. Willst du uns nun unsere Freude verderben?«
»Ich begreife nicht recht . . .« entgegnete Selene.
»Nicht?« unterbrach sie die Witwe Hanna. »So versuche es nur einmal, dich selbst gegen andere mit recht herzlicher Liebe gefällig zu erweisen, und du wirst sehen, wie gut das tut, wie das die Brust erweitert und jede Mühe in Lust verwandelt. Nicht wahr, Maria, wir wollen Selene recht innig danken, wenn sie uns die Freude nicht trübt, für sie die Hände zu regen?«
»Ich hab' es so gern getan,« versicherte die andere, »und da bin ich fertig.«
»Und ich auch,« sagte die Witwe, indem sie das letzte Blatt mit einem Tuch auf den Nachbar drückte und dann die von ihr vollendeten Streifen mit denen Marias vereinte.
»Ich danke euch sehr,« murmelte Selene mit niedergeschlagenen Augen und erhob sich von dem Sessel. Dabei versuchte sie, sich auch ihres kranken Fußes als Stütze zu bedienen; dies verursachte ihr indes solchen Schmerz, daß sie mit einem leisen Aufschrei wieder auf den Stuhl zurücksank.
Die Witwe eilte sogleich ihr an die Seite, kniete neben ihr nieder, nahm den verletzten Fuß mit zarter Behutsamkeit in die wohlgebildeten, schmalen Hände, betrachtete ihn aufmerksam, befühlte ihn leise und rief dann entsetzt vor sich hin:
»Mein Heiland! Mit diesem Fuß ist sie über die Straße gegangen?« Dann erhob sie das Antlitz zu Selene und sagte liebreich:
»Armes, armes Kind! Was mußt du leiden! Wie das geschwollene Fleisch die Sandalenriemen umgibt. Es ist schrecklich! Und doch! Wohnst du weit von hier?«
»Ich komme in einer halben Stunde nach Hause.«
»Unmöglich! Laß mich erst auf meiner Tafel nachsehen, was du von dem Zahlmeister zu fordern hast, damit ich es hole, und dann wird sich schon finden, was sich für dich tun läßt. Du bleibst indessen still sitzen, liebe Tochter, und du, Maria, stellst ihr einen Schemel unter die Füße und lösest ihr vorsichtig die Riemen vom Knöchel. Fürchte dich nicht, Kind, sie hat weiche, pflegsame Hände.«
Mit dieser Versicherung erhob sie sich und küßte die Stirn und beide Augen Selenes; diese aber hielt sie fest und sagte mit feuchtem Blick und vor Rührung zitternder Stimme nichts als:
»Frau Hanna, liebe Frau Hanna.«
Wie an einem Oktobertage warmer Sonnenschein den Wanderer an den vergangenen Sommer zu denken veranlaßt, so erinnerte das Sein und Tun der Witwe Selene an die lang entbehrte Liebe und Sorgfalt der verstorbenen Mutter. In die Bitterkeit ihres Schmerzes mischte sich etwas wohltuend Süßes. Dankbar nickte sie der Witwe zu und blieb folgsam auf ihrem Sessel sitzen. Es tat ihr so gut, wieder einmal gehorchen, gern gehorchen, sich Kind fühlen und für liebreiche Sorgfalt Dank empfinden zu dürfen.
Die Witwe entfernte sich, und Maria ließ sich vor Selene auf ein Knie nieder, um die Riemen, die von den angeschwollenen Muskeln halb verdeckt wurden, zu lockern und zu beseitigen. Sie tat es mit großer Behutsamkeit; sobald ihre Finger aber sie nur berührten, zuckte die Leidende ächzend zusammen und sank in Ohnmacht, bevor die Verwachsene die Riemen gelöst.
Maria brachte Wasser und kühlte ihr die Stirn und die heiße Kopfwunde. Nachdem Selene wieder die Augen aufgeschlagen hatte, kehrte Frau Hanna zurück. Als die Witwe ihr über das volle, weiche Haar strich, lächelte die Kranke und fragte leise:
»Hab' ich geschlafen?«
»Du hattest die Augen geschlossen, liebes Kind,« entgegnete die Aufseherin. »Hier hab' ich deinen und den Lohn deiner Schwester für zwölf Tage. Rühre dich nicht; ich stecke ihn in dein Täschchen. Maria ist mit der Lösung des Schuhes nicht zustande gekommen, gleich aber wird der Arzt, den die Fabrik für ihre Leute hält, hier sein und für den armen Fuß da gute Dinge verordnen. Der Obervorsteher läßt auch eine Sänfte für dich herrichten. Wo wohnt ihr?«
»Wir?« fragte Selene erschreckt. »Nein, nein, ich gehe nach Hause.«
»Aber, liebes Kind, du kämest nicht bis über die Schwelle dort, auch wenn wir beide dich führten.«
»So laß mir eine Sänfte von der Straße holen. Mein Vater – es braucht niemand zu wissen! – Ich kann nicht.«
Frau Hanna winkte Maria, sich zu entfernen. Als sich die Tür hinter der Verwachsenen geschlossen hatte, nahm sie einen Sessel, setzte sich Selene gegenüber, legte die Hand auf das gesunde Knie der Leidenden und sagte:
»Nun sind wir allein, liebes Mädchen. Ich bin nicht schwatzhaft und werde dein Vertrauen gewiß nicht mißbrauchen. Sage mir ruhig, wohin du gehörst. Nicht wahr? Du glaubst mir, daß ich es gut mit dir meine!«
»Ja,« entgegnete Selene innig und schaute der Witwe in das von völlig schlichtem braunem Haar umrahmte, sehr ebenmäßig geschnittene Antlitz, das auf jedem seiner Züge den Stempel freundlicher Herzensgüte trug. »Ja, du erinnerst mich sogar an meine Mutter.«
»Die könnt' ich auch sein,« entgegnete Hanna.
»Ich bin schon neunzehn Jahre alt.«
»Schon?« lächelte Hanna. »Mein Leben, liebes Mädchen, währt doppelt so lang wie das deine. Ich besaß auch ein Kind, einen Sohn, und der ward mir genommen, als er noch klein war. Jetzt wär' er um ein Jahr älter als du, meine Tochter; hast du noch eine Mutter?«
»Nein,« entgegnete Selene mit der alten, ihr zur Gewohnheit gewordenen Herbheit. »Die Götter entrissen sie uns. Sie wäre jetzt wie du, noch nicht vierzig Jahre alt, und sie war so schön und freundlich wie du. Als sie starb, hinterließ sie außer mir noch sieben andere Kinder, alle klein, und darunter eines, das blind ist. Ich bin die älteste und tue für sie, was ich kann, damit sie nicht verkommen.«
»Gott wird dir bei dieser schönen Aufgabe helfen.«
»Die Götter?« rief Selene bitter. »Sie lassen sie wachsen; das andere hab' ich allein zu besorgen. Oh, mein Fuß, mein Fuß!«
»Wir wollen auch jetzt vor allen Dingen an ihn denken. Dein Vater ist am Leben?«
»Ja.«
»Und er darf nicht wissen, daß du hier arbeitest?«
Selene schüttelte verneinend das Haupt.
»Er ist unvermögend, doch von vornehmer Herkunft?«
»Ja.«
»Ich glaube, da kommt der Arzt. Nun? Soll ich den Namen deines Vaters nicht wissen? Es wird doch nötig sein, dich nach Hause zu schaffen.«
»Ich bin die Tochter des Palastverwalters Keraunus, und unser Quartier befindet sich im Schloß auf der Lochias,« entgegnete Selene mit einem raschem Entschluß, doch leise flüsternd, damit der Arzt, der die Tür des Gemachs öffnete, sie nicht verstehe. »Niemand, und mein Vater am letzten, darf wissen, was wir hier tun.«
Die Witwe winkte ihr beruhigend zu, begrüßte den ergrauten Heilkünstler, der mit seinem Gehilfen die Werkstätte betreten hatte, führte ihn zu der Kranken, kühlte mit einem nassen Tuch die Stirn und Wunde des Mädchens, stützte es mit den Armen und küßte ihm, wenn der Schmerz es zu übermannen drohte, die Wangen, während der Alte das kranke Glied untersuchte und mit einer scharfen Schere die Riemen von dem verletzten Knöchel schnitt.
Manches aus tiefster Brust kommende Stöhnen, mancher jähe Aufschrei verriet, wie überwältigend groß der Schmerz war, den Selene ausstand.
Als endlich ihr zarter, schön gebauter, nun aber infolge der hohen Geschwulst entstellter Fuß von den Banden befreit war und ihr Knöchel den Druck der prüfenden Finger des Arztes überstanden hatte, rief dieser, indem er sich an den Gehilfen wandte, der ihm Beistand leistete:
»Sieh her, Hippolyt! Mit diesem Ding da ist das Mädchen über die Straße gegangen. Wenn ein anderer mir von diesem Falle erzählte, würde ich ihm sagen, er möge solche Lüge für sich behalten. Die Fibula am Gelenk ist entzwei, und mit dem gebrochenen Gliede ist das Kind weiter gelaufen, als ich mir außerhalb meiner Sänfte zu kommen getraue. Beim Hunde, Mädchen, wenn du nicht zeitlebens lahm bleibst, ist es ein Wunder.«
Selene hörte mit geschlossenen Augen und zum Verlöschen matt dem Arzte zu. Bei den letzten Worten zuckte sie leise und mit einem verächtlichen Zug auf den Lippen die Achsel.
»Du machst dir nichts aus dem Hinken?« fragte der Alte, dessen scharfen Augen nichts an der Patientin entging. »Das ist deine Sache – meine aber ist es, zu verhüten, daß du unter meinen Händen zum Krüppel wirst. Die Gelegenheit, ein Wunder zu verrichten, wird unsereinem nicht alle Tage geboten, und zum Glück stellst du mir selbst einen tüchtigen Helfer zur Seite: keinen Liebsten oder dergleichen, mein' ich, obgleich du nichtswürdig hübsch bist, sondern deine schöne, schöne, heilkräftige Jugend. Das Loch im Kopfe ist auch heißer als nötig. Kühlt es gehörig mit frischem Wasser. Wo wohnst du, Mädchen?«
»Fast eine halbe Stunde von hier,« nahm Frau Hanna für Selene das Wort.
»So weit kann man sie jetzt selbst auf einer Sänfte nicht tragen,« entgegnete der Alte.
»Ich muß nach Hause!« rief Selene entschieden, indem sie sich hoch aufzurichten versuchte.
»Unsinn!« rief der Arzt. »Ich möchte mir auch solche Bewegungen verbitten. Still liegen, aushalten, gehorsam sein, sonst nimmt der schlechte Spaß noch ein nichtswürdiges Ende. Das Fieber hat schon begonnen, und heut abend kommt es noch besser. Es hat mit dem Bein nichts zu schaffen, aber desto mehr mit der entzündeten Wunde am Kopfe.«
»Ging' es vielleicht,« fuhr er, indem er sich an Frau Hanna wandte, fort, »hier ein Lager zurechtzumachen, auf dem sie liegen bleiben könnte, bis man die Fabrik wieder öffnet?«
»Lieber geh' ich zugrunde!« schrie Selene auf und versuchte dem Arzte den Fuß zu entziehen.
»Stille, stille nur, liebes Kind,« bat die Witwe beruhigend. »Ich weiß schon, wohin wir dich bringen. Mein Haus liegt im Garten der Frau Paulina, der Witwe des Pudens, hier neben, hart am Meere, kaum tausend Schritte von hier, und an einem weichen Lager und sorgsamer Pflege wird es dir da nicht fehlen. Eine gute Sänfte steht bereit, und ich sollte doch meinen« . . .
»Ist immer noch ein Stück Weges,« entgegnete der Alte; »aber freilich, besser als bei dir kann sie nirgends bewahrt sein, Frau Hanna. Versuchen wir's denn, und ich begleite sie, um den vermaledeiten Trägern die Schienbeine zu zerschlagen, wenn sie nicht gleichmäßig schreiten.«
Selene widersprach dieser Anordnung nicht und nahm den Trank willig ein, den der Alte ihr reichte; aber sie weinte leise, als man sie in die Sänfte setzte und ihr den Fuß sorgfältig mit Kissen unterstützte.
Auf der Straße, wohin sie durch eine Nebenpforte gelangte, umschleierte sich ihr das Bewußtsein von neuem, und halb wachend, halb wie im Traum hörte sie die Stimme des Arztes, der die Träger zur Vorsicht mahnte, sah sie auf der Straße die an ihr vorüberziehenden Leute, Reiter und Wagen. Dann bemerkte sie, daß man sie durch einen großen Garten trug, und endlich ahnte sie dunkel, daß man sie auf ein Bett legte.
Von nun an beherrschten ihr Träume die Seele, daß aber die Wirklichkeit ihr Anrecht an sie nicht völlig verloren, bewies manches schmerzliche Zucken im Gesicht und dann und wann eine schnelle Bewegung ihrer Hand, die nach dem verwundeten Haupte griff.
An ihrem Lager saß Frau Hanna und handelte genau nach der Verordnung des Arztes, der die Kranke erst verließ, nachdem er sich mit dem Bett und ihrer Lage auf ihm völlig einverstanden erklären konnte.
Maria saß neben der Witwe und half ihr Umschläge anfeuchten und aus altem Leinenzeug Binden schneiden.
Als Selene ruhiger zu atmen begann, winkte Frau Hanna die Helferin ganz nahe zu sich heran und fragte leise:
»Kannst du bis morgen früh hier bleiben? Wir müssen einander in der Pflege ablösen; denn es gibt vielleicht viele Nächte zu wachen. Wie heiß sich die Kopfwunde anfühlt!«
»Ja; nur muß ich es der Mutter sagen, damit sie sich nicht ängstigt.«
»Gut; und dann magst du noch einen zweiten Gang übernehmen; denn ich kann jetzt das arme Kind nicht verlassen.«
»Ihre Angehörigen werden besorgt sein.«
»Zu ihnen sollst du eben gehen; aber niemand außer uns beiden darf erfahren, wer sie ist. Frage nach Selenes Schwester und erzähle ihr, was geschehen ist. Findest du ihren Vater, so sage ihm, ich pflegte seine Tochter und der Arzt verböte ihr streng, zu gehen oder sich zu tragen zu lassen. Er darf nicht wissen, daß Selene zu unseren Arbeiterinnen gehört; erwähne also vor ihm die Fabrik mit keinem Wort. Findest du weder Arsinoe noch den Vater zu Hause, so sage nur dem, der dir öffnet, ich hätte die Kranke bei mir aufgenommen und täte es gern. Von unserer Werkstätte, hörst du, wird nicht geredet. Und noch eins: das arme Mädchen wäre gewiß nicht trotz seiner Schmerzen in die Fabrik gegangen, wenn die Ihrigen ihren Lohn nicht sehr nötig hätten. Gib ihnen diese Drachmen und sage; wie es ja wahr ist, wir hätten sie bei Selene gefunden.«
Neunzehntes Kapitel
Plutarch, einer der reichsten Bürger von Alexandria, dem auch die Papyrusfabrik, in der Selene und Arsinoe arbeiteten, gehörte, hatte sich freiwillig erboten, für eine »schickliche« Aufnahme der Frauen und Töchter seiner Mitbürger, die sich heute in einem der kleineren Theater der Stadt versammeln sollten, zu sorgen.
Wer ihn kannte, der wußte, daß dies »schicklich« in seinem Munde soviel wie kaiserlich glänzend bedeute.
Die Schiffsbauerstochter hatte Arsinoe auf große Dinge vorbereitet; doch schon am Eingang des Schauspielhauses wurden ihre Erwartungen übertroffen; denn als ihr Vater seinen und ihren Namen nannte, überreichte ihr ein aus einem Blumenkorbe herausschauender Knabe einen herrlichen Strauß, und ein anderer, der auf einem Delphin ritt, bot ihr als Eintrittsmarke ein fein geschnitztes und in Gold gefaßtes Blättchen von Elfenbein dar, das mit einer Nadel versehen war und von den Geladenen wie eine Spange am Peplos getragen werden konnte und sollte.
An jedem Tor des Theaters wurden den eintretenden Frauen ähnliche Geschenke überreicht.
Die in den Zuschauerraum führenden Gänge waren mit Wohlgeruch erfüllt, und Arsinoe, die schon einige Male dieses Theater besucht hatte, erkannte es kaum wieder, so reich war es mit Blumen und Tüchern geschmückt.
Wer hätte auch jemals auf den ersten Plätzen Frauen und Jungfrauen an Stelle der Männer sitzen sehen, wie dies heute der Fall war? Wurde es doch den Töchtern der Bürger überhaupt nur bei ganz besonderen, seltenen Gelegenheiten gestattet, einem Schauspiele zuzusehen. Lächelnd, wie zu einem alten Gefährten, dem man über den Kopf gewachsen ist, schaute sie zu den leeren Sitzen auf den höchsten, billigsten Rängen des halbrunden Zuschauerraums empor, auf denen sie, wenn es gegolten hatte, in das eigene magere Beutelein zu greifen, manchmal vor Lust, vor Furcht oder Mitgefühl beinahe vergangen wäre, obgleich der Zugwind da oben unter dem freien, das Theater überwölbenden Himmel nicht ruhte. Im Sommer hatte es dort noch mehr zu leiden gegeben, und zwar durch die Segel, die die Sonnenseite des Zuschauerraumes beschatten sollten. Die großen Tücher wurden vermittelst starker Seile regiert, und wenn man diese durch die Ringe zog, in denen sie spielten, gab es ein Gekreisch, vor dem man die Ohren verschließen mußte. Oft hatte es auch gegolten, den Kopf zu wenden, um nicht von den schweren Tauen oder dem Segel getroffen zu werden.
An dies alles erinnerte sich Arsinoe indes heute nur wie ein Schmetterling, der sich in der Sonne spiegelt, an das häßliche Puppenhaus denken mag, das er durchbrach.
Strahlend vor freudiger Erregung ließ sie sich mit der jungen Gefährtin, der schwarz gelockten Schiffsbauerstochter, auf ihren Sitz führen.
Sie merkte wohl, daß zahlreiche Blicke sich auf sie richteten, das aber steigerte nur ihre Lust; denn sie wußte, daß sie sich sehen lassen durfte, und recht vielen Leuten zu gefallen, meinte sie, sei doch das beste Vergnügen.
Heute gewiß!
Waren doch diejenigen, die sie anschauten, die ersten Bürger der Stadt. Da standen sie auf der Bühne, und unter ihnen befand sich der gute lange Pollux und winkte ihr mit der Hand. Sie konnte die Füße nicht still halten, die Arme aber zwang sie zur Ruhe, indem sie sie über dem Busen kreuzte, um nicht zu verraten, wie tief sie erregt war.
Die Verteilung der Rollen hatte bereits begonnen; denn wegen des Wartens auf Selene war sie fast um eine halbe Stunde zu spät gekommen.
Sobald sie bemerkte, daß die Augen, die sie bei ihrem Eintritt in das Theater beobachtet hatten, von anderen Zielen angezogen wurden, schaute sie sich selbst um. Sie saß auf einer der kurzen Bänke am untersten, schmälsten Ende der Keile, die sich nach oben hin verbreiterten und, durch Treppen für die Eintretenden und Fortgehenden voneinander getrennt, das Halbrund des Zuschauerraumes bildeten.
Sie war hier von lauter jungen Mädchen und Frauen umgeben, die an den Schaustellungen teilnehmen sollten.
Die Plätze der Mitwirkenden wurden von der Bühne durch die Orchestra getrennt, von der aus jene mit Hilfe der Stufen, auf denen sonst die Chöre zu ihr hinanstiegen, leicht zu erreichen war.
Hinter Arsinoe saßen in weiteren Bogen die Mütter, Väter und Gatten der Mitwirkenden, zu denen sich auch Keraunus in dem krokusfarbigen Pallium gesellt hatte, und eine ziemliche Anzahl von schaulustigen Matronen und älteren Bürgern, die der Einladung Plutarchs gefolgt waren.
Unter den jungen Frauen und Mädchen sah Arsinoe viele, deren Schönheit ihr auffiel; doch sie freute sich neidlos an ihrem Anblick, und es kam ihr nicht in den Sinn, sich selbst mit ihnen zu vergleichen; denn sie wußte genau, daß sie sehr hübsch und sich nirgends, selbst hier nicht, zu verstecken brauchte, und das war ihr genug.
Das von den Zuschauern ausgehende vielstimmige Gesumm, das ihr ohne Unterbrechung das Ohr berührte, und der feine Duft, der von dem Altare in der Orchestra aufstieg, hatten etwas Berauschendes. Es störte sie auch niemand bei dem Schauen in die Runde; denn ihre Gefährtin hatte Freundinnen gefunden, mit denen sie plauderte und lachte. Andere Mädchen und Frauen blickten still vor sich hin oder musterten die übrigen Zuschauer und Zuschauerinnen mit den Augen, und wieder andere wandten die ganze Aufmerksamkeit der Bühne zu.
Arsinoe folgte bald dem Beispiel der letzteren, und zwar nicht nur um ihres Spielgefährten Pollux willen, der auf Wunsch des Präfekten Titianus trotz des Widerspruchs seines Meisters Papias zu den mit der Anordnung der Schaustellung betrauten Künstlern gesellt worden war.
Mehr als einmal hatte sie die Nachmittagssonne so hell wie heute in das Theater scheinen und den blauen Himmel nicht weniger wolkenlos als jetzt den Zuschauerraum überwölben sehen; doch wie ganz anders als sonst sah es auf der hocherhabenen Fläche hinter der Orchestra aus!
Die säulenreiche Front eines ganz aus vielfarbigem Marmor gebauten und mit goldenem Zierat geschmückten Königspalastes bildete zwar jetzt wie immer den Hintergrund der Bühne, diesmal aber schlangen sich freundlich von Pilaster zu Pilaster, von Säule zu Säule frische und duftende Blumengirlanden. Viele Künstler, die ersten der Stadt, bewegten sich, mit Tafeln und Stiften in der Hand, zwischen fünfzig Mädchen und Frauen umher, und Plutarch selbst und die ihn umgebenden Herren bildeten einen stattlichen Chor, der sich bald trennte, bald sich wieder zusammenfand.
Auf der rechten Seite der Bühne standen drei purpurne Polster.
Auf dem einen saß der Präfekt Titianus, der wie die Künstler einen Griffel führte, mit seiner Gattin Julia, auf dem andern lag Verus lang ausgestreckt und wie immer mit Rosen bekränzt. Das dritte für Plutarch bestimmte Lager war unbesetzt.
Ohne Zwang unterbrach der Prätor jede Rede, als ob er hier der Wirt sei, und mancher seiner Bemerkungen folgte laute Zustimmung oder beifälliges Lachen.
Die Gestalt des reichen Plutarch, die für jeden, der sie auch nur einmal gesehen, unvergeßlich blieb, war Arsinoe nicht völlig fremd; denn vor wenigen Tagen hatte er sich zum ersten Male seit mehreren Jahren mit einem Baumeister in seiner Papyrusfabrik gezeigt, um anzuordnen, in welcher Weise ihre Höfe und Räume für den Empfang des Kaisers ausgeputzt werden sollten.
Er war bei dieser Gelegenheit auch in ihre Werkstätte gekommen und hatte ihr mit einigen schelmischen Schmeichelworten in die Wange gekniffen.
Da wankte er über die Bühne.
Man sagte, er sei ein Greis von beinahe siebzig Jahren. Seine Beine waren auch halb gelähmt, und dennoch regten sie sich in nie aufhörenden, schnellen, aber unfreiwilligen Bewegungen unter dem schweren, weit nach vorn gebogenen Körper, den rechts und links je ein stattlicher Jüngling stützte. Sein edel geformtes Haupt mußte in der Jugend ungewöhnlich schön gewesen sein. Jetzt ward sein Scheitel von einer Perücke mit langen braunen Locken bedeckt, die Augenbrauen und Wimpern waren tief dunkel gefärbt, die Wangen über und über mit weißer und rosenroter Schminke bemalt, und dadurch gewann sein Gesicht das Ansehen, als sei es bei einem Lächeln erstarrt. Auf den Locken trug er einen Kranz von seltenen, traubenförmigen Blüten. Weiße und rote Rosen in Fülle quollen aus den Brustfalten seiner bauschigen Toga hervor und wurden von goldenen Spangen festgehalten, auf denen große Edelsteine funkelten. Alle Ränder seines Umwurfs waren mit Rosenknospen umsäumt, und über jeder war ein Smaragd befestigt, der wie ein glänzender Käfer schimmerte.
Die jungen Männer, die ihn stützten, erschienen wie Teile seiner Person.
Er achtete ihrer so wenig, als wären sie Krücken; sie aber bedurften keines Wortes, um zu wissen, wohin er begehrte – wo er stehenzubleiben und zu rasten wünschte.
Von fern erschien sein Gesicht wie das eines Jünglings, in der Nähe betrachtet wie ein bemaltes, regelmäßig geformtes Gipsbild mit großen beweglichen Augen.
Der Sophist Favorinus hatte über ihn gesagt, daß man diese schöne, zappelnde Leiche beweinen könnte, wenn man nicht über sie lachen müßte, und aus seinem eigenen Munde wollte man gehört haben, daß er die treulose Jugend gewaltsam bei ihm auszuharren zwinge.
Die Alexandriner nannten ihn wegen der ihn stützenden Jünglinge, ohne die man ihn nirgends sah und die ihn auch, wenn er ausfuhr, begleiteten, den sechsbeinigen Adonis. Als er selbst zum erstenmal von diesem Spitznamen hörte, hatte er gesagt: »Sie sollten mich lieber den sechshändigen nennen,« und in der Tat war er gütigen Herzens, sehr freigebig und wohltätig, sorgte väterlich für seine Arbeiter, hielt seine Sklaven gut, bereicherte seine Freigelassenen und ließ von Zeit zu Zeit große Spenden an Geld und Korn unter das Volk verteilen.
Arsinoe sah mitleidig auf den armen alten Herrn, der mit aller Kunst und all seinem Golde sich die Jugend doch nicht zurückkaufen konnte.
In dem schmächtigen Manne, der soeben auf Plutarch zutrat, erkannte sie den Kunsthändler Gabinius, dem ihr Vater wegen des Mosaikbildes in ihrem Wohngemache die Tür gewiesen hatte.
Jetzt wurde die Unterredung der beiden unterbrochen; denn die Verteilung der weiblichen Rollen für die Gruppe »Der Einzug Alexanders in Babylon« hatte ihr Ende erreicht. Etwa fünfzig Mädchen und Frauen wurden von der Bühne entlassen und stiegen in die Orchestra nieder.
Der Exeget, der höchste Beamte der Stadt, trat nun vor und empfing aus der Hand des Bildhauers Papias eine neue Liste.
Nachdem er sie schnell durchflogen, reichte er sie dem ihn begleitenden Herold, und dieser rief laut in den Zuschauerraum:
»Im Namen des hohen Exegeten und Alexanderpriesters bitte ich um eure Aufmerksamkeit, ihr Frauen und Töchter von mazedonischen Männern und römischen Bürgern. Wir kommen nun zu einer neuen Abteilung unserer Darstellung der Lebensschicksale des großen Mazedoniers: »Alexanders Hochzeit mit Roxane«, und ich ersuche diejenigen unter euch die Bühne zu betreten, die unsere Künstler für diesen Teil des Aufzuges ins Auge gefaßt haben.«
Nach dieser Anrede rief er mit weithin tönender tiefer Stimme eine lange Reihe von Namen auf, und solange er dies tat, verstummte jeder andere Laut in dem weiten Zuschauerräume.
Auch auf der Bühne war alles still; nur Verus flüsterte Titianus einige Bemerkungen zu, und der Kunsthändler raunte dem reichen Plutarch mit der ihm eigenen nervösen Eindringlichkeit lange Sätze ins Ohr, die der alte Herr bald mit zustimmendem Kopfnicken, bald mit ablehnenden Handbewegungen beantwortete.
Arsinoe lauschte mit angehaltenem Atem und hochklopfendem Herzen auf die Stimme des Herolds. Über und über errötend zuckte sie zusammen und blickte verlegen auf den Blumenstrauß in ihrer Hand, als von der Bühne aus laut und für alle Anwesenden deutlich vernehmbar gerufen wurde:
»Arsinoe, die zweite Tochter des Mazedoniers und römischen Bürgers Keraunus.«
Die Schiffsbaumeisterstochter war schon vor ihr aufgerufen worden und hatte sogleich ihren Platz verlassen; Arsinoe aber wartete bescheiden, bis sich auch einige Matronen erhoben. Diesen schloß sie sich an und trat mit ihnen in eines der letzten Glieder des Zuges, der in die Orchestra hinab und auf den Stufen des Chors zu der Bühne hinanstieg.
Dort wurden die Frauen und Mädchen in zwei Reihen aufgestellt und von den Künstlern mit rücksichtsvoller Freundlichkeit betrachtet.
Arsinoe bemerkte bald, daß die Herren sie länger und mehr als andere Mädchen anschauten.
Auch nachdem sich die Festordner, um Rat zu halten, zusammengeschart hatten, sahen sie sie fleißig an und sprachen über sie, das konnte sie fühlen. Es entging ihr auch nicht, daß sie das Ziel vieler Blicke der im Theater sitzenden Zuschauer geworden war, und es kam ihr nun vor, als wiese man von allen Seiten mit Fingern auf sie.
Sie wußte nicht mehr, wohin sie schauen sollte, und begann sich zu schämen. Aber es freute sie doch auch, von so vielen bemerkt zu werden, und als sie aus Befangenheit zu Boden schaute, um das Vergnügen zu verbergen, das sie empfand, rief Verus, dem sich die Künstler genähert hatten, indem er den Präfekten Titianus anstieß:
»Reizend, reizend! Eine Roxane, als wäre sie aus dem Bilde gesprungen!«
Arsinoe hörte dies Lob, und weil sie ahnte, daß es ihr gelten möchte, wurde sie noch verwirrter, als vorher, und ihr befangenes Lächeln verwandelte sich in den Ausdruck der frohen, aber doch bangen Hoffnung auf ein Glück, das ihr durch seine Größe das Herz beängstigte.
Jetzt hatte einer unter den Künstlern ihren Namen genannt, und als sie den Blick zu erheben wagte, um zu sehen, ob es nicht Pollux gewesen sei, bemerkte sie den reichen Plutarch, der mit seinen lebenden Stützen und dem hageren Kunsthändler Gabinius die Reihen ihrer Gefährtinnen musterte.
Bald war er ihr ganz nahe gekommen und während er sich mit tänzelnden Schritten auf sie zuschieben ließ, stieß er den Kunsthändler in die Seite und sagte, indem er den Rücken der eigenen Hand küßte und ihr mit ihr und den großen Augen zuwinkte: »Kenne ich, kenn' ich! So etwas vergißt sich nicht leicht. Elfenbein und rote Korallen.«
Arsinoe erschrak, und das Blut wich ihr aus den Wangen und alle Fröhlichkeit aus dem Herzen, als sich der alte Herr vor sie hinstellen ließ und freundlich sagte:
»Sieh, sieh, ein Knöspchen aus der Papyrusfabrik unter so stolzen Rosen und Lilien. Sieh, sieh! Aus der Werkstätte in meine Versammlung. Schadet nichts, schadet nichts. Die Schönheit sieht man überall gern. Ich frage nicht, wie du hierher kamst – ich freue mich nur, daß du da bist.«
Arsinoe bedeckte das halbe Gesicht mit der Hand; er aber tippte ihr dreimal mit dem ausgestreckten Mittelfinger auf den weißen Arm und wankte weiter, indem er still vor sich hin lachte.
Der Kunsthändler hatte die Worte Plutarchs vernommen und fragte ihn, nachdem sie sich einige Schritte von Arsinoe entfernt hatten, mit lebhafter Entrüstung:
»Hab' ich recht gehört? Eine Arbeiterin aus deiner Fabrik hier mitten unter unseren Töchtern?«
»Ja doch; zwei tätige unter lauter müßigen Händen,« entgegnete der Alte heiter.
»So hat sie sich hier eingedrängt, man muß sie entfernen.«
»Beileibe nicht; sie ist entzückend.«
»Empörend ist es; hier in dieser Versammlung!«
»Empörend?« unterbrach Plutarch den andern. »Nicht doch! Man darf nicht gar zu wählerisch sein. Woher sollten wir auch lauter Kinder von Antiquitätenverkäufern nehmen?«
Dann fügte er begütigend hinzu: »Deinem feinen Formensinne müßte doch, sollte ich meinen, dies liebliche Wesen gefallen; oder fürchtest du, daß sie den Künstlern für die Rolle der Roxane geeigneter erscheinen könnte als deine reizende Tochter? Höre nur die Herren da drüben. Laß uns sehen, was sie haben.«
Diese Worte bezogen sich auf ein lautes Gespräch, das sich in der Nähe der Polster des Präfekten und des Prätors erhoben hatte.
Diese beiden und mit ihnen die meisten Maler und plastischen Künstler waren der Ansicht, daß Arsinoe eine Roxane von wunderbarer Wirkung abgeben würde.
Sie hoben hervor, daß sie an Gestalt und Antlitz der holden Tochter des baktrischen Fürsten köstlich entspreche, wie sie Aëtion, dessen Gemälde diesem Teil der Schaustellung zugrunde gelegt werden sollte, dargestellt hatte. Nur der Bildhauer Papias und zwei seiner Genossen erklärten sich entschieden gegen diese Wahl und versicherten mit Eifer, daß sich unter allen anwesenden Jungfrauen nur eine, und zwar Praxilla, die Tochter des Kunsthändlers Gabinius, eignen würde, als Braut Alexanders vor den Kaiser zu treten. Alle drei standen zu dem Vater dieses schlank gewachsenen, in der Tat sehr schönen Mädchens in geschäftlicher Beziehung und wünschten sich dem reichen und gewandten Verkäufer ihrer Werke gefällig zu erweisen. Ihr Eifer nahm sogar einen heftigen Ton an, sobald sich der Kunsthändler im Gefolge des alten Plutarch zu den Streitenden gesellt hatte und sie gewiß waren, von ihm gehört zu werden.
»Und wer ist die Jungfrau da drüben?« fragte Papias, indem er auf Arsinoe wies, als jene sich nahten. »Gegen ihre Schönheit läßt sich nichts sagen, aber sie ist mehr als einfach gekleidet, trägt keinen Schmuck, der der Rede wert wäre, und tausend gegen eins ist zu wetten, daß ihre Eltern nicht in der Lage sind, sie mit so reichen Kleidern und so kostbarem Schmuck auszustatten, wie er einer Roxane bei der Vermählung mit Alexander gewiß nicht fehlen darf. In Seide, Gold und Edelsteinen muß die Asiatin auftreten. Mein Freund dort wird seine Praxilla so zu kleiden wissen, daß der Glanz ihres Schmuckes den großen Mazedonier selbst überrascht haben würde; wer aber ist der Vater des hübschen Kindes da, dem die blauen Bänder im Haar, die beiden Rosen und das weiße Kleidchen gut genug stehen?«
»Deine Erwägung ist zutreffend, Papias,« fiel der Kunsthändler dem Bildhauer mit trockener Schärfe ins Wort; »das Mädchen, von dem ihr redet, kann nicht weiter in Frage kommen. Ich sage das nicht meiner Tochter wegen, sondern weil mir alles unziemliche verhaßt ist. Man kann kaum begreifen, woher das junge Geschöpf da den Mut nahm, sich hier einzudrängen. Freilich, ein hübsches Gesicht öffnet Schlösser und Riegel. Sie ist – aber ich bitte, nicht zu erschrecken – sie ist nichts weiter als eine Arbeiterin aus der Papyrusfabrik unseres teuren Wirtes Plutarch.«
»Das ist nicht wahr,« unterbrach Pollux entrüstet diese Behauptung.
»Mäßige deine Zunge, junger Mann,« entgegnete der Kunsthändler. »Ich rufe dich zum Zeugen auf, edler Plutarch.«
»Laß sie sein, wer sie mag,« gab der alte Herr ärgerlich zurück. »Sie sieht einer meiner Arbeiterinnen ähnlich, käme sie aber auch geradeswegs vom Klebetisch, wäre sie doch mit solchem Gesicht und solcher Gestalt hier und überall ganz vortrefflich am Platze. Das ist meine Meinung.«
»Brav, schöner Freund,« rief Verus und nickte dem Alten zu. »Der Kaiser macht sich weit mehr aus so ausbündig reizenden Geschöpfen wie das da drüben, als aus euren alten Bürgerbriefen und vollen Beuteln.«
»So ist es,« bestätigte der Präfekt diese Versicherung. »Und daß sie ein freies Mädchen ist und keine Sklavin, darauf möchte ich schwören. Du bist für sie eingetreten, Freund Pollux. Was weißt du von ihr?«
»Daß sie die Tochter des Palastverwalters Keraunus ist, die ich seit ihrer Kindheit kenne,« entgegnete der junge Künstler bestimmt. »Er ist römischer Bürger und dazu aus altem mazedonischem Hause.«
»Vielleicht sogar von königlichem Geblüt,« fiel Titianus lächelnd ein.
»Ich kenne den Mann,« entgegnete der Kunsthändler schnell. »Ein wenig bemittelter, hochmütiger Narr ist er.«
»Ich dächte,« unterbrach Verus den erregten Mann mit vornehmer Ruhe, mehr gelangweilt als abweisend, »ich dächte, es wäre hier nicht der Platz, Vorträge über die Sinnesart der Väter dieser Mädchen und Frauen zu halten.«
»Aber er ist arm,« rief der Kunsthändler gereizt. »Vor einigen Tagen bot er mir seine elenden Raritäten zum Kauf an; ich aber konnte –«
»Wir bedauern es für dich, wenn dies Geschäft nicht zustande kam,« fiel ihm Verus wieder ins Wort, und diesmal mit ausgesuchtester Höflichkeit. »Denken wir erst an die Personen und dann an die Kostüme. Der Vater dieses Mädchens ist also römischer Bürger?«
»Mitglied des Rates und in seiner Weise ein vornehmer Mann,« sagte Titianus.
»Und ich,« fügte seine Gattin Julia hinzu, »finde Gefallen an der reizenden Jungfrau, und wenn sie die Hauptrolle gibt und ihr edler Vater unbemittelt ist, wie du behauptest, mein Freund, werde ich die Sorge für ihre Kleider übernehmen. Der Kaiser wird über diese Roxane entzückt sein.«
Die Sachwalter des Kunsthändlers schwiegen; er selbst bebte vor Enttäuschung und Ärger. Sein Ingrimm wuchs aber aufs höchste, als Plutarch, den er vorhin für seine Tochter gewonnen zu haben meinte, den weit vorgebeugten Oberkörper vor Frau Julia tiefer als vorher zu neigen versuchte und mit einer hübschen Geste des Bedauerns sagte:
»Daß mich doch diesmal das alte Kennerauge täuschte! Die Kleine sieht meiner Arbeiterin ähnlich, sehr ähnlich, aber nun merke ich wohl, daß sie ein gewisses Etwas besitzt, das der anderen fehlt. Ich tat ihr unrecht und bin darum ihr Schuldner. Gestattest du mir, edle Frau Julia, daß ich dir zu den Kleidern unserer Roxane den Schmuck zur Verfügung stelle? Es glückt mir vielleicht, etwas Hübsches zu finden. – Das liebe Kind! Gleich gehe ich hin, um es um Entschuldigung zu bitten und ihm unseren Wunsch zu eröffnen. Darf ich, edle Frau Julia? Darf ich, ihr Herren?«
Wenige Minuten später war es auf der ganzen Bühne und bald darauf auch im Zuschauerraum bekannt, daß des Keraunus Tochter Arsinoe auserwählt worden sei, um die Roxane zur Darstellung zu bringen.
»Wer war Keraunus?«
»Wie durfte diese hervorragende Rolle den Kindern der angesehensten und reichsten Häuser entgehen?«
»So muß es ja kommen, wenn man dem rücksichtslosen Künstlervolk freie Hand läßt!«
»Woher mag das arme Ding die Talente nehmen, die das Kostüm einer asiatischen Fürstentochter, der Braut Alexanders, kostet?«
»Der reiche Plutarch und die Gattin des Präfekten sorgen dafür.«
»Bettelvolk!«
»Wie hätten unseren Töchtern die Edelsteine unseres eigenen Hauses gestanden!«
»Wollen wir dem Kaiser nur hübsche Lärvchen zeigen und nicht auch, was wir vermögen und haben?«
»Wenn Hadrian nun nach dieser Roxane fragt und man ihm sagen muß, man habe eine Kollekte gesammelt, um ihr Kostüm zu beschaffen?«
»Solche Dinge kommen eben nur in Alexandria vor.«
»Man will wissen, sie hätte in einer Fabrik des Plutarch gearbeitet. Das soll ja nicht wahr sein; doch der alte geschminkte Taugenichts liebt immer noch hübsche Gesichter. Er schwärzte sie hier ein! Glaubt mir. Wo es raucht, da gibt es ein Feuer, und daß sie Geld von dem Alten bekommt, ist unfraglich.«
»Wofür?«
»Wenn du's wissen willst, mußt du einen Priester Aphroditens befragen. Da gibt es nichts zu lachen, denn es ist schändlich, empörend!«
So und ähnlich lauteten die Bemerkungen, mit denen die Nachricht von der Wahl Arsinoes zur Roxane aufgenommen wurde; ja in der Seele des Kunsthändlers und seiner Tochter hatten sie Haß und bittere Abneigung erregt.
Praxilla wurde zu den Gespielinnen der Braut Alexanders geschrieben, und sie fügte sich ohne Widerspruch; bei der Heimkehr aber nickte sie schweigend, als der Vater ihr sagte:
»Laß jetzt nur alles gehen, wie es mag. Wenige Stunden vor dem Beginn des Schauspiels zeig' ich ihnen an, daß du erkranktest.«
Aber die Wahl Arsinoes hatte auch Freude bereitet.
Da oben in einer der mittleren Reihen des Theaters saß Keraunus mit weit auseinandergespreizten Beinen, glühend rot, schnaufend und keuchend vor lauter Vergnügen und zu stolz, um die Füße einzuziehen, selbst als der Bruder des Archidikasten sich an seiner zwei Plätze füllenden Gestalt vorbeizudrängen versuchte.
Arsinoe, deren scharfem Gehör weder die Anklage des Kunsthändlers noch die Verteidigung des braven, langen Pollux entgangen war, hatte zuerst vor Scham und Angst vergehen wollen; jetzt aber war es ihr zumute, als könnte sie fortschweben wie das geflügelte Glück.
So herzensfroh war sie noch niemals gewesen, und als sie mit dem Vater in die erste dunkle Gasse gelangte, fiel sie ihm um den Hals, küßte ihm beide Wangen und erzählte ihm dann, wie gütig Frau Julia, die Gattin des Präfekten, gegen sie gewesen, und mit wie herzlicher Freundlichkeit sie übernommen habe, ihr kostbare Gewänder machen zu lassen.
Keraunus hatte dagegen nichts einzuwenden, und wunderbarerweise fand er es auch nicht unter seiner Würde, Arsinoe von dem reichen Plutarch mit Schmuck ausstatten zu lassen.
»Man hat gesehen,« sagte er pathetisch, »daß wir uns nicht zu scheuen brauchen, so viel wie andere Bürger zu leisten, aber um einer Roxane den Hochzeitsstaat zu beschaffen, dazu bedarf es der Millionen, und daß wir die nicht besitzen, will ich gern den Freunden gestehen. Woher das Kostüm kommt, bleibt sich gleich; du wirst so oder so unter den ersten Jungfrauen der Stadt die erste sein, und darum bin ich mit dir zufrieden, mein Kind. Morgen wird die letzte Versammlung stattfinden, und vielleicht erhält auch Selene eine hervorragende Rolle. Es fehlt uns ja glücklicherweise nicht an den Mitteln, sie würdig zu kleiden. Wann will die Gemahlin des Präfekten dich empfangen?«
»Morgen gegen Mittag.«
»So kaufen wir morgen früh ein neues, gutes Gewand.«
»Wird es nicht auch für ein besseres Armband reichen?« fragte Arsinoe schmeichelnd. »Meines da ist so schmal und ärmlich.«
»Du sollst eines haben, denn du hast es verdient,« entgegnete Keraunus mit Würde. »Bis übermorgen mußt du dich gedulden; morgen verkaufen die Goldarbeiter nicht wegen des Festes.«
So heiter und gesprächig, wie sich der Verwalter heute zeigte, hatte Arsinoe ihn noch nie gesehen, und doch war der Weg vom Theater zur Lochias nicht ganz kurz und die frühe Stunde längst vorüber, in der er schlafen zu gehen pflegte.
Als sich Vater und Tochter dem Palast näherten, war es schon ziemlich spät geworden; denn nachdem Arsinoe von der Bühne getreten war, hatte man bei Fackelschein, bei Lampen- und Kerzenlicht noch für drei andere Szenen aus dem Leben Alexanders passende Darstellerinnen ausgewählt, und bevor die Versammlung auseinanderging, waren die Gäste Plutarchs mit Wein, Fruchtsäften, süßem Gebäck, Austernpastetchen und anderen Leckereien bewirtet worden.
Der Verwalter war dem edlen Getränk und den guten Schüsseln wacker zu Leibe gegangen, und wenn er sich satt fühlte, pflegte er gütiger gesinnt, nach mäßigem Weingenuß heiterer gelaunt zu sein als sonst. Jetzt war er gütig und heiter; denn obgleich er getan hatte, was nur immer in seiner Macht stand, hatte doch die Bewirtung weit kürzere Zeit gedauert, als er bedurfte, um sich einen Rausch, der ihn mürrisch machte, anzutrinken oder sich den Magen zu überladen.
Am Ende des Weges wurde er nachdenklich und sagte:
»Morgen hält der Rat keine Sitzung wegen des Festes, und das ist gut. Alle Welt wird mich beglückwünschen, befragen, beachten, und die Vergoldung an meinen Stirnreifen hält nicht mehr stand. An einigen Stellen schimmert das Silber schon durch. Dein Anzug kostet nun nichts mehr, und es wird doch nötig sein, daß ich vor der nächsten Sitzung zu einem Juwelier gehe und mir einen echten Reifen für das unwürdige Ding da eintausche. Was man ist, das soll man auch scheinen.«
Dieses Wort gefiel ihm vorzüglich, und als Arsinoe ihm lebhaft beistimmte und, während sie das offene Tor durchschritten, ihn bat, nur für das Kostüm Selenes genug übrigzulassen, lachte er still vor sich hin und sagte: »Wir brauchen nicht mehr so ängstlich zu sein. Ich möchte wohl den Alexander kennen, der meine Roxane nächstens von mir zum Weibe begehrt. Der einzige Sohn des reichen Plutarch sitzt auch schon im Rate und hat noch kein Weib im Hause. Ganz jung ist er nicht mehr, aber immer noch ein stattlicher Mann.«
Diese Zukunftsträume des glücklichen Vaters wurden durch Frau Doris unterbrochen, die vor das Wächterhäuschen getreten war und ihn anrief.
Keraunus blieb stehen.
Als die Alte dann sagte: »Ich muß mit dir reden,« versetzte er abweisend:
»Ich aber höre dir nicht zu, weder heute noch jemals.«
»Zu meinem Vergnügen,« entgegnete Doris, »rief ich dich wahrhaftig nicht an. Ich will dir nur sagen, daß du deine Selene nicht zu Hause finden wirst.«
»Was sagst du da?« fuhr Keraunus auf.
»Ich sage, daß das arme Mädchen mit dem kranken Fuße in der Stadt nicht weiter konnte und in ein fremdes Haus gebracht werden mußte, wo man es pflegt.«
»Selene!« rief Arsinoe, die aus all ihren Himmeln fiel, erschreckt und bekümmert. »Weißt du, wo sie ist?«
Bevor Doris antworten konnte, polterte Keraunus:
»Daran ist der römische Baumeister und seine reißende Bestie schuld! Recht so, gut so; denn nun wird der Kaiser mir sicher zu meinem Recht verhelfen. Er wird denen die Wege weisen, die die Schwester Roxanes aufs Lager geworfen und sie verhindert haben, sich beim Aufzuge zu zeigen. Recht so, vortrefflich!«
»Traurig ist es, zum Weinen,« entgegnete die Torhütersfrau unwillig. »Ist das dein Dank für ihre Sorge um die kleinen Geschwister? Wie nur ein Vater so reden mag, dessen bestes Kind mit einem gebrochenen Beine bei fremden Leuten daniederliegt!«
»Mit gebrochenem Bein!« jammerte Arsinoe.
»Gebrochen?« wiederholte Keraunus langsam und aufrichtig bekümmert. »Wo kann ich sie finden?«
»Bei Frau Hanna in einem kleinen Hause am Ende des Gartens der Witwe des Pudens.«
»Warum trug man sie nicht hierher?«
»Weil der Arzt es verboten hatte. Sie liegt im Fieber; wird aber gut gepflegt. Die Witwe Hanna gehört zu den Christianern. Ich mag diese Leute nicht leiden; Kranker zu warten verstehen sie indes besser als andere.«
»Bei Christen? Mein Kind bei Christen!« rief Keraunus außer sich. »Gleich, Arsinoe, gleich kommst du mit mir. Selene soll keinen Augenblick länger bei diesem verruchten Gesindel bleiben. Ewige Götter! Zu allem Unglück auch noch diese Schmach!«
»So schlimm ist es nun gerade nicht,« sagte Frau Doris begütigend. »Es gibt ganz achtbare Leute unter den Christianern. Ehrlich sind sie gewiß; denn das arme, bucklige Ding, das die üble Nachricht zuerst herbrachte, gab mir auch dies Täschchen voll Geld, das Frau Hanna in der Tasche Selenes fand.«
Keraunus griff so verächtlich nach dem sauer verdienten Lohn der Töchter, als sei er an Gold gewöhnt und mache sich nichts aus dem elenden Silber; Arsinoe aber begann bei dem Anblick der Drachmen zu weinen, denn sie wußte, daß Selene um dieses Geldes willen das Haus verlassen hatte, und ahnte, wie schreckliche Schmerzen sie auf dem Wege erduldet hatte.
»Ehrlich hin, ehrlich her,« rief Keraunus, indem er das Geldbeutelchen zuband. »Ich weiß, wie schamlos es in den Versammlungen dieses Gelichters hergeht. Sich mit Sklaven zu küssen, das wäre mir gerade das Rechte für meine Tochter. Komm, Arsinoe; suchen wir gleich eine Sänfte!«
»Nein, nein!« entgegnete Doris lebhaft. »Du mußt sie fürs erste in Ruhe lassen. So etwas verschweigt man lieber einem Vater, der Arzt aber versicherte, es könnte ihr das Leben kosten, wenn man sie jetzt nicht still liegen ließe. Mit einer hitzigen Wunde am Kopfe, im Fieber und mit gebrochenen Gliedern geht man in keine Versammlung. Das arme, liebe Kind!«
Keraunus brütete stumm vor sich hin, und Arsinoe rief unter Tränen:
»Aber ich muß zu ihr hin; sehen muß ich sie, Doris!«
»Das verdenk' ich dir nicht, mein Liebchen,« sagte die Alte. »Ich bin selbst schon vorhin in dem Christenhause gewesen; aber man ließ mich nicht zu der Kranken. Mit dir ist das etwas anderes, denn du bist ihre Schwester.«
»Komm, Vater,« bat Arsinoe, »wir sehen jetzt erst nach den Kindern, und dann begleitest du mich zu Selene. Ach, warum bin ich nicht mit ihr gegangen! Ach, ach, wenn sie uns stürbe!«
Zwanzigstes Kapitel
Keraunus und seine Tochter waren weniger schnell als sonst in ihre Wohnung gelangt, denn der Verwalter fürchtete einen neuen Überfall des Molossers, der übrigens in dieser Nacht das Schlafgemach des Antinous teilte.
Sie fanden die alte Sklavin wach und in großer Erregung; denn sie liebte Selene, sie ängstigte sich über ihr Ausbleiben, und in der Schlafstube der Kinder ging es auch nicht, wie es sollte.
Arsinoe hatte sich ohne Aufenthalt zu den Kleinen begeben; die Schwarze aber blieb bei dem Herrn zurück und erzählte ihm wimmernd, während er das krokusfarbige Pallium mit einem alten Mantel vertauschte, daß ihr Herzblatt, der kleine blinde Helios, krank geworden sei und auch, nachdem sie ihm von den Tropfen, die Keraunus selbst zu nehmen pflegte, eingegeben habe, nicht schlafen wolle.
»Blödsinniges Tier,« rief der Verwalter, »meine Arznei dem Kinde geben!« Dabei warf er die neuen Schuhe von den Füßen, um sie mit bescheideneren zu vertauschen. »Wärest du jünger, ich ließe dich peitschen.«
»Du sagtest doch, die Tropfen wären gut,« stammelte die Alte.
»Für mich,« schrie der Verwalter und eilte, ohne die Schuhriemen, die nun hinter ihm den Boden fegten, um die Knöchel zu schlingen, in das Gemach der Kinder.
Da saß sein blinder Liebling, sein »Erbe«, wie er ihn gern zu nennen pflegte, und schmiegte den hübschen blonden Lockenkopf an Arsinoes Brust.
Der Kleine erkannte sogleich seinen Schritt und klagte:
»Selene war fort, ich hab' mich gefürchtet und mir ist so übel, so übel.«
Der Verwalter legte die Hand auf die Stirn des Kindes. Als er fühlte, daß sie heiß war, ging er unruhig vor dem kleinen Bette auf und nieder und sagte:
»Da haben wir's. Wenn es ein Unglück gibt, kommt gleich ein zweites. Sieh ihn nur an, Arsinoe. Weißt du noch, wie das Fieber bei der armen Berenice anfing? Übelkeit, Beängstigung, ein glühender Kopf. Hast du Schmerzen im Halse, mein Herzblatt?«
»Nein,« antwortete Helios; »aber mir ist so übel.«
Der Verwalter öffnete das Hemdchen des Kleinen, um nachzusehen, ob sich auf seiner Brust Flecken zeigten; Arsinoe aber sagte, während er sich zu ihm niederbeugte:
»Es ist gar nichts. Er hat sich nur den Magen verdorben. Die dumme Alte tut ihm in allem den Willen und hat ihm die Hälfte von den Rosinenkuchen gegeben, die wir holen ließen, bevor wir gingen.«
»Aber ihm glüht der Kopf,« wiederholte Keraunus.
»Morgen früh wird alles vorüber sein,« versicherte Arsinoe. »Die arme Selene braucht uns nötiger als er. Komm, Vater; die Alte mag bei ihm bleiben.«
»Selene soll kommen,« wimmerte der Kleine. »Bitte, bitte, laßt mich nicht wieder allein.«
»Dein Väterchen bleibt bei dir,« versetzte Keraunus zärtlich; denn dieses Kind leiden zu sehen, schnitt ihm ins Herz. »Ihr wißt alle nicht, was wir an dem Jungen da haben.«
»Er schläft bald ein,« versicherte Arsinoe. »Laß uns doch gehen, sonst wird es zu spät.«
»Damit die Alte eine neue Dummheit begeht,« rief Keraunus. »Es ist meine Pflicht, bei dem armen Kleinen zu bleiben. Geh du zu deiner Schwester und laß dich von der Alten begleiten.«
»Gut. Morgen früh komm' ich wieder.«
»Morgen früh?« fragte Keraunus gedehnt. »Nein, nein, das geht nicht. Doris sagte ja ohnehin, Selene würde gut von den Christen gepflegt. Sieh nur zu, was sie macht, grüße sie von mir und dann begib dich nach Hause.«
»Aber Vater . . .«
»Weiter ist zu bedenken, daß dich morgen mittag die Gattin des Präfekten erwartet, um für dich die Stoffe zu wählen. Dabei darfst du nicht überwacht und verschlafen aussehen.«
»Ich ruhe etwas am Morgen.«
»Am Morgen? Und meine Locken? Und dein neues Kleid? Und der arme Helios? Nein, Kind, du siehst nur nach Selene und dann kehrst du wieder zurück. Am frühen Morgen fängt auch das Fest an, und du weißt, wie es dabei zugeht. Die Alte hilft dir nichts in dem Gedränge. Du schaust nur nach, wie es Selene geht; aber du bleibst nicht.«
»Ich will sehen –«
»Nichts von sehen. Du kommst wieder zurück! Ich befehl' es! In zwei Stunden liegst du in deinem Bette.«
Arsinoe zuckte die Achseln, und wenige Minuten später stand sie mit der Alten vor dem Torwärterhäuschen.
Ein breiter Lichtstreifen fiel durch die geöffnete Tür des mit Blumen und Vögeln geschmückten Zimmers; Euphorion und Doris waren also noch nicht zur Ruhe gegangen und konnten ihr sogleich die Palastpforte öffnen.
Die Grazien schlugen an, als Arsinoe die Schwelle der alten Freunde betrat, doch sie verließen ihre Kissen nicht, denn sie erkannten sie schnell.
Seit mehreren Jahren war Arsinoe, gehorsam dem strengen Verbot des Vaters, nicht in diesen heimlichen Raum getreten, und ihr wurde ganz weich ums Herz, als sie das alles wiedersah, was sie als Kind so gern gehabt und als Jungfrau nicht vergessen hatte.
Da waren die Vögel, die kleinen Hunde und die Lauten an der Wand neben dem Apollo! Auf dem Tische der guten Frau Doris hatte immer etwas Eßbares gestanden, und auch jetzt lag ein schöner gelber Kuchen neben dem Weinkrug. Wie oft war sie als Kind zu der Alten hineingehuscht, um sich einen süßen Bissen zu holen, wie häufig auch, um nachzusehen, ob der lange Pollux nicht da sei, dessen kühne Erfindungen und frisches Zugreifen ihren Werken und Spielen den Stempel der Großartigkeit aufdrückte und ihnen einen besonderen Reiz verlieh.
Da saß nun ihr ausgelassener Gespiele in eigener Person und streckte, eifrig erzählend, die langen Beine weit von sich.
Arsinoe hörte noch den Schluß seines Berichtes über ihre Wahl zu Roxane, und dabei ihren eigenen Namen, geschmückt mit Eigenschaftsworten, die ihr das Blut in die Wangen trieben und sie doppelt freuten, weil er ja nicht ahnen konnte, daß sie sie hörte.
Aus dem Knaben war ein Mann, ein stattlicher Mann und ein großer Künstler geworden; aber er war doch der alte, übermütige, gute Pollux!
Der kecke Satz, mit dem er von seinem Sitz auf- und ihr entgegensprang, das frische Lachen, mit dem er manchmal seine Rede unterbrach, die kindlich zärtliche Art, mit der er seine kleine Mutter umfaßt hielt, während er sie begrüßte und nach der Ursache ihres späten Ausgangs fragte, der herzgewinnend tiefe Ton der Stimme, mit dem er Selenes Unfall beklagte, das alles heimelte Arsinoe an wie etwas Bekanntes, Liebes, lange Entbehrtes, und sie schlug fest ein in die beiden großen Hände, die er ihr hinhielt.
Wenn er sie in diesem Augenblick aufgehoben und vor den Augen Euphorions und seiner Mutter ans Herz gedrückt hätte, sie wäre ihm wahrlich nicht böse gewesen.
Sehr bekümmerten Herzens war Arsinoe zu Frau Doris eingetreten, doch in dem Torwärterhäuschen wehte eine Luft, in der Trübnis und Sorge den Atem verloren, und wunderbar schnell verwandelte sich in der Vorstellung des leichtherzigen Mädchens das Bild der von Schmerz gefolterten und von schwerer Gefahr bedrohten Schwester in das einer gut gebetteten, nur am Fuße recht schlimm verletzten Kranken. An Stelle der nagenden Besorgnis trat herzliche Teilnahme, und diese klang noch Arsinoe aus der Stimme, als sie den Sänger Euphorion bat, ihr das Tor zu öffnen, weil sie mit ihrer alten Sklavin ausgehen und nachsehen wolle, wie sich Selene befinde.
Doris beruhigte sie, wiederholte die Versicherung, daß die Leidende im Hause Frau Hannas mit aller Sorgfalt gepflegt werde, fand aber ihren Wunsch, die Schwester zu sehen, gerechtfertigt und stimmte Pollux lebhaft zu, als er Arsinoe bat, seine Begleitung anzunehmen; denn bald nach Mitternacht beginne das Fest, füllten sich die Straßen mit übermütigem Volk, und vor den trunkenen Sklaven würde sie ein Flederwisch ebensogut schützen wie ihre schwarze Vogelscheuche, die schon baufällig gewesen sei, bevor er die dümmste Tat seines Lebens begangen und ihren Vater gegen sich aufgebracht habe.
In der dunklen Straße, die sich, je weiter sie kamen, desto mehr mit Menschen füllte, gingen sie schweigend nebeneinander. Dann sagte Pollux:
»Lege doch deinen Arm in den meinen; du sollst empfinden, daß ich dich schütze, und ich, ich möchte bei jedem meiner Schritte fühlen, daß ich dich wiedergefunden habe und dir nahe sein darf, du wundervolles Geschöpf.«
Diese Bitte klang gar nicht übermütig; sie hörte sich vielmehr recht ernst an, und die tiefe Stimme des Bildhauers zitterte vor Aufregung, als er sie mit inniger Zärtlichkeit wiederholte.
Wie der klopfende Finger der Liebe pochte sie an das Herz der Jungfrau, die denn auch ihren Arm in den seinen legte und leise versetzte:
»Du wirst mich schon schützen.«
»Ja,« sagte er fest und ergriff mit der Linken ihre kleine Hand, die ihm auf dem rechten Arm ruhte.
Sie entzog sie ihm nicht, und nachdem sie so einige Schritte schweigend fortgewandert waren, seufzte er auf und fragte: Weißt du, wie mir zumute ist?«
»Nun?«
»Ja, ich kann es selbst nicht recht sagen. Etwa als wär' ich ein olympischer Sieger oder als hätte mir der Kaiser seinen Purpur geschenkt. Aber Kranz hin und Purpur her. Du hängst an meinem Arme und ich halte hier deine Hand; dagegen ist alles andere Bettelware. Wären die Leute nicht, ich – ich – ich weiß nicht, was ich täte.«
Glückselig schaute sie zu ihm auf; er aber zog ihr Händchen an die Lippen und ließ sie heiß und lange auf ihm ruhen. Dann gab er es wieder frei und sagte mit einem aus dem tiefsten Herzensgrunde kommenden Seufzer: »O Arsinoe, schöne Arsinoe, wie ich dich liebe!«
Während ihm dies Bekenntnis leise und doch glühend über die Lippen strömte, zog das Mädchen seinen Arm fest an sich, schmiegte das Haupt an seine Schulter, öffnete die großen Augen weit seinen zärtlichen Blicken und sagte leise:
»O Pollux, ich bin so glücklich! Die Welt ist so schön!«
»Nein, ich könnte sie hassen,« rief der Bildhauer. »
Ja, es lag tiefe Finsternis über dem von zwei aneinanderstoßenden Häusern gebildeten Winkel, in dem Pollux Arsinoe an sich zog und schnell den ersten Kuß auf ihre reinen Lippen drückte; aber in ihren beiden Herzen war es hell, sonnenhell.
Sie hatte die Hände fest um seinen Hals geschlungen und hätte ihn gern festgehalten bis zum Ende der Tage; aber da näherte sich ihnen ein Zug lärmender Sklaven.
Singend und tobend begannen diese Unglücklichen schon bald nach Mitternacht die Feier, um den Festtag, der sie auf kurze Zeit von jeder Pflicht entband, bis an seine äußersten Grenzen auszunützen.
Pollux wußte, wie unbändig sie in ihrer Lust sein konnten, und während er mit Arsinoe weiterschritt, forderte er sie auf, sich mit ihm dicht an den Häusern zu halten.
»Wie froh sie sind!« sagte er, indem er auf die Jubelnden zeigte. »Ihre Herren werden sie heute ein wenig bedienen, und eben beginnt für sie ihr bester Tag im Jahr; für uns hat der schönste im ganzen Leben begonnen.«
»Ja, ja,« entgegnete Arsinoe und umschloß mit beiden Händen seinen kräftigen Arm.
Dann lachten beide munter auf; denn Pollux hatte bemerkt, daß die alte Sklavin an ihnen vorbeigegangen war und gesenkten Hauptes hinter einem anderen jungen Paare herging.
»Ich will sie rufen,« sagte Arsinoe.
»Nein, nein, laß sie,« bat der Künstler. »Die beiden da vorn haben ihren Schutz ganz gewiß nötiger als wir.«
»Wie ist es nur möglich, daß sie den kleinen Mann mit dir verwechselt?« lachte das Mädchen.
»Wär' ich nur weniger groß,« entgegnete Pollux seufzend. »Denke dir, welche Masse von brennender Liebe und peinigender Sehnsucht in ein so langes Gefäß, wie ich bin, hineingeht.«
Da schlug sie ihm mit der Hand auf den Arm, und zur Strafe berührte er ihre Stirn schnell mit den Lippen.
Verweisend sagte sie: »Aber die Leute,« und er versetzte fröhlich:
»Es ist kein Unglück, beneidet zu werden.«
Jetzt hörte die Straße auf, und sie standen vor einem Garten.
Er gehörte der Witwe des Pudens; Pollux wußte es; denn seine Besitzerin Paulina war die Schwester des Baumeisters Pontius, die auch in der Stadt ein prächtiges Haus besaß.
Aber konnt' es denn möglich sein? Hatten unsichtbare Hände sie hierher getragen?
Das Tor des Grundstücks war geschlossen.
Der Bildhauer weckte den Pförtner, teilte ihm mit, was er begehrte, und wurde von dem Manne, der Weisung erhalten hatte, die Angehörigen der Kranken auch in der Nacht einzulassen, mit Arsinoe bis an eine Stelle geführt, von der aus man helles Licht aus dem Häuschen Frau Hannas schimmern sah.
Der zunehmende Mond beleuchtete die mit Muscheln bestreuten Wege, die Büsche und Bäume im Garten warfen scharf umrissene Schatten auf weißlich leuchtende Flächen, das Meer schimmerte hell, und sobald der Pförtner die beiden Glücklichen verlassen und ein dunkler Laubgang sie aufgenommen hatte, sagte Pollux, indem er die Arme weit öffnete:
»Nun noch einen Kuß, an den ich mich erinnern kann, während ich warte.«
»Jetzt nicht,« bat das Mädchen, »ich bin nicht mehr froh, seit wir hier sind. Immerfort muß ich der armen Selene gedenken.«
»Dagegen läßt sich nichts sagen,« entgegnete Pollux ergeben. »Wenn das Warten aber vorbei ist, dann werde ich belohnt.«
»Nein, jetzt schon,« rief Arsinoe, warf sich an seine Brust und eilte dann dem Hause entgegen.
Er folgte ihr, und als sie vor einem hellerleuchteten Fenster zu ebener Erde stehen blieb, hemmte auch er den Fuß.
Beide schauten zusammen in ein hohes, geräumiges, äußerst sauber gehaltenes Zimmer, das nur eine Tür besaß, die sich nach dem unbedeckten Vorraume des Hauses öffnete. Die Wände dieses Gemaches waren einfarbig mit hellem Grün bemalt. Der einzige Bilderschmuck, den es enthielt, befand sich über der Pforte.
Im Hintergrund dieses Zimmers stand das Bett, in dem Selene ruhte. Einige Schritte von ihm entfernt saß die verwachsene Maria und schlief, Frau Hanna aber nahte sich der Leidenden mit einem angefeuchteten Umschlag und legte ihn ihr behutsam auf den Scheitel.
Nun stieß Pollux Arsinoe an und flüsterte ihr zu:
»Wie deine Schwester daliegt! Eine im Schlaf von ihrem Dionysus verlassene Ariadne. Welchen Schmerz wird sie empfinden, wenn sie erwacht!«
»Sie kommt mir weniger bleich vor als sonst.«
»Sieh nur, wie ihr Arm gebogen ist, und in wie schöner Lage sich ihr Kopf in die Hand schmiegt.«
»Geh jetzt,« rief Arsinoe leise, »du sollst hier nicht lauschen.«
»Gleich, gleich. Wenn du dort so ruhtest, dann brächte mich kein Gott von der Stelle. Wie behutsam Hanna den Umschlag von dem armen, kranken Knöchel nimmt! Sorgsamer ward noch kein Auge behandelt als Selenes Fuß von dieser Matrone.«
»Tritt zurück; sie schaut gerade hierher.«
»Ein wunderbares Gesicht! Vielleicht eine Penelope; aber in ihren Augen ist etwas ganz Sonderbares gelegen. Hätt' ich wieder eine nach den Sternen schauende Urania oder eine Sappho zu bilden, die des Gottes voll in dichterischer Begeisterung gen Himmel schaut, das legt' ich hinein! Sie ist nicht mehr ganz jung, und doch – wie rein ist dies Antlitz! Es kommt mir vor wie der Himmel, von dem der Wind alle Wolken verscheuchte.«
»Ernstlich, jetzt gehst du,« befahl Arsinoe und entzog ihm ihre Hand, die er wieder ergriffen.
Pollux bemerkte, daß sie sein Lob der Schönheit einer anderen Frau verdroß, und flüsterte begütigend, indem er sie umfaßte:
»Sei ruhig, Kind! Du hast doch nicht deinesgleichen hier in Alexandria und so weit man Griechisch versteht. Ein ganz reiner Himmel ist für mich gewiß nicht der schönste. Lauter Licht, lauter Blau, das kann ein Künstler nicht brauchen. Einige bewegliche Wölkchen, von wechselnden Strahlen silbern und golden beleuchtet, geben dem Firmament erst seinen rechten Reiz, und wenn auch dein Antlitz dem Himmel gleicht, so fehlt es darauf wahrlich nicht an lieblicher, niemals gleicher Bewegung. Die Matrone . . .«
»Sieh nur,« unterbrach ihn Arsinoe, die sich wieder an ihn geschmiegt hatte. »Sieh nur, wie liebreich Frau Hanna sich über Selene beugt. Nun küßt sie ihr leise die Stirn. Zärtlicher kann keine Mutter die Tochter pflegen. Ich kenne sie schon lange. Sie ist gut, sehr gut; ich kann es kaum begreifen, denn sie ist eine Christin.«
»Das Kreuz dort über der Tür,« erklärte Pollux, »ist das Zeichen, an dem diese wunderlichen Leute einander erkennen.«
»Was bedeutet die Taube und der Fisch und der Anker, die es umgeben?« fragte Arsinoe.
»Sinnbilder aus den Mysterien der Christianer,« antwortete Pollux. »Ich verstehe sie nicht. Die Dinger sind elend gemalt; die Anhänger des gekreuzigten Gottes verachten auch die Kunst, und besonders die meine; denn alle Götterbilder sind ihnen verhaßt.«
»Und unter solchen Frevlern gibt es so gute Menschen! Gleich geh' ich hinein. – Hanna befeuchtet jetzt wieder den Umschlag.«
»Und wie unverdrossen und freundlich sie dabei aussieht; aber es hat doch alles in dem großen, sauberen Zimmer da etwas Fremdes, Ödes, Anmutloses. Ich möchte nicht darin wohnen.«
»Hast du den leisen Lavendelgeruch bemerkt, der durch das Fenster kommt?«
»Längst. Da regt sich deine Schwester und öffnet die Augen. Nun schließt sie sie wieder!«
»Geh in den Garten zurück und warte auf mich!« befahl Arsinoe entschieden. »Ich will nur sehen, wie es Selene geht. Lange werd' ich nicht bleiben; denn der Vater will, daß ich bald zurückkomme, und besser als Hanna kann niemand pflegen.«
Das Mädchen zog die Hand aus der des Freundes und klopfte an die Tür des kleinen Hauses. Sie ward geöffnet, und die Witwe führte Arsinoe selbst an das Lager der Schwester.
Pollux setzte sich zuerst auf eine Bank im Garten; bald aber sprang er auf und durchmaß mit großen Schritten den Weg, den er mit Arsinoe gegangen.
Ein steinerner Tisch hielt ihn bei diesem Gange auf, und es gelüstete ihn, über ihn fortzuspringen.
Als er zum drittenmal an ihm vorbeikam, tat er es auch, und zwar mit einem gewaltigen Satze; – aber gleich nach dieser übermütigen Tat blieb er stehen, schüttelte den Kopf über sich selbst und murmelte vor sich hin: »Wie ein Junge!« – Ihm war auch zumute, als sei er ein glückseliges Kind.
Während des Wartens wurde er ruhiger und ernster. Dankbar sagte er sich, daß er nun das Frauenbild gefunden, von dem er in den besten Schaffensstunden geträumt hatte, daß es ihm gehöre, ihm ganz allein.
Aber wer war er denn eigentlich! Ein armer Schelm, der viele Mäuler zu stopfen hatte, zwei Finger an seines Meisters Hand! Das mußte anders werden. Der Schwester wollte er nichts entziehen, doch mit Papias mußte er brechen und sich auf eigene Füße stellen. Der Mut war ihm hoch gewachsen, und als Arsinoe endlich von der Schwester zurückkehrte, wußte er schon, daß er in der eigenen Werkstätte zuerst die Büste Balbillas mit allem Fleiß fertigstellen und dann die Geliebte modellieren wollte. Diese beiden Frauenköpfe konnten ihm nicht mißlingen. Der Kaiser mußte sie sehen, sie sollten ausgestellt werden, und er sah schon sich selbst vor dem inneren Auge, wie er Bestellung auf Bestellung ablehnte, und von den guten nur die glänzendsten annahm.
Arsinoe konnte beruhigt heimkehren.
Selenes Leiden war doch weit weniger gefährlich als sie befürchtet. Sie wollte von keiner andern als von Frau Hanna gepflegt sein. Vielleicht mochte sie etwas Fieber haben, doch wer so verständig wie sie über jede kleine Frage der Haushaltung und über alles, was für die Kinder geschehen sollte, zu reden verstand, der, meinte Arsinoe, indem sie am Arme des Künstlers durch den Garten schritt, der könnte doch nicht sehr krank sein.
»Eine Roxane zur Schwester zu haben, muß sie erfreuen und ermuntern,« rief Pollux; seine schöne Begleiterin aber schüttelte verneinend den Kopf und sagte: »Sie ist immer so eigen: was mich am meisten freut, das ist ihr zuwider.«
»Selene ist eben der Mond und du bist die Sonne.«
»Und wer bist du?« fragte Arsinoe.
»Ich bin der lange Pollux; und heute will es mir scheinen, als könnte ich noch einmal der große werden.«
»Wenn dir das gelingt, so wachse ich mit dir.«
»Das wird dein Recht sein; denn nur durch dich kann mir das, was ich vorhabe, gelingen.«
»Wie soll ich ungeschicktes Ding es anfangen, einem Künstler zu helfen?«
»Indem du lebst und ihn liebst,« rief der Bildhauer, und hob sie, bevor sie es hindern konnte, zu sich empor.
Vor dem Gartentore saß die alte Sklavin und schlief.
Sie hatte von dem Pförtner gehört, daß ihre junge Herrin mit dem Begleiter hier Einlaß gefunden hätte; ihr selbst war untersagt worden, in das Grundstück zu treten. Ein Prellstein diente ihr zum Sitze, und beim Warten waren ihr, trotz des wachsenden Lärms auf der Straße, die Augen zugefallen.
Arsinoe weckte sie nicht und fragte Pollux mit einem schalkhaften Lächeln:
»Nicht wahr, wir finden allein den Heimweg?«
»Wenn Eros uns nicht in die Irre führt,« entgegnete der Künstler.
Während sie vorwärts zogen, scherzten sie und tauschten miteinander zärtliche Worte.
Je mehr sie sich der Lochias und der breiten Verkehrsader näherten, die die kanopische Straße, die größte und längste der Stadt, rechtwinklig durchschnitt, desto voller wurde der Strom der sich mit ihnen fortbewegenden Leute. Doch dieser Umstand war ihnen günstig; denn wer unbemerkt zu sein wünscht, der mische sich nur, wenn es ihm an einem einsamen Platz fehlt, in das Menschengedränge.
Vorwärts getrieben von den nach dem Mittelpunkte des festlichen Treibens strebenden Scharen, hielt er sie und sie ihn umfaßt, damit kein vorüberstürmender Zug von überspannten thrazischen Weibern, die in dieser dem kürzesten Tage folgenden Nacht, der heimischen Festfeier treu, mit einem Stierkalbe dahergestürmt kamen, sie voneinander reiße.
Jetzt waren sie kaum noch hundert Schritte von der Mondstraße entfernt, da jubelte ihnen berauschend heiterer, wild schwärmerischer Gesang und, ihn laut übertönend, Trommel- und Flötenklang, Schellengerassel und helles Jauchzen entgegen.
Jetzt drang ihnen in der Königsstraße, die bei der Lochias mündete und das Bruchium durchschnitt, eine fröhliche Schar entgegen.
Allen voran unter anderen Bekannten der Gemmenschneider Teuker, der junge Bruder des glückseligen Pollux. Mit Efeuranken umkränzt und einen Thyrsusstab schwingend, tanzte er vorwärts, und hinter ihm her sprang und jubelte ein Zug von Männern und Frauen – alle bis zur Tollheit erregt, jauchzend, singend und tanzend.
Wein-, Efeu- und Asphodelusranken umflatterten hundert Häupter; Pappel-, Lotus- und Lorbeerkränze schwankten auf glühenden Stirnen, Panther-, Hirsch- und Rehfelle hingen von nackten Schultern und wurden beim schnellen Lauf ihrer Träger und Trägerinnen vom Zugwinde hoch in die Luft geworfen. Künstler und reiche junge Herren, die mit den Geliebten von einem Gastmahle heimkehrten, hatten diesen Aufzug mit einer Musikbande eröffnet. Wer auch diesem fröhlichen Haufen begegnete, den zog er an, den riß er mit sich fort. Ehrbare Bürger und Bürgerfrauen, Arbeiter, Dirnen, Sklaven, Soldaten und Matrosen, Offiziere, Flötenspielerinnen, Handwerker, Schiffsführer, ein ganzer Theaterchor, den ein Kunstfreund bewirtet hatte, erregte Weiber, die einen Bock, der dem Dionysus geschlachtet werden sollte, mit sich zerrten, niemand von ihnen allen widerstand der Lockung, dem Zuge zu folgen.
Nun bog er in die Mondstraße ein und hielt sich in dem breiten, mit Ulmen besetzten Mittelwege, der zu jeder seiner Seiten von einem Fahrdamme begrenzt war, den niemand zu dieser Zeit benützte.
Wie klangen die Doppelflöten so laut, wie schlugen zarte Mädchenfäuste so kräftig auf das Kalbfell der Handtrommeln, welch lustiges Spiel trieb der Wind mit dem aufgelösten Haare der tobenden Weiber und dem Rauche der Fackeln, die übermütige Gesellen, als Pane und Satyrn verkleidet, laut aufjauchzend schwangen.
Hier schnellte ein Mädchen in vollem Lauf ein Tamburin hoch in die Luft und schüttelte die Schellen an seinem Reifen so heftig, als sollten sich die hohlen metallenen Kugeln von ihm ablösen und auf eigenen Wegen die Luft durchsausen. Dort, neben der bis zur Grenze des Wahnsinns Erregten, hüpfte in ausgesucht zierlichen Sprüngen ein schöner Jüngling daher, trug den langen Stierschwanz, den er sich angeheftet hatte, mit komischer Sorgfalt unter dem Arme und blies von der längsten in die kürzeste und von der kürzesten in die längste der Röhren, die seine Panflöte bildeten. Mitten aus dem rasch dahinlärmenden Zuge klang manchmal lautes Gebrüll, das ebensogut die Lust wie der Schmerz erzeugt haben konnte; doch es wurde jedesmal schnell von tollem Gelächter, ausgelassenem Gesang und lustiger Musik übertönt.
Alt und jung, hoch und gering, kurz alles, was sich dem Aufzug nahte, ward mit unwiderstehlicher Macht fortgerissen, ihm jauchzend zu folgen.
Auch Pollux und Arsinoe gingen schon längst nicht mehr in ruhigem Schritt ehrbar nebeneinander, sondern bewegten lachend die Füße nach dem Takt der fröhlichen Weise.
»Wie das klingt!« rief der Künstler. »Tanzen und jubeln möcht' ich, Arsinoe, tanzen und jubeln mit dir, und wie rasend.«
Bevor sie noch Zeit fand, »Ja« oder »Nein« zu erwidern, jauchzte er ein lautes »Jo, jo, Dionysus« und schwang sie hoch in die Höhe.
Da wurde auch sie von dem Taumel ergriffen, und die Hand über dem Haupte schwenkend, stimmte sie in seinen Jubelruf ein und ließ sich von ihm an die Ecke der Mondstraße ziehen, wo eine Kranzhändlerin ihre Ware feilhielt.
Dort gestattete sie ihm, sie mit Weinranken zu umschlingen, setzte ihm einen Lorbeerkranz auf das Haupt, wand ihm Efeu um den Hals und die Brust, lachte laut auf, als er der Gärtnerin ein großes Geldstück in den Schoß warf, und hing sich ihm fest an den Arm.
Das alles war ohne Nachdenken in fliegender Eile, wie im Rausch und mit zitternden Fingern geschehen.
Jetzt erreichte der Zug sein Ende.
Sechs bekränzte Frauen und Mädchen schlossen sich Arm in Arm und mit lautem Gesang ihm an.
Pollux zog die Geliebte hinter diese lustige Reihe, umschlang Arsinoe wieder, ließ sich von ihr umfassen, und nun hoben beide in raschem Tanzschritt die Füße, schwangen die freien Arme, warfen den Kopf laut rufend und singend zurück und vergaßen alles, was sie umgab, und glaubten, sie wären mit einem aus Sonnenstrahlen gewebten Gürtel verbunden und ein Gott hebe sie an ihm hoch empor und führe sie durch lauter Jubel und Lust an tausend Sternen vorbei durch die lichten Räume des Äthers.
Und sie ließen sich beide fortreißen durch die Mondstraße in die von Kanopus und dann zum Meere zurück bis zum Tempel des Dionysus.
Da blieben sie atemlos stehen, und ihm fiel wieder ein, daß er Pollux, und ihr, daß sie Arsinoe sei, und daß sie zu ihrem Vater und den Geschwistern zurückkehren müsse.
»Komm nach Hause,« sagte sie leise. Dabei ließ sie die Arme sinken und faßte schamhaft das aufgelöste Haar zusammen.
»Ja, ja,« entgegnete er wie im Traume.
Dann gab er sie frei, schlug sich die Stirn mit der Hand, und rief, indem er sich der offenen Cella des Tempels zuwandte:
»Daß du mächtig bist, Dionysus, daß du schön bist, Aphrodite, daß du lieblich bist, Eros, hab' ich lange gewußt; aber daß eure Gaben so unermeßlich groß sind, das erfuhr ich erst heute.«
»Wir waren beide ganz voll von dem Gotte,« sagte Arsinoe, »und es war wundervoll; aber da kommt ein neuer Zug, und ich muß nach Hause.«
»So gehen wir durch die kleine Hafengasse,« riet Pollux.
»Ja. Die Blätter muß ich aus dem Haare lesen, und dort sieht uns niemand.«
»Ich will dir helfen . . .«
»Nein, du rührst mich nicht an,« entgegnete Arsinoe streng.
Dann faßte sie die Fülle ihres weichen, glänzenden Hauptschmucks zusammen und befreite ihn von dem Laube, das sich wie grüne Käfer in vielblätterigen Blumen in ihm versteckt hatte. Zuletzt verbarg sie das Haupt unter dem Schleier, der ihr längst vom Haupt gesunken und wie durch ein Wunder an der Spange des Peplos hängen geblieben war.
Pollux schaute ihr zu und rief, fortgerissen von der Macht der Leidenschaft:
»Ewige Götter, wie ich dich liebe! Mein Herz ist ein spielendes Kind gewesen, heute aber wuchs es zum Helden heran. Warte nur, warte, der wird seine Waffen schon brauchen!«
»Und ich kämpfe mit ihm,« fügte sie freudig hinzu, legte den Arm wieder in den seinen, und beide eilten, mehr tanzend als gehend, dem Palaste entgegen.
Schon kündete die späte Sonne des kurzen Dezembertages durch einen kalten grauen Streifen ihren baldigen Aufgang an, als Pollux mit der Begleiterin das längst für die Arbeiter geöffnete Tor durchschritt.
In der Musenhalle nahmen sie den ersten, in dem zu der Verwalterwohnung führenden Gang den zweiten betrübten und doch fröhlichen Abschied. Aber er war nur kurz; denn der Schein eines Lämpchens riß sie bald voneinander.
Arsinoe suchte schnell das Weite.
Antinous war der Störer.
Er wartete hier auf den Kaiser, der immer noch auf dem Turmbau, den Pontius für ihn hergestellt hatte, nach den Sternen schaute, und erkannte sie, als sie an ihm vorbeieilte.
Sobald sie verschwunden war, wandte er sich an Pollux und sagte heiter:
»Ich bedarf deiner Entschuldigung; denn ich störte dich wohl bei einem Stelldichein mit deiner Geliebten.«
»Sie ist meine Braut,« versetzte der Künstler stolz.
»Desto besser,« entgegnete der Günstling und atmete so tief auf, als würde ihm das Herz durch die Versicherung des Künstlers von einer Bürde befreit. »Desto besser. Kannst du mir sagen, wie sich die Schwester der schönen Arsinoe befindet?«
»Gewiß,« entgegnete Pollux und ließ sich's gefallen, daß der Bithynier sich ihm an den Arm hängte.
In der nun folgenden Stunde gewann der Bildhauer, von dessen Lippen heitere und begeisterte Worte wie ein voller Gießbach rauschten, das ganze Herz des Günstlings.
Das Mädchen fand den Vater und ihren blinden Bruder Helios, der nicht mehr aussah wie ein Kranker, in tiefem Schlaf.
Die Sklavin kam wenige Minuten später als sie nach Hause, und als Arsinoe sich endlich mit aufgelöstem Haar auf das Lager warf, entschlummerte sie sogleich, und ein Traum führte sie wieder an die Seite ihres Pollux und ließ sie beide beim Klang der Trommeln, Flöten und Schellen wie zwei vom Winde entführte Blätter hoch über die staubigen Erdenwege dahinfliegen.
Einundzwanzigstes Kapitel
Nach Sonnenaufgang war der Palastverwalter Keraunus erwacht. Er hatte zwar in seinem Lehnsessel nicht viel weniger fest als im Bette geschlafen; er fühlte sich aber doch nicht erfrischt, und die Glieder taten ihm weh.
Im Wohnzimmer lag noch alles umher wie am vergangenen Abend, und das verdroß ihn; denn er war gewohnt, wenn er es am Morgen betrat, dies Gemach in bester Ordnung zu finden.
Auf dem Tisch standen, von Fliegen umschwärmt, die Reste der Abendmahlzeit der Kinder, und zwischen den Schüsseln und Brotrinden glänzte sein eigener Schmuck und der seiner Tochter.
Wohin er schaute, sah er Kleidungsstücke und Dinge, die nicht hierher gehörten.
Die alte Sklavin trat gähnend in das Gemach. Ihr graues Wollhaar hing ihr ungeordnet ins Gesicht, und ihre Augen blickten stier, die Füße wankten ihr unstet hin und her.
»Du bist betrunken,« herrschte Keraunus sie an, und er täuschte sich nicht; denn nachdem die Alte vor dem Hause der Witwe des Pudens aufgewacht war und von dem Torhüter erfahren hatte, daß Arsinoe den Garten schon verlassen habe, war sie von anderen Sklavinnen in eine Weinschenke gezogen worden.
Als ihr Herr sie am Arme ergriff und sie schüttelte, rief sie mit einem dummen Grinsen auf den nassen Lippen:
»Das Fest. Alles ist frei. Heut ist das Fest.«
»Römischer Unsinn,« unterbrach sie der Verwalter. »Ist meine Suppe fertig?«
Während die Alte eine unverständliche Antwort vor sich hin murmelte, trat der Sklave in das Zimmer und sagte:
»Sie feiern heut alle, darf ich auch hinaus?«
»Das könnte mir passen,« rief der Verwalter. »Dies Untier betrunken, Selene krank und du auf der Straße.«
»Aber keiner bleibt heute zu Hause,« entgegnete der Schwarze schüchtern.
»So pack dich!« schrie Keraunus. »Treib dich herum bis Mitternacht! Tu, was du willst; nur erwarte nicht, daß ich dich länger behalte. Zum Drehen der Sandmühle bist du immer noch gut, und es findet sich gewiß noch ein Dummer, der ein paar Drachmen für dich bezahlt.«
»Nicht, nicht verkaufen,« stöhnte der Alte und erhob bittend die Hände; Keraunus aber hörte ihn nicht, sondern fuhr scheltend fort:
»Ein Hund hängt wenigstens treu an seinem Herrn, aber ihr, ihr freßt ihn arm, und wenn er euch braucht, so gelüstet es euch, auf die Gasse zu laufen.«
»Ich will ja bleiben,« heulte der Alte.
»Tu, was du willst. Lange schon bist du wie ein lahmes Pferd, das den Herrn, der es reitet, zum Kinderspott macht. Wenn du mit mir ausgehst, sieht man mir nach, als hätte ich einen Fleck auf dem Pallium. Und der räudige Hund will Feste feiern und sich groß machen unter den Bürgern!«
»Ich bleibe ja; nur nicht verkaufen!« wimmerte der Geängstigte kläglich und versuchte die Hand des Gebieters zu ergreifen; der Verwalter aber stieß ihn zurück und befahl ihm, in die Küche zu gehen, Feuer anzuzünden und der Alten Wasser über den Kopf zu gießen, um sie wieder munter zu machen.
Der Sklave schob die Genossin zur Türe hinaus; Keraunus aber begab sich in das Schlafgemach der Tochter, um sie zu wecken.
In die Kammer Arsinoes drang kein anderes Licht als das, dem es durch eine kleine Öffnung unter der Decke sich zu ihr hineinzustehlen gelang. Die schrägen Strahlen der Morgensonne fielen gerade jetzt auf das Bett, dem Keraunus sich näherte.
Da lag seine Tochter in tiefem Schlaf. Ihr schöner Kopf ruhte auf dem rundgebogenen rechten Arme, das aufgelöste hellbraune Haar floß ihr wie ein Strom auf die weichen Schultern und über den Rand des Bettes hinaus. So schön war ihm sein Kind noch nie erschienen, ja sein Anblick bewegte ihm das Herz; denn Arsinoe erinnerte ihn an die verstorbene Gattin, und es war nicht bloß eitler Stolz, sondern eine Regung von wahrer väterlicher Liebe, die unwillkürlich seinen Seelenwunsch, die Götter möchten ihm dies Kind erhalten und es glücklich werden lassen, in ein wortloses, inniges Gebet verwandelte.
Er war nicht gewohnt, seine Töchter, die stets vor ihm wach und tätig zu sein pflegten, zu wecken, und es fiel ihm schwer, den süßen Schlaf des Lieblings zu stören; doch es mußte ja sein, und so rief er denn Arsinoes Namen, schüttelte ihr den Arm und sagte, als sie sich endlich erhob und ihn fragend ansah:
»Ich bin es. Steh auf! Erinnere dich nur, Kind, was es heute noch alles gibt.«
»Ja doch,« gähnte sie, »es ist noch so früh.«
»Früh?« fragte Keraunus lächelnd. »Mein Magen behauptet das Gegenteil. Die Sonne steht schon hoch, und ich habe noch nicht einmal meine Suppe bekommen.«
»Laß die Alte sie kochen.«
»Nein, nein, Kind, du mußt aufstehen. Hast du vergessen, was du vorstellen sollst? Und meine Locken, und die Gattin des Präfekten, und dann deine Gewänder.«
»So geh nur. – Ich mache mir nicht das geringste aus der Roxane und der ganzen Verkleidung.«
»Weil du noch nicht recht wach bist,« lachte der Verwalter. »Wie kommt dir das Efeublatt dort in das Haar?«
Da errötete Arsinoe, faßte nach der Stelle, auf die der Vater wies, und sagte unwillig:
»Von irgendeiner Ranke. Aber nun geh hinaus, damit ich aufstehen kann.«
»Gleich, gleich. Wie fandest du Selene?«
»Es geht ihr gar nicht so schlimm; aber davon erzähle ich dir nachher. Jetzt will ich allein sein!«
Als Arsinoe eine halbe Stunde später dem Vater die Suppe brachte, schaute der sie verwundert an.
Es schien ihm eine Veränderung mit der Tochter vorgegangen zu sein. Aus ihren Augen leuchtete etwas, das er nie vorher bemerkt hatte und ihren jugendlichen Zügen etwas so Bedeutsames verlieh, daß es ihn beinahe erschreckte.
Keraunus hatte, während sie die Suppe rührte, die Kinder mit Hilfe der Sklaven aus den Betten genommen.
Jetzt saßen sie beim Frühstück, und mitten unter ihnen frisch und gesund der blinde Helios.
Während Arsinoe dem Vater von Selene und ihrer vortrefflichen Wartung durch die Witwe Hanna erzählte, schaute Keraunus sie unverwandt an.
Als sie dies bemerkte und ungeduldig fragte, was sie denn heute Besonderes an sich habe, gab er kopfschüttelnd zurück:
»Wie ihr Mädchen doch seid! Da hat man dir eine große Ehre erwiesen, du sollst die Braut Alexanders vorstellen, und der Stolz und die Freude darüber haben dich in einer einzigen Nacht seltsam verändert; doch ich denke, nicht gerade zum Nachteil.«
»Torheit,« entgegnete Arsinoe errötend und warf sich, indem sie sich streckte und dehnte, tief in das Polster.
Sie fühlte sich nicht eigentlich müde, ja die Schlaffheit, die sie in allen Gliedern empfand, erfüllte sie mit einem eigentümlichen Wohlgefühl.
Es war ihr, als käme sie aus einem lauen Bade, und seitdem der Vater sie geweckt hatte, ließ sich wieder und wieder der Klang der heiteren Musik, der sie mit Pollux gefolgt war, wie aus weiter Ferne vor ihrem Ohre vernehmen.
Manchmal lächelte sie, manchmal blickte sie starr vor sich hin, und dabei sagte sie sich, daß, wenn der Geliebte sie in dieser Stunde riefe, es ihr nicht an Kraft fehlen würde, sich mit ihm sogleich von neuem in den rasenden Tanz zu stürzen.
Wohlig durchdrang sie die Empfindung der vollen Gesundheit!
Nur die Augen brannten ihr ein wenig, und wenn Keraunus etwas Neues an der Tochter zu bemerken vermeinte, so war es der ernste Glanz, der sich nun zu dem heiteren Licht gesellte, das ihm sonst aus ihnen entgegengeschaut hatte.
Nachdem man das Frühstück beendet, der Sklave die Kinder ins Freie geführt und Arsinoe begonnen hatte, dem Vater die Locken zu brennen, nahm Keraunus die würdevollste seiner Stellungen ein und sagte gewichtig:
»Mein Kind!«
Das Mädchen ließ die erwärmte Zange sinken und fragte, gefaßt, eine von jenen Wunderlichkeiten zu vernehmen, denen Selene entgegenzutreten gewohnt war: »Nun?«
»Höre mir aufmerksam zu.«
Das, was nun kommen sollte, war Keraunus vor einer Stunde, als er dem alten Sklaven die Lust verdarb, das Haus zu verlassen, eingefallen, und doch sagte er, indem er die Stirn mit der Hand berührte und die Miene eines sinnenden Philosophen annahm:
»Schon seit langer Zeit trage ich mich mit einem schweren Gedanken. Jetzt ist er zum Entschluß gereift, und ich teile ihn dir mit. Wir werden einen neuen Sklaven anschaffen müssen.«
»Aber Vater,« rief Arsinoe, »bedenke doch, was das kosten würde, hätten wir einen Mann mehr zu ernähren . . .«
»Davon ist keine Rede,« unterbrach sie Keraunus. »Ich tausche den Alten gegen einen jüngeren ein, mit dem man sich sehen lassen kann. Gestern sagte ich dir schon, daß wir von nun an die Blicke mehr auf uns ziehen werden als früher, und wenn wir mit der schwarzen Vogelscheuche auf der Straße oder sonstwo erscheinen . . .«
»Man kann gewiß keinen Staat mit Sebek machen,« unterbrach Arsinoe den Vater; »aber lassen wir ihn doch künftig zu Hause.«
»Kind, Kind,« entgegnete Keraunus vorwurfsvoll; »bedenkst du denn niemals, wer wir sind! Wie würde es sich für uns schicken, ohne Sklaven auf der Straße zu erscheinen.«
Das Mädchen zuckte die Achseln und stellte dem Vater vor, daß Sebek doch ein altes Familienstück sei, daß die Kleinen an ihm hingen, weil er sie wie eine Wärterin hüte, daß ein neuer Sklave viel Geld kosten und nur mit Gewalt zu manchen Diensten zu zwingen sein würde, die der Alte immer gern und gut verrichtet habe.
Aber Arsinoe predigte tauben Ohren. Selene war nicht da, und sicher vor ihren Vorwürfen, begierig nach dem Versagten wie ein unbehüteter Knabe, beharrte Keraunus auf dem Entschlusse, den alten treuen Burschen gegen einen stattlichen Sklaven umzutauschen.
An das traurige Schicksal, das dem hinfälligen, in seinem Hause ergrauten Greise drohte, wenn er ihn verkaufte, dachte er keinen Augenblick; aber er hatte doch die Empfindung, daß es nicht recht von ihm sei, das letzte in sein Haus gefallene Geld für ein im Grunde nicht notwendiges Etwas auszugeben.
Je berechtigter ihm die Bedenken Arsinoes zu sein schienen, je lauter ihn eine innere Stimme warnte, seiner Eitelkeit dies neue Opfer zu bringen, desto fester und heftiger trat er für seinen Wunsch ein, und während er das, was er begehrte, verfocht, gewann es vor ihm selbst den Anschein der Notwendigkeit, drängte sich ihm eine Menge von Gründen auf, die es vernünftig und leicht ausführbar erscheinen ließen.
Geld war vorhanden, nach Arsinoes Wahl für die Rolle der Roxane konnte er erwarten, neues geborgt zu erhalten, es war seine Pflicht, stattlich aufzutreten, um den vornehmen Schwiegersohn, von dem er träumte, nicht abzuschrecken, und in der äußersten Not blieb ihm immer noch seine Sammlung von seltenen Gegenständen. Es kam nur darauf an, den rechten Käufer zu finden.
Wenn das falsche Schwert des Antonius so hoch bezahlt worden war, wieviel konnten Liebhaber für die anderen weit wertvolleren Gegenstände bieten!
Arsinoe wurde rot und blaß, während der Vater wieder und wieder auf ihren Handel zurückkam, aber sie wagte es nicht, ihm die Wahrheit zu gestehen, und ihre Lüge reute sie um so aufrichtiger, je deutlicher sie mit dem ihr eigenen gesunden Sinne erkannte, daß die ihr gestern zugefallene Ehre die Schwächen ihres Vaters in verhängnisvoller Weise zu steigern drohte.
Heute genügte es ihr vollständig, wenn sie nur Pollux gefiel, und ohne Kummer hätte sie ihre Rolle und jeden Anspruch auf Beifall und Bewunderung, den sie ihr verlieh und der ihr noch gestern so unschätzbar wertvoll erschienen war, auf ein anderes Mädchen übertragen sehen. Sie sprach das auch aus; Keraunus aber nahm ihre Erklärung nicht ernst, lachte ihr ins Gesicht, erging sich in rätselhaften Anspielungen auf den Reichtum, der nicht verfehlen würde, bei ihnen einzukehren – und weil ein dunkles Gefühl ihm sagte, es würde schicklich sein, zu zeigen, daß seine persönliche Eitelkeit und die Rücksicht auf seine eigene Person nicht alle seine Handlungen bedinge, erklärte er, sich selbst ein großes Opfer auferlegen und sich auch für die nächste Zeit mit dem vergoldeten Stirnreifen begnügen und keinen von reinem Golde kaufen zu wollen.
Durch diese Tat der Entsagung glaubte er das volle Recht erworben zu haben, an die Erwerbung eines neuen stattlichen Sklaven ein hübsches Sümmchen zu wenden.
Die Bitten Arsinoes blieben unbeachtet, und als sie, weil der drohende Verlust des alten Hausgenossen sie schmerzte, zu weinen begann, verbot er ihr unwillig, wegen eines solchen Nichts Tränen zu vergießen; denn das sei kindisch, und es könne ihm nicht gefallen, sie mit roten Augen zu der Frau des Präfekten zu führen.
Während dieser Verhandlungen wurden seine Locken fertiggedreht, und er befahl Arsinoe, nunmehr das eigene Haar schön zu ordnen, um dann mit ihm zu kommen. Sie wollten ein neues Gewand und Peplos kaufen, Selene besuchen und sich dann zu Frau Julia tragen lassen.
Gestern noch hatte er es für eine übermütige Tat gehalten, sich einer Sänfte zu bedienen, heute überlegte er schon, ob es nicht schicklich sein würde, einen Wagen zu mieten.
Sobald er allein war, kam er auf einen neuen Gedanken.
Der übermütige Baumeister sollte erfahren, daß er nicht der Mann sei, sich ungestraft beleidigen und ängstigen zu lassen. Darum schnitt er einen leeren Papyrusstreifen von einem in seiner Truhe bewahrten Brief und schrieb darauf folgende Worte:
»Der Mazedonier Keraunus an den Baumeister Claudius Venator aus Rom.
Meine älteste Tochter Selene ist durch Deine Schuld so schwer verletzt worden, daß sie, von großer Gefahr bedroht, daniederliegt und unerhörte Schmerzen leidet. Meine anderen Kinder sind nicht mehr sicher im Hause ihres Vaters, und ich fordere Dich darum nochmals auf, Deinen Hund an die Kette zu legen. Weigerst Du Dich, dies billige Verlangen zu erfüllen, so lege ich meine Sache in die Hand des Kaisers. Ich teile Dir mit, daß sich Ereignisse zugetragen haben, die Hadrian bestimmen werden, jeden übermütigen zu strafen, der die Rücksicht außer acht läßt, die man mir und meinen Töchtern schuldet.«
Nachdem Keraunus diesen Brief mit seinem Siegel verschlossen hatte, rief er den Sklaven und sagte kühl:
»Bring das dem Baumeister aus Rom und hole dann zwei Sänften. Du eilst dich, und während wir fort sind, gibst du gut acht auf die Kinder. Morgen oder übermorgen wirst du verkauft. An wen? Das hängt davon ab, wie du dich in den letzten Stunden beträgst, in denen du uns gehörst.«
Der Schwarze stieß ein lautes, aus tiefstem Herzen kommendes Jammergeschrei aus und warf sich vor den Verwalter nieder.
Diesem schnitt die Klage des Alten durch die Seele, doch er war entschlossen, sich nicht rühren zu lassen und ihn fortzugeben.
Aber der Schwarze umklammerte ihm die Knie fester, und als die Kinder, herbeigelockt durch das Geheul des armen Freundes, laut mit ihm weinten und der kleine Helios das halb ausgegangene Wollhaar des Negers zu streicheln begann, da wurde dem eitlen Manne nicht wohl ums Herz, und um sich vor der eigenen Schwachheit zu retten, schrie er überlaut und heftig:
»Hinaus mit dir und tu, was man dir befiehlt; sonst greif' ich zur Peitsche.«
Mit dieser Drohung riß er sich von dem Unglücklichen los, der dann gesenkten Hauptes das Gemach verließ und mit dem Briefe in der Hand vor den Gemächern des Kaisers stehenblieb.
Das Sein und Wesen Hadrians hatten ihn mit Scheu und Ehrfurcht erfüllt, und er wagte es nicht, an seine Tür zu klopfen. Nachdem er, immer noch mit Tränen in den Augen, eine Zeitlang gewartet, trat Mastor mit den Resten des Frühstücks seines Gebieters in den Gang.
Der Schwarze rief ihn an und hielt ihm den Brief des Verwalters hin, indem er weinerlich stammelte:
»Von Keraunus für deinen Herrn.«
»Leg ihn hier auf das Brett,« befahl der Jazygier. »Aber was ist dir zugestoßen, mein Alter? Du heulst ja und siehst jämmerlich aus. Hat es Prügel gegeben?«
Der Schwarze schüttelte den Kopf und entgegnete wimmernd:
»Keraunus will mich verkaufen.«
»Es wird bessere Herren geben.«
»Aber Sebek ist alt, Sebek ist schwach, Sebek kann nicht mehr heben und ziehen, und bei schwerer Arbeit geht er zugrunde, sicher zugrunde.«
»Hast du es denn leicht und reichlich gehabt bei dem Verwalter?«
»Gar keinen Wein, gar kein Fleisch, viel Hunger,« klagte der Greis.
»So sei froh, daß du fortkommst.«
»Nein, nein,« stöhnte der Alte.
»Närrischer Kauz,« sagte Mastor, »was willst du denn noch bei dem mürrischen Knauser?«
Der Schwarze blieb dem Fragenden eine Zeitlang die Antwort schuldig; dann hob und senkte sich ihm die eingefallene Brust, und als sei der Damm gerissen, der das Bekenntnis zurückgehalten hatte, rief er unter lautem Schluchzen:
»Die Kinder, die Kleinen, unsere Kleinen! Sie sind so lieb, und unser Helios, unser kleiner blinder Helios hat Sebek, weil er fort soll, das Haar gestreichelt, hier – hier hat er es gestreichelt,« – er wies auf eine völlig kahle Stelle – »und nun soll Sebek fort und sie nie mehr wiedersehen, als wären sie alle gestorben!«
Diese Worte rollten wie schwere Körper, die ein Strom von Tränen langsam fortträgt, über die Lippen des Sklaven.
Sie rührten Mastor das Herz, weckten in ihm die Erinnerung an die eigenen verlorenen Kinder und den Wunsch, den unglücklichen Genossen zu trösten. »Armer Schelm,« sagte er mitleidig. »Ja, die Kinder! Sie sind so klein, und das Tor, das ins Herz führt, ist so eng; sie aber kommen spielend hindurch, hundertmal leichter und besser als Große. Ich habe auch liebe Kinder verloren, und das waren noch dazu meine eigenen. Ich kann jedermann lehren, was Schmerz ist; aber nun weiß ich auch, wo man sich Trost holt.«
Bei dieser Versicherung stützte Mastor das Brett, das er trug, mit der Hüfte und rechten Hand – mit der linken aber faßte er die Schulter des Schwarzen und flüsterte ihm zu:
»Hast du schon von den Christen gehört?«
Sebek nickte eifrig und als hörte er einer Sache gedenken, von der er Großes vernommen und Schönes erwartete, Mastor aber fuhr leise fort:
»Komm morgen früh vor Sonnenaufgang in den Hof zu den Pflasterern. Da wirst du von einem hören, der die Mühseligen und Beladenen tröstet.«
Der Diener des Kaisers nahm das Brett wiederum in beide Hände und entfernte sich schnell; aus den Augen des Alten aber leuchtete ein leiser Hoffnungsschimmer. Er erwartete kein Glück, doch vielleicht gab es ein Mittel, die Not des Lebens leichter zu tragen.
Mastor kehrte, sobald er das Brett den Küchensklaven, die nunmehr auf der Lochias tätig waren, übergeben hatte, zu dem Gebieter zurück und überreichte ihm den Brief des Verwalters.
Die Stunde war übel gewählt für Keraunus; denn der Kaiser war in düsterer Stimmung.
Er hatte bis zum Morgen gewacht, kaum drei Stunden geruht und verglich jetzt mit zusammengezogenen Brauen die Ergebnisse seiner Beobachtung des gestirnten Himmels in dieser Nacht mit astronomischen Tafeln, die vor ihm ausgebreitet lagen.
Bei dieser Tätigkeit schüttelte er oft unzufrieden das lockige Haupt; ja, einmal warf er den Stift, mit dem er seine Berechnungen ausgeführt hatte, auf den Tisch, lehnte sich weit in das Polster zurück, und bedeckte die Augen mit beiden Händen. Dann begann er wieder Zahlen zu schreiben und sein neues Ergebnis schien um nichts erfreulicher als das erste.
Der Brief des Verwalters hatte schon lange vor ihm gelegen, als er ihn endlich, während er nach einem anderen Schriftstücke griff, wieder bemerkte.
Einer Erholung bedürftig, riß er ihn auf, las ihn und warf ihn dann unwillig von sich.
Zu einer anderen Zeit hätte er sich teilnahmsvoll nach dem leidenden Mädchen erkundigt, über den wunderlichen Mann gelacht oder wohl auch einen Streich ersonnen, um ihn zu ängstigen oder zu hänseln; heute aber ärgerten ihn die drohenden Worte des Verwalters und steigerten die Abneigung gegen ihn.
Überdrüssig des ihn umgebenden Schweigens rief er Antinous, der träumend in den Hafen hinausschaute.
Der Günstling näherte sich sofort dem Gebieter.
Hadrian schaute ihn an und sagte kopfschüttelnd:
»Auch du siehst aus, als drohe ein Unglück. Hat sich der Himmel ganz überzogen?«
»Nein, Herr. Über der See ist er blau, doch im Süden ziehen sich schwarze Wolken zusammen.«
»Im Süden?« fragte Hadrian nachdenklich. »Von dorther kann uns kaum etwas Schlimmes bedrohen. Aber es kommt, es naht sich, es wird da sein, bevor wir es ahnen.«
»Du hast so lange gewacht, und das verdirbt dir die Stimmung.«
»Die Stimmung? Was ist Stimmung?« murmelte Hadrian düster vor sich hin. »Stimmung ist ein Zustand, der sich aller Regungen der Seele auf einmal bemächtigt, mit Grund bemächtigt, und mein Herz ist heute gelähmt von Besorgnis.«
»So hast du üble Zeichen am Himmel gesehen?«
»Höchst üble!«
»Ihr weisen Männer glaubt an die Sterne,« entgegnete Antinous. »Ihr habt gewiß recht; doch mein schwacher Kopf will nicht begreifen, was ihre regelmäßigen Bahnen mit meinem unsteten Hinundher zu tun haben sollten.«
»Werde grau,« versetzte der Kaiser. »Lerne das ganze All mit dem Geist umfassen, und dann erst rede von diesen Dingen, dann erst kannst du erkennen, daß jeder Teil des Geschaffenen, das Größte und Kleinste, innig miteinander verknüpft ist, aufeinander wirkt, voneinander abhängt. Was ist und sein wird in der Natur, was wir Menschen empfinden, denken und tun, das alles wird bedingt von ewigen Ursachen, und was aus diesen hervorgeht, das haben Dämonen, die zwischen uns und der Gottheit stehen, mit goldener Schrift auf die blaue Wölbung des Himmels verzeichnet. Die Lettern dieser Schrift sind die Sterne, deren Bahnen so unwandelbar sind wie die Ursachen alles dessen, was ist und geschieht.«
»Bist du ganz sicher, dich nie in dieser Schrift zu verlesen?« fragte Antinous.
»Auch ich kann irren,« entgegnete der Kaiser, »aber diesmal täuschte ich mich gewiß nicht. Ein schweres Unheil bedroht mich. Es ist ein seltsames, erschreckend wunderbares Zusammentreffen.«
»Was?«
»Aus dem verwünschten Antiochia, von dem mir noch nie etwas Gutes zukam, empfing ich einen Orakelspruch, der – aus dem – Warum sollt' ich es dir verschweigen? In der Mitte des kommenden Jahres soll wie der Blitz, der den Wanderer zu Boden schleudert, schweres Unglück mich treffen und schlagen, und heute nacht! Sieh mit mir in diese Tafel! Hier ist das Haus des Todes, hier sind die Planeten . . . Aber was verstehst du von solchen Dingen? Kurz, in dieser Nacht, in der schon einmal Furchtbares vorging, bestätigten die Sterne das Unglücksorakel mit so nackter Deutlichkeit, so unverkennbar sicher, als hätten sie Zungen und schrien mir die schlimme Prophezeiung ins Ohr. Mit solcher Aussicht vor Augen wandert es sich schlecht. Was wird uns die Mitte des neuen Jahres wohl bringen?«
Hadrian seufzte tief auf, Antinous aber näherte sich ihm, ließ sich vor ihm auf die Knie nieder und fragte in kindlich bescheidenem Ton:
»Darf ich armer, törichter Wicht den großen Weisen lehren, sein Leben mit sechs guten Monaten zu bereichern?«
Der Kaiser lächelte, als wüßte er, was nun kommen würde; der Günstling aber fuhr ermutigt fort:
»Laß doch die Zukunft Zukunft sein. Was kommen soll, kommt; denn selbst die Götter haben keine Macht gegen das Schicksal. Wenn das Schlimme naht, so wirft es einen schwarzen Schatten vor sich her. Du beachtest ihn und läßt dir den lichten Tag von ihm verfinstern, ich schlendere träumend auf meinem Wege dahin und bemerke das Unglück erst, wenn wir aneinanderprallen und es auf mich losschlägt.«
»Und so bleibt dir eine Reihe von umdüsterten Tagen erspart,« unterbrach Hadrian den Liebling.
»Das wollt' ich sagen.«
»Und dein Rat ist gut für dich und jeden anderen Spaziergänger durch den Jahrmarkt eines müßigen Lebens,« entgegnete der Kaiser; »der Mann aber, dem die Aufgabe gestellt ward, Millionen über Abgründe zu führen, der muß unverwandt aufmerken, in die Nähe und Ferne schauen, und darf das Auge nicht schließen, wenn es auch so Entsetzliches zu sehen gibt, wie es mir heute nacht zu schauen bestimmt war.«
Bei dieser Erklärung hatte Phlegon, der Geheimschreiber des Kaisers, mit neuen Briefen aus Rom das Zimmer betreten und sich dem Gebieter genähert. Er verneigte sich tief und fragte, an Hadrians letzte Worte anknüpfend:
»Die Sterne beunruhigen dich, Cäsar?«
»Sie lehren mich auf der Hut sein,« entgegnete Hadrian.
»Hoffen wir, daß sie lügen,« fiel ihm der Grieche mit heiterer Lebhaftigkeit ins Wort. »Cicero hat gewiß nicht ganz unrecht, wenn er der Sterndeuterkunst mißtraut.«
»Er war ein Schwätzer,« entgegnete Hadrian und runzelte die Stirn.
»Aber ist es nicht richtig,« fragte Phlegon, »daß, wenn die Horoskope, die man einem Knejus oder Kajus stellte, zutreffend wären, Knejus und Kajus die gleichen Temperamente und Lebensschicksale haben müßten, wenn sie zufällig in derselben Stunde geboren wären?«
»Immer die alten Gemeinplätze, immer der alte Unsinn,« unterbrach Hadrian den Beamten, gereizt bis zum Ingrimm. »Rede, wenn du gefragt wirst, und kümmere dich nicht um Dinge, die du nicht verstehst und die dich nichts angehen. Sind wichtige Dinge dort unter den Briefen?«
Antinous sah erstaunt auf den Gebieter. Warum empörten ihn die Einwände Phlegons, während er doch die seinen freundlich beantwortet hatte?
Hadrian achtete jetzt nicht mehr auf ihn, sondern las Schreiben auf Schreiben rasch und doch aufmerksam durch, schrieb kurze Bemerkungen an die Ränder, unterzeichnete mit fester Hand einige Dekrete und gebot, nachdem er die Arbeit vollendet, dem Griechen, ihn zu verlassen.
Kaum war er mit Antinous allein, als das laute Geschrei und frohe Jauchzen vieler Menschen durch das geöffnete Fenster zu ihm eindrang.
»Was bedeutet das?« fragte er Mastor, und sobald er erfahren hatte, daß die Arbeiter und Sklaven soeben entlassen worden wären, um sich der Lust des Festtages hinzugeben, murmelte er vor sich hin:
»Das tobt, das jubelt, das bekränzt sich, das vergißt sich selbst im Rausche, und ich – ich – den sie alle beneiden, ich verderbe mir die kurze Zeit des Lebens mit nichtigen Geschäften, lasse mich von nagenden Sorgen zermartern – ich – ich –«
Hier unterbrach er sich selbst und rief mit völlig veränderter Stimme:
»Heda, Antinous, du bist weiser als ich! Lassen wir die Zukunft Zukunft sein. Auch für uns ist das Fest da. Machen wir uns diese Tage der Freiheit zunutze! Gut vermummt wollen wir uns, ich als alter Satyr, du als junger Faun oder dergleichen, in den Feststrudel stürzen, Becher leeren, die Stadt durchstreifen und uns dabei an allem Erfreulichen freuen!«
»Oh!« rief Antinous und klatschte froh in die Hände.
»
Zweiundzwanzigstes Kapitel
Antinous verließ zugleich mit Mastor das Gemach des Kaisers.
Auf dem Gange winkte der Jüngling den Sklaven zu sich heran und sagte leise:
»Daß du schweigen kannst, weiß ich; willst du mir einen Gefallen tun?«
»Lieber drei als einen,« entgegnete der Jazygier.
»Du bist heute frei. Gehst du in die Stadt?«
»Ich denke.«
»Du bist hier nicht bekannt, aber das tut nichts. Nimm diese Goldstücke. Für das eine kaufst du auf dem Blumenmarkte den schönsten Strauß, den du findest, mit dem anderen mache dich lustig und von dem Rest nimm eine Drachme und miete dir einen Esel. Der Treiber führt dich zum Garten der Witwe des Pudens, in dem das Haus einer Frau Hanna steht. Hast du die Namen gemerkt?«
»Frau Hanna, Witwe des Pudens.«
»In dem kleinen Hause, nicht in dem großen, gibst du die Blumen ab – für die kranke Selene.«
»Die Tochter des dicken Verwalters, die unser Molosser anfiel?« fragte Mastor neugierig.
»Sie oder eine andere,« unterbrach ihn Antinous. »Wenn man dich fragt, wer die Blumen sende, so sage du nur: »Der Freund von der Lochias!« nichts weiter. Hast du verstanden?«
Der Sklave nickte mit dem Kopfe und rief leise:
»Also auch du! O diese Weiber!«
Antinous machte eine abweisende Handbewegung, legte Mastor in raschen Worten ans Herz, seinen Mund zu halten und ja für die allerschönsten Blumen zu sorgen, und begab sich dann in die Musenhalle, um Pollux zu suchen.
Durch ihn hatte er erfahren, wo sich die leidende Selene befand, an die er immer und überall denken und wiederum denken mußte.
Antinous fand den Bildhauer nicht mehr hinter den Schranken.
Das Verlangen, mit der Mutter zu reden, hatte ihn in das Torwärterhäuschen geführt, und nun stand er vor ihr und erzählte, indem er die langen Arme lebendig regte, alles offen heraus, was er in der vergangenen Nacht erlebt hatte.
Wie ein Jubellied klang sein Bericht, und als er zu schildern begann, wie der Festzug ihn und Arsinoe mit sich fortgerissen, sprang Frau Doris von ihrem Sitze auf, klatschte in die kleinen rundlichen Hände und rief:
»Das ist eine Lust, das ist eine Freude! So flog auch ich vor dreißig Jahren mit deinem Vater dahin.«
»Nicht nur vor dreißig,« fiel ihr Pollux ins Wort. »Ich erinnere mich noch ganz gut, wie du beim großen dionysischen Feste, von der Macht des Gottes ergriffen, mit dem Rehfell auf der Schulter die Straße durchrastest.«
»Das war gut, das war schön!« rief Frau Doris mit leuchtenden Augen. »Aber vor dreißig Jahren ging es noch anders her, ganz anders. Ich hab' dir's schon einmal erzählt, wie ich damals mit unserer Magd in die kanovische Straße ging, um aus dem Hause der Muhme Archidike dem großen Festzuge zuzuschauen. Weit hatte ich nicht; denn wir wohnten beim Theater. Mein Vater war da Bühnenaufseher und der deine gehörte zu den Hauptsängern im Chore. Wir eilten uns; aber allerlei Volk hielt uns auf, und trunkene Burschen wollten ihren Spaß mit mir treiben.«
»Du bist ja auch schön wie ein Röschen gewesen,« unterbrach sie ihr Sohn.
»Wie ein Röschen, nicht wie deine prächtige Rose,« entgegnete die Alte. »So gut sah ich immerhin aus, daß die verkleideten Burschen, die Faune und Satyrn, und selbst die zynischen Heuchler im zerrissenen Mantel es für wert hielten, nach mir auszuschauen und sich Schläge auf die Finger zu holen, wenn sie's versuchten, mich mit sich fortzuziehen oder mir Küsse zu stehlen. Ich fragte nicht nach den Schönsten; denn Euphorion hatte mir's angetan mit seinen glühenden Blicken, nicht mit Worten; denn ich wurde streng gehalten, und es war ihm nie geglückt, mit mir zu reden. An der Ecke der kanopischen und der Emporiumsstraße konnten wir nicht weiter; denn da hatte die Masse sich gestaut und schaute brüllend und heulend den rasenden Klodonenweibern zu, die mit anderen Mänaden in heiliger Wut einen Bock mit den Zähnen zerrissen. Mir graute vor diesem Schauspiel, aber ich mußte doch zusehen und schrie und jauchzte wie die anderen. Meine Magd, an die ich mich ängstlich gedrängt hatte, ward mit von der Wut ergriffen und riß mich in die Mitte des Kreises, bis dicht vor das blutige Opfer. Da sprangen zwei verzückte Weiber auf uns zu, und ich fühlte, wie mich das eine umfaßte und niederzureißen versuchte. Es war ein schrecklicher Augenblick, doch ich wehrte mich tapfer und stand auch noch auf den Füßen, als dein Vater herzusprang, mich befreite und mit sich fortzog. Was weiter geschah, das könnt' ich nicht mehr erzählen. Es war wie einer jener glückseligen Träume, bei denen man das Herz mit beiden Händen zusammenpressen muß, damit es nicht vor lauter Lust auseinanderspringt oder gerade aufwärts zum Himmel fortfliegt und mitten hinein in die Sonne. Spät abends kam ich nach Hause, und in der nächsten Woche ward ich Euphorions Weib.«
»Wir haben's euch nachgemacht,« rief Pollux, »und wenn Arsinoe wird wie meine Alte, dann bin ich zufrieden.«
»Heiter und glücklich,« entgegnete Doris. »Bleibe gesund, schlage Kummer und Sorgen ein Schnippchen, tue deine Pflicht am Alltag und trink dir an Festtagen dem Gotte zu Ehren einen fröhlichen Rausch, dann geht alles zum besten. Wer leistet, was er vermag, und genießt, so viel er kann, der hat das Leben ausgenützt und braucht in der letzten Stunde keine Reue zu fühlen. Vorbei ist vorbei, und hat Atropos den Faden zerschnitten, so treten andere an unsere Stelle, und die Freude kann von neuem beginnen. Mögen die Götter sie segnen.«
»Recht so!« rief Pollux, indem er die Mutter umfaßte. »Und, nicht wahr, zu zweien geht einem das Schaffen leichter von der Hand und genießt man die Lust des Daseins besser, als wenn man allein ist.«
»Das will ich meinen, und du hast dir die rechte Gefährtin gewählt,« rief die Alte. »Du bist ein Bildhauer und einfach gewöhnt. Du brauchst keine Reiche, sondern nur eine Schöne, die dir täglich die Sinne erfreut, und die hast du gefunden.«
»Es gibt keine Schönere,« unterbrach sie Pollux.
»Nein, gewiß nicht,« fuhr Doris fort. »Erst hatte ich das Auge auf Selene gerichtet. Sie kann sich auch sehen lassen und ist ein Muster von einem Mädchen; aber dann wurde Arsinoe größer, und so oft sie hier vorbeikam, dacht' ich bei mir: Die wächst für deinen Jungen heran; und nun du sie hast, ist's mir zumute, als wär' ich noch einmal so jung wie deine Liebste geworden. Das alte Herz hier drinnen hüpft so lustig, als kitzelten es die Eroten mit den Flügeln und rosigen Fingern. Wären mir die Füße von dem ewigen Stehen am Herde und Waschfasse nicht gar so schwer geworden – wahrhaftig, ich faßte heute Euphorion unter den Arm und tobte mit ihm durch die Straße.«
»Wo ist der Vater?«
»Ausgegangen. Er singt.«
»Am Morgen? Wo denn?«
»Da ist eine Sekte, die heute ihre Mysterien feiert. Sie zahlen gut, und er muß dafür hinter einem Vorhang traurige Lieder brummen; das tollste Zeug, von dem er kein Wort begreift und von dem ich kein halbes verstehe.«
»Schade! Ich möchte ihn sprechen.«
»Er kommt spät zurück.«
»Es hat auch noch Zeit.«
»Um so besser; sonst könnte ich es ihm ja sagen.«
»Dein Rat ist so gut wie seiner. Ich will Papias den Dienst kündigen und mich auf eigene Füße stellen.«
»Recht so, der römische Baumeister hat mir gestern gesagt, eine große Zukunft stehe dir offen.«
»Es ist nur wegen der armen Schwester und der Kleinen. Wenn es mir nun in den ersten Monaten knapp geht . . .«
»So schleppen wir sie mit durch. Es wird Zeit für dich, was du säest, auch selber zu ernten.«
»So denk' ich auch; um meinet-, aber auch um Arsinoes willen; wenn nur Keraunus . . .«
»Ja, mit dem wird es noch Kämpfe geben.«
»Schwere, schwere,« seufzte Pollux. »Der Gedanke an den Alten trübt mir das Glück.«
»Torheit,« rief Doris. »Nur keine unnützen Sorgen! Sie sind beinahe so verderblich wie die das Herz zerfressende Reue. Miete dir eine eigene Werkstätte, schaffe freudigen Herzens etwas Großes, das die Welt in Staunen versetzt, und ich wette, daß der alte, gallige Hansnarr sich noch ärgert, die nichtsnutzige erste Arbeit des berühmten Pollux zerschlagen und nicht in seinem Raritätenschranke aufbewahrt zu haben. Bilde dir ein, er sei gar nicht auf der Welt, und genieße dein Glück.«
»So will ich's auch halten.«
»Nur eines noch, mein Junge.«
»Was?«
»Du nimmst Arsinoe hübsch in acht! Sie ist jung und unerfahren, und du darfst sie zu nichts bereden, was du ihr nicht raten dürftest, wenn sie die Braut deines Bruders wäre.«
Doris hatte diesem Rate kaum Worte geliehen, als Antinous das Wärterhäuschen betrat und Pollux die Aufforderung des Baumeisters Claudius Venator, ihn durch die Stadt zu führen, überbrachte.
Der Bildhauer zauderte mit der Antwort; denn er hatte noch manches im Palaste zu tun und hoffte Arsinoe im Laufe des Tages wiederzusehen. Was konnte ihm Mittag und Abend ohne sie nach solch einem Morgen bieten?
Frau Doris bemerkte sein Schwanken und rief:
»Geh doch! Die Feste sind da, um sie zu genießen. Der Baumeister kann dir vielleicht mancherlei raten und dich den Freunden empfehlen.«
»Deine Mutter hat recht,« versicherte Antinous. »Claudius Venator kann sehr empfindlich, aber auch ebenso dankbar sein. Ich wünsche dein Bestes.«
»Gut denn, ich komme,« fiel Pollux dem Bithynier ins Wort; denn er fühlte sich ohnehin von Hadrians mächtigem Wesen angezogen und hielt es unter allen Umständen für etwas Wünschenswertes, beim Feste zu schwärmen. »Ich komme; aber ich muß wenigstens dem Baumeister Pontius mitteilen, daß ich heute einige Stunden aus der Schlacht entfliehe.«
»Das überlasse Venator,« entgegnete der Günstling. »Du sollst für ihn und für mich und, wenn du magst, auch für dich selbst einen lustigen Ausputz und Masken verschaffen. Er will als Satyr, ich soll in irgendeiner anderen Verkleidung den Festzügen folgen.«
»Gut,« gab der Bildhauer zurück. »Ich gehe gleich und hole, was wir brauchen. In unserer Werkstätte liegt eine Menge von Ausputz für das Gefolge des Dionysus. In einer halben Stunde bin ich mit dem Plunder zurück.«
»Eile dich,« bat Antinous. »Mein Meister wartet nicht gern. Und dann – dann . . . noch eins . . .«
Bei dieser Warnung war Antinous verlegen geworden und ganz nahe zu dem Bildhauer herangetreten. Jetzt legte er ihm die Hand auf die Schulter und sagte leise und dringlich:
»Venator steht dem Kaiser sehr nahe. Hüte dich, vor ihm etwas anderes als Gutes über Hadrian zu reden.«
»Ist dein Meister ein Kundschafter des Cäsar?« fragte Pollux, indem er den Jüngling mißtrauisch ansah. »Pontius erteilte mir schon eine ähnliche Warnung, und wenn das der Fall ist . . .«
»Nein, nein,« unterbrach ihn Antinous hastig, »nichts weniger als das; aber beide haben voreinander kein Geheimnis, und Venator spricht viel, kann nichts verschweigen . . .«
»Ich danke dir und werde auf der Hut sein.«
»Tu das. Ich meine es redlich.«
Der Bithynier hielt dem Künstler mit dem Ausdruck warmer Empfindung auf den schönen Zügen und mit einer unaussprechlich anmutigen Bewegung die Hand hin.
Der Bildhauer schlug in sie ein, Frau Doris aber, deren alte Augen wie gebannt an Antinous gehangen hatten, faßte den Arm des Sohnes und rief, ganz bewegt von dem Anblick, den sie genossen:
»O der Schönheit! O der von den Göttern selbst gebildeten heiligen Schönheit! Pollux, Junge, man könnte meinen, der Himmlischen einer wäre auf die Erde gekommen.«
»Sieh meine Alte,« lachte der Künstler. »Aber wahrhaftig, Freund, sie hat Ursache zu schwärmen, und ich tue es mit ihr.«
»Halt ihn fest, halt ihn fest,« fiel Doris ein. »Wenn er dir erlaubt, sein Bildnis zu formen, dann kannst du der Welt etwas zeigen!«
»Willst du?« unterbrach Pollux die Mutter, indem er sich an den Günstling wandte.
»Ich habe noch keinem Künstler stillhalten mögen,« entgegnete Antinous, »aber dir tue ich gern den Gefallen. Es verdrießt mich nur, daß auch ihr in das ewige Einerlei der anderen einstimmt. Auf Wiedersehen; ich muß zu dem Meister zurück.«
Sobald der Jüngling das Häuschen verlassen, rief Doris:
»Ob ein Kunstwerk etwas taugt oder nicht, das kann ich nur ahnen; aber was schön ist, das weiß ich so gut wie jedes andere alexandrinische Weib. Wenn dieser Knabe dir Modell steht, so bringst du etwas zustande, was die Männer entzückt und den Frauen die Köpfe verdreht, und man wird dich auch in der eigenen Werkstätte aufsuchen. Ewige Götter, mir ist zumute, als hätte ich Wein getrunken! Solche Schönheit ist doch das Höchste! Warum gibt's nur kein Mittel, einen Leib und ein Antlitz wie das da vor dem Alter und den Runzeln zu bewahren?«
»Ich kenne eins, Mutter,« versetzte Pollux, indem er der Türe zuschritt. »Es heißt die Kunst; und ihr ist es gegeben, diesem sterblichen Adonis unsterbliche Jugend zu verleihen.«
Die Alte schaute dem Sohne mit freudigem Stolze nach und bestätigte seine Worte durch ein zustimmendes Kopfnicken.
Während sie die Vögel unter vielen Schmeichelworten fütterte und sich von ihren besonderen Lieblingen Brotkrumen von den Lippen picken ließ, eilte der junge Bildhauer mit langen Schritten durch die Straßen.
Manches Scheltwort, manches »Ach!« und »Oh!« scholl in dem Gedränge hinter ihm her; denn er bahnte sich mit dem alle überragenden Körper und den kräftigen Armen den Weg und sah und hörte dabei nur wenig von seiner Umgebung. Er dachte an Arsinoe und dazwischen an Antinous und in welcher Stellung, als welchen Heros oder Gott sich's wohl am meisten empfehlen würde, ihn darzustellen.
Beim Blumenmarkte in der Nähe des Gymnasiums wurde er auf einen Augenblick dem Sinnen entzogen, und zwar durch ein Bild, das seine Augen fesselte, die alles Ungewöhnliche, das ihnen entgegenkam, schnell aufzufassen verstanden.
Auf einem ganz kleinen schwärzlichen Esel saß ein großer, gut gekleideter Sklave und hielt einen Blumenstrauß von ungewöhnlicher Fülle und Schönheit in der Rechten. Neben ihm ging ein reich bekränzter, bunt aufgeputzter Herr mit einer komischen Maske vor dem Gesichte, dem zwei riesengroße Gartengötter und vier zierliche Knaben folgten.
In dem Sklaven erkannte Pollux den Diener des Baumeisters Venator, den maskierten Herrn glaubte er auch schon gesehen zu haben, doch wußte er nicht, wo, und gab sich auch keine Mühe, es herauszufinden.
Jedenfalls bekam der Eselreiter nichts Freundliches zu hören; denn er schaute sehr ängstlich auf seinen Strauß.
Nachdem Pollux an der sonderbaren Gruppe vorübergeeilt war, dachte er wieder an andere, ihm weit mehr am Herzen liegende Dinge.
Die besorgte Miene Mastors war nicht unbegründet; denn der Herr, der mit ihm redete, war kein Geringerer als der Prätor Verus, den die Alexandriner den falschen Eros nannten.
Er hatte den Leibsklaven des Kaisers hundertmal bei seinem Herrn gesehen, ihn sogleich erkannt und aus seiner Anwesenheit in Alexandria den einfachen und richtigen Schluß gezogen, daß sich auch sein Gebieter hier befinden müsse. Die Neugier des Prätors war geweckt, und er bedrängte den armen Burschen sogleich mit verwirrenden Kreuz- und Querfragen.
Als der Reiter ihn scharf und derb abwies, hielt Verus es für das Beste, sich ihm zu erkennen zu geben.
Dem großen Herrn, dem Freunde der Kaiserin gegenüber verlor der Sklave die zuversichtliche Haltung. Er verfing sich in Widersprüchen und gab doch, obgleich er nichts zugestand, dem Fragenden die Gewißheit, daß Hadrian in Alexandria weile.
Der schöne Strauß, der die Blicke des Prätors auf Mastor gezogen, konnte diesem nicht selbst gehören, das lag auf der Hand.
Welche Bestimmung mochte er haben?
Verus begann von neuem zu fragen, aber der Jazygier verriet nichts, bis Verus ihn leis erst auf die rechte, dann auf die linke Wange schlug und munter sagte:
»Mastor, gutes Mastorlein, höre auf mich. Jetzt werd' ich dir Vorschläge machen; du aber wirst nickend das eigene Haupt dem des zweimal zweifüßigen Esels, auf dem du reitest, nähern, sobald dir einer gefällt.«
»Laß mich meines Weges ziehen,« bat der Jazygier in steigender Angst.
»Zieh! Ich aber ziehe mit dir,« versetzte Verus, »bis ich etwas gefunden, was dir behagt. Viele Vorschläge wohnen in diesem Kopfe; das wirst du erfahren. Zum ersten frag' ich dich: Soll ich deinen Gebieter aufsuchen und ihm sagen, du hättest mir seine Anwesenheit in Alexandria verraten?«
»Das wirst du nicht tun, Herr!« rief der Sklave.
»Weiter denn. Soll ich mich mit meinem Gefolge an dich hängen und bei dir bleiben, bis es Nacht wird und du zu deinem Meister zurück mußt? Du machst eine abwehrende Handbewegung, und mit Recht; denn die Durchführung dieses Vorschlags würde gleich wenig ergötzlich für mich wie für dich sein und dir wahrscheinlich Strafe zuziehen. Flüstere mir also ruhig ins Ohr, wo dein Gebieter haust und von wem und an wen du diese Blumen zu bringen hast. Sobald du dich zu diesem Vorschlage bequemst, laß ich dich laufen und werde dir zeigen, daß ich in Afrika ebensowenig an meinen Goldstücken hänge wie in Italien.«
»Kein Gold – sicher, ich nehme kein Gold,« rief Mastor.
»Du bist ein braver Bursch,« entgegnete Verus in verändertem Ton, »und du weißt von mir, daß ich meine Diener gut halte und den Leuten lieber Angenehmes als Böses erweise. Befriedige also unbesorgt meine Neugier, und ich verspreche dir dagegen, daß kein Mensch und am letzten dein Herr von mir erfährt, was du mir mitteilst.«
Mastor zauderte ein wenig, weil er sich aber nicht verhehlen konnte, daß er am Ende dem Willen dieses mächtigen Mannes doch nachgeben müsse und er den übermütigen und verschwenderischen Prätor in der Tat als einen der gütigsten Herren kannte, seufzte er auf und flüsterte ihm dann zu: »Du wirst mich armen Wicht nicht verderben, das weiß ich, und so magst du's denn wissen: wir wohnen auf der Lochias.«
»Dort,« rief Verus und klatschte in die Hände. »Nun aber die Blumen?«
»Spielerei.«
»Befindet sich Hadrian in so heiterer Stimmung?«
»Bis jetzt war er sehr munter; – seit heute nacht indessen . . .«
»Nun?«
»Du weißt ja, wie er ist, wenn er schlimme Zeichen am Himmel bemerkte.«
»Schlimme Zeichen,« wiederholte Verus ernst. »Und doch versendet er Blumen?«
»Er nicht. Wie kannst du nur denken!«
»Antinous?«
Mastor nickte bejahend.
»Sehe einer,« lachte Verus. »Er fängt also an, das Bewundern dankbarer zu finden, als sich bewundern zu lassen! Welcher Schönen ist es gelungen, dies schläfrige Herz zu ermuntern?«
»Ich hab' ihm gelobt, nicht zu plaudern.«
»Und ich versprach dir dasselbe. Meine Verschwiegenheit ist noch weit größer als meine Neugier.«
»So begnüge dich, bitte, mit dem, was du weißt.«
»Halb wissen ist schwerer erträglich als gar nicht.«
»Ich kann nicht reden.«
»Soll ich mit den Vorschlägen von neuem beginnen?«
»Ach, Herr, ich bitte dich herzlich . . .«
»Heraus also mit der Sprache, und ich ziehe meines Weges. Wenn du dich jedoch zu weigern fortfährst . . .«
»Es handelt sich wahrhaftig nur um ein blasses Mädchen, das du nicht ansehen würdest.«
»Also ein Mädchen.«
»Unser Molosser hat das arme Ding zu Boden gerissen.«
»Auf der Straße?«
»Nein, auf der Lochias. Ihr Vater ist der Palastverwalter Keraunus.«
»Und sie heißt Arsinoe?« fragte Verus, der sich des für die Rolle der Roxane erwählten schönen Kindes gern erinnerte, mit aufrichtigem Bedauern.
»Nein, sie heißt Selene; Arsinoe ist wohl ihre jüngere Schwester.«
»So bringst du diesen Strauß auf die Lochias?«
»Sie war ausgegangen und konnte nicht weiter; jetzt liegt sie in einem fremden Hause danieder.«
»Wo?«
»Das kann dir ja gleich sein.«
»Nein, ganz und gar nicht. Ich bitte dich, mir die volle Wahrheit zu sagen.«
»Ewige Götter, was liegt dir an dem kranken Geschöpfe?«
»Gar nichts, aber ich muß wissen, wohin du reitest.«
»Ans Meer. Ich kenne das Haus nicht, aber der Eseltreiber da hinten . . .«
»Liegt es weit von hier?«
»Ein halbes Stündchen,« sagte der Bursche.
»So, also ein gutes Stück Weges,« entgegnete Verus. »Und Hadrian hält darauf, unerkannt zu bleiben?«
»Gewiß.«
»Du aber, sein Leibsklave, den von Rom her außer mir noch mancher andere hier Anwesende kennt, hast die Absicht, mit einem großen Strauße in der Hand, der alle Blicke auf dich zieht, die Hälfte einer ganzen Stunde durch die Straßen zu reiten, in denen sich heute alles, was Beine hat, tummelt?! O Mastor, Mastor, das ist nicht weise.«
Der Sklave erschrak, und weil er einsah, daß Verus nicht unrecht hatte, fragte er ängstlich:
»Aber was soll ich denn tun?«
»Von diesem Esel steigen, entgegnete der Prätor, »dich vermummen und dich mit diesen Goldstücken hier nach Herzenslust ergötzen.«
»Und der Strauß?«
»Den laß ich besorgen.«
»Du tust es sicher und wirst Antinous nicht verraten, wozu du mich zwingst?«
»Gewiß nicht.«
»Da hast du die Blumen, das Gold aber kann ich nicht nehmen.«
»Dann werf' ich's unter die Menge. Kauf dir einen Kranz, eine Maske und Wein dafür, so viel du verträgst. Wo findet man das Mädchen?«
»Bei Frau Hanna. Sie wohnt in einem kleinen Hause im Garten der Witwe des Pudens. Wer den Strauß übergibt, der muß sagen, sein Absender wäre der Freund von der Lochias.«
»Gut. Geh jetzt und trage Sorge, daß niemand dich erkennt. Dein Geheimnis ist meines, und der Freund von der Lochias soll nicht unerwähnt bleiben.«
Mastor verschwand in der Menge; Verus gab einem der Gartengötter, die ihm folgten, den Strauß in die Hand, schwang sich lachend auf den Esel und befahl dem Treiber, ihm den Weg zu weisen.
An der Ecke der nächsten Straße begegnete er zwei Sänften, deren Träger sich mühsam den Weg durch das Gedränge bahnten.
In der ersten saß Keraunus, dessen krokusfarbiger Mantel in der Ferne leuchtete, dick wie Silen, der Begleiter des Dionysus, aber mit mürrischem Antlitz. Aus der zweiten schaute Arsinoe froh umher, so frisch und schön, daß ihr Anblick das leicht erregbare Blut des Römers schneller bewegte.
Ohne sich zu besinnen, nahm er dem Gartengotte den für Selene bestimmten Strauß aus der Hand, legte ihn in die Sänfte des Mädchens und sagte:
»Alexander grüßt die allerschönste Roxane.«
Arsinoe errötete, Verus aber befahl, nachdem er ihr eine Zeitlang nachgeschaut hatte, einem seiner Knaben, ihrer Sänfte zu folgen und ihm auf dem Blumenmarkte, woselbst er ihn erwarten werde, mitzuteilen, wohin sie sich begeben. Der Bote eilte von dannen, er aber wandte den Esel und erreichte bald die halbrunde Säulenhalle an der Schattenseite eines großen Platzes, unter der die vornehmsten Gärtner und Blumenhändler der Stadt ihre farbenreiche, duftende Ware von hübschen Mädchen feilbieten ließen.
Heute war jede Verkaufsstelle besonders reich ausgestattet gewesen, aber der Bedarf an Kränzen und Blüten war von früh an stetig gewachsen, und obgleich Verus zusammenbinden ließ, was er von frischen Blüten fand, so geriet doch der Strauß, den man für ihn herstellte, zwar größer, aber nicht halb so schön wie die für Selene bestimmte Gabe, die er fortgeschenkt hatte.
Das verdroß den Römer.
Sein Gerechtigkeitssinn gebot ihm, den Schaden, den er dem kranken Mädchen zuzufügen im Begriff stand, gutzumachen. Um die Stiele der zum Strauß vereinigten Blumen waren bunte Bänder gebunden, deren Enden lang herniederwallten, und Verus nahm nun eine Spange von seinem Gewande und steckte sie in die Schleife, die die Handhabe des Straußes zierlich schmückte.
Jetzt erst war er zufrieden, und als er auf den von einem goldenen Reifen umgebenen Onyx schaute, in den ein seine Pfeile schleifender Eros geschnitten war, stellte er sich mit Vergnügen die Freude vor, die die Geliebte des schönen Bithyniers über das hübsche Geschenk empfinden würde.
Seine als Gartengötter aufgeputzten britannischen Sklaven erhielten den Auftrag, sich von dem Eseltreiber zu Frau Hanna führen zu lassen, Selene den Strauß des Freundes von der Lochias zu übergeben und ihn dann vor dem Hause des Präfekten Titianus zu erwarten; denn dorthin waren, wie er von seinem kleinen, schnellfüßigen Boten erfahren hatte, Keraunus und seine schöne Tochter getragen worden.
Verus bedurfte längerer Zeit als der Knabe, um sich den Weg durch das Gedränge zu bahnen.
Vor der Präfektur legte er die Maske ab.
In einem Vorzimmer, woselbst der Verwalter die Tochter auf einem Polster erwartete, ordnete er das Haar und die Falten der Toga und ließ sich dann zu Frau Julia führen, bei der er die reizende Arsinoe wiederzusehen hoffte.
Aber in dem Empfangsgemach der Präfektin fand er statt ihrer die eigene Gattin und die Dichterin Balbilla mit ihrer Gefährtin.
Heiter, freundlich, anmutig wie immer begrüßte er die Frauen. Als er sich dann suchend und ohne seine Enttäuschung zu verbergen, in dem weiten Raume umschaute, trat Balbilla auf ihn zu und fragte leise:
»Kannst du auch ehrlich sein, Verus?«
»Wenn es die Umstände erlauben.«
»Und würden sie es dir hier gestatten?«
»Ich sollte es glauben.«
»So antworte mir redlich: kamst du wegen Frau Julia hierher, oder bist du gekommen . . .«
»Nun?«
»Oder hast du erwartet, die schöne Roxane bei der Gemahlin des Präfekten zu finden?«
»Roxane?« fragte Verus und sah die Dichterin verwundert an, während sein Mund schalkhaft lächelte. »Roxane? Das war ja wohl die Gattin Alexanders des Großen? Sie muß längst verstorben sein; ich aber halte es mit den Lebenden, und wenn ich das lustige Treiben auf der Straße verließ, so ist es einzig und allein geschehen . . .«
»Du spannst meine Neugier.«
»So ist es geschehen, weil mein ahnendes Herz mir verhieß, dich, meine schönste Balbilla, hier zu finden.«
»Und das nennst du redlich!« rief die Dichterin und schlug den Prätor mit dem Wedel von Straußenfedern auf die Hand. »Höre nur, Lucilla, dein Mann behauptet, er sei um meinetwillen hierher gekommen.«
Der Prätor schaute die Dichterin vorwurfsvoll an; sie aber flüsterte ihm zu:
»So werden unehrliche Männer bestraft.«
Dann fuhr sie mit erhobener Stimme fort:
»Weißt du, Lucilla, wenn ich unverheiratet bleibe, ist dein Mann nicht unschuldig daran.«
»Ja, leider ward ich zu spät für dich geboren,« unterbrach sie Verus, der wohl wußte, was die Dichterin ihm vorzuwerfen gedachte.
»Kein Mißverständnis!« rief Balbilla. »Wie kann man sich in die Ehe wagen, wenn man fürchten muß, einen Verus zum Gemahl zu bekommen!«
»Und welcher Mann,« entgegnete der Prätor, »wird kühn genug sein, um Balbilla zu freien, wenn er hört, wie streng sie einen harmlosen Verehrer der Schönheit verurteilt?«
»Ein Gatte soll nicht die Schönheit, sondern nur die eine Schöne verehren, die sein Weib ist.«
»Vestalin,« lachte Verus. »Ich strafe dich, indem ich dir ein großes Geheimnis, das uns alle angeht, vorenthalte. Nein, nein, ich plaudere nicht; aber ich bitte dich, Frau, nimm sie in die Schule und lehre sie Nachsicht üben, damit ihr künftiger Gatte es nicht zu schwer mit ihr hat.«
»Nachsichtig sein,« entgegnete Lucilla, »lernt keine Frau, aber wir üben Nachsicht, wenn uns nichts anderes übrigbleibt und der Sünder uns nötigt, auch dies und das an ihm anzuerkennen.«
Verus verneigte sich vor der Gemahlin, drückte ihr die Lippen auf den Arm und fragte dann:
»Wo ist Frau Julia?«
»Sie rettet das Schaf vor dem Wolfe,« entgegnete Balbilla.
»Das heißt?«
»Sobald du gemeldet wurdest, führte sie die kleine Roxane in ein Versteck.«
»Nein, nein,« fiel Lucilla der Dichterin ins Wort. »In den inneren Gemächern warten die Schneider, die das Kostüm für das reizende Kind herstellen sollen. Sieh nur den herrlichen Strauß, den das Mädchen Frau Julia brachte. Versagst du auch mir das Recht, dein Geheimnis zu teilen?«
»Wie könnt' ich?« entgegnete Verus.
»Er bedarf deiner Anerkennung sehr nötig,« lachte Balbilla, während der Prätor sich der Gattin näherte und ihr leise erzählte, was er von Mastor erfahren.
Als Lucilla verwundert in die Hände schlug, rief Verus der Dichterin zu:
»Du siehst nun, um welches Vergnügen dich deine böse Zunge brachte.«
»Wie kann man so rachsüchtig sein, allervortrefflichster Verus!« schmeichelte die Dichterin; »ich sterbe vor Neugier.«
»Bleibe nur noch einige Tage am Leben, schöne Balbilla,« entgegnete der Römer, »und die Ursache deines frühen Endes ist beseitigt.«
»Warte, ich werde mich rächen,« rief das Mädchen und drohte dem Prätor mit dem Finger; Lucilla aber führte sie mit sich fort und sagte: »Komm jetzt. Es wird Zeit, daß wir Julia mit unserem Rate beistehen!«
»Tut das,« rief Verus. »Ich muß ohnehin fürchten, heute hier niemand gelegen zu kommen. Grüßt Frau Julia.«
Während er sich entfernte, warf er einen Blick auf den Strauß, den Arsinoe so bald, nachdem sie ihn von ihm empfangen, verschenkt hatte, und seufzte:
»Man wird älter und muß sich bescheiden lernen.«
Dreiundzwanzigstes Kapitel
Frau Hanna hatte bis zum Aufgang der Sonne bei Selene gewacht und ihr den kranken Fuß sowie die Kopfwunde ununterbrochen gekühlt.
Der alte Arzt zeigte sich nicht unzufrieden mit dem Befinden der Patientin, befahl aber der Witwe, sich ein wenig niederzulegen und ihrer jungen Freundin die Pflege auf einige Stunden zu überlassen.
Als Maria mit der Kranken allein war und ihr den ersten Umschlag gemacht hatte, wandte ihr Selene das Antlitz zu und sagte: »Du warst also gestern auf der Lochias. Erzähle mir, wie du dort alles fandest. Wer führte dich in unsere Wohnung, und hast du auch meine kleinen Geschwister gesehen?«
»Du bist noch immer nicht ganz fieberfrei, und ich weiß nicht, ob ich viel mit dir reden darf; aber ich tät' es so gern!«
Diese Versicherung klang sehr freundlich, und die Augen des mißgestalteten Mädchens gewannen einen innigen, lieblichen Glanz, während sie sprach.
Selene flößte ihr nicht nur Teilnahme und Mitleid, sondern auch Bewunderung ein; denn sie war so schön, so ganz, ganz anders als sie selbst, und bei jeder Handreichung, die sie ihr leistete, war es ihr zumute wie einem verachteten Armen, dem ein Fürst bewilligte, ihn zu pflegen.
Ihr Rücken war ihr noch nie so krumm, ihr braunes Gesicht ihr zu keiner anderen Zeit und nirgends so häßlich vorgekommen wie heute neben dieser so ebenmäßig, in so zarter, lieblicher Rundung gebildeten Mädchengestalt.
Aber Maria empfand auch nicht die leiseste Regung des Neides. Sie fühlte sich nur glücklich, Selene helfen, ihr dienen, sie anschauen zu dürfen, obgleich sie eine Heidin war. In der Nacht hatte sie auch innig gebetet, der Herr möge sich dieses schönen, guten Geschöpfes annehmen, die Kranke genesen lassen und ihre Seele mit jener Liebe zu dem Heiland erfüllen, die sie selbst beglückte.
Mehr als einmal hatte es sie gedrängt, sie zu küssen, aber sie wagte es nicht; denn es war ihr, als wäre die Kranke aus einem feineren Stoffe gebildet als sie.
Selene fühlte sich matt, sehr matt, und wenn der Schmerz nachließ, empfand sie in ihrer stillen, liebreichen Umgebung ein wohliges Gefühl des Friedens und des Ausruhens, das ihr neu und sehr angenehm war, obgleich es fortwährend von der Sorge um die Ihren unterbrochen wurde. Die Nähe Frau Hannas tat ihr wohl; denn nun glaubte sie auch in ihrer Stimme etwas zu finden, das ihrer Mutter eigen gewesen war, wenn sie mit ihr gespielt und sie besonders zärtlich ans Herz gezogen hatte.
An dem Klebetisch in der Papyrusfabrik war der Anblick der Verwachsenen Selene zuwider gewesen; hier bemerkte sie, wie gute Augen und eine wie freundliche Stimme sie habe, und die Sorgfalt, mit der Maria so leise, als empfänden ihre Hände die Schmerzen mit, die sie selber duldete, ihr den Umschlag vom Fuße genommen und wieder auf den kranken Knöchel gelegt hatte, erweckte ihre Dankbarkeit.
Ihre Schwester Arsinoe war ein eitles alexandrinisches Kind und hatte der Armen nach dem häßlichsten unter den vor Ilion lagernden Hellenen den Spitznamen »Jungfrau Thersites« gegeben und Selene ihr manchmal nachgesprochen.
Jetzt dachte sie nicht mehr an dies garstige Wort und begegnete dem Bedenken der Pflegerin, indem sie sagte:
»Das Fieber kann nicht stark sein. Wenn du mir etwas erzählst, brauch' ich nicht immer an diese heillosen Schmerzen zu denken. Ich sehne mich nach Hause. Hast du die Kinder nicht gesehen?«
»Nein, Selene, ich bin nicht weiter als vor eure Wohnung gekommen. Die freundliche Torhüterin hatte mir gleich gesagt, ich würde weder deinen Vater noch deine Schwester finden und eure Sklavin wäre ausgegangen, um Kuchen für die Kleinen zu kaufen.«
»Kaufen?« fragte Selene erstaunt.
»Die Alte sagte auch, der Weg zu euch führe durch viele Räume, in denen Sklaven arbeiteten, und ihr Sohn, der gerade bei ihr war, sollte mich begleiten. Er tat es auch, aber eure Tür war verschlossen und da sagte er, ich möge seiner Mutter anvertrauen, was es zu bestellen gebe. Das tat ich, denn sie sah aus, als sei sie klug und freundlich gesinnt.«
»Das ist sie.«
»Und sie hat dich sehr lieb; denn als ich ihr von deinem Leiden erzählte, flossen ihr helle Tränen über die Wangen, und sie lobte dich so innig und war so betrübt, als wärest du ihre eigene Tochter.«
»Du hast doch nicht von unserer Arbeit in der Fabrik geredet?« fragte Selene ängstlich.
»Gewiß nicht, du hattest mich ja gebeten, zu schweigen. Ich soll dir im Namen der alten Frau viel Freundliches sagen.«
Mehrere Minuten schwiegen beide Mädchen, dann fragte Selene:
»Hat auch der Sohn des Torhüters, der dich begleitete, gehört, wie übel es mir erging?«
»Ja. Auf dem Weg in eure Wohnung war er voll von Scherzen; als ich aber erzählte, daß du mit dem verletzten Fuße ausgegangen wärest und nun nicht heimkehren dürftest und der Arzt besorgt sei, da wurde er zornig und führte gotteslästerliche Reden.«
»Erinnerst du dich noch, was er sagte?«
»Nicht recht; nur eins weiß ich doch noch. Er klagte seine Götter an, daß sie schöne Werke schüfen, um sie zu beschädigen, ja er schalt auf sie . . .«
Maria schlug bei dieser Mitteilung die Augen nieder, als ob sie etwas Unziemliches erzähle; Selene aber errötete leise vor Vergnügen und sagte eifrig und als wollte sie die Lästerung des Bildhauers überbieten:
»Er hat ganz recht! – Die da oben treiben's danach . . .«
»Das ist nicht gut!« rief die Verwachsene vorwurfsvoll.
»Was?« fragte die Leidende. »Ihr lebt hier still für euch in lauter Frieden und Liebe. Manches Wort, das Frau Hanna bei unserer Arbeit sagte, hab' ich behalten, und nun seh' ich, daß sie auch nach ihren freundlichen Reden handelt. Für euch können die Götter wohl gut sein.«
»Gott ist es für jeden.«
»Auch für die,« rief Selene mit flammenden Augen, »denen sie jedes Glück zerstören? Auch für das Haus mit acht Kindern, dem sie die Mutter raubten? Auch für die Armen, denen sie täglich drohen, ihnen den Ernährer zu nehmen?«
»Auch für sie gibt es einen gütigen Gott,« unterbrach Frau Hanna, die in das Zimmer getreten war, die Kranke. »Ich zeige dir einmal den freundlichen Vater im Himmel, der für uns alle sorgt, als wären wir seine Kinder; aber nicht jetzt. – Du sollst ruhen und nichts reden und hören, was dein fieberndes Blut erregen könnte. Jetzt leg' ich dir das Polster unter dem Haupte neu zurecht, Maria macht dir einen frischen, kühlen Umschlag und dann versuchst du zu schlafen.«
»Ich kann nicht,« entgegnete Selene, während Hanna ihr die Kopfkissen lockerte und behutsam umwandte. »Erzähle mir von deinem freundlichen Gotte.«
»Später, liebes Mädchen. Suche ihn nur, und er wird dich finden; denn von all seinen Kindern hat er die, die schweres Leid ertragen, am liebsten.«
»Die Leiden ertragen?« fragte Selene erstaunt. »Was hat ein Gott bei seinen olympischen Freuden mit denen zu tun, die Schmerzen erdulden?«
»Still, still, Kind,« fiel Hanna der Kranken mit einer beruhigenden Handbewegung ins Wort, »du wirst bald erfahren, wie Gott für dich sorgt und wie lieb auch ein anderer dich hat.«
»Ein anderer?« murmelte Selene vor sich hin, und die Wangen färbten sich röter.
Sie dachte an Pollux und fragte sich, ob ihn die Nachricht von ihren Leiden so sehr erregt hätte, wenn er ihr nicht gut sei.
Für das Gespräch, das sie vernommen, als sie an seinen Schranken vorbeikam, begann sie nach beschönigenden Gründen zu suchen.
Er hatte ihr nie deutlich gesagt, daß er sie liebe. Warum sollte er, der Künstler, der frische, übermütige Gesell, nicht mit einem schönen Mädchen scherzen dürfen, auch wenn sein Herz einer anderen gehörte?
Nein, gleichgültig war sie ihm nicht; das hatte sie in jener Nacht, als sie ihm Modell stand, empfunden, das lehrte sie Marias Erzählung, das meinte sie zu ahnen, zu empfinden, zu wissen.
Je länger sie an ihn dachte, desto mehr begann sie sich nach ihm, den sie schon als Kind so gern gehabt hatte, zu sehnen.
Ihr Herz hatte noch nie für einen anderen Mann geschlagen; seitdem ihr aber Pollux in der Musenhalle wieder begegnet war, erfüllte sein Bild ihr die ganze Seele, und das, was sie nun empfand, mußte Liebe, konnte nichts anderes sein.
Halb wachend, halb träumend stellte sie sich vor, daß er in dies stille Gemach trete, sich an das Hauptende ihres Lagers setze und mit den guten Augen in die ihren schaue. Ach, und nun konnte sie nicht anders! Sie mußte sich aufrichten und ihm die Hände entgegenstrecken.
»Ruhig, Kind, ruhig,« warnte Hanna, »es tut dir nicht gut, dich so viel zu bewegen.«
Da öffnete Selene die Augen, um sie gleich wieder zu schließen, und träumte lange Zeit weiter, bis sie von lauten Stimmen im Garten aus der Ruhe geschreckt wurde.
Frau Hanna verließ das Gemach, ihre Stimme mischte sich in die der anderen Leute vor dem Hause, und als sie zu der Leidenden zurückkehrte, waren ihre Wangen gerötet, und sie fand nicht sogleich passende Worte, um der Kranken mitzuteilen, was sie ihr doch wohl erzählen durfte.
»Ein sehr großer Mensch im übermütigsten Anzuge,« sagte sie endlich, »verlangte Einlaß zu uns, und als der Torhüter ihn abwies, erzwang er sich ihn. Er fragte nach dir.«
»Nach mir?« fragte Selene errötend.
»Ja, mein Kind. Er brachte einen großen, selten schönen Blumenstrauß und sagte dazu, der Freund von der Lochias lasse dich grüßen.«
»Der Freund von der Lochias?« murmelte Selene nachdenklich vor sich hin. Dann leuchteten ihr die Augen freudig auf, und sie fragte schnell: »Du sagtest, der Mann, der den Strauß brachte, sei sehr groß gewesen?«
»Das war er.«
»O, bitte, Frau Hanna,« rief Selene und versuchte sich aufzurichten, »laß mich die Blumen sehen!«
»Hast du einen Bräutigam, Kind?« fragte die Witwe.
»Einen Bräutigam? Nein! Aber da ist ein junger Mann, mit dem wir immer spielen durften, als wir noch klein waren, ein Künstler, ein guter Mensch, und von dem wird der Strauß sein.«
Hanna sah die Leidende teilnehmend an, winkte Maria und sagte:
»Der Strauß ist sehr groß. Du magst ihn dir ansehen, hierbleiben darf er aber nicht; der Duft von so vielen Blumen könnte dir schaden.«
Maria stand von dem Sessel neben dem Haupte der Kranken auf und flüsterte ihr fragend zu:
»Der große Torhütersohn?«
Selene nickte lächelnd mit dem Kopfe, und als die Frauen sich entfernten, änderte sie die nach der Seite gewandte Lage, streckte sich gerade auf den Rücken aus, preßte die linke Hand aufs Herz und schaute tief atmend in die Höhe. Dabei sang und klang es ihr vor den Ohren, und ihre umschleierten Augen erblickten bunt flimmernde Lichtkörper von schönem Glanz. Es wurde ihr schwer zu atmen, und doch war es ihr, als sei die Luft, die sie einzog, von Blumendüften durchweht.
Hanna und Maria brachten den gewaltig großen Strauß.
Die Augen Selenens leuchteten heller, und voller Bewunderung schlug sie die Hände zusammen. Dann ließ sie sich das herrliche, farbenbunte, duftende Geschenk bald von dieser, bald von jener Seite zeigen, drückte das Antlitz in die Blüten und küßte dabei heimlich den zarten Rand einer schönen, halberschlossenen Rosenknospe. Sie fühlte sich wie berauscht, und in langsamer Folge floß ihr eine helle Träne nach der anderen über die Wangen.
Maria war die erste, die die in das Band an den Stielen des Straußes gesteckte Nadel bemerkte. Sie löste sie los und zeigte sie Selene, die sie ihr schnell aus der Hand nahm. Über und über errötend heftete sie die Augen auf das in den Stein geschnittene Bild des seine Pfeile schleifenden Eros. Sie empfand keinen Schmerz mehr, sie fühlte sich ganz gesund und dabei so froh, so stolz, so überglücklich.
Frau Hanna sah mit Besorgnis ihre große Erregung, winkte Maria und sagte:
»Nun ist's genug, meine Tochter; wir stellen den Strauß vor das Fenster, damit du ihn sehen kannst.«
»Schon?« fragte Selene voller Bedauern und brach dabei einige Veilchen und Rosen aus dem übervollen Gewinde.
Als sie wieder allein war, legte sie die Blumen hin und betrachtete dann liebevoll die Figuren auf der schönen Spange.
Die hatte gewiß Teuker, der Bruder ihres Pollux, der Steinschneider, gefertigt.
Wie fein war der Bildstich, wie sinnig gewählt der Gegenstand, den er zur Darstellung brachte! Nur die schwere goldene Einfassung beunruhigte sie, die seit manchem Jahr mit dem Gelde haushalten und immer haushalten mußte.
Sie sagte sich, daß es von dem armen Jungen, der auch die Schwester zu erhalten hatte, doch unrecht sei, sich für sie in so große Unkosten zu stürzen. Aber sein Geschenk machte sie darum nicht weniger froh; es wäre ihr ja auch von ihrem eigenen kleinen Besitz für ihn nichts zu kostbar erschienen. Später wollte sie ihn schon Sparsamkeit lehren.
Die Frauen kamen zu ihr zurück, nachdem sie mit vieler Mühe den Strauß vor dem Fenster aufgestellt hatten, und erneuerten die Umschläge, ohne mit ihr zu reden. Sie mochte auch gar nicht sprechen; denn sie hörte so gern den schönen Verheißungen zu, die das Herz ihr machte, und ihre Augen trafen, wohin sie auch schauten, auf etwas Liebes. Die Blumen auf ihrem Bett, der Strauß vor dem Fenster, die Spange in ihrer Hand, Frau Hannas gütiges Gesicht, selbst Marias unschöne Züge sah sie gern; denn die Verwachsene kam ihr vor wie eine Freundin, eine Vertraute. Pollux war ja Maria nicht fremd, und sie konnte mit ihr von ihm reden.
Selene erkannte sich selbst nicht wieder. Es war Winter in ihr gewesen, jetzt war es Frühling; es war Nacht in ihr gewesen, nun war es Tag; ihr Herz war wie verdorrt gewesen, nun glich es einem Garten, der sich anschickt, in der vollen Pracht des Frühlings zu grünen und Blüten zu treiben. Früher war es ihr schwer gefallen, die ausgelassene Heiterkeit Arsinoes oder der Kinder zu verstehen; ja, sie hatte sich über sie geärgert und sie zurechtgewiesen, wenn ihr fröhliches Lachen gar kein Ende nehmen wollte; heute hätte sie sich gern mit gleicher Hingabe gefreut.
Da lag das arme, schöne Geschöpf und blickte so glückselig nach dem Strauße vor dem Fenster und ahnte nicht, daß ein anderer als der, den sie liebte, ihn ihr übersandt haben könnte, ein anderer, nach dem sie noch weniger fragte als nach den Christen, die im Garten der Witwe des Pudens vor ihrem Fenster auf und nieder wandelten. Da ruhte sie, erfüllt von Wonne und einer Liebe gewiß, die ihr niemals gegolten, sicher das Herz eines Mannes zu besitzen, der nicht an sie dachte und noch vor wenigen Stunden mit ihrer Schwester, berauscht von Glück und Freude, dahingerast war.
Arme Selene!
Diesmal träumte sie einen Traum von ungetrübter Seligkeit; doch den Minuten folgten Minuten, und eine jede brachte sie dem Erwachen näher, und welchem Erwachen!
Ihr Vater war nicht, wie er gewollt hatte, vor dem Gang in die Präfektur mit Arsinoe bei ihr gewesen.
Der Wunsch, sein Kind in einem seiner Herkunft würdigen Gewande zu Frau Julia zu führen, hatte ihn lange aufgehalten, und es war ihm doch nicht gelungen, seinen Zweck zu erreichen.
Alle Webereien und Magazine waren geschlossen: denn die Arbeiter, Sklaven und Kaufleute nahmen teil an dem Feste, und als die vom Präfekten bestimmte Stunde nahte, saß seine Tochter noch immer in dem einfachen weißen Kleide und in dem schlichten, mit blauem Bande besetzten Peplos, der bei Tage noch weit unscheinbarer aussah als am Abend, in der Sänfte.
Der Strauß, den Arsinoe von Verus empfangen hatte, bereitete ihr Vergnügen; denn Mädchen freuen sich immer über schöne Blumen; es haben ja beide auch etwas Verwandtes.
Als Vater und Tochter vor der Präfektur anlangten, wurde Arsinoe ängstlich, und Keraunus verstand es nicht, den Verdruß zu verbergen, sie in so einfacher Kleidung zu Frau Julia führen zu müssen. Seine finstere Stimmung hellte sich keineswegs auf, als man ihn im Vorzimmer warten ließ, während Frau Julia mit der Gattin des Verus und Balbilla für seine Tochter wundervoll gefärbte, kostbare Stoffe von der feinsten Wolle, von Seide und zartem Bombyxgewebe aussuchte. Diese Art von Arbeit hat die Eigentümlichkeit an sich, daß sie desto längere Zeit in Anspruch nimmt, je mehr Mithelferinnen sich an ihr beteiligen, und so mußte es sich der Verwalter gefallen lassen, wohl zwei Stunden in dem mehr und mehr mit Klienten und Besuchern sich füllenden Vorgemach des Präfekten zu warten. – Endlich kam Arsinoe zurück, ganz glühend, ganz voll von den glänzenden Dingen, die für sie vorbereitet wurden.
Ihr Vater erhob sich langsam von dem Polster, und während sie auf ihn zueilte, öffnete sich die Tür, und der reiche Besitzer der Papyrusfabriken, Plutarch, wurde wieder bekränzt, wieder mit kostbaren Blumen geschmückt, die aus den Brustfalten seines Palliums hervorleuchteten, von den beiden lebendigen Stützen in das Zimmer geschoben.
Jedermann erhob sich bei seinem Nahen, und als Keraunus sah, daß sich der erste Sachwalter der Stadt, ein Mann aus altem Geschlecht, vor ihm verneigte, tat er es gleichfalls.
Die Augen Plutarchs waren weit stärker als die Beine, und da, wo es schöne Frauen zu sehen gab, erwiesen sie sich immer am stärksten.
Schon auf der Schwelle bemerkte er Arsinoe und winkte ihr mit beiden Händen zu, als wäre sie eine liebe alte Bekannte.
Das reizende Kind hatte es ihm angetan. In jüngeren Jahren hätte er alles aufgeboten, um ihre Gunst zu erringen; jetzt genügte es ihm, sie die seine angenehm fühlen zu lassen.
Nach seiner Gewohnheit ließ er sich ganz dicht an sie heranführen, berührte ihren Oberarm mehrmals mit der Hand und sagte heiter:
»Nun, holde Roxane, hat es Frau Julia recht gemacht mit den Kleidern?«
»Oh, sie wählten so schöne, so wunderschöne Stoffe!« entgegnete das Mädchen.
»Haben sie?« fragte Plutarch wieder, um durch ein Wort zu verbergen, daß er etwas bei sich erwäge. »Haben sie? Wie sollten sie nicht?«
Das ausgewaschene Gewand Arsinoes war dem Alten ins Auge gefallen, und weil der Kunsthändler Gabinius heute morgen zu ihm gekommen war, um ihn auszuforschen, ob Arsinoe nicht doch zu seinen Arbeiterinnen gehöre, und ihm zu wiederholen, daß ihr Vater ein armer, hochnäsiger Schlucker sei, dessen Raritätenkram, von dem er einiges höhnisch hervorhob, nichts wert sei, so fragte er sich schnell, in welcher Weise er seinen hübschen Liebling vor den neidischen Zungen der Nebenbuhlerinnen bewahren könnte; denn es war ihm schon manche gehässige Äußerung zu Ohren gekommen.
»Was die würdige Julia in die Hand nimmt, das muß ja trefflich geraten,« begann er laut und fuhr dann flüsternd fort: »Übermorgen, wenn die Goldschmiede die Werkstätten wieder öffnen, will ich sehen, was ich für dich finde. – Ich falle zusammen. Richtet mich höher auf, Antäus und Atlas! So. – Ja, mein Kind, hier oben sieht er noch besser aus als da unten. Ist der starke Herr, der da hinter dir steht, dein Vater?«
»Ja.«
»Hast du keine Mutter mehr?«
»Sie ist gestorben.«
»Oh,« entgegnete Plutarch im Tone des Bedauerns. Dann wandte er sich an den Verwalter und sagte: »Nimm meinen Glückwunsch zu solcher Tochter, Keraunus. Ich höre, du mußt auch die Mutter bei ihr vertreten.«
»Leider, Herr! Mein armes Weib sah ihr ähnlich. Seit ihrem Tode führ' ich ein freudloses Leben.«
»Aber ich höre, daß du dich mit dem Sammeln von schönen Seltenheiten ergötzest. Wir teilen diese Neigung. Würdest du dich von dem Becher meines Namensvetters Plutarch trennen? Es soll ein gutes Stück sein, sagt der Kunsthändler Gabinius.«
»Das ist es,« entgegnete der Verwalter mit Stolz. »Ein Geschenk des Kaisers Trajan an den Philosophen. Schön geschnitztes Elfenbein. Ich trenne mich schwer von dieser Perle; aber –« und bei dieser Versicherung senkte er die Stimme – »aber ich bin dir verpflichtet, du nimmst dich meiner Tochter an, und um dir ein Gegengeschenk anzubieten, ver–«
»Davon kann keine Rede sein,« unterbrach ihn Plutarch, der die Menschen kannte und den die geschwollene Art des Verwalters lehrte, daß der Kunsthändler ihn nicht mit Unrecht für einen hochmütigen Mann erklärt hatte. »Du erweisest mir eine Ehre, indem du mir gestattest, das Meine für den Putz unserer Roxane beizutragen. Ich bitte dich, mir den Becher zu senden. Jeden Preis, den du stellst, billige ich natürlich von vornherein.«
Keraunus kämpfte einen Augenblick mit sich selbst.
Hätte er nicht so dringend Geld gebraucht, wäre der Wunsch, einen neuen, ansehnlichen Sklaven hinter sich herschreiten zu sehen, nicht gar so lebendig in ihm gewesen, hätte er darauf bestanden, Plutarch seinen Becher zu schenken; so aber räusperte er sich, schaute zu Boden und sagte verlegen und ohne jede Spur der früheren Sicherheit: »Ich bleibe dein Schuldner, aber du wünschest, wie es scheint, daß wir dies Geschäft nicht mit anderen Dingen vermengen. Wohl denn! Ich bekam für ein Schwert des Antonius, das ich besaß, zweitausend Drachmen . . .«
»Dann hat,« fiel ihm der alte Herr ins Wort, »der Becher Plutarchs, das Geschenk des Trajan, den doppelten Wert, zumal für mich, der ich mit dem großen Manne verwandt war. Darf ich dir viertausend Drachmen für deinen Schatz bieten?«
»Ich wünsche dir gefällig zu sein, und so sage ich ja,« entgegnete der Verwalter würdevoll und drückte Arsinoe, die dicht neben ihm stand, den kleinen Finger. Ihre Hand hatte schon lange die seine berührt, um ihn zu ermahnen, doch bei seiner ersten Absicht zu verbleiben und Plutarch den Becher zu schenken.
Als das ungleiche Paar das Vorgemach verließ, schaute Plutarch ihm schmunzelnd nach und dachte bei sich:
So war's recht. Wie wenig hab' ich im ganzen von meinem Reichtum, wie oft möcht' ich, wenn ich einen rüstigen Lastträger sehe, mit ihm tauschen; aber heute war es doch gut, daß ich habe, so viel ich nur mag. Das reizende Kind! Für die Leute braucht es notwendigerweise ein neues Kleid, seiner Schönheit aber tat das verwaschene Fähnchen wahrlich keinerlei Eintrag, sie gehört ja zu mir; denn ich habe sie in der Fabrik unter den Kleberinnen gesehen – das weiß ich.
Keraunus war mit der Tochter ins Freie gelangt.
Vor der Präfektur konnte er nicht umhin, laut vor sich hin zu kichern, seinem Kinde die Schulter zu streicheln und ihm zuzuraunen:
»Ich sagte dir's ja, Mädchen. Wir werden noch reich, wir kommen wieder empor und brauchen in nichts hinter den anderen Bürgern zurückzustehen.«
»Ja, Vater, aber gerade weil du das glaubst, hättest du doch eigentlich dem alten Herrn den Becher schenken können.«
»Nein,« entgegnete Keraunus. »Geschäft ist Geschäft; aber später zahle ich alles, was er für dich tut, zehnfältig heim – durch mein Bild des Apelles. Frau Julia erhält den mit den beiden geschnittenen Steinen besetzten Schuhriemen, der von einer Sandale Kleopatras stammt.«
Da schlug Arsinoe die Augen nieder; denn sie wußte, wie viel diese Schätze wert waren, und sagte:
»Das können wir ja später bedenken.«
Dann stiegen sie und der Vater in die auf sie wartenden Sänften, ohne die Keraunus schon nicht mehr bestehen zu können meinte, und ließen sich zu dem Garten der Witwe des Pudens tragen.
Die glückselige Träumerei Selenes wurde durch diesen Besuch unterbrochen.
Keraunus benahm sich gegen Frau Hanna mit eisiger Kälte; denn es gereichte ihm zur Befriedigung, ihr seine Verachtung gegen alles, was Christ hieß, fühlbar zu machen.
Als er ihr sein Bedauern aussprach, daß Selene gezwungen worden sei, bei ihr zu bleiben, sagte die Witwe:
»Es geht ihr doch besser hier als auf der Straße.«
Auf die Versicherung des Verwalters, er nehme nichts geschenkt und werde die Pflege seiner Tochter bezahlen, entgegnete Hanna: »Wir tun gern für dein Kind was wir können, und ein anderer lohnt uns dafür.«
»Das wollt' ich mir verbitten!« rief Keraunus entrüstet.
»Wir verstehen uns nicht,« versetzte die Christin freundlich. »Ich meine keinen sterblichen Menschen, und der Lohn den wir erstreben, ist kein Geld und Gut, sondern das frohe Bewußtsein, den Schmerz eines Leidenden gelindert zu haben.«
Keraunus zuckte die Achseln und entfernte sich, nachdem er Selene befohlen hatte, den Arzt zu fragen, wann sie wieder nach Haus gebracht werden dürfe.
»Ich lasse dich keinen Augenblick länger hier, als es not tut,« sagte er so dringend, als gälte es, sie aus einem verpesteten Hause zu entfernen, küßte ihr die Stirn, grüßte Frau Hanna so herablassend, als habe er ihr eben ein Almosen gereicht, und entfernte sich, ohne Selenes Versicherung, sie befinde sich sehr wohl bei der Witwe, zu Ende zu hören.
Der Boden hatte ihm längst unter den Füßen und das Geld in der Tasche gebrannt; besaß er doch Mittel in Fülle, sich einen vortrefflichen neuen Sklaven zu kaufen. Vielleicht reichten sie sogar, wenn er den alten Sebek mit in den Kauf gab, für die Erwerbung eines gut aussehenden Griechen, der seine Kinder im Lesen und Schreiben unterrichten konnte. Auf das Äußere des neuen Hausgenossen wollte er den Hauptaugenmerk richten; wenn er auch geschult war, ließ sich damit der hohe Kaufpreis, den er für ihn zu zahlen gedachte, entschuldigen.
Als sich Keraunus dem Sklavenmarkte näherte, sagte er sich nicht ohne Rührung über sein väterlich gesinntes Herz:
»Alles zu Ehren des Hauses, alles nur für die Kinder!«
Arsinoe blieb seiner Bestimmung gemäß bei Selene. Ihr Vater wollte sie auf dem Heimwege abholen.
Nachdem sich der Verwalter entfernt hatte, verließ Frau Hanna mit Maria die Schwestern; denn sie vermuteten, daß sie den Wunsch hegen müßten, mancherlei ohne Zeugen miteinander zu besprechen.
Sobald beide Mädchen allein waren, sagte Arsinoe:
»Du hast rote Wangen, Selene, und siehst heiter aus, ach, und auch ich, ich bin so glücklich – so glücklich.«
»Weil du die Roxane darstellst?«
»Auch das ist ja schön, und wer hätte noch gestern morgen gedacht, daß wir heute so reich sein würden! Wir wissen gar nicht mehr, wohin mit dem Gelde.«
»Wir?«
»Ja, denn der Vater verkaufte zwei Sachen aus seinem Kram für sechstausend Drachmen.«
»Oh!« rief Selene und klatschte leis in die Hände. »Dann lassen sich doch die dringendsten Schulden bezahlen.«
»Gewiß; aber das ist noch lange nicht alles.«
»Nun?«
»Wo soll ich anfangen? Ach, Selene, das Herz ist mir so voll. Ich bin müde, und doch könnt' ich tanzen und singen und toben heute und die Nacht durch und morgen. Wenn ich an mein Glück denke, braust mir der Kopf, und es wird mir, als müßt' ich mich festhalten, um nicht zu taumeln. Du weißt noch nicht, wie es jemand zumute ist, den der Pfeil des Eros getroffen. Ach, ich liebe Pollux so sehr, und er liebt mich wieder!«
Alles Blut wich bei diesem Bekenntnis aus den Wangen Selenes, und von ihren bleichen Lippen fielen die leise fragenden Worte:
»Pollux, des Euphorion Sohn, der Bildhauer Pollux?«
»Ja, unser lieber, guter, langer Pollux!« rief Arsinoe. »Spitze nur die Ohren und laß dir erzählen, wie dies alles gekommen. – In dieser Nacht auf dem Wege zu dir, gestand er mir, wie sehr er mich liebt, und nun sollst du raten, wie wir den Vater für uns gewinnen. Später sagt er schon ja; denn Pollux kann alles, was er nur will, und wird einmal groß werden, so groß wie Papias und Aristeas und Nealkes zusammengenommen. Den Jungenstreich mit der albernen Fratze . . . aber wie bleich du aussiehst, Selene.«
»Es ist nichts, gar nichts. Ich habe Schmerzen. – Rede nur weiter,« bat Selene.
»Frau Hanna gebot mir, dich nicht viel sprechen zu lassen.«
»Erzähle nur alles – ich bleibe still!«
»Du sahst ja auch den schönen Kopf der Mutter, den er gemacht hat,« hob Arsinoe an. »Ihm gegenüber sahen und sprachen wir uns seit langer Zeit zum erstenmal wieder, und da fühlte ich gleich, daß es einen lieberen Menschen als ihn auf der ganzen Erde, so weit und breit sie ist, gar nicht gebe. Dort vergaffte er sich auch in mich dummes Ding. Gestern abend begleitete er mich zu dir. Als ich nun an seinem Arme in der Nacht durch die Straßen ging, da – da – o Selene, wie das war, wie wunderherrlich; du kannst es nicht glauben! – Tut dir der Fuß sehr weh. Ärmste, du hast ganz feuchte Augen?«
»Weiter – erzähle nur weiter.« Und Arsinoe tat wie ihr geheißen, und ersparte der Unglücklichen nichts, was die Wunde in ihrem Herzen erweitern und vertiefen konnte.
In süßen Erinnerungen schwelgend, beschrieb sie die Stelle auf der Straße, an der Pollux sie zum erstenmal geküßt, die Büsche im Garten, in deren Schatten sie ihm in die Arme gesunken war, ihren beseligenden Gang durch die Mondnacht und die sich zum Feste sammelnden Menschen, und endlich auch, wie sie mit ihm, voll des Gottes, dem Zuge gefolgt und durch die Straßen gerast war. Sie schilderte auch mit Tränen im Auge, wie schwer ihr der Abschied geworden und erzählte lachend, daß ein Efeublatt in ihrem Haar dem Vater beinahe alles verraten.
Sie sprach und sprach, und es lag für sie etwas Berauschendes in der eigenen Rede.
Wie diese auf Selene wirkte, bemerkte sie nicht.
Konnte sie denn wissen, daß ihre Worte und kein anderer Schmerz es waren, die das wehe Zucken um den Mund der Schwester hervorriefen?
Als Arsinoe sodann von den herrlichen Kleidern erzählte, die Frau Julia für sie anfertigen ließ, hörte ihr die Leidende nur mit halbem Ohre zu; doch sie merkte wieder auf, als sie vernahm, wieviel der reiche Plutarch für den Elfenbeinbecher geboten hatte, und daß ihr Vater den alten Sklaven gegen einen anderen, rüstigeren vertauschen wollte.
»Unser guter, schwarzer, mausernder Storch sieht wohl recht struppig aus,« bemerkte Arsinoe; »aber es tut mir doch leid, daß er fort soll. Wärest du zu Hause gewesen, hätte sich der Vater doch vielleicht noch besonnen.«
Selene lachte trocken auf, und die Lippen zogen sich ihr höhnisch zur Seite, während sie ausrief:
»Nur zu, nur so weiter! Dann kommt ihr noch, zwei Tage bevor man euch auf die Straße setzt, zu Wagen und Pferden.«
»Du glaubst immer das Schlimmste,« entgegnete Arsinoe unwillig. »Ich sage dir, es wird alles weit schöner und besser und freundlicher kommen, als wir es erwarten. Sobald wir es reichlicher haben, kaufen wir auch den Alten zurück und füttern ihn, bis er tot ist.«
Die Leidende zuckte die Achseln, ihre Schwester aber sprang mit Tränen im Auge von ihrem Sitze auf.
Sie hatte sich so sehr gefreut, Selene mitzuteilen, wie glücklich sie sei und fest geglaubt, ihre Erzählung werde wie Sonnenschein nach einer finstern Nacht die Seele der Kranken erheitern. Und nun bot sie ihr nichts als bittern Hohn.
Weigert sich ein Freund, unser Glück mit zu genießen, so verletzt das nicht weniger schwer, als wenn er uns im Unglück verläßt.
»Kannst du mir nur eine Freude versalzen!« rief Arsinoe. »Ich weiß ja, daß dir nichts recht ist, was ich tue; aber wir sind doch Schwestern, und du brauchtest nicht die Zähne zusammenzubeißen, die Worte zu sparen und die Achseln zu zucken, wenn ich dir Dinge erzähle, über die sich auch fremde Mädchen, wenn ich sie ihnen anvertraute, mit mir freuen würden. Du bist so kalt und so herzlos! Vielleicht verrätst du mich gar an den Vater!«
Arsinoe vollendete den Satz nicht; denn Selene schaute schmerzlich und ängstlich auf sie hin, als sie zugleich entgegnete:
»Ich kann mich nicht freuen; es tut gar zu weh.«
Bei dieser Klage rannen ihr Tränen über die Wangen, und sobald Arsinoe das sah, empfand sie neues Mitleid mit der Kranken, beugte sich über sie und küßte ihr erst einmal und dann auch ein zweites- und drittesmal die Wange; Selene aber drängte sie von sich und wimmerte leise: »Laß mich, ich bitte dich, laß mich! – Geh hinaus, ich kann es nicht länger ertragen.«
Aufschluchzend wandte sie das Antlitz der Wand zu; Arsinoe versuchte noch einmal, ihr mit Liebesbezeigungen zu nahen; diesmal aber wies die Leidende sie noch heftiger zurück und rief wie verzweifelnd:
»Ich sterbe, wenn du mich nicht allein läßt.«
Da wandte sich die Glückliche, deren beste Gabe von der einzigen Freundin verschmäht ward, weinend der Tür zu, um vor dem Hause der Witwe auf den Vater zu warten.
Hanna sah, als sie neue Umschläge auflegte, Selene an, daß sie geweint hatte; doch sie fragte sie nicht nach dem Grund ihrer Tränen.
Gegen Abend erklärte die Witwe der Pflegebefohlenen, daß sie sie nun auf eine halbe Stunde allein lassen werde; denn sie und Maria wollten fortgehen, um mit den Brüdern und Schwestern auch für sie zu ihrem Gotte zu beten.
»Laßt nur, laßt,« sagte Selene, »wie es ist, so ist es; es gibt keine Götter.«
»Götter?« entgegnete Hanna. »Nein; aber es gibt einen guten, liebreichen Vater im Himmel, und du lernst ihn schon kennen.«
»Ich kenne ihn,« murmelte die Kranke mit schneidendem Spott.
Sobald sie allein war, richtete sie sich in dem Bette auf und warf die Blumen, die vor ihr gelegen hatten, weit in das Zimmer hinein, drehte an der für die Befestigung der Spange bestimmten Nadel so lange, bis sie zerbrach, und rührte keine Hand, als der goldene Reif mit dem geschnittenen Steine zwischen die Wand des Zimmers und das Bett fiel.
Dann starrte sie an die Decke des Gemachs und rührte sich nicht.
Es wurde Nacht.
Die Lilien und Geißblattblüten in dem großen Strauß am Fenster begannen kräftiger zu duften, und der Wohlgeruch, den sie ausströmten, drängte sich unerbittlich ihren von fieberhafter Erregung geschärften Sinnen auf. Bei jedem Atemzug empfand sie ihn, und keine Minute verging, in der er sie nicht an ihr zertrümmertes Glück und an das Elend ihres Herzens erinnert hätte. So ward ihr der süße Odem der Blumen unerträglicher als beißender Rauch, und sie zog die Decke über den Kopf, um dieser neuen Qual zu entgehen. Aber bald befreite sie sich wieder von ihrer Hülle, weil sie unter ihr zu ersticken meinte.
Eine Unruhe ohnegleichen bemächtigte sich ihrer, und dabei hämmerte der Schmerz in ihrem kranken Fuße, die Wunde brannte, und peinigendes Kopfweh pochte an ihre Stirn und kniff die Muskeln über ihrem Auge zusammen.
Jeder Nerv in ihr, jeder Gedanke, den sie hegte, bereitete ihr Qual, und sie fühlte sich dabei ganz haltlos, ganz verwahrlost und völlig preisgegeben lauter grausamen Mächten, die ihr die Seele hin und her rissen wie der Sturm die Kronen der Palmen.
Ohne Tränen, unfähig, an derselben Stelle liegen zu bleiben, und doch für jede Bewegung durch neue Schmerzen bestraft, aus den Fugen gestoßen, nicht stark genug, um in ihrer Zerfahrenheit einen zusammenhängenden Gedanken zu fassen, und doch fest überzeugt, daß der Blumenduft, den sie fort und fort einatmen mußte, sie vergiften, zugrunde richten, um den Verstand bringen würde, hob sie den kranken Fuß aus dem Bette, ließ den anderen folgen und setzte sich auf dem Lager nieder, ohne auf ihre Schmerzen und die Warnung des Arztes zu achten.
Das lange Haar floß ihr aufgelöst über das Angesicht, über die Arme und Hände, mit denen sie das Haupt stützte.
In dieser Stellung gewann die Tätigkeit ihres Geistes und Herzens eine neue Richtung.
Versteinernd war der Blick, mit dem sie auf den Estrich starrte, und bittere Feindseligkeit gegen die Schwester, Haß gegen Pollux, Verachtung vor der elenden Schwäche des Vaters und ihrer eigenen Verblendung trieben miteinander ein wüstes Wechselspiel in ihrer Seele.
Draußen lag alles in stillem Frieden, und von dem Hause der Witwe des Pudens her trug ihr der Abendwind dann und wann die reinen Klänge eines frommen Liedes an das Ohr. Selene beachtete sie nicht; als ihr aber derselbe Hauch den Blumenduft stärker als vorher ins Antlitz wehte, grub sie die Finger fest in das Haar und zog es so kräftig herunter, daß sie über den Schmerz, den sie sich selbst verursachte, laut aufstöhnen mußte.
Die Frage, ob denn ihr Hauptschmuck weniger reich und schön sei als der Arsinoes, drängte sich ihr auf, und wie ein Blitz die Nacht, durchzuckte ihre verdüsterte Seele der Wunsch, mit der Hand, die jetzt ihr selber Schmerzen bereitete, die Schwester an den Haaren zu Boden zu ziehen.
Dieser Duft, dieser entsetzliche Duft!
Sie konnte ihn nicht länger ertragen!
Außer sich stellte sie sich auf den verletzten Fuß und mit kleinen, ganz kleinen Schritten schob sie sich wimmernd dem Fenster entgegen und stürzte den Strauß mitsamt dem großen Kruge von gebranntem Ton, in dem er stand, zu Boden. Das Gefäß zerbrach. Es hatte der armen Hanna vor kurzem mühsam ersparte Geldstücke gekostet.
Auf einem Fuße lehnte Selene, um sich zu erholen, an dem rechten Pfosten der Zimmeröffnung und vernahm hier lauter als auf dem Lager die Stimme der Meereswogen, die sich an dem steinernen Uferbau hinter dem Häuschen ihrer Pflegerin brachen.
Mit diesen Tönen war das Kind der Lochias wohl vertraut; so wie heute hatte indes das Gespüle und der Anschlag des an die Steine klatschenden feuchten und kühlen Elementes noch nie auf sie gewirkt.
Ihr fieberndes Blut glühte, ihr Fuß brannte, der Kopf war heiß, wie in langsamem Feuer verzehrte der Haß ihr die Seele, und es war ihr, als riefe jede neue Welle, die sich an dem Uferbau brach, ihr zu: »Ich bin kalt, ich bin feucht, ich kann die Flammen löschen, die dich verzehren, ich kann dich erquicken und kühlen.«
Was vermochte die Erde ihr zu bieten als neue Qual und neues Elend! Aber das Meer – das blaue, dunkle Meer war groß, kalt und tief, und seine Wogen versprachen ihr mit schmeichelnden Tönen, die Glut des Fiebers und die Last des Lebens mit einem Male von ihr zu nehmen.
Selene bedachte nichts, überlegte nichts, erinnerte sich weder an die Kinder, für die sie so lange wie eine Mutter gesorgt hatte, noch an den Vater, dessen Hüterin und Stütze sie gewesen war; aber dumpfe Stimmen in ihrer Seele raunten ihr zu, daß die Welt schlecht und grausam und eine Stätte der Qual und der Sorgen sei, die das Herz zernagten.
Es war ihr zu Sinne, als wäre sie bis an die Schläfen in einen Feuerpfuhl versunken, und wie eine Unglückliche, deren Gewänder in Flammen gerieten, trieb es sie in das Wasser auf dessen Grunde sie hoffen durfte, ihr höchstes Sehnsuchtsziel zu erreichen, den schönen, kalten Tod, in dem alles vorbei war.
Schwankend und stöhnend schob sie sich durch die Tür in den Garten und hinkte, bei jedem Schritt vorwärts, dem Erliegen nahe, dem Meere entgegen.
Vierundzwanzigstes Kapitel
Die Alexandriner hatten steife Nacken.
Nur eine weit über das Maß des Alltäglichen hinausgehende Erscheinung konnte sie veranlassen, den Kopf zu wenden und ihr nachzuschauen; gab es doch Ungewöhnliches genug zu jeder Stunde und in allen Straßen ihrer Stadt zu sehen.
Heute dachte jeder ohnehin nur an sich selbst und seine eigene Lust.
Eine besonders schöne, stattliche oder gut aufgeputzte Gestalt veranlaßte hier ein schnell verschwindendes Lächeln, dort einen Ruf des Beifalls; bevor aber ein Anblick voll ausgenossen war, suchte das nach neuem begierige Auge schon nach einem andern.
So gab auch niemand sonderlich auf Hadrian und seine beiden Begleiter acht, die sich widerstandslos von dem Strom der Menge durch die Straßen fortführen ließen, und doch bot jeder von ihnen einen in seiner Weise merkwürdigen Anblick. Hadrian war als Silen aufgeputzt, Pollux als Faun.
Beide trugen Masken, und dem schlanken, beweglichen Jünglinge stand die Verkleidung nicht weniger gut als der mächtigen Kraftgestalt des gereiften Mannes neben ihm.
Antinous folgte dem Gebieter als Eros.
Er trug einen rötlichen Umwurf und war mit Rosen bekränzt, und der silberne Köcher auf seinem Rücken, sowie der Bogen in seiner Hand deuteten sinnbildlich an, welchen Gott er zur Darstellung bringe.
Auch er trug eine Maske; doch seine Gestalt zog viele Blicke auf sich und manches: »Es lebe die Liebe!« oder »Sei mir günstig, schöner Sohn Aphrodites!« tönte ihm nach.
Pollux hatte die für die Verkleidung nötigen Sachen der Gewandkammer seines Meisters entnommen. Dieser war nicht zu Hause gewesen; eine Frage um seine Einwilligung schien dem jungen Mann indes unnötig; – denn sowohl er als die anderen Gehilfen hatten sich oft und mit Wissen des Papias dieser Sachen zu ähnlichen Zwecken bedient.
Nur als Pollux den für Antinous bestimmten Köcher an sich nahm, zauderte er ein wenig; denn er bestand aus echtem Silber und war dem Meister von einer reichen Kornhändlersfrau geschenkt worden, die er als jagende Artemis in Marmor ausgehauen hatte.
Der schöne Gefährte des Römers, dachte der Künstler, als er das wertvolle Gerät zu den anderen Gegenständen in den Korb legte, den ihm sein schielender Lehrbursch nachtragen sollte, der Gefährte des Römers muß einen prächtigen Eros abgeben. Der braucht einen Köcher, und bevor die Sonne aufgeht, hängt das unnütze Ding wieder an dem alten Haken.
Pollux fand übrigens wenig Zeit, sich an der herrlichen Gestalt des so reich von ihm aufgeputzten Liebesgottes zu freuen; denn der Baumeister aus Rom, den er führte, war von solchem Wissensdurst und solcher bis ins einzelne gehenden Neugier beseelt, daß der in Alexandrien geborene, mit offenen Augen herangewachsene junge Mann dem unermüdlichen Frager manchmal die Antwort schuldig bleiben mußte.
Der graubärtige Herr wollte alles sehen, über alles unterrichtet sein.
Nicht zufrieden, die Hauptstraßen und Plätze, die öffentlichen Anlagen und Gebäude kennen zu lernen, schaute er auch in die schöneren Privathäuser und fragte nach dem Namen, dem Stand und Vermögen ihrer Besitzer.
Die entschiedene Art, mit der er vorschrieb, welchen Weg er geführt zu werden wünschte, bewies Pollux, daß er mit der Anlage der Stadt gut vertraut sei.
Wenn der weise, hochangesehene Mann den Beifall, ja die Bewunderung über die breiten, sauberen Straßen des Ortes, die freundlichen Plätze und überaus stattlichen Bauwerke, an denen es nirgends fehlte, lebhaft zu erkennen gab, freute sich der junge Alexandriner, der seine Vaterstadt liebte.
Zuerst ließ sich Hadrian, dem Meere entlang, durch das Bruchium zu dem Tempel des Poseidon führen, vor dem er eine Andacht verrichtete. Dann schaute er in die Gärten der Königspaläste und in die Höfe des benachbarten Museums.
Das Cäsareum mit seinem ägyptischen Tor erregte seine Bewunderung nicht weniger als das mit mehrstöckigen Säulenarkaden umkleidete, rings mit Statuen geschmückte Theater des Dionysus.
Von dort aus wandte er sich mit einer Schwenkung nach links wieder dem Meere zu, um das Emporium, den Mastenwald im Hafen des Eunostus und die schöngemauerten Kais zu betrachten.
Der Brückenbau des Heptastadiums wurde rechts liegen gelassen. Der Hafen Kibotus, der von kleinen Kauffahrern wimmelte, hielt die Wanderer nur kurze Zeit auf.
Hier wandten sie der See den Rücken, betraten die landeinwärts führende, dem Dracoflusse folgende Straße und durchschritten das Viertel Rhakotis, in dem lauter Ägypter wohnten und es viel Bemerkenswertes zu sehen gab. Zuerst begegnete ihnen ein Festzug der den Göttern des Niltals dienenden Priester, die Reliquienkisten, heilige Geräte, Götter und Tierbilder trugen und dem Serapeum zustrebten, das im Süden alles ringsum hoch überragte. Hadrian besuchte es nicht, sah aber den Wagen zu, die auf einem Fahrwege den Hügel, auf dem das Heiligtum stand, hinauffuhren, und beobachtete die zu Fuß gehenden Beter, die die für sie bestimmte gewaltige Treppe erstiegen. Diese verbreiterte sich nach oben hin und endete bei einer Plattform, auf der vier gewaltige Säulen eine kühn gewölbte Kuppel trugen. Unübersehbar war das Tempelgebäude, das sich mit seinen Sälen, Hallen und Kammern hinter diesem Riesenbaldachin erhob.
Die Priester mit den weißen Gewändern, die hageren, halbnackten Ägypter mit den gefalteten Schürzen und Kopftüchern, die Tierbilder und wunderlich bemalten Häuser in diesem Quartiere nahmen die Aufmerksamkeit Hadrians besonders in Anspruch und veranlaßten ihn zu vielen Fragen, auf die Pollux die Antwort schuldig bleiben mußte.
Bis zu dem im äußersten Süden der Stadt gelegenen marcotischen See erstreckte sich die immer weiter vom Meer fortführende Wanderung. Nilschiffe und Boote von jeder Form und Größe lagen in diesem geräumigen Binnengewässer vor Anker. Hier zeigte der Bildhauer dem Kaiser den Agathodämon-Kanal, durch den man die auf dem Fluß nach Alexandria gebrachten Waren den Meerschiffen zuführte. Auch auf die glänzenden Landhäuser und wohlgepflegten Weinberge am Ufer des Sees machte er den Römer aufmerksam, der nachdenklich sagte:
»Der Körper dieser Stadt muß wohl gedeihen; denn er hat zwei Mägen und zwei Mäuler, durch die er seine Nahrung erhält: ich meine das Meer und diesen See.«
»Und die Häfen in beiden,« fügte Pollux hinzu.
»Ganz recht; aber nun wird es Zeit zur Umkehr,« entgegnete Hadrian, und die Wanderer folgten bald der neben dem Kanal hin gen Norden führenden Straße, bis sie jenseits des Tores der Sonne am östlichen Ende der kanopischen Straße in das Judenviertel gelangten. Im Innern dieses Quartiers waren viele Häuser geschlossen. Es gab hier auch nichts von dem festlichen Treiben, das sich in den Vierteln der Heiden den Sinnen aufdrängte, zu sehen; denn die Strenggläubigen unter den Israeliten hielten sich völlig fern von der Feier des frohen Tages, an der die meisten ihrer Glaubensgenossen, die unter den Hellenen wohnten, teilnahmen.
Endlich kehrten die Wanderer zum Tore der Sonne zurück und folgten der kanopischen Straße, die die Stadt, deren größte Verkehrsader sie war, in eine nördliche und südliche Hälfte zerlegte; denn Hadrian wünschte von dem Hügel des Paneums aus die gesehenen Einzeldinge in ihrer Gesamtheit zu überblicken. Ein kurzer Gang nach Süden führte sie zu dieser Anhöhe.
Der sie umgebende, sorgfältig gepflegte Garten wimmelte von Menschen, und der Schneckenweg, der sich zu ihrer Spitze hinaufwand, war überfüllt mit Frauen und Kindern, die von hier aus das glänzendste, dem Dionysus geweihte Schauspiel des Tages, dem am Abend Aufführungen in allen Theatern folgen sollten, zu sehen begehrten.
Bevor der Kaiser mit den Begleitern das Paneum erreicht hatte, drängte die Menge sich dichter zusammen, und einer rief dem andern zu: »Sie kommen!« »Heute fängt es früh an!« »Da sind sie!«
Liktoren mit Rutenbündeln auf der Schulter säuberten die breite Straße, die vom Theater des Dionysus aus an das Paneum führte, mit rücksichtslosem Eifer und achteten nicht auf die spottenden und witzelnden Worte, die ihnen zugerufen wurden, wo sie sich zeigten.
Eine Frau, die ein römischer Sicherheitswächter mit den Faszes zurückdrängte, sagte höhnisch:
»Schenk' mir deine Ruten für die Kinder und brauche sie nicht gegen ruhige Bürger.«
»Es steckt ein Beil zwischen den Reisern,« fügte ein ägyptischer Schreiber warnend hinzu.
»Her damit!« rief ein Fleischer. »Ich kann es brauchen, um meine Ochsen zu schlachten.«
Den Römern stieg bei diesem Hohn das Blut ins Gesicht; doch der Präfekt, der seine Alexandriner kannte, hatte ihnen geboten, taub zu sein, alles zu sehen und nichts zu hören.
Jetzt zeigte sich eine Kohorte der zwölften, in Ägypten lagernden Legion im reichsten Waffen- und Festschmuck.
Hinter ihr her schritten zwei Reihen von besonders stattlichen, bekränzten Liktoren. Ihnen folgten, von dunkelfarbigen Ägyptern geführt, mehrere hundert Tiere der Wildnis, Leoparden und Panther, Giraffen, Gazellen, Antilopen und Hirsche. Dann erschien unter Tamburin- und Leier-, Doppelflöten- und Triangelklang ein reich gekleideter und bunt bekränzter dionysischer Chor, und endlich, von zehn Elefanten und zwanzig weißen Pferden gezogen, ein großes, auf Rädern stehendes, über und über vergoldetes Schiff, das das Fahrzeug darstellte, auf dem tyrrhenische Seeräuber den jungen Dionysus entführt haben sollten, nachdem sie den schönen, schwarzlockigen Jüngling in seinem Purpurgewande am Ufer gesehen. – Aber den Übeltätern, so erzählt die Mythe weiter, war es nicht lange gestattet gewesen, sich ihres Raubes zu freuen; denn kaum hatten sie das offene Meer erreicht, als die Fesseln des Gottes zu Boden sanken, Weinlaub in schnell aufsprießendem üppigem Wuchs die Segel umrankte, Reben die Raa und Ruder umschlangen, Trauben die Taue beschwerten und Efeu den Mast, die Bänke und Wände des Schiffes umwucherte. Auf Land und Meer ist Dionysus gleich mächtig. Im Schiff der Seeräuber nahm er die Gestalt eines Löwen an. Die Piraten stürzten sich, von Entsetzen ergriffen, in die See und folgten, in Delphine verwandelt, dem verlorenen Fahrzeug.
Dies hatte Titianus, so wie die homerischen Hymnen es schilderten, aus leichten Stoffen herstellen und schön und reich ausschmücken lassen, um den Alexandrinern einen Augenschmaus zu bereiten und sich in ihm mit seiner Gattin und den vornehmsten Römern, die die Kaiserin begleiteten, des festlichen Treibens in den Hauptstraßen der Stadt zu freuen.
Jung und alt, groß und klein, Mann und Weib, Griechen, Römer, Juden, Ägypter, Fremde mit heller und dunkler Hautfarbe, schlichtem und wolligem Haar drängten sich mit gleichem Eifer an den Rand der Straße, um das glänzende Schiff zu sehen.
Hadrian, weit schaulustiger als sein junger, schwer erregbarer Liebling, drängte sich in die vorderste Reihe; als aber Antinous sich ihm zu folgen bemühte, riß ihm ein griechischer Bube, den er beiseite geschoben hatte, die Maske vom Gesichte, warf sich zu Boden und entschlüpfte behend mit der Beute.
Als Hadrian sich nach dem Bithynier umschaute, war das Schiff, auf dem der Präfekt zwischen den Bildern des Kaisers und der Kaiserin stand, und Frau Julia, Balbilla mit der Gefährtin und anderen Römerinnen und Römern saßen, ganz nahe zu ihm herangekommen. Sein scharfes Auge hatte sie erkannt, und weil er fürchtete, daß ihn das unbedeckte Antlitz des Lieblings verraten würde, rief er ihm zu:
»Wende dich um und tritt in die Menge zurück!«
Der Günstling folgte sogleich diesem Gebot und setzte sich, froh, dem Gedränge entgangen zu sein, das ihm höchst widerwärtig war, auf eine Bank neben dem Paneum nieder, schaute träumend zu Boden, dachte an Selene und an den Strauß, den er ihr gesandt hatte, und sah und hörte nichts von allem, was um ihn her vorging.
Als das geschmückte Schiff des Dionysus den Paneumsgarten verließ und in die kanopische Straße einbog, folgte ihm die Menge schreiend und in dichtem Gedränge.
Wie ein bei einem Wolkenbruch hochanschwellender Bach riß sie tobend und immer wachsend selbst das Widerstrebende mit sich fort.
Auch Hadrian und Pollux sahen sich gezwungen, ihr zu folgen.
Erst in der breiten kanopischen Straße gelang es ihnen, ihrem Andrang zu widerstehen.
Eine unabsehbare, lange Kolonnade begrenzte zur Rechten und Linken den Fahrdamm der breiten berühmten Straße, die von einem Ende der Stadt zum andern führte. Nach Hunderten zählten die korinthischen Säulen, die die Decken dieser Wandelgänge trugen. Bei einer von ihnen gelang es dem Kaiser und Pollux, festen Fuß zu fassen und Atem zu schöpfen.
Die erste Sorge Hadrians galt dem Lieblinge, und weil er sich selbst scheute, sich von neuem unter die Menge zu mischen, gebot er dem Bildhauer, ihn zu suchen und ihn zu ihm zurückzuführen.
»Willst du mich hier erwarten?« fragte Pollux.
»Ich kenne behaglichere Aufenthaltsorte,« seufzte Hadrian.
»Ich auch,« entgegnete der Künstler. »Aber die hohe, mit Pappel- und Efeulaub umkränzte Tür da drüben führt in das Haus eines Garkochs, bei dem sich's die Götter selbst wohl sein lassen können.«
»So bleibe ich dort.«
»Aber ich warne dich, viel zu verzehren; denn die olympische Tafel des Korinthers Lykortas ist das teuerste Wirtshaus in der ganzen Stadt. Nur die großen Geldsäcke sind seine Gäste.«
»Schon gut,« lachte Hadrian. »Schaff nur meinem Gehilfen eine neue Maske und bring ihn mir wieder. Es macht mich dann wohl nicht arm, wenn ich für uns drei eine Mahlzeit bezahle. Am Fest des Dionysus darf schon etwas draufgehen.«
»Wenn's dich nur nicht reut,« entgegnete der Bildhauer. »So ein langer wie ich stellt seinen Mann beim Mischkrug und hinter den Schüsseln.«
»Zeige nur, was du vermagst,« rief der Kaiser dem Forteilenden nach. »Ich schulde dir ohnehin noch eine Mahlzeit für das Kohlgericht deiner Mutter.«
Während Pollux den Bithynier in der Nähe des Paneums suchte, trat der Kaiser in das vornehmste Wirtshaus der wegen der Kunst ihrer Köche berühmten Stadt.
Der Raum, in dem die meisten Besucher dieses Hauses speisten, bestand aus einem weiten, offenen Hofe, der auf drei seiner Seiten von bedeckten und an den Hinterseiten verschlossenen Säulenhallen umgeben war. In diesen standen Ruhebetten, auf denen die Gäste einzeln. paarweis oder in größeren Gruppen lagen und den Gerichten und Getränken zusprachen, die die bedienenden Sklaven, hübsche Knaben mit lockigem Haar und schönen Gewändern, auf kleine, niedrige Tischchen stellten.
Hier ging es laut und lustig her, da gab sich ein Feinschmecker schweigend dem Genuß von sorgsam bereiteten Leckerbissen hin; dort drüben der große Kreis von tafelnden Männern schien weit eifriger zu reden als zu essen oder zu trinken, und aus manchem an die Hinterwände der Säulenhallen grenzenden Nebenzimmer tönte Musik und Gesang und das ausgelassene Gelächter von Männern und Frauen.
Der Kaiser verlangte ein eigenes Zimmer, doch waren alle bereits vergeben, und man bat ihn, ein wenig zu warten; denn eines der Nebengemächer sollte bald frei werden.
Er hatte die Maske abgenommen, und obgleich er kaum ernstlich zu fürchten brauchte, in seiner Verkleidung erkannt zu werden, wählte er doch ein von einem breiten Pfeiler geschütztes Lager in der an der Hinterseite des Hofes gelegenen Halle, die der hereinbrechende Abend bereits zu verdunkeln begann.
Dort ließ er sich zuerst Wein und einige Austern als Imbiß reichen. Während er sie verzehrte, rief er einen der oberen Aufwärter zu sich heran und verhandelte mit ihm über die Mahlzeit, die für ihn und seine beiden Gäste in kurzer Zeit aufgetragen werden sollte.
Während dieses Gespräches machte der geschäftige Wirt dem neuen Gaste seine Aufwartung, und als er sah, daß er es mit einem in allen Genüssen der Tafel wohlbewanderten Herrn zu tun habe, blieb er bei ihm und ging auf die vielen Erkundigungen Hadrians mit höflicher Beflissenheit ein.
In dem von Hallen umgebenen Hofe gab es auch mancherlei zu sehen, das die Fragelust des neugierigsten und wissensdurstigsten Mannes seiner Zeit anregen mußte.
Vor den Augen der Gäste wurden in dem weiten Raume auf Rosten und Herden, an Spießen und in Backöfen die Speisen hergestellt, die man bei den dienenden Sklaven bestellte.
Auf großen, sauberen Tischen bereiteten die Köche ihre Werke vor, und der durch Seile abgegrenzte, allen Blicken offenstehende Schauplatz ihrer Tätigkeit war rings von einem kleinen, aber nur mit den auserlesensten Waren besetzten Markte umgeben.
In zierlicher Anordnung waren hier alle Gemüsearten, die der ägyptische und griechische Boden erzeugte, dort tadellose Früchte von jeder Farbe und Größe, an einer anderen Stelle fertig gebackene, goldgelb schimmernde Pastetchen aufgestellt. Die mit Fleisch, Fischen und kanopischen Muscheln gefüllten waren in Alexandria selbst verfertigt worden, andere, die Früchte und Blumenblätter enthielten, stammten aus Arsinoe am Mörissee, in dessen Umgebung mit dem besten Erfolg Obstzucht und Kunstgärtnerei betrieben wurde. Fleischwaren jeder Art lagen und hingen an einer besonderen Stelle. Da gab es saftige Schinken aus Kyrene, italienische Würste und rohe Teile von geschlachteten Tieren zu sehen. Daneben lag und hing Wild und Geflügel in reicher Auswahl, und einen besonders großen Raum des Hofes nahmen die Wasserbehälter ein, in denen die edelsten geschuppten Bewohner des Nils und der Landseen im nördlichen Ägypten sowie kostbare Muränen und andere Fische von italienischer Zucht umherschwammen. Alexandrinische Krebse, Muscheln, Austern und Langusten von Kanopus und Klysma wurden in besonderen Becken frisch erhalten. Die geräucherte Ware von Mendes und der Mörisseegegend hing an metallenen Stäben, und in einem bedeckten, aber luftigen Raume lagen, vor der Sonne geschützt, frischgefangene Fische aus dem Mittelländischen und Roten Meere.
Jedem Gast der »olympischen Tafel« war es gestattet, hier das Fleisch, das Obst, die Spargeln, Fische oder Pastetchen, die er zubereitet zu haben wünschte, selbst auszusuchen.
Der Wirt Lykortas zeigte dem Kaiser einen älteren Herrn, der in dem mit manchem hübsch geordneten Stilleben geschmückten Hofe die Rohstoffe zu dem Gastmahle aussuchte, das er den Freunden am Abend dieses Tages zu geben wünschte.
»Alles schön, alles vortrefflich,« sagte Hadrian, »aber die Mücken und Fliegen, die die Herrlichkeiten dort unten anziehen, sind unerträglich. Auch der starke Speisegeruch verdirbt mir die Freude am Essen.«
»In den Seitengemächern,« sagte der Wirt, »ist es besser. In dem für dich bestimmten rüstet man sich bereits zum Aufbruch. Hier hinten bewirten die Sophisten Demetrius und Pankrates von hier einige große Herren aus Rom, Rhetoren, Philosophen oder dergleichen. Nun bringen sie schon die ersten Lampen, und sie tafeln und streiten sich da drin seit dem Frühstück. Da treten die Gäste aus dem Nebengemache. – Willst du es haben?«
»Ja,« entgegnete der Kaiser. »Wenn ein großer junger Mann nach dem Architekten Claudius Venator aus Rom fragt, führe ihn zu mir.«
»Also ein Baumeister und kein Sophist oder Rhetor,« sagte der Aufwärter, indem er den Kaiser aufmerksam ansah.
»Silen – ein Philosoph!«
»Oh, die beiden schreienden Freunde da vorn gehen auch an anderen Tagen nackt und mit zerrissenen Mänteln auf den mageren Schultern einher. Heute lassen sie sich von dem reichen Josephus füttern.«
»Josephus? Das muß ein Jude sein, und da schneidet er tapfer in den Schinken.«
»Es gäbe mehr Schweine in Kyrene, wenn die Israeliten nicht wären! Sie sind griechisch wie wir und essen, was gut schmeckt.«
Hadrian trat in das freigewordene Gemach, legte sich auf das an der Wand des Nebenzimmers stehende Polster und trieb die Sklaven, die das von den Vorgängern benützte und von Fliegen umschwärmte Speisegerät abräumten, zur Eile an. Sobald er allein war, lauschte er auf das Gespräch, das Favorinus, Florus und ihre griechischen Gastfreunde miteinander führten.
Er kannte die beiden ersteren gut, und seinem scharfen Ohre ging kein Wort ihrer lebhaften Unterhaltung verloren.
Favorinus lobte mit hoher Stimme, aber in schön fließendem, geschmackvoll betontem Griechisch die Alexandriner.
Er war aus Arelas in Gallien gebürtig; doch keinem Hellenen konnte die Sprache des Demosthenes reiner von den Lippen fließen.
Die auf sich selbst gestellten, scharfen und betriebsamen Bewohner der afrikanischen Weltstadt waren ihm um vieles lieber als die Athener. Diese lebten nur noch von der Vergangenheit, die Alexandriner aber durften sich ihrer Gegenwart freuen. Hier lebte noch unabhängiger Sinn; am Ilissus aber gab es nur Knechte, die mit dem Wissen Handel trieben, wie die Alexandriner mit den Waren Afrikas und den indischen Schätzen. Als er einmal bei Hadrian in Ungnade gefallen war, hatten die Athener seine Bildsäule umgestürzt. Die Gunst und Ungunst der Mächtigen standen ihnen höher als geistige Größe, schwerwiegende Leistungen und hohes Verdienst.
Florus stimmte dem Favorinus im ganzen bei und erklärte, daß Rom sich von dem geistigen Einfluß Athens befreien müsse; Favorinus aber gab dies nicht zu, erklärte, daß es jedem, der die erste Mannesreife überschritten habe, schwer werde, Neues zu lernen, und deutete damit spöttisch auf das berühmteste Werk des Tafelgenossen, in dem Florus die Geschichte Roms nach den vier Hauptabschnitten des Menschenlebens einzuteilen versucht, das Greisenalter vergessen und nur die Kindheit, Jugend und Mannesreife behandelt hatte. Favorinus warf ihm vor, wie sein Freund Fronto die Biegsamkeit des römischen Genius zu hoch anzuschlagen und die des hellenischen Geistes zu unterschätzen. Florus antwortete dem gallischen Redner mit tiefer Stimme derb und mit so schwungvollen Worten, daß der lauschende Kaiser ihm gern seinen Beifall bezeigt hätte und sich still die Frage vorlegen mußte, wie viele Becher sein schwer erregbarer Landsmann seit dem Frühstück getrunken haben mochte.
Als Florus zu erweisen versuchte, daß Rom unter der Regierung Hadrians auf dem Gipfel der Manneskraft stehe, unterbrach ihn sein Gastfreund Demetrius von Alexandria und bat ihn, ihm einiges über die Person des Kaisers zu erzählen.
Florus kam dieser Bitte willig nach und entwarf ein glänzendes Bild von der Regentenweisheit, dem Wissen und Können des Kaisers.
»Nur eins,« rief er lebhaft, »kann ich nicht billigen! Er ist zu wenig in Rom, das nun einmal das Herz der Welt ist. Alles muß er selbst schauen, und darum zieht er ruhelos durch die Provinzen. Ich möchte nicht mit ihm tauschen.«
»Diesem Gedanken hast du schon in Versen Ausdruck gegeben,« unterbrach ihn Favorinus.
»Ein Scherz beim Gastmahl. Ich laß es mir an der ›olympischen Tafel‹ dieses vortrefflichen Garkochs täglich gut sein, so lange ich in Alexandria bin und auf den Kaiser warte.«
»Wie lautet die Dichtung?« fragte Pankrates.
»Ich vergaß sie, und sie verdient kein besseres Los,« erwiderte Florus.
»Ich aber,« lachte der Gallier, »behielt wenigstens den Anfang. Die ersten Verse lauten, denk' ich, also:
Cäsar sein, das laß ich andern:
Um Britannien zu durchwandern
Und in Szythien einzuschnein,
Möcht' ich nimmer Cäsar sein.«
Hadrian schlug bei diesen Versen mit der Faust in die Linke, und während die Schmausenden Vermutungen austauschten, warum er so lange von Alexandria fernbleibe, nahm er das doppelte Schreibtäfelchen, das er stets mit sich führte, und ritzte die folgenden Verse rasch in das Wachs:
»Florus sein, das laß ich andern:
Denn die Kneipen zu durchwandern,
Sich beim Garkoch in Baracken, –
Wo uns fette Mücken zwacken,
Festzupflanzen, zu begraben,
Florus liebt's; ich mag's nicht haben.« [Fußnote]
Kaum hatte er diese Entgegnung, still vor sich hinschmunzelnd, vollendet, als ihm der Aufwärter den Bildhauer Pollux zuführte.
Der Künstler hatte Antinous nicht gefunden, sprach die Vermutung aus, daß der junge Mann wohl nach Hause gegangen sei, und bat dann den Kaiser, ihn nicht lange bei der Mahlzeit zurückzuhalten; denn er sei seinem Meister Papias begegnet, und dieser habe sich über sein langes Ausbleiben sehr unwillig gezeigt.
Hadrian machte sich nichts mehr aus der Gesellschaft des Künstlers. Die Unterhaltung im Nebenzimmer erschien ihm weit fesselnder als die des braven Burschen. Er wollte auch selbst früh aufbrechen; denn er fühlte sich beunruhigt. Antinous konnte wohl leicht den Weg auf die Lochias finden; doch Erinnerungen an die schlimmen Zeichen, die er in dieser Nacht am Himmel gesehen hatte, flogen wie Fledermäuse durch einen Festsaal, mitten in die Lust hinein, der er sich, um die freien Stunden, die er sich gönnte, auszugenießen, wieder und wieder hinzugeben versuchte.
Auch Pollux war nicht so unbefangen heiter wie sonst. Die lange Wanderung hatte ihn sehr hungrig gemacht, und er sprach den vortrefflichen Gerichten, die auf Befehl seines Wirtes schnell hintereinander aufgetragen wurden, so kräftig zu und leerte die Becher so fleißig, daß der Kaiser erstaunte; aber je mehr es für ihn zu bedenken gab, desto weniger kam er zum Reden.
Den Vorwürfen des Meisters war er, Pollux, vorhin damit entgegengetreten, daß er ihm kurz und rund und ohne zu erwägen, wie leicht es für ihn gewesen wäre, sich in Güte von ihm zu trennen, den Dienst gekündigt hatte. Nun stand er auf eigenen Füßen, und es drängte ihn, Arsinoe und den Eltern mitzuteilen, was er getan.
Während des Speisens kam ihm der Rat der Mutter in den Sinn, sich um die Gunst und Fürsprache des Baumeisters, dessen Gast er war, zu bemühen; aber er unterließ es, denn er war gewöhnt, alles sich selbst zu verdanken, und wenn er auch die geistige Überlegenheit des gewaltigen Mannes ihm gegenüber immer noch fühlte, hatte ihn sein Gang durch die Stadt dem Römer doch nicht näher gebracht. Zwischen ihm und dem rastlosen, neugierigen Graubart, der so viele Antworten verlangte, daß kein anderer zum Fragen Zeit behielt, und der, wenn er schwieg, so unnahbar tiefsinnig aussah, daß man ihn nicht zu stören wagte, erhob sich eine unübersteigbare Schranke. Der kecke Künstler hatte es dennoch zuweilen versucht, sie zu durchbrechen, aber sich jedesmal gleich darauf der üblen Empfindung, etwas Unschickliches getan zu haben, nicht zu entziehen vermocht. Er kam sich im Verkehr mit dem Baumeister vor wie ein recht stattlicher Hund, der mit einem Löwen spielt, und dies Spiel konnte zu nichts Gutem führen. So waren denn Gast und Wirt aus mancherlei Gründen zufrieden, als die letzte Schüssel abgetragen wurde.
Bevor Pollux das Gemach verließ, übergab ihm der Kaiser das Täfelchen mit den von ihm gedichteten Versen, und bat ihn schmunzelnd, es dem Torhüter des Cäsareums für den Römer Annäus Florus zu übergeben. Er trug dem Bildhauer noch einmal dringend auf, sich nach seinem jungen Freunde umzusehen und ihm, wenn er ihn auf der Lochias finden sollte, zu sagen, daß er, Claudius Venator, bald heimkehren würde.
Der Künstler ging seiner Wege.
Hadrian horchte noch eine Zeit lang auf das Gespräch in der Nebenkammer. Nachdem er eine Stunde lang vergebens auf eine neue Erwähnung seiner Person gewartet hatte, zahlte er die Zeche und trat in die festlich beleuchtete kanopische Straße. Dort mischte er sich unter die jubelnde Menge und suchte, langsam vorwärtsschreitend, mißmutig und beunruhigt den verschwundenen Liebling.
Fünfundzwanzigstes Kapitel
Antinous irrte, um den Gebieter zu suchen, unter der Menge umher.
Wo er zwei besonders große Männergestalten sah, ging er ihnen nach; aber immer nur, um bald zu finden, daß er einer falschen Fährte gefolgt sei.
Ernste und andauernde Anstrengungen waren nicht seine Sache, und so gab er denn, sobald er zu ermüden begann, das Suchen auf und setzte sich auf eine steinerne Bank im Paneumgarten nieder.
Zwei zynische Philosophen mit zerzausten Haaren, struppigem Bart und zerrissenen Mänteln auf dem frierenden Leibe, setzten sich neben ihn und ergingen sich in lauten Schmähworten über die Huldigung, die heute den äußeren Dingen und gemeinen Genüssen widerfuhr, sowie über die elenden Sinnenknechte, die statt der Tugend Lust und Glanz für den Endzweck des Daseins erklärten.
Um von den Umstehenden gehört zu werden, sprachen sie mit lauter Stimme, und der Ältere schwang dabei den knorrigen Stock so heftig, als hätte er sich gegen den Angriff eines wütenden Feindes zu verteidigen.
Antinous fühlte sich von dem häßlichen Aussehen, der rohen Art und den kreischenden Stimmen dieser Leute verletzt.
Als er, auf den die Rede der Zyniker besonders gemünzt zu sein schien, sich erhob, schmähten sie ihm nach und verspotteten seinen Aufzug und sein gesalbtes Haar.
Der Bithynier entgegnete nichts auf ihre Scheltreden. Sie waren ihm widerwärtig; doch dachte er, daß sie den Kaiser vielleicht ergötzt hätten.
Gedankenlos schlenderte er weiter. Die Straße, in der er sich befand, mußte zum Meere führen, und hatte er dies einmal erreicht, konnte er die Lochias auch nicht mehr verfehlen.
Als es dunkelte, kam er denn auch an das Torhüterhäuschen und erfuhr hier von Frau Doris, daß der Römer und Pollux noch nicht zurückgekehrt wären.
Was sollte er allein in dem weiten, öden Palast?
Waren denn heute nicht sogar die Sklaven frei?
Warum konnte er nicht auch einmal ungebunden und auf sich selbst gestellt das Leben genießen?
Ganz erfüllt von dem Wohlgefühl, sein eigener Herr zu sein und auf selbstgewählten Wegen zu wandern, schritt er vorwärts. Als er an der Bude eines Kranzhändlers vorbeikam, begann er wieder lebhafter an die schöne, bleiche Selene und an den Strauß zu denken, der sich nun längst in ihren Händen befinden mußte.
Heute morgen hatte er von Pollux gehört, daß die Tochter des Verwalters in einem kleinen Hause unweit des Meeres im Garten der Witwe des Pudens von Christen gepflegt würde. Ja, der Bildhauer war sehr lebhaft geworden, als er ihm erzählt hatte, daß er in das erleuchtete Zimmer geschaut und sie gesehen hätte. Sie sei ein herrliches Geschöpf, hatte er gerufen, und schöner wäre sie ihm niemals vorgekommen, als in der ruhenden Stellung auf dem weißen Lager.
Antinous erinnerte sich jetzt dieses Berichtes und wollte den Versuch wagen, die Jungfrau, deren Bild ihm Herz und Sinn erfüllte, wiederzusehen.
Es war dunkel geworden, und das gleiche Licht, das dem Bildhauer gestattet hatte, in Selenes Züge zu schauen, konnte sie an diesem Abend auch ihm zeigen.
Sehnsuchtsvoll erregt stieg er in die erste Sänfte, die ihm begegnete.
Ihre schwarzen Träger waren ihm viel zu langsam, und mehr als einmal warf er ihnen so viel Geld zu, wie sie sonst kaum in der Woche verdienten, um sie zu rascherem Laufe anzutreiben. Endlich erreichte er sein Ziel; als er aber sah, daß mehrere weißgekleidete Männer und Frauen in den Garten traten, befahl er den Schwarzen, ihn weiter zu tragen.
Bei einer schmalen dunklen Gasse, die die Ostseite des großen Grundstücks der Witwe des Pudens nach Osten hin begrenzte und zum Meere hinführte, ließ er halten, stieg aus der Sänfte und befahl den Trägern, auf ihn zu warten.
Vor dem Gartentor fand er wieder zwei weißgekleidete Männer und einen der zynischen Philosophen, die mit ihm auf der Bank beim Paneum gesessen.
Ungeduldig schritt er auf und nieder, um das Verschwinden dieser Leute abzuwarten und durchschritt dabei häufig das Licht der an der Pforte befestigten Fackeln.
Die weit hervortretenden Augen des dürren Zynikers waren überall, und sobald er den auf und nieder schreitenden Bithynier bemerkt hatte, warf er den knochigen Arm in die Luft und rief, indem er mit dem langausgestreckten Zeigefinger auf ihn hinwies, halb den Christen, mit denen er geredet hatte, halb dem Jüngling zu:
»Was will der Geck, der aufgeputzte Hansnarr? Ich kenne den Burschen! Mit der glatten Larve und dem silbernen Köcher auf der Schulter meint er, er sei die Liebe in eigener Person. Fort da, du Ratte! Die Frauen und Jungfrauen hier drinnen wissen sich vor Straßenläufern in rosenfarbigen Lappen zu hüten. Fort da, sonst machst du mit den Sklaven und Hunden der edlen Paulina Bekanntschaft. He, Torhüter, he! Gib ein wenig acht auf den Burschen.«
Antinous entgegnete nichts auf diese Drohung, sondern zog sich langsam nach der Sänfte zurück.
Vielleicht morgen, wenn es heute nicht geht, dachte er beim Vorwärtsschreiten und sann auf kein neues Mittel, das Ziel, nach dem er sich so innig sehnte, zu erreichen.
Das Hindernis, das sich ihm in den Weg stellte, war kein Hindernis mehr, sobald er ihm aus dem Weg ging, und wie schon häufig, so handelte er auch heute nach dieser Erwägung.
Die Sänfte stand nicht mehr da, wo er sie verlassen. Ihre Träger waren mit ihr in die zum Meer führende Gasse getreten; denn das einzige an ihrer östlichen Seite gelegene Häuschen gehörte einem Fischer, dessen Frau dünnes pelusinisches Bier ausschenkte. Antinous ging auf den mit gebogenen Feigenästen bedeckten Spaliergang zu, unter dem die Schwarzen beim matten Licht einer dampfenden Öllampe saßen, um sie zu rufen.
Es war finster in der Gasse; doch an ihrem Ende schimmerte hell das vom Mondlicht beglänzte Meer. Das Geplätscher der Wogen lockte ihn an, und so schlenderte er bis an das steinige Ufer vorwärts. Als er dort einen Kahn bemerkte, der sich zwischen zwei Pfählen schaukelte, kam es ihm in den Sinn, es könne vielleicht möglich sein, das Haus, in dem Selene weilte, von der Seeseite her zu erblicken.
Die Seile, die das Boot festhielten, ließen sich ohne Schwierigkeit lösen.
Er tat es, setzte sich in den Nachen, legte Köcher und Bogen hinein, stieß ihn mit einem der Riemen, die auf dem Boden des Fahrzeugs lagen, vom Lande ab und fuhr mit gleichmäßigen Ruderschlägen dem langen Lichtstreifen entgegen, mit dem der Mondschein die Spitzen der leicht bewegten Wellen wie mit ruhelos zitternden Silberflittern verbrämte.
Dort lag der Garten der Witwe des Pudens!
In dem weißen Häuschen da drüben mußte wohl die schöne, bleiche Selene ruhen; aber obgleich er hierhin und dorthin, vorwärts und rückwärts ruderte, wollte es ihm doch nicht gelingen, das Fenster zu erspähen, von dem ihm Pollux erzählt.
War es nicht möglich, eine Stelle zu finden, bei der er anlegen und von der aus er in den Garten gelangen konnte?
Da lagen zwei Kähne; der vermauerte kleine Kanal, in dem sie ruhten, war indes durch ein eisernes Gittertor verschlossen.
Die in das Meer vorgebaute und mit einem Geländer von zierlichen Säulchen umgebene Plattform dort hatte hohe, glatte, steil in das Wasser abfallende Wände. Aber das, was unter den beiden, aus der gleichen Wurzel schlank hervorgesprossenen Palmen glänzte, war das nicht eine in die See hinabführende Treppe von hellem Marmor?
Antinous senkte das rechte Ruder in die Wellen, um mit geübter Hand seinem Fahrzeug eine neue Richtung zu geben. Dabei verkleinerte er den Winkel des gebogenen Armes, um die Handhabe des Ruders, das das Wasser zurückdrängte, an sich zu ziehen. Aber er führte diese Bewegung nicht zu Ende, ja, er hob durch einen nach der entgegengesetzten Richtung hin geführten Ruderschlag ihre Wirkung auf; denn eine seltsame Erscheinung fesselte seine Aufmerksamkeit.
Auf der vom Monde hell beleuchteten Plattform zeigte sich eine weißgekleidete Gestalt mit langen, wallenden Haaren. Wie sonderbar sie sich bewegte!
Bald schwankte sie hierhin, bald dorthin, bald blieb sie stehen und hob die Hände bis zum Haupte empor.
Antinous schauderte; denn er mußte an die Dämonen denken, von denen der Kaiser oftmals redete. Sie sollten halb zum Geschlechte der Menschen, halb zu dem der Götter gehören und sich zuweilen den Sterblichen zeigen.
Oder war Selene gestorben und die weiße Gestalt da oben ihr schwankender Schatten?
Antinous schmiegte die Finger fester um die Handhaben der beiden nun über dem Wasser schwebenden Riemen und starrte, weit vorgebeugt, mit tiefen Atemzügen auf das geheimnisvolle Wesen, das jetzt das Säulengeländer der Plattform erreichte, jetzt – er sah es deutlich – beide Hände auf das Angesicht preßte, jetzt sich tief über die Brüstung beugte und nun –
Wie in hellen Nächten ein Stern vom Himmel, wie im Herbst eine Frucht vom Baume fällt, so sank jetzt die weiße Frauengestalt von der Plattform nieder. Ein weher Angstschrei durchschnitt die Ruhe der stillen, die Welt mit ihrem Schleier bedeckenden Nacht, und beinahe im gleichen Augenblick klatschte und dröhnte das feuchte Element laut auf, und in tausend gen Himmel spritzenden Wassertropfen spiegelten sich, kühl und glänzend wie immer, die Strahlen des Mondes.
War das der schläfrige Träumer Antinous, der jetzt im Nu die Riemen ins Wasser stieß, sie kraftvoll an sich zog, und als die Gestalt der Ertrinkenden wenige Sekunden nach dem Sturze dicht neben dem Nachen auftauchte, die ihn hindernden Ruder von sich warf?
Weit über den Bord des Kahnes gebeugt, erfaßte er das Gewand der Ertrinkenden, die eine Frau war, kein Dämon oder Schatten, und zog sie zu sich heran. Es gelang ihm, sie hoch über dem Wasser zu halten; als er sie aber dem feuchten Bett zu entreißen und in den Kahn zu heben versuchte, wurde das Gewicht auf der einen Seite des Nachens zu schwer, das Fahrzeug schlug um und Antinous glitt in die See.
Ihm nach stürzte der silberne Köcher und Bogen.
Der Bithynier war ein guter Schwimmer.
Bevor die weiße Gestalt von neuem zu sinken vermochte, hatte er sie wiederum mit der Rechten ergriffen und trieb sie, indem er Sorge trug, daß ihr Haupt den Spiegel des Wassers nicht mehr berührte, und indem er mit dem linken Arme und den Füßen die Wellen zerteilte, nach derjenigen Stelle hin, an der er ein Treppchen zu sehen vermeinte.
Sobald seine Füße festen Grund fanden, nahm er die Gerettete in beide Arme.
Ein freudiges »Ah!« tönte von den Lippen, als die marmornen Stufen dicht vor ihm lagen.
Ungesäumt erstieg er sie und schritt dann mit der nassen, leblosen Bürde schnell und elastisch der Plattform entgegen, auf der er Ruhebänke bemerkte.
Die breite, mit glatten Marmorfliesen belegte Oberfläche des stattlichen, in das Meer hineingebauten Altanes war hell beleuchtet, und das Weiß des Gesteines verstärkte das Licht der Strahlen des Mondes mit der eigenen Leuchtkraft.
Da standen die Ruhebänke, die Antinous schon von fern erblickt hatte.
Auf die erste ließ er seine Last nieder, und ein Gefühl von dankbarer Freude durchbebte warm seinen frierenden Körper, als die aus dem Wasser Gezogene einen leisen, schmerzlichen Laut ausstieß, der ihn lehrte, daß er nicht vergebens gehandelt.
Behutsam schob er den Arm zwischen die harte Seitenlehne der marmornen Bank und ihr Haupt, um dies weicher zu betten.
Volles Haar bedeckte in nassen Strähnen ihr Antlitz wie ein dichter, zerrissener Schleier.
Da strich er es erst nach der rechten, dann nach der linken Seite hin langsam zurück, und jetzt – jetzt sank er, als habe ihn ein aus dem blauen Himmel niederzuckender Blitzstrahl getroffen, vor ihr auf die Knie; denn das waren ihre, das waren Selenes Züge, und das bleiche Weib, vor dem er hier kniete, war sie, die er liebte!
Außer sich, zitternd vom Scheitel bis zur Sohle, zog er sie mit der Rechten zu sich heran, um sein Ohr ihrem Munde zu nähern, um zu lauschen, ob er sich nicht getäuscht habe, ob sie nicht dennoch ein Opfer der Fluten geworden, um zu prüfen, ob kein warmer Hauch den Weg über ihre kühlen, bleichen, regungslosen Lippen fand.
Ja, sie atmete, sie lebte!
In dankbarer Erregung schmiegte er seine Wange an die ihre.
O wie kalt sie war, wie eisig, wie todeskalt!
Die Fackel ihres Lebens war im Verglimmen, aber er wollte, er konnte, er durfte sie nicht erlöschen lassen, und so besonnen, so rasch und entschlossen wie der tatkräftigste unter den Männern hob er sie wieder in die Höhe, legte sie, als wäre sie sein Kind, auf beide Arme und trug sie zu dem Hause, dessen weiße Wand aus dem Buschwerk hinter der Plattform hervorschimmerte.
Das Lämpchen in dem Zimmer Frau Hannas, das Selene vor kurzem verlassen, brannte noch immer; vor dem Fenster, aus dem sein matter Schein in die Mondnacht hinausflimmerte, lagen die Blumen, deren Duft der Kranken weh getan hatte, samt dem Tonkruge Hannas auch jetzt noch am Boden.
War dieser Strauß sein eigenes Geschenk?
Vielleicht.
Aber das erleuchtete Gemach, in das er schaute, konnte kein anderes sein als das Krankenzimmer, das ihm durch die Erzählung des Bildhauers bekannt war.
Die Pforte des Hauses stand offen und auch die des Gemaches, in dem er ihr Lager bemerkt hatte, war unverschlossen.
Nun schlug er die Tür mit dem Fuß zurück, drang in das Zimmer und legte Selene auf das Bett.
Da ruhte sie wie eine Verstorbene, und als er ihr in die stillen, von dem Ernst eines großen Schmerzes geweihten Züge schaute, erfaßte ein Kummer, ein Mitleid, eine Rührung ohnegleichen sein Herz, und wie ein Bruder zu der schlummernden Schwester, neigte er sich zu Selene hinab und küßte ihr die Stirn.
Da regte sie sich, schlug die Augen auf, starrte ihm ins Antlitz, und dabei war ihr Blick so voll von Entsetzen, so wirr, so gläsern und unheimlich, daß er schaudernd von ihr zurücktrat und mit erhobenen Händen nur leise zu stammeln vermochte:
»O Selene, Selene, erkennst du mich nicht?«
Ängstlich schaute er bei dieser Frage der Geretteten ins Antlitz; sie aber schien ihn nicht zu hören, und es regte sich nichts an ihr als die Augen, die langsam jeder seiner Bewegungen folgten.
»Selene!« rief er noch einmal, erfaßte ihre schlaff niederhängende Hand und zog sie heftig an die Lippen.
Da jammerte sie laut auf, ein Schauder schüttelte ihr den Leib, ächzend und stöhnend wandte sie sich um, und im gleichen Augenblick wurde die Tür geöffnet, die verwachsene Maria trat in das Zimmer und stieß einen gellenden Angstschrei aus, als sie Antinous bei dem Lager der Freundin erblickte.
Der Jüngling schrak zusammen, und wie ein Dieb, der bei einem Raube überrascht wird, floh er in die Nacht hinaus, durch den Garten, und ohne aufgehalten zu werden bis zu der auf die Straße führenden Pforte.
Hier trat ihm der Torhüter entgegen; er aber warf ihn mit einem kräftigen Stoße zurück, und als der in seinem Amt ergraute Mann ihn, während er die Pforte aufstieß, an dem nassen Chiton festhielt, rannte der Jüngling weiter. Ein Stück zog er den Verfolger mit sich fort und stürmte dann wie beim Wettlauf im Gymnasium in langen Sätzen die Straße hinunter. Erst als er fühlte, daß der Mann, in dessen Hand ein Teil seines Kleides zurückgeblieben war, es aufgegeben hatte, ihm nachzueilen, schöpfte er Atem.
Das Geschrei des Pförtners mischte sich in den frommen Gesang der im Landhause der Witwe Paulina versammelten Christen, von denen einige hinauseilten, um den Friedensstörer festzuhalten.
Aber der junge Bithynier war schneller als sie und durfte sich für völlig geborgen halten, nachdem es ihm gelungen war, sich in einen Festzug zu drängen. Halb freiwillig, halb gezwungen folgte er der trunkenen Schar, die von dem Innern der Stadt aus der See zustrebte, um an ihrem Ufer auf einer einsamen Stelle östlich von Nikopolis nächtliche Mysterien zu feiern.
Das Ziel des singenden, heulenden, tobenden Schwarms, bis zu dem Antinous mit fortgerissen wurde, lag zwischen Alexandria und Kanopus und war weit von der Lochias entfernt. So kam es, daß Mitternacht längst vorbei war, als der Günstling mit zerrissenen Kleidern, beschmutzt und außer Atem seinem Gebieter endlich wieder entgegenzutreten vermochte.
Sechsundzwanzigstes Kapitel
Hadrian hatte Antinous seit mehreren Stunden erwartet, und die Ungeduld und der Unwille, die ihn schon so lange erfüllten, spiegelten sich deutlich genug auf seiner ingrimmig zusammengezogenen Stirn und in dem drohenden Blick seiner Augen wieder.
»Wo warst du?« herrschte er Antinous zu.
»Ich konnt' euch nicht finden, und da nahm ich einen Kahn und fuhr in die See.«
»Du lügst.«
Antinous zuckte statt jeder Antwort die Achseln.
»Allein?« fragte Hadrian milder.
»Ja.«
»Zu welchem Zweck?«
»Ich sah in die Sterne.«
»Du?«
»Darf ich nicht auch einmal ihre Bahnen verfolgen?«
»Warum nicht? Die Lichter da oben leuchten so gut für Narren wie für Weise. Auch Esel werden unter guten oder schlechten Sternen geboren. Das eine Grautier erwirbt ein hungriger Grammatiker und füttert's mit verbrauchtem Papyrus, das andere kommt in den Dienst des Kaisers und wird gemästet und findet Zeit, des Nachts nach dem Himmel zu schauen. Wie du aussiehst!«
»Der Kahn schlug mit mir um, und ich fiel ins Meer.«
Hadrian erschrak, und als er das wirre Haar des Lieblings, in dem der Nachtwind das Salzwasser getrocknet hatte, und seinen zerrissenen Chiton bemerkte, rief er besorgt:
»Gleich gehst du und läßt dich von Mastor trocknen und salben. Der kam auch zurück wie ein geprügelter Hund und mit geröteten Augen. Es stellt sich alles auf den Kopf an diesem verwünschten Abend. – Du siehst aus wie ein Sklave, der mit Doggen gehetzt ward. Trink einige Becher Wein und dann lege dich nieder.«
»Wie du befiehlst, großer Cäsar.«
»So feierlich? Mein Esel hat dich geärgert.«
»Du wußtest sonst freundlichere Worte für mich zu finden.«
»Und ich finde sie wieder, finde sie wieder. Nur heute nicht; geh jetzt zu Bett.«
Antinous entfernte sich; der Kaiser aber ging mit langen Schritten, indem er die Arme über der Brust kreuzte und finster zu Boden schaute, in dem Gemache auf und nieder. Sein abergläubischer Sinn fühlte sich tief beunruhigt in einer Reihe von bösen Zeichen, die ihm nicht nur in der letzten Nacht am Himmel, sondern auch auf dem Wege zur Lochias begegnet waren und sich jetzt schon zu erfüllen begannen.
In übler Stimmung hatte er die Garküche verlassen. Die schlimmen Vorbedeutungen ängstigten ihn; wenn er aber nach seiner Heimkehr Dinge getan hatte, die ihm jetzt schon mißfielen, so hatten diese sicher keine bösen Dämonen, sondern sein von Besorgnis vor ihnen umdüsterter Sinn verschuldet.
Äußere Einflüsse waren es freilich gewesen, die ihn zum Zeugen eines gegen das Haus eines reichen Israeliten gerichteten Überfalls der erregten Menge gemacht hatten, und einem ärgerlichen Ungefähr war es zuzuschreiben, daß er bei dieser Veranlassung mit Verus zusammengetroffen war, der ihn bemerkt und erkannt hatte.
Die bösen Geister trieben heute ihr Spiel, aber das, was er später auf der Lochias tun und erleben sollte, das wäre gewiß an einem glücklicheren Tage oder vielmehr bei ruhigerer Stimmung seines Gemüts ungeschehen geblieben, daran war er selbst schuld, er allein und kein schlimmes Ungefähr, keine Tücke hämischer Dämonen. Hadrian schrieb freilich diesen alles zu, was er getan hatte, und hielt es darum für unabänderlich. Gewiß ein gutes Mittel, sich der lästigen Pflicht zu entziehen, ein begangenes Unrecht wieder gut zu machen; aber das Gewissen ist eine Tafel, in die eine geheimnisvolle Hand jede unserer Taten unbeschönigt einträgt, und auf der alles, was wir begehen, schonungslos beim rechten Namen genannt wird.
Manchmal gelingt es wohl, die sie bedeckende Schrift für kurze oder längere Zeit zu verwischen und zu verdunkeln, oftmals aber leuchten die Lettern in dieser Tafel mit unheimlich hellem Glanze auf und nötigen das innere Auge, sie zu schauen und zu beachten.
Hadrian fühlte sich in dieser Nacht gezwungen, die Aufzeichnung seiner Handlungen zu lesen, und unter ihnen befand sich manche blutige Untat, mancher kleinliche, auch eines weit geringeren Mannes unwürdige Frevel; aber die Schrift in der Tafel erzählte auch von streng erfüllter Pflicht, von redlicher Arbeit, von rastlosem Ringen nach großen Zielen und dem nie ermüdenden Streben, die Fühlfäden des Geistes bis zu den fernsten, für das menschliche Sinnen und Denken noch erreichbaren Grenzen auszustrecken.
In dieser Stunde dachte Hadrian nur an seine üblen Taten und gelobte den Göttern, über die er mit den philosophischen Freunden spottete und an die er sich dennoch wandte, so oft er das Unzureichende seiner Kräfte und Mittel empfand, hier einen Tempel zu bauen, dort Opfer schlachten zu lassen, um alte Verbrechen zu sühnen und den Groll des Himmels zu beschwichtigen.
Es war ihm zu Sinne wie einem Großen, den die Ungnade seines Gebieters bedroht und der ihn durch Geschenke für sich zu gewinnen versucht. Der mutige Römer ängstigte sich vor unbekannten Gefahren, aber von dem heilsamen Schmerze der Reue blieb er völlig verschont.
Vor kaum einer Stunde hatte er sich selbst vergessen und seine Macht gegen einen Schwächern schmählich mißbraucht. Es verdroß ihn ernstlich, so und nicht anders gehandelt zu haben; aber es kam ihm nicht in den Sinn, seinen Stolz zu demütigen und durch eine dem Gekränkten bewilligte Genugtuung das verübte Unrecht stillschweigend einzugestehen.
Oft fühlte er tief seine menschliche Schwäche, aber es war ihm auch möglich, an die Göttlichkeit seiner kaiserlichen Person zu glauben, und das gelang ihm stets am leichtesten, wenn er jemand, der kühn genug gewesen war, ihn zu verletzen oder seine Überlegenheit nicht anzuerkennen, zertreten hatte.
Verhängten nicht auch die Himmlischen die schwersten Strafen über ihre Verächter?
Heute hatte der sterbliche Jupiter wieder einmal einen allzu kühnen Erdensohn mit seinem Donnerkeil zu Boden geschmettert, und sein Opfer war diesmal der Sohn des Torhüterpaares gewesen.
Der Bildhauer hatte freilich das Unglück gehabt, Hadrians empfindlichste Stelle unsanft zu berühren; aber man verwandelt sich nicht so schnell aus einem freundlich gesinnten Gönner in einen schonungslosen Gegner, wenn man nicht, wie das bei dem Kaiser der Fall war, sich gewöhnt hat, aus einer Stimmung in die andere zu springen, und wenn man nicht sich der Macht bewußt ist, den Willen zum Guten und Bösen sofort in Taten umzusetzen.
Das Können des Bildhauers hatte dem Kaiser Achtung eingeflößt, sein frisches, unbefangenes Wesen ihm anfänglich zugesagt und ihn belustigt; aber schon während seiner Wanderung mit ihm durch die Straßen war ihm die dreiste Art, mit der sich der junge Mann ihm gleichstellte, unbequem geworden.
In seiner Werkstätte sah er in Pollux nur den Künstler und freute sich seiner vollsaftigen, übersprudelnden Kraft; außerhalb derselben, unter Menschen gewöhnlichen Schlages, von denen er Ehrfurcht zu ernten gewohnt war, erschien ihm sein Reden und Sein unziemlich, frech, schwer zu ertragen.
Beim Garkoch hatte der kräftige Esser und Trinker, der ihn neckend anhielt, auch seinerseits wacker einzuhauen, um dem Wirte nichts zu schenken, den Kaiser mit Abneigung erfüllt.
Als Hadrian sodann, verstimmt und von üblen Vorzeichen geängstigt, ohne Antinous auf die Lochias zurückgekehrt war und auch dort den Liebling nicht gefunden hatte, war er ungeduldig in der Musenhalle auf und nieder gegangen und hatte es verschmäht, dem Bildhauer, der laut hinter seinen Schranken wirtschaftete, ein Willkommen zu bieten.
Auch für Pollux waren die letzten Stunden nichts weniger als angenehm verlaufen.
Als er, um Arsinoe wiederzusehen, bis an die Schwelle der Verwalterwohnung durchgedrungen war, hatte Keraunus ihm den Weg vertreten und ihn mit schnöden Worten heimgesandt.
In der Musenhalle hatte er den Meister gefunden und war mit ihm in einen heftigen Streit geraten; denn Papias, dem er den Dienst von neuem kündigte, hatte ihm schnöden Undank vorgeworfen und ihm zornig befohlen, eigene Werkzeuge sogleich von dem seinen zu sondern, dies zu ihm zurückzubringen und sich in Zukunft sowohl von seinem Hause, als auch von den Arbeiten auf der Lochias fernzuhalten.
Schlimme Worte waren dabei von beiden Seiten gefallen, und als Pollux, nachdem der frühere Lehrherr den Palast verlassen hatte, den Baumeister Pontius zu suchen begann, um mit ihm über seine Zukunft zu reden, erfuhr er, daß der Architekt sich vor kurzem entfernt hatte und erst am nächsten Morgen wiederkehren wollte.
Nach kurzem Besinnen hatte er nun den Entschluß gefaßt, dem Befehle des Papias zu folgen und die eigenen Werkzeuge zusammengepackt.
Ohne die Anwesenheit des Kaisers zu bemerken, hatte er diese Hämmer, Modellierhölzer und Meißel in einen, jene in einen anderen Kasten geworfen, und war dabei so schonungslos verfahren, als sei er gewillt, die unschuldigen Geräte für die bösen Dinge, die ihm selbst widerfuhren, zu strafen.
Zuletzt war ihm die von Hadrian geformte Büste Balbillas ins Auge gefallen.
Die häßliche Fratze, über die er gestern gelacht hatte, ärgerte ihn heute, und nachdem er sie minutenlang aufmerksam betrachtet hatte, wallte das Blut ihm auf, und jählings riß er eine Latte von dem Verschlage und schlug mit ihr so wütend auf das Zerrbild los, daß der trockene Ton zersprang und die Trümmer weithin durch die Werkstätte flogen.
Der wilde Lärm hinter des Bildhauers Schranken hatte den Kaiser veranlaßt, die Wanderung zu unterbrechen und nachzusehen, was der Künstler dort treibe. Unbemerkt war er dem Zerstörungswerke gefolgt. Er hatte den Künstler gewähren lassen; doch der Zorn hatte ihm die Brauen zusammengezogen, eine blaue Ader inmitten der Stirn hoch aufgetrieben und ihm drohende Falten über die Augen gefurcht.
Der große Meister der Staatskunst hätte es leichter ertragen, sich einen schlechten Regenten nennen zu hören, als seine Kunstleistungen verachten zu sehen.
Wer sicher empfindet, Großes geleistet zu haben, der lächelt über den Tadel; wer sich aber ungewiß fühlt, hat Grund, ihn zu fürchten und läßt sich leicht hinreißen, denjenigen zu hassen, der das Verdammungsurteil ausspricht.
Hadrian hatte vor Zorn gezittert und seine Faust sich geballt, als er dicht an Pollux herangetreten war und ihn mit grollender Stimme gefragt hatte:
»Was soll das?«
Der Bildhauer hatte sich nach dem Kaiser umgeschaut und indem er die Latte zu einem neuen Streiche erhob, entgegnet:
»Ich schaffe die Fratze dort aus der Welt, weil sie mich ärgert.«
»Komm her!« schrie der Kaiser, griff mit der nervigen Hand in den Gürtel, der den Chiton des Bildhauers umgab, zog den Überraschten vor seine Urania, riß ihm die Latte aus der Rechten, schlug der kaum vollendeten Bildsäule die Schulter vom Rumpfe und rief dabei, indem er die Stimme des Jünglings nachäffte:
»Ich schaffe dies Stümperwerk aus der Welt, weil es mich ärgert.«
Dem Künstler sanken die Arme.
Befremdet, entrüstet starrte er den Zerstörer seiner wohlgelungenen Arbeit an und rief ihm ins Antlitz:
»Verrückter, nun ist es genug. Noch ein Schlag, und du machst mit meinen Fäusten Bekanntschaft.«
Hadrian lachte kalt und schneidig auf, warf Pollux die Latte vor die Füße und sagte:
»Urteil gegen Urteil; so ist es gerecht.«
»Gerecht?« schrie Pollux außer sich. »Dein elendes Pfuschwerk, das mein schielender Lehrbursch so gut gemacht haben könnte wie du, und dieser in einer Feierstunde entstandene Körper! Pfui über dich! Aber noch einmal, du rührst mir die Urania nicht wieder an, sonst sollst du erfahren . . .«
»Was?«
»Daß man in Alexandria Graubärte nur so lange schont, wie sie es verdienen.«
Hadrian kreuzte die Arme, trat ganz nahe an Pollux heran und sagte:
»Vorsichtig, Bursch, wenn das Leben dir lieb ist.«
Pollux trat vor dem gewaltigen Manne zurück, und wie Schuppen fiel es ihm von den Augen.
Die Marmorstatue des Kaisers im Cäsareum zeigte den Herrscher in dieser Stellung. Der Baumeister Claudius Venator war Hadrian und kein anderer.
Der junge Künstler erbleichte, und gesenkten Hauptes und mit leiser Stimme sagte er, indem er sich zum Gehen umwandte:
»Der Mächtigere behält immer recht. Laß mich fort. Ich bin nur ein armer Künstler – du bist etwas anderes. Jetzt weiß ich's: du bist der Kaiser.«
»Der bin ich,« knirschte Hadrian, »und wenn du als Künstler dich mehr dünkst als ich, so werd' ich dir zeigen, wer von uns beiden der Spatz ist und wer der Adler.«
»Du hast die Macht, mich zu vernichten, und ich will ja . . .«
»Der Einzige, der hier zu wollen hat, bin ich,« rief der Herrscher. »Und ich will, daß du diesen Palast nicht mehr betrittst und mir nicht wieder unter die Augen kommst, so lange ich hier bin. Was mit deiner Sippschaft werden soll, will ich bedenken. Kein Wort mehr! Fort, sag' ich, und danke den Göttern, daß ich den Frevel unreifer Wichte manchmal milder hinnehme, als du dich vermessen hast, das Werk eines Größeren zu beurteilen, obgleich du wußtest, daß er es in einer müßigen Stunde mit wenigen Griffen spielend formte. Hinaus, Bursch! Meine Sklaven werden dein Bildwerk da vollends zerschlagen, weil es kein besseres Los verdient und weil es – wie sagtest du gleich? Ja, nun weiß ich's – und weil es mich ärgert!«
Ein trockenes Lachen schallte dem Jünglinge nach, als er die Halle verließ.
Bei der in tiefem Dunkel liegenden Eingangspforte fand er seinen Meister Papias, dem nichts von allem entgangen war, was sich zwischen ihm und dem Kaiser ereignet.
Als Pollux bei Frau Doris eintrat, rief er ihr zu:
»O Mutter, Mutter! Welch ein Morgen und welch ein Abend! Das Glück ist nichts als die Schwelle des Unglücks.«
Siebenundzwanzigstes Kapitel
Während Pollux mit der betrübten Mutter auf die Heimkehr Euphorions wartete, und der Bildhauer Papias sich in die Gunst des Kaisers schlich, indem er sich das Ansehen gab, Hadrian immer noch für den Baumeister Claudius Venator zu halten, hatte Aurelius Verus, den die Alexandriner den »falschen Eros« nannten, ernste Dinge erlebt.
Am Nachmittag war er bei der Kaiserin gewesen, um sie zu veranlassen, wenn auch unerkannt das heitere Treiben des Volkes mit anzusehen; Sabina aber war mißmutig, erklärte leidend zu sein und versicherte, daß der Lärm der tobenden Menge sie ums Leben bringen würde.
Wer, sagte sie, einen so lebhaften Berichterstatter habe, wie sie in Verus, der könne es sparen, sich dem Staube, dem Qualm der Stadt und dem Gebrüll der Menschen in eigener Person auszusetzen.
Sobald Lucilla den Gatten bat, seiner Würde zu gedenken und sich wenigstens nicht in der Nacht unter die erregten Scharen zu mischen, beauftragte die Kaiserin ihn geradezu, alles in Augenschein zu nehmen, was das Fest Bemerkenswertes biete und besonders eifrig acht auf solche Dinge zu haben, die eigentümlich alexandrinisch und in Rom nicht zu finden wären.
Nach Sonnenuntergang besuchte Verus zuerst die Veteranen der zwölften Legion, die mit ihm gegen die Numidier ins Feld gezogen waren, und denen er als alten, lieben Kampfgenossen ein Gastmahl bei einem Garkoche gab.
Eine Stunde lang trank er mit den tapferen Graubärten. Dann verließ er sie, um die wenige Schritte vom Schauplatz der Gasterei entfernte kanopische Straße bei Nacht zu betrachten. Sie war mit Lichtern, Fackeln und Lampen hell erleuchtet, und die großen Häuser hinter den Kolonnaden prangten im reichsten Festschmuck; nur das schönste und stattlichste von allen zeigte keinerlei Ausputz.
Es gehörte dem Juden Apollodor.
In früheren Jahren hatten aus seinen Fenstern die schönsten Teppiche gehangen, war es ebenso reich mit Blumen und Lampen verziert gewesen wie die der anderen in der kanopischen Straße wohnenden Israeliten, die das heitere Fest mit den heidnischen Mitbürgern so munter feierten, als wären sie nicht weniger eifrig beflissen, dem großen Dionysus zu huldigen.
Apollodor hatte besondere Gründe, sich diesmal von allem fernzuhalten, was mit dem festlichen Treiben der Heiden zusammenhing. Ohne zu ahnen, daß ihn seine Enthaltsamkeit in ernste Gefahr stürzen könnte, verweilte er ruhig in seiner mit fürstlicher Pracht ausgestatteten Wohnung, die weit eher für einen Griechen, als für einen Israeliten hergestellt worden zu sein schien. Dies galt besonders von dem Männersaale, in dem Apollodor sich befand; denn die Gemälde an den Wänden und auf dem Fußboden dieses schönen Raumes, dessen halb geöffnete Decke von Säulen aus edlem Porphyr getragen wurde, bezogen sich auf die Liebe des Eros und der Psyche. Zwischen den Säulen standen die Büsten der größten heidnischen Philosophen, und im Hintergrunde des Saales war eine schöne Statue des Plato zu sehen.
Unter lauter Bildnissen, die Hellenen und Römer darstellten, befand sich nur eins eines Israeliten, und zwar das jenes Philo, dessen bedeutende und reine Züge denen des vornehmsten unter seinen griechischen Geistesverwandten glichen.
In diesem schönen, mit silbernen Lampen beleuchteten Raume fehlte es nicht an bequemen Polstern, und auf dem einen lag Apollodor, ein wohlerhaltener Fünfziger, und schaute mit den milden und doch klugen dunklen Augen einem stattlichen, hochbetagten Glaubensgenossen nach, der lebhaft redend vor ihm auf und nieder schritt. Dabei blieben die Hände dieses Greises niemals ruhig. Bald brauchte er sie zu raschen Bewegungen, bald um den langen, schneeweißen Bart zu streichen. Ein junger, hagerer Mann mit bleichen, äußerst regelmäßigen, fein geformten Zügen und rabenschwarzem Haar auf dem Haupt und am Kinn saß auf einem Ruhesitz dem Hausherrn gegenüber, schaute mit den dunklen, feurigen Augen zu Boden und zog mit dem Stabe Striche und Kreise über die Mosaikbilder des Estrichs, während der erregte Alte, sein Oheim, mit heftigem, glatt dahinrinnendem Redeflusse auf Apollodor eindrang.
Dieser schüttelte oft zu den Behauptungen des Greises den Kopf und trat ihnen auch manchmal mit kurzen Erwiderungen entgegen.
Es war leicht zu bemerken, daß Apollodor sich von dem, was er da hörte, peinlich berührt fühlte und daß diese so ganz verschiedenen Menschen einen Streit ausfochten, der zu keinem befriedigenden Ende führen konnte. Denn wenn sie auch die gleiche griechische Sprache redeten und sich zu derselben Religion bekannten, gingen sie doch bei allem, was sie fühlten und dachten, von so weit auseinanderliegenden Anschauungen aus, als wären sie aus grundverschiedenen Kreisen hervorgegangen.
Wenn zwei Kämpfer zu weit auseinanderstehen, schlagen sie einander auf die Waffen; doch es kommt nicht zu blutenden Wunden, zur Niederlage oder zum Siege.
Um des Greises und seines Neffen willen war das Haus Apollodors heute ungeschmückt geblieben; denn der Rabbi Gamaliel, der gestern aus Palästina bei den alexandrinischen Verwandten angekommen war, verdammte jede Gemeinschaft mit den Heiden und hätte gewiß die Wohnung des Gastfreundes verlassen, wenn er es gewagt hätte, um eines Festes der falschen Götter willen sein Haus zu schmücken. – Der Neffe Gamaliels, Rabbi Ben Jochai, genoß eines Ruhmes, der dem seines Vaters Ben Akiba nur um weniges nachstand. Wie dieser der größte Weise und Ausleger des Gesetzes, so war sein Erstgeborener der vorzüglichste Sternenkundige und beste Kenner der mystischen Bedeutung des Standes der Himmelslichter unter seinem Volke.
Den hochweisen Greis Gamaliel und den berühmten Sohn eines großen Vaters unter seinem Dache beherbergen zu dürfen, gereichte Apollodor, der sich in den Mußestunden gern mit gelehrten Dingen beschäftigte, zu hoher Ehre, und er hatte getan, was er vermochte, um ihnen den Aufenthalt in seinem Hause angenehm zu machen.
Ein mit allen Anforderungen des israelitischen Speisegesetzes vertrauter, streng jüdischer Küchensklave war besonders für sie gekauft worden und sollte während ihrer Anwesenheit an Stelle der griechischen Köche, deren er sich sonst bediente, am Herde walten und nur reine Speisen nach jüdischem Ritus bereiten.
Den erwachsenen Kindern Apollodors wurde verboten, während der Anwesenheit des berühmten Paares ihre griechischen Freunde ins Haus zu führen und über das Fest zu reden. Es sollte auch vermieden werden, sich im Gespräch der Namen heidnischer Götter zu bedienen; doch er selbst war der erste, der sich gegen diese Vorschrift versündigte.
Er wie alle seine alexandrinischen Glaubens- und Standesgenossen hatten eben griechische Bildung empfangen, fühlten und dachten in hellenischer Weise und waren nur dem Namen nach Juden geblieben; denn wenn sie auch statt an die Götter des Olymp, an den einigen Gott ihrer Väter glaubten, so war doch der Eine, zu dem sie beteten, nicht mehr der gewaltige, zürnende Gott ihres Volkes, sondern der die Welt bildende und beseelende Geist, den die Griechen durch Plato kannten.
Mit jeder neuen Stunde des Beisammenseins hatte sich die Kluft, die Apollodor von Gamaliel trennte, vergrößert, und das Verhältnis des Alexandriners zu dem Weisen aus Palästina war an Peinlichkeit gewachsen, nachdem es sich herausgestellt hatte, daß der mit dem Gastfreunde verwandte Greis den Neffen nach Ägypten begleitete, um für ihn die Tochter Apollodors zum Weibe zu begehren.
Aber die schöne Ismene war nichts weniger als geneigt, den ernsten, strenggläubigen Freier zu erhören. Die Heimat ihres Volkes erschien ihr wie ein barbarisches Land, der junge Gelehrte flößte ihr Furcht ein, und zu alledem war ihr Herz nicht mehr frei. Es gehörte dem Sohne des Alabarchen, des Mannes, der das Oberhaupt aller Israeliten in Ägypten war, und dieser Jüngling besaß die schönsten Rosse in der ganzen Stadt, hatte mit ihnen manchen Sieg im Hippodrom errungen und zeichnete sie vor den anderen Jungfrauen aus.
Wenn einem, so wollte sie ihm die Hand reichen.
Das hatte sie auch dem Vater erklärt, nachdem sie durch ihn von der Werbung Ben Jochais unterrichtet worden war, und Apollodor, der die Gattin vor mehreren Jahren verloren, besaß weder die Kraft noch den Willen, dem schönen Liebling Zwang anzutun.
Freilich wurde es der vermittelnden Natur des bequemen Mannes recht schwer, dem würdigen Greise ein entschiedenes »Nein« zu sagen; aber einmal mußte es dennoch gesprochen werden, und der heutige Abend schien ihm wohlgeeignet, diese unangenehme Aufgabe zu lösen.
Er befand sich ganz allein mit den Gästen.
Seine Tochter schaute im Hause einer Freundin dem bunten Treiben auf der Straße zu, seine drei Söhne waren, ausgegangen, sämtliche Sklaven hatten die Erlaubnis erhalten, bis um Mitternacht der Freiheit zu genießen, keine Störung war zu erwarten, und so fand er Mut, den Gästen nach mancher warmen Beteuerung seiner tiefen Verehrung zu eröffnen, daß er die Werbung Ben Jochais nicht zu unterstützen vermöge.
Sein Kind, sagte er, hänge zu fest an Alexandria, um es verlassen zu wollen, und seinem gelehrten jungen Freunde würde eine Frau wenig zusagen, die, an freiere Sitten und Gebräuche gewöhnt, sich schwer in einem Hause wohlfühlen könnte, in dem das Gesetz der Väter mit Strenge gehandhabt werde und in dem demzufolge keine freie Regung des Lebens Billigung fände.
Gamaliel hatte den Alexandriner ausreden lassen. Als dann sein Neffe sich anschickte, den Bedenken des Gastfreundes entgegenzutreten, schnitt ihm der Greis das Wort ab und sagte, indem er die leicht gebeugte Gestalt höher aufrichtete und mit der Hand über die blauen Adern und kleinen Falten auf der hohen Stirn strich:
»Im Kriege meines Volks gegen die Römer wurde unser Haus gelichtet, und aus dem Blute der Ahnen fand Ben Akiba in Palästina keine Jungfrau, die ihm würdig erschienen wäre, sie mit diesem da zu verbinden. Doch die Kunde von dem alexandrinischen Zweige unseres Stammes und seines Glückes war zu uns nach Judäa gedrungen. Nun dachte Ben Akiba es dem Abraham nachzutun, und sandte mich, seinen Elieser, in ein fremdes Land, um für seinen Isaak um die Tochter eines Blutfreundes zu werben. Wer dieser da ist, was er und sein Vater unter den Menschen gelten . . .«
»Ich weiß es,« unterbrach ihn Apollodor, »und durch nichts ist meinem Hause jemals größere Ehre widerfahren als durch eueren Besuch.«
»Und dennoch,« fuhr der Rabbi fort, »werden wir heimziehen, wie wir gekommen, und so geschieht nicht nur dir, sondern auch mir und dem, der mich sandte, der Wille; denn nach dem, was ich in der letzten Stunde von dir vernahm, müssen wir unsere Werbung zurückziehen. Unterbrich mich nicht! Deine Ismene verschmäht es, das Gesicht zu verschleiern, und es ist ja auch lieblich anzuschauen; – du nährtest ihr den Geist wie den eines Mannes, und so sucht sie denn die eigenen Wege. Das mag sich für eine Griechin schicken; im Hause Ben Akibas muß das Weib, wie das Schiff dem Steuer, ohne eigenen Willen dem Willen ihres Gatten folgen, und dieser fällt stets zusammen mit dem, was uns das Gesetz gebietet, dem ihr euch zu fügen verlerntet.«
»Wir erkennen seine Trefflichkeit an,« entgegnete Apollodor; »wenn aber die Gebote, die Mose auf dem Sinai empfing, auch Gültigkeit für alle sterblichen Menschen besitzen, so passen doch die Vorschriften, die weislich gegeben wurden, um das äußere Leben der Väter zu regeln, nicht mehr überall für die Kinder unserer Tage. Am wenigsten läßt es sich hier, wo wir, treu unserem alten Glauben, Griechen sind unter Griechen, nach ihnen leben.«
»Das seh' ich,« versetzte Gamaliel. »Selbst die Sprache, das Gewand der Gedanken, die Sprache der Väter, der Schrift, des Gesetzes habt ihr mit einer anderen vertauscht, gabt ihr für eine andere preis.«
»Auch du und dein Neffe reden griechisch.«
»Wir tun es hier, weil die Heiden, weil du und die deinen die Sprache Moses und der Propheten nicht mehr verstehen.«
»Überall, wohin auch der große Alexander seine Waffen trug, wird hellenisch geredet, und enthält denn die griechische Übersetzung der Schrift, die die siebenzig Dolmetscher unter Gottes Beistand verfaßten, nicht das gleiche wie der hebräische Grundtext?«
»Vertauschest du den von Bryaxis geschnittenen Stein an deinem Finger, den du mir gestern voller Stolz auf seinen Besitz zeigtest, mit einem Wachsabdrucke desselben Steines?«
»Die Sprache des Plato ist kein gemeiner Stoff, sondern so edel wie der kostbarste Saphir.«
»Aber die unsere stammt aus dem eigenen Mund des Höchsten. Wie nennst du das Kind, das die Sprache des Vaters mißachtet und nur auf den Nachbar hört, das sich, um die Gebote der Eltern zu verstehen, eines Dolmetschers bedient?«
»Du sprichst von Eltern, die vor langer Zeit das heimische Land verlassen haben. Der Ahn soll den Nachkommen nicht zürnen, die sich der Sprache der neuen Heimat bedienen, wenn sie nur fortfahren, in seinem Sinne zu handeln.«
»Es gilt nicht nur im Sinne, sondern nach den
»Ich war selbst einmal jung und halte es nicht für sündhaft, die allgemeine Freude zu teilen.«
»Sage lieber, die schmähliche Abgötterei der Dionysusverehrter. Nur noch dem Namen nach gehörst du, gehören die Deinen zu dem auserwählten Volke des Herrn; dem Wesen nach seid ihr Heiden!«
»Nein, Vater!« rief Apollodor lebhaft. »Umgekehrt ist das Verhältnis. Im Herzen sind wir Juden; doch wir tragen griechische Kleider.«
»Du heißest Apollodor – Geschenk des Apollon.«
»Ein Name, gewählt, um einen von dem anderen zu unterscheiden. Wer fragt wohl immer bei einem Worte, das angenehm klingt, nach der Bedeutung?«
»Du, ihr, jedermann, der nicht blöden Geistes ist,« rief der Rabbi. »Braucht denn, so denkt ihr, Zenodot oder Hermogenes, der Grieche, dem man im Bade begegnet, gleich zu wissen, daß der reiche Herr, mit dem er von der neuesten Auslegung hellenischer Mythen redet, ein Jude? Und wie angenehm ist euch der Mann, der euch fragt, ob ihr nicht aus Athen stammt; denn euer Griechisch habe einen so rein attischen Klang! Was uns selbst lieb ist, das gönnen wir auch unseren Kindern, und darum wählt ihr für sie die Namen, die eurer Eitelkeit schmeicheln.«
»Beim Herakles, Vater.«
Um den klugen Mund Gamaliels flog ein überlegenes, spöttisches Lächeln, und indem er den Alexandriner unterbrach, fragte er:
»Heißt ein besonders würdiger Mann unter unseren alexandrinischen Glaubensgenossen Herakles?«
»Niemand,« rief der Alexandriner, »denkt bei diesem Schwure an den Sohn der Alkmene; er bedeutet so viel wie wahrhaftig.«
»Freilich! – Ihr nehmt es eben mit den Worten und Namen nicht allzu genau, und wo es so viel zu sehen und zu genießen gibt wie hier, hält man die Gedanken nicht immer zusammen. Das ist begreiflich, ganz außerordentlich begreiflich! Man ist auch so höflich in dieser Stadt, daß man die Wahrheit gar zierlich bemäntelt. Darf ich, der Barbar aus Judäa, sie dir ohne Gewand, nackt und schmucklos vor die Augen führen?«
»Ich bitte dich, rede.«
»Juden seid ihr; doch möchtet ihr es lieber nicht sein und ertragt eure Herkunft wie ein unabwendbares Übel. Nur da, wo ihr die gewaltige Hand des Höchsten empfindet, erkennt ihr ihn an und nehmt das Recht in Anspruch, zu seinem auserwählten Volk zu gehören. Im glatten Lauf des Alltagslebens zählt ihr euch stolz zu seinen Feinden. Unterbrich mich nicht und beantworte offen, was ich dich frage. In welchem Augenblick deines Lebens fühltest du dich zur wärmsten Dankbarkeit gegen den Gott deiner Väter verpflichtet?«
»Warum sollt' ich's verschweigen? Damals, als mir meine geliebte verstorbene Gattin den Erstgeborenen schenkte.«
»Und ihr nanntet ihn?«
»Du weißt es ja, daß er Benjamin heißt.«
»Wie der Lieblingssohn des Erzvaters Jakob; denn in der Stunde, in der du ihn so benanntest, warst du der, der du bist, fühltest du dankbar, daß es dir vergönnt sei, in die Kette deines Geschlechts ein neues Glied zu fügen, warst du ein Jude und unser Gott gewiß, ja gewiß auch der deine. Die Geburt deines zweiten Sohnes griff dir schon weniger tief in die Seele, und du gabst ihm den Namen Theophilus. Als dir der letzte männliche Erbe geschenkt wurde, dachtest du gar nicht mehr an den Gott deiner Väter; denn er heißt ja nach einem heidnischen Götzen Hephästion. Alles in allem: Juden seid ihr, wenn der Herr euch am höchsten begnadigt oder am schwersten zu prüfen bedroht, Heiden zu jeder Zeit, wenn euch euer Pfad nicht über die höchsten Höhen und durch die tiefen Abgründe des Lebens führt. Ich kann euch nicht ändern; doch das Weib des Sohnes meines Bruders, die Tochter Ben Akibas, soll sich als Kind ihres Volkes fühlen am Morgen, Mittag und Abend. Ich suche für meinen Isaak eine Rebekka und keine Ismene.«
»Ich rief euch nicht zu uns,« versetzte Apollodor; »doch wenn ihr uns morgen verlaßt, so folgt euch unsere Verehrung. Denkt nicht schlechter von uns, weil wir uns vielleicht mehr als billig in das Tun und Denken des Volkes, unter dem wir groß wurden und in dessen Mitte es uns wohlergeht, eingelebt haben. Wir wissen, wie hoch unser Glaube über dem ihrigen steht. Im Herzen sind wir Juden; – sollen wir aber unsern Geist, den der Herr wahrlich nicht aus weniger feinem Stoffe schuf als den der anderen Völker, nicht zu schärfen, auszubilden und zu veredeln streben, wie und wo es nur angeht? Und in welcher Schule würde wohl das Denken besser und nach festeren Gesetzen erzogen als in der unseren – ich meine der der hellenischen Lehrer? Die Erkenntnis des Höchsten . . .«
»Diese Erkenntnis,« rief der Greis, indem er die Arme heftig bewegte, »die Erkenntnis des Höchsten und alles, was die lauterste Philosophie zu ergründen vermag, was die Gewaltigsten und Reinsten unter den Denkern, die du meinst, durch ernstes Sinnen und Grübeln nur immer zu erfassen vermögen, das hat schon jedes Kind in unserem Volke von seinem Gotte zum Geschenke erhalten. Die Schätze, die euere Weisen mühevoll suchen, wir besitzen sie in unserer Schrift, in unseren Geboten und unserem Sittengesetz. Wir sind das Volk der Völker, die Erstgeborenen des Herrn, und wenn aus unserer Mitte der Messias ersteht . . .«
»Dann,« unterbrach ihn Apollodor, »wird sich erfüllen, was ich mit Philo wünsche, daß wir Priester und Propheten sein werden für alle Nationen. Dann werden wir in Wahrheit ein priesterliches Volk sein, das berufen ist, auf alle Menschen den Segen des Höchsten herabzuflehen.«
»Für uns, für uns allein erscheint Gottes Gesandter, um uns aus Knechten zu Königen der Völker zu machen.«
Apollodor schaute dem erregten Greise verwundert ins Antlitz und fragte ungläubig lächelnd:
»Der gekreuzigte Nazarener war ein falscher Messias; wann aber wird der rechte erscheinen?«
»Wann er erscheinen wird?« rief der Rabbi. »Wann? Vermag ich es zu sagen? Eines nur weiß ich. Der Wurm erhebt jetzt schon den Stachel, um den, der ihn tritt, in die Ferse zu stechen. Hast du den Namen Bar Kochba vernommen?«
»Oheim,« unterbrach Ben Jochai die Rede des alten Rabbi, indem er sich von dem Sitze erhob, »sprich nicht aus, was dich reuen könnte.«
»Nicht doch,« entgegnete ihm Gamaliel ernst. »Was göttlich ist, ziehen diese hier zum Menschlichen hinab; doch sie sind keine Verräter.« Dann wandte er sich wieder an Apollodor und sagte:
»Die Gewaltigen in Israel errichten Götzenbilder an unseren heiligen Stätten, sie wollen das Volk von neuem zwingen, vor ihnen anzubeten; ehe aber lassen wir uns den Rücken zerbrechen, als daß wir ihn beugen.«
»Ihr denkt wiederum an eine gewaltsame Erhebung?« fragte der Alexandriner ängstlich.
»Antworte mir: Hast du den Namen Bar Kochba gehört?«
»Ja, als den eines verwegenen Führers bewaffneter Scharen.«
»Er ist ein Held, vielleicht der Erretter.«
»Und für ihn trugst du mir auf, in mein nach Zoppe segelndes Kornschiff Schwerter, Schilde und Lanzenspitzen zu laden?«
»Soll es dem Römer allein gestattet sein, Eisen zu tragen?«
»Nein; – doch es würde mir übel anstehen, den Freund mit Waffen zu rüsten, wenn er sie gegen einen übermächtigen Widersacher, der ihn sicher vernichtet, zu gebrauchen wünscht!«
»Der Herr der Heerschaaren ist stärker als tausend Legionen.«
»Hüte dich, Oheim!« rief Ben Jochai wiederum mit warnender Stimme.
Gamaliel wandte sich erzürnt nach dem Neffen um; bevor er aber die Mahnung des jüngeren Mannes zurückweisen konnte, schrak er zusammen; denn wildes Geheul und das Gedröhn von heftigen Schlägen, die das eherne Tor des Hauses erschütterten, drang in die Halle und hallte von den Marmorwänden wider.
»Sie überfallen mein Haus,« schrie Apollodor.
»Der Dank derer, für die du dem Gott deiner Väter die Treue brachst,« sagte der Alte dumpf. Dann erhob er Augen und Arme und rief: »Höre mich, Adonai! Meiner Jahre sind viel, und ich bin reif für die Grube; aber verschone diesen da – erbarme dich seiner!«
Ben Jochai streckte wie der Oheim die Arme in die Höhe, und die schwarzen Augen leuchteten ihm dabei düster glühend aus dem bleichen Antlitz.
Sein und des Rabbi Gebet waren kurz; denn die Gefahr rückte näher und näher.
Apollodor rang die Hände und schlug die Stirn mit der Faust.
Heftig, krampfhaft war jede seiner Bewegungen.
Die Angst beraubte ihn völlig der schönen, gemessenen Haltung, die er unter den hellenischen Mitbürgern angenommen hatte.
Indem er griechische Flüche und Beschwörungen unter Anrufungen des Gottes seiner Väter mischte, stürzte er hierhin und dorthin.
Er suchte die Schlüssel zu den unterirdischen Räumen seines Hauses; doch fand er sie nicht; denn der Schaffner hielt sie verwahrt, und wie alle seine Diener, vergnügte auch er sich auf der Straße oder in einer Schenke beim vollen Becher.
Jetzt stürzte der neu gekaufte jüdische Küchensklave, dem die Feier des dionysischen Festes ein Greuel war, in das Gemach und kreischte, indem er Haar und Bart zerraufte:
»Die Philister sind über uns gekommen. – Rette uns, Rabbi, großer Rabbi! Schreie du für uns auf zum Herrn, Mann Gottes! Sie kommen mit Stangen und Spießen, und sie werden uns zertreten wie Gras, und wie Heuschrecken, die man in den Ofen wirft, in diesem Hause verbrennen.«
In Todesangst wand sich der Sklave zu Gamaliels Füßen, die er mit den Händen umklammerte; Apollodor aber rief:
»Folgt mir! – Hinauf auf das Dach!«
»Nein, nein,« heulte der Sklave, »Amalek bereitet Feuerbrände, um sie in unsere Zelte zu werfen. Die Heiden springen und toben, die Flamme, die sie schleudern, wird uns verzehren. Rabbi, Rabbi, beschwöre du die Heerscharen des Herrn! Gott, gerechter, jetzt wird die Pforte gesprengt. Herr! Herr! Herr!«
Die Zähne des Geängstigten schlugen in schneller Folge klappernd aufeinander, und stöhnend und heulend bedeckte er die Augen mit den Händen.
Ben Jochai war völlig ruhig geblieben; doch zitterte er vor Ingrimm. Sein Gebet war vollendet, und mit tiefer Stimme sagte er, indem er sich an Gamaliel wandte:
»Ich wußte, daß es so kommen würde, und verschwieg es dir mit nichten. Unter schlechten Sternen begannen wir unsere Wanderung. Dulden wir nun, was der Herr über uns verhängte. An ihm wird es sein, uns zu rächen.«
»Die Rache ist sein,« wiederholte der Alte und verhüllte mit dem weißen Oberkleide das greise Haupt.
»In das Schlafgemach! Folgt mir! Verstecken wir uns unter die Betten!« schrie Apollodor, schleuderte den Koch, der die Knie des Rabbi umspannte, mit einem Fußtritte zurück und erfaßte die Schulter des Greises, um ihn mit sich fortzuziehen.
Aber es war zu spät; denn schon sprangen die Türen des Vorgemaches auf, und Waffengerassel ließ sich vernehmen.
»Verloren, alles verloren!« schrie Apollodor.
»Adonai, hilf, Adonai!« murmelte der Alte und schmiegte sich an den Neffen, der ihn um eines Hauptes Länge überragte und ihn, als wollt' er ihn schützen, mit der Rechten umfaßt hielt.
Die Gefahr, die das Leben Apollodors und seiner Gäste bedrohte, war dringend, und durch den Verdruß der erregten Menge über das ungeschmückte Haus des reichen Israeliten entstanden.
Tausendmal hatte ein Wort genügt, um das heiße Blut der Alexandriner zum Aufruhr zu entflammen, sie fortzureißen, die Schranken des Gesetzes zu durchbrechen und zum Schwert zu greifen.
Blutige Händel zwischen den heidnischen und den ihnen an Zahl gleichkommenden jüdischen Bewohnern des Ortes waren an der Tagesordnung, und diese traf nicht viel weniger oft als jene der Vorwurf, die Ruhe gestört zu haben.
Seitdem in mehreren Provinzen des Reiches, besonders in der Kyrenaika und auf Kyprus, die Israeliten sich mit grausamem Ingrimm auf die sie drückenden Mitbürger gestürzt hatten, war der Groll und das Mißtrauen der andersgläubigen Alexandriner gegen sie lebendiger geworden als in früheren Tagen.
Außerdem erfüllte der Wohlstand vieler und der große Reichtum einzelner Juden das Herz der ärmeren Heiden mit Neid und dem Wunsche, die Besitztümer derjenigen an sich zu reißen, die – das war nicht zu leugnen – mehr als einmal ihren Göttern mit offen zur Schau getragener Verachtung begegnet waren.
Gerade in den allerjüngsten Tagen hatten die Zwistigkeiten wegen der zu Ehren des kaiserlichen Besuches zu veranstaltenden Feste den alten Groll verschärft, und so konnte es geschehen, daß das schmucklose Haus des Apollodor in der kanopischen Straße das Volk zu einem Angriff auf die palastartige Wohnung des Juden reizte.
Wiederum war es ein einziges Wort gewesen, das die Wut der Menge entfesselt hatte.
Zuerst war der Gerber Melampus, ein in seinem Geschäft zurückgekommener Trunkenbold, an der Spitze seiner berauschten Zechgenossen die Straße hinuntergezogen und hatte, indem er mit dem Thyrsusstabe auf das völlig unausgeschmückte Haus wies, gerufen:
»Seht die nackte Baracke! Was der Jude sonst für den Schmuck der Straße ausgab, das scharrt er jetzt da drin in den Truhen zusammen!«
Dies Wort zündete und zog bald andere nach sich.
»Der Schuft bestiehlt unsern Vater Dionysus!« schrie ein zweiter Bürger; und ein dritter kreischte, indem er eine Fackel hoch hob:
»Nehmen wir ihm die Drachmen ab, die er dem Gotte abknausert; wir können sie brauchen!«
Der Wurstmacher Glaukus riß dem Nachbar das mit Pech gestreifte brennende Tau aus der Hand und brüllte:
»Mir nach! – Zünden wir ihm das Haus über dem Kopfe an!«
»Halt, halt!« rief ein Schuster, der für die Sklaven Apollodors arbeitete, indem er sich dem wütenden Metzger in den Weg stellte. »Vielleicht beklagen sie einen Toten da drin. Der Jude hatte sonst immer sein Haus geschmückt.«
»Nichts da!« entgegnete mit laut erhobener, heiserer Stimme ein Flötenbläser. »Der Sohn des alten Geizhalses zog vorhin mit lustigen Kumpanen und lockeren Dirnen durch das Bruchium, und der Purpurmantel flatterte lang hinter ihm her.«
»Laßt uns sehen, was röter ist, der phönizische Stoff des Jungen oder die Glut, die es gibt, wenn das Haus des Alten in Brand steht!« schrie ein magerer Schneider und schaute rückwärts, um sich über die Wirkung seines Witzes zu vergewissern.
»Laßt es uns versuchen!« tönte es aus einem, und dann aus manchem anderen Munde:
»Hinein in das Haus!«
»Der lumpige Geldprotz soll an den heutigen Tag denken!«
»Holt ihn heraus!«
»Reißt ihn auf die Straße!«
So rief es hier und da und dort unter der sich dichter und dichter zusammenballenden Menge.
»Reißt ihn heraus!« schrie nochmals ein ägyptischer Sklavenvogt, und sogleich kreischte eine Frau ihm diese Forderung nach. Dabei zog sie sich das Rehfell von der Schulter, schwang es über dem zerzausten schwarzen Haar in wirbelnden Kreisen und brüllte dann wütend: »Reißt ihn in Stücke!«
»Mit den Zähnen in Stücke,« schrie eine trunkene Mänade, die wie die meisten unter den zusammengelaufenen Leuten nicht das geringste von dem Anlaß wußte, der die Volkswut gegen Apollodor und sein Haus richtete.
Schon war man von Worten zu Taten übergegangen. Füße, Fäuste und Stöcke stampften, pochten, schlugen gegen das fest verschlossene eherne Tor des ungeschmückten Gebäudes, und ein vierzehnjähriger Schiffsjunge sprang einem großen schwarzen Sklaven auf die Schulter und versuchte eifrig, das Dach der Kolonnade zu ersteigen und die Fackel, die der Wurstmacher ihm reichte, in den unbedeckten Vorraum des schwer gefährdeten Hauses zu schleudern.
Achtundzwanzigstes Kapitel
Das Waffengerassel, das Apollodor und seine Gäste in dem Vorgemach vernommen, ging nicht von den Widersachern der Israeliten, sondern von römischen Kriegern aus, die den Gefährdeten Rettung brachten.
Verus war, als er, von dem Gastmahl der Veteranen kommend, mit einem Kriegstribunen der zwölften Legion und seinen britannischen Sklaven die kanopische Straße durchstreift hatte, von der zusammengelaufenen Menge, die das Haus Apollodors umlagerte, aufgehalten worden.
Der Prätor war diesem bei dem Präfekten begegnet und hatte ihn als einen der reichsten und klügsten Alexandriner kennen gelernt.
Der Angriff auf seinen Besitz empörte ihn; doch er würde sicher auch nicht müßig zugeschaut haben, wenn das gefährdete Haus statt dem angesehenen Mann, dem ärmsten und verachtetsten unter den Christen gehört hätte.
Jede Gesetzlosigkeit, jeder Eingriff in die bestehende Ordnung war dem Römer verhaßt und unerträglich, und er wäre nicht derjenige gewesen, der er war, wenn er müßig zugesehen hätte, daß der Pöbel mitten im Frieden das Eigentum und das Leben ruhiger und achtungswerter Bürger antastete.
Der zügellose, jeder erschlaffenden Lust ergebene Genußmensch war im Kriege und überall, wo es galt, ein ebenso umsichtiger wie mutiger Mann.
Jetzt erfuhr er, was die erregte Menge im Schilde führte, und sogleich sann er auf Mittel und Wege, ihr Vorhaben zu vereiteln.
Schon wurde an die Türe des Juden geschlagen, schon standen mehrere Burschen mit brennenden Fackeln auf dem Dache der Kolonnade. Was getan werden sollte, mußte im Augenblick geschehen, und zum Glück besaß Verus die Fähigkeit, rasch zu denken und zu handeln.
Mit wenigen entschiedenen Worten bat er seinen Begleiter, den Kriegstribunen Lucius Albinus, zu den Veteranen zu eilen und sie zu seiner Hilfe herbeizuführen. Dann befahl er seinen Sklaven, ihm mit ihren Kraftgestalten den Weg zum Tore des gefährdeten Hauses zu bahnen. In der kürzesten Zeit hatten sie diese Aufgabe gelöst; wie groß aber war sein Erstaunen, als er den Kaiser hier fand.
Hadrian stand mitten unter der Menge und riß gerade, als Verus erschien, dem wütenden Schneider die Fackel aus der Hand.
Gleich darauf befahl er mit weithin tönender Stimme den an kein kaiserliches Machtwort gewöhnten Alexandrinern, von ihrem unsinnigen Vorhaben abzulassen.
Pfeifen, Grunzen und höhnische Worte übertönten die Worte des Herrschers.
Als Verus mit den Sklaven an seine Seite gelangt war, hatten sich ihm schon einige trunkene Ägypter genähert, um Hand an den unwillkommenen Mahner zu legen.
Der Prätor trat ihnen in den Weg.
Zuerst flüsterte er Hadrian zu, Zeus regiere die Welt; ein Judenhaus zu retten, möge er Kleineren überlassen. In wenigen Augenblicken würden Soldaten erscheinen.
Dann rief er laut:
»Fort da, Sophist! Du gehörst ins Museum oder in den Serapistempel zu deinen Büchern, aber nicht unter verständige Leute. Hab' ich recht, ihr mazedonischen Bürger, oder hab' ich unrecht?«
Ein beifälliges Gemurmel erhob sich und verwandelte sich in ein lautes Gelächter, als Verus, nachdem Hadrian sich entfernt hatte, fortfuhr:
»Er hat einen Bart wie der Kaiser und gebärdet sich darum, als trüg' er den Purpur! Ihr tatet recht, ihn laufen zu lassen; denn seine Frau und Kinder warten auf ihn mit der Suppe.«
Verus hatte sich bei lustigen Abenteuern oft unter das Volk gemischt und verstand es, mit ihm zu verkehren. Gelang es ihm jetzt, es bis zum Eintreffen der Soldaten aufzuhalten, dann war das Spiel gewonnen.
Hadrian bewährte sich als Held, wo es galt; hier aber, wo kein Ruhm zu gewinnen war, überließ er Verus gern die Aufgabe, das Volk zu beruhigen.
Sobald er sich entfernt hatte, befahl der Prätor seinen Sklaven, ihn auf die Schultern zu nehmen.
Sein schönes, freundliches Antlitz überragte weithin die Menge.
Bald wurde er erkannt, und mehrere Stimmen aus dem Volke riefen:
»Der tolle Römer! Der Prätor! Der falsche Eros!«
»Der bin ich, mazedonische Bürger, der bin ich,« entgegnete Verus laut, »und ich will euch eine Geschichte erzählen.«
»Hört, hört!« – »Hinein in das Haus des Juden!« – »Später, später; gebt jetzt dem falschen Eros das Wort.« – »Ich schlag' dir die Zähne entzwei, Bub', wenn du nicht still bist!« schrie es in wütendem Durcheinander unter der Menge.
Die Neugier, den vornehmen Herrn reden zu hören, und die wenig begründete Wut des Volkes rangen minutenlang miteinander.
Endlich schien jene siegen zu wollen – der Lärm legte sich und der Prätor begann:
»Es war einmal ein Kind, das bekam zehn Schäfchen von Baumwolle geschenkt, niedliches Zeug, wie die alten Weiber auf dem Emporium es feil bieten.«
»Hinein, zu dem Juden! Wir brauchen keine Kindergeschichten.« – »Still da!« – »Gebt acht, von den Schafen geht der Römer gleich auf die Wölfe über.« – »Kein Wolf, eine Wölfin wird's werden!« schrie es laut aus dem Gedränge.
»Ruft nicht den zottigen Gesellen,« lachte Verus, »sondern hört mich lieber weiter. – Der Bub' stellte also die Schäfchen hübsch auf, eins neben das andere. Er war ein Weberssohn. Ist ein Weber unter euch? Du? Du? Und auch du da hinten? – Wär' ich nicht meines Vaters Kind, möcht' ich ein alexandrinischer Weber sein. Ihr braucht nicht zu lachen! Aber nun zurück zu den Schäfchen. – Die niedlichen Dinger waren alle schön weiß; nur eins hatte garstige schwarze Flecken, und es wollte dem Buben gar nicht gefallen. Da ging er an den Herd, ergriff eine glühende Kohle und wollte das kleine Untier verbrennen, um lauter schöne Schafe zu haben. Das Lämmchen fing auch Feuer, und gerade als der Brand das hölzerne Gerippe des Spielzeugs erfaßt hatte, da brauste der Zugwind durchs Fenster und trieb die Flamme auf die anderen Schäfchen hin, und im Nu waren sie alle in Asche verwandelt. Da dachte der Junge: Hätt' ich doch das häßliche Lamm in Ruhe gelassen! Womit soll ich jetzt spielen? Nun gab es auch Tränen. Aber es sollte noch schlimmer kommen; denn während der kleine Gesell sich die Augen trocknete, fraß die Flamme weiter und verzehrte den Webstuhl, die Wolle, den Flachs, die fertigen Zeugstücke, das ganze Haus seines Vaters, die Stadt, in der der Bube daheim war, und mit ihr, glaub' ich, sogar den Knaben selbst. – Nun, lieben Freunde und mazedonischen Bürger, denkt ein wenig nach. Wer von euch etwas besitzt, der versteht den Sinn meiner Geschichte.«
»Fort mit der Fackel!« kreischte die Frau eines Kohlenhändlers.
»Er hat recht; um des Juden willen bringt ihr die ganze Stadt in Gefahr!« schrie der Schuster.
»Die Unsinnigen haben schon Brände geschleudert.«
»Werft ihr da oben noch einmal, so schlag' ich euch die Knochen entzwei,« drohte ein Flachsverkäufer.
»Laßt denn das Brennen,« gebot der Schneider, »aber sprengt die Tür und holt den Juden heraus.«
Dieser Vorschlag erweckte einen Sturm des Beifalls, und die Menge drängte dem Hause des Israeliten entgegen.
Keiner hörte mehr auf Verus.
Dieser glitt von den Schultern der Sklaven nieder, stellte sich gerade vor das Tor Apollodors und rief:
»Im Namen des Kaisers, im Namen des Gesetzes! Laßt dies Haus unberührt.«
Die Mahnung des Römers klang sehr ernst, und der falsche Eros sah aus, als wäre es in dieser Stunde übel geraten, mit ihm zu spaßen.
Aber nur wenige hatten in dem allgemeinen Lärm seinen Befehl vernommen, und der heißblütige Schneider wagte es, Hand an seinen Gürtel zu legen, um ihn mit Hilfe der Genossen von der Tür fortzuziehen. Er sollte indes seine Kühnheit teuer bezahlen; denn die Faust des Prätors schlug ihm so wuchtig auf die Stirn, daß er wie vom Blitze getroffen zusammensank. Einer der Britannier schlug den Wurstmacher zu Boden, und es würde zu einem entsetzlichen Handgemenge gekommen sein, wenn dem bedrängten Römer nicht von zwei Seiten her Hilfe erschienen wäre.
Die Veteranen, unterstützt von mehreren Liktoren, erschienen zuerst, und bald darauf Benjamin, der älteste Sohn Apollodors, der mit den Zechgenossen durch die kanopische Straße gezogen war und nun sehen mußte, was dem Hause seines Vaters drohte.
Wie der Wind flüchtige Wolken, so zerteilten die Soldaten die Menge, und der junge Israelit zog den Genossen voran und brach und hieb sich mit dem schweren Thyrsusstabe so mutig und kräftig einen Weg durch das von plötzlicher Angst ergriffene Volk, daß er nur um weniges später als die Veteranen zu der Tür des väterlichen Hauses gelangte.
Die Liktoren pochten an die Pforte, und als niemand sie öffnete, sprengten sie die Riegel mit Hilfe der Soldaten, um in dem bedrohten Hause Wache zu halten und es vor der wütenden Menge zu schützen.
Der Tribun und Verus traten mit den Bewaffneten in die Wohnung des Juden und bald nach ihnen Benjamin mit seinen Freunden, jungen Griechen, mit denen er täglich im Bade oder im Gymnasium zusammenzutreffen pflegte.
Apollodor und seine Gäste bezeugten Verus ihre Erkenntlichkeit, und als die alte jüdische Schaffnerin, die aus einem Versteck unter dem Dach alles mitangesehen und gehört hatte, was vor dem Hause ihres Gebieters geschehen war, in das Männergemach trat und über den Beginn und das Ende des Aufruhrs Bericht erstattete, wurde der Prätor mit Danksagungen überhäuft. Mit wie glühenden Farben verstand es aber auch die Alte, ihre Erzählung zu schmücken.
Während sie noch sprach, kehrte Ismene, die schöne Tochter Apollodors heim, und nachdem sie dem Vater weinend vor Erregung um den Hals gefallen war, faßte die Schaffnerin sie bei der Hand, führte sie Verus zu und rief:
»Dieser edle Herr – der Segen des Höchsten sei über ihm! – hat das Leben aufs Spiel gesetzt, um das unsere zu retten. Dies schöne Gewand ließ er für uns zerreißen, und jede Tochter Israels sollte, wie ich es tue, seinen zerfetzten Chiton, der vor den Augen des Herrn köstlicher ist als das reichste Feierkleid, inbrünstig küssen.«
Die Alte preßte das Kleid des Prätor an den Mund und wollte Ismene nötigen, das gleiche zu tun, Verus aber duldete es nicht, sondern rief lachend:
»Wie kann ich das meinem Rocke gönnen! Halt' ich mich doch selbst kaum für würdig, von solchen Lippen berührt zu werden!«
»Küß ihn, küß ihn!« rief die Alte; der Prätor aber nahm das Haupt der errötenden Jungfrau zwischen die Hände, drückte ihr die Lippen mit einem keineswegs väterlichen Blick auf die Stirn und sagte heiter:
»Nun bin ich für alles reichlich belohnt, was mir für dich zu tun vergönnt war, Apollodor!«
»Wir, aber wir,« rief Gamaliel, »ich und meines Bruders erstgeborener Sohn, legen es in die Sand des großen Gottes unserer Väter, dir zu vergelten, was du an uns getan.«
»Wer seid ihr?« fragte Verus, den die Prophetengestalt des ehrwürdigen Greises und das durchgeistigte bleiche Haupt seines Neffen mit Bewunderung erfüllten.
Apollodor übernahm es, ihm mitzuteilen, wie hoch der Rabbi in der Kenntnis des Gesetzes und der Deutung der sich von Mund zu Mund fortpflanzenden Geheimlehre seines Volkes, der Kabbala, die Glaubensgenossen überrage, und wie weit Simeon Ben Jochai sämtlichen Sterndeutern seiner Zeit überlegen sei. Er sprach von dem vielbewunderten astrologischen Werke Sohar, dessen Verfasser der junge Mann war, und ließ nicht unerwähnt, daß Gamaliels Neffe sogar die Fähigkeit besitze, den Stand der Sterne in künftigen Nächten vorherzusagen.
Verus hörte Apollodor immer aufmerksamer zu und faßte Ben Jochai, der die lebhafte Rede des Gastfreundes mit manchem Einwande der Bescheidenheit unterbrach, scharf ins Auge.
Er hatte sich seines immer näher kommenden Geburtstages erinnert und daß der Stand der Gestirne in der ihm vorangehenden Nacht von Hadrian beobachtet werden würde. Was dieser den Kaiser lehrte, sollte über das Geschick seines Lebens entscheiden.
War die verhängnisvolle Nacht bestimmt, ihn dem höchsten Ziele seines Ehrgeizes näher zu bringen oder ihn von ihm zu entfernen?
Als Apollodor schwieg, reichte Verus dem jungen Gelehrten die Hand und sagte:
»Ich freue mich, einem Manne von deiner Bedeutung und mit deinem Wissen begegnet zu sein. Was gäb' ich darum, wenn ich nur wenige Stunden deine Kenntnisse besäße!«
»Sie sind die deinen,« entgegnete der Astrolog. »Verfüge über mein Wissen, meinen Fleiß, meine Zeit; lege mir Fragen vor, so viel du nur willst. Wir stehen so tief in deiner Schuld . . .«
»Ihr sollt mich nicht als euren Gläubiger betrachten,« unterbrach der Prätor den Gelehrten. »Nicht einmal Dank seid ihr mir schuldig. Erst nach eurer Rettung lernt' ich euch kennen, und ich trat keinem Menschen, sondern der Ordnung und dem Gesetz zu Gefallen der Menge und ihren Ausschreitungen entgegen.«
»Du warst gütig genug, uns zu schützen,« rief Ben Jochai, »so sei auch nicht so hart unsern Dank zu verschmähen.«
»Er ehrt mich, mein gelehrter Freund; bei allen Göttern, er ehrt mich,« entgegnete Verus. »Und in der Tat, es wäre wohl möglich, es könnte wohl sein . . . Willst du die Güte haben, mir zur Büste Hipparchs zu folgen? Mit Hilfe der Wissenschaft, die ihm so Großes verdankt, kannst du mir vielleicht einen wichtigen Dienst erweisen.«
Als beide Männer, abgesondert von den anderen Anwesenden, vor dem Marmorbildnis des großen Astronomen standen, fragte Verus:
»Weißt du, in welcher Weise der Kaiser die Schicksale der Menschen aus den Sternen vorauszubestimmen pflegt?«
»Genau.«
»Durch wen?«
»Durch Aquila, den Schüler meines Vaters.«
»Kannst du berechnen, was ihn die Gestirne in der dem dreißigsten Dezember vorausgehenden Nacht über das Schicksal eines Menschen lehren werden, der in eben dieser Nacht geboren wurde und dessen Horoskop ich besitze?«
»Diese Frage vermag ich nur mit einem bedingten Ja zu beantworten.«
»Was hindert dich, sie unbedingt zu bejahen?«
»Unvorhergesehene Erscheinungen am Himmel.«
»Treten solche häufig ein?«
»Nein, sie sind vielmehr ungewöhnlich.«
»Vielleicht ist auch mein Glück kein alltägliches, und ich bitte dich nun, für mich in Hadrians Weise zu berechnen, was in der angegebenen Nacht der Himmel demjenigen verkünden wird, dessen Horoskop dir morgen in aller Frühe mein Sklave überbringt.«
»Es soll mit Freuden geschehen.«
»Wann kannst du mit dieser Arbeit fertig sein?«
»Spätestens in vier Tagen; vielleicht auch noch früher.«
»Herrlich! Aber noch eins. Hältst du mich für einen Mann?«
»Hätt' ich Grund, dir dankbar zu sein, wenn du es nicht wärest?«
»Wohl denn, so verschweige mir nichts, auch nicht das Entsetzlichste, Grauenvollste, das andern das Leben vergiften und den Mut brechen könnte. Was du auch immer im Buche des Himmels liest, das Kleine und Große, Gute und Schlimme, verlang' ich zu hören.«
»Ich werde dir nichts, gar nichts verschweigen.«
Der Prätor reichte Ben Jochai die Rechte und drücke kräftig die zarte, schön geformte Hand des Juden.
Bevor er sich entfernte, verabredete er mit ihm, in welcher Weise er ihn von der Vollendung seiner Arbeit in Kenntnis zu setzen habe. Der Alexandriner, seine Gäste und Kinder begleiteten den Prätor bis an das Tor. Nur der junge Benjamin fehlte. Er saß mit den Freunden im Speisesaal seines Vaters und bewirtete sie zum Dank für die Hilfe, die sie ihm geleistet, mit edlem Wein.
Gamaliel hörte ihr Jauchzen und Singen, wies in das Gemach und sagte, indem er die Achseln zuckte und sich an den Gastfreund wandte: »Sie danken dem Gott unserer Väter in alexandrinischer Weise.«
Beim Hause Apollodors ward jetzt die Ruhe nur noch von dem festen Schritt der Liktoren und Soldaten unterbrochen, die bewaffnet vor ihm Wacht hielten.
In einer Nebenstraße begegnete der Prätor dem Schneider, den er zu Boden geschlagen hatte, dem Wurstmacher und anderen Anstiftern des Angriffs auf die Wohnung des Israeliten.
Man führte sie als Gefangene vor den Nachtstrategen.
Verus hätte ihnen von Herzen gern die Freiheit zurückgegeben, doch er wußte, daß der Kaiser morgen fragen würde, was mit den Unruhestiftern geschehen sei, und unterließ es darum.
Zu jeder anderen Zeit hätte er sie gewiß straflos nach Hause gesandt; jetzt aber wurde er von einem großen Wunsche beherrscht, der mächtiger war als seine Gutherzigkeit und sein Leichtsinn.
Neunundzwanzigstes Kapitel
Im Cäsareum erwartete der Oberkämmerer den Prätor, um ihn zu Sabina zu führen, die ihn trotz der späten Stunde zu sprechen wünschte.
Als Verus in das Gemach der Gönnerin trat, fand er sie in großer Erregung.
Sie lag nicht wie sonst in ihren Polstern, sondern durchmaß mit unweiblich langen Schritten das geräumige Zimmer.
»Gut, daß du kommst,« rief sie dem Prätor entgegen. »Lentulus will dem Sklaven Mastor begegnet sein, und Balbilla behauptet . . . aber es ist ja nicht möglich.«
»Sie glauben, der Kaiser sei hier?« fragte Verus.
»Haben sie es dir auch gesagt?«
»Nein. Ich halte mich nicht auf, wenn du rufst und es Wichtiges zu erzählen gibt. Also vorhin – aber du darfst nicht erschrecken.«
»Nur kein unnützes Gerede.«
»Vorhin begegnete mir, und zwar in eigener Person –«
»Wer?«
»Hadrian.«
»Und du irrst dich nicht, du hast ihn gesehen?«
»Mit diesen Augen.«
»Unerhört, nichtswürdig, schmählich!« rief Sabina so laut und heftig, daß sie vor dem kreischenden Ton der eigenen Stimme erschrak. Ihre dürre, hochgewachsene Gestalt zitterte vor Erregung, und dabei würde sie jedem anderen im höchsten Grade anmutslos, unweiblich und abschreckend erschienen sein; Verus aber war gewöhnt, sie von Kind an mit freundlicheren Augen anzusehen als andere Menschen, und sie tat ihm leid. Es gibt Frauen, die hinsinkenden Blumen, erlöschenden Lichtern oder verwehenden Schatten gleichen, und sie sind nicht die am wenigsten reizenden ihres Geschlechts; aber die starkknochige, steifnackige Sabina besaß nichts von der biegsamen Zartheit dieser lieblichen Wesen.
Die Hinfälligkeit, die sie zur Schau trug, stand ihr übel und kleidete sie besonders schlecht, wenn, wie in dieser Stunde, die herbe Schroffheit ihrer verbitterten Seele mit häßlicher Offenheit an den Tag trat.
Sie war tief empört über die Schmach, die der Gatte ihr antat.
Nicht zufrieden, ein von dem ihren gesondertes Haus für sich einrichten zu lassen, hielt er sich in Alexandria auf, ohne sie von seiner Ankunft zu benachrichtigen. Die Hände zitterten ihr vor Entrüstung, und mehr stammelnd als sprechend befahl sie dem Prätor, die beruhigende Arznei für sie zu bestellen.
Als er zurückkam, lag sie wieder auf dem Polster, wandte den Kopf nach der Wand und sagte klagend:
»Mich friert. Breite die Decke dort über mich aus. Ich bin ein elendes, mißhandeltes Wesen.«
»Du bist empfindlich und nimmst die Dinge zu schwer,« wagte der Prätor zu erwidern.
Da fuhr sie entrüstet auf, schnitt ihm das Wort ab und nahm mit ihm ein so scharfes Verhör vor, als ob er ein Angeklagter sei und sie der Richter.
Bald wußte sie, daß auch Verus dem Sklaven begegnet war, daß ihr Gatte auf der Lochias wohnte, daß er verkleidet an dem Feste teilgenommen und sich vor dem Hause Apollodors einer ernsten Gefahr ausgesetzt hatte.
Auch in welcher Weise der Israelit gerettet und wem ihr Freund in seiner Wohnung begegnet sei, ließ sie sich mitteilen und tadelte Verus mit bitteren Worten wegen des unverantwortlichen, närrischen Leichtsinns, mit dem er das Leben um eines elenden Juden willen aufs Spiel gesetzt und vergessen habe, daß er für das Höchste bestimmt sei.
Der Prätor hatte sie nicht unterbrochen. Jetzt beugte er sich zu ihr nieder, küßte ihr die Hand und sagte:
»Dein freundliches Herz sieht für mich voraus, was ich selbst nicht zu hoffen wage. Es schimmert etwas am Horizont meiner Zukunft. Ist es das Abendglühen meines untergehenden Glückes, ist es das Morgenrot künftiger, glänzender Tage? Wer kann es wissen? Ich warte geduldig ab, was verhängt ist. Die nächste Zeit muß es entscheiden.«
»Sie wird es und macht dieser Ungewißheit ein Ende,« murmelte Sabina.
»Ruhe jetzt und versuche zu schlafen,« bat Verus mit der seiner Stimme eigenen, zum Herzen gehenden Innigkeit. »Mitternacht ist vorbei, und der Arzt hat dir oft das lange Wachen verboten. Leb wohl, träume schön und bleibe dem Manne, was du dem Kinde und dem Jüngling gewesen.«
Sabina entzog ihm die Hand, die er ergriffen hatte, und sagte:
»Du darfst mich nicht verlassen! – Ich brauche dich! – Ich kann deine Gegenwart jetzt nicht entbehren.«
»Bis zum Morgen, immer, immer bleib' ich bei dir, wenn du es erlaubst.«
Die Kaiserin streckte ihm von neuem die Rechte hin und seufzte leise auf, als er die Lippen wiederum zu ihrer Hand niederneigte und sie lange auf ihr ruhen ließ.
»Du bist mein Freund, Verus, mein Freund; ja, ich weiß es«, unterbrach sie endlich das Schweigen.
»O Sabina, meine Mutter«, entgegnete er herzlich. »Wie hast du mich schon als Knabe mit Güte verwöhnt, und was kann ich tun, um dir für dies alles zu danken?«
»Bleibe mir, was du mir heute bist. Wirst du mir's auch bleiben, immer, zu jeder Zeit, wie sich dein Geschick auch gestalte?«
»Im Glück und im Unglück; immer derselbe, immer dein Freund, der das Leben für dich zu lassen bereit ist.«
»Trotz meines Gatten, immer, auch wenn du glaubst, meiner Gunst nicht mehr zu bedürfen?«
»Immer; denn ohne sie bin ich nichts, bin ich elend.«
Die Kaiserin schöpfte tief Atem und richtete sich hoch in den Kissen auf. Sie hatte einen großen Entschluß gefaßt und sagte langsam und indem sie jedes Wort gewichtig betonte:
»Wenn nichts Unerhörtes in deiner Geburtsnacht am Himmel vorgeht, dann bist du unser Sohn, so wirst du Hadrians Nachfolger und Erbe; ich schwör' es.«
Es lag etwas Feierliches in ihrer Stimme, und ihre kleinen Augen hatten sich weit geöffnet.
»Sabina, Mutter, Schutzgeist meines Lebens!« rief Verus und ließ sich vor ihrem Lager auf die Knie nieder.
Bewegt schaute sie ihm in das schöne Antlitz, legte die Hände an seine Schläfen und drückte ihm die Lippen auf das dunkle Haar.
In ihren trockenen, der Tränen ungewohnten Augen leuchtete ein feuchter Glanz, und so weich und bittend, wie sie nie jemand hatte sprechen hören, sagte sie:
»Auch im Glück, auch nach der Adoption, auch im Purpur wird zwischen uns alles bleiben wie heute. Wird es? Sage mir, wird es?«
»Immer, immer!« rief Verus, »und wenn unser Wunsch sich erfüllt . . .«
»Dann, dann« unterbrach ihn Sabina und ein Frost überlief sie, »dann bleibst du mir dennoch, was du mir heute bist; aber freilich, freilich – die Tempel werden leer, wenn die Sterblichen nichts mehr zu wünschen haben.«
»O nein, man bringt alsdann den Himmlischen Dankopfer dar,« entgegnete Verus und schaute zu der Kaiserin auf; Sabina aber wich seinem lächelnden Blick aus und rief abwehrend und ängstlich:
»Kein Spielen mit Worten, kein leeres Reden und Spaßen! Um der Götter willen, jetzt nicht! Denn diese Stunde, diese Nacht ist unter ihresgleichen dasselbe, was der geweihte Tempel unter den Häusern, ja, was die wärmende Sonne unter den andern Lichtern des Himmels. – Du weißt nicht, wie ich mich fühle, ich weiß es ja selbst kaum! Jetzt, nur jetzt keine leeren Worte!«
Verus schaute Sabina mit wachsendem Erstaunen an.
Sie hatte sich gegen ihn stets gütiger gezeigt als gegen die übrigen Menschen, und er fühlte sich durch Bande der Dankbarkeit und schöner Kindheitserinnerungen mit ihr verbunden. Schon als Knabe war er unter den Gespielen der einzige gewesen, der, weit entfernt sie zu fürchten, sich an sie geschlossen hatte. Aber so? Wer hatte Sabina wohl jemals so gesehen?
War das die herbe, bittere Frau, deren Herz mit Galle erfüllt zu sein schien, deren Zunge wie ein Dolch jeden verletzte, gegen den sie sich wandte? War das Sabina, die ihm wohl freundlich gesinnt war, aber sonst niemand liebte, nicht einmal sich selbst?
Sah er recht, oder täuschte er sich?
Tränen, echte, rechte, unverfälschte Tränen füllten ihr Auge ihr, als sie nun fortfuhr:
»Da lieg' ich, ein armes, kränkelndes Weib; so empfindlich an Seele und Leib, als wär' ich mit Wunden bedeckt. Jede Berührung, selbst die des Blickes und der Stimme der meisten Menschen tut mir weh. Ich bin alt, viel älter, als du denkst, und so elend, so elend, ihr könnt es alle nicht ahnen! Nicht als Kind, nicht als Jungfrau bin ich glücklich gewesen, und als Frau, – ewige Götter, – jedes gütige Wort, das Hadrian mir gönnte, hab' ich mit tausend Demütigungen bezahlt.«
»Er begegnet dir stets mit hoher Achtung,« unterbrach sie Verus.
»Vor euch, vor den Leuten! Aber was frag' ich nach Achtung! Ich darf von Millionen Verehrung, Anbetung fordern, und sie wird mir zuteil. Liebe, Liebe, ein wenig selbstlose Liebe begehr' ich, und wüßt' ich nur sicher, dürft' ich nur hoffen, daß du sie mir schenkst, dann wollt' ich dir danken mit allem was ich habe, dann sollte diese Stunde gesegnet sein vor allen andern Stunden.«
»Wie kannst du an mir zweifeln, Mutter, meine innig geliebte Mutter!«
»Das tat wohl, das tat gut,« entgegnete Sabina. »Deine Stimme ist mir niemals zu laut, und ich glaube dir, darf dir glauben. Diese Stunde macht dich zu meinem Sohne, macht mich zur Mutter.«
Rührung, das Herz erweichende Rührung belebte Sabinas verdorrtes Gemüt und leuchtete ihr aus den Augen.
Ihr war zumute wie der jungen Frau, die ein Kind gebar, und der des Herzens Stimme mit wonnigen Tönen zusingt: »Es lebt, es ist mein eigen, und ich – ich bin eines Menschen Vorsehung, bin eine Mutter.«
Glückselig schaute sie Verus ins Antlitz und rief ihm zu:
»Gib mir die Hand, mein Sohn, hilf mir auf; denn ich will nicht mehr liegen. Wie wohl mir zumute ist! Ja, das ist die Wonne, die anderen Weibern beschert wird, bevor sie ergrauen! Aber Kind, lieber, einziger Junge, ganz wie eine Mutter darfst du mich doch nicht lieben! Zu zärtlichem Getändel bin ich zu alt, aber ich ertrüg' es auch nicht, wenn du mir gar nichts gewährst als lauter kindliche Ehrfurcht. Nein, nein, du sollst mein Freund sein, dem das Herz sagt, was ich begehre, der heute mit mir lachen, morgen mit mir trauern kann, und dem ich ansehe, daß er sich freut, wenn sein Blick mir begegnet. Du bist nun mein Sohn, und bald sollst du's auch heißen. Für einen Abend war das genug des Guten. Kein Wort mehr! Diese Stunde ist wie das vollendete Meisterwerk eines Malers. Jeder Strich, den man hinzufügt, kann seine Schönheit verderben. Du darfst mir die Stirn küssen, ich küsse die deine, und nun geh' ich zur Ruhe, und morgen, wenn ich erwache, dann werde ich mir sagen, daß ich etwas besitze, für das es wert ist zu leben, – ein Kind, einen Sohn!«
Als die Kaiserin allein war, erhob sie die Hand, um zu beten, doch fand sie keine Worte des Dankes.
Wohl hatte sie eine Stunde reinen Glücks genossen, aber wie viele Tage, Monden und Jahre der Freudlosigkeit und des Leides lagen hinter ihr!
Sobald die Erkenntlichkeit ihr freundlich an die Seele pochte, regte sich sogleich auch der bitterste Trotz. Was wollte eine gute Stunde neben einem verdorbenen Dasein bedeuten?
Törichtes Weib! Es hatte niemals Liebe gesät und schalt nun die Götter karg und grausam, weil sie ihm bis dahin versagt hatten, Liebe zu ernten. Und auf welchen Boden war das Korn ihrer mütterlichen Zärtlichkeit gefallen?
Wohl verließ Verus sie froh und reich an Hoffnung, wohl hatte Sabinas verändertes Wesen ihm das Herz bewegt, – wohl war er willens, auch nach der Adoption treu an ihr zu hängen; seine Augen glänzten, aber doch nicht wie die eines beglückten Sohnes, sie funkelten vielmehr wie die eines Kämpfers, der hoffen darf, den Sieg zu erringen.
Seine Gemahlin war trotz der späten Stunde noch nicht zur Ruhe gegangen.
Sie hatte gehört, daß er nach seiner Heimkehr zur Kaiserin berufen worden sei, und wartete nicht ohne Besorgnis auf ihn; denn sie war nicht gewohnt, von Sabina Freundliches zu erfahren.
Der rasche Schritt ihres Gemahls hallte laut an den steinernen Wänden des schlummernden Palastes wieder.
Sie vernahm ihn von fern und schritt Verus bis zur Schwelle entgegen.
Strahlend, erregt, mit geröteten Wangen streckte er ihr beide Hände entgegen.
Sie war so schön in dem Nachtgewand von feinem weißem Gewebe, und sein Herz war so voll, daß er sie so hingebend zärtlich ans Herz zog wie an dem ihrer Hochzeit folgenden Abend; auch sie liebte ihn heute nicht weniger als damals, und empfand zum hundertstenmal mit dankbarem Glück, daß der treulose Wildfang doch immer wieder wie ein die Länder durchschweifender Schiffer in den heimischen Hafen, in ihre Arme, an ihr unwandelbar treues Herz zurückkehrte.
»Lucilla« rief er, indem er den Hals von ihren Armen befreite, »o Lucilla, das war eine Nacht! Ich beurteilte Sabina immer anders als ihr, und habe dankbar empfunden, daß sie mir wohl will. Jetzt ist alles rein zwischen ihr und mir! Sie nannte mich ihren lieben Sohn und sich meine Mutter. Ich will es ihr danken, und der Purpur, der Purpur ist unser! Du bist die Gattin des Cäsar Verus, du bist es gewiß, wenn keine Wunderzeichen den Kaiser erschrecken!«
Mit raschen Worten, aus denen nicht nur der Übermut des glücklichen Spielers, sondern auch Rührung und Dankbarkeit klang, schilderte er ihr alles, was er bei Sabina erlebte.
Seine frische, zuversichtliche Freudigkeit brachte ihre Bedenken, ihre Furcht vor dem Ungeheuren, das ihr winkend und doch drohend näher und näher trat, zum Schweigen.
Vor dem staunenden Auge sah sie den geliebten Mann, sah sie den Sohn auf dem Kaiserthrone, und sich selbst mit dem weithin strahlenden Diadem des Weibes geschmückt, das sie mit aller Kraft ihrer Seele haßte.
Die freundliche Gesinnung des Gemahls gegen die Kaiserin, die treue Anhänglichkeit, die ihn seit der Kindheit an sie knüpfte, beunruhigten sie nicht; aber die Frauen gönnen dem Manne ihrer Wahl jedes Glück, jedes Geschenk, nur nicht das der Liebe eines andern Weibes, und sie vergeben einem solchen eher Haß und Verfolgung als diese Liebe.
Lucilla war tief erregt, und ein Gedanke, den sie seit Jahren in dem tiefsten Schrein des Herzens verschlossen hatte, erwies sich heute stärker als die Kraft, ihn zurückzuhalten.
Hadrian galt für den Mörder ihres Vaters, aber niemand vermochte mit Sicherheit zu behaupten, ob er oder ein anderer den edlen Nigrinus getötet.
In dieser Stunde erregte ihr der alte Verdacht mit erneuter Heftigkeit die Seele, und indem sie die Rechte wie zum Schwur erhob, rief sie:
»O Schicksal, Schicksal! Mein Gatte der Erbe des Mannes, der mir den Vater ermordet!«
»Lucilla!« fiel ihr Verus ins Wort, »dies Gräßliche zu
»Nigrinus war der Großvater dieser Kinder,« rief die Römerin mit flammenden Augen.
»Das heißt, du möchtest ihnen den Wunsch in die Seele flößen, deinen Vater an dem Kaiser zu rächen!«
»Ich bin des Erdrosselten Tochter!«
»Aber du kennst nicht den Mörder, und der Purpur muß doch wohl mehr wiegen als
Als Verus mit seinen Fackeln tragenden Sklaven durch den Garten des Cäsareums schritt, sah er Licht in dem Zimmer, das die Dichterin Balbilla bewohnte, und munter rief er hinauf:
»Guten Abend, schöne Muse!«
»Gute Nacht, falscher Eros.«
»Du schmückst dich mit fremden Federn, Poetin,« entgegnete er lachend. »Nicht du, sondern die bösartigen Alexandriner erfanden diesen Namen.«
»O, und noch schönere,« rief sie herunter. »Was ich heute alles zu sehen und zu hören bekam: es ist nicht zu glauben.«
»Und du wirst es in deinen Gedichten verwerten?«
»Nur einiges, und zwar in dem Spottliede, das ich gegen dich zu richten gedenke.«
»Ich zittere.«
»Hoffentlich vor Freude. Mein Gedicht verheißt, deinen Namen auf die Nachwelt zu bringen.«
»Das ist wahr, und je bösartiger deine Verse ausfallen, je sicherer werden die Folgegeschlechter denken, Verus sei der Phaon der Sappho Balbilla gewesen, und verschmähte Liebe habe die sanfte Sängerin mit Ingrimm erfüllt.«
»Dank für diese Warnung. Heute bist du übrigens sicher vor meinen Versen; denn ich bin zum Umsinken müde.«
»Du hast dich auf die Straße gewagt?«
»Es war ungefährlich; denn ich hatte einen sicheren Begleiter.«
»Darf man fragen?«
»Warum nicht? Der Architekt Pontius ging mit uns.«
»Er kennt die Stadt.«
»Und in seiner Begleitung würde ich mich getrauen, wie Orpheus in den Hades zu steigen.«
»Glücklicher Pontius!«
»Glückseligerer Verus!«
»Wie soll ich dies Wort verstehen, reizende Balbilla?«
»Den armen Baumeister läßt man sich als guten Führer gefallen, dir aber gehört das ganze Herz deiner schönen Gattin Lucilla.«
»Und ihr das meine, soweit es Balbilla nicht ausfüllt. Schlafe gut, spröde Muse.«
»Schlafe schlecht, du unverbesserlicher Plagegeist,« rief das Mädchen und zog schnell den Vorhang zusammen.
Dreißigstes Kapitel
Dem Schlaflosen, den ein Unglück betraf, erscheint das zukünftige Leben, so lange die Nacht ihn umgibt, wie ein Meer ohne Grenzen, in dem er als Schiffbrüchiger umhertreibt; wenn aber das Dunkel weicht, zeigt ihm der neue freundliche Tag einen rettenden Kahn in der Nähe und in der Ferne gastliche Küsten.
Auch der arme Pollux hatte mit offenen Augen und manchem schweren Seufzer dem Morgen entgegengewacht; denn es wollte ihm scheinen, als hätte ihm der gestrige Abend die ganze Zukunft verdorben.
Die Werkstätte seines früheren Meisters war ihm verschlossen, und er besaß nicht einmal mehr alle Werkzeuge, die er zur Übung seiner Kunst bedurfte.
Gestern hatte er mit freudiger Zuversicht gehofft, sich auf eigene Füße stellen zu können, – heute erschien ihm dies unmöglich; denn ihm fehlten dazu die unentbehrlichsten Hilfsmittel.
Als er sein Geldbeutelchen, das er unter das Kopfkissen zu legen pflegte, betastete, mußte er trotz alles seines Kummers lächeln; denn seine Finger versanken tief in das schlaffe Leder und fanden nichts als zwei Münzen, von denen er leider wußte, daß sie aus Kupfer bestanden, und den getrockneten Brustknochen eines Huhnes, den er den kleinen Nichten mitbringen wollte.
Woher sollte er nun das Geld nehmen, das er der Schwester sonst am Ersten eines jeden Monats brachte.
Papias war mit allen Bildhauern der Stadt, denen er schöne Gastmähler zu geben pflegte, befreundet, und es ließ sich erwarten, daß er sie vor ihm warnen und es ihm, wie er nur konnte, erschweren würde, eine neue Gehilfenstelle zu finden.
Sein alter Meister war Zeuge der gegen ihn gerichteten Wut des Kaisers gewesen und ganz der Mann, das Erlauschte gegen ihn zu benutzen.
Es gereicht niemand zur Empfehlung, von den Mächtigsten gehaßt zu werden, und am wenigsten gegenüber denen, die Gunst und Gaben von den Großen der Erde erwarten.
Wenn Hadrian es für gut hielt, aus der Verborgenheit hervorzutreten, konnte es ihm auch leicht in den Sinn kommen, ihn seine Macht fühlen zu lassen.
Tat er nicht klug, wenn er Alexandria verließ und in irgendeiner andern Griechenstadt Arbeit und Brot suchte?
Aber um Arsinoes willen konnte er dem Heimatsorte den Rücken nicht kehren.
Er liebte sie mit der ganzen Leidenschaft seiner Künstlerseele, und der frische Mut hätte ihm gewiß nicht so schnell und tief getrübt werden können, wenn es ihm möglich gewesen wäre, sich zu verhehlen, daß die Hoffnung, sie zu besitzen, durch die Ereignisse des gestrigen Abends in weite Ferne gerückt worden war.
Wie durfte er es wagen, sie an sein unsicheres und bedrohtes Schicksal zu fesseln?
Welcher Empfang erwartete ihn wohl bei ihrem Vater, wenn er jetzt versuchte, sie von ihm zum Weibe zu begehren?
So oft diese Gedanken sich seiner Seele bemächtigten, wollt' es ihm vorkommen, als wäre ihm Staub ins Auge geflogen, sah er sich gezwungen, aus dem Bette zu springen, sein Kämmerchen mit langen Schritten zu durchmessen und die Stirn an die kühle Wand zu drücken.
Die Dämmerung des neuen Tages erschien ihm wie ein willkommener Tröster, und als er die Morgensuppe gegessen hatte, die die Mutter ihm mit verweinten Augen vorsetzte, kam ihm der Gedanke, sich an den Baumeister Pontius zu wenden. Das war der Kahn, der ihm winkte!
Frau Doris teilte das Frühmahl des Sohnes, sprach ganz gegen ihre Gewohnheit sehr wenig und strich Pollux nur manchmal über die Locken.
Der Sänger Euphorion durchmaß mit langen Schritten das Zimmer und suchte nach Gedanken für eine Ode, in der er den Kaiser besingen und ihn anflehen wollte, dem Sohne zu vergeben.
Kurz nach Beendigung des Frühmahls schlich sich Pollux auf den Rundplatz mit den Büsten der Königinnen, um Arsinoe wiederzusehen.
Ein laut gesungener Vers lockte sie auf den Altan.
Sie grüßten einander, und Pollux bat sie durch Winke, zu ihm hinunter zu kommen.
Mehr als gern hätte sie ihm den Willen getan, doch ihr Vater hatte die Stimme des Bildhauers vernommen und sie in das Zimmer zurückgezogen.
Dem Künstler hatte indes schon der Anblick der schönen Geliebten wohlgetan.
Kaum war er wieder in die Wohnung der Eltern zurückgekehrt, als sich Antinous in das Torwächterhäuschen schlich.
Das war die gastliche Küste, auf die der Bildhauer nun die Augen richtete. Die Hoffnung kehrte ihm in die Seele zurück, und Hoffnung ist die Sonne, vor der die Verzweiflung flieht wie die Schatten der Nacht vor dem Erwachen des Tages.
Sein künstlerisches Vermögen ward wieder in Anspruch genommen und fand ein Feld, sich schön zu betätigen; denn Antinous teilte ihm mit, daß er sich ihm bis um Mittag zur Verfügung stellen könne, weil sein Meister, oder vielmehr der Kaiser, wie er ihn nun nennen durfte, beschäftigt sei. Der Präfekt Titianus war mit einem ganzen Stoße von Schreiben zu ihm gekommen, um mit ihm und den Geheimschreibern zu arbeiten.
Pollux zog den Günstling sogleich in das nach Norden gelegene Seitengemach der elterlichen Wohnung.
Hier lag das Wachs und das kleinere Werkzeug, das ihm selbst gehörte, seit gestern abend auf einem Tischchen.
Das Herz tat ihm weh und seine Nerven waren aufs äußerste angespannt, als er zu arbeiten begann.
Allerlei fremde Gedanken beunruhigten ihm die Seele, und doch wußte er, daß er nur, wenn er ganz bei der Sache war, etwas Rechtes zu leisten vermochte. Und gerade heute mußte er seine beste Kraft aufbieten, fürchtete er das Mißlingen wie ein Unglück; denn ein Modell wie das da vor ihm, gab es auf Erden nicht zum zweiten Male.
Er brauchte auch nicht lange nach Sammlung zu ringen; denn die Schönheit des Bithyniers erfüllte ihn mit tiefer Andacht, und voll von frommer Erregung griff er in den geschmeidigen Stoff und gab ihm eine seinem Vorbilde ähnliche Gestalt.
Zwischen ihm und dem Künstler ward eine Stunde lang kein Wort gewechselt; Pollux aber seufzte manchmal tief auf, und dann und wann klang ihm ein ängstlicher Klagelaut von den Lippen.
Antinous brach das Schweigen, um mit dem Bildhauer von Selene zu reden.
Sein Herz war voll von ihr, und es gab keinen anderen Menschen, der sie kannte und den er zum Vertrauten seines Geheimnisses machen durfte. Nur um von ihr zu reden, war er so bald zu dem Künstler gekommen.
Während Pollux formte und formte, erzählte Antinous, was ihm in der vergangenen Nacht begegnet. Er bedauerte, bei dem Sturz ins Wasser den silbernen Köcher verloren zu haben, und daß seine Verfolger später den rosenfarbenen Chiton kurz und klein gerissen hatten.
Ein Ausruf des Staunens, ein anderer der Teilnahme, eine kurze Ruhe der Hände und Werkzeuge war alles, wozu den Künstler die Erzählung vom Schicksal Selenes und vom Verlust der kostbaren Besitztümer seines Meisters veranlaßte; denn das Schaffen nahm ihn vollkommen in Anspruch. Je weiter die Arbeit fortschritt, desto höher stieg die Bewunderung vor seinem Vorbilde. Wie berauscht von edlem Wein fühlte er sich, als er diese Verkörperung der Idee untadeliger männlicher Jugendschönheit nachschuf. Die Leidenschaft des künstlerischen Zeugens durchglühte ihm das Blut und zog alles andere, selbst die Kunde vom Sturz Selenes in den See und ihrer Rettung, ins Reich der gewöhnlichen Dinge.
Trotzdem war er nicht unaufmerksam gewesen, und das Gehörte mußte wohl in ihm fortwirken; denn lange nachdem Antinous seine Erzählung beendet, sagte er leise und als ob er zu dem Bildwerke rede, das schon entschiedene Formen annahm:
»Wunderliches Ding,« und ein wenig später: »Es steckt doch etwas Großes in diesem unglückseligen Geschöpfe.«
Beinahe vier Stunden hatte er ohne Unterbrechung gearbeitet, dann atmete er tief auf, trat von dem Tische zurück, schaute gespannt bald auf seine Arbeit, bald auf Antinous, und fragte ihn dann:
»Wird es was Rechtes?«
Der Bithynier gab seinem Beifall lebhaften Ausdruck, und Pollux hatte in der Tat sehr viel in der kurzen Zeit zustande gebracht.
Das Wachs begann in starker Verkleinerung die ganze Gestalt des schönen Jünglings zu zeigen, und zwar in derselben Stellung, die der junge, von den Seeräubern fortgeführte Dionysus gestern auf dem Weinschiffe des Präfekten eingenommen hatte.
Die unvergleichlich schönen Formen des Günstlings waren weich und doch nicht unkräftig. Kein Künstler, das hatte Pollux sich schon früher gesagt, konnte in der besten Stunde den nysäischen Gott sich anders, sich schöner denken.
Während der Bildhauer, um sich über die Richtigkeit seiner Arbeit Gewißheit zu verschaffen, die einzelnen Glieder seines Modells mit einem hölzernen Zirkel und leinenen Bändern vermaß, ließ sich Wagengerassel an dem Tore des Palastes und bald darauf das Gekläff der Grazien vernehmen.
Frau Doris rief die Hunde zur Ruhe, und eine andere hohe Frauenstimme mischte sich in die ihre.
Antinous lauschte, und was er vernahm, schien nichts Alltägliches zu sein, denn er verließ plötzlich die Stellung, die ihm der Künstler erst vor einigen Augenblicken gegeben, trat ans Fenster und rief Pollux von hier aus mit gedämpfter Stimme zu:
»Wahrhaftig, ich irre mich nicht! Hadrians Gattin Sabina redet da draußen mit deiner Mutter.«
Er hatte recht gehört: die Kaiserin war auf die Lochias gekommen, um den Gemahl dort aufzusuchen. Vor dem Tore des alten Palastes hatte sie den Wagen verlassen; denn die Pflasterung des Hofes sollte erst an diesem Abend vollendet werden.
Die Hunde, denen ihr Gatte so hold, waren ihr zuwider, und die klugen Tiere vergalten ihre Abneigung mit der gleichen Empfindung. Darum wollte es Frau Doris noch schwerer als sonst gelingen, die ungehorsamen Lieblinge, die die fremde Matrone ingrimmig anfielen, zur Ruhe zu bringen.
Sabina befahl der Alten, geängstigt und mit heftigen Worten, sie von den Angreifern zu befreien; der Kämmerer aber, der mit ihr gekommen war und auf den sie sich stützte, trat mit den Füßen nach den unbändigen Kläffern und steigerte dadurch ihren Ingrimm.
Endlich zogen sich die Grazien in das Häuschen zurück; Frau Doris aber atmete auf und wandte sich an die Kaiserin.
Sie ahnte nicht, wer die Fremde war; denn sie hatte Sabina nie gesehen und sich ein ganz anderes Bild von ihr gestaltet.
»Verzeihe mir, gute Frau,« sagte sie in ihrer zutraulichen Weise, »die kleinen Schelme sind herzensgut und beißen nicht einmal einen Bettler; ältere Frauen können sie aber nun einmal nicht leiden. Wen suchst du denn bei uns, meine Mutter?«
»Das sollst du bald erfahren,« entgegnete Sabina herb. »Welches Leben, Lentulus, machtet ihr von der Tätigkeit des Baumeisters Pontius! Wie wird es da drinnen aussehen, wenn diese Baracke stehenbleiben konnte, die den Eingang des Palastes verunziert! Sie muß fort mitsamt den Bewohnern. – Befiehl diesem Weibe, uns zu dem römischen Herrn, der hier wohnt, zu führen.«
Der Kämmerer tat, wie ihm geheißen; Frau Doris aber begann zu ahnen, wen sie vor sich hatte, und sagte, indem sie das Gewand glatt strich und sich tief verneigte:
»Welche große Ehre widerfährt uns, hohe Frau! Vielleicht bist du gar die Gattin des Kaisers? Wenn das der Fall ist . . .«
Sabina winkte dem Kämmerer mit einer ungeduldigen Handbewegung; er aber unterbrach die Alte, indem er ihr zurief:
»Schweig und zeig uns den Weg.«
Doris war heute nicht die Stärkste, und die von den Tränen um den Sohn geröteten Augen wurden ihr wiederum naß.
So hatte noch niemand mit ihr geredet, und doch durfte sie um des Sohnes willen diese schnöde Anrede nicht mit gleicher Münze, die ihr doch reichlich zu Gebote stand, bezahlen.
Schweigend hinkte sie Sabina voran und führte sie bis in die Musenhalle. Dort nahm ihr der Architekt Pontius ihre Aufgabe ab, und die Ehrfurcht, die er der Fremden erwies, lehrte sie, daß jene in der Tat keine andere sei als die Kaiserin selbst.
»Ein widerwärtiges Weib,« sagte Sabina, während sie sich entfernte, und zeigte dabei mit dem Finger auf Doris, der keines ihrer Worte entging.
Das war zu viel für die Alte.
Fassungslos warf sie sich auf einen der vor wenigen Stunden dort aufgestellten Sessel, verbarg das Gesicht in die Hände und begann bitterlich zu weinen.
Es war ihr, als würde der Boden ihr unter den Füßen fortgezogen.
Ihren Sohn bedrohte der Kaiser, und die mächtigste Frau in der ganzen Welt sie selbst und ihr Haus.
Schon sah sie sich mit Euphorion und ihren Tieren auf die Straße gestoßen und fragte sich, was denn aus ihnen allen werden sollte, wenn sie ihre Stellung und ihr Obdach verlören. Ihres Mannes Gedächtnis wurde immer schwächer, bald konnte auch seine Stimme nicht mehr genügen, und wie sehr hatten ihre eigenen Kräfte in den letzten Jahren nachgelassen, wie klein war der Sparpfennig, den sie in der Truhe versteckt hielt!
Die muntere, frische Alte fühlte sich wie gebrochen.
Was sie schmerzte, war nicht bloß die sie bedrohende Not, sondern auch der Schimpf, der ihr zugefügt werden sollte, das Mißfallen, das sie, der doch jeder seit ihrer Jugend freundlich begegnet war, erregt hatte, und die kränkende Empfindung, von der mächtigen Frau, auf deren Gunst sie gehofft hatte, mit Verachtung behandelt und vor anderen geschmäht worden zu sein.
Sabinas Ankunft vertrieb die guten Geister von der Lochias. Das empfand Doris; doch sie war keine von denen, die sich feindlichen Mächten widerstandslos unterwerfen.
Einige Minuten lang hatte sie sich dem Leid hingegeben und wie ein Kind geschluchzt. Jetzt trocknete sie die Augen und empfand in ihrem erleichterten Herzen die Wohltat der Tränen. Nach und nach gelang es ihr auch, wieder ruhig zu denken.
»Am Ende,« sagte sie sich, »hat hier nur der Kaiser selbst zu gebieten, und es heißt, daß er mit seiner bösen Frau schlecht auskomme und wenig nach ihren Wünschen frage. Hadrian ließ Pollux seine Macht fühlen; mit mir aber war er doch immer freundlich. Meine Hunde und Vögel gefallen ihm, und hat er sich nicht sogar das Essen aus meiner Küche wohl schmecken lassen? Nein nein! Wenn es mir nur gelingt, ihn allein zu sprechen, wendet sich vielleicht noch alles zum Guten.«
So denkend stand sie von ihrem Sitze auf.
Als sie das Vorzimmer verlassen wollte, trat der Kunsthändler Gabinius aus Nizäa ein, dem Keraunus abgeschlagen hatte, ihm das dem Palast gehörende Mosaikbild zu verkaufen, und dessen Tochter durch Arsinoe um die Rolle der Roxane gekommen.
Pontius hatte ihn in den Palast bestellt, und er war sogleich erschienen; denn seit dem gestrigen Abend flog das Gerücht, daß der Kaiser in Alexandria weile und in dem Schlosse auf der Lochias wohne, von Mund zu Mund. Wer es verbreitete, auf welche Tatsache es sich stütze, wußte niemand zu sagen. Es war eben da, fand Gehör in allen Kreisen und nahm von Stunde zu Stunde an Sicherheit zu. Von allem Wachsenden auf Erden wächst nichts so schnell wie das Gerücht, und dennoch ist es ein armer Findling, der die eigenen Eltern nicht kennt.
Der Kunsthändler drang mit einem verwunderten Blick auf die Alte weiter in den Palast vor; Doris aber überlegte, ob sie den Kaiser hier aufsuchen oder in ihr Häuschen zurückkehren und abwarten sollte, bis Hadrian einmal den Palast verlassen und an ihrer Wohnung vorbeikommen würde.
Bevor sie zu einer Entscheidung gelangte, erschien der Baumeister Pontius. Er hatte sich stets sehr freundlich gegen sie erwiesen, und darum wagte sie es, ihn anzureden und ihm zu erzählen, was ihrem Sohne von seiten des Kaisers begegnet war.
Der Architekt hörte nichts Neues, riet ihr, sich zu gedulden, bis Hadrian sich beruhigt habe, und versprach ihr, später alles, was er nur immer vermöge, für Pollux zu tun, den er liebhabe und achte. – Heute sei er gezwungen, im Auftrag des Kaisers sogleich auf längere Zeit zu verreisen. Das Ziel seiner Fahrt war Pelusium. Dort sollte dem großen Pompejus ein Denkmal an derjenigen Stelle gesetzt werden, an der er ermordet worden war. Hadrian hatte auf der Wanderung vom Berge Kasius nach Aegypten gegenüber dem alten, verfallenden Monumente den Entschluß gefaßt, es durch ein neues ersetzen zu lassen und Pontius, dessen Arbeit auf der Lochias der Vollendung entgegenging, mit der Herstellung beauftragt.
Was noch in dem erneuten Schlosse an Ausstattungsstücken fehlte, wünschte Hadrian selbst auszusuchen und anzuschaffen, und bei dieser seinen Neigungen zusagenden Tätigkeit sollte ihm der Kunsthändler Gabinius hilfreiche Hand leisten.
Während Frau Doris noch mit Pontius sprach, näherten sich Hadrian und seine Gemahlin dem Vorraume.
Der Baumeister hatte kaum die Stimme Sabinas erkannt, als er der Alten leise und eilig zurief:
»Auf später, Mütterchen. Tritt zur Seite, der Kaiser und die Kaiserin kommen.«
Dann entfernte er sich schnell.
Doris trat in die Pforte eines Nebenzimmers, die nur durch einen schweren Vorhang verschlossen war; denn sie wäre jetzt ebenso gern einem reißenden Tiere wieder begegnet wie der stolzen Frau, von der sie nichts als Kränkungen erwarten durfte.
Die Unterredung Hadrians mit der Gemahlin hatte kaum eine Viertelstunde gedauert und sie mußte nicht freundlich gewesen sein; denn sein Antlitz glühte, Sabina aber hatte völlig blutlose Lippen, und über die geschminkten Wangen flog ihr ein unruhiges Zucken.
Doris war zu erregt und ängstigte sich viel zu sehr, um das fürstliche Paar zu belauschen; aber sie vernahm doch die vom Kaiser mit großer Entschiedenheit ausgesprochenen Worte: »In kleinen Dingen lasse ich dir, wo es angeht, den Willen; Größeres entscheid' ich diesmal wie immer nach meinem, ausschließlich nach meinem Ermessen.« Diese Erklärung war verhängnisvoll für das Torwärterhäuschen und seine Bewohner; denn zu den kleinen Dingen, von denen Hadrian redete, gehörte die Beseitigung der häßlichen Baracke beim Eingange des Palastes. Sabina hatte sie von dem Gatten gefordert, weil es niemand angenehm sein könnte, bei jedem Besuch der Lochias von einer Unglück verheißenden alten Megäre empfangen und von wütenden Hunden angefallen zu werden.
Doris ahnte so wenig, was des Kaisers Rede bedeutete, daß sie sich über ihren Inhalt freute; denn sie erfuhr durch sie, wie wenig geneigt Hadrian war, seiner Gattin in großen Dingen nachzugeben, und wer konnte ihr verdenken, wenn sie ihr Schicksal und das ihres Hauses zu den großen, und zwar zu den allergrößten zählte?
Sabina hatte, auf den Kämmerer gestützt, das Vorgemach verlassen, und Hadrian blieb mit seinem Sklaven Mastor allein.
Einen so günstigen Augenblick fand die Alte so leicht nicht wieder, um den gewaltigen Mann, der da vor ihr stand, ohne hindernde Zeugen anzuflehen, Großmut an ihr zu üben und ihrem Sohne zu vergeben. Er wandte ihr den Rücken zu. Hätte sie sehen können, mit wie furchtbaren Blicken er zu Boden schaute, würde sie gewiß an die Mahnung des Baumeisters gedacht und ihre Anrede bis auf spätere Tage verschoben haben.
Wie viele verderben ihre gute Sache, indem sie dem treibenden Drange, bald eine Entscheidung zu erzielen, folgen und nicht stark genug sind, den Beginn ihres Handelns bis auf einen für ihr Vorhaben günstigen Augenblick zu verschieben! Ungewißheit in der Gegenwart erscheint uns oftmals weniger erträglich als widriges Geschick in der Zukunft.
Doris trat aus dem Seitengemache hervor.
Mastor, der den Gebieter kannte, und freundlich gesinnt wie er war, der guten Alten gern eine Demütigung erspart hätte, deutete ihr mit lebhaftem Winken an, daß sie zurücktreten und den Kaiser jetzt nicht stören möge; sie aber war von ihrer Angst und ihren Wünschen so ganz in Anspruch genommen, daß sie ihn nicht bemerkte.
Als der Kaiser sich anschickte, das Vorgemach zu verlassen, faßte sie sich ein Herz, trat in die Pforte, die er durchschreiten mußte, und versuchte es, sich vor ihm auf die Knie niederzulassen. Das wollte den alten Beinen nur schwer gelingen, und Doris mußte den Pfosten der Tür zu Hilfe nehmen, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren.
Hadrian erkannte die Bittstellerin sogleich, heute aber fand er kein freundliches Wort für sie, und der Blick, den er auf sie niederwarf, war nichts weniger als gnädig. Wie hatte er nur jemals an diesem traurigen alten Geschöpfe Wohlgefallen finden können?
Ach, die arme Doris war auch eine ganz andere in ihrem Häuschen, unter ihren Blumen, Vögeln und Hunden, als hier in den weiten Räumen des prächtigen Palastes. Dieser große, glänzende Rahmen paßte nicht für eine so bescheidene Gestalt.
Tausende, die in ihrer täglichen Umgebung Achtung gebieten und Gefallen erwecken, geben, losgelöst von dem Kreis, in den sie gehören, zu ganz anderen Empfindungen Anlaß.
Doris hatte Hadrian noch nie einen so unerquicklichen Anblick geboten, als gerade heute, als in dieser ihr Lebensgeschick entscheidenden Stunde. Vom Küchenherde war sie, wie sie ging und stand, der Kaiserin gefolgt. Nach einer schlaflosen Nacht hatte sie, ganz von ihren Sorgen in Anspruch genommen, das graue Haar kaum geordnet, und die guten klaren Augen, sonst die Zierde ihres Angesichts, waren heute vom vielen Weinen gerötet. Das saubere, freundliche Mütterlein sah heute nichts weniger als schmuck und heiter aus und unterschied sich in keiner Hinsicht von jenen anderen alten Weibern, die der Kaiser für unglückverheißend hielt, wenn er ihnen bei einem Ausgang begegnete.
»O Cäsar, großer Cäsar,« rief Doris und erhob die Hände, an denen noch manche Spuren der Arbeit am Herde zu sehen waren, »mein Sohn, mein unglücklicher Pollux!«
»Aus dem Wege!« gebot Hadrian streng.
»Er ist ein Künstler, ein guter Künstler, der schon jetzt manchen Meister übertrifft, und wenn ihm die Götter . . .«
»Aus dem Wege, hab' ich gesagt. Ich will von dem frechen Buben nichts hören,« rief Hadrian unwillig.
»Aber, großer Cäsar, er ist doch mein Sohn und du weißt, eine Mutter . . .«
»Mastor,« unterbrach sie der Herrscher, »hebe die Alte auf, und verschaffe mir Platz.«
»O Herr, Herr,« weinte das geängstigte Weib, während der Sklave es nicht ohne Mühe aufrichtete. »O Herr, wie kannst du auf einmal so hart sein! Bin ich denn nicht mehr die alte Doris, mit der du gescherzt hast und deren Kost dir doch schmeckte?«
Diese Frage rief dem Kaiser das Bild der Stunde seiner Ankunft auf der Lochias in die Vorstellung zurück. Er empfand, daß er der Alten etwas schuldig sei, und gewohnt, mit fürstlicher Freigebigkeit zu zahlen, fiel er ihr ins Wort:
»Für dein gutes Gericht wirst du eine Summe erhalten, von der ihr euch ein neues Haus kaufen könnt. Euer Gehalt wird euch auch in Zukunft ausgezahlt werden, aber in drei Stunden verlaßt ihr die Lochias.«
Der Kaiser sprach so schnell, als gälte es, ein unangenehmes Geschäft zu Ende zu führen, und schritt an Frau Doris vorüber, die wieder auf den Füßen stand und sich nun wie betäubt an den Türpfosten lehnte.
Wäre Hadrian auch nicht fortgegangen und hätte er ihr auch bewilligt, sie weiter anzuhören, hätte sie jetzt doch nicht auch nur ein einziges Wort der Entgegnung gefunden.
Dem Imperator gebührten die Ehren des Zeus, und wie der Blitz, den der Vater der Götter schleudert, hatte sein Machtspruch das Glück eines friedlichen Hauses zerschmettert.
Diesmal fand Doris keine Tränen.
Der furchtbare Schreck, der ihr die Seele erschüttert hatte, machte sich auch an ihrem Körper fühlbar. Die Knie wankten ihr, und unfähig, sich sogleich auf den Heimweg zu begeben, ließ sie sich auf einen Sessel nieder und starrte angstvoll vor sich hin, indem sie bedachte, was nun werden sollte und kommen konnte. In dem hinter dem Vorgemach gelegenen, vor wenig Stunden völlig vollendeten Raume blieb der Kaiser stehen. Seine Härte gegen die Alte begann ihn zu reuen; hatte sie sich doch, ohne zu wissen wer er war, sehr freundlich gegen ihn und seinen Liebling erwiesen.
»Wo ist Antinous?« fragte er Mastor.
»Er ging in das Torhüterhäuschen.«
»Was tut er da?«
»Ich glaube, er wird . . . er hat dort vielleicht . . .«
»Die Wahrheit, Bursche!«
»Er ist bei dem Bildhauer Pollux.«
»Schon lange?«
»Ich weiß nicht genau.«
»Wie lange, frage ich!«
»Nachdem du dich mit Titianus eingeschlossen hattest, ging er.«
»Drei Stunden, drei volle Stunden bei dem Prahlhans, dem ich den Weg wies!«
Die Augen Hadrians funkelten zornig, während er dies rief. Sein Verdruß über den Liebling, dessen Gesellschaft er keinem anderen und am letzten einem Pollux gönnte, erstickte jeden freundlichen Gedanken, und unwillig bis an die Grenze des Zornes befahl er Mastor, Antinous sogleich zu ihm zu rufen und sodann die Torhüterwohnung ausräumen zu lassen.
»Nimm ein Dutzend Sklaven zu Hilfe,« rief er. »Meinetwegen mögen sie den Leuten ihren Kram in ihr neues Haus tragen; aber ich will weder die heulende Alte noch ihren blödsinnigen Mann jemals wiedersehen. Dem Bildhauer geb' ich zu wissen, daß der Kaiser einen festen Schritt hat und leicht unversehens die Schlange zertritt, die ihm über den Weg kriecht.«
Mastor entfernte sich traurig.
Hadrian begab sich in sein Arbeitszimmer zurück und rief dort dem Geheimschreiber Phlegon zu:
»Schreibe! Für diesen Palast ist ein neuer Torhüter zu bestellen. Euphorion, der alte, bezieht seine Besoldung fort, und es wird ihm auf der Präfektur ein halbes Talent ausgezahlt. So. Teile dem Manne sogleich das Nötige mit. – In einer Stunde finde ich ihn und die Seinen nicht mehr auf der Lochias. Von nun an soll mir keiner mehr von ihnen reden oder Bittschriften von ihnen überreichen. Werfen wir diese Sippschaft zu den anderen Toten.«
Phlegon verneigte sich und sagte:
»Der Kunsthändler Gabinius wartet draußen.«
»Er kommt zur gelegenen Stunde,« rief der Kaiser. »Nach allen diesen Verdrießlichkeiten tut es gut, von schönen Dingen zu hören.«
Einunddreißigstes Kapitel
Ja gewiß! Das Erscheinen Sabinas hatte die guten Geister aus dem Palast auf der Lochias vertrieben.
Wie ein Wirbelwind in ein Gehäuf von dürren Blättern, so war des Kaisers Befehl in das friedliche Häuschen gefahren. Seinen Bewohnern wurde nicht einmal Zeit gelassen, sich ihres Unglücks voll bewußt zu werden; denn anstatt zu klagen, galt es jetzt, umsichtig handeln.
Die Tische, Sessel, Polster und Lauten, die Körbe, Blumenstöcke und Vogelbauer, das Küchengerät und die Kleiderkisten standen über- und untereinander auf dem Hofe, und Doris benutzte die ihr vom Mastor zugewiesenen Sklaven so frisch und umsichtig für das Geschäft des Ausräumens, als gält' es nur, aus der einen Wohnung in die andere zu ziehen.
Ein Strahl der sonnigen Heiterkeit ihrer Seele blitzte ihr wieder aus den Augen, seitdem sie sich sagte, daß das, was ihr und den Ihren begegne, zu den unabänderlichen Dingen gehöre und es geratener sei, statt an die Vergangenheit an die Zukunft zu denken.
Bei der Arbeit wurde sie völlig die Alte, und als sie Euphorion ansah, der wie gebrochen auf seinem Polster saß und zu Boden starrte, rief sie ihm zu:
»Nach schlimmen kommen fröhliche Tage! – Laß sie nur versuchen, uns unglücklich zu machen! Wir haben nichts Übles getan, und so lange wir selbst nicht glauben elend zu sein, sind wir's auch nicht. Nur den Kopf oben behalten! Auf, Alter, auf! Geh gleich zu Diotima und sag ihr, wir bäten sie auf einige Tage um Gastfreundschaft für unsern Kram und uns selbst.«
»Wenn nun der Kaiser nicht Wort hält?« fragte Euphorion düster. »Was gibt es dann für ein Leben!«
»Ein schlechtes, ein hundeschlechtes, und darum ist es klug, jetzt noch zu genießen, was wir besitzen. Einen Becher Wein, Pollux, für mich und den Vater. Heute aber muß er ungemischt sein!«
»Ich kann nicht trinken,« seufzte der Sänger.
»Dann will ich auch deinen Teil auf mich nehmen!«
»Nicht doch, Mutter,« bat Pollux.
»Misch ihn. Junge, misch ihn ein wenig, aber mache nur kein so jammervolles Gesicht. Sieht so ein frischer Gesell aus, der seine Kunst und rüstige Kraft in Kopf und Hand und das schönste Liebchen im Herzen hält?«
»Um meinetwillen, Mutter,« versetzte der Bildhauer lebhaft, »bin ich gewiß nicht besorgt. Aber wie komm' ich jetzt wieder zu Arsinoe in den Palast, und wie werde ich mit dem grimmigen Keraunus fertig?«
»Das frage die Zeit,« entgegnete Doris.
»Sie kann gute, aber auch schlimme Antworten geben.«
»Die besten immer nur denen, die im Vorzimmer ›Geduld‹ auf sie warten.«
»Ein schlechter Aufenthaltsort für mich und meinesgleichen,« seufzte Pollux.
»Sitze nicht still und klopf an die Türen,« entgegnete Doris, »und bevor du dich's versiehst, ruft dir die Zeit ihr ›Herein!‹ zu. Jetzt zeige den Leuten dort, wie sie die Apollostatue handhaben sollen, und sei wieder mein munterer Junge!«
Pollux tat wie ihm geheißen und dachte dabei: Sie hat gut reden; ihr bleibt hier keine Arsinoe zurück! Hätt' ich nur wenigstens mit Antinous verabreden können, wo ich ihn wiederfinde; aber nach dem Befehl des Kaisers war der Junge wie vor den Kopf geschlagen und wankte fort, als ging' es zur Schlachtbank.
Frau Doris schien die gute Zuversicht nicht zu betrügen; denn der Geheimschreiber Phlegon kam und unterrichtete sie von dem Entschluß des Kaisers, ihrem Manne ein halbes Talent und auch in Zukunft seine kleine Besoldung auszahlen zu lassen.
»Siehst du,« rief die Alte, nachdem der Glücksbote sich wieder entfernt hatte, »die Sonne der guten Tage dämmert schon wieder auf. Ein halbes Talent! Mit so reichen Leuten, wie wir es sind, hat die Not nichts zu schaffen. Was meinst du? Wär' es nicht recht, den Göttern einen halben Becher Wein zu spenden und uns selbst die andere Hälfte zu gönnen?«
Frau Doris wurde so heiter, als ging' es zur Hochzeit, und ihre Munterkeit teilte sich ihrem Sohne mit, der sich eines Teils der ihn bedrückenden Sorge um die Eltern und Schwestern enthoben sah.
Sein gesunkener froher Lebensmut durfte nur einige Tropfen freundlichen Taues, um sich neu zu erheben.
Er dachte auch wieder an seine Kunst.
Zu allererst wollt' er das glücklich angelegte Bildnis des Antinous zu vollenden suchen.
Während er sich in das Haus begab, um sein Werk vor Schaden zu bewahren und dem Sklaven, dem er befohlen hatte, ihm zu folgen, Anweisungen erteilte, wie er es zu tragen habe, um es nicht zu beschädigen, trat sein Meister Papias in den Hof des Palastes. Er kam, um selbst die letzte Hand an die von ihm übernommenen Arbeiten zu legen und wollte einen neuen Versuch machen, die Gunst des Mannes, in dem er den Kaiser erkannt, für sich zu gewinnen.
Papias war besorgt; denn der Gedanke, daß Pollux nun verraten könnte, wie geringen Anteil er selbst an seinen letzten Arbeiten habe, die ihm doch höheres Lob als alle seine früheren Werke eingetragen hatten, beängstigte ihn. Wohl wollte es ihm geraten scheinen, seinen Stolz beiseite zu setzen und den früheren Schüler durch hohe Versprechungen zur Rückkehr in seine Werkstätte zu bewegen; gestern abend hatte er sich aber hinreißen lassen, vor dem Kaiser mit solcher Entrüstung von den üblen Eigenschaften des jungen Künstlers zu reden und seiner Freude, von ihm befreit zu sein, so lebhaften Ausdruck gegeben, daß er um Hadrians willen davon absehen mußte.
Jetzt blieb ihm nur übrig, Pollux aus Alexandria zu entfernen oder ihn, – und dies konnte vielleicht mit Hilfe des entrüsteten Kaisers geschehen – in irgendeiner Weise unschädlich zu machen. Einmal kam ihm sogar in den Sinn, einen ägyptischen Strolch zu dingen und ihn umbringen zu lassen; aber er war ein friedlicher Bürger, dem jede Übertretung des Gesetzes ein Greuel, und wies darum diesen schnöden Gedanken als verabscheuungswürdig weit von sich.
Sonst nahm er es nicht genau mit der Wahl der Mittel. Dazu kannte er die Menschen, wußte sich den Weg durch die Hintertüren zu bahnen und scheute sich nicht, wo es not tat, kühn zu verleumden. So hatte er denn auch schon in manchem Kampfe gegen angesehene Kunstgenossen den Sieg behauptet. Seine Hoffnung, daß es ihm gelingen werde, einem von wenigen beachteten Schüler ein Bein zu stellen und ihn, so lange der Kaiser in Alexandria weilte, unschädlich zu machen, war gewiß nicht zu kühn. Er haßte den Torwächtersohn weit weniger, als er ihn fürchtete, und verhehlte sich nicht, daß wenn seine Anschläge gegen ihn mißlangen und es Pollux glückte, auf eigene Füße gestellt, zu zeigen, was er vermöge, der Jüngling durch nichts zurückgehalten werden könnte, sich alles dessen laut zu rühmen, was er in den letzten Jahren für ihn geleistet.
Bei dem Häuschen Euphorions wurde seine Aufmerksamkeit durch die Sklaven gefesselt, die das Gerät der ausgewiesenen Leute auf die Straße trugen.
Bald hatte er erfahren, was hier vor sich ging, und erfreut über den üblen Willen, den der Kaiser gegen die Eltern seines Gegners bekundete, blieb er stehen und befahl nach kurzem Besinnen einen schwarzen Arbeiter, Pollux zu ihm herauszurufen.
Meister und Schüler begrüßten einander mit zur Schau getragenen Kühlheit, und jener sagte:
»Du hast die Sachen zurückzubringen vergessen, die du gestern, ohne mich zu fragen, aus meiner Gewandkammer genommen. Ich verlange sie noch heute zurück.«
»Ich nahm sie nicht für mich, sondern für den großen Herrn da drin und seinen Begleiter. Wenn etwas fehlt, so halte dich an ihn. Es tut mir leid, daß ich auch deinen silbernen Köcher mitnahm. Der Begleiter des römischen Herrn hat ihn verloren. Sobald ich hier fertig bin, bring' ich alles, was ich von deinen Sachen zurückzuerlangen vermag, und hole mir die meinigen ab. Es liegt doch noch manches, was mir gehört, in deiner Werkstätte.«
»Gut,« entgegnete Papias. »Eine Stunde vor Sonnenuntergang erwarte ich dich, und dann soll das alles in Ordnung gebracht werden.«
Ohne einen Abschiedsgruß wandte er dem Schüler den Rücken und ging in den Palast.
Pollux hatte gesagt, daß einige von den Gegenständen, die er ihm, ohne ihn zu fragen, fortgenommen hatte, und unter ihnen ein Stück von beträchtlichem Werte, abhanden gekommen wäre, und dieser Umstand bot ihm vielleicht eine Handhabe, ihn unschädlich zu machen.
Er blieb kaum eine halbe Stunde in dem Palaste, dann begab er sich, während Pollux die Mutter und den Hausrat der Eltern zu seiner Schwester begleitete, zu dem Nachtstrategen, der dem Sicherheitswesen Alexandrias vorstand.
Papias lebte mit diesem vornehmen Beamten in nahem Verkehr; denn er hatte einen Sarkophag für seine verstorbene Gattin, einen mit Reliefbildern geschmückten Altar für sein Männergemach und andere Arbeiten zu mäßigen Preisen für ihn hergestellt, und durfte auf seine Gefälligkeit rechnen.
Als er ihn verließ, hielt er einen Verhaftsbefehl gegen seinen Gehilfen Pollux in der Hand, der sich an seinem Eigentum vergriffen und ihm einen Köcher von schwerem Silber entwendet haben sollte. Der Nachtstratege hatte ihm auch zugesagt, ihm zwei seiner Leute zu übersenden, die den Missetäter ins Gefängnis abführen sollten.
Erleichterten Herzens begab sich Papias in sein Haus zurück.
Sein Schüler ging, nachdem der kleine Umzug seiner Eltern bewerkstelligt worden war, noch einmal in den Palast und traf dort zu seiner Freude den Sklaven Mastor, der ihm bald die Kleidungsstücke und Masken brachte, die er gestern Hadrian und Antinous geliehen hatte. Der Jazygier erzählte ihm dabei mit Tränen in den Augen eine traurige, sehr traurige Geschichte, die den jungen Bildhauer aufs tiefste erregte und ihn sogleich auf jede Gefahr hin in den Palast geführt haben würde, wenn er nicht die Notwendigkeit eingesehen hätte, sich zu der von Papias bestimmten Zeit, an der nur noch wenig fehlte, bei ihm einzufinden und sich wegen der fehlenden wertvollen Gegenstände zu verantworten.
Nur von dem Wunsche erfüllt und auf nichts bedacht, als möglichst bald wieder auf der Lochias zu sein, woselbst man seiner bedurfte und wohin das Herz ihn zurücktrieb, nahm er dem Sklaven das Paket aus der Hand und eilte mit ihm davon.
Papias hatte alle Gehilfen und selbst seine Angehörigen aus dem Haufe entfernt. Er empfing den Atemlosen ganz allein und nannte ihm mit eisiger Ruhe die Sachen, die in seiner Gewandkammer fehlten. – Stück für Stück verlangte er von ihm zurück.
»Ich sagte dir ja bereits,« rief Pollux, »daß nicht ich, sondern der hohe Herr aus Rom – du weißt wohl jetzt auch, wer er ist – für den silbernen Köcher und den zerrissenen Chiton einstehen muß.«
Dann begann er zu erzählen, wie Antinous ihn im Namen seines Gebieters aufgefordert habe, Masken und anderen Aufputz für sie beide herbeizuschaffen.
Papias schnitt ihm aber schon nach den ersten Sätzen das Wort ab und verlangte heftig seinen Köcher und Bogen zurück, deren Wert Pollux in zwei Jahren nicht abzuarbeiten vermöge.
Der Jüngling, den Herz und Sinn auf die Lochias zurückzogen, und der sich um keinen Preis länger als nötig aufhalten lassen wollte, bat erst in aller Höflichkeit den Meister, ihn jetzt zu entlassen und morgen, nachdem er mit den Römern geredet, von denen er jeden beliebigen Schadenersatz fordern dürfe, diese Sache mit ihm zu erledigen. Als ihn aber Papias wieder und wieder unterbrach und hartnäckig auf der sofortigen Zurückerstattung seines Eigentums bestand, stieg dem leicht erregbaren Künstler das Blut zu Kopfe und er vergalt die Angriffe und Fragen des älteren Mannes mit heftigen Entgegnungen.
Ein Wort gab das andere. Papias sprach endlich von Leuten, die sich an fremdem Silbergerät vergriffen, und als Pollux ihm darauf entgegnete, daß er auch andere kenne, die die Leistungen Geschickterer für die eigenen ausgäben, da schlug sein Meister mit der Faust auf den Tisch, näherte sich der Tür und rief, sobald er sich hinlänglich weit von kräftigen Fäusten des erregten Jünglings entfernt hatte:
»Du Dieb! – Ich werde dir zeigen, wie man in Alexandria deinesgleichen behandelt.«
Pollux erbleichte vor Wut und stürzte sich dem Entfliehenden nach; bevor er ihn aber erreichte, konnte sich Papias hinter den beiden Häschern des Nachtstrategen, die im Vorzimmer warteten, verbergen, und rief ihnen zu:
»Greift den Dieb! Haltet den Spitzbuben, der mir mein silbernes Gerät stahl und die Hand gegen seinen Meister erhebt. Fesselt ihn, bindet ihn, führt ihn fort ins Gefängnis.«
Pollux wußte nicht, wie ihm geschah.
Wie ein Bär, der sich von Jägern umstellt weiß, blieb er zaudernd stehen.
Sollte er sich auf die Verfolger stürzen und sie zu Boden reißen? Sollte er tatenlos das Verhängte erwarten?
Er kannte jeden Stein im Hause seines Meisters. Das Vorzimmer, in dem er sich befand, lag wie die ganze Wohnung des Papias zu ebener Erde. Während die Häscher sich ihm näherten und der Meister dem Liktor den Verhaftsbefehl reichte, fiel ihm ein Fenster, das von der Straße her Licht empfing, ins Auge, und nur erfüllt von dem einen Gedanken, die Freiheit zu wahren, und recht bald auf die Lochias und zu Arsinoe zu kommen, sprang er auf die Rettung verheißende Öffnung zu und schwang sich in die Gasse hinaus.
»Der Dieb!« – »Haltet den Dieb!« rief es ihm nach, während er in langen Sätzen vorwärtsstürzte.
Wie ein von allen vier Winden gepeitschter Regen drang von allen Seiten der unsinnige, widerwärtige, entsetzliche Ruf: »Der Dieb!« – »Haltet den Dieb!« auf ihn ein und brachte ihn um die Besinnung.
Nur der leidenschaftliche Schrei seines Herzens: »Auf die Lochias! Zur Arsinoe! Frei, nur frei bleiben, um auf der Lochias zu helfen!« übertönte die Stimme der Verfolger und trieb ihn durch diejenigen Straßen, die zu dem alten Palaste führten. In langen Sätzen jagte er weiter und weiter. Der salzigfrische Hauch des Meeres berührte ihm bereits die glühenden Wangen, und die schmale, menschenleere Gasse dort, das wußte er, führte ihn in die Werft am königlichen Hafen, in der das hochaufgeschichtete Bauholz ihn vor den Verfolgern verbergen konnte.
Jetzt wandte er sich, um in sie einzubiegen. – Da warf ihm ein ägyptischer Ochsentreiber den Stecken zwischen die Beine. Er stolperte, fiel zu Boden, und gleich darauf fühlte er, wie einer der Hunde, die ihm nachgestürzt waren, ihm den Chiton vom Leibe riß und viele Menschen sich auf ihn stürzten.
Eine Stunde später befand er sich gebissen, zerschlagen, gebunden im Gefängnis unter schlechtem Gesindel und wirklichen Dieben.
Die Nacht war hereingebrochen.
Seine Eltern warteten auf ihn, und er kam nicht. Auf der Lochias aber, die er nicht zu erreichen vermocht, gab es Jammer und Elend genug, und der einzige, der es vermocht hätte, der verzweifelnden Arsinoe Trost zu bringen, blieb aus und war nicht zu finden.
Zweiunddreißigstes Kapitel
Die Erzählung des Sklaven Mastor, durch die Pollux so tief erregt und zu der unsinnigen Flucht veranlaßt worden war, bezog sich auf Ereignisse, die sich, während der junge Künstler den Eltern half, ihr Hausgerät in der engen Wohnung seiner Schwester unterzubringen, im Quartier des Palastverwalters zugetragen hatten.
Keraunus gehörte gewiß nicht zu den heiteren Menschen; doch am Morgen des Tages, an dem Sabina in den Palast gekommen war und der Torwächter aus seinem Häuschen getrieben wurde, sah er aus wie ein innig zufriedener Mann.
Um Selene machte er sich seit dem gestrigen Besuch keine weiteren Sorgen.
Sie war nicht gefährlich krank, wurde ausgezeichnet gepflegt, und die Kinder schienen sie nicht zu vermissen.
Auch er selbst wünschte sie heute noch nicht zurück.
Er scheute sich freilich, sich das selbst einzugestehen, er fühlte sich aber doch durch die Abwesenheit der ernsten Mahnerin freier und leichter als seit langer Zeit.
Es müßte schön sein, dachte er sich, allein mit Arsinoe und den Kindern sorglos so fortzuleben.
Manchmal rieb er sich vergnüglich die Hände und schmunzelte vor sich hin.
Als die alte Sklavin eine große Schüssel voll Kuchen brachte, die er ihr zu kaufen befohlen, und neben die Morgensuppe der Kinder stellte, kicherte er so herzhaft, daß ihm der starke Leib wankte und bebte. Und er hatte Grund, in seiner Weise glücklich zu sein; denn der reiche Plutarch hatte in aller Frühe einen schweren Beutel voll Goldstücke für seinen elfenbeinernen Becher und einen Rosenstrauß an Arsinoe gesandt; er konnte seinen Kleinen eine Güte tun, für sich selbst einen Stirnreifen von eitlem Gold kaufen und Arsinoe so schön herausputzen, als wäre sie des Präfekten leibliche Tochter.
Seine Eitelkeit fühlte sich in jeder Hinsicht befriedigt.
Welch ein Prachtmensch war auch der Sklave, der ihm eben mit einer vorzüglich ehrerbietigen Verbeugung ein gebratenes Hühnchen überreichte, und der ihn am Nachmittag in den Rat führen sollte! Der große Thessalier, der dem Archidikasten die Papiere in die Gerichtsverhandlungen nachtrug, sah kaum stattlicher aus als sein »Leibdiener«.
Gestern noch hatte er ihn gekauft und zu einem wie billigen Preise!
Kaum dreißig Jahre zählte der gutgewachsene Samier. Er konnte lesen und schreiben und war also imstande, die Kleinen in diesen Künsten zu unterrichten. Selbst die Laute verstand er zu schlagen. Freilich hafteten an seiner Vergangenheit üble Flecken, und um ihretwillen war er so spottwohlfeil verkauft worden. Er hatte mehrmals gestohlen; doch die Brandmale und Striemen, die der Samier an sich trug, wurden von seinem neuen Chiton verborgen, und Keraunus fühlte sich stark genug, um ihm die üblen Gelüste auszutreiben.
Nachdem der Verwalter Arsinoe anbefohlen, nichts wertvolles herumliegen zu lassen, denn ihr neuer Hausgenosse scheine nicht völlig redlich zu sein, entgegnete er auf die Bedenken der Tochter:
»Es wäre schon besser, wenn er so ehrlich wäre wie unser altes Gerippe, das ich für ihn in den Kauf gab; aber ich denke: wenn mein Leibdiener uns wirklich einige von den wenigen Drachmen, die wir bei uns tragen, fortstibitzt, so brauch' ich immer noch nicht bereuen, ihn gekauft zu haben; denn wegen seiner Dieberei bekam ich ihn um mehrere tausend Drachmen unter dem Wert, und der Schulmeister für die Kinder hätte mich im schlimmsten Falle mehr gekostet, als er uns stehlen kann. Unser Gold verschließ' ich in die Truhe mit den Dokumenten. Sie ist fest, und man würde schon eine Brechstange brauchen, um sie zu öffnen. Der Bursch läßt übrigens ganz gewiß fürs erste das Stehlen; denn sein voriger Herr gehörte nicht zu den milden und hat ihm, denk' ich, ein für allemal die bösen Gelüste ausgetrieben. Es ist gut, daß man beim Verkauf eines solchen Gesellen angeben muß, was er verbrochen. Unterläßt man es, so kann man von dem späteren Besitzer für das, was einem fortkommt, Schadenersatz fordern. Lykophron hat mir gewiß nichts verschwiegen, und wenn man von den Diebesgelüsten absieht, soll der Samier ein in jeder Hinsicht vorzüglicher Bursch sein.«
»Aber, Vater,« entgegnete Arsinoe, indem sie ihrer Besorgnis noch einmal Worte lieh, »es ist doch sehr schlimm, einen unredlichen Menschen im Hause zu haben.«
»Das verstehst du nicht, Kind,« gab Keraunus zurück. »Für uns bedeutet Leben und Redlichkeit das gleiche: aber ein Sklave! – König Antiochus soll einmal gesagt haben, daß wer gut bedient sein will, sich von Spitzbuben bedienen lassen müsse.«
Als Arsinoe durch den Gesang des Geliebten auf den Altan gelockt und von dem Vater in das Zimmer zurückgetrieben worden war, hatte der Verwalter sie mit keinem unfreundlichen Worte zurechtgewiesen, sondern ihr die Wange gestreichelt und schmunzelnd gesagt:
»Ich glaube, der Torwächterjunge, dem ich schon einmal die Wege wies, schaut nach dir aus, seitdem man dich zur Roxane wählte. Armer Schelm! Wir haben jetzt ganz andere Freier in Sicht, mein Mädchen. Wie wär's, wenn der reiche Plutarch dir diese Rosen nicht geschickt hätte, um dich in seinem eigenen, sondern um dich im Namen seines Sohns zu begrüßen? Ich weiß, er möchte ihn gern verheiraten, aber dem wählerischen Herrn ist bisher kein alexandrinisches Mädchen schön genug gewesen.«
»Ich kenne ihn nicht, und er denkt auch gar nicht an mich armes Ding,« versetzte Arsinoe.
»Glaubst du?« fragte Keraunus lächelnd. »Wir sind ebenso vornehm, ja vielleicht vornehmer als Plutarch, und die Schönste paßt für den Reichsten. Was meinst du, Kind, zu einem lang hinwallenden Purpurgewand, einem Wagen mit Schimmeln und mit Läufern voran?«
Beim Frühstück trank Keraunus zwei Becher schweren Wein, in den er Arsinoe nur wenige Tropfen Wasser zu gießen gestattete.
Während die Tochter ihm die Locken brannte, flog eine Schwalbe ins Zimmer. Das war ein glückliches Vorzeichen und steigerte den Mut des Verwalters.
Stattlich geschmückt und mit wohlgefülltem Beutel wollte er eben aufbrechen, um sich mit seinem neuen Leibdiener in die Ratsversammlung zu begeben, als dieser den Schneider Sophillus mit seiner Gehilfin in das Wohngemach einführte.
Der Mann bat um die Erlaubnis, das von der Gattin des Präfekten bestellte Kostüm der Roxane seiner Tochter anzuprobieren.
Keraunus empfing ihn voll Herablassung und gestattete ihm, den Sklaven, der ihm ein großes Paket mit Gewändern nachtrug, bei ihm eintreten zu lassen.
Arsinoe, die sich bei den Kindern befand, wurde gerufen.
Sie fühlte sich befangen und ängstlich, ja sie hätte ihre Rolle am liebsten einer anderen überlassen, aber sie war doch sehr begierig auf die neuen Gewänder.
Der Schneider bat sie, sich von ihrer Dienerin ankleiden zu lassen. Seine Gehilfin werde ihr beistehen; denn die fürs erste nur locker zusammengesteckten Gewänder waren nicht in einfacher griechischer, sondern in asiatischer Weise geschnitten.
»Deine Zofe,« schloß er, indem er sich an Arsinoe wandte, »deine Zofe wird heute schon lernen können, in welcher Weise sie dich, wenn der große Tag erscheint, ankleiden muß.«
»Die Zofe meiner Tochter,« entgegnete Keraunus, indem er Arsinoe listig anblinzelte, »ist nicht zu Hause.«
»Oh, ich bedarf keines Beistandes,« rief die Zuschneiderin. »Ich bin auch geschickt im Ordnen der Haare, und einer so schönen Jungfrau helfe ich gern.«
»Und für sie zu arbeiten ist eine Wonne,« fiel ihr Sophillus ins Wort. »Andere werden schön durch das, was sie tragen, deine Tochter wird alles verschönern, was sie auch trägt.«
»Du bist ein höflicher Mann,« entgegnete Keraunus, während Arsinoe sich mit der Gehilfin entfernte.
»Im Verkehr mit großen Herrschaften erlernt sich ja manches,« entgegnete der Schneider. »Die hohen Frauen, die mich mit ihrer Kundschaft beehren, wollen nicht nur sehen, sondern auch hören, daß sie gefallen. Leider gibt es unter ihnen auch manche, die die Götter mit spärlichen Reizen schmückten und gerade sie verlangen seltsamerweise die schmeichelhaftesten Worte. Es freut den Armen wohl mehr als den Reichen, wenn man ihn für wohlhabend hält.«
»Gut gesagt,« rief Keraunus. »Ich selbst bin für meine Herkunft nicht überreichlich begütert und lebe gern meinen Mitteln entsprechend – indessen soll meine Tochter . . .«
»Frau Julia wählte für sie die kostbarsten Stoffe. Wie es sich schickt, wie die Gelegenheit es erfordert,« sagte der Schneider.
»Ganz recht, indessen . . .«
»Was, Herr?«
»Indessen geht das Fest vorüber, und meine Tochter soll sich, nun sie erwachsen ist, auch im Haus und auf der Straße in passenden, schönen, wenn auch nicht gerade kostbaren Gewändern zeigen.«
»Ich sagte es schon, wahre Anmut bedarf keiner prunkenden Kleider.«
»Würdest du dich geneigt finden, für sie auch um mäßigere Preise zu arbeiten?«
»Mit Freuden. Ohnehin bin ich dir zu Dank verpflichtet; denn alle Welt wird sie als Roxane bewundern und nach ihrem Schneider fragen.«
»Du bist ein billig denkender Mann. – Was würdest du für ein Gewand fordern?«
»Das können wir später besprechen.«
»Nein, nein – ich bitte dich freundlichst . . .«
»Gestatte mir erst, deinen Wunsch zu überlegen. Einfache Kleider sind schwerer, weit schwerer herzustellen und stehen schönen Frauen doch besser als prunkende Prachtgewänder. Aber mache das einer den Weibern begreiflich! Ich kann ein Lied von ihren Torheiten singen! Da fährt manche Frau auf ihrem Wagen dahin, die Kleider und Edelsteine trägt, mit denen sie außer den Gliedern auch den vernichteten Wohlstand ihres Hauses bedeckt.«
Dies und ähnliches wurde zwischen Keraunus und dem Schneider besprochen, während die Gehilfin das Haar Arsinoes mit falschen Perlenschnüren, die sie mitgebracht hatte, durchflocht, und ihr die kostbaren gelben und blauen Seidengewänder einer asiatischen Fürstin anpaßte und steckte.
Arsinoe verhielt sich zuerst still und schüchtern. Es drängte sie gar nicht mehr, sich für andere Leute außer Pollux zu putzen; aber die für sie verfertigten Kleider waren doch wunderschön, und wie wußte die Zuschneiderin jeden ihrer Vorzüge hervorzuheben!
Während die geschickte Frau mit aller Sorgfalt tätig war, floß ihr mancher heitere Scherz, manches aus dem Herzen kommende Wort der Bewunderung von den Lippen, und bald geriet auch Arsinoe in Eifer und beteiligte sich mit Vergnügen an der Arbeit der Zuschneiderin.
Jeder Strauch, den der Frühling mit Blumen schmückt, scheint sich zu freuen, und auch über das schlichte Kind, das heute so herrlich geputzt wurde, kam die Lust an seiner eigenen Schönheit und an den köstlichen Sachen, in denen es sich über alle Maßen gefiel.
Bald klatschte Arsinoe froh in die Hände, bald ließ sie sich den Spiegel reichen und äußerte mit kindlicher Unbefangenheit ihr Wohlgefallen nicht allein an den köstlichen Gewändern, sondern auch an ihrem sie selbst überraschenden stattlichen Aussehen.
Die Gehilfin war mit ihr entzückt, stolz und glücklich, und konnte sich nicht enthalten, einen Kuß auf den weißen, schön gerundeten Hals des reizenden Mädchens zu drücken.
Wenn Pollux mich so sehen könnte, dachte Arsinoe. Nach der Aufführung kann ich mich vielleicht auch Selene in meinem Putze zeigen, und dann wird sie sich schon mit meiner Teilnahme an dem Schauspiele versöhnen. So hübsch auszusehen ist doch eine Freude!
Die Kinder umstanden sie alle, während sie geschmückt wurde und schrien laut vor Bewunderung auf, sobald man der Schwester ein neues Stück ihrer Fürstinnentracht angelegt hatte.
Der blinde Helios bat sie, ihr Gewand anfühlen zu dürfen, und nachdem sie sich überzeugt hatte, daß sein Händchen rein sei, führte sie es über die glänzende, weiche Seide.
Jetzt war sie so weit, daß der Schneider und ihr Vater gerufen werden konnten.
Sie fühlte sich sehr zufrieden und glücklich.
Hoch aufgerichtet wie eine wirkliche Königstochter und doch mit so bang schlagendem Herzen wie ein armes Mädchen, das im Begriff steht, ihre im elterlichen Hause gehütete und verborgene Schönheit tausend gaffenden Augen zu zeigen, ging sie auf das Wohngemach zu; aber sie zog die Hand, die sich nach dem Riegel ausgestreckt hatte, wieder zurück; denn sie vernahm die Stimmen mehrerer Männer, die soeben bei ihrem Vater eingetreten sein mußten.
»Warte noch ein wenig, wir haben Besuch,« rief sie der Gehilfin des Schneiders zu, die ihr gefolgt war, und näherte das Ohr der Tür, um zu lauschen.
Anfänglich begriff sie nichts von allem, was sie vernahm; doch das Ende des seltsamen Gespräches, das da drinnen geführt wurde, war so gräßlich verständlich, daß sie es nicht vergessen sollte, solange sie lebte.
Ihr Vater hatte bei Sophillus zwei neue Gewänder für sie bestellt, die Preise des Mannes gebilligt und ihm schnelle Zahlung versprochen, als Mastor in die Verwalterswohnung trat und Keraunus anzeigte, sein Herr und der Kunsthändler Gabinius aus Nizäa wünschten ihn zu sprechen.
»Dein Gebieter,« entgegnete Keraunus stolz, »mag kommen. Ich denke, daß ihm das Unrecht leid wurde, das er mir antat; Gabinius aber soll diese Schwelle nicht wieder betreten; denn er ist ein Schurke.«
»Es wird gut sein, wenn du den Mann dort bittest, dich jetzt zu verlassen,« fuhr der Sklave fort, indem er auf den Schneider wies.
»Wer mich besucht,« gab der Verwalter hochmütig zurück, »muß es sich gefallen lassen, jeden bei mir zu finden, dem ich gestatte, mein Haus zu betreten.«
»Nein, nein,« rief der Sklave dringend, »mein Herr ist mehr, als wofür du ihn hältst. Bitte diesen Mann, daß er sich entferne.«
»Ich weiß, ich weiß schon,« gab Keraunus lächelnd zurück. »Dein Gebieter ist ein Bekannter des Kaisers. Wir werden ja sehen, wem von uns beiden nach der Aufführung, die wir veranstalten, Hadrian recht gibt. Dieser ausgezeichnete Kleidermacher hat hier zu tun und wird bei mir bleiben. Setze dich dort in die Ecke, mein Freund.«
»Ein Schneider!« rief Mastor entsetzt. »Ich sage dir, er muß sich entfernen.«
»Er muß?« fragte Keraunus gereizt. »Ein Sklave erfrecht sich, mir in meinem Hause Vorschriften zu machen? Wir wollen doch sehen.«
»Ich gehe,« fiel der verständige Handwerker dem Verwalter ins Wort. »Um meinetwillen soll hier kein Unfrieden entstehen. In einer Viertelstunde komme ich wieder.«
»Du bleibst,« befahl Keraunus. »Der freche Römer bildet sich ein, daß die Lochias ihm gehöre; ich aber werde ihm zeigen, wer hier gebietet.«
Mastor ließ sich von diesen in hohem Tone gesprochenen Worten nicht irre machen, faßte die Hand des Schneiders, zog ihn mit sich fort und raunte ihm zu:
»Folge mir, wenn du einer üblen Stunde entgehen willst.«
Beide Männer entfernten sich, und Keraunus hielt den Handwerker nicht zurück; denn es kam ihm in den Sinn, daß ihm seine Anwesenheit wenig Ehre bringen würde.
Er gedachte dem übermütigen Baumeister sich in seiner ganzen Würde zu zeigen und erinnerte sich, daß es nicht rätlich sei, den unheimlichen bärtigen Mann mit dem großen Hunde ohne Not zu reizen.
Erregt und nicht frei von Besorgnis ging er in seinem Zimmer auf und nieder. Um sich zu ermutigen, füllte er schnell den Becher aus dem auf dem Frühstückstische stehenden Krug, leerte ihn, füllte ihn wieder, trank ihn zum zweitenmal aus ohne den Wein zu mischen und erwartete dann mit gekreuzten Armen und hochgeröteten Wangen den Besuch seines Gegners.
Der Kaiser trat mit Gabinius in das Gemach.
Keraunus erwartete seinen Gruß; Hadrian sprach aber kein Wort, warf ihm einen ganz von Verachtung erfüllten Blick zu und schritt an ihm vorüber, ohne ihn mehr zu beachten, als wäre er ein Pfeiler oder unnützes Gerät.
Das Blut stieg dem Verwalter in den Kopf und in die Augen, und eine volle Minute lang bemühte er sich vergeblich, Worte zu finden, um seiner Empörung Ausdruck zu geben.
Der Kunsthändler Gabinius berücksichtigte Keraunus ebensowenig wie Hadrian.
Er schritt diesem voran, blieb vor der Mosaik stehen, für die er eine so hohe Summe geboten und um derentwillen er vor einigen Tagen derb genug von dem Verwalter abgefertigt worden war, und sagte:
»Ich bitte dich, dies Meisterwerk zu betrachten.«
Der Kaiser schaute zu Boden; kaum aber hatte er begonnen, sich in das Gemälde zu versenken, dessen große Schönheiten er voll zu würdigen verstand, als hinter ihm aus Keraunus' Munde die mit heiserem Klange mühsam herausgepreßten Worte ertönten:
»In Alexandria begrüßt – man die Leute, die man – die man besucht.«
Hadrian wandte das Haupt nur halb nach dem Redenden hin und rief in die Luft hinaus mit tiefer, kränkender Mißachtung:
»Auch in Rom begrüßt man
Dem Verwalter waren bei der Antwort des Kaisers die Augen weit aus den Kohlen getreten. Kirschrot und mit bleichen Lippen trat er Hadrian näher und fragte, nachdem er den zum Reden nötigen Atem gefunden:
»Was haben – was sollen deine Worte bedeuten?«
Hadrian wandte sich jetzt schnell und voll nach dem Verwalter um.
Aus seinen Augen brannte jene vernichtende Glut, die nur wenige zu ertragen vermochten, und seine tiefe Stimme grollte gewaltig durch das Gemach, als er dem Unglücklichen zurief:
»Meine Worte sollen bedeuten, daß du ein ungetreuer Verwalter bist, daß ich weiß, was dir nicht lieb ist, daß ich erfuhr, wie du mit dem dir anvertrauten Gute verfährst, daß du . . .«
»Daß ich?« fragte Keraunus zitternd vor Wut und trat dem Kaiser näher.
»Daß du,« rief ihm dieser ins Gesicht, »daß du diesem Manne hier das Gemälde da unten zu verkaufen gesucht hast, daß du, damit du alles auf einmal weißt, daß du ein Einfaltspinsel und dazu ein Spitzbube bist!«
»Ich, ich,« röchelte der Verwalter und schlug die Finger in die Muskeln seiner fleischigen Brust, »ich ein – ein – diese Worte sollst du mir büßen!«
Hadrian lachte kalt und höhnisch auf, Keraunus aber sprang mit einem für seine Körperfülle unerhört schnellen Satze auf Gabinius zu, schlug die Hand in die Halsöffnung seines Chiton und schüttelte den schmächtigen Mann, als wäre er ein dünnes Bäumchen, hin und her, indem er kreischte:
»Ich tränke dir deine Verleumdung ein, du Schlange, du tückische Natter!«
»Unsinniger!« rief Hadrian. »Laß den Ligurier los oder beim Hunde, es reut dich.«
»Reuen?« röchelte der Verwalter. »An dir wird es sein zu bereuen, wenn der Kaiser erst hier ist. Dann geht es an die Abrechnung mit den Verleumdern, den Unverschämten, die den Hausfrieden stören, den leichtgläubigen Tröpfen . . .«
»Mann – Mann,« unterbrach Hadrian den Verwalter, ohne aufzubrausen, streng und drohend. »Du weißt nicht, mit wem du redest.«
»Oh, ich kenne dich – kenne dich nur zu gut. Aber ich – ich. Soll ich dir sagen, wer ich bin?«
»Ein Dummkopf bist du,« entgegnete der Herrscher, indem er verächtlich die Achseln zuckte. Dann fügte er kühl, vornehm, beinahe gleichgültig hinzu: »Ich bin der Kaiser.«
Die Hand des Verwalters löste sich bei dieser Erklärung von dem Chiton des halb erdrosselten Kunsthändlers.
Stieren Blickes und lautlos starrte er während einiger Augenblicke Hadrian ins Antlitz. Dann zuckte er jäh zusammen, beugte sich nach hintenüber, stieß einen lauten, mit keinem Namen zu nennenden gurgelnden Schrei aus und stürzte wie ein bei einem Erdbeben des Gleichgewichtes beraubtes Felsstück rücklings auf den Estrich.
Das Gemach erdröhnte von seinem Falle.
Hadrian erschrak, und als er ihn regungslos zu seinen Füßen liegen sah, beugte er sich zu ihm nieder, weit weniger aus Mitleid, als um zu untersuchen, was hier etwa noch zu tun sei. – Er hatte sich ja auch mit der Arzneikunst beschäftigt.
Als er die Hand des zu Boden Gesunkenen aufhob, um ihm den Puls zu fühlen, stürzte Arsinoe in das Gemach.
Sie hatte atemlos den letzten Worten der Streitenden gelauscht und den Fall des Vaters vernommen. Jetzt warf sie sich Hadrian gegenüber an der Seite des Unglücklichen nieder.
Nachdem sein entstelltes, bläulich gefärbtes Gesicht ihr verraten hatte, was hier geschehen sei, brach sie in ein leidenschaftliches Jammergeschrei aus.
Die kleinen Geschwister folgten ihr auf dem Fuße, und als sie ihre liebste Schwester jammern hörten, taten sie das gleiche, zuerst ohne zu wissen, aus welchem Grunde Arsinoe klagte, dann aber vor Schreck und Entsetzen über den starr und entstellt daliegenden Vater.
Dem Kaiser, der niemals selbst einen Sohn oder eine Tochter besessen, war nichts so unausstehlich wie die Nähe schreiender Kinder. Indessen ertrug er das Jammern und Winseln, das ihn rings umgab, bis er sich über den Zustand des am Boden liegenden Mannes Gewißheit verschafft hatte.
»Er ist tot,« sagte er nach einigen Minuten. »Deck ihm ein Tuch über das Antlitz, Mastor.«
Arsinoe und die Kleinen jammerten von neuem laut auf, und Hadrian warf einen verdrossenen Blick auf sie hin.
Als seine Augen Arsinoe begegneten, deren flüchtig zusammengesteckte und geheftete kostbare Gewänder bei ihren heftigen Bewegungen sich gelockert hatten und als Lappen und Fetzen in krauser Anordnung an ihr herumhingen, wandte er sich, angewidert von dem windigen, bunten Putz, der in verletzendem Widerspruch zu der Trauer der Trägerin stand, von dem schönen Mädchen ab und verließ das Unglücksgemach. Der Kunsthändler Gabinius folgte ihm mit einem häßlichen Lächeln.
Er hatte den Kaiser selbst auf die Mosaik in der Verwalterwohnung aufmerksam gemacht, und indem er seine strenge Rechtlichkeit hervorhob, Keraunus schändlich beschuldigt, ihm das dem Palast gehörende Gemälde zum Kauf angeboten zu haben.
Nun war der Verleumdete tot, und die Wahrheit konnte nie mehr an den Tag kommen. Das mußte dem Elenden lieb sein; aber noch größere Freude gewährte ihm der Gedanke, daß Arsinoe nun nicht mehr als Roxane auftreten könne und sich für ihn somit eine neue Möglichkeit eröffne, diese Rolle auf seine Tochter übertragen zu lassen.
Hadrian war ihm schweigend und sinnend vorangegangen.
Gabinius trat mit ihm in sein Arbeitszimmer und sagte dort mit Salbung:
»Ja, großer Cäsar, so strafen die Götter mit strenger Hand die Schuld der Frevler.«
Der Kaiser ließ ihn zu Ende reden, blickte ihm scharf und prüfend ins Gesicht und sagte dann ernst und gelassen:
»Es will mir scheinen, Mann, als würde ich gut tun, den Verkehr mit dir abzubrechen und einem anderen Kunsthändler die Aufträge, die ich dir zugedacht hatte, zu geben.«
»Mein Kaiser,« stammelte Gabinius, »ich weiß in der Tat nicht . . .«
»Ich aber meine zu wissen,« unterbrach ihn der Herrscher, »daß du es versucht hast, mich irrezuführen und die eigene Schuld auf andere Schultern zu wälzen.«
»Ich, großer Cäsar, ich sollte . . .« fragte der Ligurier, während ihm aschgraue Blässe das hagere Antlitz zu entstellen begann.
»Du hast den Verwalter eines schlechten Streiches geziehen,« entgegnete Hadrian; »aber ich kenne die Menschen und weiß, daß noch kein Dieb daran gestorben ist, daß man ihn einen Spitzbuben nannte. Nur ein unverdienter Schimpf geht ans Leben.«
»Keraunus war vollsaftig, und der Schreck, als er erfuhr, du wärest der Kaiser . . .«
»Dieser Schreck beschleunigte vielleicht sein Ende,« unterbrach ihn der Herrscher; »aber die Mosaik in der Verwalterwohnung ist eine Million Sesterze wert, und nun ich dich recht ins Auge faßte, weiß ich, daß du nicht der Mann bist, enthaltsam zu sein, wenn dir – gleichviel unter welchen Umständen – ein Werk wie jenes Gemälde zum Kauf angeboten wird. Sehe ich recht, so hat Keraunus deine Aufforderung, dir den Schatz in seinem Quartier zu überlassen, zurückgewiesen. Gewiß, so verhält sich die Sache! Verlaß mich jetzt. Ich will allein sein.«
Gabinius zog sich, mit vielen Verbeugungen rückwärts schreitend, zur Tür zurück und wandte dann, indem er ohnmächtige Verwünschungen vor sich hinmurmelte, dem Palast auf der Lochias den Rücken.
Der neue »Leibdiener« des Verwalters, die alte Schwarze, Mastor, der Kleidermacher und sein Sklave halfen Arsinoe den Körper des Vaters auf das Polster ziehen.
Der Sklave drückte Keraunus die Augen zu.
Er war tot.
Ein jeder sagte es der verzweifelnden Jungfrau, doch sie wollte, konnte es nicht glauben.
Als sie mit der alten Sklavin und dem Verstorbenen allein war, hob sie ihm den schweren, ungelenken Arm in die Höhe, und sobald sie ihn aus der Hand ließ, fiel er wie ein Bleigewicht nieder.
Sie hob das Tuch von dem Angesicht der Leiche, aber gleich warf sie es darauf zurück; denn der Tod hatte es schrecklich entstellt.
Dann küßte sie die kalte Hand des Verschiedenen und führte die Kinder zu ihm heran, ließ sie das gleiche tun und sagte schluchzend:
»Nun haben wir keinen Vater mehr; wir werden ihn nie, niemals wiedersehen.«
Der blinde Helios hatte die Leiche betastet und fragte die Schwester:
»Wird er nicht morgen früh wieder aufwachen und sich die Locken von dir brennen lassen und Helios hochheben?«
»Nie, nie. Alles ist mit ihm vorbei, alles, alles.«
Mastor trat bei dieser Klage im Auftrag seines Herrn in das Zimmer.
Gestern hatte er von dem Aufseher der Pflasterer die tröstliche Botschaft erhalten, daß es nach dem Leid und Jammer hienieden ein schöneres, seliges, ewiges Leben gäbe.
Freundlich trat er jetzt Arsinoe näher und sagte:
»Nein, nein, ihr Kinder, wenn wir tot sind, werden wir schöne Engel mit bunten Flügeln, und alle, die sich liebgehabt haben auf Erden, finden einander bei dem gütigen Gott im Himmel wieder.«
Arsinoe sah den Sklaven mißbilligend an und entgegnete:
»Was taugt es, die Kinder mit Märchen zu täuschen? Der Vater ist hin, ganz hin, aber wir wollen uns vornehmen, ihn nie zu vergessen.«
»Gibt es keine Engel mit roten Flügeln?« fragte die jüngste Tochter des Verstorbenen.
»Ich will ein Engel werden!« rief der blinde Helios, in die Hände klatschend. »Können die Engel auch sehen?«
»Ja, lieber Junge,« entgegnete Mastor, »und ihre Augen sind besonders hell, und was sie erblicken, wird wunderschön sein.«
»Laß doch die christlichen Torheiten,« bat Arsinoe. »Ach, Kinder, wenn sie unseren Vater verbrannt haben, so bleibt nichts mehr von ihm übrig, als ein wenig graue Asche.«
Der Sklave nahm indes den kleinen Blinden auf den Arm und flüsterte ihm unbeirrt ins Ohr:
»Glaube mir nur, du wirst ihn wiedersehen im Himmel!«
Dann stellte er ihn wieder auf die Füße, gab Arsinoe einen Beutel voll Goldstücke im Namen des Kaisers und bat sie – denn so verlangte es sein Gebieter – sich ein neues Unterkommen zu suchen und nach der Verbrennung des Toten, die morgen stattzufinden habe, mit den Geschwistern die Lochias zu verlassen.
Als Mastor sich entfernt hatte, öffnete Arsinoe die Truhe, in der bei den Dokumenten ihres Vaters das Geld lag, das Plutarch für den elfenbeinernen Becher gezahlt hatte, legte den schweren Beutel des Kaisers hinein und sagte sich, während ihr Tränen flossen, daß sie und die Kinder wenigstens fürs erste vor Not gesichert wären.
Aber wohin mit den Kleinen?
Wo konnte sie gleich eine Unterkunft für sie zu finden erwarten?
Was sollte aus ihnen werden, wenn alles, was sie besaßen, verzehrt war?
Dank den Göttern! Sie war ja nicht verlassen! Sie hatte Freunde!
Bei Pollux konnte sie Schutz und Liebe, bei Frau Doris mütterlichen Rat zu finden erwarten.
Sie war nicht ganz verlassen, und bald, bald konnte sie sich an der Brust des Geliebten ausweinen!
Rasch waren ihre Augen getrocknet und die letzten Überreste ihrer Verkleidung mit dem dunklen Gewande vertauscht, in dem sie in die Papyrusfabrik zu gehen pflegte. Nachdem sie auch die Perlen aus dem schönen Haare gelöst hatte, begab sie sich in den Hof zu dem Torwärterhäuschen.
Jetzt war sie nur noch wenige Schritte davon entfernt.
Warum sprangen die Grazien ihr nicht entgegen? Warum sah sie keine Blumen und Vögel mehr an den Fenstern? Täuschte sie sich, träumte sie, oder hatten böse Geister ihr Spiel dort getrieben?
Die Tür des lieben, heimlichen Häuschens war weit geöffnet und das Wohnzimmer völlig leer. Kein vergessenes Gerät, kein von einem Blumenstock gefallenes Blatt lag am Boden; denn Frau Doris hatte in ihrer sauberen Weise die wenigen Zimmer, in denen sie in Frieden ergraut war, so sorgfältig ausgefegt, als sollte sie morgen wieder hineinziehen.
Was war hier geschehen?
Wohin hatten sich ihre Freunde gewandt?
Eine große Angst erfaßte, der ganze Schmerz der Verlassenheit überfiel sie, und als sie sich auf die steinerne Bank vor dem Torwärterhäuschen niederließ, um auf seine Bewohner, die doch zurückkehren mußten, zu warten, füllten ihr wiederum Tränen die Augen, und fielen in schweren Tropfen auf die in ihrem Schoße ruhenden Hände.
Noch saß sie da und dachte hochklopfenden Herzens an Pollux und den seligen Morgen des vergangenen Tages, als eine Schar von Maurersklaven sich der verlassenen Behausung näherte.
Der Werkmeister, der ihnen voranschritt, forderte sie auf, die Bank zu verlassen, und antwortete auf ihre Frage, daß das kleine Gebäude abgerissen werden sollte und das Torhüterpaar, seines Dienstes enthoben, ausgewiesen worden sei und sich mit all seinem Gerät entfernt habe.
Wohin Doris und ihr Sohn sich begeben, wußte niemand zu sagen.
Arsinoe wurde bei diesem Bericht zumute wie einem Schiffer, dessen Fahrzeug an eine Klippe gerannt ist, und der nun mit Entsetzen empfindet, wie sich die Bretter und Balken unter ihm lockern und auseinanderweichen.
Wie immer, wenn sie sich zu schwach fühlte, sich allein zu helfen, dachte sie zuerst an Selene und beschloß zu ihr zu eilen, um sie zu fragen, was sie nun beginnen, was nun aus ihr und den Kindern werden sollte.
Schon begann es zu dunkeln.
Raschen Schrittes und indem sie die Tränen von Zeit zu Zeit mit dem Peplum trocknete, eilte sie in ihre Wohnung zurück, um den Schleier, ohne den sie sich so spät nicht auf die Straße wagen durfte, zu holen.
Auf der Treppe, von der der Molosser ihre Schwester heruntergestoßen, begegnete sie einem eilenden Manne. Sie meinte im Halbdunkel, er gliche dem Sklaven, den der Vater gestern gekauft; aber sie beachtete ihn nicht; denn es lag ihr so viel anderes im Sinn.
In der Küche saß die alte Schwarze vor der brennenden Lampe, um sie her hockten die Kinder. Neben dem Herde saßen der Bäcker und der Fleischer, denen ihr Vater hübsche Summen schuldig war, um ihre Forderungen geltend zu machen; denn eine Trauerkunde hat schnellere Flügel als eine frohe Botschaft, und so hatten sie bereits vom Tod des Verwalters gehört.
Arsinoe ließ sich das Licht reichen, bat die Handwerker zu warten, ging in das Wohngemach und betrat es nicht ohne Scheu vor der Leiche des Mannes, dem sie noch vor wenigen Stunden die Wangen gestreichelt und liebreich in die Augen geblickt hatte.
Wie froh war sie, die Schulden des Verstorbenen bezahlen und seinen ehrlichen Namen retten zu können!
Zuversichtlich nahm sie den Schlüssel aus dem Täschchen und näherte sich der Truhe.
Was war das?
Sie wußte ganz genau, daß sie den Kasten vor ihrem Weggang verschlossen hatte, und doch stand er jetzt weit offen. Der zurückgelehnte Deckel hing schräg an einem Scharnier; das andere war zerbrochen.
Ein Schreck, ein entsetzlicher Verdacht ließ ihr das Blut erstarren.
Die Lampe zitterte ihr in der Hand, als sie sich über den Behälter beugte, der alles bewahren sollte, was sie besaß.
Da lagen die alten Schriften, sorglich zusammengerollt, eine neben der andern, aber die beiden Beutel mit dem Golde Plutarchs und des Kaisers waren verschwunden.
Sie hob eine Rolle nach der anderen auf. Dann warf sie alle aus der Truhe, bis ihr Boden frei vor ihr dalag; – aber das Gold war wirklich fort, war nirgends zu finden.
Der neue Sklave hatte den Deckel der Kiste gesprengt und den Waisen des Mannes, der ihn, um seine Eitelkeit zu befriedigen, ins Haus genommen, ihre ganze Habe gestohlen.
Arsinoe schrie laut auf, rief die Handwerker herbei, erzählte ihnen, was geschehen war und flehte sie an, den Dieb zu verfolgen. Als sie ihr mit ungläubigem Achselzucken zuhörten, schwur sie, die Wahrheit zu reden, und versprach ihnen, ob sie den Sklaven einfangen würden oder nicht, sie mit ihrem und dem Schmucke des Vaters zu bezahlen.
Sie kannte den Namen des Sklavenhändlers, von dem Keraunus den Samier gekauft hatte, und teilte ihn den beunruhigten Handwerkern mit. Diese verließen sie endlich, um den entwischten Dieb sogleich verfolgen zu lassen.
Arsinoe war wieder allein.
Ohne Tränen, aber fröstelnd und kaum der Sinne mächtig vor Angst und Erregung, ergriff sie den Schleier, warf ihn sich um das Haupt und eilte durch den Hof und die Straße zu ihrer Schwester.
Gewiß, seit Sabinas Erscheinen im Palast auf der Lochias waren die guten Geister aus ihm verschwunden.
Dreiunddreißigstes Kapitel
An einer völlig dunklen Stelle bei der Mauer des Gartens der Witwe des Pudens stand der zynische Philosoph, der Antinous so unfreundlich begegnet war, und verantwortete sich leise und eifrig gegen die Vorwürfe eines anderen Mannes, der wie er selbst, mit einem zerrissenen Mantel bekleidet war, einen Bettelsack trug und zu seinen Genossen zu gehören schien.
»Leugne es nicht,« sagte dieser, »daß du dich zu den Christen hältst.«
»Aber höre mich doch,« bat der andere dringend.
»Ich brauche nichts zu hören; denn ich sehe nun schon zum zehnten Male, daß du dich zu ihren Versammlungen schleichst.«
»Leugne ich es denn? Bekenne ich denn nicht offen, daß ich die Wahrheit überall suche, wo ich auch nur einen Schimmer von Hoffnung sehe, sie zu finden?«
»Wie der Ägypter, der den Wunderfisch fangen wollte und die Angel zuletzt auch in den Sand warf.«
»Der Mann handelte verständig.«
»Sieh einer.«
»Ein Wunderding findet sich eben nicht da, wo alle es suchen. Bei der Jagd nach der Wahrheit darf man auch den Sumpf nicht scheuen.«
»Und die Christenlehre ist wahrscheinlich solch ein schlammiges Dickicht.«
»Meinetwegen nenne sie so.«
»Dann nimm dich in acht, daß du nicht in dem Moraste stecken bleibst.«
»Ich werde mich hüten.«
»Du sagtest neulich, es wären auch gute Leute darunter.«
»Einige wohl. Aber die anderen! Ewige Götter! Lauter Sklaven, Bettler, verarmte Handwerker, geringes Volk, ungeschulte, unphilosophische Köpfe und darunter Weiber die Menge.«
»So meide sie doch!«
»Das solltest du mir am letzten raten.«
»Wie meinst du das?«
Der andere drängte sich näher an den Genossen und fragte ihn flüsternd:
»Woher denkst du denn, daß ich das Geld nehme, mit dem ich unser Essen und unsere Wohnung bezahle?«
»So lange du es nicht stiehlst, kann es mir gleich sein.«
»Wenn es mir ausgeht, wirst du schon danach fragen.«
»Gewiß nicht. Wir ringen nach Tugend und sollen alles tun, um uns von der Natur und ihren Anforderungen unabhängig zu machen. Aber freilich, manchmal verlangt sie ihr Recht. So rücke denn heraus mit der Sprache. Woher nimmst du das Geld?«
»Denen da drinnen brennt es im Beutel. Ärmere zu beschenken ist ihre Pflicht und wahrhaftig auch ihr Vergnügen. So geben sie mir denn Woche für Woche einige Drachmen für meinen notleidenden Bruder.«
»Pfui, du bist ja der einzige Sohn deines verstorbenen Vaters.«
»›Alle Menschen sind Brüder‹, sagen die Christen, folglich darf ich dich, ohne zu lügen, den meinigen nennen.«
»Geh denn meinetwegen hinein,« lachte der andere und gab dem Genossen einen Stoß an die Schulter. »Wie wär's, wenn ich dir zu den Christen folgte? Vielleicht geben sie mir auch für meinen hungernden Bruder ein Wochengeld, und dann können wir doppelte Mahlzeiten halten.«
Die Zyniker lachten laut auf und trennten sich. Der eine ging in die Stadt zurück, der andere in den Garten der christlichen Witwe.
Arsinoe hatte ihn schon vor dem unredlichen Philosophen betreten und sich, ohne von dem Torhüter aufgehalten zu werden, in das Haus Frau Hannas begeben.
Je näher sie ihrem Ziele gekommen war, desto eifriger hatte sie nachzudenken versucht, in welcher Weise sie, ohne die kranke Schwester zu erschrecken, sie von den furchtbaren Dingen unterrichten sollte, die sie ja doch einmal erfahren mußte. Ihre Angst war nicht viel geringer als ihr Kummer.
Wenn sie sich der letzten Tage und der mancherlei Vorfälle, die sie mit sich gebracht, erinnerte, wollte es ihr scheinen, als wäre sie die Ursache des Unglücks der Ihren.
Auf dem Wege zu Selene konnte sie keine Träne vergießen, aber sie mußte oftmals leise vor sich hin wimmern. Eine Frau, die eine Zeit lang neben ihr her gegangen war, hatte gemeint, sie müsse heftige Körperschmerzen empfinden, und als das Mädchen an ihr vorübergeschritten war, ihm mit aufrichtigem Bedauern nachgeschaut; das Wimmern des einsamen jugendlichen Geschöpfs hatte gar so kläglich geklungen.
Einmal war Arsinoe in der Mitte des Weges stehen geblieben, und hatte, statt umzukehren und Selene um Rat zu fragen, Pollux um Hilfe bitten wollen. Der Gedanke an den Geliebten drängte sich fortwährend in ihr Leid und in ihre Sorgen, in die Vorwürfe, die sie sich machte, und in die in der Luft schwebenden, verschwommenen Pläne, die ihr an ernstes Nachdenken ganz ungewohnter Kopf für die Zukunft zu entwerfen versuchte.
Er war gut und gewiß zu helfen bereit; aber mädchenhafte Scheu hielt sie ab, ihn so spät aufzusuchen, und wie hätte sie ihn und seine Eltern auch finden können?
Der Aufenthaltsort ihrer Schwester war ihr wohlbekannt, und niemand konnte ihre Lage besser beurteilen und besonneneren Rat geben als die kluge Selene.
So war sie denn nicht umgekehrt, sondern hatte sich beeilt, ihr Ziel möglichst schnell zu erreichen, und stand nun vor dem Häuschen im Garten.
Bevor sie die Tür öffnete, überlegte sie von neuem, in welcher Weise sie Selene vorbereiten und ihr das Schreckliche eröffnen sollte. Dabei trat ihr das Geschehene mit voller Lebhaftigkeit vor die Seele, und sie mußte wiederum weinen.
Vor und nach ihr zogen einzeln, zu zweien oder auch in größeren Gruppen, Männer und verhüllte Frauen in den Garten der Witwe des Pudens.
Sie kamen aus Werkstätten und Schreibstuben, aus kleinen Häusern in nahen Gassen und aus den allergrößten und glänzendsten in der Hauptstraße. Jeder von ihnen, der wohlhabende Kaufherr wie der Sklave, der kaum den rauhen Kittel oder den ärmlichen Schurz, den er trug, sein eigen nannte, ging ernst und mit einer gewissen Würde einher. Wer hinter dem Tor einem anderen begegnete, begrüßte ihn wie einen Freund. Der Herr gab dem Knecht, der Sklave dem Gebieter den Bruderkuß; denn die Gemeinde, zu der sie alle gehörten, war wie ein einziger vom Geiste Christi beseelter Leib, an dem jedes Glied dem andern gleich geachtet werden sollte, so verschieden auch die Gaben des Geistes und Körpers und der weltliche Besitz sein mochten, mit denen sie ausgestattet waren.
Vor Gott und dem Heiland stand der reiche Schiffsherr und der graubärtige weise Gelehrte nicht höher als die schuhlose Witwe und der unwissende, lahm geschlagene Sklave.
Dennoch beugten sich die Mitglieder dieser Gemeinde weit tiefer vor dem einen als vor dem anderen; denn die besonderen Gaben, die bevorzugte Christen schmückten, waren Gnadengeschenke des Herrn, die als solche gern anerkannt wurden und, wenn sie sich auf den inneren Menschen bezogen, verehrungswürdig erschienen.
Am Sonntag, dem Tage der Auferstehung des Heilands, pflegten die Christen ohne Ausnahme ihre Versammlungsorte zum Gottesdienst zu besuchen.
Heute am Mittwoch kam, wer konnte und mochte, zum Liebesmahl in das Landhaus Paulinas. Sie selbst wohnte in der Stadt und hatte den mehrere hundert Menschen fassenden Festsaal in ihrer Villa den Glaubensgenossen aus ihrem Stadtviertel zur Verfügung gestellt.
Der eigentliche Gottesdienst wurde am Morgen abgehalten.
Nach der Arbeit des Tages vereinten sich die Christen am gleichen Tische, um gemeinsam zu speisen oder – zu anderen Zeiten – um das Abendmahl zu genießen. Nach Sonnenuntergang traten auch die Ältesten, Diakonen und Diakonissinnen der Gemeinde, von denen die meisten, so lang es hell war, weltlichen Berufsarbeiten obliegen mußten, zu Beratungen zusammen.
Pauline, die Witwe des Pudens, die Schwester des Baumeisters Pontius, war eine reich begüterte Frau und dabei eine vorsichtige Haushälterin, die sich nicht für berechtigt hielt, ihres Sohnes Erbteil erheblich zu schmälern. Dieser Sohn weilte als Teilhaber an dem Geschäft eines Oheims in Smyrna und vermied Alexandria, weil er den Verkehr seiner Mutter mit den Christen nicht liebte. Paulina hütete sich ängstlich, ihr für ihn bestimmtes Kapital anzugreifen und ließ sich die Bewirtung ihrer Glaubensgenossen nicht mehr kosten als die anderen reichen Mitglieder des Kreises, der sich in ihrem Hause vereinigte. Die Wohlhabenden brachten mehr mit, als sie für sich selbst bedurften, die Ärmeren waren stets willkommene Gäste und fühlten sich nicht gedrückt von der Wohltat, die sie genossen; denn oftmals wurde ihnen gesagt, ihr Wirt sei nicht ein Mensch, sondern der Heiland, der jeden, der ihm gläubig folge, zu Gaste rufe.
Für Frau Hanna nahte die Stunde, die sie in die Versammlung ihrer Glaubensgenossen rief.
Sie durfte nicht fehlen; denn sie gehörte zu den mit der Verteilung der Almosen und mit der Krankenpflege betrauten Diakonissinnen.
Geräuschlos rüstete sie sich zum Aufbruch, stellte die Lampe behutsam hinter den Wasserkrug, damit sie Selene nicht blende, und empfahl Maria, der Kranken pünktlich Arznei zu reichen.
Sie wußte, daß ihr Pflegling gestern versucht hatte, sich das Leben zu nehmen, und ahnte den Grund dieser Tat; aber sie fragte sie nicht aus und störte das Mädchen, das viel schlief und mit offenen Augen träumte, so wenig wie möglich.
Der alte Arzt bewunderte ihre gute Natur; denn das Fieber war seit dem Sturze ins Wasser verschwunden, und mit dem verletzten Bein ging es nur wenig schlechter.
Hanna konnte das Beste für Selene hoffen, wenn kein unvorhergesehener Zwischenfall ihre Genesung aufhielt. Um einen solchen zu verhüten, durfte die Unglückliche niemals allein gelassen werden, und Maria war gern zu der Freundin gezogen, um sie zu vertreten, so oft sie das Haus verlassen mußte.
Die Versammlung der Ältesten und Armenpfleger hatte schon begonnen, als Frau Hanna die Schreibtafel in die Hand nahm, auf der alles verzeichnet stand, was sie von der ihr anvertrauten Summe in der letzten Woche an Bedürftige verteilt hatte. Sie grüßte die Kranke und Maria mit einem freundlichen Blick und flüsterte dieser zu:
»Ich gedenke deiner in meinem Gebet, du treue Seele. In dem Schränkchen findest du etwas gegen den Hunger. Es ist nicht viel, denn es gilt jetzt zu sparen; die letzte Arznei war so teuer.«
In dem kleinen Vorgemach brannte ein Lämpchen, das Maria bald nach dem Eintritt der Dunkelheit angezündet hatte. Die Witwe blieb vor ihm stehen und bedachte, ob sie es nicht auslöschen sollte, um das Öl zu sparen.
Schon hob sie das an dem Griff der Leuchte hängende Zänglein, um die Flamme zu ersticken, als sie ein leises Klopfen an der Pforte ihres Hauses vernahm. Bevor sie noch fragen konnte, wer so spät Einlaß begehre, öffnete sich die Tür und Arsinoe trat in den Vorraum.
Ihre Augen waren immer noch voller Tränen, und sie fand nur mühsam Worte, um den Gruß Frau Hannas zu erwidern.
»Was ist dir begegnet, mein Kind?« fragte die Christin besorgt, nachdem sie im Lichte des Lämpchens bemerkt hatte, wie kummervoll und verweint das Mädchen aussah.
Arsinoe blieb eine Zeitlang die Antwort schuldig. Endlich gewann sie Fassung genug, um unter Tränen zu rufen:
»Ach, Frau Hanna, nun ist alles vorbei; unser Vater, unser armer Vater . . .«
Die Witwe ahnte, welcher Schlag die Schwestern getroffen, und voller Besorgnis für Selene unterbrach sie die Klagende, indem sie sagte:
»Still, still, mein Kind! Selene darf dich nicht hören. Komm mit mir hinaus, da sollst du mir alles erzählen.«
Vor der Tür ihres Hauses legte Frau Hanna den Arm um Arsinoe, zog sie an sich, küßte ihr die Stirn und sagte:
»Nun rede und vertrau mir alles. Denke, ich wäre deine Mutter oder Schwester. Die arme Selene ist ja noch zu schwach, um euch zu raten oder zu helfen. Fasse nur Mut. Was ist eurem Vater begegnet?«
»Vom Schlag getroffen, tot, tot!« klagte das Mädchen.
»Arme, liebe Waise,« sagte die Witwe mit gedämpfter Stimme und schloß Arsinoe fest in die Arme.
Eine Zeitlang gestattete sie der Jungfrau, sich still an ihrer Brust auszuweinen. Dann sagte sie:
»Nun gib mir die Hand, meine Tochter, und erzähle mir, wie das so schnell gekommen ist. Dein Vater war gestern noch wohl auf – und nun? Ja, mein Mädchen, das Leben ist ernst. Ihr müßt das in jungen Jahren erfahren. Ich weiß, ihr habt noch sechs kleinere Geschwister, und vielleicht wird es euch bald am Nötigsten fehlen. Das ist keine Schande. Ich bin gewiß noch ärmer als ihr, und doch hoff ich mit Gottes Hilfe euch raten und vielleicht sogar helfen zu können. Es soll alles geschehen, was ich nur immer vermag; doch erst muß ich wissen, wie es bei euch steht, und wessen ihr bedürft.«
Es lag soviel Freundliches, Tröstliches und Hoffnung Erweckendes in der Stimme der Christin, daß das Mädchen gern ihrer Aufforderung folgte und zu erzählen begann.
Erst hielt sie freilich der Stolz ab, zu gestehen, wie arm, wie ganz entblößt von Mitteln sie wären; aber die Fragen Hannas brachten bald die Wahrheit zutage, und als Arsinoe bemerkte, daß die Witwe das Unglück ihres Hauses in seiner ganzen Größe erkannt habe und es unnütz wäre, ihr zu verbergen, wie es mit ihr und den Kindern bestellt sei, gab sie dem wachsenden Drange nach, die Seele durch Mitteilung zu erleichtern und schilderte der aufmerksam zuhörenden Frau offen und ohne Rückhalt die Lage ihrer Geschwister.
Die Witwe erkundigte sich nach jedem einzelnen und schloß mit der Frage, wer denn jetzt in Arsinoes Abwesenheit die Kleinen behüte. Als sie vernahm, daß die alte Sklavin, der die Obhut über die Kinder anvertraut war, gebrechlich und halb erblindet sei, schüttelte sie bedenklich das Haupt und sagte entschieden:
»Hier tut rasche Hilfe not. Du mußt auch bald zu den Kleinen zurück. Deine Schwester darf noch nichts von dem Tode eures Vaters erfahren. Wenn euer Schicksal einigermaßen gesichert ist, werden wir sie langsam auf das Geschehene vorbereiten. Folge mir jetzt, der Herr fügte es, daß du zur rechten Stunde hierher kamst.«
Frau Hanna führte nun Arsinoe in das Landhaus Paulinas, und zwar zunächst in ein kleines Gemach zur Seite des Vorraums, in dem die Diakonissinnen den Schleier und an Winterabenden die wärmenden Hüllen abzulegen pflegten. Dort war das Mädchen allein und sicher vor neugierigen Fragen, die ihm wehe tun mußten.
Hanna bat es, auf sie zu warten, und begab sich dann sogleich zu den Amtsgenossinnen.
Sie mußte dabei den Raum durchschreiten, in dem die Ältesten und Diakonen Rat hielten.
Der Bischof saß als Vorsitzender neben den Presbytern auf einem erhöhten Stuhl an der Spitze einer länglichen Tafel, zu seiner Rechten und Linken eine Anzahl älterer Männer. Einige von ihnen schienen von jüdischer und ägyptischer, die meisten von hellenischer Abkunft. An diesen fiel die kluge Stirn, an jenen der glänzende, schwärmerische Blick besonders ins Auge.
Hanna ging mit ehrerbietigem Gruß an den Männern vorüber und begab sich in ein Nebenzimmer, in dem die Diakonissinnen warteten; denn den Frauen war es nicht gestattet, dem Rat der Ältesten beizuwohnen.
Der Bischof, ein schöner Greis mit weißem Vollbart, erhob, nachdem sich die Tür hinter Hanna geschlossen, die milden Augen, schaute einige Augenblicke auf die Spitzen der erhobenen Finger und entgegnete dann dem Presbyter, der mehrere, seit einem Jahr in die Glaubenslehre der Christen Eingeweihte zur Taufe angemeldet hatte, also:
»Die meisten der von dir vorgeschlagenen Katechumenen hängen gewiß treu an dem Erlöser. Sie glauben an ihn und haben ihn lieb. Sind sie aber auch zu derjenigen Heiligung, zu der Neugeburt des ganzen Wesens gelangt, die uns allein das Recht verleiht, sie durch die Taufe unter die Lämmer des guten Hirten aufzunehmen? Hüten wir uns vor räudigen Schafen, die die ganze Herde verderben! Wahrlich, es hat in den letzten Jahren nicht an solchen gefehlt, die Aufnahme unter uns fanden, und die doch dem Christennamen zu übler Ehre gereichten. Soll ich euch Beispiele zeigen? Da war in der Rhakotis ein ägyptischer Mann. So inbrünstig wie er schienen wenige nur nach der Vergebung der Sünden zu ringen. Viele Tage konnte er fasten und sobald er getauft war, brach er dennoch in den Laden eines Goldschmieds ein. Man verurteilte ihn zum Tode, und vor seinem Ende ließ er mich zu sich rufen und bekannte mir, daß er in früheren Jahren mit Raub und vielfältigem Mord die Seele besudelt. Durch den Akt der Taufe, des Untertauchens im Wasser, hatte er Vergebung der Sünden zu finden gehofft, nicht durch tiefe Reue, nicht durch Wiedergeburt zu einem reinen, geheiligten Leben. Sein neues Verbrechen hatte er guten Mutes begangen, weil er sicher hoffte, auch diesmal auf die nimmer müde Gnade unsers Heilands zählen zu dürfen. Andere, die von den Waschungen unterrichtet waren, denen sich diejenigen unterziehen müssen, die in die tieferen Geheimnisse heidnischer Mysterien eingeweiht werden, hielten die Taufe für einen Akt der Reinigung, für eine mystische, glückbringende und im besten Fall für eine die Seele reinigende Handlung, und drängten sich zu ihr heran. Hier in Alexandria ist die Zahl dieser Verirrten besonders groß; denn wo fände jeder Aberglaube wohl einen günstigeren Boden als an dieser Stätte der philosophischen Halb- und Überbildung, des Serapisdienstes, der Sternseherei, der Mystenvereine, der Geisterseher, der Dämonenbeschwörer und der mit dem Unglauben verschwisterten Leichtgläubigkeit. So hütet euch denn, die Taufe denen zu gewähren, die sie als ein Schutzmittel oder als eine glückbringende Handlung betrachten. Bedenket, daß dasselbe Wasser, das geheiligte Herzen aufsprossen läßt zu einem seligen Leben, unlauteren Seelen den Tod bringt. – Du hast das Wort, mein Irenäus.«
»Ich wollte nur sagen,« begann der jüngere Christ dieses Namens, »daß mir in der letzten Zeit unter den Katechumenen auch solche begegneten, die sich in der niedrigsten Absicht zu uns herandrängen. Ich meine die Müßiggänger, denen unsere Almosen gefallen. Habt ihr den zynischen Philosophen bemerkt, dessen hungernden Bruder wir unterstützen? Der Diakonus Clemens erfuhr jetzt, daß er seines Vaters einziger Sohn ist . . .«
»Untersuchen wir diese Sache genauer, wenn wir von den Almosen reden,« entgegnete der Bischof. »Es liegen die Bitten vieler Frauen vor, die ihre Kinder getauft sehen möchten. Wir dürfen diese Frage hier nicht entscheiden; denn sie gehört vor die nächste Synode. Sie ist zu ernst, als daß wir sie in unserer kleinen Versammlung entscheiden könnten. Was mich betrifft, so wäre ich geneigt, den Müttern ihre Bitten nicht abzuschlagen. Worin besteht denn das letzte Ziel eines christlichen Lebens? Ich meine doch darin, daß es völlig dem Beispiele des Heilands gemäß sei. Und er? Ist er nicht unter den Männern ein Mann, unter den Jünglingen ein Jüngling, unter den Kindern ein Kind gewesen? Hat sein Dasein nicht jedes Lebensalter und nicht besonders auch das der Kleinen geheiligt? Ausdrücklich befahl er, die Kindlein ihm zuzuführen und ihnen das Himmelreich verheißen. Warum sollen wir sie ausschließen und ihnen die Taufe versagen?«
»Ich kann deine Ansicht nicht teilen,« entgegnete ein Presbyter mit hoher Stirn und tiefen Augen. »Wir sollen dem Heiland gewißlich folgen; wer aber seinen Weg betritt, der darf es nur tun nach freier Wahl, aus Liebe zu ihm und nachdem er die Seele geheiligt. Was will die Wiedergeburt nach einem kaum begonnenen Leben sagen?«
»Deine Rede,« gab der Bischof zurück, »bestätigt nur meine Ansicht, daß diese Frage vor eine größere Versammlung gehört. Schließen wir jetzt die Beratung über diesen Punkt, und schreiten wir zu der Armenpflege. Rufe die Frauen herein, mein Justinus.«
Die Diakonissinnen traten in das Gemach und setzten sich an das unterste Ende der Tafel. Paulina, die Witwe des Pudens, nahm gegenüber dem Bischof, in der Mitte der anderen Frauen, Platz. Sie hatte von der freundlichen Pflegerin Selenens erfahren, in wie großer Bedrängnis sich die Kinder des verstorbenen Keraunus befänden, und Hanna zugesagt, ihnen beizustehen.
Die Diakonen erstatteten zuerst Bericht über ihre Tätigkeit für die Armen.
Nach ihnen wurde den Frauen zu reden gestattet.
Paulina, eine hohe, schlanke Frau mit leicht ergrauendem schwarzen Haupthaar, nahm aus dem durchaus schmucklosen Gewande von besonders feiner und weicher weißer Wolle ein Täfelchen, legte es vor sich hin, erhob langsam die Augen und sagte, indem sie den Blick auf den Vorsitzenden richtete:
»Witwe Hanna hat uns eine traurige Geschichte zu erzählen, für die ich um eure Teilnahme bitte. Du wirst so gut sein, ihr das Wort zu erteilen.«
Paulina schien sich unter den Brüdern als Wirtin zu fühlen. Sie sah leidend aus. Ein schmerzlicher Zug verließ niemals ihren Mund, unter ihren Augen waren stets bläuliche Schatten zu sehen, aber in ihrer Stimme lag etwas Entschiedenes und Strenges, und ihr Blick war nichts weniger als weich und gewinnend.
Nach ihrer Rede klang die Erzählung Frau Hannas wie milder Gesang. So liebreich, als wären es ihre eigenen Töchter, schilderte sie das verschiedene Wesen der beiden Schwestern, die, jede in ihrer Art, der Teilnahme so würdig erscheinen. Mit rührender Klage sprach sie von den unmündigen, verlassenen, dem Elend preisgegebenen Waisen, unter denen sich ein schöner, blinder Knabe befinde. Dann schloß sie die Rede, indem sie sagte:
»Der zweiten Tochter des Verwalters – sie ist sechzehn Jahre alt und so schön, daß keinerlei Versuchung ihr fern bleiben wird – liegt jetzt die Ernährung und Pflege der sechs jüngeren Geschwister ob. Dürfen wir ihr die schützende Hand vorenthalten? Nein, nein, so wahr wir den Heiland lieben, wir dürfen es nicht. Ihr stimmt mir bei? Nun wohl, so laßt uns nicht mit der Hilfe zögern. Die zweite Tochter des verstorbenen Keraunus ist hier im Hause; denn morgen früh müssen die Kinder den Palast auf der Lochias verlassen, und sie sind, während ich rede, unter schlechter Wartung allein.«
Die guten Worte der Christin fanden eine gute Stätte, und die Presbyter und Diakonen beschlossen, der beim Liebesmahle versammelten Gemeinde anzuempfehlen, den Kindern Beistand zu leisten.
Die Ältesten hatten noch mancherlei zu beraten, und so erhielten Hanna und Frau Paulina den Auftrag, den wohlhabenden Gliedern der Gemeinde die Sorge für die Waisen des Keraunus ans Herz zu legen.
Die arme Witwe führte ihre reiche Wirtin und Freundin zuerst in das Zimmer, wo Arsinoe mit wachsender Ungeduld wartete. Sie sah bleicher aus als gewöhnlich, aber trotz der verweinten, zu Boden gerichteten Augen so schön, so rührend schön, daß ihr Anblick das Herz Paulinas bewegte.
Sie hatte zwei Kinder besessen; außer dem Sohne eine einzige Tochter. Diese war als kaum erblühte Jungfrau gestorben und Paulina dachte an sie seit ihrem Ende zu jeder Stunde. Um ihretwillen hatte sie sich taufen lassen, hatte sie ihr Dasein zu einer Reihe von schweren Opfern gestaltet. Mit aller Kraft bemühte sie sich, eine gute Christin zu sein; denn ihr, der Entsagenden, die ein schweres Kreuz freiwillig auf sich genommen, der Kränklichen, die die Stille liebte und wenigstens ihr Landhaus, das sie täglich besuchte, zu einer Stätte der Unruhe gemacht hatte, konnte das Himmelreich nicht entgehen, und dort hoffte sie die unschuldige Tochter wiederzufinden.
Arsinoe erinnerte sie an ihre Helena, die freilich weit weniger schön gewesen war als das Kind des Verwalters, deren Bild aber in dem treuen Mutterherzen neue, verklärte Formen gewonnen hatte.
Seitdem ihr Sohn aus dem Haus geschieden und in die Fremde gezogen war, hatte sie sich oft gefragt, ob sie nicht ein junges Wesen zu sich nehmen, an sich fesseln, zur Christin erziehen und dem Heiland gleichsam als Geschenk darbringen sollte.
Ihre Tochter war als Heidin gestorben, und nichts ängstigte Paulina so sehr, als daß ihre Seele verloren und ihr eigenes Ringen und Streben nach der Gnade sie nicht zu dem jenseits des Grabes liegenden Ziele führen könnte.
Kein Opfer schien ihr zu groß, um ihrem Kinde die Seligkeit zu erkaufen, und als sie nun Arsinoe gegenüberstand und sie gerührt und voller Bewunderung anschaute, wurde sie von einem Gedanken erfaßt, der schnell zum Entschluß in ihr reifte.
Sie wollte dies holde Wesen für den Heiland gewinnen und ihn anstehen, zum Entgelt für die Seele Arsinoes ihr armes Kind zu retten.
Es war ihr zu Sinne, als hätte sie einen Pakt mit dem Erlöser geschlossen, als sie, einig mit sich selbst, auf die Jungfrau zutrat und sie fragte:
»Du bist ganz verlassen, ganz ohne Verwandte?«
Arsinoe neigte bejahend das Haupt; Paulina aber fuhr fort:
»Und trägst du deinen Verlust mit Ergebung?«
»Was ist Ergebung?« fragte das Mädchen schüchtern.
Hanna legte die Hand auf den Arm der Witwe und flüsterte ihr zu:
»Sie ist eine Heidin.«
»Ich weiß es,« entgegnete Paulina kurz, und sagte dann freundlich, aber entschieden:
»Du und die Deinen, ihr habt durch den Tod des Vaters Eltern und Obdach verloren. In meinem Hause, bei mir wirst du eine neue Heimat finden; ich fordere dafür nichts als deine Liebe.«
Arsinoe schaute die stolze Frau verwundert an. Sie konnte noch keine Neigung für sie empfinden, und es kam ihr nicht zum Bewußtsein, daß die einzige Gabe von ihr verlangt worden sei, die auch der beste Wille und das an Liebe reichste Herz nicht auf Befehl zu gewähren vermag.
Paulina wartete ihre Antwort nicht ab, sondern winkte Hanna, sie zu der beim Liebesmahl versammelten Gemeinde zurückzubegleiten.
Eine Viertelstunde später hatten beide Frauen die Glaubensgenossen wieder verlassen.
Die Kinder des Verwalters waren versorgt. Einigen wollten zwei und drei Christenfamilien gern Aufnahme gewähren. Um den blinden Helios hatten sich viele freundliche Hausmütter beworben, aber vergebens; denn Hanna hatte für sich das Recht in Anspruch genommen, den unglücklichen Knaben wenigstens fürs erste in ihrem Hause zu erziehen. Sie wußte, wie Selene an ihm hing, und hoffte, durch seine Gegenwart kräftig auf das mutlose und erkaltete Herz des Pfleglings wirken zu können.
Arsinoe nahm die Anordnungen der Frauen ohne Widerspruch hin. Sie dankte ihnen auch; denn sie fühlte nun wieder festen Boden unter den Füßen; aber sie empfand sogleich, daß er voll scharfer Steine sein würde.
Der Gedanke, sich von den Geschwistern zu trennen, marterte sie grausam und verließ sie keinen Augenblick, während Frau Hanna sie in eigener Person auf die Lochias zurückbegleitete.
Am folgenden Morgen erschien die gütige Freundin wieder und führte sie mit der kleinen Schar in das Stadthaus Paulinas.
Die Hinterlassenschaft des Verwalters wurde unter den Gläubigern verteilt; nur die Truhe mit den Dokumenten folgte dem Mädchen in sein neues Heim.
Die Stunde, in der man den festgeschlossenen Kreis der Kinder auseinanderriß, um ein kleines hierhin, ein anderes dorthin zu führen, war die schmerzlichste, die Arsinoe jemals erfahren hatte oder in späteren Jahren erleben sollte.
Vierunddreißigstes Kapitel
An das Cäsareum, den Palast, den die Kaiserin Sabina bewohnte, schloß sich ein schöner Garten. Balbilla hielt sich gern in ihm auf, und weil die Sonne am Morgen des neunundzwanzigsten Dezembers besonders hell schien, der Himmel und sein unbegrenzter Spiegel, das Meer, in unbeschreiblich tiefem Blau leuchteten und der Duft eines blühenden Strauches wie eine Aufforderung, das Haus zu verlassen, ihr in das Fenster zog, hatte sie heute ihre an einer sonnigen Stelle gelegene und von einer Akazie leicht beschattete Bank aufgesucht.
Dieser Ruhesitz war von den am meisten betretenen Wege durch Buschwerk getrennt. Die Spaziergänger, die Balbilla nicht suchten, konnten sie hier nicht bemerken, sie aber vermochte durch eine Lücke des Laubwerks den ganzen mit kleinen Muscheln bestreuten Pfad zu überblicken.
Aber die junge Dichterin war heute nichts weniger als neugierig.
Statt in das von munteren Vögeln belebte Grün, in die reine Luft oder nach der See hinzuschauen, blickte sie in eine gelbe Papyrusrolle und prägte ihrem treuen Gedächtnis sehr trockene Dinge ein.
Sie hatte sich vorgenommen, ihr Wort zu lösen und in der äolischen Mundart der griechischen Sprache reden, schreiben, dichten zu lernen.
Den großen Grammatiker Apollonius, den seine Schüler »den Dunklen« nannten, hatte sie sich zum Lehrer erwählt. Das Werk, das sie ihrem Bestreben zugrunde legte, stammte aus der berühmten Bibliothek beim Serapistempel, die seit der Belagerung Julius Cäsars im Bruchium, bei der die große Bücherei des Museums abgebrannt war, diese an Vollständigkeit weit übertraf.
Wer Balbilla bei ihrer Tätigkeit beobachtete, konnte kaum glauben, daß sie lernte.
Keinerlei Anstrengung war in ihren Augen oder an ihrer Stirn zu bemerken, und dennoch las sie aufmerksam Zeile für Zeile, ohne sich ein einziges Wort zu schenken; aber sie tat das nicht wie jemand, der mit Schweiß auf der Stirn einen Berg ersteigt, sondern wie der Spaziergänger, der in der Hauptstraße einer großen Stadt sich über alles Neue und Seltsame freut, das ihm begegnet.
Sobald ihr eine Sprachform in ihrem Buche aufstieß, die ihr bis dahin unbekannt gewesen war, empfand sie solches Vergnügen, daß sie in die Hände schlug und leise auflachte.
Einem so fröhlichen Lernen wie dem ihren war ihr tiefsinniger Lehrer noch nie begegnet, und es verdroß ihn; denn ihm war die Wissenschaft Ernst, sie aber schien, wie mit allen Dingen, so auch mit ihr Spaß zu treiben, und entweihte sie darum in seinen Augen.
Nachdem sie eine Stunde lang auf der Bank gesessen und in ihrer Weise studiert hatte, rollte sie das Buch zusammen und stand auf, um sich ein wenig zu erholen.
Gewiß, von niemandem gesehen zu werden, reckte und streckte sie sich im Wohlgefühl der getanen Arbeit und schritt dann der Öffnung im Gebüsch zu, um nachzusehen, welcher gestiefelte Mann es sei, der da auf dem breiten Wege vor ihr auf und nieder schritt.
Es war der Prätor; und doch war er es nicht.
Wo war das Lächeln, das ihm sonst wie Diamantenfunkeln aus den lustigen Augen flackerte und seinen Mund übermütig umspielte, wo die faltenlose Heiterkeit seiner Stirn und die herausfordernd übermütige Haltung seiner schönen Gestalt?
Mit düster brennendem Blick, krauser Stirn und gesenktem Haupt schritt er langsam auf und nieder, und dennoch war es kein Kummer, der ihn bedrückte. Hätte er sonst wohl, gerade als er vor dem Mädchen vorbeiwandelte, mit den Fingern die Luft durchschnippen können, als sagte er sich eben: »Mag kommen, was kommen will! Ich lebe heute und lache der Zukunft ins Antlitz!«
Aber dies Aufflackern der alten, unbändigen Leichtfertigkeit hielt nicht viel länger an, als bis sich die beiden schnippenden Finger voneinander getrennt hatten.
Wie Verus abermals an Balbilla vorüberging, sah er womöglich noch düsterer aus als vorher.
Dem flatterhaften Gemahl ihrer Freundin Lucilla mußte etwas sehr Unangenehmes die gute Laune verderben.
Das tat der Dichterin leid; denn wenn sie auch täglich unter dem Übermut des Prätors zu leiden hatte, verzieh sie ihm doch immer wegen der liebenswürdigen Form, in die er jede Unart zu kleiden wußte.
Balbilla wollte Verus wieder fröhlich sehen und trat deshalb aus dem Verstecke hervor.
Sobald er sie erblickte, änderte sich der Ausdruck seiner Züge, und so munter wie immer rief er ihr zu:
»Willkommen, Schönste der Schönen!«
Sie gab sich das Ansehen, ihn nicht zu erkennen und sagte, während sie an ihm vorüberschritt und den Lockenkopf senkte, feierlich und mit tiefer Stimme:
»Ich grüße dich, Timon.«
»Timon?« fragte er und umfaßte ihre Hand.
»Ah, du bist es, Verus?« entgegnete sie wie überrascht. »Ich dachte, der Menschenfeind aus Athen hätte den finsteren Hades verlassen und ginge hier im Garten spazieren.«
»Du hast recht gesehen,« entgegnete der Prätor; »aber wenn Orpheus singt, so tanzen die Bäume, die Muse macht aus dem schweren, unbeweglichen Stein eine Bacchantin, und wenn Balbilla erscheint, so verwandelt sich Timon sofort in den glücklichen Verus.«
»Dies Wunder kann mich nicht überraschen,« lachte das Mädchen. »Aber darf man wissen, welcher finstere Geist die umgekehrte Wirkung so erfolgreich übte und aus dem glücklichen Gatten der schönen Lucilla einen Timon gemacht hat?«
»Ich werde mich hüten, dir den Unhold zu zeigen, sonst könnte leicht aus der heitern Muse Balbilla die finstere Hekate werden. Übrigens ist uns der tückische Dämon ganz nahe; denn er steckt in diesem Röllchen.«
»Ein Schreiben des Kaisers?«
»O nein, nur der Brief eines Juden!«
»Vermutlich der Vater einer schönen Tochter?«
»Falsch, so falsch wie möglich geraten!«
»Du spannst meine Neugier!«
»Die meinige ist schon durch diese Rolle befriedigt worden. Horaz ist weise, wenn er sagt, man dürfte sich um zukünftige Dinge nicht grämen.«
»Ein Orakel?«
»Wenigstens etwas dergleichen.«
»Und das verdirbt dir diesen köstlichen Morgen? Hast du mich jemals traurig gesehen? Und doch bedroht meine künftigen Tage ein Spruch – ein so gräßlicher Spruch.«
»Männergeschick ist etwas anderes als Frauenschicksal.«
»Willst du hören, was mir prophezeit ward?«
»Welche Frage!«
»So gib denn acht. Den Spruch, den du gleich hören sollst, habe ich mir von keiner Geringeren als von der delphischen Pythia geholt:
Was dir das Teuerste war und das Höchste, du wirst es verlieren,
Und von den olympischen Höh'n steigst du zum Staube herab.«
»Ist das alles?«
»Nein, es folgen noch zwei tröstliche Verse.«
»Sie lauten?«
»Aber der prüfende Blick entdeckt unter fliegendem Staube
Dauerndes Quadergebäu, Marmor und felsigen Grund.«
»Und du hast den Mut, dich über diesen Spruch zu beklagen?«
»Ist es etwa schön, im Staube zu waten? Man lernt diesen Unhold hier in Ägypten zur Genüge kennen! Und soll ich mich vielleicht auf die Aussicht freuen, mir an harten Steinen die Füße zu stoßen?«
»Was sagen die Deuter?«
»Lauter dummes Zeug.«
»Du hast eben noch nicht den rechten gefunden.«
»Aber ich, ich durchschaue den Sinn des Orakels.«
»Du?«
»Ja, ich! Die strenge Balbilla wird endlich von dem hohen Olymp der Sprödigkeit herabsteigen und den unerschütterlichen Grund der Anbetung ihres treuen Verus nicht länger verschmähen.«
»O dieser Grund, dieser felsige Grund!« lachte das Mädchen. »Weit geratener schien es mir, auf der Fläche des Meeres da drüben, als auf ihm spazieren zu gehen.«
»Versuche es nur!«
»Ist nicht nötig. Lucilla hat für mich die Probe gemacht. Deine Deutung ist schlecht. Die des Kaisers scheint mir weit besser.«
»Welche?«
»Ich würde das Dichten aufgeben und mich mit strengen wissenschaftlichen Studien befassen. Er riet mir zur Astronomie.«
»Die Sternenkunde,« sprach Verus dem Mädchen nach und wurde ernster. »Lebe wohl, Schönste, ich muß zum Kaiser.«
»Wir waren gestern bei ihm auf der Lochias. Wie hat sich alles da verändert! Das hübsche Torwächterhäuschen ist fort, von dem lustigen Treiben der Bauleute und Künstler ist nichts mehr zu sehen, aus den bunten Wertstätten sind langweilige, ganz gewöhnliche Hallen geworden. Die Schranken in der Musenhalle haben fallen müssen, meine begonnene Büste ist seit acht Tagen samt dem jungen Sausewind verschwunden, der gegen meine Locken so eifrig zu Felde zog, daß ich schon im Begriff stand, sie preiszugeben . . .«
»Ohne sie bist du nicht mehr Balbilla,« rief Verus eifrig. »Der Künstler verwirft, was nicht ewig schön ist, wir aber sehen auch das Zierliche gern, woran wir mit den anderen Kindern unserer Zeit Gefallen finden. Göttinnen mag der Bildhauer nach der Sitte ernsterer Tage und den Gesetzen seiner Kunst bekleiden, sterbliche Frauen folgen, wenn sie klug sind, den Vorschriften der Mode. Es tut mir übrigens herzlich leid um den geschickten, frischen Gesellen. Er hat den Kaiser beleidigt, ist aus dem Palast gejagt worden und nicht mehr aufzufinden.«
»Oh,« rief Balbilla voller Bedauern, »der arme, prächtige Mensch! Und meine Büste? Wir müssen ihn suchen. Sobald sich eine Gelegenheit bietet, bitt' ich den Kaiser . . .«
»Hadrian will nichts von ihm hören. Pollux hat ihn empfindlich verletzt.«
»Von wem weißt du das?«
»Von Antinous.«
»Den haben wir gestern auch gesehen,« rief Balbilla lebhaft. »Wenn je ein Mensch in Göttergestalt unter den Sterblichen wandeln durfte, ist er es.«
»Schwärmerin!«
»Ich kenne niemand, der ihn gleichgültig anschauen könnte. Ein holder Träumer ist er, und der Leidenszug, den wir gestern in seinem Antlitz bemerkten, ist doch wohl nichts als der stumme Schmerz alles Vollkommenen um die verlorene Lust des Aufwachsens und Ausreifens zur Verkörperung des Ideals seiner Gattung, das er schon in sich selbst darstellt.«
Entzückt, als stünde ihr die Gestalt eines Gottes vor Augen, schaute die Dichterin in die Höhe.
Verus hatte ihr lächelnd zugehört.
Jetzt unterbrach er sie, drohte ihr mit dem Finger und sagte:
»Dichterin, Philosophin, holdeste Jungfrau, hüte dich von deinem Olymp zu diesem Knaben herabzusteigen. Wenn Phantasie und Träumerei sich zusammenfinden, gibt das ein Paar, das in luftigen Wolken schwebt und den sicheren Boden, von dem dein Orakel redet, nicht einmal in nebelhafter Ferne zu ahnen bekommt.«
»Torheit!« rief Balbilla unwillig. »Soll man sich in eine Bildsäule verlieben, muß Prometheus sie erst mit Geist und Feuer beseelen.«
»Manchmal freilich,« entgegnete der Prätor, »vertritt Eros die Stelle des unglücklichen Freundes der Götter.«
»Der rechte Eros oder der falsche?« fragte Balbilla empfindlich.
»Der falsche gewiß nicht,« gab Verus zurück. »Der spielt diesmal nur die Rolle des freundlichen Warners und vertritt die Stelle des Baumeisters Pontius, vor dem deine würdige Schutzmatrone sich fürchtet. Ihr sollt beim lustigen Lärm des dionysischen Festes so ernste Gespräche geführt haben wie zwei graue Philosophen, die unter lauschenden Schülern in der Stoa wandeln.«
»Mit verständigen Männern spricht man verständig.«
»Und mit unverständigen munter. Wie freue ich mich, daß ich zu den Unverständigen gehöre! Auf Wiedersehen, schöne Balbilla.«
Der Prätor entfernte sich schnell.
Vor dem Cäsareum bestieg er den Wagen und fuhr auf die Lochias.
Sein Rosselenker führte für ihn die Zügel. Er selbst schaute nachdenklich auf die Rolle in seiner Hand. Sie enthielt das Resultat der Berechnungen des sternenkundigen Rabbi Simeon Ben Jochai, und dies war wohl geeignet, den frohen Mut auch des leichtsinnigsten Mannes zu trüben.
Wenn der Kaiser in dieser Nacht, die dem Wiegenfeste des Prätors voraufging, mit Rücksicht auf die bei seiner Geburt beobachtete Stellung der Sterne den Himmel beobachtete, sollte er finden, daß bis zum Ende der zweiten Stunde nach Mitternacht alle günstigen Planeten dem Verus ein schönes Los, Glück und Hoheit verhießen. Aber beim Eintritt der dritten Stunde, versicherte Ben Jochai, würde Unheil und Tod das Haus seines Glückes in Besitz nehmen. In der vierten Stunde würde sein Stern verschwinden, und was sich sonst noch in dieser Stunde am Himmel ereignete, hätte nichts mehr mit dem Prätor und seinem Schicksal zu tun. Des Kaisers Stern würde den seinen besiegen.
Aus der dem Schreiben des Juden beigefügten Tabelle konnte Verus nur wenig entnehmen, dies Wenige aber bestätigte das in der Schrift Gesagte.
Die Rosse des Prätors rannten eilig dahin, während er überlegte, was ihm unter diesen ungünstigen Umständen zu tun übrigbliebe, um das höchste Ziel seines Ehrgeizes nicht völlig aufgeben zu müssen.
Wenn die Beobachtungen des Rabbi zutrafen, und das bezweifelte Verus keinen Augenblick, war seine Hoffnung auf die Adoption trotz des Beistandes der Sabina für immer dahin.
Wie konnte Hadrian einen Mann zum Sohn und Nachfolger wählen, dem es beschieden war, vor ihm selbst zu sterben?
Wie durfte er, Verus, erwarten, daß der Kaiser seine glücklichen Sterne mit den Tod verheißenden eines anderen verbinden werde?
Diese Erwägungen führten ihn nicht weiter, und doch kam er nicht los von ihnen, bis der Rosselenker die Pferde plötzlich am äußersten Rande des Fahrdammes zum Stillstand zwang, um den Weg für die in Prozession einherziehenden Abgeordneten der ägyptischen Priesterschaft, die sich auf die Lochias begab, frei zu erhalten.
Der kräftige Handgriff, mit dem der Diener den feurigen Tieren den Willen brach, erregte seinen Beifall und rief in ihm den Gedanken wach, keck in die Speichen des Schicksals zu greifen.
Als die priesterlichen Abgeordneten ihn nicht länger aufhielten, befahl er dem Rosselenker, langsam zu fahren; denn er wünschte zum Nachdenken Zeit zu gewinnen.
Bis zur dritten Stunde nach Mitternacht, sagte er sich, geht alles aufs beste, nach der vierten ereignen sich nur noch Dinge am Himmel, die mich nichts angehen. Natürlich! Am den toten Löwen spielen die Schafe, und der Esel versetzt ihm sogar, so lang er noch krank ist, einen Tritt mit dem Hufe. In dem kurzen Raume zwischen der dritten und vierten Stunde drängen sich alle Unheilszeichen zusammen. Sie werden erscheinen; »aber« – und mit diesem »aber« kam es wie eine Erleuchtung über den Prätor –, aber braucht sie denn der Kaiser zu sehen?
Das Herz des beunruhigten Mannes begann schneller zu schlagen, sein Hirn kräftiger zu arbeiten, und befahl dem Rosselenker einen Umweg zu machen, weil er noch längere Zeit zu gewinnen suchte, um die Gedanken, die in ihm aufkeimten, wachsen und ausreifen zu lassen.
Verus war kein Ränkeschmied.
Leichten Schrittes und sorglos ging er durch die Haupttüren und verschmähte den Weg durch die Hinterpforten.
Nur für das größte Ziel seines Lebens war er bereit, seine Neigungen, sein Behagen, den Stolz aufzugeben und sich eines jeden Mittels rücksichtslos zu bedienen. Um seinetwillen hatte er schon manches getan, was ihn reute, und wer ein Schaf aus der Hürde stiehlt, dem folgen unversehens auch andere. Der ersten unwürdigen Handlung, die ein Mann begeht, drängt sich leicht eine zweite und dritte nach.
Was Verus nun ins Werk zu setzen beschloß, hielt er für eine einfache Handlung der Notwehr. Galt es doch nur, den Kaiser eine Stunde lang von einer müßigen Beschäftigung, von der Beobachtung der Sterne abzuziehen!
Es gab nur zwei Menschen, die ihm dabei behilflich sein konnten: Antinous und der Sklave Mastor.
An diesen dachte er zuerst; aber der Jazygier war seinem Gebieter treu ergeben und ließ sich gewiß nicht bestechen. Und dann! Pfui! Es stand ihm doch gar zu übel an, mit einem Sklaven gemeinsame Sache zu machen!
Auf den Beistand des Antinous durfte er indes noch weniger hoffen.
Sabina haßte den Liebling des Gemahls, und um ihretwillen war Verus dem Bithynier niemals mit besonderer Freundlichkeit begegnet. – Er glaubte auch bemerkt zu haben, daß der stille, träumerische Geselle ihm aus dem Wege ging. Nur durch Einschüchterung war der Günstling vielleicht zu bestimmen, ihm einen Dienst zu erweisen. Jedenfalls galt es zunächst, die Lochias zu besuchen und dort mit offenen Augen Ausschau zu halten.
War der Kaiser in günstiger Stimmung, so ließ er sich vielleicht bewegen, in der zweiten Hälfte der Nacht bei dem Gastmahl zu erscheinen, das Verus zur Vorfeier seines Geburtstages veranstaltet hatte, und bei dem es mancherlei Schönes zu sehen und zu hören geben sollte.
Es konnten auch Tausende günstige und hilfreiche Zufälle eintreten. Die Berechnungen des Rabbi sagten ihm ohnehin Glück für die nächsten Jahre voraus.
Heiter und sorglos, wie wenn die Zukunft sonnig und wolkenlos vor ihm läge, schaute er drein, als er in dem neugepflasterten Hofe vom Wagen stieg und sich in das Vorzimmer des Kaisers führen ließ.
Hadrian wohnte nicht mehr als Baumeister aus Rom, sondern residierte jetzt als Beherrscher der Welt in dem erneuerten Schlosse.
Er hatte sich den Alexandrinern gezeigt und war mit Jubel und unerhörten Ehrenbezeigungen empfangen worden.
Die Freude über den kaiserlichen Besuch war überall wahrnehmbar und kam manchmal in höchst überschwenglichen Formen zum Ausdruck. Ja, der Rat hatte den Beschluß gefaßt, den Monat Dezember, in dem der Stadt die Ehre zuteil geworden war, den Imperator zu begrüßen, von nun an »Hadrianus« zu nennen.
Der Kaiser mußte Deputation auf Deputation empfangen, und Audienz auf Audienz erteilen, und am morgenden Tage sollten die Schaustellungen, Aufzüge und Spiele beginnen, die viele Tage auszufüllen verhießen, oder, wie Hadrian sich ausdrückte, ihm hundert gute Stunden zu stehlen drohten.
Dabei fand der Herrscher dennoch Zeit, alle Angelegenheiten des Staats zu erledigen und in der Nacht die Sterne zu befragen, welche Geschicke ihm und dem Reiche in allen Teilen des nahenden neuen Jahres bevorstünden.
Der Palast auf der Lochias hatte die Gestalt völlig geändert.
An Stelle des heiteren Torwächterhäuschens stand jetzt ein großes Zelt von prächtigem Purpurstoff, in dem die kaiserliche Leibwache sich aufhielt.
Ihm gegenüber war ein anderes aufgeschlagen worden, das Liktoren und Boten beherbergte.
Die Stallungen waren voller Pferde. Das Leibroß Hadrians, der edle Hengst Borysthenes, der schon zu lange geruht hatte, stampfte ungeduldig den Boden eines besonderen Raumes, neben dem in schnell errichteten Gehegen und Hütten die Spürhunde, Saupacker und Hasenfänger des Kaisers untergebracht waren. In dem weiten Raum des ersten Hofes lagerten Soldaten. An den Wänden kauerten ägyptische, griechische und jüdische Männer und Frauen, die dem Herrscher Bittschriften zu überreichen wünschten. Wagen fuhren aus und ein, Sänften kamen und gingen, Kämmerer und andere Hofbeamte eilten hierhin und dorthin. Die Vorzimmer waren voll von Männern aus den angesehenen Kreisen der Bürgerschaft, die in der Audienzzeit vom Kaiser empfangen zu werden hofften. Sklaven, die den Wartenden Erfrischungen boten oder müßig umherstanden, fehlten in keinem Raume, und Beamte mit Schriftrollen unter dem Arm traten aus den äußeren in die inneren Gemächer, oder verließen den Palast, um die Anordnungen der Vorgesetzten zur Ausführung zu bringen.
Die Musenhalle war ein glänzender Festsaal geworden.
Papias, der sich jetzt im Auftrage des Kaisers auf dem Wege nach Italien befand, hatte die zerschlagene Schulter der Urania wieder hergestellt. Zwischen den Bildsäulen standen Polster und Sessel, und unter einem Baldachin im Hintergrund des weiten Raumes erhob sich der Thron, auf dem Hadrian zu sitzen pflegte, wenn er Audienzen erteilte. Bei dieser Gelegenheit trug er stets den Purpur; in seinem Arbeitszimmer, das er nicht gewechselt hatte, legte er den Mantel ab und war ebensowenig prunkend gekleidet wie als Baumeister Claudius Venator.
In der Wohnung des verstorbenen Keraunus hauste jetzt ein kinderloser und unbeweibter Ägypter, ein strenger, umsichtiger Mann, der dem Präfekten Titianus als Hausverwalter tüchtige Dienste geleistet hatte.
In dem Wohnzimmer der vertriebenen Familie sah es jetzt öde und unwohnlich aus.
Das Mosaikgemälde, das den Tod des Keraunus veranlaßt hatte, befand sich schon auf dem Wege nach Rom, und der neue Verwalter hatte es nicht der Mühe wert erachtet, die leere, bröckelige, staubige Stelle, die durch die Entfernung des Kunstwerks im Estrich seines Wohnzimmers entstanden war, auszufüllen oder mit Matten zu bedecken.
Kein heiterer Ton ließ sich in der verlassenen Wohnung vernehmen außer dem Gezwitscher der Vögel, die sich noch an jedem Morgen und Abend auf dem Altane einstellten; denn Arsinoe und ihre kleinen Geschwister hatten es niemals versäumt, sein Geländer nach jeder Mahlzeit mit Brotkrumen für sie zu bestreuen.
Was heiter, was ansprechend in dem alten Palaste gewesen, war seit dem Besuch Sabinas aus ihm verschwunden, und auch Hadrian zeigte sich jetzt ganz anders als vor wenigen Tagen.
Echt kaiserlich und unnahbar erschien die Würde, mit der er sich in der Öffentlichkeit zeigte.
Wenn er in seinem Privatzimmer mit den Vertrauten verkehrte, war er ernst, düster und gewöhnlich auch ungesprächig.
Das Orakel, die Sterne und andere Vorzeichen verkündeten ihm mit unabweisbarer Sicherheit ein schweres Unheil für das kommende Jahr.
Auch die wenigen sorglosen Tage, die es ihm auf der Lochias zu verleben vergönnt gewesen war, hatten mit unerfreulichen Auftritten geendet.
Seine Gemahlin, deren herbes Wesen ihm in Alexandria, wo alles beweglichere und ansprechendere Formen trug als in Rom, in seiner ganzen abstoßenden Schroffheit entgegentrat, hatte kühn von ihm verlangt, die Adoption des Prätors nicht länger hinauszuschieben.
Er war besorgt und unbefriedigt.
Eine Herzensöde ohne Grenzen gähnte ihn an, sobald er in sein Inneres schaute, und bei jedem Blick in die kommenden Tage seines äußeren Lebens trat ihm eine lange Reihe von Nichtigkeiten entgegen, die nicht verfehlen konnten, sich seinem nimmermüden Arbeitstriebe hindernd in den Weg zu stellen.
Selbst das von dem Jammer und der Lust des Daseins unberührte Pflanzenleben seines schönen Lieblings Antinous, das ihm die Seele sonst zu erfreuen und zu beruhigen pflegte, hatte eine Änderung erfahren. Der Jüngling zeigte sich jetzt häufig verwirrt, unruhig, betrübt.
Fremde Einflüsse schienen auf ihn eingewirkt zu haben; denn es befriedigte ihn nicht mehr, wie ein Schatten an seiner Person zu hängen; nein, er strebte nach Freiheit, hatte sich mehrmals in die Stadt geschlichen und suchte dort wohl die Vergnügungen seines Alters, denen er sonst aus dem Wege gegangen war.
Selbst mit seinem heiter dienstfertigen Sklaven Mastor war eine Veränderung vor sich gegangen. Nur der Molosser blieb sich immer gleich in seiner gehorsamen Treue. Und er selbst? Wie vor zehn Jahren, so war er auch heute: an jedem Tage und in jeder Stunde ein anderer.
Fünfunddreißigstes Kapitel
Als Verus den Palast betrat, war der Kaiser vor wenigen Minuten aus der Stadt dorthin zurückgekehrt. Man führte den Prätor durch die Empfangssäle in die inneren Gemächer, und er brauchte hier nicht lange zu warten; denn Hadrian wünschte ihn sogleich zu sprechen.
Er fand den Herrscher in so übler Stimmung, daß er nicht daran denken konnte; ihn zu seinem Feste zu laden.
Unruhig ging der Kaiser in dem Arbeitszimmer auf und nieder, während Verus seine Fragen über die letzten Senatsverhandlungen in Rom beantwortete.
Manchmal unterbrach er die Wanderung und schaute in das Nebenzimmer.
Als der Prätor den Bericht eben beendet hatte, heulte Argus freudig auf, und gleich darauf trat Antinous in das Gemach.
Verus zog sich sogleich zu dem breiten Fenster zurück und gab sich das Ansehen, als schaue er in den Hafen.
»Wo warst du?« fragte der Kaiser den Günstling, ohne die Anwesenheit des Prätors zu beachten.
»Ein wenig in der Stadt,« lautete die Antwort des Bithyniers.
»Du weißt, daß ich dich, wenn ich heimkehre, ungern vermisse.«
»Ich dachte, du würdest länger ausbleiben.«
»Richte es später so ein, daß ich dich finde, wann und zu welcher Zeit ich dich auch suche. Nicht wahr, es ist dir nicht lieb, mich unzufrieden zu sehen?«
»Nein, Herr,« entgegnete der Jüngling, und dabei erhob er die Hände und schaute den Gebieter bittend an.
»So lassen wir das. Aber nun zu etwas anderem. Wie kommt dies Fläschchen zu dem Kunsthändler Hiram?« Der Kaiser nahm bei dieser Frage das kleine Gefäß aus dem Stoffe der
Antinous erbleichte und stammelte in großer Verlegenheit: »Es ist unbegreiflich; ich weiß mich nicht zu erinnern . . .«
»So werde ich deinem Gedächtnisse nachhelfen,« sagte der Kaiser mit Entschiedenheit. »Der Phönizier scheint mir ein redlicherer Mann zu sein als der Schurke Gabinius. In seiner Sammlung, von der ich herkomme, fand ich dies Kleinod, das mir Plotina, hörst du, Knabe? – das mir die Gemahlin Trajans, Plotina, die unvergeßliche Freundin meines Herzens, vor Jahren schenkte. Es gehörte zu meinen teuersten Gütern, und es war mir doch nicht zu kostbar, um es dir an deinem letzten Geburtstage zu schenken.«
»O Herr, lieber Herr!« rief Antinous leise und erhob zum andernmal bittend Augen und Hände.
»Nun frage ich dich,« fuhr Hadrian ernst und ohne sich von dem flehenden Blicke des Lieblings erweichen zu lassen, fort, »wie konnte dies Gefäß in den Besitz der einen Tochter des armseligen Palastverwalters Keraunus kommen, von der es Hiram erstanden zu haben behauptet?«
Antinous rang vergeblich nach Worten; Hadrian aber half ihm, indem er erregter als bisher fragte:
»Hat dir's die Dirne gestohlen? Heraus mit der Wahrheit!«
»Nein, nein,« gab der Bithynier schnell und entschieden zurück. »Gewiß nicht. – Ich kann mich erinnern . . . Ja – warte nur; – so ist es gekommen. Du weißt ja, ich hielt den guten Balsam darin, und als der Molosser Selene – Selene heißt die Tochter des Verwalters – von der Treppe heruntergestoßen hatte und sie verwundet am Boden lag, da holte ich das Fläschchen und gab ihr den Balsam.«
»Mit diesem Gefäße?« fragte der Kaiser und schaute Antinous finster an.
»Ja, Herr; ich hatte kein anderes.«
»Und sie behielt es, um es sogleich zu verkaufen?«
»Du weißt doch; ihr Vater . . .«
»Diebsgelichter,« knirschte Hadrian. »Weißt du, wohin die Dirne kam?«
»Ach, Herr!« rief Antinous zitternd vor Angst.
»Ich lasse sie von den Liktoren greifen,« versicherte der aufgebrachte Herrscher.
»Nein,« rief der Jüngling entschieden, »nein, das darfst du gewiß nicht.«
»Nicht? Es wird sich ja finden.«
»Nein, gewiß nicht; denn damit du es weißt, Selene, die Tochter des Keraunus, sie hat sich . . .«
»Nun?«
»Sie hat sich aus Verzweiflung ins Wasser gestürzt, ja, ins Wasser, bei Nacht, in das Meer.«
»Oh,« rief Hadrian milder, »das ändert freilich die Sache. Nach Schatten fahnden die Liktoren vergebens, und die Dirne hat die strengste aller Strafen erlitten. – Aber du? Was soll ich zu deinem Verhalten sagen? Du kanntest den Wert dieses Kleinods. Du wußtest, wie sehr ich es schätzte, und ließest es in solchen Händen?«
»Es enthielt ja doch die Arznei,« stammelte der Jüngling. »Wie konnt' ich auch denken . . .«
Der Kaiser unterbrach den Jüngling und sagte, indem er sich an die Stirn schlug:
»Ja, das Denken; wir wissen es leider schon längst, das Denken ist nicht deine Sache! Dies Gefäßchen hat mich vorhin eine hübsche Summe gekostet; aber weil es dir nun einmal gehörte, geb' ich es dir wieder zurück; nur verlang' ich, daß du es künftig besser in acht nimmst. Ich frage nächstens danach! Um aller Götter willen, Knabe, wie siehst du aus! Bin ich denn so furchtbar, daß eine Frage aus meinem Munde genügt, um dir alles Blut aus den Wangen zu treiben? Wahrhaftig, käme das Ding nicht von Plotina, ich hätte es dem Phönizier gelassen und kein so großes Wesen daraus gemacht.«
Antinous eilte auf den Kaiser zu, um ihm die Hände zu küssen; er aber drückte ihm mit väterlicher Freundlichkeit die Lippen auf die Stirn und sagte: »Narr! Wenn du willst, daß ich mit dir zufrieden sein soll, so sei wieder wie du warst, bevor wir nach Alexandria kamen. Überlaß es den anderen, mir Verdruß zu bereiten; dich haben die Götter geschaffen, mich zu erfreuen.«
Während der letzten Worte Hadrians war ein Kämmerer in das Zimmer getreten, um dem Gebieter mitzuteilen, daß die Abgeordneten der ägyptischen Priesterschaft kämen, um ihm zu huldigen.
Der Kaiser ließ sich sogleich mit dem Purpur bekleiden und begab sich in die Musenhalle, um dort, von seinem Hofstaat umgeben, die Propheten und heiligen Väter aus den verschiedenen Tempeln des Niltals zu empfangen, sich von ihnen als Sohn des Sonnengottes huldigen zu lassen und sie sowie die von ihnen gehütete Religion seiner Gnade zu versichern. Ihrer Bitte, die Tempel der Himmlischen, denen sie dienten, durch seinen Besuch zu weihen und zu beglücken, schenkte er Gewährung, die Frage, an welchem Orte der jüngst gefundene Apis gepflegt werden sollte, ließ er einstweilen unentschieden.
Mehrere Stunden nahm dieser Empfang in Anspruch.
Verus entzog sich dieser Verpflichtung, ihm mit dem Präfekten Titianus und den anderen Würdenträgern beizuwohnen, und blieb stumm und regungslos am Fenster stehen.
Erst nachdem Hadrian sich aus dem Gemache entfernt hatte, regte er sich wieder.
Er befand sich jetzt ganz allein; denn Antinous war in das Nebengemach getreten.
Das Zurückbleiben des Prätors war dem Jüngling nicht entgangen, doch suchte er ihm auszuweichen; denn das Wesen des übermütigen Spötters stieß ihn zurück.
Zu alledem hatte die Angst, die er ausgestanden, sowie das Bewußtsein, sich einer Lüge schuldig gemacht und den gütigen Herrn frech hintergangen zu haben, seine bis jetzt von keiner unlautern Handlung befleckte Seele erschüttert und aus dem Gleichgewicht gerissen.
Er wollte allein sein.
Es hätte ihm jetzt sehr wehe getan, gleichgültige Dinge reden oder eine freundliche Miene heucheln zu müssen. In seinem Zimmerchen neben dem Gemache des Kaisers saß er an einem Tisch und verbarg das tränenfeuchte Antlitz in die Hände.
Verus folgte ihm nicht sogleich; denn er durchschaute, was in ihm vorging, und wußte, daß er ihm hier nicht entrinnen könne.
Einige Minuten blieb alles still in dem großem Gemache und in dem kleinen Zimmer. Dann hörte der Prätor, wie die nach dem Gange hinführende Tür schnell geöffnet wurde, und gleich darauf vernahm er den Ruf des Bithyniers:
»Endlich, Mastor! Hast du Selene gesehen?«
Mit zwei langen, leisen Schritten näherte sich Verus sogleich der in den Nebenraum führenden Pforte und lauschte auf die Antwort des Sklaven, von der auch ein weniger scharfes Ohr als das des Prätors keine Silbe verloren hätte.
»Wie sollt' ich sie gesehen haben?« fragte der Jazygier unwillig. »Sie ist ja immer noch leidend und liegt im Bette. Deinen Strauß gab ich dem verwachsenen Mädchen, das sie pflegt. Aber ich tue es nicht wieder, gewiß nicht, und wenn du mir auch noch schöner schmeichelst als gestern, und mir alle Schätze des Kaisers versprichst. Was willst du auch mit dem elenden, blassen, unschuldigen Dinge? Ich bin nur ein armer Sklave; – aber das kann ich dir sagen . . .«
Hier brach die Rede Mastors plötzlich ab, und Verus vermutete richtig, daß Antinous sich seiner Anwesenheit im Zimmer des Kaisers erinnerte und dem Jazygier zu schweigen geboten habe.
Doch der Lauscher wußte genug.
Der Günstling hatte den kaiserlichen Gebieter belogen, und der Selbstmord der Verwalterstochter war eine Erdichtung.
Wer hätte dem stillen Träumer solche Geistesgegenwart und eine so listige Erfindungsgabe zugetraut?
Das schöne Antlitz des Prätors glänzte während dieser Erwägungen vor Vergnügen; denn nun hielt er den Bithynier in der Hand. Er wußte auch schon, in welcher Weise er sein Anliegen vorzubringen habe.
Antinous selbst hatte ihm den rechten Weg gezeigt, als er mit einer Zärtlichkeit, deren Wärme nicht erheuchelt sein konnte, auf den Kaiser zugeeilt war, um ihm die Hand zu küssen.
Der Günstling liebte seinen Herrn, und an diese Liebe konnte Verus die Aufforderung knüpfen, ohne sich selbst bloßzustellen und im Fall eines Verrats des Kaisers strafende Hand fürchten zu müssen.
Mit fester Hand klopfte der Prätor an die Tür des Nebengemachs und trat dann sicher und selbstbewußt dem Bithynier entgegen, erklärte ihm, daß er mit ihm eine wichtige Angelegenheit zu besprechen habe, bat ihn, mit ihm in das Arbeitszimmer des Kaisers zu kommen, und sagte, sobald er sich mit ihm allein befand:
»Ich zähle dich leider nicht zu meinen besonderen Freunden, aber wir teilen doch
»Ich liebe ihn sicher,« entgegnete der Günstling.
»Nun wohl, so muß es dir wie mir am Herzen liegen, ihn vor schwereren Sorgen zu bewahren und zu verhindern, daß schreckliche Befürchtungen den Flügelschlag seines großen und freien Geistes lähmen.«
»Ganz gewiß.«
»Ich wußte, daß ich in dir einen Bundesgenossen fände. – Sieh diese Rolle. Sie enthält Berechnungen und Aufzeichnungen des größten Astrologen unserer Zeit, und aus ihnen geht hervor, daß in der kommenden Nacht, und zwar vom Ende der zweiten bis zum Anfange der vierten Morgenstunde die Sterne unserem Gebieter das furchtbarste Unheil verkünden werden. Hast du mich verstanden?
»Leider ja.«
»Später verschwinden die unseligen Zeichen. Wenn es nun gelingt, Hadrian nur während der dritten Stunde nach Mitternacht von der Beobachtung des Firmaments abzuhalten, so bewahrt man ihn vor marternder, das Leben verderbender Besorgnis. Wer weiß, ob die Sterne nicht lügen? Reden sie aber die Wahrheit, so wird das Unglück, wenn es tatsächlich eintritt, immer noch viel zu früh erscheinen. Stimmst du mir bei?«
»Dein Vorschlag klingt wohl verständig . . . Indessen . . . meine ich . . .«
»Er ist verständig und weise,« unterbrach der Prätor fest und entschieden den Jüngling. »An dir wird es nun sein, Hadrian zu verhindern, vom Abschluß der zweiten bis zum Anfang der vierten Stunde nach Mitternacht dem Laufe der Sterne zu folgen.«
»An mir?« rief Antinous erschreckt.
»An dir; denn du bist der Einzige, der es vermag.«
»Ich?« fragte der Bithynier in großer Unruhe. »Ich sollte den Kaiser bei seinen Beobachtungen stören?«
»Es ist deine Pflicht!«
»Aber er läßt sich nicht in seinen Arbeiten unterbrechen, und wollt' ich's versuchen, wiese er mir ganz gewiß übel die Wege. Nein, nein, was du verlangst, ist unmöglich.«
»Es ist nicht nur möglich, sondern notwendig.«
»Das ist es doch wohl nicht,« entgegnete Antinous und faßte mit der Hand an der Stirn. »Höre nur! Hadrian weiß schon seit mehreren Tagen, daß ihn ein schweres Unglück bedroht. Ich hörte es aus seinem eigenen Munde. Wenn du ihn kennst, mußt du auch wissen, daß er nach den Sternen ausschaut, nicht nur um sich an künftigem Glück zu erfreuen, sondern auch, um sich gegen das Unheil zu rüsten, das ihn selbst oder das Reich bedroht. Was einen Schwächern töten würde, dient seinem Geiste zur Waffe. Er kann alles ertragen, und ihn zu täuschen wäre ein Unrecht.«
»Ihm Herz und Sinn verdüstern zu lassen, ein größeres,« versetzte Verus entschieden. »Denke auf Mittel, ihn eine Stunde lang von seinen Beobachtungen zu entfernen.«
»Ich mag nicht, und wollt' ich es tun, würde es doch zu nichts führen. Glaubst du denn, daß er mir folgt, wenn ich ihn rufe?«
»Du kennst ihn. Ersinne etwas, was ihn sicher veranlaßt, von der Warte niederzusteigen.«
»Ich kann nichts erdenken oder erfinden.«
»Nichts?« fragte Verus und trat dem Bithynier näher. »Du hast vorhin das Gegenteil schlagend bewiesen.«
Antinous erblaßte; der Prätor aber fuhr fort:
»Als es galt, die schöne Selene vor den Liktoren zu retten, da ward sie von deiner Erfindungsgabe schnell genug in die See geschleudert.«
»Sie stürzte sich auch in das Meer, so wahr mir die Götter . . .«
»Halt, halt,« unterbrach ihn der Prätor, »nur keinen Meineid! Selene lebt, du sendest ihr Sträuße, und wenn es mir gefallen sollte, Hadrian in das Haus der Witwe des Pudens zu führen . . .«
»Oh – oh –« rief Antinous klagend und erfaßte die Hand des Römers. »Du wirst, du kannst, o Verus – das wirst du nicht tun.«
»Narr,« lachte der andere und schlug den geängstigten Jüngling leise auf die Schulter. »Was sollt' es mir frommen, dich zu verderben? Mir liegt nur das eine im Sinn, den Kaiser vor Kummer und Sorgen zu schützen. Beschäftige ihn während der ganzen dritten Stunde nach Mitternacht, und du darfst auf meine Freundschaft zählen; wenn du mir aber deinen Beistand aus Furcht oder üblem Willen verweigerst, so verdienst du nicht die Gunst deines Gebieters, und dann zwingst du mich freilich . . .«
»Nicht weiter, nicht weiter,« unterbrach Antinous in großer Angst den Bedränger.
»So gelobst du mir also, meinen Wunsch zu erfüllen?«
»Ja, beim Herkules, ja! – Was du verlangst, soll geschehen. Aber, ewige Götter, wie fang' ich es an, daß der Kaiser . . .«
»Das zu finden, junger Freund, überlaß ich dir und deiner Klugheit mit vollem Vertrauen.«
»Ich bin nicht klug, ich kann nichts ersinnen,« stöhnte der Jüngling.
»Was dir aus Furcht vor deinem Gebieter glückte, das wird dir aus Liebe zu ihm noch besser gelingen,« versetzte der Prätor. »Deine Aufgabe ist leicht; solltest du aber dennoch nicht mit ihr zustande kommen, so werde ich es für meine Pflicht halten, Hadrian zu zeigen, wie gut Antinous für sich selbst und wie schlecht er für das Glück seines Herrn zu sorgen versteht. Auf morgen, schöner Freund! Wenn du künftig Sträuße zu versenden hast, stehen dir meine Sklaven zu Dienste.«
Der Prätor verließ mit diesem Vorschlag das Zimmer; Antinous aber blieb wie gebrochen zurück und preßte die Stirn an die kalte Porphyrsäule am Fenster.
Was Verus von ihm verlangt hatte, schien ja nichts Böses – und doch konnte er es nicht billigen! Es war ein Verrat an dem edlen Herrn, den er wie einen Vater, wie einen weisen, gütigen Freund und Lehrer mit Inbrunst liebte und vor dem er sich fürchtete wie vor einem Gotte.
Verhängtes hinterlistig vor ihm zu verbergen, als sei er kein Mann, sondern ein schwächlicher Weichling, war widersinnig, war schmählich und mußte einen Fehler von unbestimmter Tragweite in die weitsehenden Vorausbestimmungen des Gebieters bringen.
Noch viele andere Gründe gegen das Verlangen des Prätors drängten sich ihm auf, und bei jedem, der ihm neu in den Sinn kam, verwünschte er seinen langsamen Geist, der ihn immer erst das Rechte sehen und finden ließ, wenn es zu spät war.
Sein erster Betrug zog jetzt schon den zweiten nach sich.
Er zürnte sich selbst. Mit der geballten Faust schlug er sich an die Stirn und schluchzte mehrmals schmerzlich auf, obgleich er nicht weinte.
Mitten durch seine Selbstanklagen klang auch mit Schmeicheltönen der Ruf: »Es handelt sich ja nur darum, den Herrn vor Kummer zu schützen, und was man von dir verlangt, ist nicht böse.« So oft er dieser Stimme sein inneres Ohr lieh, begann er nachzugrübeln, in welcher Weise es wohl möglich wäre, den Kaiser zur angegebenen Zeit von der Warte in den Palast zu locken. Aber er fand keinen ausführbaren Gedanken.
»Es geht nicht an, nein, es geht nicht,« murmelte er vor sich hin, und dann fragte er sich, ob es nicht seine Pflicht sei, dem Prätor zu trotzen und Hadrian offen zu gestehen, daß er ihn an diesem Morgen betrogen.
Wäre nur das Fläschchen nicht gewesen! Konnte er denn bekennen, gerade diese Gabe seines Herrn leichtsinnig verschenkt zu haben? Nein, das fiel ihm zu schwer, das konnte ihm die Liebe des Gebieters auf immer kosten. Und wenn er bei der halben Wahrheit beharrte und nur um einer Anklage des Prätors zuvorzukommen, eingestand, daß Selene noch lebe, dann verfielen die Töchter des armen Keraunus, dann verfiel auch Selene, die er mit einer Leidenschaft einer ersten, durch die großen Hindernisse, die sich ihr in den Weg stellten, erhöhten Herzensneigung liebte, der Verfolgung und Schande.
Seine Schuld einzugestehen, war ihm unmöglich, völlig unmöglich.
Je länger er sann und sich quälte, einen Ausgang zu finden, desto mehr verwirrten sich seine Gedanken, desto ohnmächtiger wurde seine Widerstandskraft.
Der Prätor hatte ihn mit Stricken und Banden umwunden, und jeder neue Versuch, sich ihnen zu entziehen, schnürte sie nur fester und unlöslicher um ihn zusammen.
Der arme Kopf begann ihn zu schmerzen. Und wie unendlich lange blieb der Kaiser aus! Er fürchtete sich vor seiner Wiederkehr, und doch sehnte er sie herbei.
Als Hadrian endlich erschien und Mastor winkte, ihn von dem Ornat zu befreien, drängte Antinous ihn zurück und verrichtete schweigend und voll Sorgfalt die Dienste des Sklaven.
Er fühlte sich unruhig und bekümmert, und doch zwang er sich während der Mahlzeit, bei der er Hadrian gegenüber sitzen mußte, heiter zu erscheinen.
Als der Kaiser kurz vor Mitternacht aufbrach, um die Sternwarte am Nordende des Palastes zu ersteigen und Antinous ihn bat, ihm die Instrumente tragen zu dürfen, strich Hadrian ihm über die Locken und sagte:
»Du bist doch mein lieber, treuer Gesell. Die Jugend hat das Recht, zuweilen irre zu gehen, wenn sie nur nicht völlig den Weg verliert, auf den sie gehört.«
Antinous wurde das Herz bei diesem Zugeständnis weich, und heimlich drückte er die Lippen auf eine Falte der Toga des ihm voranschreitenden Kaisers. Es schien, als wollte der treue Gesell den Frevel, den er noch gar nicht begangen hatte, im voraus gut machen.
Bis zum Ende der ersten Stunde nach Mitternacht leistete er, in seinen Mantel gehüllt, dem Gebieter schweigend bei der Arbeit Gesellschaft. Der frische Nordwind, der die Nacht durchwehte, tat seinem schmerzenden Kopfe wohl, und unablässig suchte er nach einem Vorwand, Hadrian von seiner Tätigkeit abzuziehen, aber vergebens.
Sein armes Gehirn war wie ein ausgetrockneter Brunnen. Eimer auf Eimer ließ er hinab, aber in keinem zeigte sich der Trank, dessen er bedurfte. Nichts, gar nichts wollte ihm einfallen, was ihn zum Ziele führen konnte.
Einmal faßte er sich ein Herz, trat dem Kaiser näher und sagte bittend:
»Geh heute zeitiger hinunter, Herr, du gönnst dir wahrlich zu wenig Erholung und wirst deiner Gesundheit schaden.«
Hadrian ließ ihn reden und erwiderte freundlich:
»Ich schlafe am Morgen; wenn du müde bist, geh nur zur Ruhe.«
Aber Antinous blieb und schaute wie sein Herr nach den Sternen. Er kannte wenige von den leuchtenden Wanderern bei Namen, einige aber waren ihm vertraut und lieb; besonders das Siebengestirn, das ihm sein Vater gezeigt hatte, und das ihn nun an die Heimat erinnerte. Wie war es dort so still und friedlich gewesen, und wie stürmisch klopfte jetzt das beunruhigte Herz!
»Geh schlafen, die zweite Stunde beginnt schon,« rief ihm der Kaiser zu.
»Schon?« fragte er – und als er bedachte, wie bald er bewirkt haben mußte, was Verus von ihm verlangt hatte, und dann wieder nach dem Himmel schaute, wollte es ihm scheinen, als hätten sich alle Sterne von der blauen Kuppel ihm zu Häupten gelöst und wimmelten zwischen dem Firmament und dem Meere in wirrem Hinundher bunt durcheinander.
Beunruhigt schloß er die Augen und wünschte dem Gebieter gute Nacht, zündete eine Fackel an und stieg bei ihrem im Winde flackernden Lichte von der Warte herunter.
Pontius hatte dies leichte Bauwerk für die nächtliche Tätigkeit des Kaisers errichtet. Es bestand aus Holz und Nilschlamm und erhob sich als hochragender Turm auf der festen Quadergrundlage einer alten Warte, die, zwischen den niedrigen Vorratspeichern des Palastes gelegen, eine freie Umschau nach allen Richtungen des Himmels gewährte.
Hadrian, der allein und ungestört das Firmament zu beobachten liebte, hatte auch, nachdem er sich den Alexandrinern zu erkennen gegeben, dies Gebäude der großen Sternwarte auf dem großen Serapeum vorgezogen, von der aus man einen noch weiteren Horizont überblickte.
Nachdem Antinous aus dem engeren, neuen in den weiteren, alten Turm hinabgestiegen war, setzte er sich auf eine der unteren Stufen der Treppe nieder, um sich zu sammeln und das laut klopfende Herz ruhig werden zu lassen.
Das unfruchtbare Grübeln begann von neuem.
Die Zeit verrann, zwischen der Gegenwart und der von ihm zu verrichtenden Tat lagen nur noch wenige Viertelstunden. Das sagte er sich, und sein träges Gehirn regte sich kräftiger und gab ihm den Gedanken ein, sich krank zu stellen und den Kaiser an sein Lager zu rufen. Aber Hadrian war ja ein Arzt und mußte erkennen, daß er gesund sei; ließ er sich aber dennoch täuschen, dann war er, war Antinous ein Betrüger.
Dieser Gedanke erfüllte ihn mit Abscheu vor sich selbst und mit Grauen vor der Zukunft, und dennoch war er der einzige, der Hoffnung auf Erfolg gewährte. Auch als er, von innerer Unruhe getrieben, aufsprang und zwischen den Speichern hin und her lief, konnte er keinen anderen Anschlag finden.
Wie schnell verrannen die Minuten!
Die dritte Stunde nach Mitternacht mußte ganz nahe sein, und es blieb ihm kaum noch Zeit, in den Palast zu eilen, sich auf das Lager zu werfen und Mastor zu rufen.
Verwirrt vor Erregung und taumelnd wie ein Berauschter, eilte er in den alten Turm zurück, an dessen Wand er die Fackel gelehnt hatte, und schaute zu den steinernen Stufen hinauf. Da flog ihm durch den Sinn, sie wiederum zu ersteigen und sich von ihnen herabzustürzen.
Was lag an ihm und seinem elenden Leben!
Sein Fall, sein Schrei rief den Kaiser von der Warte hernieder, und daß er seinen blutenden Liebling nicht unverbunden, nicht ungepflegt liegen lassen würde, das wußte er, darauf durfte er zählen. Trat dann Hadrian an sein Lager, so schenkte er seine Sorge vielleicht einem Sterbenden, aber doch keinem Betrüger.
Zum Äußersten entschlossen, zog er den Gürtel, der seinen Chiton über den Hüften umschloß, fester zusammen und trat noch einmal ins Freie, um zum Himmel empor nach der Stunde zu schauen. Da sah er die schmale Sichel des abnehmenden Mondes, desselben Mondes, der sich rund im Meere gespiegelt hatte, als er ins Wasser gestürzt war, um Selene zu retten. Mit greifbarer Deutlichkeit trat ihm das Bild der bleichen Jungfrau vor die Seele. Es war ihm, als hielte er sie wieder in den Armen, als sähe er sie vor sich auf dem Lager liegen, als dürfte er ihr zum andernmal die kühle Stirn mit den Lippen berühren. Dann schwand plötzlich das Gesicht, an seine Stelle aber trat brennende Sehnsucht nach ihr, und er sagte sich, daß er nicht sterben, nicht aus dem Leben scheiden könne, ohne sie noch einmal wiederzusehen.
Unschlüssig schaute er sich um.
Vor ihm lag der größte unter den der Warte benachbarten Speichern.
Mit der Fackel in der Hand ging er an seinem geöffneten Tor vorüber. In dem weiten Raume seines Innern lagen die Kisten und Kasten, das Werg, der Flachssamen, das Stroh und die Matten, die die Geräte und Kunstwerke umhüllt hatten, mit denen der Palast neu ausgestattet worden war. Das wußte er, und als er nun wieder nach den Sternen schaute und sah, daß die zweite Stunde nach Mitternacht sich dem äußersten Ende nahte, da blitzte ein furchtbarer Gedanke in ihm auf, und ohne zu überlegen, ohne nach den Folgen zu fragen, warf er die Fackel in das offene, bis an das Dach mit Brennstoff erfüllte Gebäude und beobachtete regungslos und mit gekreuzten Armen die sich rasch ausbreitende Flamme, den aufsteigenden Rauch, das Ringen und die stille, ungleichartige, wirbelnde Vermengung des schwarzen Qualms mit dem glühenden Lichte, den Sieg des Feuers und sein züngelndes Lodern durch jede Öffnung des Speichers.
Schon glimmte das mit Palmenstämmen und Schilf gedeckte Dach, als Antinous mit dem lauten Rufe »Feuer, Feuer! Es brennt!« in den nur wenige Schritte von den Speichern entfernten Turm und die Stufen hinaufstürzte, die zu der Warte des kaiserlichen Sternsehers führten.
Sechsunddreißigstes Kapitel
Das Festmahl, das Verus zur Vorfeier seines Geburtstages gab, schien sich beim Beginn der dritten Nachtstunde noch lange nicht dem Ende zu nähern.
Außer den vornehmen und gelehrten Römern, die dem Kaiser nach Alexandria gefolgt waren, hatten sich die angesehensten und berühmtesten Alexandriner bei dem Prätor eingefunden.
Das glänzende Mahl war längst zu Ende; doch Mischkrug auf Mischkrug wurde noch immer gefüllt und geleert.
Verus selbst war von den Gästen einstimmig zum König und Leiter des Gelages ernannt worden. Reich bekränzt lag er in dem nach seiner eigenen Erfindung aus vier Polstern zusammengesetzten Lager auf Rosenblättern. Ein Vorhang von Flor schützte ihn gegen Mücken und Fliegen, und ein aus Lilienstengeln und Blüten leicht zusammengewobener Teppich bedeckte ihm die Füße und hauchte ihm und der schönen Sängerin, die neben ihm lag, süßen Duft entgegen.
Reizende, als Amoretten aufgeputzte Knaben waren der Winke des »falschen Eros« gewärtig.
Wie er so träg in den weichen Polstern ruhte!
Und doch waren seine Augen überall, hatte er es bei der Anordnung seines Festes wahrlich nicht an Nachdenken fehlen lassen, bot er bei seiner Leitung alle ihm innewohnende Umsicht auf.
Wie bei den Gastmählern, die Hadrian in Rom zu veranstalten pflegte, waren zuerst kurze Abschnitte aus neuen Abhandlungen und Dichtungen von ihren Verfassern vorgetragen worden, dann kam eine heitere Komödie zur Aufführung, dann hatte Glycera, die berühmteste Sängerin der Stadt, einen Dithyrambus mit glockenheller Stimme zur Harfe gesungen und der Virtuos Alexander ein Stück auf dem Trigonon vorgetragen. Endlich stürmte ein Chor von Tänzerinnen ins Zimmer und wiegte und schwang sich beim Klang des Tamburins und der Doppelflöten.
Jeder neuen Leistung folgte lauterer Beifall. Mit jedem neuen Mischkrug zog ein neuer Strom von Heiterkeit in die offene Decke, durch die der Duft der Blumen und der auf schönen Altären verbrannten Essenzen Ausweg fand.
Schon schwamm auf dem harten Estrich des Saales der den Göttern gespendete Wein in großen Lachen, Geschrei übertönte die Musik und den Gesang – das heitere Fest wurde zur Orgie.
Verus feuerte die Stillen und Müßigen zu willigerer Hingabe an das Vergnügen an und ermunterte die in übermütiger Ausgelassenheit Tobenden zu immer zügelloserem Treiben. Dabei tat er jedem Bescheid, der ihm zutrank, wußte er die Sängerin an seiner Seite heiter zu unterhalten, warf er in stille Gruppen ein zündendes Scherzwort und zeigte den Gelehrten, die in seiner Nähe auf Polstern ausgestreckt lagen, daß er, so viel es anging, an ihren Gesprächen Anteil nehme. Alexandria, die Vereinigungsstätte der Wissenschaften des Abend- und Morgenlandes, hatte andere Feste gesehen als dies rohe Gelage!
Ein gutes ernstes Gespräch würzte auch heute noch das gemeinsame Mahl der zum Museum gehörenden Kreise, doch die sinnlose Üppigkeit Roms hatte den Weg in die Häuser der Reichen gefunden, und selbst die edelsten Errungenschaften des menschlichen Geistes wurden unversehens in Genußmittel verwandelt. Man war Philosoph, um schlagfertig zu sein, um überall mitreden zu können, und beim Gastmahl wurde eine gut erzählte Anekdote höher willkommen geheißen als ein tiefer, zum Nachdenken anregender Gedanke, der seine Gegenreden erweckte.
Welch ein Lärm, welch ein Gekreisch durchtobte den Saal in der zweiten Stunde nach Mitternacht! Wie wurde die Lunge von übermächtigen Düften beklemmt, wie widrige Auftritte verletzten das Auge, wie schamlos wurde die Sitte mit Füßen getreten! Das giftige Wehen der entfesselten Lüste warf das schöne Maßhalten des griechischen Wesens über den Haufen, und aus dem Weindunst, der dies Chaos von rasenden Schlemmern umhüllte, stieg der bleiche Geist der Ernüchterung langsam auf und schielte nach Opfern für den kommenden Morgen.
Der Kreis von Polstern, auf denen Florus, Favorinus und ihre alexandrinischen Freunde ruhten, erschien wie eine Insel in dem brandenden Meere der Orgie. Auch hier war den Bechern wacker zugesprochen worden, und Florus redete schon mit lallender Zunge; aber das Gespräch hatte dennoch die Herrschaft behauptet.
Der Kaiser war vor zwei Tagen in das Museum gekommen und hatte dort mit den hervorragendsten Gelehrten vor dem versammelten Kreis ihrer Schüler wissenschaftliche Gespräche geführt.
Zuletzt hatte sich eine förmliche Disputation entsponnen.
Bewunderungswürdig war die schneidige dialektische Schärfe gewesen, mit der Hadrian es verstanden, in reinem attischem Griechisch die Gegner in die Enge zu treiben.
Mit dem Versprechen, sich den Opponenten nächstens wieder zu stellen, hatte der Herrscher die Anstalt wieder verlassen.
Die Philosophen Pankrates und Dionysius sowie der völlig nüchterne Apollonius berichteten über die einzelnen Wendungen dieses bemerkenswerten Kampfes des Geistes und rühmten das wunderbare Gedächtnis und die schlagfertige Zunge des Imperators.
»Und ihr habt ihn nicht einmal in einer seiner besten Stunden gesehen!« rief der gallische Sophist und Rhetor Favorinus. »Er erhielt ein Unglück verheißendes Orakel, und die Sterne scheinen den Spruch zu bestätigen. Das verdirbt ihm die Stimmung. Unter uns gesagt, kenne ich einige, die ihm in der Dialektik überlegen sind, aber in seinen heiteren Stunden ist er unwiderstehlich, ja, unwiderstehlich. Seit wir wieder versöhnt sind, ist er gegen mich wie ein Bruder. Ich verteidigte ihn gegen jedermann; denn ich sagte es ja, Hadrian ist mein Bruder.«
Der Gallier sah sich bei dieser Prahlerei mit glühenden Augen herausfordernd um. Er wurde bleich beim Trinken, empfindlich, ruhmredig und sehr gesprächig.
»Gewiß bist du im Recht,« entgegnete ihm Apollonius. »Aber es wollte uns scheinen, als würde er bitter im Streite. Seine Augen sind mehr düster als heiter.«
»Er ist mein Bruder,« wiederholte Favorinus, »und was seine Augen angeht, so habe ich sie, beim Herkules, wie helle Sonnen und lustig flackernde Sterne leuchten sehen! Und sein Mund! Ich kenne ihn! Er ist mein Bruder, und ich wette, daß, während er sich herabließ, mit euch – es ist zu komisch – mit euch zu disputieren, an jedem Winkel seines Mundes ein Satyr gelacht hat, so – seht nur her – so gelacht hat!«
»Ich bleibe dabei. – Er erschien uns mehr düster als heiter,« behauptete Apollonius verdrossen, und Pankrates fügte hinzu:
»Wenn er in der Tat zu scherzen versteht, so ließ er es uns wahrlich nicht merken.«
»Nichts für ungut,« lachte der Gallier, »ihr kennt ihn eben nicht, aber ich, ich bin sein Bruder und darf überall sein, wo er ist. Wartet nur, ich werde euch ein paar Geschichten von ihm erzählen. Wenn ich wollte, könnte ich euch sein Inneres beschreiben, als läg' es da auf der Fläche des Weines in meinem Becher. Einmal also besichtigte er in Rom die neu ausgeschmückten Bäder des Agrippa und sah im Apodyterium einen alten Mann, einen Veteranen, der irgendwo mit ihm gekämpft hatte. Mein Gedächtnis wird viel bewundert, das seine aber gibt ihm wenig nach. Natürlich erkennt Hadrian den Mann und tritt auf ihn zu. Scaurus hieß der Alte – ja, ja, Scaurus. Der bemerkte nun den Cäsar nicht gleich; denn die Narben brannten ihn nach dem Bade, und er scheuerte den Rücken an dem rauhen Stein eines Pfeilers. Da fragte Hadrian den Graukopf: »Warum kratzest du dich, Freund?« und Scaurus erwiderte, ohne sich umzusehen, und weil er die Stimme des Imperators nicht gleich erkannte, kurz angebunden: »Weil ich keinen Sklaven habe, um das zu besorgen.« Da hättet ihr den Kaiser lachen hören sollen! Freigebig, wie er zuweilen ist – ich sage zuweilen – schenkte er Scaurus gleich ein hübsches Sümmchen und zwei tüchtige Sklaven. Diese Geschichte verbreitete sich schnell, und als der Mann, von dem ihr glaubt, er könnte nicht scherzen, nach einiger Zeit wieder ins Bad kam, stellten sich ihm sofort zwei Soldaten in den Weg, schabten den Rücken an der Wand wie Scaurus und riefen ihm zu: »Großer Cäsar, wir haben keine Sklaven!« – »Kratzt euch einander!« gab er zur Antwort und ließ sie sich weiter schaben!«
»Vortrefflich!« lachte Dionysius.
»Nun aber noch eine wahre Geschichte,« fiel ihm der redselige Gallier ins Wort. »Einmal wurde Hadrian von einem Mann mit weißen Haaren angebettelt. Der Kerl war ein Lump, ein Parasit, der von einer Tafel zur andern herumzog und sich aus fremden Beuteln und Schüsseln mästete. Der Kaiser kennt seine Leute und wies ihn ab. Der Schmarotzer ließ sich nun, um nicht wiedererkannt zu werden, die ergrauten Locken dunkel färben und versuchte zum zweiten Male beim Kaiser sein Heil. Aber die Augen Hadrians sind gut. Er wies ihm die Tür und sagte dabei mit der ernstesten Miene: »Neulich schlug ich schon deinem Vater ab, ihm etwas zu geben.« Hundert ähnliche Scherze gehen in Rom von Mund zu Mund, und wenn ihr wollt, geb' ich euch gleich noch ein Dutzend zum besten.«
»Erzähle nur, heraus mit deinen Geschichten. So alte gute Bekannte sieht man gern wieder,« lallte Florus. »Wenn Favorinus schwatzt, können wir trinken.«
Der Gallier schaute verächtlich auf den Römer und entgegnete schnell:
»Für Trunkene sind meine Reden zu gut.«
Florus besann sich auf eine Antwort, bevor er sie aber gefunden, stürzte der Leibsklave des Prätors in den Festsaal und rief: »Es brennt auf der Lochias im Palaste des Kaisers.«
Verus stieß sogleich die Liliendecke mit dem Fuß auf den Boden, riß das ihn schützende Dach entzwei und rief dem atemlosen Diener zu:
»Den Wagen, sogleich den Wagen! Auf Wiedersehen an einem anderen Abend. Meinen Dank, Freunde, Dank für die Ehre, die ihr mir erwieset; ich muß auf die Lochias.«
Zugleich mit Verus, der, ohne sich mit dem Pallium zu bedecken, schnell aus der Halle verschwand und glühend, wie er war, in die kühle Nacht hinausstürzte, war der größte Teil der Gäste aufgesprungen, um ins Freie zu eilen, das Feuer zu sehen und Neues zu hören. Nur sehr wenige begaben sich auf die Brandstätte, um den löschenden Bürgern zu helfen.
Viele stark berauschte Zecher blieben auf den Lagern liegen.
Als Favorinus und die Alexandriner sich von den Polstern erhoben, rief Florus:
»Mich bringt kein Gott von hier fort, und wenn auch das ganze Haus herunterbrennt und Alexandria und Rom und meinetwegen sämtliche Nester und Länder auf Erden. Alles soll verbrennen! Größer und vollkommener als unter den Kaisern kann das römische Reich doch nicht werden! Es mag abbrennen wie ein Strohhaufen, mir kann es recht sein, ich bleibe hier liegen und trinke.«
Unentwirrbar erschien das Gewühl auf dem Schauplatze des unterbrochenen Festes, während Verus zu Sabina eilte, um sie von dem Geschehenen zu unterrichten.
Balbilla hatte das Feuer zuerst bemerkt, und zwar bei seiner Entstehung, als sie nach fleißiger Nachtarbeit vor dem Zubettgehen das Meer überschaute. Sie war sogleich ins Freie geeilt, hatte Feuer gerufen und suchte nun einen Kämmerer, um Sabina wecken zu lassen.
Die ganze Lochias strahlte in purpurner und goldner Glut. Sie bildete den Kern eines weit ausgebreiteten Lichtscheins von zarterem Rot, dessen Umfang und Helligkeit bald geringer und bald darauf wieder größer erschien.
Verus traf die Dichterin bei der aus dem Garten in die Gemächer der Kaiserin führenden Pforte. Diesmal bewillkommnete er sie nicht mit dem gewöhnlichen Gruße, sondern fragte nur schnell:
»Ist Sabina benachrichtigt?«
»Ich glaube noch nicht!«
»So laß sie wecken. Grüße sie von mir. Ich muß auf die Lochias.«
»Wir kommen dir nach.«
»Bleibt hier; ihr seid dort im Wege.«
»Ich nehme nur wenig Raum ein und komme. Welch ein herrliches Schauspiel!«
»Ewige Götter, da schlägt auch unter dem Palaste beim Hafen der Könige eine Flamme auf. Wo die Wagen nur bleiben!«
»Nimm mich mit!«
»Nein, du sollst die Kaiserin wecken.«
»Und Lucilla?«
»Ihr Frauen bleibt, wo ihr seid.«
»Ich für mein Teil gewiß nicht. Der Kaiser wird doch nicht in Gefahr sein?«
»Kaum! – Die alten Quadern können nicht brennen.«
»Sieh nur, wie köstlich! Der Himmel wird zu einem purpurnen Zelte. Ich bitte dich, Verus, erlaube mir, dich zu begleiten.«
»Nein, Schönste, da drüben sind Männer vonnöten!«
»Wie unfreundlich du bist!«
»Endlich! Da kommt der Wagen. Ihr Frauen bleibt hier. Hast du mich verstanden?«
»Ich lasse mir nichts befehlen und geh' auf die Lochias.«
»Um Antinous in den Flammen zu sehen? Solch ein Schauspiel gibt es nicht täglich,« rief Verus spöttisch, während er in den Wagen sprang und die Zügel selbst in die Hand nahm.
Unwillig stampfte Balbilla mit dem Fuße.
Sie ging in die Gemächer Sabinas und beschloß, nun die Brandstätte ganz gewiß aufzusuchen.
Die Kaiserin ließ sich vor niemand sehen, bevor sie völlig angekleidet war, auch nicht vor Balbilla. Eine Zofe teilte dieser mit, daß Sabina wohl aufstehen werde, ihrer Gesundheit aber nicht zumuten dürfe, sich in die Nacht hinauszuwagen.
Die Dichterin suchte nun Lucilla auf und bat sie, mit ihr auf die Lochias zu fahren. Diese zeigte sich sogleich bereit; als sie aber hörte, ihr Gatte hätte gewünscht, die Frauen möchten im Cäsareum bleiben, erklärte sie, ihm Gehorsam zu schulden, und suchte auch die Freundin zurückzuhalten. Aber der trotzige Lockenkopf war fest entschlossen, gerade weil Verus es ihr verboten und noch dazu mit höhnischen Worten verboten hatte, den eigenen Willen durchzusetzen.
Nach einem kurzen Wortwechsel mit der Freundin verließ sie Lucilla, suchte die Gesellschafterin auf, eröffnete ihr, was sie vorhatte, machte den Widerspruch Frau Claudias durch einen sehr entschiedenen Befehl zuschanden, gebot in eigener Person dem Hausverwalter, einen Wagen anspannen zu lassen, und gelangte anderthalb Stunden später als Verus zu dem gefährdeten Palast.
Eine unabsehbare, vielköpfige Volksmenge umlagerte die schmale Landseite der Lochias und den Hafen zu ihren Füßen, in dem einige Magazine und Schiffswerften in Flammen standen.
Zahllose Boote umschwärmten die Landzunge.
Mit großem Geschrei und dem Aufgebot von unzähligen Menschenkräften versuchte man die großen Schiffe, die an der Reede des königlichen Hafens vor Anker gegangen waren, flott zu machen und in Sicherheit zu bringen. Hell, und doch mit einem rötlicheren und unruhigeren Lichte als das des Tages, war alles weit und breit erleuchtet. Die Nordostbrise wehte in das Feuer, erschwerte die Arbeit der löschenden Männer und entlockte allem, was glühte, lodernde Flammen. Jeder brennende Speicher hatte sich in eine riesige Fackel verwandelt und erhellte weithin das Dunkel der Nacht. Rötlich angehaucht war der weiße Marmor des höchsten aller Leuchttürme auf der Insel Pharus; doch das weithin sichtbare Feuer auf seiner Spitze erschien bleich und glanzlos. Die dunklen Körper der großen Schiffe und die Scharen der Boote in weiterer Ferne waren mit feurigem Schimmer umzogen, und das ruhende Meer in der Nähe des Ufers diente dem Glanze, der die ganze Lochiasgegend umhüllte, zum Spiegel.
Balbilla wurde nicht müde, dies rege Wettspiel der glänzendsten Farben untereinander und des sattesten Lichtes mit dem tiefsten Schatten zu bewundern. Und sie hatte Zeit, das wundervolle Gemälde vor ihren Augen zu betrachten; denn ihr Wagen kam nur langsam vorwärts, und da, wo die Straße von dem königlichen Hafen zum Palaste hinaufführte, traten ihr Liktoren in den Weg und erklärten entschieden, ein weiteres Vordringen sei unmöglich.
Die vom Glanz des Feuers und von der sie umdrängenden Menge beunruhigten Rosse waren kaum mehr zu bändigen, stiegen und schlugen dann wieder an den Kasten des Wagens. Der Lenker erklärte, für nichts mehr einstehen zu können.
Das zum Retten herbeigeeilte Volk begann auf die müßigen Weiber zu schmähen, die lieber beim Webstuhl bleiben, als den Bürgern den Weg versperren sollten.
»Am Tage gibt es Zeit genug zum Spazierenfahren,« rief ein Bürger, und ein anderer: »Wenn der da oben ein Funke in die Locken fliegt, so kommt ein Waldbrand zum Ausbruch.«
Die Lage der Dichterin gestaltete sich von Minute zu Minute unerträglicher, und sie befahl dem Rosselenker nun selbst, umzukehren. Aber dies war in der von Menschen wimmelnden Straße schwerer getan als befohlen. Das eine Roß sprengte den Riemen, der das auf seinem Widerrist ruhende Joch mit der Deichsel verband, sprang zur Seite und bedrängte die Menge, die nun laut schrie und kreischte.
Balbilla wollte vom Wagen springen, aber Frau Claudia klammerte sich, außer sich vor Angst, fest an sie an und beschwor sie, sie nicht mitten im Verderben im Stich zu lassen.
Die verzogene Patriziertochter war nicht furchtsam, diesmal hätte sie doch viel darum gegeben, wenn sie Verus gehorcht hätte. Anfänglich dachte sie noch: »Ein hübsches Abenteuer; aber es wird doch erst recht schön sein, wenn es vorbei ist;« später aber verlor ihr Wagstück jede Spur eines Reizes, und Reue, es unternommen zu haben, stellte sich ein. Das Weinen war ihr schon weit näher als das Lachen, als hinter ihr eine tiefe Männerstimme mit befehlshaberischer Entschiedenheit rief:
»Platz da für die Pumpen! Was den Weg versperrt, werft auf die Seite!«
Diese schrecklichen Worte veranlaßten Frau Claudia, in die Knie zu sinken, doch dem gelähmten Mute Balbillas verliehen sie neue Flügel.
Sie hatte die Stimme des Baumeisters Pontius erkannt.
Jetzt hielt er hoch zu Roß hinter ihrem Wagen.
Er war also der Reiter gewesen, der vom Meer aus hinauf zu den höher gelegenen brennenden Speichern, hinunter an die See und dann bald hierhin, bald dorthin gesprengt war.
Voll wandte sie sich nach ihm um und rief ihn beim Namen.
Er erkannte sie, versuchte sein vorwärts strebendes Roß zum Stehen zu bringen, schüttelte lächelnd den Kopf, als wollte er sagen: »Sie ist ein Tollkopf, der tüchtige Schelte verdient; aber wer könnte ihr zürnen?« und befahl dann gerade, als sei sie ein Warenballen oder dergleichen und nicht die vornehme Erbin, den ihn begleitenden Sicherheitswächtern:
»Spannt die Rosse aus, wir können sie zum Wasserführen gebrauchen! – Helft den Frauen vom Wagen! – Nehmt sie in eure Mitte, Nonnus und Lucanus! – Stoßt jetzt das Fuhrwerk dort in die Büsche! – Platz da vorn! Platz für unsere Geräte!«
Jeder dieser Befehle wurde so schnell befolgt, als hätte ein Feldherr sie den wohlgeschulten Soldaten erteilt.
Nachdem die Pumpen sich in Bewegung gesetzt hatten, ritt Pontius dicht an Balbilla heran und sagte:
»Der Kaiser ist wohlbehalten. Was dich betrifft, so wünschest du den Gang des Feuers aus der Nähe zu sehen, und in der Tat, die Farben da drüben sind herrlich. Euch zum Cäsareum zurückzuführen, fehlt mir die Zeit. Folgt mir nun. Dort drüben in dem steinernen Haus des Hafenwächters seid ihr geborgen und könnt vom Dache aus die Lochias und die ganze Halbinsel überblicken. Du wirst eine seltene Augenweide haben, edle Balbilla; aber ich bitte dich, dabei nicht zu vergessen, wie vieler Tage redliche Arbeit, wie reiche Güter, wie viel mit saurem Fleiß erworbener Besitz in dieser Stunde verloren gehen. Was dich ergötzen soll, wird vielen bittere Tränen kosten; hoffen wir darum beide, daß dies herrliche Schauspiel jetzt den Glanzpunkt erreichte und bald beendigt sein wird.«
»Das hoff' ich und hoff' es von Herzen!« rief das Mädchen.
»Ich wußt' es! Sobald es sich tun läßt, seh' ich nach euch. Ihr, Nonnus und Lucanus, führt diese hohen Frauen bei dem Hafenwächter ein. Sagt ihm, sie wären die nächsten Freundinnen der Kaiserin. – Wo fahren die Pumpen nur hin? Auf Wiedersehen, Balbilla!« Mit diesem Gruße gab der Baumeister dem Pferde die Zügel frei und brach sich Bahn durch die Menge.
Eine Viertelstunde später stand das Mädchen auf dem Dach eines steinernen Häuschens. Frau Claudia war ganz erschöpft und keines Wortes mächtig in der dumpfen Stube des Hafenwächters auf einem roh gezimmerten Sessel von Holz sitzengeblieben.
Die junge Römerin schaute jetzt das Feuer mit anderen Augen an als vorhin. Pontius hatte sie gelehrt, gegen die Flammen Partei zu nehmen, die ihr noch vor kurzem, wenn sie recht hoch und kräftig zum Himmel aufgeloht waren, Freude bereitet hatten. Sie regten sich noch mächtig genug, als sie das Dach erstiegen hatte; bald aber schien es ihnen schwer und immer schwerer zu fallen, sich gegen den schwarzen Rauch, der aus den Brandstätten aufquoll, zu behaupten.
Balbilla hatte nach dem Baumeister ausgeschaut und ihn auch bald gefunden; denn der Mann zu Pferd überragte die Menge.
Bald hielt er bei diesem, bald bei jenem brennenden Speicher; einmal verlor sie ihn eine Weile ganz aus den Augen, denn er war auf der Lochias gewesen. Dann erschien er wieder, und überall, wo er eine Zeitlang blieb, legte sich die Wut des entfesselten Elements.
Ohne daß sie es wahrgenommen, hatte der Wind sich völlig gedreht. – Dann war die Luft still und wärmer geworden. Dieser Umstand kam den löschenden Bürgern zugute; Balbilla aber schrieb es allein der Umsicht ihres kräftigen Freundes zu, daß das Feuer an vielen Stellen abnahm und an anderen völlig erlosch.
Einmal sah sie, wie er ein Gebäude abreißen ließ, das einen brennenden Speicher von einigen verschont gebliebenen Vorratshäusern trennte, und sie durchschaute den Grund dieser Anordnung. Er schnitt den Flammen den Weg ab.
Ein anderes Mal sah sie ihn, wie er auf einem Hügel hielt. Dicht vor ihm stand ein Magazin, in dem Taue und Tonnen mit Harz und Teer aufbewahrt wurden, in hellen Flammen. Er kehrte ihr voll das Antlitz zu und deutete mit ruhigen Handbewegungen bald hierhin, bald dorthin.
Seine Gestalt und sein Pferd, das sich unruhig unter ihm hob, waren von glühend rotem Licht umgeben. Ein herrliches Bild. Sie zitterte für ihn, sie bewunderte diesen unerschrockenen, tatkräftigen, festen Mann, und als ein brennender Balken dicht vor ihm niederstürzte und er das scheue Roß, das sich mit ihm im Kreise zu drehen begann, endlich zwang, sich seiner Leitung wieder zu fügen, kam ihr der Vorwurf des Prätors in den Sinn, daß sie bei ihrem Vorhaben, auf die Lochias zu fahren, beharre, um sich an dem Anblick eines Antinous in den Flammen zu weiden.
Hier bewunderte sie ein würdigeres Schauspiel, und dennoch zeigte ihr die lebhafte Phantasie, die oft, und zuweilen auch gegen ihren Willen, gestaltenlosen Gedanken Formen gab, das Bild des schönen Jünglings von dem glühenden Scheine umflossen, der immer noch den Horizont bemalte.
Stunde auf Stunde verging, die Arbeiten der löschenden Tausende wurden von immer deutlicherem Erfolg gekrönt; ein Brand nach dem andern ward, wenn nicht völlig erstickt, so doch gedämpft, auf der Lochias stieg statt der Flammen nur noch schwärzlicher, mit Funken vermischter Rauch in die Höhe, und Pontius kam immer noch nicht, um nach ihr zu schauen.
Sie sah keine Sterne; denn der Himmel hatte sich mit Wolken bezogen; doch der Beginn des neuen Tages konnte nicht fern sein. Es fror sie, und das lange Ausbleiben des Freundes begann sie zu verdrießen.
Als es auch mit großen Tropfen zu regnen anfing, stieg sie die auf das Dach führende Leiter hinunter und setzte sich in dem Gemache des Hafenaufsehers an das Feuer, neben dem ihre Begleiterin entschlummert war.
Wohl eine halbe Stunde hatte sie träumend in die wärmende Glut geschaut, als sie Hufschlag vernahm und Pontius erschien. Sein Antlitz war geschwärzt, die tiefe Stimme heiser vom stundenlangen Befehlerteilen.
Balbilla vergaß, als sie ihn sah, den Verdruß, begrüßte ihn freundlich und erzählte ihm, daß sie jede seiner Bewegungen beobachtet habe; aber das lebhafte und schnell begeisterte Mädchen brachte jetzt nur mit Mühe einige Worte über die Lippen, die dem Beifall, den seine Handlungsweise so lebhaft in ihr erregt hatte, Ausdruck verliehen.
Sie hörte ihm an, daß sein Mund wie ausgedorrt war und seine Kehle nach einem Trunk lechzen mußte, und sie, die sich sonst jede einzelne Nadel, deren sie bedurfte, von Sklaven reichen ließ, und der das Schicksal niemand geschenkt hatte, gegen den sie sich gern dienstlich erwiesen hätte, schöpfte mit eigener Hand aus dem großen, in einer Ecke des Gemachs aufgestellten Tonkrug eine Schale voll Wasser und reichte sie ihm mit der Bitte, zu trinken.
Begierig schlürfte er das erfrischende Naß ein, und als das kleine Gefäß leer war, nahm Balbilla es ihm schweigend aus der Hand, füllte und reichte es ihm wieder.
Frau Claudia, die beim Eintritt des Baumeisters erwacht war, schaute dem unerhörten Tun der Pflegebefohlenen erstaunt und kopfschüttelnd zu. Als Pontius auch die dritte Schale, die Balbilla ihm reichte, geleert hatte, sagte er tief aufatmend:
»Das war ein Trunk! Zeitlebens hat mir keiner auch nur halb so gut gemundet.«
»Trübes Wasser aus einem schlechten irdenen Becher,« lachte das Mädchen.
»Und es schmeckte doch besser als Wein von Byblus aus einem goldenen Pokale.«
»Du verdientest auch redlich diese Erquickung, und der Durst würzt auch den bescheidensten Trank.«
»Du vergißt die Hand, die ihn reichte,« rief der Baumeister mit lebhafter Wärme.
Da errötete Balbilla und schaute verwirrt zu Boden, doch nur während eines Augenblicks. Dann erhob sie das Antlitz wieder und sagte so heiter und sorglos wie immer:
»Jetzt hat man dich also köstlich getränkt, und nun das geschehen ist, wirst du dich nach Hause begeben und den Essenkehrer wieder in den großen Baumeister verwandeln. Bevor dies vor sich geht, bitt' ich dich aber, uns zu erzählen, welcher Gott dich zur rechten Zeit von Pelusium hierherführte, wie das Feuer entstand, und wie es in dem Palast auf der Lochias aussieht.«
»Meine Zeit ist kurz,« entgegnete Pontius und berichtete dann schnell, daß er, nachdem er in Pelusium die Vorarbeiten beendet, mit der kaiserlichen Post nach Alexandria zurückgekehrt sei. Als er bei den Postställen aus dem Wagen gestiegen, habe er den Feuerschein über dem Meere bemerkt und gleich darauf durch einen Sklaven erfahren, daß es auf der Lochias brenne. An Pferden sei auf der Poststation Überfluß gewesen. Er hätte sich ein tüchtiges ausgewählt und wäre, bevor das Gedränge begonnen, in den Palast gelangt. Wie das Feuer ausgekommen sei, müsse bis jetzt dahingestellt bleiben.
»Der Kaiser,« sagte er, »beobachtete gerade den Himmel, als der Brand in einem Speicher neben der Warte ausbrach. Antinous bemerkte das Unheil zuerst, schrie »Feuer!« und warnte den Gebieter. Ich fand Hadrian in großer Erregung. Er trug mir auf, die Leitung der Rettungsarbeiten zu übernehmen. Auf der Lochias hat Verus mir beigestanden, und zwar mit solcher Verwegenheit und Tüchtigkeit, daß ich ihm manches abzubitten habe. Den Kaiser selbst hielt sein Liebling in dem Palaste zurück; denn der arme Bursch hat sich beide Hände verbrannt.«
»Ach,« rief Balbilla mit lebhaftem Bedauern, »wie ist das nur geschehen?«
»Als Hadrian und Antinous zum erstenmal von der Warte stiegen, hatten sie so viel Instrumente und Papiere, wie sie zu tragen vermochten, mit sich genommen. Unten bemerkte der Kaiser, daß Tafeln mit wichtigen Aufzeichnungen oben liegen geblieben wären, und sprach sein Bedauern darüber aus. Indessen hatte das Feuer bereits den leicht gebauten neuen Turm ergriffen, und es schien unmöglich, noch einmal in ihn einzudringen. Aber der bithynische Träumer kann auch aus dem Schlummer erwachen, und während der Kaiser den brennenden Flachsbüschen, die der Wind in den Hafen entführte, mit Besorgnis nachsah, stürzte sich der verwegene Gesell in das brennende Gebäude, warf die Tafeln von der Spitze der Warte herunter und eilte dann die Treppe hinab. Seine kühne Tat würde übrigens dem armen Schelm doch noch das Leben gekostet haben, wenn der Sklave Mastor, der inzwischen herbeigeeilt war, Antinous nicht von den Steinstufen des alten Bauwerks, auf dem der neue Turm steht, ins Freie getragen hätte. Er war an ihrem oberen Ende halb erstickt und ohnmächtig zusammengesunken.«
»Aber er lebt, der herrliche, den Göttern ähnliche Jüngling, und er ist außer Gefahr!« rief Balbilla im Tone großer Besorgnis.
»Er befindet sich wohl. Nur an den Händen trug er, wie gesagt, Brandwunden davon, und sein Haar ist etwas versengt; das wächst ja aber wieder.«
»Die weichen, anmutigen Locken!« rief Balbilla. »Laß uns nach Hause, Claudia. Der Gärtner soll uns einen prächtigen Rosenstrauß schneiden, und den schicken wir Antinous, um ihn zu erfreuen.«
»Blumen einem Manne, der nicht nach ihnen begehrt?« fragte Pontius ernst.
»Womit soll man sonst eure Tugend belohnen und eure Schönheit ehren?«
»Eine wackere Handlung lohnt unser eigenes Bewußtsein, eine schöne Tat der Lorbeer aus der Hand berufener Männer.«
»Und die Schönheit?«
»Die der Frauen trägt ihnen Bewunderung ein, vielleicht auch Liebe und Blumen, die der Männer darf die Augen erfreuen, doch die Aufgabe, sie zu ehren, fällt keinem sterblichen Weibe zu.«
»Und wem sonst, wenn du diese Frage gestattest?«
»Der Kunst, die sie verewigt.«
»Aber die Rosen werden dem leidenden Jüngling zum Trost und zur Freude gereichen.«
»So schicke sie dem Kranken, aber nicht dem schönen Knaben,« versetzte Pontius herb.
Balbilla schwieg und folgte mit der Gefährtin dem Baumeister in den Hafen. Dort verabschiedete er sich von ihnen und hob sie in einen Kahn, der sie durch eines der Brückentore des Heptastadiums in das Cäsareum zurückführte.
Auf der Fahrt dahin sagte die junge Römerin zu der älteren:
Pontius verdarb mir den Spaß mit den Rosen. Der Kranke bleibt doch immer der schöne Antinous, und wenn jemand glauben könnte . . . Ich tue, was mir gefällt, das Beste aber ist doch, wir lassen den Strauß gar nicht schneiden.«
Siebenunddreißigstes Kapitel
Die Stadt war außer Gefahr, der Brand im Verlöschen.
Der Baumeister Pontius hatte sich bis mittag keine Ruhe gegönnt.
Drei Pferde waren unter ihm ermattet und durch frische ersetzt worden, aber sein nerviger Körper und gesunder Geist hatten bis jetzt allen Anstrengungen Trotz geboten.
Sobald er seine Aufgabe als gelöst betrachten durfte, begab er sich in seine Wohnung zurück.
Er bedurfte einiger Ruhe, aber schon im Vorsaal seiner Behausung fand er viele, die sie ihm streitig machen wollten.
Ein mitten im Leben stehender Mann, der großen Unternehmungen vorsteht, kann sich nicht ungestraft auf eine Reihe von Tagen aus seinem Heim entfernen. Die Anforderungen stauen sich auf und stürzen sich auf den Heimkehrenden wie ein Wasser, dem man die Schleusentore öffnet, von denen es zurückgehalten worden war.
Wohl zwanzig Leute, die von der Heimkehr des Baumeisters vernommen hatten, erwarteten ihn in der Vorhalle und drangen, sobald er sich zeigte, auf ihn ein.
Mehreren sah er an, daß sie in wichtigen Angelegenheiten gekommen waren, aber er fühlte, daß er an der Grenze seiner Kraft angelangt sei, und war entschlossen, sich um jeden Preis ein wenig Ruhe zu sichern.
Das sonst so bedachtsame Wesen des ernsten Mannes geriet gegenüber den gespannten Anforderungen, die man an seine Widerstandskraft stellte, ins Weichen, und zornig, klagend, unwillig wies er auf sein geschwärztes Gesicht und rief, während er sich durch die Wartenden Bahn brach: »Morgen, morgen; ja, wenn es denn sein muß, schon heute nach Untergang der Sonne! Jetzt aber brauche ich Ruhe, Ruhe, Ruhe! Ihr seht ja selbst, wie ich zugerichtet bin.«
Alle, auch die Bauführer und Lieferanten, die in den dringendsten Geschäften erschienen waren, traten zurück; nur ein älterer Mann, der Hausmeister seiner Schwester Paulina, hielt ihn an dem von Rauch befleckten und an manchen Stellen versenkten Chiton zurück und sagte schnell und leise:
»Meine Herrin grüßt dich. Sie hat Dinge mit dir zu besprechen, die keinen Aufschub dulden. Ich darf dich nicht verlassen, bevor du mir zugesagt hast, sie heute noch aufzusuchen, unser Wagen wartet auf dich an der Gartenpforte.«
»Schick ihn nach Hause,« entgegnete Pontius nicht eben freundlich, »Paulina muß sich noch einige Stunden gedulden.«
»Ich habe den Befehl, dich sogleich zu ihr zu führen.«
»Aber in diesem Zustande, so – so kann ich nicht kommen,« rief der Baumeister heftig. »Nehmt ihr denn gar keine Rücksicht? Und doch! Wer kann wissen? Sage ihr, in zwei Stunden wäre ich bei ihr.«
Nachdem Pontius auch diesem Dränger entflohen war, nahm er ein Bad. Dann ließ er sich eine Mahlzeit vorsetzen; doch selbst während er aß und trank, blieb er nicht unbeschäftigt; denn er las die eingegangenen Schreiben und prüfte einige Zeichnungen, die seine Gehilfen in seiner Abwesenheit ausgeführt hatten.
»Gönne dir ein Stündchen Ruhe,« bat die alte Schaffnerin, die seine Amme gewesen war und ihn wie den eigenen Sohn liebte.
»Ich muß zu meiner Schwester,« gab er achselzuckend zurück.
»Wir kennen sie ja,« entgegnete die Alte. »Um nichts und wieder nichts läßt sie dich rufen, und du bedarfst jetzt der Erholung. Liegt dir das Kissen so recht? Und nun frage ich dich, hat es dein unterster Steinträger so schwer wie du? Nicht einmal bei der Mahlzeit gönnst du dir ein behagliches Stündchen. Der arme Kopf, der steht niemals still, die Nächte werden in Tage verwandelt; geschafft muß werden und immer geschafft. Wenn man dabei nur wüßte, für wen?«
»Ja, für wen?« seufzte Pontius und schob den Arm zwischen Haupt und Kissen. »Siehst du, Mütterchen, der Arbeit muß die Ruhe so sicher folgen wie dem Tage die Nacht, wie dem Sommer der Winter. Wer was Liebes im Hause hat – meinetwegen ein gutes Weib und muntere Kinder –, die ihm die Zeit der Rast freundlich verschönern und sie zu den besten Stunden des Tages machen, der handelt klug, wenn er sie verlängert; mit mir indes steht es anders.«
»Aber warum steht es anders, mein Pontius?«
»Laß mich zu Ende reden. Du weißt: weder das Geschwätz in den Bädern, noch das lange Liegen beim Gastmahl erfreut mich. In den Arbeitspausen bin ich mit mir selbst und der sehr vortrefflichen alten Leukippe allein. Die Erholungsstunden sind für mich nicht die schönsten Auftritte, sondern leere Zwischenakte im Schauspiel des Lebens, und darum kann es mir kein billig denkender Mensch verargen, wenn ich sie durch nützliches Schaffen abzukürzen versuche.«
»Und was geht aus dieser verständigen Rede hervor? – Doch nur, daß du heiraten mußt.«
Pontius seufzte; Leukippe aber rief eifrig:
»Du brauchst nicht zu suchen! Die angesehensten Väter und Mütter laufen dir nach und führen uns ihr schönstes Kind zur Türe herein.«
»Ein Kind, das ich nicht kenne, und das mir vielleicht nur die Zwischenakte verdirbt, die ich jetzt wenigstens nützlich verwende.«
»Sie sagen,« entgegnete die Alte, »die Ehe sei ein Würfelspiel. Der eine bringt es zu hohen, der andere zu niederen Augen. Der gewinnt ein Weib, das der fleißigsten Biene gleicht, jener bekommt eine lästige Mücke. Es ist wohl etwas Wahres daran; doch ich bin mit offenen Augen grau geworden und sah häufig, daß es auch viel auf den Gatten ankommt, wie sich die Ehe gestaltet. Ein Mann wie du macht selbst aus der Mücke eine Biene, die Honig ins Haus trägt. Freilich muß man behutsam wählen.«
»Und wie denn?«
»Man soll erst die Eltern ansehen und dann das Kind. Ein Mädchen, das von guten Sitten umgeben im Hause eines verständigen Vaters und einer tugendhaften Mutter aufwuchs . . .«
»Wo fände sich solches Wunder in dieser Stadt? Nein, nein, Leukippe, einstweilen soll alles beim alten bleiben. Wir tun beide unsere Schuldigkeit, sind miteinander zufrieden . . .«
»Und die Zeit fliegt dahin,« fiel die Schaffnerin dem Herrn in die Rede. »Du wirst fünfunddreißig Jahre alt, und die Mädchen . . .«
»Laß sie, laß sie, sie finden andere Männer! Jetzt schicke mir Syrus mit den Schuhen und dem Pallium und laß mir die Sänfte zurichten; Paulina wartete schon lange genug.«
Der Weg von der Wohnung des Baumeisters zu dem Hause seiner Schwester war lang, und er fand, während man ihn dahin trug, Zeit genug zum Nachdenken, nur nicht über den Rat Leukippes, sich ein Weib zu nehmen. Und doch erfüllte ihm eine Frauengestalt Herz und Sinn; aber er fühlte sich zunächst nicht geneigt, sich an dem Bilde Balbillas zu weiden, so lieblich es ihn auch anschaute, vielmehr suchte er mit grausamer Schärfe alles an ihm hervor, was den höchsten Anforderungen, die an weibliche Vollkommenheit gestellt werden können, widersprach. Es fiel ihm nicht schwer, mancherlei üble Fehler und Mängel an der römischen Jungfrau zu finden, und doch mußte er sich eingestehen, daß sie alle untrennbar zu ihr gehörten und daß sie nicht mehr diejenige bleiben würde, die sie war, wenn sie völlig frei von ihnen wäre. Jede ihrer Schwächen wollte dem strengen, in der stoischen Lehre aufgewachsenen Manne zuletzt sogar wie ein Vorzug erscheinen.
Er hatte erfahren, daß das Leid seine Schatten in das Dasein jedes Menschen werfe, aber der, dem es vergönnt wäre, mit diesem strahlenden Glückskinde durchs Leben zu wandern, der, meinte er, habe nichts zu erwarten als lauter heiteren Sonnenschein.
Auf der Reise nach Pelusium und bei seinem Aufenthalt daselbst hatte er oft an sie gedacht, und jedesmal, wenn ihm ihr Bild vor das innere Auge getreten, war es ihm zumute gewesen, als würde es ihm tageshell im Herzen. Ihr begegnet zu sein, hielt er für das größte Glück seines Lebens; aber nach ihrem Besitze zu streben durfte er nicht wagen.
Er schätzte sich selbst nicht gering und wußte, daß er stolz sein durfte auf die Stellung, die er sich durch eigenen Fleiß und mit eigener Kraft errungen; – sie aber war die Enkelin des Mannes, der das Recht besessen hatte, seinen Großvater um Geld zu verkaufen. Dazu war sie so hochgeboren und anspruchsvoll, daß es ihm kaum kühner erschienen wäre, den Kaiser zu fragen, wieviel er für den Purpur begehre, als um sie zu werben. Aber sie zu beschützen, sie zu warnen, sich durch ihren Anblick und ihre Rede erfrischen zu lassen, dazu fühlte er sich berechtigt, dies Glück sollte keiner ihm schmälern. Und sie gönnte es ihm, sie achtete ihn, sie gewährte ihm das Recht, sie zu behüten; das empfand er dankbar und freudig.
Er würde sogleich die außerordentlichen Anstrengungen der letzten Stunden noch einmal auf sich genommen haben, wenn er sicher gewesen wäre, auch dann durch einen Trunk Wasser aus ihrer Hand erquickt zu werden. An sie und ihre Huld auch nur denken zu dürfen, schien ihm ein reicheres Glück als der Besitz jedes anderen Weibes.
Während er vor dem Tor des Stadthauses der Schwester aus der Sänfte stieg, schüttelte er lächelnd über sich selbst den Kopf; denn er sagte sich, daß er auf dem ganzen langen Wege kaum an etwas anderes als an Balbilla gedacht hatte.
Die Wohnung Paulinas besaß nur wenige zu Wirtschaftsräumen gehörige Öffnungen, die in die Straße schauten, und doch war sein Kommen bemerkt worden.
Ein mit Schlinggewächsen umranktes Fenster an der Seitenwand des Hauses rahmte ein reizendes Mädchenhaupt ein, das neugierig auf das städtische Treiben unter sich niederblickte.
Pontius bemerkte es nicht; Arsinoe aber – denn sie war es, der das hübsche Köpfchen gehörte – erkannte sogleich den Baumeister, den sie auf der Lochias gesehen und von dem ihr Pollux erzählt, daß er sein Gönner und Freund.
Seit einer Woche lebte sie in dem reichen Hause der Witwe des Pudens. Es fehlte ihr an nichts, und doch sehnte sie sich mit aller Kraft ihrer Seele hinaus in die Stadt, um nach Pollux und seinen Eltern zu forschen, von denen sie seit dem Tod des Vaters nichts gehört hatte.
Ihr Geliebter suchte sie gewiß mit Angst und Schmerzen; aber wie konnte er sie finden?
Drei Tage nach dem Einzug in ihr neues Heim hatte sie das Fensterchen entdeckt, aus dem sie die Straße zu überblicken vermochte.
Es gab da genug zu sehen; denn sie führte in den Hippodrom und wurde niemals leer von Fußgängern und Wagen, die sich dahin oder nach Nikopolis begaben.
Wohl gewährte es ihr Vergnügen, auf die schönen Rosse und die bekränzten Jünglinge und Männer zu schauen, die an Paulinas Hause vorbeizogen; aber sie trat doch nicht bloß um sich zu unterhalten an die umrankte Maueröffnung, nein, sie hoffte vielmehr ihren Pollux, seinen Vater, seine Mutter, seinen Bruder Teuker oder einen anderen Bekannten einmal an ihrem neuen Heim vorübergehen zu sehen. Dann konnte es ihr vielleicht glücken, einen von ihnen anzurufen, ihn zu fragen, was aus den Freunden geworden sei, und ihn zu bitten, ihrem Bräutigam mitzuteilen, wo sie sich befand.
Ihre Pflegemutter hatte sie zweimal bei dem Fenster überrascht und ihr nicht unfreundlich, doch entschieden verboten, auf die Straße zu blicken. Sie war ihr auch ohne Widerspruch in das Innere des Hauses gefolgt; sobald sie aber wußte, daß Paulina abwesend oder beschäftigt war, schlich sie sich wieder an das Fenster und schaute nach denen aus, an die sie zu jeder Stunde des Tages denken mußte.
Sie fühlte sich nicht glücklich in ihrer reichen neuen Umgebung.
Anfänglich hatte es ihr wohl gefallen, sich auf den weichen Polstern Paulinas auszustrecken und keine Hand zu rühren, gute Bissen zu essen, weder für die Kinder sorgen noch in der gräßlichen Papyrusfabrik arbeiten zu müssen; doch schon am dritten Tage sehnte sie sich hinaus ins Freie – besonders nach den Kindern, nach Selene und Pollux.
Einmal war sie mit Paulina in einer bedeckten Rheda ausgefahren, und zwar zum erstenmal in ihrem Leben. Als die Pferde anzogen, hatte sie sich über die schnelle Bewegung gefreut und sich zur Seite hinausgelehnt, um die Käufer und Menschen an sich vorüberfliegen zu sehen; aber Paulina war darüber, wie über so vieles andere, das sie selbst für recht und erlaubt hielt, ungehalten geworden, hatte ihr geboten, den Kopf zurückzuziehen und gesagt, daß ein sittsames Mädchen beim Spazierenfahren in den Schoß sehen müsse.
Ihre Pflegemutter war gütig, zeigte sich niemals heftig, ließ sie wie die eigene Tochter kleiden und bedienen, küßte sie am Morgen und vor dem Zubettgehen, und doch hatte Arsinoe noch nicht ein einziges Mal an das Verlangen Paulinas gedacht, sie möge sie lieben.
Die stolze, bei aller Freundlichkeit kühle Frau, von der sie sich stets überwacht fühlte, erschien ihr wie eine Fremde, die Macht über sie hatte. Die schönsten Empfindungen ihrer Seele mußte sie ohnehin vor ihr verschließen.
Einmal, nachdem Paulina ihr mit feuchten Augen von ihrer verstorbenen Tochter erzählt hatte, war Arsinoe weich geworden und hatte ihr, dem Antrieb des Herzens folgend, anvertraut, daß sie den Bildhauer Pollux liebhabe und hoffen dürfe, sein Weib zu werden.
»An einen Bildhauer denkst du?« hatte Paulina mit solchem Abscheu gefragt, als sei ihr Blick einer Kröte begegnet. Dann war sie auf und nieder geschritten und hatte mit der ihr eigenen ruhigen Entschiedenheit hinzugefügt:
»Nein, mein Kind, das alles wirst du so bald als möglich vergessen, ich weiß für dich einen edleren Bräutigam. Wenn du ihn erst kennst, dann wirst du nach keinem anderen verlangen. Hast du in diesem Hause ein einziges Bildwerk gesehen?«
»Nein,« entgegnete Arsinoe, »aber was Pollux angeht . . .«
»Höre mich,« unterbrach sie die Witwe. »Hab' ich dir nicht von unserem gütigen Vater im Himmel gesprochen, sagt' ich dir nicht, daß die Götter der Heiden erfundene Luftgebilde sind, die aberwitzige Toren mit allen Schwächen und Lastern sündiger Menschen ausgestattet haben? Kannst du nicht begreifen, wie närrisch es ist, zu Steinen zu beten? Welche Kraft könnte wohl leicht zerstörbaren Figuren von Erz und Marmor innewohnen? Wir nennen sie Götzen. Wer sie bildet, der dient ihnen, der bringt ihnen Opfer, große Opfer; denn er stellt den Geist und seine besten Kräfte in ihren Dienst. Hast du mich verstanden?«
»Nein. Die Kunst ist gewiß etwas Hohes, und Pollux ist ein guter Mensch, der bei der Arbeit des Gottes voll ist.«
»Warte nur, warte, du lernst schon begreifen,« hatte Paulina erwidert, hatte Arsinoe an sich gezogen und erst freundlich, dann in strengerem Tone gesagt: »Geh nun zur Ruhe und flehe den gütigen Vater im Himmel an, daß er dir das Herz erleuchten möge. Die Götzenbildner mußt du vergessen, und ich verbiete dir, in meiner Gegenwart jemals wieder von diesem Bildhauer zu reden.«
Arsinoe war als Heidin aufgewachsen, hing mit Liebe an den heitern Göttern der Väter und hoffte, nachdem der Schmerz über den Verlust des Vaters und die Trennung von den Geschwistern seine brennende Bitterkeit verloren, wieder auf frohe künftige Tage. Sie war wenig geneigt, ihre junge Liebe und alles irdische Glück für geistige Güter zu opfern, deren Wert sie gar nicht begriff.
Ihr Vater hatte stets mit Haß und Verachtung von den Christen geredet. Sie sah nun, daß sie auch gut und hilfreich sein konnten, und die Lehre, daß es einen freundlichen Gott im Himmel gäbe, der alle Menschen wie eigene Kinder liebe, sagte ihr zu; aber daß man dem Feinde vergeben, daß man stets seiner Sünden reuig gedenken und jede Lust und jedes Vergnügen, die das heitere Alexandria bot, seiner unwert finden sollte, das erschien ihr widersinnig und töricht.
Was hatte sie denn Großes begangen?
Konnte der freundliche Gott von ihr fordern, sich viele gute Tage zu verderben, weil sie als Kind von einem Kuchen genascht, einen Topf zerschlagen und später einmal trotzig oder ungehorsam gewesen war?
Gewiß nicht!
Und nun sollte gar auch ein Künstler, ein guter treuer Mensch wie ihr langer Pollux, dem väterlichen Gotte verhaßt sein, weil er so wundervolle Dinge, wie den Kopf ihrer Mutter, zu bilden verstand?
Wenn das sich wirklich so verhielt, dann wollte sie tausendmal lieber zu der lachenden Aphrodite, dem heiteren Eros, dem schönen Apollon und zu allen neun Musen, die ihren Pollux beschützten, die Hände erheben, als zu ihm.
Eine stille Abneigung gegen die strenge Frau, die sie nicht verstehen konnte und von deren Lehren und Mahnungen sie kaum die Hälfte begriff, wurde in ihr lebendig. Manches Wort der Witwe, das leicht eine Stätte in ihrem Herzen hätte finden können, wies sie nur zurück, weil es aus dem Munde der kühlen Frau kam, die ihr in jeder Stunde einen neuen Zwang aufzuerlegen versuchte.
Paulina hatte sie noch nie zu den Versammlungen der Christen in ihre Villa geführt.
Sie wünschte sie erst vorzubereiten und ihr die Seele für das Heil zu öffnen. Kein Gemeindelehrer durfte sie bei dieser Aufgabe unterstützen. Sie, sie ganz allein wollte die Seele dieses schönen, so fest auf den Wegen der Heiden wandelnden Geschöpfes für den Heiland erobern. So verlangte es der Pakt, den sie mit ihm geschlossen. Mit dieser mühevollen Tat hoffte sie die Seligkeit ihrer Tochter zu erkaufen.
Tag für Tag ließ sie Arsinoe in ihr nur mit Blumen und christlichen Symbolen geschmücktes Zimmer kommen und widmete dort ihrer Belehrung mehrere Stunden. Aber ihre Schülerin zeigte sich mit jedem Tage unempfänglicher und zerstreuter. Sie dachte, während Paulina sprach, an ihren Pollux, die Geschwister, die für den Kaiser veranstalteten Feste und an den schönen Putz, den sie als Roxane getragen hätte. Sie fragte sich, welches Mädchen nun ihre Stelle vertreten würde und wie sie zu einem Wiedersehen mit dem Geliebten gelangen könnte.
Wie bei dem Unterricht, so ging es bei den Gebeten Paulinas, die oft länger als eine Stunde dauerten und an denen sie Mittwochs und Freitags kniend, die anderen Tage der Woche mit aufgehobenen Händen teilnehmen mußte.
Als ihre Pflegemutter entdeckt hatte, daß sie oft in die Straße hinaussah, glaubte sie den Grund des zerstreuten Wesens der Schülerin erkannt zu haben und erwartete nur die Heimkehr ihres Bruders, des Baumeisters Pontius, um das Fenster beseitigen zu lassen.
Als der Architekt den hohen Vorsaal des Hauses der Schwester betreten hatte, kam ihm Arsinoe entgegen. Ihre Wangen waren gerötet; denn sie hatte sich beeilt, so schnell als möglich von ihrem Fenster in das untere Stockwerk zu gelangen und den Baumeister zu sprechen, bevor er die inneren Gemächer betrat und mit Paulina redete.
Sie sah schöner als je aus.
Mit Vergnügen blickte Pontius sie an.
Er wußte, daß er dies liebliche Antlitz schon gesehen hatte, doch erinnerte er sich nicht sogleich wo; denn solche, denen man nur flüchtig begegnet ist, erkennt man da nicht leicht wieder, wo man schwer vermuten kann, sie zu finden.
Arsinoe ließ ihm nicht Zeit sie anzureden; denn sie trat ihm in den Weg, begrüßte ihn und fragte schüchtern:
»Du weißt wohl nicht mehr, wer ich bin?«
»Doch, doch,« entgegnete der Baumeister, »indessen . . .«
»Ich bin des Palastverwalters Keraunus Tochter, von der Lochias, du weißt doch . . .«
»Richtig, richtig; und Arsinoe heißt du! Heute noch fragte ich nach deinem Vater und hörte zu meinem Bedauern . . .«
»Er ist tot.«
»Armes Kind! Wie hat sich seit meiner Abreise alles in dem alten Palast verändert! Das Torwächterhäuschen ist verschwunden, ein neuer Verwalter zog dort ein, und dann – aber sage mir zuerst, wie du in dies Haus kommst?«
»Mein Vater hat nichts hinterlassen, und da haben Christen uns bei sich aufgenommen. Wir waren unserer acht.«
»Und meine Schwester beherbergt euch alle?«
»Nein, nein. Das eine wurde in dies, das andere in jenes Haus gebracht. Wir kommen nie wieder zusammen.«
Bei dieser Mitteilung rannen Tränen über Arsinoes Wangen; doch sie faßte sich schnell und sagte, bevor Pontius ihr seine Teilnahme aussprechen konnte:
»Ich möchte dich um etwas bitten! – Laß mich reden, bevor man uns stört.«
»Sprich nur, mein Kind!«
»Du hast ja Pollux, den Bildhauer Pollux, gekannt.«
»Gewiß.«
»Und du warst ihm gütig gesinnt?«
»Er ist ein braver Mensch und ein tüchtiger Künstler.«
»Ja wahrlich, das ist er. Und außerdem . . . Darf ich dir alles sagen und willst du mir beistehen?«
»Gern, wenn es in meiner Macht steht.«
Arsinoe schaute mit reizender Verlegenheit errötend zu Boden und sagte dann leise:
»Wir lieben einander; ich bin seine Braut.«
»Nimm meinen Glückwunsch.«
»Ach, wenn es schon so weit wäre! Seit dem Tode des Vaters haben wir einander nicht wiedergesehen. Ich weiß nicht, wo er und seine Eltern geblieben sind, und wie soll er mich hier finden?«
»So schreibe ihm.«
»Das kann ich nicht gut, und wenn ich's vermöchte, so würde mein Bote . . .«
»Ließ meine Schwester ihn suchen?«
»Nein, nein. Ich darf vor ihr nicht einmal seinen Namen über die Lippen bringen. Sie will mich an einen anderen vergeben; sie sagt, die Bildhauerkunst sei dem Gotte der Christen verhaßt.«
»Sagt sie das? So wünschst du wohl, ich möchte deinen Bräutigam suchen?«
»Ja, ja, guter Herr, und wenn du ihn findest, so sage ihm, ich wäre des Morgens früh und gegen Abend allein. Alle Tage! Denn dann fährt deine Schwester immer zum Gottesdienst in ihr Landhaus.«
»Also zum Liebesboten willst du mich machen? Du kannst keinen Unerfahrenern wählen.«
»Ach, edler Pontius, wenn du ein Herz hast . . .«
»Laß mich ausreden, Mädchen. Ich will deinen Bräutigam suchen, und finde ich ihn, so soll er erfahren, wo du jetzt weilst; aber zum Stelldichein hinter dem Rücken meiner Schwester will und kann ich ihn nicht laden. Offen soll er vor Paulina treten und um dich werben. Versagt sie euch ihre Zustimmung, so werd' ich eure Sache bei meiner Schwester zu führen versuchen. Bist du damit zufrieden?«
»Ich muß es ja sein. Und nicht wahr, du teilst mir mit, wohin er selbst und seine Eltern kamen?«
»Das will ich dir versprechen. Und nun noch eine Frage. Fühlst du dich wohl in diesem Hause?«
Arsinoe schaute wieder verlegen zu Boden, dann schüttelte sie den Kopf mit dem Ausdruck lebhafter Verneinung und eilte davon.
Pontius schaute ihr teilnehmend und mitleidig nach.
»Armes, schönes Geschöpf,« murmelte er vor sich hin und begab sich in das Gemach seiner Schwester.
Der Hausmeister hatte seine Ankunft gemeldet, und Paulina war ihm bis an die Schwelle entgegengegangen.
In ihrem Wohnzimmer fand der Baumeister den Bischof Eumenes, einen würdigen Greis mit klaren, milden Augen.
»Dein Name ist heute in aller Mund,« sagte Paulina nach der üblichen Begrüßung. »Man sagt, du hättest in dieser Nacht Wunder verrichtet.«
»Ich kam sehr ermattet nach Hause,« versetzte Pontius; »da du mich aber dringend zu sprechen wünschtest, kürzte ich meine Erholungszeit ab.«
»Wie mir das leid tut!« rief die Witwe.
Der Bischof sah, daß die Geschwister Geschäftliches miteinander zu verhandeln hatten, und fragte, ob er nicht störe.
»Im Gegenteil,« rief Paulina, »Es handelt sich um meine neue Pflegebefohlene, die leider viel unnütze Dinge im Kopf hat. Sie sagt, sie hätte dich auf der Lochias gesehen, mein Pontius.«
»Ich kenne das schöne Kind.«
»Ja, sie ist von lieblichem Ansehen,« entgegnete die Witwe. »Aber ihr Geist und ihr Herz sind völlig unausgebildet geblieben, und die Lehre fällt bei ihr auf steinigen Boden; denn sie benützt jede freie Stunde, um den Reitern und Wagen nachzuschauen, die in den Hippodrom fahren. Bei diesem neugierigen Gaffen nimmt sie tausend unnütze und zerstreuende Bilder in sich auf – ich bin nicht immer zu Hause – und so ist es das Beste, wenn wir das verderbliche Fenster zumauern lassen.«
»Und um das zu bewerkstelligen, ließest du mich rufen?« fragte Pontius verdrossen. »Mit diesem Werke wären, sollt' ich meinen, deine Haussklaven auch ohne mich fertig geworden.«
»Vielleicht – aber die Wand muß dann auch neu übertüncht werden. Ich weiß ja, wie gefällig du bist.«
»Ich danke dir. Morgen schicke ich dir zwei ordentliche Leute.«
»Nein, heute schon, wenn es angeht.«
»Hat es denn solche Eile, dem armen Kind den Spaß zu verderben? Und dazu muß ich glauben, daß es nicht einmal nach Reitern und Wagen, sondern nach seinem braven Bräutigam ausschaut.«
»Um so schlimmer. Ich sagte dir ja, Eumenes, daß ein Bildhauer sie zum Weibe begehrt.«
»Sie ist eine Heidin,« entgegnete der Bischof.
»Aber auf dem Wege zum Heil,« versetzte Paulina. »Doch davon reden wir später. Es gibt auch noch etwas anderes zu besprechen, Pontius. Der Saal in meinem Landhause muß erweitert werden.«
»So schick mir die Pläne.«
»Sie liegen in der Bücherei meines armen Gatten.«
Der Baumeister verließ die Schwester, um sich in das ihm wohlbekannte Gemach zu begeben.
Sobald der Bischof mit Paulina allein war, schüttelte er das Haupt und sagte:
»Wenn ich richtig sehe, meine Schwester, so gehst du bei der Führung des dir anvertrauten Kindes irre. Nicht alle sind berufen, und widerspenstige Herzen wollen mit sanfter Hand auf den Weg des Heils geleitet und nicht auf ihn gezogen und gestoßen werden. Warum schneidest du dem Mädchen, das noch mit beiden Füßen mitten in der Welt steht, alles ab, was ihm Vergnügen bereitet? Gestatte der Jungfrau doch, jede erlaubte Freude zu genießen, die ja die Lebenslust der Jugend ist. Kränke Arsinoe nicht vergeblich, laß sie die Hand, die sie leitet, nicht fühlen. Lehre sie zunächst dich von Herzen lieben, und wenn sie nichts Teureres kennt als dich, wird eine Bitte deines Mundes mehr vermögen als Riegel und vermauerte Fenster.«
»Ich wünsche zunächst nichts weiter, als daß sie mich liebt,« fiel Paulina dem Bischof ins Wort.
»Aber prüftest du sie schon? Siehst du in ihr den Funken, der sich zur Flamme anfachen läßt? Hast du in ihr einen Keim entdeckt, der zur Sehnsucht nach dem Heil, zur Hingabe an den Erlöser aufwachsen könnte?«
»In jedes Menschen Brust liegt dieser Keim. Das sind deine eigenen Worte.«
»Aber in vielen Heiden ist er mit Sand und Geröll hoch bedeckt. Fühlst du in dir die Kraft, beide fortzuräumen, ohne den Keim und das Land, das ihn hegt, zu beschädigen?«
»Ich fühle sie, und ich gewinne Arsinoe für Jesus Christus,« entgegnete Paulina entschieden.
Pontius unterbrach dies Gespräch. Eine Zeitlang blieb er noch bei der Schwester und sprach mit ihr und Eumenes über den in ihrem Landhause vorzunehmenden Neubau, dann verließ er sie zugleich mit dem Bischof und begab sich zu den Brandstätten am Hafen und bei dem alten Palaste.
Achtunddreißigstes Kapitel
Pontius fand den Kaiser nicht mehr auf der Lochias; denn Hadrian war am Nachmittag in das Cäsareum gezogen. – Der brandige Geruch in allen Gemächern des alten Palastes war ihm widerwärtig gewesen, und er hatte das erneuerte Schloß für eine Unglücksstätte zu halten begonnen.
Der Baumeister wurde mit Sehnsucht erwartet; denn die im Cäsareum ursprünglich für den Kaiser eingerichteten Gemächer waren bei der Ausstattung der Säle auf der Lochias ausgeplündert und in Unordnung gebracht worden; Pontius sollte nun für ihre schnelle Instandsetzung sorgen.
Ein Wagen erwartete ihn, an Sklaven fehlte es nicht, und so nahm er denn sogleich die neue Aufgabe in Angriff und widmete sich ihr bis tief in die Nacht.
In seinem Vorzimmer wurde er auch diesmal vergeblich erwartet.
Hadrian hatte einige Gemächer bezogen, die zu dem Quartier seiner Gemahlin gehörten.
Er war in ernster Stimmung.
Als der Präfekt Titianus gemeldet wurde, ließ er ihn warten, bis er mit eigener Hand einen neuen Umschlag auf die Brandwunden seines Lieblings gelegt.
»Geh nur, Herr,« bat der Bithynier, nachdem der Kaiser sein Werk mit der Geschicklichkeit eines Wundarztes beendigt hatte. »Titianus wandelt da drin schon eine Viertelstunde auf und nieder.«
»Mag er doch,« entgegnete der Herrscher. »Und wenn auch die ganze Welt nach mir schreit, sie müßte warten, bis diesen treuen Fingern ihr Recht geschehen ist! Ja, mein Knabe, wir wandern zusammen als fest verbundene Gefährten durchs Leben. Das tun wohl auch andere, und jeder, der so mit seinem Genossen hinzieht und mit ihm das gleiche genießt und erleidet, der denkt zuletzt, daß er ihn wie sich selber kenne; aber der tiefste Kern im Wesen seines Begleiters bleibt ihm dennoch verborgen. Dann läßt das Schicksal eines Tages einen Sturm daherbrausen. Der reißt vor den Augen des Wanderers die letzte Hülle von der Seele des Genossen, und erst jetzt steht sie unverschleiert vor ihm wie ein aus den Schalen gefallener Kern, wie ein nackter Körper. – In dieser Nacht nun wehte solche Windsbraut und ließ mich das Herz meines Antinous schauen wie meine Hand, die ich hier vor die Augen halte. – Ja, ja, ja! Wer sein blühendes Dasein für einen werten Besitz des Freundes in die Schanze schlägt, der würde für die Person dieses Freundes zehn Leben opfern, wenn er sie hätte! Diese Nacht, mein Freund, soll dir unvergessen bleiben. Sie gibt dir das Recht, mir viel Böses anzutun, und grub deinen Namen an der vordersten Spitze derer, denen ich Wohltaten schulde, tief in mein Herz ein. Es sind ihrer nicht viel.«
Hadrian hielt Antinous die Hand hin.
Der Jüngling, der bis dahin verwirrt zu Boden geschaut hatte, drückte sie an den Mund und ließ die Lippen heftig bewegt auf ihr ruhen. Dann erhob er die großen Augen zu denen des Kaisers und sagte bittend:
»So darfst du nicht mehr mit mir reden; denn wie verdiente ich solche Güte wohl? Was ist denn mein Leben? Ich ließe es hinfliegen wie ein Kind den Käfer, den es sich einfing, um dir einen einzigen trüben Tag zu ersparen.«
»Ich weiß es,« entgegnete der Herrscher fest und ging in das Nebenzimmer zu dem Präfekten.
Titianus war auf Befehl des Kaisers gekommen.
Es galt festzustellen, welche Entschädigung der Stadt und den einzelnen Besitzern der abgebrannten Speicher gezahlt werden sollte; denn Hadrian hatte beschlossen, durch ein Dekret verkündigen zu lassen, daß niemand durch das von den Göttern gesandte Unglück, das in seinem Hause den Ursprung genommen, Schaden erleiden dürfe.
Der Präfekt hatte bereits die notwendigen Erkundigungen eingezogen, und wurde nun den Geheimschreibern Phlegon, Heliodor und Celer der Auftrag erteilt, an die Betroffenen Schreiben zu richten, in denen sie im Namen des Cäsar aufgefordert werden sollten, der Wahrheit gemäß die Höhe des Verlustes anzugeben, der sie betroffen.
Titianus brachte auch die Nachricht, daß Griechen und Juden beschlossen hätten, ihrer Freude über die Rettung des Kaisers durch große Dankopfer Ausdruck zu geben.
»Und die Christen?« fragte Hadrian.
»Sie verschmähen es, Tiere zu opfern, noch wollen sie sich zu einem gemeinsamen Dankgebete vereinigen.«
»Sie lassen sich ihre Erkenntlichkeit wenig kosten,« lachte der Kaiser.
»Ihr Bischof Eumenes überbrachte mir eine Summe, für die man hundert Ochsen kaufen könnte, zur Verteilung an die Armen. Er sagt, der Christengott sei ein Geist und verlange nur geistige Opfer. Das Beste, was man ihm darbringen könnte, sei ein vom Geiste befohlenes, aus warmem Herzen kommendes Gebet.«
»Das klingt nicht übel für uns,« entgegnete Hadrian, »aber es taugt nicht für das Volk. Philosophische Lehren führen nicht zur Frömmigkeit. Die Menge braucht sichtbare Götter und greifbare Opfer. Sind die Christen hier gute und dem Staat ergebene Bürger?«
»Für sie brauchten wir keine Gerichte.«
»So nimm ihr Geld und laß es an Bedürftige verteilen; aber ihr gemeinsames Gebet muß ich verbieten. Mögen sie immerhin im stillen für mich die Hände zu ihrem großen Geiste erheben. An die Öffentlichkeit darf ihre Lehre nicht treten. Sie ist nicht ohne verführerische Reize, und die Sicherheit des Staates verlangt, daß die Menge treu zu den alten Göttern und Opfern hält.«
»Wie du befiehlst, Cäsar.«
»Du kennst den Bericht des Plinius an Trajan über die Christen?«
»Und die Antwort des Kaisers.«
»Gut denn. Lassen wir sie im stillen treiben, wonach ihnen der Sinn steht; nur darf ihr Tun weder gegen die Gesetze des Staates verstoßen, noch sich in die Öffentlichkeit drängen. Sobald sie sich unterfangen, den alten Göttern die Achtung zu versagen, die ihnen gebührt, oder gar einen Finger gegen sie aufzuheben, wird Strenge geübt und jede Ausschreitung mit dem Tode bestraft.«
Während dieses Gespräches war Verus in das Zimmer getreten.
Er folgte heute dem Kaiser überall hin; denn er hoffte, ein Wort über seine Beobachtung des Himmels zu hören und wagte es doch nicht, ihn nach ihrem Ergebnis zu fragen.
Als er Hadrian beschäftigt sah, ließ er sich von einem Kämmerer zu Antinous führen.
Der Günstling erblich beim Anblick des Prätors, fand aber doch Fassung genug, um ihm zu seinem Geburtstage Glück zu wünschen.
Es war Verus nicht entgangen, daß sein Erscheinen den Jüngling erschreckt hatte; darum legte er ihm zunächst gleichgültige Fragen vor, verflocht lustige Geschichten in das Gespräch und sagte, nachdem er die Absicht, ihn zu beruhigen, erreicht hatte, leichthin:
»Im Namen des Staates und aller Freunde des Kaisers muß ich dir danken. Du führtest deinen Auftrag gut zu Ende, wenn auch mit etwas kräftigen Mitteln.«
»Ich bitte dich, laß das,« fiel ihm Antinous dringend ins Wort und sah ängstlich nach der Tür des Nebengemaches.
»Um dem Kaiser den freien Geist zu erhalten, hätte ich ganz Alexandria geopfert. Wir mußten übrigens beide unsere gute Absicht und die elenden Speicher teuer genug bezahlen.«
»Sprich doch von anderen Dingen.«
»Du sitzest da mit verbundenen Händen und verbranntem Haar, und ich fühle mich unwohl.«
»Hadrian sagte, du hättest beim Retten wacker geholfen.«
»Mich dauerten die armen Hamster, denen die Flammen den zusammengeschleppten Vorrat fortfressen wollten, und erhitzt, wie ich vom Gastmahl kam, sprang ich unter die Löscher. Mein erster Lohn bestand aus kaltem, eiskaltem Seewasser, das man mir aus einem vollen Schlauch über den Kopf goß. An mir werden alle Lehren der Ethik zu Schanden, und ich bin längst geneigt, die Schauspieldichter, in deren Stücken die Tugend belohnt und das Laster bestraft wird, für Tröpfe zu halten; denn meinen schlimmsten Taten dank' ich die besten Stunden und meinen guten nur Verdruß und Elend. Keine Hyäne kann heiserer lachen, als ich jetzt rede, ein Organ hier drin scheint sich in einen Igel verwandelt zu haben, dessen Stacheln mir weh tun, und das alles, weil ich mich zu Handlungen fortreißen ließ, die Moralisten als tugendhaft preisen.«
»Du hustest und siehst nicht gut aus; leg dich doch nieder.«
»An meinem Geburtstag? Nein, junger Freund. Und nun frag' ich dich noch, bevor ich dich verlasse: kannst du mir sagen, was Hadrian in den Sternen las?«
»Nein.«
»Auch nicht, wenn ich dir meinen Perseus für jeden Dienst zur Verfügung stelle? Der Mann kennt Alexandria und ist stumm wie ein Fisch.«
»Auch dann nicht; denn was ich nicht weiß, kann ich nicht sagen. Wir sind beide nicht wohl; ich wiederhole es, du tätest gut, dich zu pflegen.«
Verus verließ bald nach diesem Rate das Gemach, und Antinous schaute ihm erleichtert nach.
Der Besuch des Prätors hatte ihn mit Unruhe erfüllt und den Widerwillen, den er gegen ihn hegte, gesteigert. Er wußte, daß er von Verus mißbraucht worden war; denn Hadrian hatte ihm erzählt, daß er nicht, um für sich selbst die Sterne zu befragen, sondern um dem Prätor das Horoskop zu stellen, auf die Warte gestiegen sei und diesen von seinem Vorsatz unterrichtet habe.
Es gab keine Entschuldigung, keine Beschönigung mehr für sein Tun!
Diesem wüsten Gecken, diesem lachenden Heuchler zu Gefallen war er zum Verräter an seinem Herrn, war er zum Brandstifter geworden, mußte er es ertragen, sich von dem größten und scharfblickendsten unter den Menschen mit Lob und Danksagungen überschütten zu lassen. Er haßte, er verabscheute sich selbst und fragte sich, warum das Feuer, das ihn umloht, sich begnügt hatte, ihm Haar und Hände leicht zu verletzen.
Als Hadrian zu ihm zurückkehrte, bat er ihn um die Erlaubnis, sich ins Bett legen zu dürfen.
Der Kaiser gestattete ihm dies gern, befahl Mastor, bei ihm zu wachen, und folgte dann der Bitte seiner Gemahlin um einen Besuch.
Sabina war nicht auf der Brandstätte gewesen, hatte aber in jeder Stunde einen Boten abgeschickt, um sich nach dem Stande des Feuers und dem Befinden des Gemahls zu erkundigen. Bei seinem Einzug in das Cäsareum hatte sie ihn begrüßt und war dann in ihre Gemächer zurückgegangen.
Die zweite Stunde vor Mitternacht brach an, als Hadrian ihr Zimmer betrat.
Er fand sie auf dem Lager ohne den Schmuck, den sie am Tage zu tragen pflegte, aber wie zum Gastmahl gekleidet.
»Du wünschest mich zu sprechen?« fragte der Kaiser.
»Ja. Und dieser an bemerkenswerten Ereignissen reiche Tag schließt bemerkenswert; denn du ließest mich nicht vergebens bitten.«
»Du gibst mir selten Gelegenheit, dir einen Wunsch zu erfüllen.«
»Beklagst du dich darüber?«
»Vielleicht; denn statt zu bitten, pflegst du zu fordern.«
»Lassen wir dies Gefecht mit müßigen Worten.«
»Gern. Zu welchem Zwecke ließest du mich rufen?«
»Verus feiert heute seinen Geburtstag.«
»Und du möchtest wissen, was ihm die Sterne verheißen?«
»Oder vielmehr, wie dich die Vorgänge am Himmel für ihn stimmten.«
»Es blieb mir noch wenig Zeit, das Gesehene zu überlegen. Jedenfalls verheißen ihm seine Sterne eine glänzende Zukunft.«
Ein freudiger Schimmer strahlte aus den Augen Sabinas; doch zwang sie sich, ruhig zu bleiben und fragte gelassen:
»Das gibst du zu und kannst dennoch zu keinem Entschluß gelangen?«
»So wünschst du also das entscheidende Wort heute schon zu hören?«
»Wozu diese Frage?«
»Gut. Seine Sterne überstrahlen die meinen und nötigen mich, mich vor ihm zu hüten.«
»Wie klein! Du fürchtest den Prätor?«
»Nein, aber sein mit dir verbündetes Glück.«
»Wenn er unser Sohn ist, wird seine Größe die unsere sein.«
»Mit nichten; denn mache ich ihn zu dem, was du wünschest, wird er versuchen, unsere Größe zu der seinen zu machen. Das Schicksal . . .«
»Du behauptest, es sei ihm günstig; ich aber muß dies leider bestreiten.«
»Du? Versuchst auch du in den Sternen zu lesen?«
»Nein. Das überlasse ich den Männern. Hast du von dem Astrologen Ammonius gehört?«
»Ja. Ein geschickter Mann, der auf der Warte des Serapeums beobachtet und, wie viele seinesgleichen in dieser Stadt, seine Kunst benutzte, um sich ein großes Vermögen zusammenzuscharren.«
»Kein Geringerer als der Astronom Claudius Ptolemäus wies mich an ihn.«
»Die beste Empfehlung.«
»Wohl denn, ich gab Ammonius den Auftrag, in der vergangenen Nacht Verus das Horoskop zu stellen. Er brachte es mir vorhin mit einer Erklärung. Hier ist es.«
Der Kaiser griff schnell nach der Tafel, die Sabina ihm reichte, und sagte, während er die nach Stunden geordneten Verheißungen aufmerksam prüfte:
»Ganz richtig! Sollte mir das da entgangen sein? Gut gemacht! Durchaus meinen eigenen Beobachtungen entsprechend! Aber hier – warte – hier fängt die dritte Stunde an, bei deren Beginn ich gestört ward. Ewige Götter, was ist das!«
Der Kaiser entfernte die Wachstafel des Ammonius weiter von seinen Augen und regte die Lippen nicht mehr, bis er zu der letzten Stunde der schwindenden Nacht gelangt war. Dann ließ er die Hand, die das Horoskop hielt, sinken und rief schaudernd: »Ein gräßliches Schicksal! Horaz hat recht. Mit dem schwersten Falle stürzen hohe Türme zusammen.«
»Der Turm, an den du denkst, ist das Schoßkind des Glückes, vor dem du dich fürchtest,« sagte Sabina. »Gönne doch Verus eine kurze Glückszeit vor dem grauenvollen Ende, das ihm bevorsteht.«
Hadrian schaute während dieser Bitte sinnend zu Boden und entgegnete dann, indem er vor der Gemahlin stehen blieb:
»Wenn dieser Mann nicht finsterem Unheil verfällt, so sind die Sterne und die Schicksale der Menschen einander so fremd wie das Meer dem Herzen der Wüste, wie der Pulsschlag des Menschen dem Kiesel im Bache. Hätte Ammonius auch zehnmal geirrt, so blieben doch mehr als zehn dem Prätor verhängnisvoll feindliche Zeichen auf dieser Tafel übrig. Ich beklage Verus; – doch der Staat hat des Kaisers Unglück mit zu erdulden. Dieser Mann kann nicht mein Nachfolger werden.«
»Nicht?« fragte Sabina und erhob sich von ihrem Lager. »Nicht? auch nicht, nachdem du gesehen hast, daß dein Stern den seinen überdauert? Nicht, obgleich ein Blick in diese Tafel dich lehren könnte, daß er Asche sein wird, wenn die Welt noch lange deinen Winken gehorcht?«
»Beruhige dich und laß mir Zeit. – Jetzt sag' ich: auch dann nicht!«
»Auch dann nicht!« wiederholte Sabina dumpf.
Dann raffte sie sich zusammen und fragte mit leidenschaftlicher Bitte:
»Nicht, auch dann nicht, wenn ich die Hände flehend zu dir erhebe und dir ins Antlitz schreie: du und das Schicksal, ihr habt mir den Segen, das Glück, das schöne Lebensziel des Weibes mißgönnt, und ich will und muß es erreichen! Ich muß und will mich einmal, und wär' es auch nur auf kurze Zeit, von einem geliebten Munde mit demjenigen Namen nennen hören, der das ärmste Bettelweib mit dem Säugling im Arme hoch über die Kaiserin stellt, die nie an der Wiege eines Kindes stand, das sie gebar. Ich will und muß vor meinem Ende Mutter sein, Mutter heißen und sagen können: mein Kind, mein Sohn, unser Kind.«
Dabei schluchzte Sabina laut auf und schlug die Hände vor das Antlitz.
Der Kaiser trat von der Gemahlin zurück.
Ein Wunder hatte sich vor seinen Augen ereignet.
Sabina, in deren Augen er noch niemals eine Träne gesehen, Sabina weinte, Sabina hatte ein Herz wie andere Weiber!
Überrascht, erstaunt, tief ergriffen sah er, wie sie, von der mächtigen Erregung ihres Innern geschüttelt, sich von ihm abwandte und sich vor dem Polster, das sie verlassen hatte, auf die Knie warf, um das Gesicht in den Kissen zu verbergen.
Regungslos blieb er stehen und sagte, als er ihr endlich näher trat:
»Steh auf, Sabina, dein Verlangen ist gerecht. Du sollst den Sohn haben, nach dem deine Seele sich sehnt.«
Die Kaiserin erhob sich, und ein dankbarer Blick aus ihren in Tränen schwimmenden Augen traf den seinen.
Sabina konnte auch lächeln, sie konnte auch schön sein.
Es hatte eines Lebens, es hatte einer solchen Stunde bedurft, um Hadrian dies zu zeigen.
Schweigend zog er einen Sessel zu ihr heran und ließ sich neben ihr nieder. Eine Zeit lang hielt er ihre Hand still mit der seinen umfaßt. Dann ließ er sie los und sagte freundlich:
»Wird Verus auch das erfüllen, was du von einem Sohne erwartest?«
Sie nickte bejahend mit dem Kopfe.
»Und woher nimmst du diese Zuversicht?« fragte der Kaiser. »Er ist ein Römer und nicht arm an schätzenswerten, ja glänzenden Gaben. Wer wie er im Feld und im Rat seinen Mann steht und doch den Eros mit großem Glück zu spielen weiß, der wird auch den Purpur nicht ungeschickt tragen. Aber er hat das leichte Blut seiner Mutter und sein Herz flattert hierhin und dorthin.«
»Laß ihn, wie er ist. Wir verstehen einander, und er ist der einzige Mensch, auf dessen Neigung ich baue, auf dessen Treue ich so sicher zähle, als wär' er mein leiblicher Sohn.«
»Und dies feste Vertrauen, auf welche Tatsachen ist es begründet?«
»Du wirst mich verstehen; denn du bist ja nicht blind für die Winke, die uns das Schicksal erteilt. Hast du Zeit, eine kurze Geschichte zu hören?
»Die Nacht ist noch lang.«
»So will ich denn reden. Verzeih, wenn ich mit Dingen beginne, die vergangen zu sein scheinen; – doch sind sie es nicht; denn sie wirken in mir fort bis auf diese Stunde! Ich weiß, daß du mich nicht selbst zum Weibe erwähltest. Plotina nahm mich für dich in dein Haus. Sie hat dich geliebt; – ob deine Neigung der schönen Frau oder der Gattin des Kaisers, von dem du alles zu erwarten hattest, gehört, wer weiß es!«
»Ich habe das
»Sie wählte für dich in mir eine Gattin, die von hohem Wuchs und also für den Purpur geeignet, aber nicht schön war. Dazu kannte sie mich und wußte, daß ich es schlechter als andere verstand, die Herzen für mich zu gewinnen. Im Elternhause genoß kein anderes Kind so spärlich wie ich die Gaben der Liebe, und daß mein Gatte mich nicht mit zärtlicher Neigung verwöhnte, das weißt du am besten.«
»Ich möcht' es in dieser Stunde bereuen.«
»Es würde zu spät sein. Aber ich will nicht bitter werden, gewiß nicht. Und doch, wenn du mich verstehen sollst, muß ich bekennen, daß ich mich, so lange ich jung war, schmerzlich nach jener Liebe sehnte, die niemand mir darbot.«
»Und hast du selbst jemals geliebt?«
»Nein; aber es tat mir weh, daß ich's nicht konnte. Bei Plotina sah ich damals oft die Kinder der Anverwandten, und manchmal versuchte ich es, sie an mich zu ziehen; während sie aber mit den anderen Frauen zutraulich spielten, schien ich sie mit Scheu zu erfüllen. Bald grollt' ich auch ihnen; nur des Cejonius Commodus Söhnchen, unser Verus, gab mir frische Antworten, wenn ich ihn fragte und brachte mir sein zerbrochenes Spielzeug, um die Schäden zu heilen, die es erlitt. So gewann ich den Buben lieb.«
»Er war ein wundervoll anmutiger Knabe.«
»Das ist er gewesen. Eines Tages nun saßen wir Frauen alle im Garten des Kaisers beisammen. Da lief Verus herzu und brachte einen besonders schönen rotwangigen Apfel, den Trajan selbst ihm geschenkt. Die Frucht ward von allen bewundert. Plotina nahm sie dem Knaben sogar aus der Hand und fragte scherzend, ob er ihr den Apfel nicht schenken wolle. Da sah er sie mit den großen Augen verwundert an, schüttelte den Lockenkopf, eilte auf mich zu, gab mir, ja mir und keiner anderen, die Frucht, schlang mir die Ärmchen um den Hals und sagte: »Sabina, du sollst ihn haben.«
»Ein Parisurteil.«
»Scherze jetzt nicht. Mir hat diese Tat eines selbstlosen Kindes den Mut gestärkt, den Jammer des Lebens zu tragen. Ich wußte nun, daß es einen gab, der mich liebte, und dieser eine lohnte alles, was ich für ihn empfand und was ich nicht müde ward für ihn zu tun, mit freundlicher Neigung. Er ist der Einzige, von dem ich weiß, daß er weinen wird, wenn ich sterbe. Gib ihm das Recht, mich Mutter zu nennen, und mach ihn zu unserem Sohne.«
»Er ist es,« entgegnete Hadrian mit ernster Würde und hielt Sabina die Hand hin.
Die Kaiserin versuchte sie an ihre Lippen zu ziehen, er aber entzog sie ihr und fuhr fort:
»Teile ihm mit, daß wir ihn an Sohnesstatt annehmen. Sein Weib ist die Tochter des Nigrinu, der fallen mußte, weil ich feststehen wollte. Du liebst Lucilla nicht; doch bewundern dürfen wir sie beide; denn ich wenigstens kenne keine andere Frau in Rom, für deren Tugend man einstehen möchte. Ich bin ihr ohnehin einen Vater schuldig und freue mich dieser Tochter. So wären wir denn mit Kindern gesegnet. Ob und wann ich Verus auch zum Nachfolger ernenne und der Welt mitteile, wer ihr künftiger Beherrscher sein soll, das kann ich jetzt noch nicht entscheiden, dazu bedarf es einer ruhigeren Stunde. Auf morgen, Sabina. Mit einem Unglück begann dieser Tag; möge das, womit wir ihn gemeinsam beschließen, uns zum Glücke und dem Staat zum Segen gedeihen.«
Neununddreißigstes Kapitel
Es gibt schöne warme Tage im Februar; wer aber glaubt, daß sie den Frühling bringen, der täuscht sich.
Die herbe, harte Sabina hatte auf Stunden weiche, weibliche Regungen über sich Herr werden lassen, sobald sie aber die Sehnsucht ihres nach mütterlichem Glück lechzenden Gemütes erfüllt sah, zog sich ihr Herz wieder zusammen und das Feuer, das ihr die Brust erwärmt hatte, erlosch.
Jeder, der ihr nahte, und auch ihr Gemahl, fühlte sich durch ihr Wesen wiederum erkältet und abgestoßen.
Verus war erkrankt.
Die ersten Anzeichen eines Leberleidens, das ihm die Ärzte in Aussicht gestellt hatten, wenn er, der Europäer, sein ausschweifendes römisches Leben in Alexandria fortsetze, begannen ihm viele böse Stunden zu bereiten.
Mit Ungeduld trug er die ersten körperlichen Schmerzen, die das Schicksal ihm auferlegte.
Selbst der großen Kunde, die Sabina ihm überbrachte und die seine kühnsten Hoffnungen verwirklichte, wohnte die Kraft nicht inne, ihn mit der neuen Empfindung des Krankseins zu versöhnen.
Er erfuhr auch, daß die Besorgnisse Hadrians vor dem überhellen Glanz seiner Sterne ihn beinahe um die Adoption gebracht hätten, und weil er sicher glaubte, daß er sich beim Löschen des von Antinous angelegten Feuers sein Leiden zugezogen habe, bereute er bitter seinen hinterlistigen Eingriff in die Berechnungen des Kaisers.
Der Mensch läßt gern jede Last, und besonders die einer verübten Schuld von anderen mittragen, und so verwünschte der leidende Prätor den Antinous und die Wissenschaft des Simeon Ben Jochai, weil ja die Freveltat, durch die ihm die Lust des Lebens getrübt ward, ohne sie ungeschehen geblieben wäre.
Hadrian hatte die Alexandriner ersucht, die für ihn vorbereiteten Schauspiele und Aufzüge zu verschieben; denn seine Beobachtungen für den Lauf der Schicksale des folgenden Jahres waren noch nicht beendet. Allabendlich begab er sich nun auf die hohe Warte des Serapeums und schaute von dort aus nach den Sternen. Am zehnten Januar schloß er die Arbeit ab. Am elften begannen die Festlichkeiten. Sie nahmen viele Tage in Anspruch. Die Roxane wurde auf Wunsch des Prätors von der schönen Tochter des Juden Apollodor dargestellt.
Alles, was die Alexandriner dem Kaiser boten, war großartig und glänzend.
So viel Schiffe wie hier waren in keiner anderen Naumachie bei einer zum Schein gelieferten Seeschlacht zertrümmert worden, eine größere Zahl von wilden Tieren hatte man selbst im römischen Zirkus bei keiner Gelegenheit zusammen gesehen. Und wie blutig fielen die Gladiatorengefechte aus, bei denen schwarze und weiße Kämpfer eine bunte, Herz und Sinn erregende Abwechslung boten.
Bei den Aufzügen gab es infolge der verschiedenen Elemente, die diese Vereinigungsstätte der ägyptischen, griechischen und orientalischen Kultur zu stellen vermochte, so mannigfaltige Augenweide, daß sie trotz ihrer übertriebenen Länge weniger ermüdend wirkten, als die Römer gefürchtet hatten.
Die Aufführungen der Tragödien und Komödien waren so reich mit überraschenden Effekten: Feuersbrünsten, Wassersfluten und dergleichen ausgestattet und gaben den alexandrinischen Schauspielern Gelegenheit, ihre Kunst so glänzend zu bewähren, daß Hadrian und seine Begleiter gestehen mußten, selbst in Rom und Athen keinen Darstellungen von gleicher Vollendung beigewohnt zu haben.
Ein Stück des Juden Ezechiel, der unter den Ptolemäern in griechischer Sprache Dramen geschrieben hatte, die Stoffe aus der Geschichte seines Volkes behandelten, nahm die besondere Aufmerksamkeit des Kaisers in Anspruch.
Der Präfekt Titianus wurde während dieser Festzeit schwer von alten Atembeschwerden gequält und hatte dabei alle Hände voll zu tun; gleichwohl half er dem Baumeister Pontius redlich bei der Aufsuchung des Bildhauers Pollux.
Beide Männer taten ihr Bestes; wenn es ihnen aber auch bald gelang, Frau Doris und Euphorion zu finden, blieb dagegen jede Spur ihres verschwundenen Sohnes verloren.
Papias, der frühere Meister des jungen Mannes, befand sich nicht mehr in der Stadt, sondern war von Hadrian nach Italien gesandt worden, um dort in seiner Villa zu Tibur Zentauren und andere Figuren auszuführen. Seine zurückgebliebene Gattin versicherte, nichts von Pollux zu wissen, als daß er ihrem Manne in roher Weise den Dienst gekündigt habe.
Die Arbeitsgenossen des Unglücklichen konnten gar keine Auskunft über ihn geben; denn niemand von ihnen hatte der Verhaftung beigewohnt. Papias war vorsichtig genug gewesen, den Mann, den er fürchtete, ohne Zeugen in Sicherheit bringen zu lassen.
Weder der Präfekt noch der Baumeister suchten den braven Burschen im Gefängnisse, und hätten sie es getan, würden sie ihn kaum gefunden haben; denn Pollux wurde nicht in Alexandria selbst in Haft gehalten. Die Gefängnisse der Stadt waren nach dem Feste überfüllt gewesen, und so hatte man ihn in das benachbarte Kanopus geführt und dort eingekerkert und abgeurteilt.
Pollux hatte ohne Rückhalt zugestanden, den silbernen Köcher genommen zu haben und sich dann den Anschuldigungen seines Meisters gegenüber höchst ungebärdig betragen. So machte er von vornherein einen ungünstigen Eindruck auf den Richter, während dieser Papias als einen reich begüterten und allgemein hochgeschätzten Mann achtete.
Man hatte dem Angeklagten kaum das Wort gegönnt und ihm auf seines Meisters schwere Beschuldigungen und sein eigenes Geständnis hin schnell das Urteil gesprochen.
Den Märchen zuzuhören, die dieser freche Gesell, der jede Rücksicht vergaß, die er seinem Lehrherrn und Wohltäter schuldete, den Richtern auftischen wollte, wäre ein Zeitverderb gewesen. Zwei Jahre des Nachdenkens, meinte der Hüter des Gesetzes, würde diesen gefährlichen Burschen lehren, fremdes Eigentum zu achten und sich vor Ausschreitungen gegen diejenigen zu hüten, denen er Dankbarkeit und Verehrung schuldete.
Pollux verwünschte im Gefängnis zu Kanopus sein Schicksal und hoffte vergeblich auf den Beistand der Freunde. Diese wurden endlich des vergeblichen Suchens müde und fragten nur noch gelegentlich nach ihm. Er benahm sich in der Haft anfänglich so widerspenstig, daß man ihn unter strengen Verschluß nahm, aus dem man ihn auch dann nicht entließ, als er, statt zu toben, still geworden war und in dumpfem Brüten die Tage verträumte. Sein Wächter kannte die Menschen und glaubte sicher vorhersagen zu dürfen, daß dieser junge Dieb, wenn seine zwei Jahre vorüber wären, als ein unschädlicher Geisteskranker den Kerker verlassen würde.
Titianus, Pontius, Balbilla und selbst Antinous hatten es versucht, mit dem Kaiser über ihn zu reden, doch waren sie sämtlich scharf zurückgewiesen und belehrt worden, daß Hadrian keine Kränkung seines Künstlerstolzes vergesse.
Aber der Herrscher bewies auch, daß er für Gutes, das er erfahren, ein treues Gedächtnis besaß; denn, als ihm einmal ein Gericht aufgetragen wurde, das Kohl und kleine Würste enthielt, lächelte er vor sich hin, griff nach seinem mit Goldstücken gefüllten Beutel und befahl einem Kämmerer, ihn der von der Lochias verwiesenen Torwächtersfrau Doris in seinem Namen zu überbringen.
Das alte Ehepaar wohnte jetzt in einem eigenen Häuschen in der Nähe des Quartiers seiner verwitweten Tochter Diotima.
Hunger und äußeres Elend blieben ihm fern, doch war eine große Veränderung mit ihm vorgegangen.
Die Augen der armen Doris waren entzündet; denn die Tränen hatten sich an sie gewöhnt, ließen sie selten trocknen und flossen über, sobald nur ein Wort, ein Gegenstand, ein Gedanke sie an Pollux, ihren Liebling, ihren Stolz, ihre Hoffnung erinnerte. Und wie wenige halbe Stunden besaß der Tag, in denen sie nicht an ihn dachte!
Bald nach dem Tode des Verwalters hatte sie Selene aufgesucht; Frau Hanna konnte und wollte sie aber nicht zu der Kranken führen; denn sie wußte von Maria, daß sie die Mutter des treulosen Geliebten ihres Pfleglings sei.
Bei einem zweiten Besuche zeigte sich Selene so scheu, so ängstlich und sonderbar gegen Doris, daß die alte Frau glauben mußte, ihr Besuch sei ihr lästig.
Bei Arsinoe, deren Wohnung sie durch die Diakonissin kannte, war sie noch übler angekommen.
Sie hatte sich als Mutter des Bildhauers Pollux anmelden lassen und war mit dem Bescheid, daß Arsinoe für sie nicht zu sprechen sei und sich ihren Besuch ein für allemal verbitte, zurückgewiesen worden.
Nachdem der Baumeister Pontius sie aufgesucht und ermutigt hatte, noch einmal zu versuchen, Arsinoe, die treu an ihrem Sohne hänge, im Hause seiner Schwester zu sehen und zu sprechen, war sie Paulina selbst begegnet und so scharf von ihr zurückgewiesen worden, daß sie beleidigt und bis zu Tränen gekränkt zu ihrem Manne heimkam. Sie hatte auch Euphorion nicht widersprochen, als er ihr verbot, jemals wieder das Christenhaus zu betreten.
Das Geschenk des Kaisers war der Armen sehr willkommen und nützlich gewesen; denn Euphorion hatte durch die Erregungen und den Kummer in den letzten Monden den Schmelz der Stimme und das Gedächtnis völlig eingebüßt, war aus dem Theaterchor entlassen worden und fand nur noch bei der Mysterienfeier von kleinen Sekten oder bei der Einübung von Hymenäen und Klageliedern um einige Drachmen Entgelt einen Platz unter den Sängern.
Dabei hatten die Alten ihre Tochter, der Pollux nicht mehr beistehen konnte, zu unterstützen, und die Vögel, die Grazien und die Katze wollten auch fressen.
Daß es möglich wäre, sie abzuschaffen, war weder Doris noch Euphorion auch nur von fern in den Sinn gekommen.
Bei Tage konnte die Alte nicht mehr lachen; – bei Nacht aber hatte sie manche gute Stunde; denn dann zeigte die Hoffnung ihr schöne Zukunftsbilder und erzählte ihr allerlei mögliche und unmögliche Geschichten, die ihr das Herz mit neuem Mute beseelten.
Wie oft sah sie dann Pollux aus der fernen Stadt, in die er vielleicht geflohen war, aus Rom oder gar aus Athen als großen Mann, mit Lorbeer geschmückt und reich an Schätzen zurückkehren!
Der Kaiser, der doch noch freundlich an sie dachte, konnte nicht ewig zürnen. Vielleicht schickte er einmal seine Boten aus, um Pollux zu suchen, und um durch große Aufträge wieder gutzumachen, was er ihm angetan hatte.
Daß ihr Liebling am Leben sei, das wußte sie, darin täuschte sie sich gewiß nicht, so oft auch Euphorion ihr zu beweisen versuchte, daß er gestorben sein müsse. Der Sänger wußte viele Geschichten von unglücklichen Menschen zu erzählen, die ermordet worden und niemals wieder zum Vorschein gekommen waren; aber sie ließ sich nicht überzeugen, fuhr fort zu hoffen und lebte sich ganz in den Vorsatz ein, ihren jüngeren Sohn Teuker, sobald seine Lehrzeit abgeschlossen war, also in einigen Monaten, auf Reisen zu schicken, um den verschollenen Bruder im ganzen römischen Reiche zu suchen.
Antinous, dessen verbrannte Hände unter der Pflege des Kaisers schnell geheilt waren, und der außer für Pollux nie für einen anderen Jüngling Freundschaft empfunden hatte, beklagte das Verschwinden des Künstlers und nahm sich vor, Frau Doris aufzusuchen. Aber er trennte sich jetzt schwerer denn je von dem Gebieter, und war ihm so eifrig zur Hand, daß Hadrian ihm manchmal freundlich vorwarf, er mache seinen Sklaven den Dienst zu leicht.
Wenn er wirklich einmal über eine Stunde verfügen konnte, ließ er es trotzdem bei dem Vorsatz, nach den Eltern des Freundes zu sehen; denn zwischen Wollen und Vollbringen lag bei ihm ein weites Feld, das niemals überschritten wurde, wenn ihn keine heftigen Antriebe drängten.
Dergleichen waren es, die ihn, wenn der Kaiser im Museum disputierte, oder sich durch die Führer der verschiedenen Religionsgenossenschaften über den Inhalt der Lehren, denen sie folgten, unterrichten ließ, zu dem Landhause führten, in dem Selene auch noch, nachdem der Februar begonnen, verweilte. Es war ihm mehrmals gelungen, sich in den Garten Paulinas zu stehlen; doch die Hoffnung, von Selene bemerkt zu werden und mit ihr zu sprechen, wollte sich anfänglich nicht verwirklichen lassen.
So oft er sich dem Hause Hannas näherte, vertrat ihm die verwachsene Maria den Weg, erzählte ihm, wie ihre Freundin sich befinde, und bat oder befahl ihm dann, sich zu entfernen.
Sie war immer in der Nähe der Kranken; denn ihre Mutter wurde jetzt von ihrer Schwester gepflegt, und Frau Hanna hatte für sie die Erlaubnis erwirkt, die Papyrusblätter zu Hause kleben zu dürfen.
Die Witwe selbst durfte in der Fabrik nicht fehlen; denn ihr Amt als Aufseherin machte ihre Anwesenheit in der Werkstätte notwendig.
So kam es, daß Antinous niemals von Hanna und immer nur von Maria empfangen und von ihr abgewiesen wurde.
Zwischen dem schönen Jüngling und dem mißgestalteten Mädchen hatte sich eine gewisse Beziehung gebildet.
Wenn Antinous kam und sie ihm ihr: »Schon wieder?« zurief, faßte er ihre Hand und bat sie innig, doch nur ein einziges Mal seinen Wunsch zu erfüllen. Sie blieb indes standhaft, doch wies sie ihn nie streng, sondern immer nur lächelnd und mit freundlichen Mahnungen zurück.
Wenn er ausgesucht schöne Blumen aus seinem Pallium hervorzog und sie anflehte, sie Selene im Namen ihres Freundes von der Lochias zu geben, so nahm sie das Geschenk an und versprach, es in ihr Zimmer zu stellen; aber es könnte, versicherte sie, weder ihm noch ihr nützen, wenn sie wüßte, von wem es komme.
Nach solchen Abweisungen verstand er es wohl, mit herzgewinnenden Worten zu schmeicheln; doch ihr zu trotzen und sein Ziel mit Gewalt zu erreichen, hatte er niemals gewagt.
Wenn die Blumen im Zimmer standen, sah Maria weit öfter nach ihnen als Selene.
Blieb Antinous einmal lange aus, so sehnte die Verwachsene sich nach seinem Anblick und ging in der Stunde, in der er zu erscheinen pflegte, unruhig zwischen dem Tore des Gartens und dem Häuschen der Freundin auf und nieder.
So wie ihn dachte sie sich die Engel, und die Engel, an die sie dachte, sahen bald nicht anders als er aus.
In jedes ihrer Gebete schloß sie den armen, schönen Heiden mit ein. Milde Zärtlichkeit, in die sich manchmal ein leises Weh mischte, das sie auf ihren Schmerz über seine verlorene Seele bezog, war von ihren Gedanken an ihn untrennbar.
Hanna wurde durch sie von jedem neuen Besuche des jungen Mannes unterrichtet, und so oft Maria von Antinous redete, zeigte sich die Diakonissin besorgt und hieß sie ihm drohen, daß sie den Torwächter rufen würde.
Die Witwe wußte, wer der unermüdliche Bewunderer ihres Pfleglings war; denn einmal hatte sie ihn mit Mastor reden hören und ihn, der jede freie Stunde benützte, um dem Gottesdienste der Christen beizuwohnen, gefragt, wer er sei.
Ganz Alexandria, ja das ganze Reich kannte den Namen des schönsten Jünglings seiner Zeit, des gefeierten Günstlings des Kaisers.
Auch Hanna hatte von ihm gehört und erfahren, daß ihn die Dichter besangen und heidnische Frauen begierig waren, einen Blick aus seinen Augen zu erhaschen. Sie wußte, wie sittenlos das Treiben unter den Großen in Rom war, und Antinous erschien ihr wie ein glänzender Falke, der eine Taube umkreist, um im günstigen Augenblick auf sie herabzustoßen und sie mit Schnabel und Fängen zugrunde zu richten.
Hanna wußte auch, daß Selene Antinous kannte, und daß er es gewesen war, der sie einmal von einer wütenden Dogge befreit und dann aus dem Wasser gezogen hatte; aber die Genesende ahnte nicht, wer ihr Retter war. Das ging aus vielen ihrer Reden hervor.
Am Ende des Februar hatte Antinous sich drei Tage hintereinander gezeigt; nun ließ Hanna dem Pförtner durch den Bischof Eumenes streng befehlen, auf den jungen Mann acht zu haben und ihm den Eintritt in das Landhaus, wenn es sein müßte auch mit Gewalt, zu verwehren.
Aber die Liebe findet den Weg auch durch verschlossene Türen, und es gelang Antinous dennoch, sich in den Garten Paulinas zu schleichen.
Bei einem dieser Besuche konnte er Selene belauschen, wie sie, auf einen Stab gestützt, von einem schönen blondlockigen Knaben und Frau Hanna begleitet, auf und nieder hinkte.
Antinous hatte alles Krüppelhafte als einen Fehlgriff der harmonisch bildenden Natur nicht freundlich zu bemitleiden, sondern mit Widerwillen von ihm hinweg zu schauen gelernt.
Hier empfand er ganz anders.
Die verwachsene Maria war ihm anfänglich abschreckend erschienen; jetzt freute er sich, wenn er sie sah, obgleich sie stets seine Wünsche kreuzte, und die lahme Selene, der die Gassenbuben »klipp, klapp!« nachgerufen hatten, erschien ihm anbetungswürdiger denn je.
Wie schön war ihr Antlitz und ihre Gestalt, wie eigentümlich ihr Schritt! Sie hinkte nicht, nein, sie wiegte sich durch den Garten. So, dachte er später, ließen sich die Nereiden von leicht bewegten Wogen forttragen.
Die Liebe begnügt sich mit allem, und das wird ihr nicht schwer; denn sie weiß, was sie auch immer umfaßt, in eine höhere Ordnung des Seins zu erheben. In ihrem Lichte wird die Schwäche zur Tugend, der Mangel zum Vorzug.
Die Besuche des Bithyniers waren nicht die einzige Sorge Frau Hannas. Die anderen trug sie freilich nicht bang, sondern mit Freuden.
Ihr Hausstand hatte sich um zwei Menschen vermehrt, und ihr Einkommen war klein.
Um die Pfleglinge nicht darben zu lassen, mußte sie, während sie die Mädchen in der Fabrik beaufsichtigte, auch die eigenen Hände rühren, und am Abend nicht nur für Maria, sondern auch für sich selbst Papyrusblätter mit nach Hause nehmen, um sie in langer Nachtarbeit zusammenzukleben.
Sobald der Zustand Selenes sich gebessert hatte, half sie ihr gern und fleißig – aber wochenlang hatte die Genesende von jeder Beschäftigung fern gehalten werden müssen. Maria schaute Hanna oft mit stiller Besorgnis an; denn sie sah jetzt sehr bleich aus.
Nachdem sie einmal ohnmächtig zusammengesunken war, hatte die Verwachsene sich ein Herz gefaßt und ihr vorgestellt, daß sie mit dem Pfunde, das der Herr ihr gegeben, wohl wuchern, es aber nicht wie eine Verschwenderin fortschenken dürfe. Sie gönne sich gar keine Ruhe, arbeite Tag und Nacht, besuche nach wie vor in den Erholungsstunden die Häuser der Armen und Kranken, und werde, wenn sie sich nicht mehr Ruhe gönne, bald statt pflegen zu können, der Pflege bedürfen.
»Gönne dir doch,« sagte Maria, »wenigstens in der Nacht den unentbehrlichen Schlaf.«
»Wir müssen leben,« entgegnete Hanna, »und wie darf ich borgen, da ich doch nicht wiederzugeben vermag.«
»Bitte Paulina,« riet das Mädchen, »dir den Mietzins zu erlassen – sie tut es gern.«
»Nein,« entgegnete Hanna entschieden. »Was dies Häuschen abwirft, kommt meinen Armen zugute, und du weißt doch, wie nötig sie es haben. Was wir geben, das leihen wir unserem Herrn, und er besteuert keinen über sein Vermögen.«
Selene war genesen; doch hatte der Arzt erklärt, daß keines Menschen Kunst sie jemals von ihrer Lahmheit zu befreien vermöge. Sie war die Tochter Hannas, der blinde Helios die Sonne des Hauses der Diakonissin geworden.
Arsinoe durfte ihre Schwester selten und nur in Begleitung der Pflegemutter besuchen. Es kam auch zwischen ihr und Selene nie zu einem ungehemmt offenen Gespräch. Die ältere Tochter des Verwalters war jetzt zufrieden und heiter, die jüngere nicht nur traurig über das Verschwinden des Geliebten, sondern auch, weil sie sich in ihrem neuen Heim unglücklich fühlte, leicht aufbrausend und schnell geneigt, Tränen zu vergießen.
Den kleinen Waisen des Keraunus erging es gut. Sie wurden manchmal zu Selene geführt, und erzählten ihr mit Liebe von ihren neuen Eltern. Durch die Mithilfe der Genesenen verminderte sich die Arbeitslast ihrer Freundinnen, und als der März begann, wurde eine Anforderung an die Witwe gestellt, die ihrem einfachen Leben eine neue Wendung geben mußte, wenn sie ihr folgte.
Im oberen Ägypten hatten sich christliche Verbrüderungen gebildet, und eine der größten an die alexandrinische Muttergemeinde die Bitte gerichtet, ihr einen Presbyter, einen Diakonen und eine Diakonissin zu senden, die befähigt wären, die Gläubigen und Getauften im hermopolitischen Gaue, die bereits nach Tausenden zählten, zu leiten und zu belehren. Das Gemeindeleben, die Armen- und Krankenpflege in jener Landschaft bedurfte der Organisation durch kundige Hände, und Hanna wurde gefragt, ob sie sich entschließen könnte, die Hauptstadt zu verlassen und ihre segensreiche Tätigkeit zu Besa in erweiterten Grenzen fortzusetzen. Es sollte sie dort ein freundliches Haus, ein Palmengarten und Gaben der Gemeinde erwarten, die nicht bloß ihr eigenes Leben, sondern auch das ihrer Pfleglinge sicherstellen würden.
Hanna fühlte sich mit starken Banden an Alexandria gefesselt. Vor allem hielten sie ihre Armen und Kranken, unter denen ihr viele ans Herz gewachsen waren, zurück. Wie manches verirrte Mädchen hatte sie auch schon in der Fabrik gerettet.
Darum erbat sie sich kurze Bedenkzeit, und sie wurde ihr bewilligt. Am fünfzehnten März mußte die Entscheidung erfolgt sein. Schon der fünfte Tag dieses Monats brachte sie mit sich; denn während Hanna sich in der Papyrusfabrik befand, gelang es Antinous, wieder in den Garten Paulinas zu dringen und sich kurz vor Sonnenuntergang bis zu dem Hause der Witwe zu schleichen.
Maria bemerkte ihn auch diesmal zur rechten Zeit und wies ihn wie immer freundlich zurück; der Bithynier war aber heute erregter als sonst, ergriff ihre Hand mit warmer Dringlichkeit und umfaßte sie, während er sie bat, Gnade zu üben. Tief erschreckt versuchte sie sich von ihm zu befreien; er aber ließ sie nicht los, sondern rief schmeichelnd: »Ich muß sie heute sehen und sprechen, nur dies eine Mal, gute, liebe Maria.«
Bevor sie es verhindern konnte, hatte er ihr einen Kuß auf die Stirn gedrückt und war dann in das Haus zu Selene geflohen.
Die Verwachsene wußte nicht, wie ihr geschehen war. Verwirrt, wie gelähmt von wechselnden Gefühlen stand sie da und schaute beschämt zu Boden.
Sie empfand, daß ihr etwas Unerhörtes begegnet sei, aber dies Unerhörte erschien ihr wie ein blendendes Licht. Für sie, die arme Maria, war es aufgegangen, und hochklopfenden Herzens gab sie sich dem ihr ganz neuen Gefühle des Stolzes hin, das Scham und Entrüstung auf kurze Zeit zum Schweigen brachte.
Einiger Minuten bedurfte sie, um sich zu sammeln und sich ihrer Pflicht bewußt zu werden, und diese Minuten blieben von Antinous nicht unbenutzt.
Mit weiten Schritten eilte er in das Zimmer, in dem er Selene in jener unvergeßlichen Nacht auf das Lager niedergelassen hatte, und rief ihr schon auf der Schwelle ihren Namen entgegen.
Da erschrak sie und schob das Buch beiseite, aus dem sie dem blinden Bruder vorgelesen hatte.
Zum zweitenmal rief er sie bittend an.
Nun erst erkannte ihn Selene und fragte ruhig:
»Suchst du mich oder Frau Hanna?«
»Dich, dich!« rief er feurig. »O Selene! Ich habe dich aus dem Wasser gezogen, und seit jener Nacht kann ich dich nicht vergessen und muß vergehen aus heißer Liebe zu dir. Sind deine Gedanken nie und nie den meinen begegnet? Bist du immer noch so kalt, so stumm, so regungslos wie damals, als du halb dem Tode und halb dem Leben gehörtest? Wie der Schatten eines Toten die Stätte, an der alles zurückblieb, woran er auf Erden hing, umkreise ich schon seit langen Monaten dies Haus, und niemals gelang es mir, dir, du einzige, zu sagen, was ich empfinde.«
Bei diesem Bekenntnis warf der Jüngling sich vor ihr nieder und versuchte es, ihr die Knie zu umfassen; sie aber sagte vorwurfsvoll: »Was soll das alles? Steh auf und mäßige dich.«
»O laß mich, laß mich,« bat er innig. »Sei nicht so kalt und so hart! Erbarme dich meiner und stoße mich nicht von dir.«
»Steh auf,« wiederholte das Mädchen. »Ich will dir nicht zürnen; denn ich schulde dir Dank.«
Da erhob er sich wieder und sagte leise:
»Nicht Dank, nur Liebe, ein wenig Liebe begehr' ich.«
»Ich bemühe mich, alle Menschen zu lieben,« entgegnete die Jungfrau, »und so lieb' ich auch dich; – du hast mir ja viel Gutes erwiesen.«
»Selene, Selene!« schrie er jubelnd auf, warf sich wiederum vor ihr nieder und griff stürmisch nach ihrer Rechten; kaum aber hielt er ihre Hand in der seinen, als Maria, glühend vor Erregung, in das Zimmer gestürzt kam. Mit heiserer Stimme, aus der Unwille und Zorn klangen, befahl sie ihm, gleich das Haus zu verlassen, und rief, als er es von neuem versuchte, sie mit Bitten zu bestürmen:
»Wenn du nicht gehorchst, so rufe ich die Männer zu Hilfe, die dort die Blumen betrachten. Ich frage dich, willst du gehorchen, ja oder nein?«
»Warum bist du so böse, Maria?« fragte der blinde Helios. »Dieser Mann ist gut, und sagte Selene ja nur, daß er sie lieb hat.«
Nun wies Antinous mit einer flehenden Gebärde auf den Knaben; schon aber stand Maria am Fenster und legte die Hand an den Mund, um zu rufen.
»Laß, laß!« rief der Jüngling der Verwachsenen zu, »ich gehe schon.«
Dabei schritt er still und langsam der Tür entgegen; schaute aber Selene noch mit leidenschaftlicher Wärme an. Endlich verließ er das Zimmer, stöhnend vor Scham und Enttäuschung, und doch wieder so froh und stolz, als wäre ihm eine große und schwere Tat gelungen.
Im Garten begegnete ihm Frau Hanna und ging sogleich mit beschleunigten Schritten auf ihr Haus zu. Dort fand sie Maria laut schluchzend und in Tränen zerfließend. Bald war die Witwe von allem unterrichtet, was sich in ihrer Abwesenheit zugetragen hatte.
Eine Stunde später eröffnete sie dem Bischof, daß sie den Ruf der Gemeinde von Besa annehme und bereit sei, nach Oberägypten abzureisen.
»Mit deinen Pfleglingen?« fragte Eumenes.
»Ja. Selenes Herzenswunsch wäre freilich, von dir getauft zu werden; weil aber ein Jahr der Belehrung erforderlich ist . . .«
»Ich verrichte morgen die heilige Handlung.«
»Morgen, mein Vater?«
»Ja, Schwester, und ich tu es getrost. Sie hat den alten Menschen in der Meerflut gelassen, und bevor wir ihre Lehrer wurden, ist sie durch die Schule des Lebens gegangen. Schon als Heidin nahm sie ihr Kreuz willig auf sich und erwies sich so treu, als sei sie eine Vertraute des Herrn. Was ihr fehlte: Glaube, Liebe und Hoffnung, das fand sie in deinem Hause. Im Namen des Heilands danke ich dir für diese Seele, meine Schwester.«
»Nicht mir, nicht mir,« bat die Witwe. »Ihr Herz war erstarrt, und nicht durch mich, sondern durch den warmen Glauben des blinden Knaben dort taute es auf.«
»Ihm und dir verdankt sie das Heil,« entgegnete der Bischof. »Und so sollen beide zusammen die Taufe empfangen. Geben wir dem lieblichen Kinde den Namen des schönsten unter den Jüngern, und nennen wir ihn »Johannes.« Selene soll in Zukunft, wenn es ihr selbst gefällt, »Martha« heißen.«
Vierzigstes Kapitel
Selene und Helios empfingen die Taufe, und zwei Tage später bestiegen Frau Hanna, ihre Pfleglinge und Maria in Begleitung des Presbyter Hilarion und eines Diakonen im mareotischen Hafen ein Nilschiff, das sie der neuen Heimat, der oberägyptischen Stadt Besa, zuführen sollte.
Die Verwachsene hatte mit der Antwort auf die Frage der Witwe, ob sie ihr zu folgen wünsche, gezaudert.
In Alexandria wohnte ihre alte Mutter, und dann – aber gerade dieses »Dann« war ihr zu Hilfe gekommen, alle Bedenken scharf zu zerschneiden und ein entschiedenes »Ja« zu sagen; denn es hatte sich auf Antinous bezogen.
Anfänglich war es ihr unerträglich erschienen, ihn nie wiederzusehen; denn sie hatte so oft an den schönen Jüngling denken müssen, und ihr ganzes Herz sollte doch nur dem einen gehören, der auch für sie am Kreuze gestorben, dem sie sich für diese und jene Welt angelobt hatte.
Selene war am Tage nach der Taufe in das Stadthaus Paulinas gegangen und hatte dort von Arsinoe unter vielen Tränen Abschied genommen. Die ganze Liebe, die die Schwestern vereinte, wachte in der Trennungsstunde wieder auf. Selene hatte von Paulina gehört, daß Pollux gestorben sei, und grollte der Nebenbuhlerin nicht mehr, die ihn leidenschaftlicher als sie beklagte. Früher war der Friede ihrer Seele freilich mehr als einmal durch die Erinnerung an den Gespielen getrübt worden.
Die Trennung von Alexandria, wo ihre meisten Geschwister zurückblieben, fiel ihr schwer, und sie freute sich auf das neue Heim; denn sie war nicht mehr dieselbe, die sie noch vor wenigen Monden gewesen, und sie sehnte sich nach dem fernen Schauplatz für ihr neues, geheiligtes Leben.
Eumenes und Hanna hatten recht gesehen. Nicht der Witwe, sondern dem blinden Knaben war es gelungen, sie für das Christentum zu gewinnen.
Diese Tat des Kindes hatte einen seltsamen Verlauf genommen.
Schon die Verheißung des Sklaven Mastor, Helios würde dereinst in einem leuchtenden Himmel seinem Vater unter lieblichen Engeln wieder begegnen, hatte mächtig auf die lebhafte Einbildungskraft und das weiche Herz des blinden Kindes gewirkt.
Im Hause Hannas empfing seine Hoffnung neue Nahrung, und Maria und die Witwe erzählten ihm viel von ihrem großen, freundlichen Gott und seinem Sohne, der die Kinder liebe und sie eingeladen habe, zu ihm zu kommen.
Als Selene sich zu erholen begann, und es ihm gestattet wurde, mit ihr zu reden, teilte er ihr voll innerer Freude alles mit, was er von den Frauen gehört; seine Schwester fand indes anfänglich keinen Gefallen an diesen wunderlichen Hirngespinsten und versuchte es, seinen Glauben an sie zu trüben und sein Herz zu den alten Göttern zurückzuführen.
Während sie aber den Knaben zu leiten versuchte, fühlte sie sich nach und nach gezwungen, ihm auf seinem Weg zu folgen. Zuerst ging sie mit unsicheren Schritten vorwärts; Frau Hanna aber unterstützte sie durch ihr Beispiel und manches gute Wort. Lehren erteilte sie nur, wenn das Mädchen sie fragte und um Erklärungen bat.
Liebe und Frieden atmete alles, was Selene hier umgab, und der Knabe empfand das, sprach es aus, zwang sie, es anzuerkennen, und bot ihr in seiner eigenen Person das erste Ziel für die neu in ihr erwachende Sehnsucht, sich liebreich zu erweisen.
Der feste Glaube des Kindes, der sich durch keinerlei Gründe und keine von den Mythen, die sie kannte, erschüttern ließ, rührte sie und veranlaßte sie, Frau Hanna zu fragen, was es mit dieser oder jener Behauptung des Bruders auf sich habe.
Es war ihr erfreulich erschienen, daß das elende Erdenleben mit dem Tode den Abschluß finden sollte; Helios aber ließ sie verstummen, als er traurig sagte: »Hast du denn gar keine Sehnsucht, den Vater und die Mutter wiederzusehen?«
Ein Wiedersehen mit der Mutter!
Dieser Gedanke machte auch sie auf das Jenseits begierig, und Frau Hanna fachte den Funken der Hoffnung in ihrer Seele zur Flamme an.
Selene hatte viel Elend gesehen und erfahren, und sich gewöhnt, die Götter grausam zu nennen. Helios sagte ihr, Gott und der Heiland wären gut und liebten die Menschen wie ihre Kinder.
»Ist es nicht freundlich,« fragte er sie, »daß uns der himmlische Vater zu Frau Hanna führte?«
»Ja, aber man hat uns voneinander gerissen,« versetzte Selene.
»Laß nur,« entgegnete das Kind zuversichtlich, »im Himmel finden wir uns alle wieder.«
Die Genesende erkundigte sich nach jedem einzelnen ihrer Geschwister, und Hanna schilderte ihr alle Familien, in denen sie untergekommen waren.
Die Witwe sah nicht aus, als ob sie lüge, die Kleinen bestätigten auch ihre Berichte bei manchem Besuche, und doch konnte Selene nur schwer die Bilder für richtig halten, die sie ihr von dem Leben in den Häusern der Glaubensgenossen entwarf.
Die Mutter der Christen, hatte ein großer Kirchenlehrer gesagt, sollte der Stolz der Kinder, die Frau der Stolz des Mannes, Mann und Kinder der Stolz der Frau, und Gott der Stolz und Ruhm aller Mitglieder des Hauses sein.
Liebe und Glaube waren auch tatsächlich das Band, Friede und ein tugendhaftes Leben das Gesetz der Familie. Und in solcher reinen, wohltätigen Lebenslust, deren Segen sie im Häuschen Hannas an sich selbst und Helios empfand, wuchsen ihre Geschwister nunmehr heran!
Ihr gerader Sinn fand die rechte Antwort, als sie sich fragte, was wohl aus ihnen allen hätte werden können, wenn ihr Vater am Leben geblieben und seines Amtes entsetzt worden wäre? Elend und Schande hätten ihrer gewartet.
Und nun?
Vielleicht hatte die Gottheit doch freundlich gegen die Kinder gehandelt.
Liebe, Liebe und wieder Liebe atmete alles, was sie sah und hörte, und doch hatte ihr die Liebe die grausamsten Schmerzen bereitet.
Warum war es ihr beschieden gewesen, so Schweres durch dieselbe Empfindung zu erdulden, die anderen das Leben verschönte? Hatte wohl jemand Schwereres als sie zu erdulden gehabt? Ganz gewiß! Ein lebhafter Jüngling hatte sie irregeführt und ihre Schwester statt ihrer glücklich zu machen verheißen. Das war schwer zu ertragen gewesen, aber der Heiland, von dem ihr Helios erzählte, war noch viel härter geprüft worden. Die Menschheit, für die er, ein Sohn Gottes, zur Erde niedergestiegen war, um sie von Elend und Schuld zu erlösen, hatte ihm seine Güte damit gedankt, daß sie ihn ans Kreuz schlug. Sie sah in ihm einen Leidensgenossen und forderte die Witwe auf, ihr von ihm zu erzählen.
Manches Opfer hatte Selene den Ihren gebracht, und ihr Gang in die Papyrusfabrik blieb ihr unvergeßlich; – er aber hatte sich verspotten lassen und sein Blut für die Seinen vergossen. Und wer war sie – wer der Sohn Gottes?!
Seine Gestalt wurde ihr lieb, sie ward nicht müde, sich über seine Schicksale, seine Reden und Taten zu unterrichten, und unvermerkt kam für sie der Tag, an dem ihre Seele sich bereit fand, die Lehren Christi mit inbrünstiger Sehnsucht aufzunehmen.
Mit dem Glauben gewann sie das Bewußtsein der Schuld, das ihr bis dahin fremd gewesen war.
Aus Stolz und Furcht, niemals aber aus Liebe, hatte sie die Hände gerührt; die heilige Gabe des Lebens hatte sie selbstsüchtig von sich geworfen, ohne zu fragen, was aus denen werden würde, für die sie zu sorgen verpflichtet war. Ihrer leiblichen Schwester, die ihrer Obhut und ihres Segens bedurfte, und auch ihrem Jugendgespielen Pollux hatte sie geflucht und unzählige Male die Leiter des menschlichen Schicksals verwünscht. Das alles empfand sie jetzt schmerzlich mit dem ihrem Gemüte eigenen Ernste; aber sie fühlte sich beruhigt durch die Kunde, daß es einen gäbe, der die Welt erlöst und die Schuld jedes reuigen Sünders auf sich genommen habe.
Nachdem Selene der Witwe ihren Wunsch, eine Christin zu werden, ausgesprochen hatte, führte diese den Bischof Eumenes zu ihr.
Er selbst übernahm es, den Unterricht der Jungfrau zu leiten, und fand in ihr eine von Lernbegier erfüllte Schülerin.
Wie eine von jenen grauen, getrockneten Blumen, die sich, wenn man sie ins Wasser senkt, eröffnen, und in frische Blüten verwandeln, so erschloß sich ihr vorzeitig verwelkendes Herz. Sie sehnte sich nach völliger Genesung, um wie Hanna Kranke zu pflegen und jene Liebe zu betätigen, die Christus von seinen Getreuen verlangt.
Das war es, was sie besonders an ihrem neuen Glauben erfreute, daß er nicht die Reichen, die viele Opfer bringen konnten, selig zu machen verhieß, sondern die reumütig nach Vergebung lechzenden Elenden, die Armen und Notleidenden, an die sie dachte, als ob sie mit ihnen zu der gleichen Familie gehörte.
Ihre tüchtige Natur begnügte sich nicht mit der Gesinnung, sondern verlangte danach, sich zu bewähren. In Besa durfte sie mit Hanna ans Werk gehen, und diese Aussicht erleichterte ihr den Abschied von Alexandria.
Ein günstiger Wind führte die Reisenden gen Süden und glücklich ans Ziel.
Zwei Tage nach ihrem Aufbruch schlich sich Antinous wieder in den Garten Paulinas. Er näherte sich dem Häuschen der Witwe und sah sich vergebens nach der verwachsenen Maria um.
Der Weg war frei.
Ihr Ausbleiben mußte ihn erfreuen, aber es beunruhigte ihn dennoch.
Das Herz schlug ihm heftig; denn vielleicht war es ihm heute vergönnt, Selene allein zu finden.
Ohne zu klopfen, öffnete er das Tor; doch er wagte es nicht, die Schwelle zu übertreten; denn im Vorgemach stand ein fremder Mann und lehnte Bretter an die Wand.
Der Tischler, ein Christ, dem Paulina ihr Häuschen für seine Familie überlassen hatte, fragte Antinous nach seinem Begehr. »Ist Frau Hanna zu Hause?« stammelte der Bithynier.
»Wohnt nicht mehr hier.«
»Und ihre Pflegetochter Selene?«
»Ist mit ihr nach Oberägypten gezogen. Hast du etwas an sie zu bestellen?«
»Nein,« entgegnete der Jüngling betroffen. »Seit wann sind sie fort?«
»Seit vorgestern.«
»Und sie kommen nicht wieder?«
»In den nächsten Jahren gewiß nicht. Später vielleicht, wenn der Herr es so schickt.«
Antinous verließ auf dem breiten Mittelwege unangefochten den Garten.
Er sah bleich aus, und ihm war zumute wie einem Wanderer in der Wüste, der die Quelle verschüttet findet, aus der er Labung zu schöpfen gehofft hat.
In der ersten freien Stunde des folgenden Tages klopfte der Jüngling wiederum bei dem Tischler an, um sich zu erkundigen, in welchem oberägyptischen Orte sich die Auswanderer niederzulassen gedächten; und der Handwerker antwortete treuherzig:
»In dem oberägyptischen Besa.«
Antinous war von je ein Träumer gewesen, doch so gedankenlos, so schlaff vor sich hindämmernd wie in dieser Zeit, hatte Hadrian ihn noch niemals gesehen.
Wenn er ihn zu erwecken und zu größerer Frische anzuspornen versuchte, sah ihn der Liebling bittend an und gab sich alle Mühe, ihm dienstfertig zu sein und ihm ein heiteres Gesicht zu zeigen; aber immer nur mit kurzem Erfolg.
Selbst auf den Jagdzügen in die Libysche Wüste, die der Kaiser manchmal unternahm, blieb Antinous schlaff und unberührt von der Lust des Weidwerks, der er sich sonst mit Freude und Geschick hinzugeben pflegte. Der Kaiser hatte es in Alexandria länger ausgehalten als an anderen Orten und war jetzt müde der Festlichkeiten und Gastereien, des Wortgefechtes mit den Mitgliedern des Museums, des Verkehrs mit überspannten Mysten, Zeichendeutern, Sternsehern und Quacksalbern, von denen die Stadt wimmelte. Auch die kurzen Audienzen, die er den Führern der verschiedenen Religionsgenossenschaften erteilte, und die Besuche der Fabriken und Werkstätten des betriebsamen Ortes fingen an ihn zu ermüden.
Eines Tages erklärte er, die südlichen Gaue des Niltals besuchen zu wollen.
Die Priesterschaft der einheimischen ägyptischen Götter hatte ihn um diese Gunst ersucht, und nicht nur seine Wißbegier und Reiselust, sondern auch staatsmännische Erwägungen veranlaßten ihn, den Wunsch der in der reichen und wichtigen Provinz besonders einflußreichen Hierarchie zu erfüllen.
Der Gedanke, die Wunder aus der Pharaonenzeit, die so viele Reisende anzogen, mit eigenen Augen zu schauen, ermunterte ihn, und seine gute Stimmung wuchs, sobald er bemerkte, wie belebend sein Entschluß, die Reise nach Süden anzutreten, auf Antinous wirkte.
Der Günstling hatte in den letzten Wochen über nichts auch nur die geringste Freude gezeigt.
Die Huldigungen, mit denen ihn die vornehmen Alexandrinerinnen nicht weniger aufdringlich als die römischen Frauen bestürmten, ekelten ihn an.
Bei den Gastmählern zeigte er sich als ein schweigender Tischgenosse, dessen Nachbarschaft niemand erfreute.
Selbst die glänzendsten und aufregendsten Schauspiele im Zirkus und die schönsten Wettfahrten und Rennen im Hippodrom hatten es kaum mehr vermocht, seine Augen auf sich zu ziehen.
Früher war er gern und aufmerksam den Stücken Menanders und seiner Nachahmer, Alexis, Apollodor und Posidippus gefolgt, jetzt hatte er, wenn er sie aufführen sah, in die Luft gestarrt und an Selene gedacht.
Die Aussicht, dahin zu gelangen, wo sie sich befand, regte ihn kräftig an und belebte ihm den erlöschenden Lebensmut. Er hoffte wieder, und wer in der Zukunft Licht glänzen sieht, dem erscheint die Gegenwart nicht mehr finster.
Hadrian freute sich dieser Wandlung seines Lieblings und ließ die Vorbereitungen zum Aufbruch beschleunigen.
Dennoch vergingen Monate, bevor er die Reise antreten konnte.
Zunächst beschäftigte ihn die Sorge, das durch die Aufstände der Juden entvölkerte Libyen neu zu kolonisieren. Dann gab es Bestimmungen über neuaufzuführende Poststraßen zu treffen, die einen Teil des Reiches dem andern näher bringen sollten, und endlich mußte die förmliche Zustimmung des Senates für neue Bestimmungen in betreff der Erblichkeit des verliehenen Bürgerrechtes abgewartet werden.
Diese war freilich gewiß, aber der Kaiser veröffentlichte ohne sie kein Gesetz, und es lag ihm viel an einem schnellen Inkrafttreten seiner Verordnung.
Bei den Besuchen des Museums hatte sich der Herrscher nach der Lage seiner einzelnen Mitglieder erkundigt und arbeitete nun Verordnungen aus, die die Sorgen des Lebens von den fleißigen Forschern fernhalten sollten.
Auch dem Geschick der alternden Lehrer und Erzieher der Jugend hatte er seine Aufmerksamkeit zugewandt und suchte es zu verbessern.
Als Sabina ihm vorhielt, wie große Kosten diese neuen Maßregeln verursachen würden, erwiderte er:
»Wir lassen die Veteranen nicht darben, die dem Staat den Leib zur Verfügung stellen. Warum sollen diejenigen in Sorgen verkommen, die mit ihrem Geist für ihn eintreten? Was sollen wir höher stellen. Macht und Besitz oder geistiges Vermögen? Je schwerer es mir als Kaiser wird, diese Frage zu beantworten, desto bestimmter fühle ich mich verpflichtet, Beamte, Krieger und alternde Lehrer mit gleichem Maße zu messen.«
Auch die Alexandriner selbst hielten Hadrian durch mancherlei neue Ehrenbezeigungen auf. Sie erhoben ihn zum Gotte, weihten ihm einen Tempel und veranstalteten zu seiner Ehre immer neue Feste, gewiß um ihn für ihre Stadt zu gewinnen und ihrem Stolz und ihrer Freude über seinen langen Besuch Ausdruck zu geben; daneben aber auch, weil die vergnügungssüchtige Bürgerschaft diese Gelegenheit gern ergriff, um sich eine Güte zu tun und in lauter seltenen Genüssen zu schwelgen. So verschlang der kaiserliche Besuch viele Millionen, und Hadrian, der nichts unerforscht ließ und sich Auskunft über die von der Stadt verausgabten Summen zu verschaffen wußte, tadelte den Leichtsinn seiner verschwenderischen Wirte.
Voll Anerkennung schrieb er später an seinen Schwager Servianus über den Reichtum und die Betriebsamkeit der Alexandriner. Er rühmte ihnen nach, daß niemand unter ihnen müßig gehe. Von diesen werde Glas, von jenen Papier, von anderen Leinwand verfertigt, und jeder dieser rastlosen Menschen, sagte er, rühre bei einem Handwerk die Hände. Selbst Podagristen, Blinde und Chiragristen suchten und fänden hier Beschäftigung. Aber dennoch nennt er die Alexandriner eine widerhaarige, nichtswürdige Gesellschaft mit scharfen und bösen Zungen, die weder Verus noch Antinous geschont hätten. Den Juden, Christen und Serapisdienern sagt er in diesem Schreiben nach, an Stelle der olympischen Götter nur
Viel zu schaffen machte Hadrian der Streit, in welchem Tempel man den neu aufgefundenen Apis unterbringen sollte. Von alters her wurde dieser heilige Stier im Ptahtempel von Memphis gepflegt; – doch die ehrwürdige Pyramidenstadt war von Alexandria weit überflügelt worden, und der Serapistempel hier überbot den im Gebiet des Sokari von Memphis zehnfach an Glanz und Größe.
Die alexandrinischen Ägypter, die das dem Serapeum benachbarte Viertel Rhakotis bewohnten, wünschten den in Stiergestalt auf Erden wandelnden Gott in ihrer Mitte zu haben; – die Memphiten aber ließen nicht von ihrem alten Recht, und es wurde dem Kaiser nicht leicht, den die Gemüter tief erregenden Streit zu einem befriedigenden Ausgang zu führen.
Memphis behielt seinen Apis, und das Serapeum von Alexandria wurde dafür mit Gnadengeschenken bedacht, die sonst nur den Tempeln in der Pyramidenstadt zugute gekommen waren.
Im Juni konnte der Kaiser endlich aufbrechen.
Er wünschte, die Provinz zu Fuß und zu Roß zu durchstreifen, und Sabina sollte ihm nach dem Eintritt der Überschwemmung zu Schiffe folgen.
Die Kaiserin wäre gern nach Rom oder Tibur zurückgekehrt; denn Verus hatte beim Eintritt der Sommerhitze Ägypten auf den bestimmten Befehl der Ärzte verlassen.
Er schied mit seiner Gattin als Sohn des Herrscherpaares – doch kein Wort Hadrians berechtigte ihn zu der sicheren Hoffnung, auch zu seinem Nachfolger in der Regierung ernannt zu werden.
Die unbändige Genußsucht des schönen Wüstlings war durch sein Leiden zwar schwer beeinträchtigt, doch keineswegs gebrochen worden, und auch in Rom fuhr er fort, alle Genüsse des Lebens auszukosten.
Hadrians Zaudern beunruhigte ihn häufig; denn die kaiserliche Sphinx hatte es nur zu oft verstanden, ihren Rätseln eine höchst unerwartete Lösung zu geben. Das trübe Ende, das ihm vorausgesagt worden war, verursachte ihm geringe Sorgen, ja, Ben Jochais Prophezeiung trieb ihn an, jede Stunde des Wohlseins auszugenießen, die das Geschick ihm noch gönnte.
Einundvierzigstes Kapitel
Balbilla und ihre Gefährtin, Publius Balbinus und andere vornehme Römer, der Sophist Favorinus und ein großes Gefolge von Kämmerern und Dienern sollten die Kaiserin zu Schiff begleiten, während Hadrian die Landreise mit einem kleinen Gefolge antrat, zu dem er einen stattlichen Jagdtroß gesellte.
Bevor er nach Memphis gelangt war, hatte er in der Libyschen Wüste, die er durchzog, einige Löwen und viele andere Raubtiere erlegt und dabei an Antinous den besten Weidgesellen wiedergefunden.
Kaltblütig in der Gefahr, rüstig beim Wandern, genügsam und dienstwillig in jeder Lage, erschien der Jüngling seinem Gebieter wie ein von den Göttern selbst zu seiner Freude geschaffener Gefährte.
Wenn Hadrian stunden- und tagelang sann und schwieg, störte er ihn mit keinem Worte; aber auch in solchen Zeiten war dem Kaiser die Gegenwart seines Lieblings notwendig; denn ihn beglückte das bloße Bewußtsein, ihn in seiner Nähe zu haben.
Auch Antinous fühlte sich bei dieser Wanderung wohl, denn er empfand, daß er seinem verehrten Herrn etwas sein und dadurch die Last verringern konnte, mit der ihn der Frevel, den er begangen, noch immer bedrückte.
Das Träumen war ihm ohnehin lieber als das Reden, und die frische Bewegung wahrte ihn vor Erschlaffung.
In Memphis wurde Hadrian einen vollen Monat zurückgehalten.
Er mußte daselbst mit Sabina, deren Schiff er dort vorfand, die Tempel der ägyptischen Götter besuchen und im Ornat der Pharaonen sich mancherlei Zeremonien unterwerfen. Sabina glaubte oft vergehen zu müssen, wenn sie, geschmückt mit dem großen Geierkopfputz der Beherrscherinnen des Niltales, in langen Gewändern und mit Goldschmuck überladen, an der Seite des Gemahls in Prozession durch alle Räume, auf das Dach und endlich in das Sanktuarium der Heiligtümer geführt wurde. Wie widersinnigen Förmlichkeiten galt es sich auch bei diesen Rundgängen zu unterwerfen und wie zahlreichen Opfern beizuwohnen.
Wenn sie von den Tempelbesuchen heimkehrte, fühlte sie sich bis aufs äußerste erschöpft, und es war auch nichts Kleines, sich so viele Räucherungen und Besprengungen gefallen zu lassen, so lange Litaneien und Hymnen mit anzuhören, so weite Strecken zu durchwandern, und während man zu den Himmlischen erhoben wurde, sich auf dem Throne der Gottheit mit verschiedenartigen Kronen schmücken und mit allerlei Binden und Symbolen ausstatten zu lassen.
Ihr Gemahl ging ihr mit gutem Beispiel voran.
Er trug bei diesen Zeremonien die ganze ernste Majestät seines Wesens zur Schau und benahm sich unter den Aegyptern wie einer der Ihren. An der mystischen Weisheit der Priester, mit denen er häufig und lange verkehrte, fand er Gefallen.
Wie zu Memphis, so unterwarf sich das kaiserliche Paar in allen Haupttempeln der weiter südlich gelegenen größeren Städte den Huldigungen der Hierarchie und der Vergötterung.
Wo Hadrian die Mittel für die Erweiterung eines Heiligtums bewilligte, mußte er mit eigener Hand die Zeremonie der Grundsteinlegung ausführen.
Bei alledem behielt er Zeit, in der Wüste zu jagen, die Staatsgeschäfte zu erledigen und die sehenswürdigen Denkmäler der Vorzeit zu besichtigen. In Memphis vor allen Dingen die Totenstadt mit den Pyramiden, mit den großen Sphinx, dem Serapeum und den Apisgräbern.
Vor ihrem Aufbruch befragte er und seine Begleiter das Orakel des heiligen Stieres.
Der Dichterin Balbilla wurde die freundlichste Zukunft verheißen. Der Stier, dem sie mit abgewandtem Antlitz einen Kuchen reichen mußte, war mit ihrer Gabe zufrieden gewesen und hatte sie mit der feuchten Zunge an der Hand gestreift. Hadrian befand sich noch im Ungewissen über den Spruch der Apispriester; denn es war ihm von ihnen eine versiegelte Rolle sowie eine Erklärung der in ihr enthaltenen Zeichen überreicht, aber feierlich anbefohlen worden, sie nicht früher als nach Ablauf eines halben Jahres zu eröffnen.
Der Kaiser traf mit seiner Gattin nur in den größeren Städten zusammen; denn er reiste zu Lande, sie aber zu Wasser.
Die Schiffe erreichten fast ausnahmslos ihr Ziel früher als die Wanderer, und wenn diese endlich auch dahin kamen, gab es jedesmal eine Bewillkommnungsfeier, an der Sabina freilich nur selten teilnahm. Um so eifriger war Balbilla bemüht, den Wandernden die Ankunft durch freundliche Überraschungen zu verschönern.
Sie verehrte den Kaiser, und die Schönheit seines Lieblings übte einen unwiderstehlichen Zauber auf ihre Künstlerseele.
Ihn anzuschauen gewährte ihr Genuß, sein Scheiden bekümmerte sie, und wenn er wiederkehrte, war sie immer die erste, die ihn begrüßte.
Und doch kümmerte er sich um das heitere Mädchen nicht mehr und nicht weniger als um die anderen Frauen im Gefolge Sabinas; Balbilla aber verlangte auch nichts von ihm als den Genuß, ihn anzuschauen und sich an seiner Schönheit zu erfreuen.
Hätte er es gewagt, ihre Huldigungen für Liebe zu nehmen und ihr die seine anzutragen, würde die Dichterin ihn mit Entrüstung in seine Schranken zurückgewiesen haben; und doch gab sie ihre Bewunderung über die Schönheit des Bithyniers unverholen zu erkennen, und zwar in auffallend geflissentlicher Weise.
Wenn die Reisenden nach längerer Abwesenheit wieder erschienen, fand Antinous in dem Schiffsraume, den er bewohnte, Blumen und auserlesene Früchte, die sie ihm gesandt, und Verse, in denen sie ihn besungen hatte.
Er legte das alles zu dem anderen und gewährte der Geberin dafür nur geringere Achtung.
Der Dichterin blieb dies Gefühl ihres schönen Abgottes verborgen, und sie kümmerte sich auch nicht um seine Empfindungen.
Es war ihr bis dahin stets mühelos gelungen, sich in den Grenzen des Ziemlichen zu halten.
Jetzt gab es Stunden, in denen sie sich sagte, daß sie sich vielleicht hinreißen lasse, diese Schranke zu überschreiten.
Aber was fragte sie nach dem Urteil ihrer Umgebung, was nach dem innern Leben des Bithyniers, an dem ihr nur die äußere Form gefiel?
Die Möglichkeit, Hoffnungen in ihm zu erwecken, die sie niemals erfüllen konnte und wollte, fürchtete sie nicht, weil sie ihr nicht einmal in den Sinn kam; und dennoch war sie unzufrieden mit sich selbst; denn Einer mißbilligte ihr Tun, Einer hatte ihre Absicht, die Schönheit des Jünglings durch Blumen zu ehren, in klaren Worten getadelt, und das Urteil dieses Einen galt ihr mehr als das aller anderen Männer und Frauen zusammengenommen.
Dieser Eine war der Baumeister Pontius, und seltsamerweise ließ sie sich gerade durch die Erinnerung an ihn von Torheit zu Torheit verleiten.
Sie hatte den Architekten in Alexandria oft gesehen und bei ihrem Abschied sich von ihm versprechen lassen, der Kaiserin und ihr nachzukommen und ihr wenigstens auf einem Teil der Nilfahrt Gesellschaft zu leisten.
Aber er kam nicht, er ließ sie auch nichts von sich hören, obgleich er gesund war und jeder Bote dem Kaiser Rollen mit Aufschriften von seiner Hand überbrachte.
Er, auf dessen treue Hingabe sie wie auf Felsen gebaut hatte, war also nicht weniger selbstsüchtig und wankelmütig als die anderen Männer.
Täglich und stündlich dachte sie an ihn, und sobald ein von Norden kommendes Schiff in der Nähe des ihren vor Anker ging, beobachtete sie die ans Land steigenden Reisenden, um ihn unter ihnen zu entdecken.
Sie sehnte sich nach Pontius, wie ein verwirrter Wanderer den Führer zurückwünscht, der ihm entlaufen, und doch grollte sie ihm; denn er hatte ihr durch tausend Zeichen verraten, daß sie ihm wert sei, daß sie Macht über seinen starken Willen besitze, und nun war er wortbrüchig und kam nicht.
Und sie?
Sie war nicht ungerührt von seiner Neigung geblieben und gegen den Enkel des Freigelassenen ihres Großvaters gütiger gewesen, als gegen die edelsten Männer aus dem eigenen Stande.
Und trotz alledem verdarb ihr gerade Pontius den Genuß ihrer Reise und blieb, statt ihr zu folgen, in Alexandria.
Wie leicht hätte er seine Bauten anderen Architekten übertragen können, von denen die Weltstadt wimmelte.
Wenn er nicht nach ihr fragte, so brauchte sie sich wahrhaftig noch weniger um ihn zu kümmern. Einmal am Schluß der Reise kam er vielleicht doch noch, und dann sollte er sehen, wieviel sie auf seine Mahnungen gebe!
Ungeduldig sehnte sie die Stunde herbei, in der sie ihm alle ihre auf Antinous gedichteten Verse vorlesen und ihn fragen konnte, wie sie ihm gefielen. Es gewährte ihr kindische Lust, die Zahl dieser kleinen Gedichte zu vermehren, sie sauber auszufeilen, in ihnen ihr ganzes Wissen und Können leuchten zu lassen. Künstlichen und schwierigen Maßen gab sie den Vorzug, einige Verse wurden in lateinischer Sprache, andere in attischem, wieder andere in äolischem Griechisch gedichtet, das sie nun schon zu gebrauchen verstand, alles, um Pontius zu strafen, um ihn zu ärgern, und doch auch, um vor ihm mit ihrem Können möglichst hell zu glänzen. Sie besang Antinous für Pontius, und keine Blume erhielt der Günstling von ihr, bei der sie nicht mit trotzig aufgeworfener Lippe an den Baumeister gedacht hätte.
Aber ein Mädchen kann die Schönheit eines Jünglings nicht straflos mit neuen und wieder neuen Versen besingen, und so kamen Stunden, in denen Balbilla zu glauben geneigt war, daß sie Antinous liebe. Sie nannte sich dann seine Sappho, und er schien bestimmt, ihr Phaon zu werden.
Während seiner langen Wanderungen mit dem Kaiser konnte sie sich lebhaft – ja bis zu Tränen schmerzlich – nach ihm sehnen; sobald er aber zurückkehrte und sie ihm wieder in die wenig belebten Züge und matten Augen schaute und schläfrige »Ja« und »Nein« hörte, womit er ihre Fragen beantwortete, war der Zauber völlig gebrochen, und sie gestand sich redlich ein, daß sie ihn beinahe ebenso gern aus Marmor gehauen wie in Fleisch und Blut vor sich sehe.
In solchen Stunden wurde ihre Erinnerung an den Baumeister besonders lebendig, und während einmal ihr Schiff zwischen Lotosblättern hinfuhr, über die sich eine schöne, voll aufgeblühte Blume emporhob, flocht sie, die jede bemerkenswerte Erscheinung schnell auffaßte, um sie dichterisch in sich umzubilden, eine Reihe von Versen zusammen, in denen sie Antinous eine Lotosblume nannte, die ihre Bestimmung erfüllte, wenn sie nur schön war, und Pontius mit dem Schiffe verglich, das, wohlgefügt und gut gesteuert, zu frischen Fahrten in weite Fernen einlud.
Beim hunderttorigen Theben erreichte die Nilfahrt ein Ende.
Nichts, was römischen Reisenden anziehend erschien, blieb hier unbesichtigt. Die bis in das Herz der Felsenberge eindringenden Pharaonengrüfte und die großen, doch ihres alten Glanzes beraubten Tempel im Westen der Totenstadt erregten die Bewunderung des Kaisers. Das Herrscherpaar hörte mit seinen Begleitern auch den berühmten Memnonskoloß, dessen oberen Teil ein Erdbeben zu Boden geschleudert hatte, dreimal am frühen Morgen klingen.
Balbilla beschrieb dies Ereignis in mehreren langen Gedichten, die Sabina an den Stein des Kolosses meißeln ließ. Die Dichterin glaubte, die Stimme des Memnon gehört zu haben, der seiner Mutter Eos entgegensang, während ihre Tränen, der frische Morgentau, das Bild ihres vor Troja gefallenen Sohnes benetzten. Sie verfaßte diese Verse in äolischer Mundart, nannte sich als ihre Verfasserin und teilte den Lesern, zu denen sie auch Pontius zählte, mit, daß sie aus keinem geringeren Hause als aus dem des Königs Antiochus stamme.
Die ungeheuren Tempel auf beiden Ufern des Nils entsprachen völlig den Erwartungen des Kaisers, obgleich sie durch Erdbeben und Belagerungen schwere Beschädigungen erlitten hatten und die verarmende Priesterschaft von Theben nicht mehr imstande war, für ihre Erhaltung, geschweige denn für ihre Wiederherstellung genügende Sorge zu tragen.
Balbilla begleitete Hadrian auch in das Heiligtum des Ammon auf dem Ostufer von Theben.
In dem größten und höchsten aller Säulensäle fühlte sich ihre empfängliche Seele mächtig erhoben, und als der Kaiser bemerkte, wie sie mit glühenden Wangen bald aufwärts schaute, bald an eine der turmhohen Säulen gelehnt um sich her blickte, fragte er sie, was sie in diesem echten Götterhause empfinde.
»Eins, eins vor allem anderen,« rief die Dichterin, »daß die Baukunst von allen Künsten die erhabenste ist! Dieser Tempel scheint mir ein gewaltiges Epos zu sein, und der, der es dichtend ersann, hat es nicht aus ärmlichen Worten, sondern aus schwer beweglichen Massen zusammengefügt. Tausend Teile sind hier zu einem Ganzen verbunden und ein jeder fügt sich in schöner Harmonie zu dem andern und hilft dem gewaltigen Gedanken, der die Seele des Schöpfers dieser Halle erfüllte, Ausdruck zu geben. Welcher andern Kunst wäre es vergönnt, ein gleich unvergängliches, jedes gewöhnliche Maß weit überschreitendes Werk zu gestalten?«
»Die Dichterin reicht dem Architekten einen Lorbeer,« entgegnete der Kaiser. »Aber ist des Dichters Reich nicht das Unendliche und kommt der Baukünstler jemals über das Endliche und Begrenzte hinaus?«
»Ist denn das Wesen der Himmlischen meßbar?« gab Balbilla fragend zurück. »Es ist es nicht; und doch scheint mir diese Halle so beschaffen, als müßte die Gottheit Raum in ihr finden.«
»Weil sie einem Meister den Ursprung verdankt, dessen Seele, als er sie schuf, an die Grenzen der Ewigkeit rührte. Aber glaubst du, daß dieser Tempel die Gesänge Homers überdauert?«
»Nein; doch die Erinnerung an sie wird ebensowenig vergessen werden wie der Zorn des Achill und die Irrfahrten des vielgewandten Odysseus.«
»Schade, daß unser Pontius dich nicht hört,« rief der Kaiser. »Er hat den Plan zu einem Werke vollendet, das mich und ihn und uns alle zu überdauern bestimmt ist. Ich rede von meinem Grabmal. Außerdem will ich durch ihn zu Tibur Tore, Höfe und Säle in ägyptischem Stil erbauen lassen, die uns an unsere Wanderung durch dies wunderbare Land erinnern sollen. Ich erwarte ihn morgen.«
»Morgen?« fragte Balbilla, und das Antlitz färbte sich ihr bis zur Stirn mit flammendem Rot.
Zweiundvierzigstes Kapitel
Hadrian war bald nach dem Aufbruch von Theben, der am zweiten November erfolgte, zu einem großen Entschluß gelangt.
Verus sollte nicht nur als sein Sohn, sondern auch als sein Nachfolger anerkannt werden.
Das Drängen Sabinas hätte für sich allein nicht genügt, seinem Zaudern ein Ende zu machen, zumal es gerade jetzt durch die eigensten Wünsche des Kaisers neue Nahrung empfing.
Das Herz seiner Gattin hatte nach einem Kinde verlangt, aber auch das seine sehnte sich nach einem Sohne, und in Antinous besaß er einen solchen.
Sein Liebling war ein am Wege aufgelesener Knabe von niedriger, wenn auch von freier Herkunft; doch es lag in der Hand des Kaisers, ihn groß zu machen, die höchsten Ehrenstellen Roms auf ihn zu übertragen und ihn endlich öffentlich als seinen Erben anzuerkennen.
Wenn einer, so hatte Antinous dies um ihn verdient, und keinem andern als ihm konnte er neidlos alles, was er selbst besaß, übertragen. Diese Gedanken, diese Wünsche waren viele Monate alt, doch des Bithyniers Sinn und Wesen hatten sich immer und immer wieder ihrer Verwirklichung entgegengestellt.
Hadrian war ernstlicher als seine Vorgänger bemüht gewesen, die gesunkene Würde des Senats zu heben, und dennoch durfte er seiner Zustimmung auch für die gewagteste Maßnahme gewiß sein. Die leitenden Behörden der Republik waren auch unter den zügellosesten seiner Vorgänger anerkannt worden und in Tätigkeit geblieben. Freilich mußten sie alle, wie sie auch hießen, dem Imperator gehorchen; – aber sie waren immerhin vorhanden, und das Reich konnte auch mit einem Schwächlinge an der Spitze in den von Hadrian gezogenen und mit weiser Enthaltsamkeit eingeschränkten Grenzen ungeschmälert fortbestehen.
Vor wenigen Wochen hätte er dennoch nicht gewagt, an die Adoption seines Lieblings zu denken.
Jetzt hoffte er der Erfüllung seines Wunsches näher zu stehen.
Zwar war Antinous noch immer ein Träumer, doch auf den Wanderungen und Jagdzügen durch Ägypten hatte er sich frisch und rüstig, verständig und nach dem Aufbruch von Theben zu Zeiten sogar keck und munter erwiesen.
Fürs erste sollte dieser Plan verborgen bleiben.
Wenn er Verus öffentlich adoptierte, blieb jeder Gedanke an eine neue Sohneswahl ausgeschlossen; und er durfte es getrost wagen, den Schützling Sabinas zu seinem Nachfolger zu ernennen; denn der berühmteste unter den römischen Ärzten hatte Hadrian auf seine Veranlassung hin geschrieben, daß die untergrabene Gesundheit des Prätors nicht wieder herzustellen sei. Im besten Falle stehe ihm noch eine beschränkte Anzahl von Lebensjahren bevor.
Mochte Verus denn ruhig mitten in den glänzendsten Hoffnungen dahinsiechen! Erst wenn er die Augen geschlossen, dann war es an der Zeit, den zu tatkräftiger Männlichkeit herangereiften Träumer an seine Stelle zu setzen.
Auf der Rückreise von Theben nach Alexandria traf Hadrian mit der Gemahlin zu Abydos zusammen und eröffnete ihr seinen Entschluß, den Sohn ihrer Wahl zu seinem Nachfolger zu ernennen.
Sabina dankte ihm mit einem »Endlich«, das halb ihrer Zufriedenheit, halb dem Verdruß über das lange Zögern des Gatten Ausdruck gab.
Hadrian gestattete ihr, von Alexandria aus nach Rom zurückzukehren, und noch am nämlichen Tage wurden Boten mit Briefen an den Senat und an den Präfekten von Ägypten abgesandt. Das für Titianus bestimmte Schreiben enthielt den Auftrag, die Adoption des Prätors öffentlich ausrufen zu lassen, bei dieser Gelegenheit ein Freudenfest zu veranstalten und dabei dem Volke in des Kaisers Namen alle Gnaden zu gewähren, die die ägyptische Sitte dem Herrscher nach der Geburt eines Thronfolgers zu üben vorschrieb.
Das Gefolge des fürstlichen Paares feierte den Entschluß Hadrians durch prächtige Gastmähler: der Kaiser aber nahm nicht an ihnen teil, sondern ließ sich über den Nil setzen und zog bei Antäopolis in die Wüste, um von dort aus in die Schluchten des arabischen Gebirges zu dringen und wilde Tiere zu erlegen. Niemand als Antinous, Mastor, einige Jäger und Hunde begleiteten ihn.
Bei Besa dachte er mit den Schiffen zusammenzutreffen. Den Besuch dieses Ortes hatte er für den Rückweg aufgehoben, weil er auf dem westlichen Nilufer gereist war und ihn der Abstecher über den Strom zu viel Zeit gekostet hätte.
An einem schwülen Novemberabend wurden die Zelte der Wanderer zwischen dem Nil und dem Kalkgebirge aufgeschlagen, in dem sich eine lange Reihe von Grüften aus der Pharaonenzeit befand.
Hadrian besuchte sie, weil ihn die höchst merkwürdigen Darstellungen an ihren Wänden ergötzten; Antinous aber blieb zurück; denn er hatte dergleichen in Oberägypten schon weit öfter besichtigen müssen, als ihm lieb war. Er fand diese Bilder einförmig und unschön, und es fehlte ihm die Ausdauer, sich wie sein Gebieter in ihre Bedeutung zu vertiefen. Hundertmal war er, um Hadrian nicht allein zu lassen, aber gewiß nicht um ihretwillen, mit in die alten Grüfte gegangen; heute aber konnte er sich vor Ungeduld und Erregung kaum lassen; denn er wußte, daß ihn ein Ritt, ein Marsch von wenigen Stunden nach Besa zu Selene führen würde.
Drei oder vier Stunden blieb der Kaiser jedenfalls aus, und wenn er sich ein Herz faßte, konnte er vor seiner Heimkehr das Mädchen, nach dem er sich sehnte, aufgesucht haben und doch früher als der Gebieter zurück sein.
Aber vor dem Handeln kam das Bedenken!
Da stieg der Kaiser den Berg hinan und konnte ihn sehen. – Es wurden Boten erwartet, und er hatte den Auftrag erhalten, sie zu empfangen. Wenn üble Nachrichten kamen, durfte der Herr unter keiner Bedingung allein sein.
Zehnmal trat er an sein gutes Jagdpferd heran, um sich ihm auf den Rücken zu schwingen, einmal griff er auch nach dem Hauptzeug, um es zu zäumen; aber während er dem Hengste das biegsame, vielfach gegliederte Gebiß durch die Zähne zog, brach ihm die Tatkraft wieder zusammen.
Während dieses Zauderns vergingen die Stunden, und endlich wurde es so spät, daß der Kaiser bald zurückkehren konnte und es Torheit gewesen wäre, weiter an die Ausführung seines schönen Planes zu denken.
Schon war der erwartete Bote mit mehreren Schreiben erschienen, Hadrian aber noch immer nicht wieder gekommen.
Es dunkelte, und große Regentropfen fielen von dem schwer bewölkten Himmel, und Antinous war noch immer allein.
Zu der Sehnsucht gesellte sich Reue über die versäumte Gelegenheit, Selene wiederzusehen und Unruhe über das lange Ausbleiben des Gebieters.
Trotz des Regens, der heftiger zu strömen begann, trat er an die Luft, deren drückende Schwüle ihm die schwache Willenskraft vollends lähmte, und rief nach den Hunden, mit denen er den Kaiser aufzusuchen gedachte; da aber ließ sich das Gebell des Molossers vernehmen, und bald darauf trat Hadrian mit Mastor aus dem Dunkel in den Lichtschein, der die beleuchteten Zelte umgab.
Der Kaiser gönnte dem Liebling nur einen flüchtigen Gruß und ließ es sich dann schweigend gefallen, daß Antinous ihm das Haar trocknete und einen Imbiß brachte, während Mastor ihm die Füße badete und ihn mit frischen Gewändern bekleidete. Als er mit dem Bithynier vor der bereitstehenden Mahlzeit lag, sagte er:
»Ein seltsamer Abend! Wie heiß und drückend die Luft ist. Hüten wir uns; denn es steht uns Schlimmes bevor.«
»Was ist dir begegnet, Herr?«
»Mancherlei. Gleich am Tor des ersten Grabes, das ich betreten wollte, fand ich ein altes schwarzes Weib, das uns die Hände abwehrend entgegenstreckte und uns widrig klingende Worte zuschrie.«
»Hast du sie verstanden?«
»Nein. Wer kann das Ägyptische lernen.«
»Dann weißt du also nicht, was sie sagte?«
»Ich sollt' es erfahren. »Tod« rief die Alte und wiederum »Tod«. In der Gruft, die sie bewachte, lagen ich weiß nicht wieviele von der Pest befallene Menschen.«
»Und du sahest sie?«
»Ja, ich hatte bisher nur von dieser Krankheit gehört. Sie ist gräßlich und entspricht den Beschreibungen, die ich von ihr las.«
»Aber, Herr!« rief Antinous vorwurfsvoll und ängstlich.
»Als wir den Gräbern den Rücken wandten,« fuhr Hadrian fort, ohne auf den Einwurf des Jünglings zu achten, »begegnete uns ein weißgekleideter älterer Mann und ein seltsam aussehendes Mädchen. Sie war lahm und doch von ungewöhnlicher Schönheit.
»Auch sie ging zu den Kranken?«
»Ja, sie brachte ihnen Arznei und Brot.«
»Aber sie trat nicht zu ihnen hinein?« fragte Antinous dringend.
»Sie tat es, trotz meiner Warnung. In ihrem Begleiter fand ich einen alten Bekannten wieder.«
»Einen alten?«
»Jedenfalls ist er betagter als ich. In Athen trafen wir, als wir noch jung waren, häufig zusammen. Er hielt sich damals zu den Platonikern und war eifriger, ja, vielleicht auch höher begabt als wir alle.«
»Wie kommt solch ein Mann zu den Pestkranken von Besa? Wurde er Arzt?«
»Nein. Schon zu Athen suchte er mit glühendem Eifer die Wahrheit, und jetzt behauptet er, sie gefunden zu haben.«
»Hier unter den Ägyptern?«
»In Alexandria bei den Christen.«
»Und das lahme Mädchen, das den Philosophen begleitete, glaubt auch an den gekreuzigten Gott?«
»Ja, sie ist eine Krankenpflegerin oder dergleichen. Es liegt doch etwas Großes in der Schwärmerei dieser Leute.«
»Ist es wahr, daß sie einen Esel und Tauben anbeten?«
»Torheit!«
»Ich weigerte mich auch, es zu glauben; jedenfalls sind sie gut und pflegen alle Leidenden, auch fremde, die nicht zu ihnen gehören.«
»Woher weißt du das?«
»Man hört doch in Alexandria manches von ihnen.«
»Leider, leider! Ich verfolge keine luftigen Feinde, und zu denen rechne ich die Gedanken und den Glauben der Menschen; doch ich frage mich manchmal, ob es dem Staate frommen kann, wenn die Bürger es aufgeben, gegen die Not des Lebens anzukämpfen und sich über sie hinwegzutrösten durch die Hoffnung auf ein erträumtes Glück in einer anderen Welt, die vielleicht nur in der Vorstellung derer vorhanden ist, die an sie glauben.«
»Ich wollte, das Leben wäre mit dem Tode zu Ende,« sagte Antinous nachdenklich. »Und dennoch . . .«
»Nun?«
»Wenn ich gewiß wüßte, daß ich in jener anderen Welt diejenigen beieinander fände, die ich wiederzusehen wünschte, dann könnte mich wohl nach einem zweiten Leben verlangen.«
»Du möchtest dich also bis in alle Ewigkeit unter der Masse der alten Bekannten, die der Tod dir doch bis auf den letzten in die andere Welt nachschickt, noch einmal drängen und stoßen lassen?«
»Das nicht, aber ich wollte, es wäre mir gestattet, mit einigen Auserwählten ewig zu leben.«
»Und würde ich zu diesen gehören?«
»Ja,« rief Antinous innig und drückte die Lippen auf die Hand Hadrians.
»Ich wußte es: doch selbst um den Preis, dich, meinen Liebling, niemals zu entbehren, möchte ich das einzige Recht, das der Mensch vor den unsterblichen Göttern voraus hat, nicht aufgeben.«
»Welches Recht kannst du meinen?«
»Das Recht, aus den Reihen der Lebenden zu treten, sobald mir das Nichtsein erträglicher scheint als das Dasein.«
»Die Götter freilich können nicht sterben.«
»Und die Christen wollen es nur, um an den Tod ein neues Leben zu knüpfen.«
»Ein schöneres doch als das erste auf Erden.«
»Sie nennen es ein seliges. Die Mutter dieses ewigen Lebens ist die unverwüstliche Lust am Dasein auch unter den Elendesten unseres Geschlechts, sein Vater die Hoffnung. Sie glauben an Leidlosigkeit in jener anderen Welt; denn der, den sie ihren Erlöser nennen, der gekreuzigte Christus, erlöste sie durch seinen Tod von künftigen Schmerzen.«
»Kann denn einer die Leiden des anderen auf sich übertragen wie ein Gewand oder eine Last?«
»Sie sagen es, und mein Freund aus Athen ist davon überzeugt. In den magischen Büchern findet sich manche Vorschrift, wie das Unglück sich nicht nur von Menschen auf Tiere, sondern auch von einem Menschen auf den anderen übertragen läßt. Es sind sogar mit Sklaven merkwürdige Versuche hierüber angestellt worden, und ich habe noch immer in mancher Provinz gegen die Menschenopfer zu kämpfen, durch die die Götter versöhnt oder günstig gestimmt werden sollen. Denke nur an die unschuldige Iphigenia, die zum Altare geführt ward. Schloß das geborstene Forum sich nicht, nachdem Quintus Curtius in die Spalte gesprungen? Wenn das Schicksal ein tödliches Geschoß nach dir schleudert und ich fange es mit dieser Brust auf, so begnügt es sich vielleicht mit dem Wurfe und fragt nicht nach der Person des Getroffenen.«
»Die Götter wären auch wenig bescheiden, wenn sie dein Blut nicht für das meine annehmen wollten.«
»Leben ist Leben, und das des Jüngeren mehr wert als das des Alten. Für dich erblühen noch viele Freuden.«
»Und du bist dem ganzen Erdkreise notwendig.«
»Nach mir kommt ein anderer. Bist du ehrgeizig, Knabe?«
»Nein, Herr!«
»Was hatte denn das zu bedeuten? Alle anderen wünschten mir Glück zu meinem Sohne Verus; nur du nicht. Hat dir meine Wahl nicht gefallen?«
Da errötete Antinous und schaute befangen zu Boden; Hadrian aber sagte:
»Sprich offen aus, was du meinst.«
»Der Prätor ist leidend.«
»Er hat nur noch wenige Jahre zu leben, und wenn er tot ist . . .«
»Er kann ja genesen.«
»Wenn er tot ist, muß ich mich nach einem anderen Sohne umschauen. Was meinst du? Von wem hört sich wohl jeder, der Sklave wie der Konsul, besonders gern ›Vater‹ rufen.«
»Von einem, den er recht lieb hat.«
»Ganz recht, und besonders wenn dieser eine mit der festesten Treue an ihm hängt. Ich bin ein Mensch wie die anderen, und du, mein braver Gesell, stehst nun einmal meinem Herzen am nächsten, und ich werde den Tag segnen, an dem ich dir vor aller Welt gestatten darf, mich ›Vater‹ zu nennen. Unterbrich mich nicht. Wenn du deinen Willen kräftig zusammennimmst, wachen Sinnes wie auf der Jagd in das Treiben der Menschen, die dich umgeben, hineinschaust, wenn du deinen Geist zu schärfen versuchst und auffaßt, was ich dich lehre, dann kann es geschehen, daß einst Antinous an Stelle des Verus . . .«
»Nur das nicht!« rief der Jüngling tief erblassend und mit bittend erhobenen Händen.
»Das Große, mit dem uns das Schicksal überrascht, erscheint uns furchtbar, solang es uns neu ist,« entgegnete Hadrian. »Der Schiffer gewöhnt sich bald an den Seesturm, und man trägt den Purpur zuletzt wie du deinen Chiton.«
»O Herr, ich bitte dich,« sagte Antinous angstvoll, »laß doch von diesem Gedanken; ich tauge nicht für die Größe.«
»Aus kleinen Schößlingen werden Palmen.«
»Aber ich bin nur ein ärmliches Kräutlein, das in deinem Schatten das Leben fristet. Die stolze Roma . . .«
»Rom ist meine Magd. Es hat sich gefallen lassen müssen, von Männern gemeinen Schlages beherrscht zu werden, und ich möchte ihm zeigen, wie den schönsten unter seinen Söhnen der Purpur kleidet. Solche Wahl darf die Welt von einem Kaiser erwarten, den sie schon lange als Künstler, das heißt als einen Priester des Schönen kennt. Tut sie es nicht, dann werde ich sie zwingen, ihren Geschmack nach dem meinen zu richten.«
»Du treibst Spott mit mir, Cäsar,« fuhr der Bithynier beunruhigt auf. »Es kann ja dein Ernst nicht sein, und wenn es wahr ist, daß du mich liebst . . .«
»Nun, Knabe?«
»Dann läßt du mich still für dich leben und sorgen, dann verlangst du nichts von mir als Verehrung, Liebe und Treue.«
»Die besitz' ich schon lange, und ich möchte meinen Antinous für diese reiche Geschenke belohnen.«
»Laß mich nur bei dir, laß mich, wenn es not tut, für dich in den Tod gehen.«
»Ich glaube, Knabe, du wärst imstande, für mich das Opfer zu bringen, von dem wir sprachen.«
»Zu jeder Stunde, ohne mit der Wimper zu zucken.«
»Meinen Dank für dies Wort! Das ist ein freundlicher Abend geworden und einen wie schlimmen hab' ich erwartet!«
»Weil dich das Weib vor dem Grabe erschreckte?«
»›Tod‹ ist ein garstiges Wort. Zwar das ›Totsein‹ kann den Weisen nicht erschrecken; doch der Schritt aus dem Licht in das Dunkel ist furchtbar. Das Bild der Alten und ihr gellender Ruf wollten mir nicht aus dem Sinn. Dann kam der Christ und führte seltsame, das Herz beängstigende Reden. Bevor es dunkelte, zog er mit dem hinkenden Mädchen nach Hause. Ich schaute ihnen nach und wurde von der Sonne geblendet, die sich über den libyschen Bergen zum Untergang neigte. Der Horizont war klar – nur unter dem Tagesgestirn hingen die Wolken. Im Westen, sagen die Ägypter, liege das Reich des Todes. Daran mußte ich denken, und das Orakel, das Unheil, mit dem mich die Sterne in diesem Jahr bedrohen, der Schrei des Weibes, das alles kam mir auf einmal in den Sinn. Als ich dann gewahrte, wie die Sonne mit dem Gewölke kämpfte und sich mehr und mehr der Hügelreihe jenseits des Stromes näherte, da sagte ich mir: Wird sie glänzend versinken, so schaust du getrost in die Zukunft – wird sie aber von den Wolken verschlungen, bevor sie zur Ruhe gelangt, dann wird das Geschick sich erfüllen, dann gilt es, die Segel einzuziehen und den Sturm zu erwarten.«
»Und was ist geschehen?«
»Der feurige Sonnenball brannte in glühendem Rot und war von Millionen Strahlen umgeben. Einer war von dem anderen getrennt und jeder leuchtete hell. Es war, als hätten sich in dem untergehenden Körper zahlreiche Bogenschützen versammelt und schössen goldene Pfeile nach allen Richtungen hin in das Gewölk. Wundervoll war dies Schauspiel, und schon hob sich mir das Herz in freudiger Regung, da senkte sich rasch, als ob sie erzürnt sei über die Wunden, die sie von dem leuchtenden Geschosse empfing, eine finstere Wolke nieder, eine zweite, dritte und vierte folgten ihr schnell, und finstere Dämonen warfen einen grauen, flockigen Vorhang über das leuchtende Haupt des Helios, wie der Henker ein rauhes schwarzes Tuch über den Kopf des Verurteilten zieht, auf den er das Knie stemmt, um ihn zu erdrosseln.«
Antinous bedeckte bei diesem Berichte das Antlitz mit beiden Händen und murmelte angstvoll:
»Schrecklich, schrecklich! Was mag uns bevorstehen? Hör nur, wie es donnert und der Regen auf das Zeltdach schlägt.«
»Die Wolken senden Bäche hernieder. Da rinnt das Wasser schon zu uns herein. Die Sklaven sollen ihm Rinnen zum Abflusse graben. Schlagt die Pflöcke fester, ihr Burschen da draußen, sonst reißt der Sturmwind das leichte Gebäude auseinander.«
»Und wie schwül die Luft ist!«
»Der heiße Wind scheint die Regengüsse zu wärmen. Hier bleibt es trocken. Mische mir einen Becher Wein, Antinous. Sind Briefe gekommen?«
»Ja, Herr.«
»Gib sie mir, Mastor.«
Der Sklave, der eifrig beschäftigt war, die in das Zelt sickernden Regenbäche mit Erde und Steinen abzudämmen, sprang auf, trocknete schnell die Hände, nahm den einen der Säcke aus der für die Schriften des Kaisers bestimmten Truhe und gab sie dem Gebieter.
Hadrian öffnete die lederne Tasche, nahm eine Rolle heraus, brach sie schnell auf und rief dann, nachdem er den Inhalt durchflogen:
»Was ist das? Da hab' ich den Spruch des Apisorakels eröffnet. Wie kommt er unter die neuen Briefe?«
Antinous näherte sich Hadrian, faßte die Tasche ins Auge und sagte:
»Mastor versah sich. Dies sind die Schreiben aus Memphis. Gleich bring' ich dir den richtigen Beutel.«
»Warte,« entgegnete der Kaiser, indem er die Hand des Günstlings heftig erfaßte. »Hab' ich es hier mit einem Spiele des Zufalls oder dem Willen des Schicksals zu tun? Warum kam mir gerade heute dies falsche Behältnis in die Hand? Warum mußte ich aus zwanzig Schreiben, die es enthält, gerade dieses ergreifen? Sieh her! Ich will dir diese Zeichen erklären. Da stehen drei Paar Arme, die mit Schild und Schwert bewaffnet sind, neben dem Namen des ägyptischen Monats, der unserem November gleichkommt. Das sind die drei Zeichen des Unglücks. Die Lauten hier oben sind von glücklicher Vorbedeutung, die Maste dort deuten auf einen gewöhnlichen Stand der Dinge. Drei von diesen Hieroglyphen stehen immer zusammen. Drei Lauten bedeuten großes Glück, zwei Lauten und ein Mast Glück und mittleres Wohlsein, ein Paar Arme und zwei Lauten Unglück, dem gute Stunden folgen, und immer so fort. Hier im November beginnen die bewaffneten Arme, und sie stehen da zu dreien und dreien und künden lauter drohendes Unheil, das keine Laute freundlich ermäßigt. Siehst du es, Knabe? Verstehst du jetzt die Meinung dieser Zeichen?«
»Wohl, wohl; aber deutest du sie auch richtig? Die kämpfenden Arme führen vielleicht zum Siege.«
»Nein. Der Ägypter stellt durch sie den Streit dar, und Streit und Unruhe ist für ihn dasselbe, was wir das Schlechte und Böse nennen.«
»Wie seltsam!«
»Nein, es ist gut gedacht; denn sie sagen, alles sei ursprünglich gut von den Göttern geschaffen; doch die an sich vollkommenen Teile des Alls veränderten ihre Natur durch unruhige und disharmonische Mischung. Diese Erklärung gab mir der Priester des Apis, und hier, hier stehen neben dem Namen des Novembers die drei kämpfenden Arme, die gräßlichen Zeichen! Wenn einer der Blitze, die wieder und wieder dies Zelt wie Lichtströme erleuchten, mich und dich und uns alle erschlägt – mich soll es nicht wundern. Schweres, Furchtbares steht uns bevor. Es gehört Mut dazu, unter solchen Zeichen den klaren Blick zu behalten und nicht zu verzagen.«
»Brauche nur gegen die kämpfenden Arme der ägyptischen Götter die deinen; denn sie sind stark,« bat Antinous; der Kaiser aber senkte das Haupt und sagte mutlos:
»Im Kampfe gegen das Schicksal müssen die Himmlischen selbst unterliegen.«
Das Gewitter tobte fort. Der Sturm riß mehr als einmal die Zeltstricke aus dem Boden und zwang die Sklaven, die leichte Wohnung des Gebieters mit den Händen festzuhalten, der Wolkenbruch goß große Wassermassen auf die seit Jahren von keinem Regentropfen berührten Wüstenberge und füllte jede trockene Rinne an den Abhängen mit Bächen und Strömen.
Weder Hadrian noch Antinous schlossen während dieser furchtbaren Nacht die Augen.
Der Kaiser hatte nur noch eine von allen Rollen geöffnet, die sich in dem neuen Briefsacke befanden. Sie enthielt die Nachricht, daß der Präfekt Titianus von den alten Atembeschwerden grausam geplagt werde, und die Bitte des würdigen Mannes, den Staatsdienst verlassen und sich auf seine Güter zurückziehen zu dürfen.
Es war nichts Kleines für Hadrian, diesen treuen Helfer in Zukunft entbehren zu sollen, diesen Mann zu missen, den er ins Auge gefaßt hatte, um Judäa, in dem neue Aufstände das Haupt erhoben hatten, zu beruhigen und ohne Blutvergießen zum Gehorsam zurückzuführen. Die erregte Provinz zu vernichten konnte wohl auch anderen gelingen, sie mit Güte zu besiegen und zu erhalten nur dem milden und klugen Titianus.
Dem Kaiser fehlte der Mut, in dieser Nacht noch einen andern Brief zu erbrechen. Schweigend lag er auf dem Polster, bis der Morgen graute, und dachte an jede schlimme Stunde seines Lebens, an den Mord des Nigrinus, des Tatianus und der anderen Senatoren, durch den er sich die Herrschaft gesichert, und gelobte den Göttern von neuem große Opfer, wenn sie ihn vor dem nahenden Unheil bewahrten.
Als er sich am folgenden Morgen erhob, erschrak Antinous über sein Aussehen; denn Antlitz und Lippen Hadrians waren völlig blutlos.
Nachdem der Kaiser die für ihn angekommenen Briefe gelesen hatte, brach er nicht zu Fuß, sondern zu Pferde mit Antinous und Mastor nach Besa auf, um dort das Gefolge zu erwarten.
Dreiundvierzigstes Kapitel
Die entfesselten Elemente wüteten in dieser Nacht auch im Gebiete der Nilstadt Besa.
Die Bürgerschaft dieses alten Ortes hatte alles getan, was sie konnte, um den reisenden Herrscher würdig zu empfangen. Die Hauptstraßen waren mit Blumengewinden, die sich von Mast zu Mast und von Haus zu Haus zogen, geschmückt und am Hafen, hart am Ufer des Stromes, die Bildsäulen des Kaisers und seiner Gemahlin aufgestellt worden. Aber der Sturm riß die Girlanden mitsamt den Masten zu Boden, und die erregten Wogen des Flusses schlugen mit unbändiger Kraft an das Ufer, rissen ein Stück des fruchtbaren Erdreichs nach dem andern mit sich fort, stürzten sich wie flüssige Keile in die Spalten des getrockneten Erdreichs und unterhöhlten das hohe Ufer beim Landungsplatze.
Nach Mitternacht brauste der Sturm mit unerhörter Gewalt, riß die mit Palmenzweigen bedeckten Dächer von manchem Hause und traf die Nilflut mit so gewaltigen Stößen, daß sie dem brandenden Meere gleichsah.
Die ganze ungebrochene Kraft des Wogenschwalles stürzte sich wieder und wieder auf den Erdvorsprung, der die Bildsäulen des Kaiserpaares trug.
Kurz bevor das erste Frühlicht sich zeigte, ertrug die durch keinen Steinbau gefestigte Landzunge den wilden Ansturm des Wassers nicht länger. – Erdschollen glitten und fielen laut klatschend in den Strom, und ihnen folgte mit donnerndem Lärm ein großes Stück des Uferhanges.
Die hinter ihm gelegene Erdfläche senkte sich, und die Bildsäule des Kaisers, die sie getragen, geriet ins Wanken und neigte sich langsam zum Falle. Als es tagte, lag sie mit dem Fußgestell nach oben am Boden; ihr Haupt war in die Erde vergraben.
Die Bürger verließen bei Tagesanbruch die Häuser und erfuhren von den Fischern und Schiffern, was während der Nacht am Hafen geschehen war. – Sobald der Sturm sich gelegt hatte, drängten sich Hunderte, ja Tausende von Männern, Weibern und Kindern auf dem Landungsplatze um die umgesunkene Bildsäule zusammen. – Man sah die abgerissenen Erdschollen, man wußte, daß der Strom Land vom Ufer gerissen und das Unheil verursacht hatte.
Ob der Nilgott Hapi dem Kaiser zürnte?
Ein übles Vorzeichen war in dem Mißgeschick, das die Statue des Herrschers betroffen, jedenfalls zu erkennen.
Der Toparch, das Haupt der Stadt, ließ die Wiederaufrichtung der Statue, die übrigens unbeschädigt geblieben war, sogleich in Angriff nehmen; denn Hadrian konnte in wenigen Stunden erscheinen.
Viele Männer des Ortes, Freie und Sklaven, drängten sich zu dieser Arbeit, und bald stand die in ägyptischem Stil gearbeitete Statue des Kaisers wieder aufrecht und blickte mit dem starren Gesicht in den Hafen.
Das Standbild Sabinas wurde neben das seine gerückt, und der Toparch zog sich befriedigt in seine Wohnung zurück.
Die meisten Arbeiter und Gaffer verließen mit ihm den Landungsplatz; ihnen aber folgten andere Neugierige, die die Bildsäule nicht mehr in ihrer Lage auf dem Erdsturze gesehen hatten und nun ihre Meinungen über die Art und Weise ihres Sturzes austauschten.
»Der Sturm kann diese schwere Kalksteinmasse nimmermehr umgeweht haben,« sagte ein Seiler, »und wie weit steht sie von dem abgerissenen Land entfernt.«
»Sie soll den Erdschollen nachgestürzt sein,« entgegnete ihm ein Bäcker.
»So verhält es sich auch,« behauptete ein Schiffer.
»Unsinn,« rief der Seiler. »Hätte die Statue auf dem fortgerissenen Lande gestanden, wäre sie zuerst ins Wasser gefallen und im Flusse versunken, das sieht ein jedes Kind ein. Hierbei sind andere Kräfte im Spiel gewesen.«
»Vielleicht,« bemerkte ein Tempeldiener, der sich mit Zeichendeuterei abgab, »brachten die Götter das stolze Bildwerk zu Fall, um Hadrian einen warnenden Wink zu erteilen.«
»Die Himmlischen mischen sich in unserer Zeit nicht mehr unter die Menschen,« entgegnete der Schuster, »doch in der gräßlichen Nacht blieben die ruhigen Bürger zu Hause, und es gab freies Spiel für die Feinde des Kaisers.«
»Wir sind treue Untertanen,« fiel ihm der Bäcker entrüstet ins Wort.
»Aufsässiges Gesindel seid ihr,« rief ein römischer Soldat, der wie die ganze Kohorte, die hier stand, unter dem grausamen Tinnius Rufus in Judäa gedient hatte, den Bürgern ins Antlitz. »Unter euch Tieranbetern hören die Händel nicht auf, und den Christianern, die sich da drüben jenseits der Talschlucht eingenistet haben, mögt ihr das Schlimmste nachsagen, und ihr schmeichelt ihnen noch immer.«
»Der tapfere Fuskus hat recht,« schrie ein Bettler, »das verruchte Gesindel trug uns die Pest in die Häuser. Wo sich die Seuche nur zeigte, da gab es Christen und Christenweiber zu sehen. Zu meinem Bruder kamen sie auch. Ganze Nächte lang blieben sie bei seinen kranken Kindern sitzen, und beide sind natürlich gestorben.«
»Wäre nur mein alter Legat Tinnius Rufus hier,« grollte der Soldat, »es würde ihnen allen nicht besser ergehen als ihrem gekreuzigten Gotte.«
»Ich habe gewiß nichts mit ihnen gemein,« entgegnete der Bäcker. »Doch was wahr ist, muß wahr bleiben. Es sind stille, freundliche Leute, pünktliche Zahler, die nichts Übles begehen und vielen Armen Gutes erweisen.«
»Gutes?« kreischte der Bettler, der von dem Diakonus der Gemeinde von Besa kein Almosen empfangen hatte, sondern zur Arbeit ermuntert worden war. »Alle fünf Priester der hohen Sechmet von der Artemisgrotte ließen sich von ihnen verführen und haben das Heiligtum ihrer Göttin schmählich verlassen. Und ist das etwa gut, daß sie die Kinder meines Bruders mit ihren Tränken vergiftet?«
»Warum sollten sie nicht auch Kinder schlachten?« fragte der Soldat. »Schon in Syrien hörte ich dergleichen, und was diese Bildsäule anbetrifft, so will ich das Schwert nicht mehr tragen . . .«
»Hört den tapferen Fuskus, er hat vieles gesehen,« ertönte es aus der Menge.
»So will ich mein Schwert nicht mehr tragen, wenn sie die Bildsäule nicht in der Dunkelheit umgestürzt haben.«
»Nein, nein,« entgegnete der Schiffer entschieden, »dem abgespülten Lande fiel sie nach; ich sah sie noch darauf liegen.«
»Bist du auch ein Christianer?« fragte der Soldat, »oder glaubst du, ich spielte mit dem Eide bei meinem Schwerte? Ich habe in Bithynien gedient, in Syrien und Judäa, ich kenne dies Gesindel, ihr Leute. – Hundert Christianer gab's da zu sehen, die ihr Leben fortwarfen wie einen abgetragenen Schuh, weil sie der Bildsäule des Kaisers und unseren Göttern nicht opfern wollten.«
»Da hört ihr's,« kreischte der Bettler, »und habt ihr auch nur einen einzigen von ihnen unter den Bürgern bemerkt, die die Statue wieder aufrichten halfen?«
»Es war keiner dabei,« sagte der Schiffer, der sich der Ansicht des Soldaten anzuschließen begann.
»Die Christen warfen die Bildsäule des Kaisers zu Boden,« schrie der Bettler in die Menge hinein. »Es ist erwiesen, und es soll ihnen übel bekommen! Wer ein Freund des göttlichen Hadrian ist, holt sie jetzt mit mir aus ihren Häusern.«
»Keinen Aufstand,« unterbrach der Soldat den wütenden Mann. »Da ist der Tribun; er wird euch hören.«
Der römische Offizier, der mit einer Abteilung Soldaten dahergezogen kam, um den Kaiser vor der Stadt zu empfangen, wurde von der Menge mit lautem Geschrei begrüßt. Er gebot Ruhe und ließ sich von dem Krieger berichten, was die Bürger so heftig erregte.
»Wohl möglich,« sagte der nervig und streng aussehende Mann, der ebenso wie Fuskus unter Tinnius Rufus gedient und sich vom Troßbuben zum Offizier heraufgekämpft hatte. »Wohl möglich; doch wo sind eure Beweise?«
»Die meisten Bürger drängten sich zu der Aufrichtung der Statue, die Christen aber hielten sich fern von der Arbeit,« rief der Bettler. »Keiner ließ sich hier sehen. Frage den Schiffer, Herr – er war dabei und kann es bezeugen.«
»Das ist allerdings mehr als verdächtig. – Diese Angelegenheit muß streng untersucht werden. Achtung, ihr Leute.«
»Da kommt eine christliche Dirne,« rief der Seiler.
»Die lahme Martha; ich kenne sie wohl,« unterbrach ihn der Bettler. »Sie läuft in alle Pesthäuser und vergiftet die Menschen. Bei meinem Bruder hat sie drei Tage und vier Nächte gesteckt und den Kindern die Kissen gewendet, bis man sie hinaustrug. Wo sie hinkommt, da gibt es Tote.«
Selene, die jetzt Martha genannt wurde, achtete nicht auf die Menge, sondern ging mit ihrem blinden Bruder Helios, der nun Johannes hieß, ruhig auf den Weg zu, der von dem erhöhten Ufer zum Landungsplatze führte.
Sie wünschte dort einen Kahn zu mieten, um über den Strom zu setzen. In einem Dorfe auf der der Stadt gegenüberliegenden Insel wohnten kranke Christen, denen sie Arznei bringen und die sie pflegen wollte. Ihr ganzes Leben war seit Monden den Leidenden gewidmet. Auch in heidnische Häuser hatte sie Hilfe gebracht und sich weder vor Pest noch vor Fieber gescheut. Dabei waren ihre Wangen nicht röter geworden, doch ein reiner, milder Glanz, der die strenge Schönheit ihrer Züge verklärte, leuchtete ihr aus den Augen.
Als das Mädchen dem Hauptmanne näher kam, faßte er es ins Auge und rief:
»He, blasse Dirne, bist du eine Christin?«
»Ja, Herr,« entgegnete Selene und schritt gelassen mit ihrem Bruder weiter.
Der Römer schaute ihr nach, und als sie an der Statue Hadrians vorbeiging und dabei das Haupt tiefer neigte als vorher, befahl er ihr herrisch, stehen zu bleiben und ihm zu sagen, warum sie das Gesicht von der Bildsäule des Kaisers abgewandt habe.
»Hadrian ist unser Gebieter wie eurer,« entgegnete die Jungfrau. »Ich habe Eile; denn auf der Insel sind Kranke.«
»Sie bringt ihnen nichts Gutes,« rief der Bettler. »Wer weiß, was in dem Körbchen da steckt.«
»Schweig!« unterbrach ihn der Tribun.
»Man sagt, Dirne, daß deine Glaubensgenossen in dieser Nacht die Statue des Kaisers umgestürzt hätten.«
»Wie könnte das wahr sein! Wir ehren den Kaiser so hoch wie ihr.«
»Ich will es dir glauben, und du sollst es beweisen. Da sieht die Bildsäule des göttlichen Cäsar; folge mir und bete sie an.«
Selene schaute dem strengen Manne entsetzt ins Antlitz und fand kein Wort der Entgegnung.
»Nun?« fragte der Hauptmann. »Wirst du mir folgen? Ja oder nein?«
Selene rang nach Fassung, und als der Soldat die Hand nach ihr ausstreckte, sagte sie mit zitternder Stimme:
»Wir ehren den Kaiser, aber wir beten keine Bildsäule an, sondern nur unsern Vater im Himmel.«
»Da haben wir's!« lachte der Bettler.
»Ich frage noch einmal,« rief der Tribun, »willst du dies Bildnis anbeten oder weigerst du dich, es zu tun?«
In der Seele Selenes erhob sich ein grausamer Kampf. Widerstand sie dem Römer, so war ihr Leben gefährdet, so konnte die Wut des Volkes sich gegen ihre Glaubensgenossen richten; – tat sie ihm aber den Willen, so lästerte sie Gott, so brach sie dem Heiland, den sie liebte, die Treue, so versündigte sie sich gegen die Wahrheit und ihr Gewissen.
Eine furchtbare Angst überfiel sie und raubte ihr die Kraft, die Seele zum Gebet zu erheben.
Sie konnte, sie durfte nicht tun, was von ihr verlangt wurde, und doch trieb die in jedem Sterblichen mächtige Liebe zum Leben ihr die Füße vorwärts und hemmte sie wieder vor dem steinernen Götzen.
»Erhebe die Hände und bete den göttlichen Cäsar an,« rief der Tribun, der, wie alle Anwesenden, jeder ihrer Bewegungen mit Spannung gefolgt war.
Zitternd stellte sie das Körbchen zu Boden und versuchte, die Hand aus der ihres Bruders zu lösen; der blinde Knabe aber ließ sie nicht los. Zwar verstand er, was man von seiner Schwester verlangte, zwar wußte er aus der Geschichte manchen Märtyrers, die man ihm erzählt hatte, was sie und ihn erwartete, wenn sie dem Römer Widerstand leisteten; doch er fürchtete sich nicht und flüsterte ihr zu: »Wir tun ihnen nicht den Willen, Martha; wir beten den Götzen nicht an, wir halten treu zu dem Heiland. Wende mich von der Bildsäule ab, und nun laß uns das ›Vaterunser‹ beten!«
Mit lauter Stimme und indem er die glanzlosen Augen zum Himmel aufschlug, sprach der Knabe das Gebet des Herrn. Selene hatte erst ihn und dann sich selbst von dem Götzen ab- und dem Strome zugewandt. Dann folgte sie mit erhobenen Händen dem Beispiel des Knaben.
Helios schmiegte sich fest an sie, ihr lautes Flehen verschmolz mit dem seinen, und beide sahen und hörten und fühlten nichts mehr von allem, was ihnen angetan wurde.
Das blinde Kind ahnte in weiter Ferne ein helles Licht, die Jungfrau ein seligeres, von Liebe gesättigtes Leben, während man sie vor dem Bilde des Kaisers zu Boden riß und das erregte Volk sich auf sie und ihr treues Brüderchen stürzte.
Der Militärtribun hatte die Menge vergeblich zurückzuhalten versucht.
Als es den Soldaten endlich gelungen war, die wütenden Bürger von ihren Opfern zu trennen, da waren schon die beiden jungen Herzen mitten im Triumph ihres Glaubens, mitten in der Hoffnung auf ein seligeres ewiges Leben auf immer zum Stillstand gelangt.
Das Geschehene bekümmerte den Hauptmann und beunruhigte ihn.
Diese Jungfrau, dies schöne Kind, die da als Leichen vor ihm lagen, hätten ein besseres Los verdient, und er konnte für ihren Tod verantwortlich gemacht werden; denn das Gesetz gebot, daß kein Christ ohne einen Richterspruch wegen seines Glaubens bestraft werden dürfe. So befahl er denn, die Erschlagenen in das Haus zu tragen, in das sie gehörten, und bedrohte jeden, der heute das Christenquartier betrete, mit schwerer Strafe.
Der Bettler ging schreiend den Bahren voran und trat in das Haus seines Bruders, um seiner Frau mitzuteilen, daß die lahme Christin Martha, die ihre Töchter zu Tode gepflegt habe, erschlagen worden sei. – Doch er erntete schlechten Lohn; denn die arme Frau beklagte Selene wie ihr eigenes Kind und verfluchte ihn und ihre Mörder.
Vor Sonnenuntergang gelangte Hadrian nach Besa, woselbst er prächtige Zelte fand, die ihn und sein Gefolge aufnehmen sollten.
Der Unfall, der seiner Bildsäule begegnet war, wurde ihm verschwiegen; er fühlte sich aber dennoch beängstigt und unwohl.
Er wünschte völlig allein zu sein und forderte Antinous auf, die Stadt in Augenschein zu nehmen, bevor es dunkelte.
Der Bithynier ergriff diese Erlaubnis freudig wie ein Geschenk der Götter, eilte durch die geschmückte Hauptstraße und ließ sich von hier aus durch einen Knaben in das Quartier der Christen führen.
Die Straßen dieses Viertels waren wie ausgestorben. Keine Tür war geöffnet, kein Mensch auf der Gasse zu sehen.
Antinous beschenkte den Buben, schickte ihn fort und ging hochklopfenden Herzens von einem Hause zum andern. Jedes sah sauber aus, und die meisten waren mit Bäumen und Sträuchern umgeben; obgleich aber aus manchem Dache Rauch aufstieg, schienen sie doch sämtlich verlassen. Endlich vernahm er von fern menschliche Stimmen. Er ließ sich von ihnen führen und gelangte durch eine schmale Gasse zu einem freien Platze, auf dem sich Hunderte von Leuten, Männer, Frauen und Kinder, vor einem Häuschen versammelt hatten, das in einem wohlgepflegten Palmengarten gelegen.
Einen alten Mann fragte er nach der Wohnung Frau Hannas, und der Greis wies schweigend auf das Gebäude, das die Aufmerksamkeit seiner Glaubensgenossen auf sich zog.
Das Herz des Jünglings schlug stürmisch schnell, und doch fühlte er sich bang und befangen; ja es drängte sich ihm die Frage auf, ob er nicht umkehren und morgen, wenn er Selene allein zu finden hoffen durfte, zurückkehren sollte.
Aber nein! Vielleicht war es ihm jetzt schon vergönnt, sie zu sehen.
Bescheiden bahnte er sich den Weg durch die Versammlung, die einen Gesang angestimmt hatte, von dem er nicht zu erkennen vermochte, ob er frohen oder trüben Empfindungen Ausdruck gab.
Jetzt stand er vor dem Tore des Gartens und sah die verwachsene Maria.
Sie kniete neben einer verdeckten Bahre und weinte.
War Frau Hanna gestorben?
Nein, sie lebte.
Da trat sie, auf einen alten Mann gestützt, zur Tür ihrer Wohnung heraus, bleich, gefaßt, ohne Tränen. Beide schritten vorwärts. Der Greis sprach ein kurzes Gebet, beugte sich dann nieder und hob die Hülle auf, die die Bahre bedeckte.
Antinous trat einen Schritt vor und taumelte gleich darauf wie vom Blitze getroffen zurück. Dabei schlug er die Hand vor die Augen und blieb wie angewurzelt stehen.
Keine leidenschaftliche Totenklage ließ sich hören.
Der Greis hielt eine Ansprache.
Rings um ihn her wurde leise geweint, gesungen und gebetet; Antinous aber sah und hörte nichts von dem allen.
Er hatte die Hand wieder gesenkt und wandte die Augen nicht von dem bleichen Antlitz der Verstorbenen ab, bis Frau Hanna die Bahre mit dem Tuche bedeckte. Aber auch dann noch blieb er stumm und regungslos stehen.
Erst als sechs Jungfrauen die einfache Sargkiste Selenes und vier Mütter die des kleinen Helios auf die Schultern nahmen und die ganze Versammlung sich mit ihnen entfernte, wandte er sich um und folgte dem Trauerzuge. Von fern sah er mit an, wie man den größeren und den kleineren Sarg in eine Felsengruft trug, wie Männer ihr Tor verschlossen und das Leichengefolge sich hierhin und dorthin zerstreute.
Zuletzt blieb er allein bei der Pforte des Grabes zurück.
Die Sonne ging unter, und das Dunkel breitete sich schnell über Tal und Hügel.
Als niemand mehr zu sehen war, der ihn beobachten konnte, breitete er die Arme aus, umfaßte die Pfeiler des Grufttores, preßte die Lippen auf die rauhe hölzerne Tür und schlug mit der Stirn an die Pforte, wenn der tränenlose Schmerz der Seele ihm den Körper schüttelte.
Minutenlang stand er so und hörte nicht die leisen Schritte, die sich ihm nahten.
Die verwachsene Maria kam, um noch einmal allein bei der Gruft ihrer liebsten Freundin zu beten.
Sie erkannte den Jüngling sogleich und rief ihm leise bei Namen.
»Maria,« versetzte er bewegt, erfaßte ihre Hand, drückte sie heftig und fragte: »Wie ist sie gestorben?«
»Erschlagen,« entgegnete sie dumpf. »Sie hat das Bild des Kaisers nicht anbeten wollen.«
Antinous schauerte bei dieser Antwort zusammen und fragte:
»Warum tat sie es nicht?«
»Weil sie ihrem Glauben treu blieb und auf die Gnade des Erlösers hoffte. Jetzt ist sie ein seliger Engel!«
»Weißt du das so gewiß?«
»So gewiß, wie ich wünsche, die Märtyrerin, die hier ruht, im Himmel wiederzufinden.«
»Maria!«
»Laß meine Hand los!«
»Willst du mir einen Dienst erweisen, Maria?«
»Gern, Antinous; aber bitte, rühre mich nicht an.«
»Nimm dies Geld und kaufe die schönsten Kränze, die es hier gibt. Lege sie auf ihren Sarg und rufe dabei: Von Antinous an Selene.«
Die Verwachsene nahm, was der Jüngling ihr gab und sagte:
»Ich sah sie oft für dich beten.«
»Zu ihrem Gotte?«
»Zu unserem Erlöser, damit er auch dir die Seligkeit schenke. Für Jesus Christus ist sie gestorben; nun weilt sie bei ihm, und er wird sie erhören.«
Antinous schwieg eine Zeitlang, dann bat er:
»Reiche mir doch noch einmal die Hand, Maria, und nun lebe wohl. Wirst du gern an mich denken und auch für mich zu eurem Erlöser beten?«
»Ja, ja, und du wirst auch mich armen Krüppel nicht ganz vergessen?«
»Gewiß nicht, du gutes Mädchen! Vielleicht sehen wir uns doch noch einmal wieder.«
Mit diesen Worten eilte Antinous den Hügel hinunter und durch die Stadt an den Nil.
Der Mond war aufgegangen und spiegelte sich in dem beruhigten Strom. So hatte sein Bild auch damals, als Antinous Selene gerettet, auf dem Meere geruht.
Der Jüngling wußte, daß der Kaiser ihn erwarte; er suchte aber dennoch seine Zelte nicht auf.
Eine große Erregung hatte sich seiner bemächtigt.
Unruhig schritt er am Gestade des Nils auf und nieder und rief sich schnell die Höhenpunkte seines vergangenen Lebens ins Gedächtnis zurück.
Jedes Wort des Gespräches, das gestern zwischen ihm und Hadrian geführt worden war, meinte er zum zweiten Male zu hören.
Mit greifbarer Deutlichkeit sah er seine bescheidene bithynische Heimat, sein Mütterchen und die Geschwister, denen er niemals wieder begegnen sollte, vor sich.
Noch einmal durchlebte er die schreckliche Stunde, in der er den gütigsten der Herren betrogen und in der er zum Brandstifter geworden. Eine große Angst überfiel ihn, als der Wunsch Hadrians ihm in den Sinn kam, ihn an die Stelle des Mannes zu setzen, den der weise Herrscher vielleicht infolge seiner Freveltat zum Nachfolger ernannt hatte.
Er, Antinous, der nicht von heute auf morgen zu denken vermochte, der jedem Gespräch mit ernsten Männern aus dem Wege ging, weil es ihm schwer fiel, ihrer Rede zu folgen, er, der nur zu gehorchen verstand, er, der sich nirgends wohl befand als da, wo er mit dem Gebieter und seinen Träumen fern von dem Treiben der Welt allein war – er, vom Purpur, von Sorgen mit bergesschwerer Verantwortlichkeit belastet!
Nein, nein, dieser Gedanke war unerhört, war gräßlich, und doch gab Hadrian keinen Vorsatz auf, dem er einmal Worte geliehen.
Die Zukunft stellte sich ihm wie ein furchtbarer Feind drohend vor die Seele.
Schmerz, Unruhe, Unglück starrten ihn an, wohin er auch schaute.
Was war das Entsetzliche, das seinen Gebieter bedrohte?
Es nahte, es mußte kommen, wenn nicht – wenn ja nicht einer sich fand, der sich zwischen ihn und das Verhängnis stellte und den Speer, den der zürnende Gott versandte, mit seiner Brust, mit seinem die Wunde still erwartenden Herzen auffing.
Er, ja er allein war dieser eine, er nur konnte es sein.
Wie ein plötzlich aufflammendes Licht erhellte ihm dieser Gedanke die Seele. Und fand er den Mut, sich zu opfern, für seinen lieben Herrn sich dem Tode zu weihen, dann war jede Schuld gegen ihn herrlich gesühnt – dann, dann – o wie wundervoll, o wie herrlich! – dann fand er vielleicht Eingang in die Tore jener seligen Welt, die Selenes Gebet ihm öffnete, dann sah er wohl bald sein Mütterchen wieder und den Vater und später auch die Geschwister, jetzt aber, in einer Stunde, in wenigen Minuten schon sie, die er liebte, und die ihm vorangegangen war in den Tod.
Ein so wonniges Hoffnungsgefühl wie er noch niemals empfunden, erfüllte ihm die Seele.
Da lag der Nil, da war ein Kahn!
Kräftig stieß er ihn ins Wasser und mit einem frischen Satze wie auf der Jagd, wenn es galt, von einem Felsen zum andern zu springen, schwang er sich in den Nachen.
Schon hatte er die Ruder ergriffen, als Mastor, der ihn im Auftrage des Kaisers suchte, ihn im Mondschein erkannte und ihn aufforderte, mit ihm zu den Zelten zurückzukehren.
Aber Antinous folgte ihm nicht, sondern rief, indem er tiefer in den Strom hineinfuhr:
»Grüße den Herrn, grüße ihn tausend- und tausendmal von mir und sage ihm, Antinous hätte ihn lieber gehabt als sein Leben. Das Schicksal verlangt ein Opfer. Die Welt kann Hadrians nicht entbehren; Antinous aber ist ein armes Nichts, das keiner vermißt als sein Kaiser, und Antinous wirft sich für ihn auf die Schlachtbank.«
»Halte ein, Unglücklicher, kehre zurück!« rief der Sklave, und warf sich in ein Boot; der Nachen des Bithyniers aber flog, von gewaltigen Ruderschlägen getrieben, rascher und rascher in den Strom hinein.
Mit dem Aufgebot aller Kräfte regte Mastor in dem anderen Kahne die Arme, er vermochte aber dennoch dem Fahrzeuge, das er verfolgte, nicht näher zu kommen.
So erreichten beide in wilder Wettfahrt die Mitte des Stromes. Da sah der Sklave die Ruder des Bithyniers durch die Luft fliegen. Einen Augenblick später hörte er Antinous laut den Namen »Selene« rufen, dann mußte er tatenlos mit ansehen, wie sich der Jüngling in die Wogen gleiten ließ und der Nil das schönste aller Opfer in seinen Fluten aufnahm.
Vierundvierzigstes Kapitel
Eine Nacht und die Hälfte eines Tages waren nach dem Tode des Bithyniers vergangen. Boote und Schiffe aus allen Teilen des Gaues hatten sich vor Besa zusammengefunden, um nach der Leiche des ertrunkenen Jünglings zu suchen, die Ufer wimmelten von Menschen; Pechpfannen und Fackeln auf dem Strom und am Lande hatten in der Nacht den Glanz des Mondes mit ihrem Lichte verdunkelt; trotzdem war bis dahin jede Mühe, den schönen Leichnam zu finden, vergebens gewesen.
Hadrian wußte, in welcher Weise Antinous gestorben.
Mastor hatte ihm die letzten Worte seines treuen Genossen mehr als einmal vorsagen müssen, und keines hinzugefügt oder vergessen. Das treue Gedächtnis des Kaisers hatte sie alle festgehalten, und nun blieb er bis zum Morgen und vom Morgen bis die Sonne die Mittagshöhe überschritten hatte, allein und wiederholte sie sich.
Ohne zu essen und zu trinken brütete er vor sich hin. Das Unglück, das ihn bedrohte, war eingetroffen, und welch ein Unglück? Wenn das Schicksal an Stelle der Leiden, die es für ihn bestimmt hatte, den Schmerz annahm, der ihm jetzt die Seele erfüllte, durfte er wohl auf sorgenlose Jahre rechnen; doch es wollte ihm scheinen, als hätte er lieber den Rest des Daseins mit seinem Antinous in Kummer und Elend durchlebt, als ohne ihn alles genossen, was die Menschen Größe und Herrlichkeit, Glück und Wohlergehen nennen. –
Sabina war mit ihrem und seinem Gefolge angekommen, – ein Heer von Menschen; doch hatte er streng befohlen, keinen, auch nicht die Gemahlin, zu ihm zu lassen. Der Trost der Tränen war ihm versagt; aber der Schmerz schnürte ihm das Herz zusammen, umdüsterte ihm den Geist und machte ihn so empfindlich, daß jede Stimme eines Bekannten, wenn er sie auch nur von fern hörte, ihn beunruhigte oder in Zorn versetzte.
Die zu Schiff Angekommenen durften die Zelte nicht beziehen, die in der Nähe des seinen für sie aufgeschlagen worden waren, weil er allein, ganz allein mit dem Jammer seiner Seele zu bleiben begehrte.
Mastor, in dem er bis dahin mehr eine nützliche Sache als einen Menschen gesehen hatte, trat ihm jetzt näher; war er doch der Zeuge des wundervollen Hinganges seines Lieblings gewesen.
Nach dem Ende der kummervollsten seiner Nächte fragte ihn der Sklave, ob er den Arzt aus dem Schiffe rufen sollte, denn er sehe so bleich aus; Hadrian verbot es ihm aber und sagte:
»Könnte ich nur weinen wie die Weiber oder wie andere Väter, denen der Tod ihre Söhne entreißt; das wäre für mich die beste Arznei. – Ihr Armen werdet es nun schlecht haben; denn die Sonne meines Lebens hat den Glanz, die Bäume an meinem Wege haben das grüne Laubwerk verloren.«
Als er wieder allein war, blickte er starr ins Leere und murmelte vor sich hin:
»Die ganze Menschheit soll mit mir klagen; denn wenn man gestern fragte, wie hohe Schönheit ihrem Geschlecht verliehen sei, so konnte sie stolz auf dich, du treuer Geselle, weisen und rufen: ›Die Schönheit der Götter‹. – Nun ward der Palme die Krone vom Stamme geschlagen, und das verstümmelte Ding muß sich über seine Häßlichkeit schämen. Wären die Sterblichen alle eine Person, würde sie heute aussehen wie ein Mann, dem man das rechte Auge aus dem Kopfe riß. Ich will die hageren und feisten Mißgestalten, die übrig blieben, nicht sehen, damit sie mir den Geschmack an der eigenen Art nicht verderben! O du treuer, du guter, du schöner Gesell, was bist du für ein verblendeter, wahnsinniger Tor gewesen! Und doch kann ich deine Narrheit nicht tadeln. Die tiefste Wunde von allen schlugst du meiner Seele, und ich darf dir deswegen nicht einmal zürnen. Übermenschlich, göttlich war deine Treue, und ich will sie dir heimzuzahlen versuchen!«
Bei dieser Versicherung erhob er sich und sagte fest und entschieden:
»Jetzt streck' ich die Hand aus und ihr Himmlischen hört mich: Jede Stadt im Reiche soll Antinous einen Altar errichten. Den Freund, den ihr mir raubtet, geb' ich euch nun zum Gefährten. Nehmet ihn freundlich auf, ihr unsterblichen Leiter der Welt! Wer von euch darf sich rühmen, schöner zu sein, als er war? Wer von euch hätte mir so Güte und Treue erwiesen wie euer neuer Genosse?
Dies Gelübde schien Hadrian wohlgetan zu haben.
Festen Schrittes ging er wohl eine halbe Stunde in seinem Zelt auf und nieder. Dann befahl er, den Geheimschreiber Heliodor zu rufen.
Der Grieche brachte zu Papier, was sein Herr ihm diktierte.
Es war nichts Geringeres, als das der Welt zu verkündende Gebot, in Antinous von nun an einen neuen Gott zu verehren.
Am Nachmittage brachte ein atemloser Bote die Nachricht, der Körper des Bithyniers sei aufgefischt worden.
Tausende eilten dem Leichnam entgegen. Unter ihnen Balbilla, die sich wie eine Verzweifelte gebärderte, als ihr mitgeteilt wurde, welches Ende ihr schöner Abgott genommen.
Mitten unter den Bürgern und Fischern war sie in schwarzen Trauergewändern und mit aufgelöstem Haar am Ufer auf und nieder geeilt. Die Ägypter verglichen sie mit der trauernden Isis, die die Leiche ihres geliebten Gatten Osiris sucht.
Sie wußte sich nicht zu fassen vor Leid, und die Gefährtin redete ihr vergeblich zu, sich zu mäßigen und ihres Standes und ihrer weiblichen Würde eingedenk zu bleiben. Aber Balbilla wies sie heftig zurück, und als die Nachricht kam, daß der Nil seine Beute freigegeben habe, eilte sie zu Fuß mitten unter der Menge dem Leichnam entgegen.
Ihr Name wurde überall genannt, jeder wußte, daß sie die Freundin der Kaiserin sei, und so wurde ihr denn auch willig Gehorsam gezollt, als sie den Trägern der Bahre, auf der der Wiedergefundene ruhte, befahl, sie zu Boden zu setzen und die Hülle von dem Leichnam zu entfernen.
Bleich und zitternd trat sie an den Ertrunkenen heran und senkte den Blick zu ihm nieder. Aber nur einen kurzen Augenblick ertrug sie den Anblick, der sich ihr darbot; dann wandte sie sich schaudernd von dem Entseelten ab und befahl den Trägern, weiter zu ziehen.
Als der Trauerzug verschwunden war, und sie das gellende Jammergeschrei der ägyptischen Weiber nicht mehr vernahm und nicht mehr sehen konnte, wie sie sich Brust und Stirn und Haare mit feuchter Erde bestrichen und die Arme wild in die Luft warfen, wandte sie sich an die Begleiterin und sagte ruhig:
»Laß uns nach Hause gehen, Claudia.«
Am Abend erschien sie bei der Mahlzeit schwarz gekleidet wie Sabina und alle Mitglieder ihres Gefolges, aber ruhig und wieder geneigt, Antwort auf jede Frage zu erteilen.
Der Baumeister Pontius war mit ihr von Theben nach Besa gefahren.
Sie hatte ihm nichts geschenkt, was ihn für sein langes Ausbleiben strafen konnte, und ihn ohne Erbarmen genötigt, ihre Verse auf Antinous mitanzuhören.
Er war dabei völlig ruhig geblieben und hatte ihre Gesänge gerade so beurteilt, als gälten sie keinem Menschen mit warmem Blut, sondern einer Bildsäule oder einem Gotte. Dieses Epigramm wurde von ihm gelobt, jenes bemängelt, ein drittes getadelt. Ihr Geständnis, daß sie Antinous gern mit Blumen und anderen Kleinigkeiten erfreut, hatte er achselzuckend entgegengenommen und freundlich bemerkt:
»Beschenke ihn nur weiter; ich weiß ja, daß du von diesem Gotte keine Gegengaben für deine Opfer verlangst.«
Dies Wort hatte sie überrascht und erfreut.
Pontius verstand sie immer und verdiente nicht, daß sie ihn kränkte.
Darum vertraute sie ihm auch, wie sehr sie Antinous liebe, solange er abwesend sei.
Dann lächelte sie und gestand, daß er ihr gleichgültig würde, sobald sie mit ihm zusammen.
Als sie nach dem Tode des Bithyniers alle Fassung verlor, ließ er sie ruhig gewähren und bat ihre Begleiterin, das gleiche zu tun.
Am Tage nach der Auffindung wurde die Leiche auf kostbarem Holze verbrannt.
Hadrian weigerte sich, sie zu sehen, als er erfuhr, daß der Tod im Wasser seinen Liebling grausam entstellt.
Wenige Stunden nachdem die Asche des Bithyniers in einer goldenen Vase gesammelt und Hadrian überbracht worden war, ging die Nilflotte, die diesmal auch den Kaiser trug, unter Segel, um ohne Aufenthalt nach Alexandria zu fahren.
Der Herrscher blieb ganz allein mit seinen Sklaven und einem Schreiber auf dem Schiffe, das ihn trug. Nur manchmal ließ er Pontius befehlen, sein Nilboot zu verlassen und ihn auf dem seinen zu besuchen. Er hörte gern die tiefe Stimme des Baumeisters und sprach mit ihm über die Pläne, die von ihm für sein Mausoleum in Rom entworfen worden waren, sowie von dem Grabmal, das der Herrscher in einer großen, an Stelle des kleinen Besa neu zu errichtenden Stadt, die er jetzt schon Antinoe nannte, dem Verstorbenen nach seinem eigenen Entwurfe errichten lassen wollte.
Aber diese Unterredungen nahmen immer nur einige Stunden in Anspruch, und nach ihnen konnte der Baumeister wieder auf das Schiff Sabinas zurückkehren, an dessen Bord sich auch Balbilla befand.
Einige Tage nach dem Aufbruche von Besa saß er am Abend ganz allein mit der Dichterin auf dem Decke des Nilboots, das, vom Strom getragen und von hundert Rudern getrieben, sich schnell und ohne Aufenthalt seinem Ziele näherte.
Pontius hatte es seit dem Tode des unglücklichen Jünglings sorgfältig vermieden, mit ihr über Antinous zu reden.
Jetzt war sie wieder so aufmerksam und gesprächig geworden wie je vorher, und in ihren Augen schimmerte sogar bisweilen ein Strahl der alten sonnigen Heiterkeit ihres Wesens.
Der Baumeister meinte den eigentümlichen Umschlag ihrer Empfindungen zu verstehen und rührte nicht an die Ursache des heftigen, aber schnell erloschenen Fiebers, unter dem sie gelitten.
»Was hattest du heute mit dem Kaiser zu verhandeln?« fragte Balbilla den Freund.
Pontius schaute zu Boden und bedachte, ob er den Namen Antinous vor der Dichterin aussprechen dürfe.
Balbilla bemerkte sein Zaudern und rief:
»Sprich nur! Alles kann ich jetzt hören. Mit dieser Torheit ist es vorbei.«
»Der Kaiser arbeitet an dem Plane für eine neu zu erbauende Stadt Antinoe und an dem Entwurfe für ein Denkmal seines armen Lieblings,« entgegnete Pontius. »Helfen läßt er sich nicht; ich muß ihn indes lehren, das Unmögliche von dem Möglichen, dem Ausführbaren zu unterscheiden.«
»Er schaut eben nach den Sternen, und du siehst fest auf den Weg, den du wandelst.«
»Was wankt und des sicheren Grundes entbehrt, kann der Baumeister nicht brauchen.«
»Das war ein hartes Wort, Pontius. In den letzten Wochen hab' ich mich gewiß recht närrisch benommen.«
»Möchte doch alles Schwankende das Gleichgewicht so schnell und gut wieder finden! Antinous war ein Halbgott an Schönheit, und dazu, was mir mehr gilt, ein braver, treuer Gesell.«
»Sprich mir nicht mehr von ihm,« bat Balbilla, und schauderte zusammen. »Sein Anblick war gräßlich. Kannst du mir mein Betragen vergeben?«
»Ich zürnte dir niemals.«
»Deine Achtung aber ging mir verloren.«
»Nein, Balbilla. Die Schönheit, die jedem teuer ist, den die Muse küßt, zog die leicht beschwingte Dichterseele nur an, und sie flog in die Irre. Mochte sie fliegen! Die edle Weiblichkeit meiner Freundin ist ihr niemals gefolgt. Sie steht auf festem Grunde, das weiß ich.«
»Welch ein gutes, welch ein freundliches Wort! Aber es ist zu gut und zu freundlich! Ein armes, vom Winde bewegtes Geschöpf bin ich dennoch, eine eitle Törin, die in dieser Stunde nicht weiß, was sie in der nächsten begeht, ein verwöhntes Kind, das am liebsten tut, was es lassen sollte, ein schwaches Mädchen, dem es Freude gewährt, gegen Männer zu streiten. Alles in allem . . .«
»Alles in allem, ein holder Liebling der Götter, der heute kräftigen Schrittes Felsen ersteigt und sich morgen über Blumen im Sonnenschein wiegt, alles in allem ein Wesen, dem kein anderes gleichsieht und dem nichts und gar nichts fehlt, um ein vollendetes Weib zu sein, als . . .«
»Ich weiß, was mir fehlt,« rief Balbilla. »Ein kräftiger Mann, der mich stützt, und auf dessen Warnung ich höre. Du, du bist dieser Mann, du und kein anderer; denn sobald ich dich bei mir weiß, wird es mir schwer, etwas anderes zu tun, als was recht ist. Da bin ich, Pontius! Willst du mich haben mit all meinen Launen, meinen Fehlern und Schwächen?«
»Balbilla!« rief der Baumeister, außer sich vor herzerschütternder Überraschung, und drückte ihr die Lippen fest und lange auf die kleine Hand.
»Du willst? Willst mich haben? Mich nie verlassen, mich warnen, stützen und hegen?«
»Bis an mein Ende, bis in den Tod, wie mein Kind, wie meine Augen, wie – darf ich's denn glauben und sagen, wie – nein, als, als meine Geliebte, als mein anderes Ich, als mein Weib!«
»O Pontius, Pontius,« versetzte sie warm, und umfaßte seine kräftige Rechte mit beiden Händen. »Diese Stunde gibt der Waise Balbilla Vater und Mutter zurück und schenkt ihr dazu den Mann, den sie lieb hat.«
»Mein, mein!« rief der Baumeister. »Ihr ewigen Götter, ein Leben lang hab' ich in Mühe und Arbeit keine Zeit gefunden, mich des Glücks der Liebe zu freuen, und nun zahlt ihr den Schatz, den ihr mir so lange entzogt, mit Zins und Zinseszinsen heim.«
»Kannst du, besonnener Mann, den Wert deines Kleinods so überschätzen? Aber etwas Gutes wirst du doch an ihm finden. Es kann sich das Leben nicht mehr lebenswert denken ohne seinen Besitzer.«
»Und mir erschien es schon lange öde und kalt ohne dich, du seltsames, einziges, unvergleichliches Wesen!«
»Aber warum kamst du nicht früher und ließest mir Zeit, wie eine Närrin zu handeln?«
»Weil, weil,« entgegnete Pontius ernst, »weil mir der Flug nach der Sonne zu kühn schien, weil ich bedachte, daß der Vater meines Vaters . . .«
»Daß er der edelste Mann war, der den Ahn meines Hauses zu seiner Größe heranzog.«
»Er war, bedenke das wohl in dieser Stunde – deines Großvaters Sklave war er.«
»Ich weiß es; aber ich weiß auch, daß mir kein Mann auf Erden bekannt ist, der der Freiheit würdiger wäre als du, und den ich so demütig bitten möchte wie dich: Nimm mich, die arme, törichte Balbilla, zum Weibe, führe mich und mache aus mir, was noch aus mir werden kann, zu deiner und meiner Ehre!«
Die schnelle Nilfahrt brachte dem Baumeister und seiner Geliebten Tage und Stunden des höchsten Glückes. Bevor die Flotte in den mareotischen Hafen Alexandrias einfuhr, eröffnete Pontius dem Kaiser sein schönes Geheimnis. Hadrian lächelte dabei seit dem Tode des Lieblings zum erstenmal, und befahl dem Architekten, Balbilla zu ihm zu führen.
»Ich deutete den Spruch falsch, den Pythia dir damals erteilte,« sagte er, indem er die Hand der Dichterin in die des Baumeisters legte. »Willst du wissen, Pontius, wie er lautet? Du brauchst mir nicht nachzuhelfen, liebes Kind. Was ich einmal und zweimal lesen durfte, das vergesse ich niemals. Pythia sagte:
›Was dir das Teuerste war und das Höchste, du wirst es verlieren;
Und von olympischen Höh'n steigst du zum Staube herab;
Aber der prüfende Blick entdeckt unter fliegendem Sande
Dauerndes Quadergebäu, Marmor und felsigen Grund.‹
Du hast gut gewählt, Mädchen; das Orakel verbürgt dir eine Wanderung auf fester Bahn durch das Leben. Was den Staub angeht, von dem es redet, so ist er ja in gewissem Sinne vorhanden; diese Hand aber führt einen Besen, der ihn fortzufegen vermag. Für das Dekret, das eurer Ehe zustimmt, die das Gesetz wegen des Unterschiedes eurer Herkunft verbieten möchte, trage ich Sorge. Feiert in Alexandria, sobald ihr wollt, die Hochzeit; dann aber zieht ihr nach Rom. – Das ist die Bedingung, die ich euch stelle. Es lag mir immer am Herzen, dem Ritterstand neue, würdige Mitglieder zuzuführen; denn nur so kann es gelingen, sein gesunkenes Ansehen wieder zu heben. Dieser Ring macht dich zum Ritter, mein Pontius, und für einen Mann wie du, für den Gatten Balbillas und den Freund des Kaisers, findet sich wohl auch später ein Sitz im Senate. Was sich mit Quadern und Marmor in unserer Zeit herstellen läßt, das zeige beim Bau meines Grabmals. Hast du den Plan für die Brücke geändert?«
Fünfundvierzigstes Kapitel
In Alexandria war die Kunde von der Ernennung des »falschen Eros« zum Nachfolger des Kaisers mit Jubel aufgenommen worden, und wiederum benutzten die Bürger diese günstige Gelegenheit, um ein Fest auf das andere folgen zu lassen.
Titianus trug Sorge, daß die üblichen Gnadenakte zur Ausführung kamen, und so öffnete sich auch das Gefängnis von Kanopus, und der Bildhauer Pollux wurde freigelassen.
Der unglückliche Künstler war in der Gefangenschaft wohl bleich geworden, doch weder abgemagert, noch körperlich entkräftet; dagegen schien die Frische seines Gemüts, sein froher Lebensmut und freudiger Schaffensdrang völlig gebrochen.
Auf seinen Zügen malte sich, während er in dem zerrissenen und beschmutzten Chiton von Kanopus nach Alexandria wanderte, weder lebhafte Dankbarkeit für das unerwartete Geschenk der Freiheit, noch Freude über die Aussicht, die Seinen und Arsinoe bald wieder zu finden.
In der Stadt ging er, teilnahmlos vor sich hinbrütend, von einer Straße in die andere, aber er kannte seine Heimat genau, und seine Füße fanden den Weg zu dem Hause der Schwester.
Wie freute sich Diotima, wie jubelten ihre Kinder, wie ungeduldig zeigte sich jedes, ihn zu den Alten zu führen! Wie hoch sprangen vor dem neuen Häuschen Euphorions die Grazien zu dem Heimkehrenden hinan!
Und Doris, der armen Doris vergingen vor freudigem Schreck die Sinne, und ihr Gatte mußte sie in den langen Armen auffangen, als ihr verschwundener und doch nie verloren gegebener Liebling plötzlich vor ihr stand und gelassen sagte: »Da bin ich.« Und wie zärtlich herzte und küßte die Alte sodann den guten bösen, endlich zurückgekehrten Flüchtling!
Auch der Sänger gab seiner Freude in Versen und Prosa lebendigen Ausdruck und holte sein schönstes Theatergewand aus der Truhe, um den zerrissenen Chiton seines Sohnes damit zu vertauschen.
Ein kräftiger Strom von Verwünschungen und Flüchen floß ihm von den Lippen, als Pollux nun seine Geschichte erzählte.
Man machte es dem Bildhauer schwer, sie zu Ende zu bringen; denn der Vater unterbrach ihn bei jedem Worte, und die Mutter zwang ihn während des Redens unaufhörlich zu essen und zu trinken, auch noch, als er nicht mehr konnte.
Nachdem er längst versichert hatte, daß er satt sei, schob sie zwei neue Töpfe ans Feuer; denn er mußte ja im Gefängnis ausgehungert sein, und wenn er jetzt auch schnell gesättigt war, stellte der rechte Hunger sich vielleicht nachher um so kräftiger ein.
Euphorion führte Pollux am Abend selbst ins Bad und wich ihm auch nach ihrer gemeinsamen Heimkehr nicht von der Seite.
Das Bewußtsein, ihn in seiner Nähe zu wissen, tat ihm gut wie eine angenehme körperliche Empfindung.
Der Sänger war sonst nicht neugierig; heute aber hörte er nicht auf zu fragen, bis die Mutter ihren Sohn zu dem frisch gerüsteten Bett führte.
Nachdem der Künstler sich niedergelegt hatte, trat die Alte noch einmal in seine Kammer, küßte ihm die Stirn und sagte:
»Heute dachtest du noch zu viel an den gräßlichen Kerker; morgen aber, mein Junge, nicht wahr, morgen bist du wieder der Alte?«
»Laß nur, Mutter, es wird schon besser,« versetzte er dankbar. »Solches Bett ist ein Schlaftrunk; das Holz im Gefängnis war anders.«
»Nach deiner Arsinoe frugst du noch gar nicht,« bemerkte Doris.
»Was soll ich mit ihr? Jetzt laß mich schlafen.«
Am folgenden Morgen zeigte sich Pollux ebenso wie am vergangenen Abend, und mehrere Tage lang blieb sein Zustand unverändert der gleiche. Er hing den Kopf, sprach nur, wenn man ihn fragte, und so oft Doris oder Euphorion auch versuchten, ihm von der Zukunft zu reden, fragte er: »Bin ich euch lästig?« oder bat: »Ihr sollt mich nicht quälen.«
Dabei war er freundlich, nahm die Kinder der Schwester auf den Arm, spielte mit den Grazien, pfiff den Vögeln etwas vor, ging auf und nieder und stand bei der Mahlzeit tapfer seinen Mann. Dann und wann fragte er auch wieder nach Arsinoe. Einmal ließ er sich auch zu ihrer Wohnung führen, indes pochte er nicht an die Tür Paulinas, und schien sich vor dem stattlichen Hause zu fürchten.
Nachdem er eine Woche untätig und so schlaff und arbeitsscheu dahingedämmert war, daß sich das Herz seiner Mutter, wenn sie ihn anschaute, mit tiefer Besorgnis erfüllte, kam sein Bruder Teuker auf einen glücklichen Gedanken.
Der junge Steinschneider war sonst kein häufiger Gast im Hause der Eltern; doch seit der Heimkehr des armen Pollux besuchte er sie beinahe täglich.
Seine Lehrzeit war vorüber, und er schien auf dem Wege, ein großer Meister in seiner Kunst zu werden. Dennoch schätzte er die Begabung des Bruders viel höher als die eigene und hatte auf Mittel gesonnen, den entschlummerten Schaffenstrieb des Unglücklichen neu zu erwecken.
»An diesem Tische,« erklärte Teuker der Mutter, »pflegt Pollux zu sitzen. Heut abend bring' ich einen Klumpen Ton und ein gutes Stück Wachs. Das alles stellst du auf die Tafel und legst seine Werkzeuge daneben. Wenn er sie sieht, bekommt er vielleicht wieder Lust zur Arbeit. Entschließt er sich, auch nur ein Püppchen für die Kinder zu formen, so kommt er schon wieder in Zug, und nach dem Kleinen geht er zu Größerem über.«
Teuker brachte die versprochenen Dinge, Doris stellte sie auf den Tisch, legte die Werkzeuge daneben und wartete am folgenden Morgen hochklopfenden Herzens auf das Verhalten des Sohnes.
Wie immer seit seiner Heimkehr stand er auch heute spät auf und blieb lange vor der Suppenschüssel sitzen, die die Mutter zum Frühmahl aufgetragen hatte. Dann schlenderte er an einen Tisch, blieb vor ihm stehen, nahm ein Stückchen Ton in die Hand, zerwirbelte es zwischen den Fingern zu Kugeln und Walzen, führte eine davon den Augen näher, um sie genau zu betrachten, warf sie dann auf die Erde und sagte, indem er beide Hände auf die Tafel stützte und sich weit zu der Mutter vorbeugte:
»Ihr wollt, daß ich wieder arbeite; aber es geht nicht; ich bringe doch nichts zustande.«
Der alten Frau traten Tränen in die Augen, doch erwiderte sie ihm nichts.
Am Abend bat Pollux sie, die Werkzeuge fortzulegen.
Nachdem er zur Ruhe gegangen war, tat sie es, und während sie in der dunklen Kammer, in der sie das Gerät mit allerlei unnützen Dingen aufbewahrt hatte, umherleuchtete, fiel ihr Blick auf das begonnene Wachsmodell, die letzte Arbeit ihres unglücklichen Sohnes.
Da kam ihr ein neuer Gedanke.
Sie rief Euphorion, ließ ihn den Ton in den Hof werfen und das Modell neben das Wachs auf den Tisch stellen.
Sie selbst legte genau dieselben Instrumente, die er an dem verhängnisvollen Tage ihrer Vertreibung von der Lochias gebraucht hatte, neben das schön angelegte Bildwerk, und bat ihren Gatten, mit ihr in aller Frühe das Haus zu verlassen und bis Mittag auszubleiben.
»Gib acht,« sagte sie, »wenn er seinem letzten Werke gegenübersteht und keiner ihn stört oder ihm zuschaut, findet er die Enden der zerschnittenen Fäden wieder, und vielleicht gelingt es ihm, sie aufzunehmen und die Arbeit fortzuspinnen, in der man ihn unterbrach.«
Das Mutterherz hatte das Rechte getroffen.
Als Pollux die Suppe gegessen hatte, trat er genau wie gestern an den Tisch; doch der Anblick seiner letzten Arbeit wirkte ganz anders auf ihn als der des Tons und des Wachses.
Die Augen erhellten sich ihm. Mit prüfenden Blicken ging er um den Tisch herum und betrachtete sein Werk so aufmerksam, so gespannt, als sähe er etwas besonders Schönes zum ersten Male. Erinnerungen wurden in ihm lebendig. Laut lachte er auf, schlug in die Hände und murmelte vor sich hin: »Prachtvoll! Aus dem Dinge da kann etwas werden.«
Das matte Wesen wich von ihm, ein zuversichtliches Lächeln trat ihm auf die Lippen, und diesmal griff er fest in das Wachs.
Aber er begann nicht sogleich mit der Arbeit; er prüfte nur, ob er noch Kraft in den Fingern habe und ob der bildsame Stoff geneigt sei, sich seinem Willen zu fügen.
Das Wachs ließ sich nicht weniger gehorsam von ihm biegen und dehnen als in früheren Tagen.
Dann war auch vielleicht die Angst, die ihm das Leben verdarb, die Furcht, daß er im Kerker aufgehört, ein Künstler zu sein, und daß er das alte tüchtige Können eingebüßt habe, nichts als ein törichter Wahn!
Versuchen mußte er wenigstens, ob es mit dem Schaffen noch ging.
Niemand war da, der ihn beobachten konnte, und so mochte denn das Wagnis beginnen.
Heller Angstschweiß perlte ihm auf der Stirn, als er endlich seine Willenskraft fest zusammennahm, die Locken zurückwarf und mit beiden Händen ein großes Stück Wachs ergriff.
Da stand die Antinousstatue mit ihrem halb vollendeten Kopfe.
Ob es ihm wohl noch gelingen konnte, dies schöne Haupt aus freier Hand nachzubilden?
Sein Atem wehte schneller, die Finger zitterten ihm, als er mit der Arbeit begann.
Bald gewannen die Hände die alte Ruhe zurück, der Blick seiner Augen wurde wieder scharf und stetig, und das Werk schritt vorwärts.
Das schöne Antlitz des Bithyniers stand ihm mit greifbarer Deutlichkeit vor Augen, und als vier Stunden später seine Mutter in das Fenster schaute, um zu sehen, was Pollux treibe und ob ihr Anschlag gelungen – da schrie sie laut auf vor freudiger Überraschung; denn ähnlich in jedem Zuge stand das Haupt des Günstlings neben dem begonnenen Modell.
Bevor sie noch die Schwelle überschritten hatte, stürzte der Sohn ihr entgegen, hob sie zu sich empor, küßte ihr die Stirn und den Mund und rief strahlend vor Glück:
»Mutter, ich kann doch noch schaffen; Mutter, Mutter, ich bin nicht verloren!«
Am Nachmittag kam der Bruder des Bildhauers und sah, was Pollux gemacht.
Nun erst konnte Teuker sich recht des Wiedergefundenen freuen.
Während die beiden Künstler zusammensaßen und der Steinschneider dem Bildhauer, der über das schlechte Licht im Hause der Eltern klagte, vorschlug, seine Statue in der hellen Werkstätte seines Meisters zu vollenden, stieg Euphorion still in den hintersten Grund seines Vorratsschuppens und brachte eine Amphora mit edlem Wein von Chios ans Licht, die ihm von einem reichen Kaufherrn geschenkt worden war, für dessen Hochzeit er einem Jünglingschor den Hymenäus einstudiert hatte. Zwanzig Jahre lang verwahrte er schon diesen Krug für ein besonders glückliches Ereignis. Er und seine beste Laute waren die einzigen Gegenstände, die Euphorion mit eigener Hand von der Lochias zu seiner Tochter und dann in sein neues Häuschen getragen hatte.
Würdevoll und stolz stellte der Sänger die alte Amphora vor seine Söhne; Doris aber bedeckte sie schnell mit den Händen und sagte:
»Ich gönne euch wahrhaftig die gute Gabe und tränke auch gern einen Becher mit euch; aber ein kluger Feldherr feiert kein Siegesfest vor der gewonnenen Schlacht. Sobald die Statue des schönen Burschen fertig ist, bekränze ich selbst den ehrwürdigen Krug mit Efeu und bitte dich, ihn uns zu gönnen, mein Alter; doch – es ist gut so – nicht eher!«
»Die Mutter hat recht,« rief Pollux. »Die Amphora ist nun einmal für mich bestimmt, und wenn ihr es erlaubt, so reißt der Vater ihr erst das schwere Pechhaar vom Kopfe, wenn mir meine Arsinoe wieder gehört.«
»Recht so, mein Junge!« fiel ihm Doris ins Wort. »Dann aber bekränz' ich nicht nur den Krug, sondern uns alle mit lauter duftenden Rosen.«
Am nächsten Tage ging Pollux mit dem begonnenen Modell in die Werkstätte des Meisters seines Bruders.
Der würdige Künstler räumte dem Bildhauer den besten Platz ein, denn er schätzte ihn hoch und meinte das Anrecht, das dem armen jungen Manne durch den nichtswürdigen Papias zugefügt worden war, soweit es an ihm lag, gutmachen zu sollen.
Vom Aufgang der Sonne bis der Abend sich neigte war Pollux nun bei der Arbeit.
Mit wahrer Leidenschaft gab er sich der neu erwachenden Schaffensfreude hin. Statt des Wachses bediente er sich des Tons und bildete eine hohe Figur, die Antinous als jungen Bacchus darstellte, wie er den Seeräubern erschienen. Ein langer, faltiger Mantel floß ihm leicht von der linken Schulter bis zu den Knöcheln nieder und ließ die runde, schön gewölbte Brust und den rechten Arm völlig frei. Weinlaub und Trauben schmückten ihm das reiche Lockenhaar, und ein Pinienapfel krönte ihm, einer Flamme vergleichbar, den Scheitel. Der linke Arm war in anmutiger Biegung erhoben. In den leicht gekrümmten Fingern spielte der hohe Thyrsusstab, der sich auf den Boden stützte und das herrliche Haupt des neuen Gottes überragte. Halb von dem Mantel verborgen stand neben dieser unvergleichlichen Jünglingsgestalt ein prächtiger Weinkrug.
Eine Woche lang hatte Pollux, solange es Tag war, sich seiner Aufgabe mit allem Fleiß und Eifer hingegeben. Bevor die Nacht anbrach, pflegte er die Arbeit abzuschließen und vor dem Haus Paulinas auf und nieder zu gehen; einstweilen unterließ er es jedoch, an die Tür zu klopfen und nach der Geliebten zu fragen. Er wußte von der Mutter, wie ängstlich seine Braut vor ihm und den Seinen behütet wurde; die Strenge der Christin hätte den Künstler indessen wahrlich nicht gehindert, den Versuch zu wagen, sich seines teuersten Besitzes zu bemächtigen. Was ihn abhielt, sich jetzt Arsinoe auch nur zu nähern, war das Gelübde, das er sich selbst gegeben, sie nicht eher aus ihrer neuen, sicheren Heimat zu locken, als bis er die feste Überzeugung gewonnen, immer noch ein Künstler zu sein, der hoffen konnte. Großes zu schaffen, und es wagen durfte, das Geschick eines geliebten Wesens an sein Dasein zu ketten.
Als er am Morgen des achten Arbeitstages ein wenig ausruhte, trat der Meister seines Bruders vor das fortschreitende Werk und rief, nachdem er es lange betrachtet:
»Herrlich, herrlich; unsere Zeit schuf, mein' ich, nichts Gleiches!«
Eine Stunde später stand Pollux vor dem Stadthause Paulinas und ließ den Klopfer kräftig auf die Tür fallen.
Der Hausmeister öffnete ihm und fragte nach seinem Begehr. Er verlangte Frau Paulina zu sprechen; doch sie war nicht zu Hause.
Dann fragte der Bildhauer nach Arsinoe, der Tochter des Keraunus, die bei der Witwe Aufnahme gefunden.
Der alte Diener schüttelte das Haupt und sagte:
»Die Herrin läßt sie verfolgen. Seit gestern abend ist sie verschwunden. Ein undankbares Geschöpf! Schon mehrmals hatte sie zu entwischen versucht.«
Der Künstler lachte, schlug dem Hausmeister auf die Schulter und rief:
»Ich finde sie schon!«
Dabei sprang er auf die Straße und eilte zu den Eltern zurück.
Arsinoe hatte viel Gutes im Hause Paulinas erfahren, aber auch manche schlimme Stunde in ihm verlebt.
Monatelang war sie des Glaubens gewesen, ihr Geliebter sei umgekommen.
Pontius hatte ihr mitgeteilt, Pollux sei verschwunden, und ihre Wohltäterin pflegte von ihm nur wie von einem Verstorbenen zu reden.
Das arme Kind hatte ihm manche Träne nachgeweint. Als die Sehnsucht, mit jemand, der ihn liebgehabt, über ihn zu reden, sie endlich übermannt hatte, bat sie Paulina, ihr zu gestatten, seine Mutter besuchen oder doch Frau Doris zu sich bescheiden zu dürfen.
Aber die Witwe befahl ihr, jeden Gedanken an den Götzenbildner und seinen Anhang aufzugeben, und sprach mit Verachtung von der Torhütersfrau.
Gerade in dieser Zeit verließ auch Selene die Stadt, und nun wuchs die Sehnsucht, die alten Freunde wiederzusehen, in dem vereinsamten Mädchen bis zur Leidenschaft an.
Eines Tages folgte sie dem Drange ihres Herzens und schlich sich auf die Straße, um Doris aufzusuchen. Aber der Pförtner, dem Paulina den Auftrag gegeben, ihr den Ausgang aus dem Tor niemals ohne ihre besondere Erlaubnis zu gestatten, bemerkte sie und führte sie nicht nur dies eine Mal, sondern auch bei mehreren späteren Fluchtversuchen zu der Pflegemutter zurück.
Es war nicht allein die Sehnsucht nach einem Gespräch über Pollux, die Arsinoe den Aufenthalt in ihrem neuen Heim unerträglich machte, sondern noch mancher andere Grund.
Sie fühlte sich wie eine Gefangene, und sie war es in der Tat; denn nach jedem Fluchtversuche erlitt die Freiheit ihrer Bewegungen größere Beschränkung.
Zwar hatte sie bald verlernt, sich geduldig in alles, was von ihr verlangt wurde, zu fügen, und sie war sogar ihrer Pflegemutter oft mit heftigen Worten, Tränen und Verwünschungen entgegengetreten; aber diese unerfreulichen Auftritte, die stets mit der Versicherung Paulinas, daß sie ihr vergebe, ein Ende nahmen, hatten stets lange Pausen in den Spazierfahrten und mancherlei kleine Kränkungen zur Folge gehabt.
Arsinoe begann ihre Wohltäterin und alles, was von ihr ausging, zu hassen. Auch die Unterrichts- und Gebetszeiten, denen sie sich nicht entziehen konnte, wurden für sie zu wahren Marterstunden. Bald verwechselte sie die Lehre, für die sie gewonnen werden sollte, mit derjenigen, die sie ihr aufdrängen wollte, und verschloß ihr trotzig das Herz.
Der Bischof Eumenes, der im Frühling zum Patriarchen der alexandrinischen Christen erwählt worden war, besuchte sie im Sommer, während Paulina das Landhaus bewohnte, häufiger als sonst. Ihre Pflegemutter glaubte zwar, daß sie seiner Hilfe entbehren und ihre Aufgabe allein zu Ende führen könne und müsse; der würdige Greis hatte indes dem armen, schlecht geleiteten Kinde seine Teilnahme zugewandt und suchte es zu beruhigen und ihm das Ziel, zu dem Paulina es führen wollte, in seiner ganzen Schönheit zu zeigen.
Nach solchen Gesprächen wurde Arsinoe weich und fühlte sich geneigt zu glauben und Gott und Christus zu lieben; – sobald die Pflegemutter sie aber wieder in das Lehrzimmer rief und ihr dieselben Dinge in ihrer Weise vortrug, schnürte sich das Herz der Jungfrau zusammen, und wenn sie beten sollte, erhob sie zwar die Hände, doch betete sie schon aus Trotz nur zu den hellenischen Göttern. Manchmal wurde Paulina von heidnischen Frauen in reichem Putze besucht, und ihr Anblick erinnerte Arsinoe immer an frühere Tage. Wie arm war sie damals gewesen; und doch hatte sie immer ein blaues oder rotes Band besessen, um das Haar damit zu durchflechten und den Peplos zu umsäumen.
Jetzt durfte sie nur noch weiße Gewänder tragen, und auch der ärmlichste bunte Schmuck, um die Locken oder das Kleid zu verzieren, wurde ihr streng entzogen. Solch eitler Tand, pflegte Paulina zu sagen, sei gut für die Heiden, der Herr sähe nicht auf den Leib, sondern in die Herzen.
Ach – das arme Herz des unglücklichen Kindes konnte dem Vater im Himmel wahrlich keinen erfreulichen Anblick gewähren; denn es tobten darin Haß und Überdruß, Kummer, Ungeduld und Lästerung von früh bis zum Abend.
Dies junge Gemüt war gewiß für Liebe und Frohsinn geschaffen, und dennoch hatten beide es trauernd verlassen.
Aber Arsinoe hörte nicht auf, sich nach beiden zu sehnen.
Als der November begann und ihr beim Umzug in das Stadthaus ein neuer Fluchtversuch mißglückt war, versuchte Paulina sie damit zu strafen, daß sie vierzehn Tage lang kein Wort mit ihr sprach und auch den Sklavinnen verbot, mit ihr zu reden.
In diesen Wochen war das gesprächige Griechenkind der Verzweiflung nahe, ja es kam ihm ernstlich der Gedanke, auf das Dach zu fliehen und sich in den Hof zu stürzen. Aber Arsinoe hing zu fest am Leben, um diesen gräßlichen Vorsatz zur Ausführung zu bringen. Am ersten Dezember sprach Paulina wieder mit ihr, verzieh ihr wie immer in einer langen, gütigen Rede ihren Undank und nannte ihr die Zahl der Stunden, die sie im Gebet für ihre Besserung und Erleuchtung zugebracht habe.
Paulina sagte die Wahrheit, indessen doch nur die halbe; denn sie hatte niemals die rechte Liebe für Arsinoe empfunden und sah sie längst mit Abneigung kommen und gehen; doch sie brauchte ihre Bekehrung, damit durch sie der heißeste Wunsch ihres Herzens Erfüllung fände.
Um der Seligkeit ihrer verstorbenen Tochter, nicht um der widerspenstigen Hausgenossin willen flehte sie um ihre Erleuchtung, ließ sie nicht nach in der Bemühung, das verstockte Herz ihres Pfleglings dem Glauben zu öffnen.
Am Nachmittag, der dem Morgen vorausging, an dem Pollux endlich an die Pforte der Christin klopfte, schien die Sonne besonders hell, und Paulina hatte dem Pfleglinge mit ihr auszufahren gestattet.
Bei einer christlichen Familie, die am Ufer des mareotischen Sees wohnte, hatte sie sich längere Zeit aufgehalten, und so war es gekommen, daß ihre Heimkehr sich bis zum Abend verspätet.
Arsinoe hatte längst gelernt, während sie scheinbar zu Boden blickte, aus der Kutsche zu schauen und alles zu sehen, was sich an ihnen vorbei bewegte. Als der Wagen nun in ihre Straße eingebogen war, hatte sie von fern einen großen Mann bemerkt, der ihrem vielbeweinten Pollux gleichsah.
Tief atmend hatte sie die Augen auf ihn geheftet und sich Zwang antun müssen, um nicht laut aufzuschreien; denn er und kein anderer war es, der dort langsam die Straße hinabging. Sie konnte sich nicht irren – hatten doch die Fackeln zweier Sklaven, die einer Sänfte vorangingen, ihn hell beleuchtet.
Er war nicht verloren, er lebte, er suchte sie!
Am liebsten hätte sie laut aufgejubelt vor Wonne, doch sie hatte sich nicht geregt, bis der Wagen Paulinas vor ihrem Hause stillgestanden war.
Wie immer hatte der Pförtner sich beeilt, um der Herrin beim Aussteigen aus der hochgebauten Rheda zu helfen. Jetzt wandte Paulina Arsinoe den Rücken, und im gleichen Augenblick war sie aus der entgegengesetzten Seite der bedeckten Kutsche gesprungen und die Straße hinuntergeeilt, in der sie den Geliebten gesehen.
Bevor ihre Pflegemutter ihr Verschwinden bemerken konnte, befand sich die Fliehende mitten unter den Tausenden, die zur Zeit des Feierabends aus den Werkstätten und Fabriken nach Hause strömten.
Die Sklaven Paulinas, die sogleich ausgesandt wurden, um den Flüchtling zu fangen, mußten diesmal unverrichteter Sache heimkehren; aber auch Arsinoe wollte es nicht gelingen, den Wiedergekehrten, den sie aus den Augen verloren, zu finden.
Eine Stunde lang schaute sie vergeblich nach ihm aus. Dann sah sie ein, daß ihr Suchen erfolglos sein würde, und fragte sich, wie sie an das Haus seiner Eltern gelangen könnte. Lieber als zu ihrer Wohltäterin zurückzukehren hätte sie sich zu den Obdachlosen gestellt, die unter den Vorhallen der Tempel auf hartem Marmor die Nacht verbrachten.
Zuerst hatte sie sich glücklich im Besitz der neu erworbenen Freiheit gefühlt; als ihr aber kein Vorübergehender zu sagen vermochte, wo der Sänger Euphorion wohnte, und junge Männer ihr folgten und ihr freche Worte zuriefen, trieb sie die Angst eine Straße hinunter, die in das Bruchium führte.
Die Verfolger hatten sie noch nicht verlassen, als eine von Liktoren und vielen Fackelträgern begleitete Sänfte an ihr vorüberzog.
Frau Julia, die gütige Gattin des Statthalters, saß in ihr. Arsinoe erkannte sie sofort, folgte ihr und gelangte zugleich mit ihr an die Pforte der Präfektur.
Während die Matrone ausstieg, bemerkte sie das Mädchen, das sich bescheiden, doch mit bittend erhobenen Händen zur Seite ihres Weges hingestellt hatte.
Julia begrüßte das anmutige Geschöpf, für das sie schon einmal mütterlich gesorgt, mit herzlicher Teilnahme, winkte Arsinoe zu sich heran, hörte ihr lächelnd zu, als sie um Unterkunft für die Nacht bat, und führte sie froh gestimmt zu dem Gatten.
Titianus war leidend, aber er freute sich, die schöne Tochter des unglücklichen Palastverwalters wiederzusehen, hörte die Geschichte ihrer Flucht mit manchen Zeichen der Mißbilligung, aber doch gütig an und äußerte das lebhafteste Vergnügen, als er erfuhr, daß der Bildhauer Pollux noch unter den Lebenden weilte.
Das hohe, reich verzierte Bett in einem Fremdenzimmer der Präfektur hatte manchen vornehmeren Gast, aber keinen beherbergt, der sich an schöneren Träumen erfreut hätte als der arme, elternlose junge Flüchtling, der gestern noch unter Tränen entschlummerte.
Sechsundvierzigstes Kapitel
Arsinoe erhob sich am folgenden Morgen frühzeitig und ging dann, verlegen und beunruhigt von dem Glanze, der sie umgab, in ihrem Zimmer auf und nieder und dachte an Pollux. Dann freute sie sich an ihrem Bilde, das ihr der große Spiegel zeigte, den sie auf dem Putztische fand, und dazwischen verglich sie die Polster in der Präfektur mit denen Paulinas, indem sie sich auf ihnen ausstreckte. Sie fühlte sich wieder gefangen, aber diesmal ließ sie sich den Kerker gefallen, und wenn Sklaven an ihrem Gemache vorbeigingen, eilte sie an die Tür, um zu lauschen; denn es war ja möglich, daß Titianus Pollux zu sich beschieden und ihm gestattet hatte, sie zu begrüßen. Endlich trat eine Sklavin ein, überbrachte ihr freundlich das Frühmahl und bat sie in Julias Namen, sich die Blumen und Vogelhäuser im Garten anzusehen, bis sie sie aufsuchen werde.
Titianus hatte in der Frühe die Nachricht erhalten, daß Antinous im Nil den Tod gesucht und gefunden, und war durch sie tief erschüttert worden, weniger um des unglücklichen Jünglings selbst, als um des Kaisers willen.
Nachdem er seinen Beamten Befehl gegeben, dem Volke die Trauerkunde mitzuteilen und die Bürger zum öffentlichen Ausdruck ihrer Teilnahme an dem Schmerz des Herrschers aufzufordern, empfing er den Patriachen Eumenes.
Dieser würdige Greis gehörte seit den Verhandlungen, die er mit ihm über das Dankgebet der Christen nach der Rettung des Kaisers geführt hatte, zu den bevorzugten Freunden des hohen Paares.
Der Präfekt sprach mit dem Patriarchen über die unheilvollen Wirkungen, die der Tod des jungen, durch keine Gabe des Geistes ausgezeichneten Mannes auf den Kaiser und somit auch auf die Regierung des Reiches zu üben drohte.
»Wenn Hadrian,« sagte Titianus, »dem rastlosen Hirn sonst eine Stunde der Ruhe gönnen und sich von Enttäuschung und Verdruß, von schwerer Arbeit und Sorge, an denen sein Leben überreich ist, erholen wollte, zog er mit dem rüstigen Jüngling auf die Jagd oder er fand doch den schönen, gutherzigen Gesellen in seinem Gemache. Da erfreute der Anblick des Bithyniers sein Künstlerauge, und wie gut hat es Antinous verstanden, ihm sinnend, bescheiden, verschwiegen zuzuhören. Hadrian liebte ihn wie den eigenen Sohn, und der Verstorbene hing dafür mit mehr als kindlicher Treue an dem Gebieter. Sein Tod hat das bewiesen. Einmal sagte mir der Kaiser selbst: »Mitten im Getümmel des wachen Lebens ist es mir, wenn Antinous mir begegnet, zu Sinne, als stellte sich mir ein schöner Traum verkörpert vor die Augen.«
»Der Schmerz des Kaisers, ihn verloren zu haben, muß groß sein,« bemerkte der Patriarch.
»Und dieser Verlust wird sein grübelndes, ernstes Wesen verdüstern, sein unruhiges Denken und Treiben unsteter machen, sein Mißtrauen und seine Empfindlichkeit steigern.«
»Und die Umstände, unter denen Antinous starb,« fügte der Patriarch hinzu, »werden seinem Hang zum Aberglauben neue Nahrung geben!«
»Das ist zu befürchten. Wir gehen keinen glücklichen Tagen entgegen. Der Aufstand, der sich in Judäa erhebt, wird wieder Tausende von Menschenleben kosten.«
»Wäre es dir doch vergönnt gewesen, die Leitung dieser Provinz auf dich zu nehmen!«
»Du weißt, wie es mit mir bestellt ist, würdiger Mann. In schlimmen Tagen bin ich nicht fähig, einen Gedanken zu fassen und die Lippen zu regen. Wenn sich die Atemnot steigert, ist mir wie einem Erstickenden zumute. Viele Jahrzehnte stellte ich Körper und Geist willig dem Staat zur Verfügung; jetzt aber fühle ich mich berechtigt, die geschwächte Kraft, die mir bleibt, auf andere Dinge zu richten. Ich und mein Weib gedenken auf unser Gut am Lariussee zu ziehen und wollen dort versuchen, ob es mir und ihr gelingen wird, uns des Heiles würdig zu machen und die Wahrheit recht zu erfassen, die du uns zeigtest. Da bist du, Julia! Wir beide dachten, als der Entschluß in uns reifte, aus der Welt zu entfliehen, mehr als einmal an das Wort des jüdischen Weisen, mit dem du uns neulich beschenktest: Als der Engel Gottes die ersten Menschen aus dem Paradiese vertrieb, da sagte er: ›Von nun an sei euer Herz euer Paradies.‹ Wir kehren den Genüssen der großen Städte den Rücken . . .«
»Und wir tun es ohne Bedauern,« fiel Julia dem Gatten ins Wort; »denn wir tragen ja den Keim zu ungestörterem, reinerem und dauerhafterem Glücke in uns.«
»Amen!« rief der Patriarch. »Wo zwei, wie ihr, beieinander wohnen, da ist der Herr der Dritte im Bunde.«
»Gib uns deinen Schüler Marcianus mit auf die Reise,« bat Titianus.
»Gern,« entgegnete Eumenes. »Darf er euch nach mir besuchen?«
»Nicht gleich,« entgegnete Julia. »Heute morgen liegt es mir ob, ein wichtiges und dabei heiteres Geschäft zu verrichten. Du kennst Frau Paulina, die Witwe des Pudens. Sie hatte ein schönes junges Wesen bei sich aufgenommen.«
»Und Arsinoe ist ihr entlaufen.«
»Wir haben sie bei uns beherbergt,« unterbrach ihn Titianus. »Ihrer Pflegemutter scheint es mißlungen zu sein, sie an sich zu fesseln und glücklich auf ihr Gemüt einzuwirken.«
»Ja,« versetzte der Patriarch. »Es gab für den Schrein ihres vollen und heiteren Herzens nur einen Schlüssel, die Liebe, Paulina aber versuchte ihn mit Zwang und unvorsichtig-dringlichem Treiben zu sprengen. Er blieb uneröffnet, und das Schloß wurde verdorben. – Doch darf ich fragen? Wie kommt das Mädchen in euer Haus?«
»Das erzähl' ich dir später; wir kennen sie erst seit gestern,« erwiderte Titianus.
»Und ich gehe jetzt hin und führe sie ihrem Bräutigam zu!« rief die Präfektin.
»Paulina wird sie von euch zurückverlangen,« bemerkte der Patriarch. »Sie läßt sie überall suchen, diese Jungfrau aber wird indes nie und nimmer unter ihrer Leitung gedeihen.«
»Hat die Witwe Arsinoe in aller Form adoptiert?« fragte Titianus.
»Nein, sie hatte im Sinn, es zu tun, sobald sich ihr Pflegling . . .«
»Der Wille ist vor dem Gesetze nichts, und so kann ich denn unsern schönen Gast vor ihr schützen.«
»Ich hole ihn!« rief die Matrone. »Die Zeit ist dem armen Kinde gewiß schon recht lang geworden. Willst du mich begleiten, Eumenes?«
»Gern,« antwortete der Greis. »Ich und Arsinoe sind gute Freunde, ein versöhnliches Wort von mir wird ihr gut tun, und mein Segen kann wohl auch der Heidin nicht schaden. Leb wohl, Titianus, die Diakonen warten.«
Als Julia mit ihrer Schutzbefohlenen in den Männersaal zurückkehrte, hatte diese Tränen im Auge; denn die guten Worte des verehrten Greises waren ihr zu Herzen gegangen, und sie wußte wieder, daß sie von Paulina nicht nur Schlimmes, sondern auch Gutes erfahren.
Die Matrone fand den Gatten nicht mehr allein. Der reiche Plutarch war mit seinen beiden Stützen bei ihm und bot heute in schwarzen Gewändern, die statt mit bunten mit lauter weißen Blumen geschmückt waren, einen ganz absonderlichen Anblick.
Der alte Herr sprach sehr eifrig.
Sobald er Arsinoe wahrnahm, unterbrach er indes die Rede, schlug in die Hände und zeigte sich ganz erregt vor Vergnügen, die schöne Roxane wiederzusehen, für die er einmal vergebens zu allen Goldarbeitern der Stadt herumgefahren sei.
»Aber,« rief Plutarch mit jugendlichem Eifer, »aber ich bin es müde, den Schmuck für dich aufzubewahren. Es stehen genug unnötige Dinge bei mir herum. Er gehört dir, nicht mir, und heute noch schicke ich ihn der edlen Frau Julia, damit sie ihn dir anlegt. Gib mir die Hand, liebes Mädchen. Du bist blasser, aber voller geworden. Was meinst du, Titianus: sie würde noch heute für die Roxane taugen; nur müßte deine Gemahlin sich wieder um ihre Kleider bekümmern. Ganz weiß, kein Bändchen im Haar, – wie eine Christin!«
»Ich kenne einen, der es verstehen wird, diese weichen Locken kleidsam zu schmücken,« entgegnete Julia. »Sie ist die Braut des Bildhauers Pollux.«
»Pollux!« rief Plutarch in großer Erregung. »Schiebt mich vorwärts, Antäus und Atlas! Der Bildhauer Pollux ist dein Geliebter? Ein großer, herrlicher Künstler! Derselbe, edler Titianus, von dem ich dir eben erzählte.«
»Du kennst ihn?« fragte die Gattin des Präfekten.
»Nein, aber ich komme soeben aus der Werkstätte des Steinschneiders Periander und habe da ein Modell zu einer Antinousstatue gesehen, das einzig ist, wundervoll, ohnegleichen. Der Bithynier als Dionysus! Kein Phidias, kein Lysippus brauchte sich dieses Werkes zu schämen. Pollux war abwesend, doch ich legte schon die Hand auf seine Arbeit. Der junge Meister soll sie sogleich in Marmor ausführen. Hadrian wird über dieses Bildnis seines wundervollen, treuen Lieblings entzückt sein. Ihr, alle Kenner, ein jeder muß es bewundern! Ich will es bezahlen, doch es fragt sich noch, ob die Stadt oder ich selbst es dem Kaiser anbieten soll. Dein Gatte wird diese Frage entscheiden.«
Arsinoe strahlte vor Freude bei dieser Mitteilung und trat bescheiden zurück, denn ein Beamter überreichte Titianus ein soeben eingelaufenes Schreiben.
Der Präfekt überlas es und sagte, indem er sich an Plutarch und die Gattin wandte:
»Hadrian erhebt Antinous zu den Göttern.«
»Glücklicher Pollux!« rief Plutarch. »Ihm war es vergönnt, das erste Bildnis des neuen Olympiers zu schaffen. Ich schenke es der Stadt, und sie soll es in dem Antinoustempel aufstellen, zu dem wir den Grundstein gelegt haben müssen, bevor der Kaiser zurückkehrt. – Lebt wohl, ihr Edlen! Grüße deinen Bräutigam, mein Kind; sein Werk gehört mir. Pollux wird unter seinesgleichen der erste werden, und ich hatte das Glück, diesen neuen, hellen Stern zu entdecken. Der achte Künstler, in dem ich etwas Rechtes erkannte, solang er noch klein war! Dein künftiger Schwager Teuker wird auch etwas werden. Ich lasse mir von ihm einen Stein mit dem Bilde des Antinous schneiden. Noch einmal, lebt wohl, ich muß in den Rat. Es gilt, über den Tempel des neuen Gottes zu verhandeln. Vorwärts, ihr beiden!«
Eine Stunde, nachdem Plutarch die Präfektur verlassen hatte, hielt der Wagen Frau Julias vor der für ein mit Pferden bespanntes Fuhrwerk viel zu engen Gasse, die bei dem grünen Platze endete, an dem das Häuschen Euphorions lag.
Der Vorläufer Julias fand schnell die Wohnung der Eltern des Bildhauers, führte die Matrone und Arsinoe auf den Platz und zeigte ihnen die Tür, an die sie zu klopfen hatten.
»Wie du glühst, mein Mädchen!« sagte Julia. »Ich will euer Wiedersehen nicht stören; indes möchte ich dich gern deiner künftigen Mutter mit eigener Hand übergeben. Geh in das Haus dort, Arctus, und bitte Frau Doris, herauszutreten. Sage nur, es wünschte sie jemand zu sprechen, nenne aber nicht meinen Namen.«
Das Herz Arsinoes schlug so heftig, daß sie der gütigen Beschützerin kein Wort des Dankes zu sagen vermochte.
»Tritt hinter diese Palme,« bat Julia.
Arsinoe gehorchte, es war ihr aber, als führte sie nicht der eigene, sondern ein fremder Wille in das Versteck. Auch hörte sie nichts von dem Anfang des Gespräches der Römerin mit Frau Doris. Sie sah nur das alte, liebe Gesicht der Mutter ihres Pollux, und trotz der geröteten Augen und der Falten, mit denen der Gram es durchfurcht, konnte sie sich nicht satt an ihm sehen. Es erinnerte sie an die glücklichsten Tage ihrer Kindheit, und am liebsten wäre sie gleich vorwärts geeilt und hätte sich der guten, freundlichen Frau an die Brust geworfen.
Jetzt hörte sie, wie die Matrone sagte:
»Und ich bringe sie dir. Sie ist noch ebenso lieblich und jungfräulich schön, wie sie damals war, als wir sie im Theater zum erstenmal sahen.«
»Wo ist sie, wo ist sie?« fragte Doris mit zitternder Stimme.
Julia wies auf die Palme und wollte das Mädchen rufen, aber ihr Schützling hatte diesmal die Sehnsucht, einem geliebten Menschen um den Hals zu fallen, nicht zu bändigen vermocht; denn Pollux war aus der Tür getreten, um zu sehen, wer seine Mutter gerufen, und ihn erblicken und ihm mit einem lauten Jubelruf in die Arme zu stürzen, war für Arsinoe eins gewesen.
Julia schaute den beiden mit feuchten Augen zu, und als sie nach manchem freundlichen Worte für die Alten wie für die Jungen von dem glücklichen Menschenvereine Abschied nahm, sagte sie:
»Deine Ausstattung muß ich besorgen, mein Mädchen; und diesmal, denk' ich, sollst du sie brauchen, und zwar nicht nur für eine flüchtige Stunde, sondern für ein langes, glückliches Leben.«
Am Abend dieses Tages scholl aus dem Häuschen Euphorions lauter Gesang. Doris und ihr Mann, Pollux, Arsinoe, Diotima und Teuker lagen bekränzt bei der mit Rosen umwundenen Amphora und ließen die Lust und die Freude, die Kunst und die Liebe samt allen anderen Gaben der Gegenwart leben. Das volle Haar der glücklichen Braut war wieder mit schönen blauen Bändern durchflochten.
Drei Wochen später traf Hadrian in Alexandria ein.
Er hielt sich fern von allen Festen, die zu Ehren des Gottes Antinous gefeiert wurden, und lächelte ungläubig, als man ihm mitteilte, ein neuer Stern sei am Himmel erschienen, und das Orakel habe ihn für die Seele seines Lieblings erklärt.
Als der reiche Plutarch den Kaiser und sein Gefolge zu dem Bacchus Antinous führte, den Pollux in Ton vollendet hatte, war Hadrian tief ergriffen und wünschte den Schöpfer dieses edlen Kunstwerks kennen zu lernen.
Keiner seiner Begleiter hatte den Mut, den Namen Pollux vor ihm auszusprechen; nur Pontius wagte es, für den jungen Freund einzutreten. Er erzählte Hadrian die Geschichte des unglücklichen Künstlers und bat ihn, ihm zu verzeihen.
Der Kaiser nickte ihm beifällig zu und sagte:
»Um dieses Verstorbenen willen sei ihm vergeben.«
Pollux wurde ihm zugeführt; der Herrscher reichte ihm die Hand, drückte die seine und rief:
»Die Himmlischen nahmen mir seine Liebe und Treue, deine Kunst aber erhielt mir und der Welt seine Schönheit.« –
Jede Stadt im Reiche beeiferte sich, dem neuen Gott Tempel zu bauen und Bildsäulen zu errichten, und Pollux, der glückselige Gatte Arsinoes, sollte für hundert Orte Statuen und Büsten des Antinous herstellen. Doch er wies die meisten Bestellungen zurück und gab kein Werk als das seine aus den Händen, das er nicht selbst nach einer neuen Auffassung geformt. Die Nachbildung seiner Arbeiten überließ er anderen Künstlern.
Sein Meister Papias kehrte nach Alexandria zurück, doch er wurde dort von den Kunstgenossen mit so kränkender Verachtung zurückgewiesen, daß er sich in einer unglücklichen Stunde das Leben nahm.
Der junge Teuker wuchs zum berühmtesten Steinschneider seiner Zeit heran.
Frau Hanna verließ bald nach Selenens Märtyrertode die Nilstadt Besa. Es war ihr das Amt der obersten Diakonissin in Alexandria übertragen worden, und sie wirkte in dieser ansehnlichen Stellung segensreich bis in ihr spätes Alter.
Die verwachsene Maria blieb in dem Nilorte zurück, den Hadrian zu der glänzenden Stadt Antinoë erweitern ließ. Sie besaß dort zwei Gräber, von denen sie sich nicht zu trennen vermochte.
Vier Jahre nach der Vermählung Arsinoes mit ihrem Geliebten rief Hadrian den Bildhauer Pollux nach Rom. Er sollte dort die Statue des Kaisers auf einem von vier Rossen gezogenen Wagen herstellen. Dies Werk war bestimmt, sein von Pontius erbautes Mausoleum zu krönen, und Pollux führte es in so bewunderungswürdiger Weise aus, daß der Kaiser ihm nach seiner Vollendung lächelnd sagte:
»Jetzt hast du dir das Recht erworben, über die Werke anderer Meister den Stab zu brechen.«
In Ehren und großem Wohlstand sah Euphorions Sohn und seine am Tiber vielbewunderte, treue Gattin Arsinoe ihre Kinder zu tüchtigen Bürgern heranwachsen. Sie blieben Heiden, doch die christliche Liebe, die Eumenes der Pflegetochter Paulinas gezeigt hatte, wurde niemals von ihr vergessen, und sie gewährte ihr in ihrem Herzen und Hause eine freundliche Stätte.
Doris schlummerte wenige Monate vor der Abreise des jungen Paares friedlich ein, und ihr Gatte starb ihr bald nach. Die Sehnsucht nach der heiteren Gefährtin war die Krankheit, der er erlag.
Der Baumeister Pontius blieb auch am Tiber der Freund des Bildhauers. Balbilla und ihr Gatte gaben ihren entsittlichten Landsleuten das Beispiel einer würdigen Ehe im Sinne des alten Roms. Die Büste der Dichterin wurde von Pollux noch in Alexandria vollendet, und sie fand mit all ihren Locken und Löckchen Gnade vor den Augen Balbillas.
Verus durfte bei Lebzeiten des Kaisers den Titel »Cäsar« führen; doch starb er nach langem Siechtum vor Hadrian. Lucilla pflegte ihn mit treuer Hingebung und genoß mit tiefem Schmerz das heiß ersehnte Glück, ihn allein zu besitzen. Ihrem Sohne wurde in späteren Jahren der Purpur zuteil.
Die Voraussagung des Präfekten Titianus ging in Erfüllung.
Die Fehler des Kaisers wuchsen mit den Jahren, die kleinlichen Seiten seines Denkens und Seins traten schroffer hervor.
Titianus und seine Gattin führten am Lariussee, fern von der Welt, ein zurückgezogenes Leben und empfingen beide vor ihrem Ende die Taufe. Sie vermißten niemals die Unruhe der nach Lust jagenden Welt und ihren glänzenden Schein; denn es war ihnen gelungen, die Schönheit des Lebens in ihr Herz zu verpflanzen.
Der Sklave Mastor brachte Titianus die Botschaft vom Tode seines Gebieters. Hadrian hatte ihm noch bei Lebzeiten die Freiheit geschenkt und ihn mit einem hohen Legate bedacht. Der Präfekt gab ihm ein Landgut in Pacht und verkehrte später freundlich mit dem christlichen Nachbar und seiner lieblichen Tochter, die unter den Glaubensgenossen ihres Vaters herangewachsen war.
Nachdem Titianus seiner Gattin die Trauerbotschaft mitgeteilt hatte, sagte er ernst:
»Ein großer Fürst ist geschieden. Das Kleine, das den Menschen Hadrian entstellte, soll die Nachwelt vergessen; denn der Herrscher Hadrian war einer von denen, die das Schicksal dahin stellt, wohin sie gehören, und die, treu ihrer Pflicht, rastlos ringen bis an ihr Ende. Mit weiser Mäßigung vermochte er es über sich, den Ehrgeiz zu zügeln und dem Tadel und Vorurteil aller Römer zu trotzen. Die Provinzen aufzugeben, deren Erhaltung die Kraft des Staates erschöpft haben würde, war gewiß der schwerste und vielleicht der weiseste Entschluß seines Lebens. – Das neu von ihm begrenzte Reich hat er von einem Ende zum andern, ohne Scheu vor Frost oder Hitze, durchwandert und alle seine Teile so eifrig kennen zu lernen gesucht, als wäre der Staat ein ererbtes Landgut. Seine Herrscherpflicht trieb ihn auf Reisen, und seine Wanderlust erleichterte es ihm, diese Pflicht zu erfüllen. Er wurde von der Leidenschaft bewegt, alles zu verstehen und zu erlernen. Selbst das Unfaßbare setzte seinem Wissensdrange keine Schranken, und stets bestrebt, weiter zu schauen und tiefer zu grübeln, als es dem Menschengeist erlaubt ist, bot er einen großen Teil seiner mächtigen Kraft auf, um den Vorhang niederzureißen, der künftige Schicksale bedeckt. – Niemand hat so viele Nebendinge betrieben wie er, und doch hat kein anderer Kaiser die Hauptaufgabe seines Lebens, die Macht des Staates zu festigen und zu behüten und das Wohlsein der Bürger zu steigern, gleich unbeirrt im Auge behalten.«
FIN