Original:
Komplettausgabe mit Band 1 und Band 2.
Der einzige Gothic-Roman von Sir Walter Scott handelt von Familiengeheimnissen, verborgenen Schätzen, nächtlichen Begräbnissen - aber auch von hoffnungloser Liebe und Romantik.
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Erster Band
Erstes Kapitel
An einem schönen Sommermorgen gegen Ende des vorigen Jahrhunderts kaufte sich ein junger Mann von vornehmer Erscheinung, der auf der Reise war nach dem Nordosten Schottlands, einen Fahrschein für eine jener öffentlichen Postkutschen, die zwischen Edinburgh und Queensferry verkehren, und an diesem letzteren Orte geht, wie schon der Name besagt und wie meine Leser aus dem Norden alle wissen, eine Fähre über den Firth of Forth. Die Kutsche war für sechs Fahrgäste eingerichtet, ungerechnet die blinden Passagiere, die der Postillon unterwegs auflesen und zwischen die, die ihren Platz ordnungsgemäß bezahlt und daher ihr Anrecht darauf hatten, hineinzwängen konnte.
Die Fahrscheine, durch die ein Anrecht auf einen Sitz in diesem wenig behaglichen Beförderungsmittel erlangt wurde, wurden ausgegeben von einer kleinen alten Dame, die eine Brille auf der Nase hatte und luchsäugig umher schaute. Sie war in einem Keller einquartiert, von dem aus eine enge steile Treppe nach der Landstraße hinaufführte, da unten verkaufte sie Band, Zwirn, Nadeln, Wollgarn, grobe Leinwand und andere Frauenartikel an jedermann, der die Geschicklichkeit und Beherztheit hatte, in die Tiefe ihrer Behausung hinabzusteigen, ohne kopfüber hinunterzupurzeln oder ein paar Stücke von der Ware umzuwerfen, die, reichhaltig zu beiden Seiten des Abstieges aufgestapelt, das Gewerbe der unten wohnenden Trödlerin verriet.
Der geschriebene Fahrplan war an ein vorspringendes Brett geklebt und verkündete, daß der Queensferry-Omnibus am Donnerstag, dem 15. Juli 17 ..., pünktlich um 12 Uhr abfahre, die Fahrgäste hätten auf diese Weise Anschluß zu einer Überfahrt, während der Flut über den Firth. Dieser Fahrplan log aber diesmal wie ein Zeitungsbericht. Denn obgleich schon die St. Giles-Kirche vom Turm herab die Stunde geschlagen und die Tronkirche den Schlag wiederholt hatte, ließ doch noch keine Kutsche sich an dem bestimmten Platze erblicken.
Allerdings waren bloß zwei Fahrscheine ausgegeben worden, und möglicherweise hatte die Dame in der unterirdischen Behausung sich mit ihrem Automedon verständigt, daß für solche Fälle eine kleine Wartezeit gestattet sein sollte, damit eventuell die leeren Plätze noch besetzt werden konnten – oder der besagte Automedon hatte am Ende ein Leichenbegängnis fahren müssen und Aufenthalt erlitten, weil er erst die Trauerdekoration wieder von seinem Fahrzeug hatte entfernen müssen – oder er hatte mit seinem »Spezi«, dem Stallknecht, einen halben Liter »Extrafeinen« getrunken – oder – kurz und gut, er kam und kam nicht.
Zu dem jungen Manne, der mit der Zeit ein wenig ungeduldig wurde, gesellte sich jetzt ein Genosse in dieser unbedeutende Mißhelligkeit des Menschendaseins – der Mann, der den andern Platz genommen hatte. Wer eine Reise machen will, ist in der Regel leicht von seinen Mitbürgern zu unterscheiden. Die Stiefel, der Mantel, der Regenschirm, das kleine Bündel in der Hand, der bis auf die entschlossen gerunzelten Brauen herabgedrückte Hut, die kurzen Antworten auf die Begrüßungen von müßig herumstehenden Bekannten – all dies sind Merkmale, an denen der erfahrene Postkutschen-Reisende den Gesellschafter seiner bevorstehenden Fahrt, sobald er nur dem Abfahrtsplatze sich mit hastigen Schlitten nähert, unfehlbar schon von weitem erkennt.
In diesem Augenblicke beeilt sich dann der, der zuerst am Platze war, sich die bequemste Ecke in der Kutsche selber zu sichern und sein Gepäck aufs behaglichste zurechtzulegen, ehe noch seine Mitbewerber eintreffen. Unser Jüngling war mit nur geringer Besonnenheit dieser Art begabt, und überdies hatte er nicht die Gelegenheit, das Sprichwort, wer zuerst kommt, malt zuerst, zu seinen Gunsten anzuwenden, da ja die Kutsche noch gar nicht da war. Er vertrieb sich daher die Zeit damit, Betrachtungen anzustellen über Beruf und Charakter des Mannes, der jetzt bei der Fahrscheinausgabe angekommen war.
Er war ein Mann von etwa sechzig Jahren, vielleicht auch noch älter, aber er sah noch rüstig aus, und seine gesunde Farbe und der feste Schritt bewiesen, daß die Jahre ihm Kraft und Wohlbefinden noch nicht geschwächt hatten. Sein Gesicht war vom echten schottischen Schnitt, stark ausgeprägt, mit scharfen, fast strengen Zügen, klugen, durchdringenden Augen und einer Miene, in der gewohnheitsmäßige Würde sich launig mit einem Stich ins Ironische mischte.
Seine Kleidung war einförmig und von einer Farbe, wie sie seinem Alter und seiner Würde angemessen war. Eine wohlgestutzte und gepuderte Perücke, über der ein breitkrempiger Schlapphut saß, gab ihm fast das Aussehen eines Gelehrten. Er konnte Pfaffe sein, aber er machte doch mehr den Eindruck eines Mannes von Welt, als man sonst bei den Jüngern der schottischen Kirche findet, und sein erster Ausruf erhob diese Frage über jeden Zweifel.
Er langte in eiligem Schritt an, warf einen bestürzten Blick auf das Ziffernblatt der Kirchenuhr, sah dann auf den Platz, wo die Kutsche hätte stehen sollen, und rief:
»Da steckt der Teufel drein! Ich bin doch noch zu spät gekommen!«
Der junge Mann befreite ihn aus seiner Besorgnis, indem er ihm mitteilte, daß der Omnibus noch nicht gekommen sei. Der alte Mann war sich augenscheinlich seines eigenen Mangels an Pünktlichkeit bewußt und fand nicht sogleich den Mut, die Unpünktlichkeit des Postillons zu kritisieren. Er nahm ein Paket, das dem Aussehen nach einen großen Folioband enthielt, einem kleinen Jungen ab, der mit ihm gekommener, klopfte dem Knaben zärtlich aufs Köpfchen, hieß ihn gehen und trug ihm auf, er solle Frau B. sagen, wenn er gewußt hätte, daß er noch so viel Zeit hätte, wäre er gern noch um einen »Plausch« länger geblieben – dann legte er dem Jungen ans Herz, hübsch fleißig zu sein und bei der Sache zu bleiben, und er würde ein so tüchtiger Bursche werden, wie nur je einer einen Duodezband abgestäubt hätte.
Der Junge zauderte noch ein wenig, vielleicht in der Erwartung, ein paar Pfennige zu bekommen, daß er sich ein paar Murmeln kaufen könnte, aber es setzte keinen Heller. Unser alter Herr legte sein kleines Bündel auf einen der Treppenpfosten, musterte den Reisenden, der zuerst angekommen war, und wartete schweigend etwa fünf Minuten lang auf die Ankunft der fälligen Kutsche.
Mehrmals hatte er einen ungeduldigen Blick auf den weiterrückenden Minutenzeiger der Uhr geworfen, hatte ihre Zeitangabe mit seiner eigenen Taschenuhr, einer mächtigen, antiken goldenen Repetieruhr, verglichen, hatte ein Gesicht geschnitten, um mehreren verdrießlichen »Pahs!« gehörigen Nachdruck zu verleihen und rief dann der alten Dame im Keller zu:
»Gute Frau, wie zum Kuckuck heißt sie doch gleich? Frau Macleuchar!«
Frau Macleuchar ahnte, daß sie in der nun folgenden Unterredung sich zu verteidigen hätte, und hatte es nicht eilig, die Diskussion durch eine bereitwillige Antwort in Fluß zu bringen.
»Frau Macleuchar, gute Frau,« (mit erhobener Stimme – dann beiseite): »Alte ausgediente Hexe! Sie ist so taub wie 'n Türpfosten! – Heda, Frau Macleuchar!«
»Ich bediene eben einen Kunden. Wahrhaftig, Herzchen, ich laß es nicht um einen Pfennig billiger, als ich sage!«
»Weib,« rief der Reisende weiter, »denken Sie denn, wir können hier den ganzen Tag lang stehen, bis Sie dem armen Dienstmädchen den Halbjahrslohn und die Trinkgelder obendrein abgegaunert haben?«
»Abgegaunert?« versetzte Frau Macleuchar, der darum zu tun war, auf dem Boden ihrer Verteidigung ordentlich schimpfen zu können. »Ich mach mir grad was draus, was Sie da sagen! Sie sind ein ganz unhöflicher Patron, und was fällt Ihnen überhaupt ein, da zu stehen und mir an meiner eigenen Treppe Gemeinheiten an den Kopf zu werfen?«
»Dieses Weib,« sagte der alte Herr mit einem pfiffigen Blick auf seinen Reisegefährten, »hat keine Ahnung davon, welchen Wortlaut eine Beschwerde haben muß. – Weib,« wandte er sich wieder nach dem Keller, »ich will Ihnen ja nicht im geringsten nahe treten, ich möchte bloß wissen, was aus dem Omnibus geworden ist.«
»Was wollen Sie?« entgegnete Frau Macleuchar, wieder in Taubheit verfallend.
»Wir haben Plätze genommen, gute Frau,« sagte der jüngere Fremde, »in Ihrem Omnibus nach Queensferry –«
»Der jetzt schon halb bis hin sein müßte,« setzte der ältere und ungeduldigere Reisende hinzu, während seiner Worte in Wut geratend, »und nun werden wir aller Wahrscheinlichkeit nach nicht mehr rechtzeitig zur Flut hinkommen, und ich habe wichtige Geschäfte auf dem anderen Ufer, und Ihr verfluchter Omnibus ... !« »Die Kutsche? Gott sei mit uns, meine Herren, ist sie denn noch nicht da?« antwortete die Alte, indem ihr schriller, herausfordernder Ton zu einem begütigenden Gegreine herabsank.
»Haben Sie auf die Kutsche gewartet bis jetzt?«
»Aus welchem Grunde sollten wir uns denn sonst hier von der Sonne braten lassen neben der Gosse da – Sie unzuverlässiges Weibsbild Sie!«
Frau Macleuchar stieg nun ihre Falltreppe hinauf – denn so ließ sie sich nennen, obgleich es eine steinerne Treppe war – bis ihre Nase sich in gleicher Höhe mit dem Pflaster befand, dann wischte sie sich ihre Brille ab, um nach dem auszuschauen, was, wie sie doch recht wohl wußte, nicht zu entdecken, sein würde, und rief mit gut geheucheltem Erstaunen:
»Gott sei mit uns –hat man schon so etwas erlebt?«
»Jawohl, Sie abscheuliches Weibsbild Sie!« schimpfte der Reisende, »das haben schon viele erlebt, und das werden noch alle erleben, die mit dem bummligen schlumpigen Weibsvolk sich einlassen!«
Dann schritt er in heftiger Entrüstung vor dem Zugang zum Laden auf und ab, und wie ein Schiff, das, in Höhe einer feindlichen Festung vorüberfahrend, eine Breitseite abgiebt, schleuderte er jedesmal, wenn er vorbeiging, Beschwerden, Drohungen und Vorwürfe auf die ganz niedergedrückte Frau Macleuchar hinab.
Er wolle sich eine Postkutsche kommen lassen – eine Eilkutsche wollte er sich kommen lassen – eine vierspännige – er müsse sich eine kommen lassen – es bliebe ihm gar nichts mehr übrig – heute noch wolle er auf dem Nordufer sein – und all die Reisekosten neben dem unmittelbaren und aus den Folgen der Verspätung erwachsenden Schaden sollten auf das dreimal verruchte Haupt der Frau Macleuchar gehäuft werden.
Es lag in seinem mürrischen Groll etwas so Komisches, daß der jüngere Reisende, der es mit der Abreise nicht so dringend eilig hatte, unwillkürlich seinen Spaß daran hatte, zumal es auffiel, daß der alte Herr, so erbost er auch war, ab und zu selber über seine Heftigkeit lachen mußte. Aber wenn Frau Macleuchar auch in das Gelächter einzustimmen begann, schob er ihrer unangebrachten Lustigkeit sofort einen Riegel vor.
»Weib,« sagte er und zeigte auf ein kleines zerknülltes Stück bedruckten Papiers. »Ist die Annonce hier von dir? steht da nicht darauf, daß, so Gott mit uns ist, wie du scheinheilig dich ausdrückst, die Kutsche nach Queensferry heute um 12 Uhr abginge, und ist es nicht, du falschestes aller Geschöpfe, jetzt schon ein Viertel eins? Und von einem Omnibus ist noch nichts zu sehen! – Weißt du denn, was es für Folgen haben kann, wenn man das Publikum hintergeht durch Vorspiegelung falscher Tatsachen? – Weißt du, daß das unter den Paragraphen des wissentlichen Betrugs fallen kann? – Antworte! Und ein einzigesmal in deinem langen nutzlosen und alles Guten baren Leben, sprich jetzt Worte der Wahrheit und Aufrichtigkeit – hast du überhaupt solch einen Omnibus? –
»Ei herrjeses, gewiß doch, mein Herr! Die Leute hier herum kennen den Omnibus alle gut, grün angestrichen mit roten Pünktchen – drei gelbe Räder und ein schwarzes.«
»Weib, die eingehende Beschreibung nutzt uns den Geier was – das ist vielleicht auch bloß Schwindel mit Sauce drum.«
»O Mann, Mann!« sagte die niedergeschmetterte Frau Macleuchar, die völlig erschöpft war, nachdem sie solange die Zielscheibe seines Redeflusses gewesen war, »nehmen Sie Ihre drei Schillinge wieder und machen Sie, daß ich Sie los werde!«
»Nur langsam, langsam, Weib! – Werden die drei Schillinge mich nach Queensferry bringen, wie es deinem betrügerischen Fahrplan entspräche? oder wird mir auf diese Weise der Schaden ersetzt, den ich unter Umständen erleide, wenn ich mein Geschäft unerledigt lasse, oder die Ausgaben zurückerstattet, die es mich kostet, wenn ich die Flut versäume und am Südufer womöglich einen Tag Aufenthalt nehmen muß? Und kann ich damit schließlich eine Pinasse heuern, für die allein der tarifmäßige Preis fünf Schillinge beträgt?«
An dieser Stelle wurde seine Beweisführung durch ein Gepolter unterbrochen, durch das sich die Ankunft des erwarteten Fahrzeuges verriet. Mit all der Eile, zu der ein Paar abgetriebene Gäule zu bringen waren, kam es herbei. Unsagbares Vergnügen bereitete es der Frau Macleuchar, ihren Peiniger endlich in der ledernen Kutsche sitzen zu sehen, aber während der Omnibus davonfuhr, war noch sein Kopf zum Fenster herausgestreckt und hielt ihr noch immer in Worten, die, unter dem Gerumpel der Räder untergingen, vor, daß sie, Frau Macleuchar, für alle etwaigen Folgen verantwortlich gemacht werden sollte, wenn der Omnibus die Fähre nicht rechtzeitig zur Flut erreichte.
Zwei Meilen mochte die Kutsche schon unterwegs gewesen sein, ehe der Reisende seinen Gleichmut wieder völlig erlangt hatte, was unzweideutig aus den ab und zu in betrübtem Tone getanen Äußerungen hervorging, daß sie höchstwahrscheinlich, ja ganz bestimmt die Flut verpassen würden. Allmählich aber legte sich seine Wut. Er wischte sich die Stirn, sein Runzeln glättete sich, er wickelte das Palet in seiner Hand aus und langte einen Folioband daraus hervor, auf den er von Zeit zu Zeit mit dem sachkundigen Auge eines Liebhabers blickte, bewunderte die Größe und Qualität und überzeugte sich durch peinliche und besondere Prüfung jedes Blattes, daß der Band unbeschädigt sei von vorn bis hinten.
Sein Reisegefährte nahm sich die Freiheit zu fragen, was das für ein Buch sei, das er so genau untersuche. Er hob die Augen mit einem etwas sarkastischen Blick, als sei er der Meinung, der jugendliche Frager würde über seine Antwort nicht sonderlich erbaut sein, ja sie vielleicht gar nicht verstehen und sagte dann, das Buch sei Sandy Gordons
Der Frager ließ sich aber durch diesen gelehrten Titel nicht abschrecken und stellte mehrere Fragen, welche bewiesen, daß er von einer guten Erziehung auf gute Weise Gebrauch zu machen wußte, und, obwohl über Antiquitäten nicht genau unterrichtet, doch von den Klassikern Kenntnis genug besaß, um einen verständigen und teilnehmenden Zuhörer abzugeben, wenn sie sich weiter über dieses Thema verbreiteten.
Der ältere Reisende sah mit Vergnügen, daß sein zeitweiliger Gefährte fähig war, ihn zu verstehen und ihm zu antworten, und tauchte nun kopfüber in eine See von Erörterungen über Urnen, Vasen, Votiv-Altäre, römische Lager und die Regeln des Lageraufbaues.
Das Vergnügen an diesem Gespräche hatte eine so lindernde Wirkung, daß trotz zweier Anlässe zum Aufenthalt, die beide von bedenklicherer Dauer waren, als eine Verspätung, die seinen Zorn auf die unglückliche Frau Macleuchar heraufbeschworen hatte, unser Antiquar den Versäumnissen nur ein paar eingestreute Puhs und Pahs widmete, die mehr der Unterbrechung seiner Auseinandersetzung als der Verzögerung seiner Reise zu gelten schienen.
Der erste Aufenthalt hatte seine Ursache darin, daß eine Feder sprang, die nach halbstündiger Arbeit mit knapper Not ausgebessert war. Zu dem zweiten hatte der Antiquar selber mit den Anlaß gegeben, wenn er nicht gar allein daran schuld war, denn als er bemerkte, daß eines der Pferde ein Hufeisen an den Vorderfüßen verloren hatte, machte er den Postillon auf diesen schwerwiegenden Verlust aufmerksam.
»Der Hufbeschlag ist laut Kontrakt an Jamie Martingale übertragen,« antwortete der Schwager, »und ich bin nicht befugt, Aufenthalt zu nehmen oder auf irgendwelche Vorstellungen über derartige Vorfälle zu hören.«
»Wenn Sie nicht auf der Stelle anhalten und das arme Vieh zum nächsten Schmied bringen, so sorge ich dafür, daß Sie bestraft werden, sofern es noch ein Friedensgericht in Midlothian gibt.«
Und er öffnete die Kutschentür und sprang heraus, während der Postillon sein Geheiß befolgte und vor sich hinmurmelte, wenn der Herr nun die Flut versäumte, so ließe sich nichts anderes sagen, als daß es seine eigene Schuld sei, denn er, der Postillon, habe den besten Willen gehabt, schnell vorwärts zu kommen.
Ich habe so wenig Lust, den Wirrwarr von Ursachen zu analysieren, aus dem Handlungen fließen, daß ich mich nicht darauf einlasse, festzustellen, ob die Teilnahme unseres Antiquars mit dem armen Pferde nicht in gewissem Grade von seinem Verlangen unterstützt war, seinem Reisegefährten ein Piktenlager zu zeigen, ein in Kreisform angelegtes Lager – ein Gegenstand, über den er sehr ausführlich gesprochen hatte – und ein Exemplar dieser Gattung, das sehr merkwürdig und wirklich ganz vollkommen war, befand sich zufällig in unmittelbarer Nähe des Ortes, wo die Unterbrechung stattfand.
So viel Zeit ging über diesen Unterbrechungen ihrer Reise verloren, daß bei ihrer Ankunft an dem »Hügel über den Hawes« (so heißt der Gasthof an der Südseite von Queensferry) das kundige Auge des Antiquars an der weiten Strecke weißen Sandes und der großen Zahl schwarzer von Seetang bedeckter Steine und Klippen, die entlang dem Ufersaume zu sehen waren, auf den ersten Blick erkannte, daß die Stunde der Flut vorüber sei.
Der junge Reisende erwartete einen Ausbruch der Entrüstung, aber ob unser Held sich durch seine Klagen schon im voraus mit seinem Mißgeschick abgefunden hatte, so daß er es nicht mehr empfand, als es in der Tat eintraf, oder ob ihn die Gesellschaft, die er gefunden hatte, zu kongenial anmutete, als daß es ihm um irgendwelchen Aufschub seiner Reise hätte leid sein sollen, jedesfalls gab er sich mit großer Seelenruhe in sein Schicksal.
»Der Teufel steckt, in dem Omnibus und in der alten Hexe, der er gehört. – Omnibus sag ich? Die reine Schneckenpost ist es! Aber einerlei! Die Flut und die Zeit halten sich eines Menschen wegen nicht auf, und so wollen wir, mein junger Freund, einen Plausch veranstalten hier im Hawes-Gasthof – es ist ein sehr anständiges Lokal, und es wird mir große Freude machen, den Bericht zu vollenden, den ich Ihnen gegeben habe über den Unterschied zwischen der Methode der
In dieser durchaus christlichen Stimmung, allen Zwischenfällen die beste Seite abzugewinnen, stiegen unsere Reisenden im Hawes-Gasthofe ab.
Zweites Kapitel
Als der ältere Reisende die wackeligen Stufen des Omnibusses am Gasthofe hinabkletterte, wurde er begrüßt von dem fetten, schwammigen, pustenden Wirt mit jener Mischung von Respekt und Vertraulichkeit, mit der die schottischen Wirte von der Alten Schule ihre besseren Kunden zu empfangen pflegen.
»Ei du meine Güte, Monkbarns,« sagte er, indem er ihm den Namen seiner Besitzung beilegte, der stets dem Ohre eines schottischen Grundbesitzers am angenehmsten klingt, »Sie sinds? Ich hätte nicht gedacht, Euer Ehren noch vor dem Ablauf der Sommer-Gerichtsperiode zu sehen!«
»Sie verflickster alter Teufelskerl,« antwortete sein Gast, bei dem in der Erregung der schottische Akzent vorherrschte, »Sie verflickster alter verkrüppelter Idiot, was hab ich zu schaffen mit der Gerichtsperiode oder mit den Gänsen, die dahin gehen, oder mit den Geiern, von denen sie sich rupfen lassen?«
»Wahr freilich und richtig!« sagte unser Wirt. »Das ist sehr wahr, aber ich dachte, Sie hätten vielleicht eine eigene Gerichtssache zu vertreten gehabt – ich selber habe eine – ein Bandwurm von einem Prozeß, den mein Vater mir hinterlassen hat und den er schon von seinem Vater hinterlassen bekommen hat. Wegen unserm Hinterhofe ist es – vielleicht haben Sie von der Geschichte schon gehört im Parlamentshause – Sachen Hutchinson
»Halten Sie doch den Mund, Sie Schafskopf,« sagte der Reisende, aber in breiter Gutmütigkeit, »sagen Sie uns lieber, was Sie diesem jungen Herrn und mir zum Mittag vorsetzen können.«
»O, da wäre zuvörderst Fisch, jawohl ja – Schellfisch und Lachsforellen,« sagte Mackitchinson, indem er sein Serviertuch in den Händen drehte, »auch ne Hammelkeule können Sie haben, und Törtchen von Kranichbeeren sind da – äußerst delikat – und überhaupt es ist alles da, was Sie nur haben möchten.«
»Das heißt so viel, wie sonst ist weiter nichts da. Schon gut, schon gut, Fisch, Keule und Törtchen genügen vollständig. Aber machen Sie nicht den umsichtigen Zeitaufwand nach, den Sie vom Gerichtshof so loben, verstehen Sie!« »Nein, nein,« sagte Mackitchinson, der ganze Bände von Gerichtszeitungen gelesen hatte und daher einige Gerichtsausdrücke kannte, »das Essen soll
Und mit dem einschmeichelnden Lachen eines Wirtes, der etwas verspricht, ließ er sie in seiner mit frischem Sand bestreuten Gaststube allein.
Trotzdem er das Gegenteil verheißen hatte, fanden die rühmlichen Zeitaufwände des Gerichtes ihr treffliches Seitenstück in der Küche des Gasthofes, und so hatte unser junger Reisende Gelegenheit, hinauszugehen und die Leute vom Hause nach dem Range und der Stellung seines Gefährten zu fragen. Die Auskunft, die er erhielt, war von allgemeiner und wenig verlässigter Natur, aber sie reichte hin, ihm Aufschluß zu geben über den Namen, die Geschichte und die Verhältnisse des Herrn, den wir jetzt in kurzen Worten unsern Lesern näher vorzustellen versuchen wollen.
Jonathan Oldenbuck, oder Oldinbuck, oder wie die volkstümliche Verkürzung lautete, Oldbuck, von Monkbarns war der zweite Sohn eines Herrn, der ein kleines Gut besaß in der Umgegend einer blühenden Seehafenstadt an der Nordostküste Schottlands, welche wir aus verschiedenen Gründen Fairport nennen wollen. Sie saßen schon seit mehreren Generationen als Grundbesitzer in der Grafschaft und hätten in den meisten Shires von England für Leute von Ansehen gegolten, aber in der Grafschaft von ..... saßen viele Edelherren von älterer Abkunft und größerem Vermögen.
In der letzten Generation waren auch die Edelherren der Umgegend fast ausnahmslos Jakobiten gewesen, während die Eigentümer von Monkbarns gleich den Bürgern der Stadt, in deren Nähe sie ansässig waren, beständige Anhänger der protestantischen Erbfolge geblieben waren. Die Monkbarns hatten indessen ihren eigenen Stammbaum, auf den sie nicht wenig stolz waren.
Der erste Oldenbuck, der sich kurz nach der Reformation in ihrem Familienhause niedergelassen hatte, stammte, nach ihrer Behauptung von einem der ersten Drucker Deutschlands ab und war wegen der Verfolgungen, denen alle Bekenner des reformierten Glaubens ausgesetzt waren, aus seinem Vaterlande ausgewandert. In der Stadt, in deren Nähe seine Nachkommen noch jetzt wohnten, hatte er eine Zuflucht gefunden, um so bereitwilliger war er dort aufgenommen worden, als er ein Dulder um des Protestantismus willen war und ferner Geld genug mitbrachte, um das kleine Gut Monkbarns zu kaufen, das damals ein abgewirtschafteter Lord veräußerte.
Die Oldenbucks waren daher bei allen Aufständen loyale Untertanen geblieben, und einer von ihnen, ein sparsamer umsichtiger Mann, hatte es fertig gebracht, das väterliche Vermögen erheblich zu vermehren. Dieser hatte nur zwei Söhne, von denen unser Jonathan der jüngere war, und zwei Töchter, von denen eine noch immer das Glück des Ledigseins genoß, während die andre, die um vieles jünger war, sich in einen Hauptmann verliebt hatte, der weiter nichts sein eigen nannte, als sein Patent und seinen Hochländer-Stammbaum. Die Armut zerstörte einen Ehebund, den die Liebe sonst glücklich gestaltet hätte, und aus Rücksicht auf seine Frau und seine zwei Kinder, einen Knaben und ein Mädchen, hatte sich Hauptmann M'Intyre gezwungen gesehen, nach Ostindien zu gehen.
Auf einer Expedition gegen Haidar Ali war die Abteilung, zu der er gehörte, abgeschnitten worden, und seine unglückliche Frau hatte nie Nachricht erhalten, ob er im Kampfe gefallen oder im Gefängnis ermordet worden war, oder ob er noch am Leben war und in einer, den Gepflogenheiten des indischen Tyrannen entsprechend, hoffnungslosen Gefangenschaft schmachtete. Unter der allzu großen Last von Gram und Ungewißheit brach sie zusammen und hinterließ einen Sohn und eine Tochter der Obhut ihres Bruders, des gegenwärtigen Laird von Monkbarns.
Die Geschichte dieses Eigentümers selber ist bald erzählt. Da er, wie wir erwähnt haben, ein zweiter Sohn war, so bestimmte sein Vater, daß er in ein Kaufmannsgeschäft eintrat, das einige Verwandte mütterlicherseits betrieben. Hiergegen aber lehnte sich Jonathans Sinn aufs Unversöhnlichste auf. Dann kam er in die Lehre für den Beruf eines Sachwalters, und hierin machte er die ausgezeichnetsten Fortschritte. Aber auf der Schwelle blieb er stehen, und wenn er auch über Ursprung und System des Gesetzes seines Landes einige Kenntnis erlangte, so war er doch nie dazu zu bewegen, sie zu praktischen Zwecken zu verwenden und einen Gelderwerb daraus zu machen.
Nicht aus unbesonnener Mißachtung der Vorteile, die der Besitz von Geld mit sich brachte, täuschte er so die Erwartungen seines Lehrherrn. – »Wenn er gedankenlos wäre oder leichtsinnig oder
Aber im Laufe der Zeit kam sein Schüler in den Besitz der Mittel, daß er tun konnte, wozu er Lust hatte. Denn sein Vater war gestorben, und der älteste Sohn überlebte ihn nicht lange. Der war ein passionierter Freund von Fisch- und Vogelfang, und eine heftige Erkältung, die er sich in dieser Liebhaberei zuzog – auf der Entenjagd in den Sümpfen, die das Kittlefitting-Moor genannt wurden – hatte, obgleich er am selben Abend eine Flasche Branntwein leerte, um sich die Erkältung vom Leibe zu halten, ihm das Leben gekostet.
Das Besitztum ging daher auf Jonathan über, und damit hatte er die Mittel zu existieren, ohne die verhaßte Plackerei der Sachverwalterschaft. In seinen Wünschen war er bescheiden, und da seine Rente aus dem kleinen Grundbesitz mit der Verbesserung des Landes stieg, so war sie bald bei weitem größer, als seine Bedürfnisse und Ausgaben erheischt hätten, und obgleich er zu gleichgiltig war, selber Geld zu erwerben, so war er doch nicht unempfindlich gegen die Freude, es wachsen zu sehen.
Die Bürger der Stadt, in deren Nähe er lebte, betrachteten ihn gewissermaßen voller Neid und Scheelsucht, sie sahen in ihm einen, der den Dünkel hatte, sich von ihnen abzusondern und eine separate Stellung in der Gesellschaft einzunehmen, auch waren seine Studien und Neigungen ihnen gleicherweise unverständlich. Dennoch war eine Art vererbten Respekts vor dem Laird von Monkbarns auf ihn übergegangen, dazu kam noch, daß er als ein Mann von barem Gelde bekannt war, und so genoß er denn unter dieser Klasse seiner Nachbarn immer noch nicht geringen Ansehens.
Die Landedelherren waren ihm im allgemeinen an Vermögen überlegen, reichten aber an Intelligenz nicht an ihn heran; außer einem, mit dem er in engem Verkehr stand, hatten sie auch wenig Beziehungen zu Herrn Oldbuck von Monkbarns. Er hatte indessen die übliche Zuflucht, die Gesellschaft des Landpfarrers und des Doktors, wenn er danach Bedarf hatte; und außerdem hatte er seine besonderen Beschäftigungen und Neigungen, durch die er im lebhaftesten Briefwechsel mit den meisten Antiquitätenkennern seiner Zeit stand, welche gleich ihm verfallene Verschanzungen maßen, Pläne von den Trümmern ehemaliger Schlösser anfertigten, unleserliche Inschriften entzifferten und Abhandlungen über Münzen, im Verhältnis von zwölf Seiten auf jeden Buchstaben der Umschrift der Münze, schrieben.
Eine vorschnelle Reizbarkeit hatte er sich angewöhnt; teils, wie in der Pflege von Fairport die Rede ging, rührte dies von einer frühen Enttäuschung in der Liebe her, auf Grund deren er, wie er es nannte, Misogyn geworden war; wahrscheinlich aber war der Grund hierzu mehr die dienstbeflissene Aufmerksamkeit, die ihm seine altjüngferliche Schwester und seine verwaiste Nichte widmeten. Er hatte beide dahin angelernt, daß sie ihn für den größten Mann auf Erden hielten, dahingegen rühmte er sie als die einzigen gut abgerichteten und an Gehorsam gewöhnten Frauenzimmer, die er kennen gelernt habe.
Allerdings muß zugegeben werden, daß Jungfer Grizzy Oldbuck es fertig brachte, zu »bocken«, wenn er die Zügel zu straff anzog. Im übrigen muß sein Charakter aus der Geschichte heraus erkannt werden, und wir lassen mit Vergnügen die mühsame Arbeit, seine Eigenschaften einzeln aufzuzählen, fallen.
So lange sie zu Mittag speisten, hatte Herr Oldbuck, getrieben von der gleichen Neugierde, die sein Reisegefährte in Bezug auf seine Person gehegt hatte, in wenig umständlicher Weise, wie er bei seinem Alter und seiner Stellung es sich auch ruhig erlauben durfte, einige Fragen gestellt, um sich über Namen, Reiseziel und Persönlichkeit seines jungen Gefährten zu erkundigen.
Sein Name, sagte der junge Herr, sei Lovel.
Was! Ob er wohl gar ein Abkömmling von Richards Günstling sei?
Er habe keinen Anspruch, erwiderte er, sich dieser Abstammung zu rühmen. Sein Vater sei ein Edelmann vom Norden Englands. Er reise zur Zeit nach Fairport (der Stadt, in deren Nähe Monkbarns lag), und wenn es ihm in dieser Stadt gefalle, würde er vielleicht ein paar Wochen dort bleiben.
Ob Herr Lovel lediglich zu seinem Vergnügen reise?
Nicht ausschließlich.
Vielleicht ein Geschäft mit einem der Kaufleute von Fairport im Gange?
Ein Geschäft sei auch dabei im Spiele, aber keines mit Handelsmännern.
Hier hielt er inne. Herr Oldbuck hatte seine Fragerei so weit getrieben, wie es mit dem guten Ton noch vereinbar war, und mußte nun das Thema wechseln. Der Altertümler war zwar kein Feind gemütlicher Lustbarkeit, aber er haßte alle Unnötigen Ausgaben auf einer Reise, und als sein Reisegefährte eine Andeutung auf eine Flasche Portwein machte, entwarf er ein grauenhaftes Gemälde von der Mischung, die gewöhnlich unter dieser Spitzmarke verkauft würde. Ein kleiner Punsch, meinte er, sei unverfälschter und auch der Jahreszeit besser angemessen, und er legte die Hand an die Klingel, um zu bestellen, was dazu gebraucht wurde.
Aber Mackitchinson hatte in seinem eigenen Sinne schon ganz anders bestimmt, was sie trinken sollten, und erschien mit einer riesigen Doppelquartflasche in der Hand – einem Magnum, wie man in Schottland sagt. Sie war mit Sägespänen und Spinnweben – untrüglichen Zeichen ihres Alters – über und über bedeckt. »Punsch!« sagte er, im Eintreten das Wort aufschnappend. Den Teufel hat sichs was mit Punsch! Davon gibt's nichts!«
»Was wollen Sie damit sagen, Sie unverschämter Schuft?« »Nein, nein, davon ist keine Rede! Erinnern Sie sich noch, was Sie mir für einen Streich gespielt haben, wie Sie das letzte Mal hier waren?«
»Ich hätte Ihnen einen Streich gespielt?«
»Jawohl, Sie selber, Monkbarns! Der Laird von Tamlowrie und Sir Gilbert Grizzlecleugh und der alte Roßballoh und der Amtmann saßen hier an einem Nachmittag fidel beieinander, und da kommen Sie und machen ihnen mit einer von Ihren Geschichten aus der alten Welt, denen keine Menschenseele widerstehen kann, den Kopf dick, daß sie aufstehen und weglaufen, um sich das alte Römerlager anzuschauen. – »Ach, Herr,« sagte er, zu Lovel gewendet, »die Vögel könnt er meinetwegen vom Ast herunterlocken mit seinen Geschichten, die er von längst verschollenem Volk zu erzählen weiß, wenn ich nicht dabei um eine Zeche von sechs Rössel guten Rotweins gekommen wäre, denn kein Teufel von den Herren hätte sich eher von dem Platze gerührt, als bis nicht dieses Quantum bis auf die Neige ausgetrunken worden wäre.«
»Hören Sie den unverschämten Schuft,« sagte Monkbarns, aber unter Lachen. Denn der Wirt, wie er sich selber rühmte, verstand jeden Gast bei seiner schwachen Seite zu nehmen. »Schon gut, schon gut, Sie können uns eine Flasche Portwein hereinschicken.«
»Portwein? Nicht doch! Portwein und Punsch können Sie unsereinem überlassen, für Sie Herren Lairds geziemt sich Bordeaux.«
Der Wirt war immer gleich bei der Hand und hatte denn den Korken rasch ausgezogen, leerte den Wein in ein Gefäß, das genug faßte, erklärte, die Blume erfülle das ganze Zimmer mit Wohlgeruch, und überließ es dann seinen Gästen, ihn sich gut schmecken zu lassen.
Mackitchinsons Wein war wirklich gut und tat seine Wirkung auf die Stimmung des älteren Gastes, der ein paar hübsche Geschichten erzählte, ein paar nette Witze riß und schließlich eine gelehrte Erörterung über die Dramatiker der Antike begann – ein Thema, auf dem sich sein neuer Bekannter von einer so bedeutenden Stärke zeigte, daß er zuguterletzt zu der Annahme gelangte, es sei das berufsmäßige Studium des jungen Herrn.
»Er reist, teils in Geschäften, teils zum Vergnügen?« – Nun, die Bühne bringt beides mit sich, es ist eine Arbeit für die Darsteller und ein Vergnügen – oder soll wenigstens ein Vergnügen sein – für die Zuschauer. An Benehmen und Stand scheint er über der Klasse von jungen Leuten zu stehen, die sich sonst diesem Fache widmen, aber wenn ich mich recht erinnere, habe ich davon gehört, das kleine Theater van Fairport soll mit dem Debüt eines jungen Herrn eröffnet werden.« – »Wenn du das sein solltest, Lovel?« – »Lovel? Ja, ja – Lovel oder Belleville, das sind gerade so Namen, wie sie die jungen Leute bei solchen Anlässen gern annehmen. – Bei meinem Leben, es tut mir leid um den Burschen!«
Herr Oldbuck war von Gewohnheit sparsam, aber keineswegs knauserig. Sein erster Gedanke war, seinem Gefährten jeden Anteil an dem kostspieligen Abendgetränk zu ersparen, das, wie er glaubte, ihm in seiner Lage eine mehr oder minder unliebsame Ausgabe sein müsse. Er benutzte daher eine Gelegenheit, mit Herrn Mackitchinson insgeheim die Zeche zu begleichen. Der junge Mann erhob Einspruch dagegen, sich frei halten zu lassen, und willigte nur in Rücksicht auf die Jahre und Achtbarkeit des alten Herrn darein.
Da sie beide so trefflich miteinander auskamen, so schlug Herr Oldbuck vor und Lovel nahm es gern an, die Reise bis zum Ziel auch gemeinschaftlich zu machen. Herr Oldbuck äußerte den Wunsch, zwei Drittel des Fahrpreises zu bezahlen, mit der Begründung, daß er ja auch einen entsprechenden Raum zu seiner Bequemlichkeit benötige, das aber lehnte Herr Lovel sehr entschieden ab.
Sie teilten sich also nun in die Kosten, nur ab und zu ließ Herr Lovel über seinen Anteil noch einen Schilling in die Hand, eines brummigen Postillons gleiten, denn Herr Oldbuck war ein hartnäckiger Anhänger vorsintflutlicher Gebräuche und gab nie mehr als achtzehn Pence Trinkgeld für jede Teilstrecke. In dieser Weise reisten sie weiter und trafen am folgenden Tage um zwei Uhr in Fairport ein.
Lovel erwartete wahrscheinlich, sein Gefährte würde ihn bei seiner Ankunft zu Tische laden. Aber Oldbuck wußte, daß man in seinem Hause auf unvermutete Gäste nicht hinreichend eingerichtet war, und vielleicht hinderten ihn auch noch andere Gründe, diese Aufmerksamkeit zu erweisen.
Er bat ihn nur, ihn einmal, sobald er es möglich machen könne, an einem Vormittage zu besuchen, und empfahl ihn einer Witwe, die Zimmer zu vermieten hatte, und einer andern Frau, die einen guten Mittagstisch hatte. Beiden aber gab er gleichzeitig der Vorsicht halber insgeheim zu verstehen, daß er Herrn Lovel nur als angenehmen Reisegefährten von der Postkutsche her kenne und er nicht etwa daran dächte, für irgendwelche Schulden, die er während seines Aufenthaltes in Fairport machen könnte, aufzukommen.
Gesicht und Wesen des jungen Mannes – ganz zu schweigen von einem wohlgefüllten Koffer, der bald darauf mit dem Schiff an seine Adresse in Fairport ankam, sprachen wahrscheinlich ebenso sehr zu seinen Gunsten, wie die mit Vorbehalt gegebene Empfehlung seines Reisekameraden.
Drittes Kapitel
Als Herr Lovel sich in seiner neuen Wohnung in Fairport häuslich eingerichtet hatte, dachte er daran, seinem Reisegefährten den erbetenen Besuch abzustatten. Er tat es nicht früher, weil bei aller Gutmütigkeit und Gelehrsamkeit der alte Herr doch in seiner Sprache und seinem Benehmen zu ihm bisweilen einen Zug der Ueberlegenheit hatte durchblicken lassen, der nach dem Erachten des Jüngern bei weitem das überstieg, was sich bei dem Altersunterschied entschuldigen ließ.
Er wartete daher, bis sein Gepäck aus Edinburgh eingetroffen war, damit er der Mode des Tages entsprechend Toilette machen und sein Äußeres, dem gesellschaftlichen Range anpassen konnte, den einzunehmen er sich berechtigt glaubte oder wußte.
Es war der fünfte Tag nach seiner Ankunft, als er sich nach dem Wege erkundigt hatte, und sich auf den Weg machte, in Monkbarns seine Reverenz zu erweisen. Ein Fußpfad führte über einen mit Heidekraut bewachsenen Hügel und über ein paar Wiesen, und auf ihm gelangte er zu dem Hause, das an der entgegengesetzten Seite dieses Hügels lag und eine hübsche Aussicht auf die Bucht mit all ihren Schiffen hatte.
Von der Stadt durch den ansteigenden Boden abgeschnitten, der es gleichzeitig vorm Nordwestwind schützte, nahm sich das Haus einsam und versteckt aus. Von außen mutete es wenig an. Es war ein unregelmäßiger altmodischer Bau, von dem ein Teil Wirtschaftsgebäude gewesen war, in welchem der Vogt des Klosters gewohnt hatte, als es noch den Mönchen gehört hatte. Hier hatten die Klosterbrüder das Korn aufgespeichert, das sie als Bodenzins von ihren Vasallen bekamen, denn mit der ihrer Klasse eigenen Schlauheit ließen sie sich alle herkömmlichen Abgaben in Materialien entrichten, und daher kam auch, wie der gegenwärtige Eigentümer gern erzählte, der Name Monkbarns, das heißt soviel wie Mönchsspeicher.
Zu den Überresten der Vogtswohnung hatten die nachfolgenden Laien-Insassen je nach den von ihrem Hausstand erforderten Räumlichkeiten verschiedene Zusätze gemacht, und da dies unter einer ebenso großen Mißachtung der Bequemlichkeit innen wie der architektonischen Regelmäßigkeit nach außen geschehen war, so sah das Ganze recht zusammengewürfelt aus.
Umschlossen war es von hohen Hecken von gestutztem Taxus und Stechpalmen, von denen einige noch die Geschicklichkeit des topiarischen Künstlers [Fußnote] zeigten und bizarre Lehnstühle, Türme und die Figuren vom heiligen Georg und dem Drachen darstellten.
Ein großer Taxus aber war von der Scheere verschont geblieben, und auf einem Gartensitz in seinem Schatten sah Lovel seinen Freund mit der Brille auf der Nase sitzen, emsig vertieft in eine Londoner Zeitung. Leise rauschte das Sommerlüftchen im raschelnden Gezweig, und von den Wogen her, die am Ufersande sich kräuselten, kam fernes Murren.
Herr Oldbuck stand sofort auf und ging seinem Bekannten entgegen, den er mit einem herzlichen Händedruck begrüßte.
»Meiner Treu,« sagte er, »ich glaubte schon, Sie hätten sichs anders überlegt und hätten die Leute von Fairport so langweilig gefunden, daß Sie sich schon wieder, wie wir sagen, englisch empfohlen hätten, wie es mein alter Freund und Kollege im Antiquitätenfache, Mac-Cribb, gemacht hat, als er mit einer meiner syrischen Münzen über alle Berge ging.«
»Ich hoffe, mein guter Herr, Sie haben so etwas nicht ernstlich von mir befürchtet.«
»Es wäre ebenso schlecht gewesen, wenn Sie sich wieder davon geschlichen hätten, ohne, mir das Vergnügen eines Wiedersehens zu gewähren. – Da hätten Sie mir lieber meinen kupfernen Otho selber stehlen können. – Aber kommen Sie, ich will Sie in mein
Mit diesen Worten ging der alte Herr voran durch ein niedriges Tor, aber ehe er hineintrat, blieb er plötzlich stehen und deutete auf, wie er es nannte, einige Spuren einer Inschrift, die er kopfschüttelnd als völlig unleserlich erklärte.
»Ach, wenn Sie bloß wüßten, Herr Lovel, was diese zerbröckelnden Spuren von Buchstaben mich gekostet haben! So viel hat keine Mutter je um ihr Kind ausgestanden – und alles ohne Erfolg. – allerdings habe ich fast völlige Gewißheit darüber, daß diese zwei letzten Zeichen die Figuren oder Lettern L V sind, und uns einen guten Anhalt geben für das wirkliche Alter dieses Gebäudes. Wir wissen nämlich aus anderer Quelle, daß es vom Abt Waldimir um die Mitte des vierzehnten Jahrhunderts gegründet worden ist, und ich gebe zu, dieses Mittelornament ließe sich schon noch entziffern, wenn man bessere Augen hat als ich.«
»Mich dünkt,« sagte Lovel, um auf die Stimmung des alten Herrn einzugehen, »es sieht ganz aus wie eine Bischofsmütze!«
»Da haben Sie ganz gewiß recht! Da haben Sie recht! Das ist mir noch gar nicht aufgefallen – da sehen Sie, wenn man jüngere Augen hat! – eine Mitra, eine Mitra, das stimmt in jeder Beziehung.«
Die Ähnlichkeit war nicht größer, als die Wolke des Polonius mit einem Walfisch oder einem Wiesel gehabt hatte, indessen war sie hinreichend, das Gehirn des Altertümlers in Tätigkeit zu bringen.
»Eine Mitra, mein teurer Herr,« fuhr er fort, indem er den Weg durch ein Labyrinth von unbequemen dunklen Gängen führte und seine Erörterung mit mehreren notwendigen Winken zur Vorsicht begleitete, »eine Bischofsmütze, mein werter Herr, wird unserm Abte ebensogut stehen wie einem Bischof – er war ein insulierter Abt und stand an der ersten Stelle in der Liste – drei Stufen, sehen Sie sich vor – ich weiß freilich, Mac Cribb bestreitet es, es ist aber ebenso Tatsache, wie daß er mir meinen Antigonus weggenommen hat, ohne mich drum zu fragen – der Name des Abtes von Trotcosey, Abbas Trotcosiensis, findet sich, an der Spitze der Parlamentslisten vom vierzehnten und fünfzehnten Jahrhundert – es ist sehr wenig Licht hier, immer läßt das verflixte Weibsvolk die Waschzuber im Gange hier stehen! – nun hier an der Ecke nehmen Sie sich in acht, steigen Sie zwölf Stufen hinunter, und Sie haben es geschafft.«
Herr Oldbuck hatte inzwischen den Boden der Wendeltreppe erreicht, die in sein eigenes Zimmer führte, öffnete eine Tür, schob ein Stück Tapete zurück, von dem sie bedeckt war, und sein erster Ausruf war:
»Was habt ihr hier zu suchen, ihr Schlumpen?«
Ein schmutziges, barfüßiges Dienstmädchen ließ ihren Schrubber fallen, als es sich über der frevelhaften Beschäftigung ertappt fand, im Sanctum sanctorum aufzuräumen und flüchtete zu einer gegenüber liegenden Tür vor dem zornroten Antlitz ihres Herrn. Ein sanft aussehendes junges Weib, das die Arbeit überwacht hatte, hielt, allerdings ein wenig eingeschüchtert, stand.
»Wirklich, Onkel, dein Zimmer war einfach schon nicht mehr anzusehen, und ich bin eben gekommen und Hab aufgepaßt, daß Hanne alles wieder dahin gelegt hat, wo sie es weggenommen hat.«
»Und wie dürft ihr, du oder gar Hanne, es euch herausnehmen, euch in meine Privatangelegenheiten zu mischen? Mach dich an deine Näherei, du Affe, und laß dich hier nicht wieder sehen, wenn dir deine Ohren lieb sind. – Ich versichere Ihnen, Herr Lovel, daß der letzte Einbruch dieser Freundinnen der Reinlichkeit hier meiner Sammlung im höchsten Maße verderblich gewesen ist.«
Die junge Dame hatte Herrn Lovel einen Knicks gemacht und war dann entschlüpft.«
»Sie werden schier vergiftet werden von den Staubmassen, die sie aufgewirbelt haben,« fuhr der Altertümler fort, »aber ich versichere Ihnen, der Staub war vor einer Stunde noch steinalter, friedlicher, stiller Staub und wäre, es hundert Jahre lang geblieben, wenn nicht Hexen ihn aufgestört hätten, so wie sie alles auf der Welt aus der Ruhe bringen.«
Allerdings dauerte es ein Weilchen, bis Lovel durch die dicke Atmosphäre hindurch erkennen konnte, in welcher Art von Höhle sein Freund sein Quartier aufgeschlagen hatte. Es war ein hohes Gemach von Mittelgröße, das von hohen engen vergitterten Fenstern nur mattes Licht erhielt. Das eine Ende war ganz von Bücherregalen eingenommen, die an Raum bei weitem zu klein waren für die Unzahl von Bänden, die darauf standen. Sie waren daher auch in zwei bis drei Reihen hintereinander gestellt, während zahllose andere auf dem Boden und auf den Tischen herumlagen, inmitten eines Chaos von Landkarten, Stichen, Pergamentblättern, Bündeln von Papieren, alten Waffen und Stücken rostiger Rüstungen, Schwertern, Säbeln, Helmen und hochländischen, Schilden.
Hinter dem Stuhle des Herrn Oldbuck – einem alten mit Leder bezogenen Sorgenstuhl, der von beständigem Gebrauch ganz glatt abgerieben war – stand ein riesiger eichener Schrank, der an jeder Ecke mit Cherubsköpfen verziert war mit ausgebreiteten kleinen Entenflügeln und mächtigen Pausbacken. Oben, auf diesem Schranke standen Büsten, römische Lampen und Opferschalen, dazwischen auch ein paar Bronzefiguren.
Die Wände des Gemaches waren zum Teil bekleidet mit alter düsterer Tapete, auf der die denkwürdige alte Geschichte von Sir Gawaines Hochzeit dargestellt war, der übrige Teil war mit schwarzem Eichengetäfel versehen, woran zwei bis drei Bildnisse in Rüstung hingen – Gestalten aus der schottischen Geschichte, Lieblinge des Herrn Oldbuck – und ebenso viele in Perücken und Spitzenröcken, glotzäugige Porträte von Herrn Oldbucks Ahnen.
Ein großer altmodischer Eichentisch war bedeckt mit einer Unmasse von Papieren, Pergamenten, Büchern und allerlei unbeschreiblichem Tand und Krimskrams, die trotz all ihrem Rost und offenkundigem Alter nach nichts besonderem aussahen. Inmitten dieses Wirrwarrs von antiken Büchern und Gegenständen, mit einer Würde wie Marius unter den Ruinen von Karthago, saß eine große schwarze Katze, die ein abergläubisches Auge für den
Inmitten dieses Gerümpels war es nicht leicht, den Weg zu einem Stuhle zu finden, ohne über einen hingeworfenen Folioband zu stolpern oder – was ein noch unangenehmeres Pech gewesen wäre – ein Stück römischer oder englischer Keramik umzustoßen. Und wenn man, glücklich den Stuhl erreicht hatte, so mußten erst Stiche, die leicht beschädigt werden konnten, und antike Sporen und Schnallen, die ihrerseits sicherlich jeden beschädigt hätten, der sich unversehens hätte daraufsetzen wollen, mit behutsamer Hand davon heruntergenommen werden.
Endlich hatte Lovel glücklich Platz gefunden und stellte nun allerlei Fragen nach den seltsamen Dingen um ihn her, die sein, Wirt, so weit wie möglich, bereitwillig beantwortete. So führte er ihm einen großen Kolben oder Prügel vor, mit einer eisernen Spitze am Ende, der allem Anschein nach vor kurzem auf einem Felde neben einem alten Friedhofe im Gute Monkbarns gefunden worden war. Das Ding sah ganz aus wie einer jener Stöcke, die die hochländischen Schnitter auf ihren jährlichen Wanderungen von den Bergen herab tragen, aber Herr Oldbuck neigte entschieden zu dem Glauben, daß es seiner eigentümlichen Form nach einer jener Prügel sein müsse, mit denen die Mönche in Ermangelung andern kriegerischen Gewehrs ihre Bauern bewaffneten, woher auch die Schurken die Bezeichnung Colve-carles oder Kolb-kerls, das heiße Clavigeri oder Keulenträger führten. Daß es mit diesem Brauche seine Richtigkeit habe, sei zu ersehen aus der Chronik von Antwerpen und der von St. Martin, und diesen Autoritäten hatte Lovel nichts, entgegenzusetzen, da er bis auf diesen Augenblick noch nie von ihnen gehört hatte.
Herr Oldbuck zeigte zunächst Daumschrauben, unter denen den Covenanters in der guten alten Zeit die Gelenke geknackt hätten, und ein Halseisen mit dem Namen eines wegen Diebstahl verurteilten Kerls. Mannigfach und zahlreich waren die anderen Raritäten, die er zeigte. Am meisten aber war er auf seine Bücher stolz.
Die Sammlung war in der Tat merkwürdig und hätte Wohl den Neid eines Bibliophilen erregen können. Doch war sie nicht zu den enormen Preisen der Neuzeit gesammelt worden, die sicherlich selbst den passioniertesten wie frühesten Bücherfex, von dem die Geschichte weiß, zurückgeschreckt hätten, und für diesen erklären wir keinen geringern als den berühmten Don Quixote de la Mancha, denn abgesehen von anderen unwesentlichen Andeutungen aus nicht ganz zuverlässigen Quellen berichtet sein wahrheitsgetreuer Biograph, Cid Hamet Benengeli, von ihm, daß er Felder und Farmen gegen Folio- und Quartbände der ritterlichen Literatur eingetauscht hätte.
In dieser Abart der Bodenverwertung haben diesem guten irrenden Ritter Lords, Ritter und Adelige unserer Zeit nachgeahmt, wenngleich wir noch von keinem weiter gehört haben, der ein Wirtshaus für ein Schloß angesehen oder die Lanze gegen eine Windmühle gefällt hätte. Herr Oldbuck hatte es diesen Sammlern in ihren verschwenderischen Ausgaben nicht nachgetan, aber es hatte ihm Vergnügen gemacht, die Zusammenstellung seiner Bibliothek persönlich zu besorgen, und wenn es ihn auch mehr Zeit und Mühe gekostet hatte, so war er doch billiger dazu gekommen.
»Ich kann Ihnen, Herr,« sagte er, »ein paar Sachen zeigen, die ich zusammengetragen habe – nicht durch Geldaufwand, denn das kann jeder reiche Mann – sondern in einer Art und Weise, die zeigt, daß ich was von der Sache verstehe. Sehen Sie dieses Pack von Balladen – keine davon stammt aus einer jüngeren Zeit als 1700 und einige sind sogar noch hundert Jahre älter. Das habe ich einer alten Frau abgezwiebelt, die es höher gehalten hatte, als ihr Gesangbuch. Tabak, Herr, Schnupftabak hab ich dafür gegeben. Für diese verstümmelte Abschrift der Complaint of Scottland habe ich dem letzten gelehrten Besitzer zwei Dutzend Flaschen starken Biers spendiert, und aus Dankbarkeit hat er es in seinem Testament mir vermacht. Diese kleinen Elzeviers sind die Souvenirs und Trophäen manches abendlichen und morgendlichen Weges durch Cowgate, Canongate, Bow und St. Mary's Wynd – und wo nur immer Trödler- und Althändlerbuden, zu finden waren. Wie oft hab ich gestanden und gefeilscht um einen halben Penny und nicht gleich ohne weiteres die erste Forderung des Krämers bewilligt, damit er nicht Verdacht wittern sollte, wie großen Wert ich dem Dinge beilegte und wie viel mir daran gelegen sei! Und dann die heimliche Freude, Herr Lovel, mit der man den Betrag zahlt und das Ding einsteckt – kalte Gleichgültigkeit heuchelt man, während die Hand vor Wonne zittert! – Und dann die Augen unserer reicheren und neidischen Konkurrenten zu blenden, indem man ihnen einen Schatz wie diesen zeigt (und er wies ihm ein kleines schwarz geräuchertes Büchlein von ganz winziger Form) – sich an ihrem Erstaunen und ihrer Begehrlichkeit zu werden – dies, mein junger Freund, sind die lichten Augenblicke im Leben, die Mühe und Schererei und beharrlichen Fleiß uns vergelten, denn ohnedem wird in unserm Fache vor allen andern nichts geschafft.«
Es bereitete Lovel nicht geringes Vergnügen, den alten Mann in dieser Weise reden zu hören, und obgleich er nicht sich zu der vollen Würdigung dessen, was er sah, versteigen konnte, so bewunderte er doch, soweit von ihm erwartet werden konnte, die verschiedenen Schätze, die Oldbuck ihm zeigte. Hier waren Ausgaben, die besonders hochgeschätzt waren, weil sie die ersten der betreffenden Werke waren, und hier waren, Ausgaben, die kaum weniger geschätzt waren, weil sie die letzten und besten waren. Hier war ein Buch, dessen Wert darin bestand, daß es die Schlußverbesserungen des Verfassers enthielt, und hier war wieder eins, dessen Wert – seltsamerweise – wieder darin bestand, daß es keine solche Verbesserungen enthielt., Das eine war kostbar, weil es ein Folio war, das andere, weil es ein Duodez war, einige, weil sie groß waren, andere, weil sie klein waren, beim einen lag der Wert im Titelblatt, bei andern in der Stellung der Lettern bei dem Worte Finis. Wie es schien, machten alle nur möglichen noch so unbedeutenden und winzigen Unterscheidungen den Wert eines Bandes aus, abgesehen von der unerläßlichen Eigenschaft der Seltenheit,
»Die Reize, an denen wir uns weiden,« sagte Herr Oldbuck, »mögen freilich der Jugend nicht so in die Augen springen wie die Schönheit einer jungen Dame, aber die Jugend wird weiser und lernt besser sehen, wenn sie in die Jahre kommt, wo sie Brillen trägt. – Doch warten Sie, ich habe ein Stücklein Rarität, das auch Sie vielleicht hochschätzen werden.«
Mit diesen Worten schloß Herr Oldbuck eine Schublade auf und nahm ein Schlüsselbund heraus, dann schob er ein, Stück Tapete beiseite, hinter dem die Tür zu einem kleinen Kabinett verborgen war. Auf vier Steinstufen stieg er dort hinunter, und nachdem er eine Weile zwischen Flaschen und Kannen herumgeklappert hatte, holte er zwei Weingläser mit langen Füßen und bauchigen Kelchen hervor – wie man sie auf Teniers Gemälde sieht – und eine Flasche alten echten Kanariensekt und ein Stück Diätkuchen auf einem kleinen silbernen Tablett von hochfeiner alter Arbeit.
»Von dem Tablett will ich gar nichts sagen,« bemerkte er, »es soll allerdings von dem alten verrückten Florentiner Benvenuto Cellini geschmiedet worden sein. Aber, Herr Lovel, unsere Ahnen tranken Sekt – Sie als ein Bewunderer des Dramas wissen, wo solche schöne Trinkszenen vorkommen. Na, auf einen guten Erfolg Ihrer Vorstellungen in Fairport!«
»Und aus Ihr Wohl, Herr, und auf noch recht reiche Vermehrung Ihrer Schätze!«
Nach einem Trunk, der so trefflich zu ihrem Zeitvertreib paßte, erhob sich Lovel, um sich zu verabschieden, und Herr Oldbuck machte sich fertig, ihn ein Stück des Weges zu begleiten und ihm einiges Bemerkenswerte auf dem Rückweg nach Fairport zu zeigen.
Viertes Kapitel
Unsere beiden Freunde schritten durch einen kleinen Obstgarten, wo die alten, schwer mit Früchten beladenen Apfelbäume bewiesen, daß die Mönche ihre Tage nicht immer in gleichgültigem Nichtstun verbrachten, sondern oft sich mit Gartenbau und Baumpflege befaßten. Herr Oldbuck unterließ nicht, Lovel darauf aufmerksam zu machen, daß die Pflanzer jener Tage schon das moderne Geheimnis gekannt hätten, zu verhindern, daß die Obstbäume die Zweige senkrecht in die Erde schlügen, und sie zu zwingen, daß sie nach der Seite die Wurzeln auseinanderbreiteten. Sie hätten gleich nach dem Einpflanzen Pflastersteine unter die Bäume gelegt zwischen die Wurzeln und den Untergrund.
»Dieser alte Bursche hier,« sagte er, »vergangenen Sommer ist er vom Sturm gebeugt worden, aber trotzdem er halb auf der Erde liegt, ist er doch noch voller Früchte – dieser alte Kerl hat, wie Sie sehen, eine solche Steinschicht zwischen den Wurzeln und dem harten Lehmboden. Dieser andere Baum hier hat eine Geschichte. Die Frucht heißt der Abtsapfel. Die Frau eines Barons aus der Umgegend war so närrisch danach, daß sie oft in Monkbarns einen Besuch machte, um zu ihrem Vergnügen Äpfel zu pflücken und frisch vom Baume zu essen. Der Gemahl, ein eifersüchtiger Mann, hatte den Verdacht, daß ein so nahe an die Torheit der Mutter Eva streifender Geschmack auch einen ähnlichen Sündenfall verkünde. Sintemalen die Ehre einer adeligen Familie hierbei in Betracht kommt, so sage ich nichts weiter über die Geschichte, allein die Güter von Lochard und Cringlecut zahlen noch heute jährlich ihre sechs Maß Gerste vollgerüttelt, um die Schuld ihres tollkühnen Besitzers abzubüßen, der mit seinem weltlichen Verdacht den frommen weltverlorenen Zusammenkünften des Abtes und seiner Büßerin zu nahe getreten ist. – Aber für jetzt will ich nicht mehr sagen, ich hebe noch einiges für einen andern Besuch auf. Und hier haben wir etwas wirklich höchst Merkwürdiges vor uns.«
Unter solchem Geplauder war er wacker über satte Weidewiesen nach einem offnen Heidestück geschritten und sie standen nun auf der Kuppe einer kleinen Erhöhung.
»Hier, Herr Lovel,« sagte er, »ist ein wahrhaft bemerkenswerter Fleck.«
»Eine schöne Aussicht hat man hier,« sagte sein Gefährte, in die Runde schauend.
»Allerdings. Aber nicht wegen der Aussicht hab ich Sie hierher geführt. Sehen Sie sonst nichts Merkwürdiges? Nichts auf dem Erdboden?«
»Ei freilich, einen undeutlich markierten Graben, wie, mir scheint.«
»Undeutlich! – Na, ich bitt schön, Herr, die Undeutlichkeit muß schon in Ihrer Sehkraft liegen. Deutlicher kann überhaupt nichts abgezeichnet sein. Das ist ein richtiger echter
Lovel versuchte sich zu entschuldigen und seine schlecht angebrachten Worte wieder gut zu machen, indem er seine Unerfahrenheit einwandte. Aber es gelang ihm nicht sogleich, seine ersten Worte waren zu offenherzig und natürlich herausgekommen, als daß Sie den Altertümler nicht hätten beunruhigen sollen, und über den Schreck darüber konnte er nicht sogleich hinwegkommen.
»Mein werter Herr,« fuhr der alte Herr fort, »Ihre Augen find nicht unerfahren. Sie können doch Wohl, sollt ich meinen, einen Graben von ebener Erde unterscheiden? Undeutlich! ei, der gemeinste Pöbel, der niedrigste Junge, der eine Kuh hüten kann, nennt es das Kaim von Kinprunes, und wenn damit nicht ein antikes Lager gemeint ist, dann weiß ich nicht, was es sonst heißen soll.«
Lovel gelang es endlich, die gekränkte und empfindliche Eitelkeit des Altertümlers zu beruhigen, und dieser fuhr in seiner Tätigkeit eines Cicerone fort.
»Sie müssen wissen, unsere schottischen Altertümler sind sehr verschiedener Meinung darüber, an welchem Punkte der Endkampf zwischen Agricola und den Kaledoniern stattgefunden habe. Nun, was würden Sie sagen – was würden Sie denken, Herr Lovel, wenn der Schauplatz dieses denkwürdigen Kampfes eben hier an dem Kaim von Kinprunes läge? auf dem Grund und Boden des obskuren unbedeutenden Individuums, das jetzt zu Ihnen spricht?«
Er machte eine kleine Pause, um seinen Gast eine so schwerwiegende Mitteilung verdauen zu lassen, und fuhr dann in höherem Tone fort:
»Jawohl, mein guter Freund, ich müßte mich in der Tat sehr irren, wenn diese Stelle nicht mit allen Angaben über dieses berühmte Schlachtfeld übereinstimmte! Es war in der Nähe der Grampian-Berge! – nun! dort liegen sie, am Rande des Horizonts verlieren sie sich in den Himmel hinein – es lag in
Eine Stimme hinter ihnen unterbrach seine überschwengliche Beschreibung.
»Praetorium hin, Praetorium her, ich erinnere mich noch gut, wie das hier gebaut worden ist.«
Beide drehten sich zugleich um, Lovel mit Überraschung, Oldbuck mit Überraschung und Entrüstung über eine so unhöfliche Unterbrechung.
Ungesehen und ungehört über der enthusiastischen Ausführung des Altertümlers und Lovels höflicher Aufmerksamkeit, hatte ein Zuhörer sich zu ihnen herangeschlichen. Er hatte das Äußere eines Bettlers, ein breitkrempiger Hut von riesigem Umfange, ein langer weißer Bart, der sich mit seinem graumelierten Haar vermischte, ein altes, aber stark geprägtes, ausdrucksvolles Gesicht, das von Wetter und schutzloser Preisgebung gehärtet war und braun war wie Ziegelstaub, ein langer blauer Kittel mit einem Abzeichen von Zinn am rechten Arm, ein paar über die Schulter geworfene Rucksäcke, in die er die Nahrung hineintat, wenn er milde Gaben, in Materialien von denen empfing, die selber nur um einen Grad wohlhabender waren als er, – all dies kennzeichnete ihn als Bettler von Beruf und zwar einen von jener privilegierten Klasse, die in Schottland, Königs Gnadenleut oder Blauröcke heißen.
»Was, Ihr seids, Edie?« sagte Oldbuck, der vielleicht hoffte, seine Ohren hätten ihn betrogen. »Was habt Ihr da geredet?«
»Über dies Stückchen Ruine da. Euer Ehren,« versetzte der unerschrockene Edie. »Ich kann mich drauf besinnen, wie es gebaut worden ist.«
»Den Teufel könnt Ihr! Ihr alter Narr, es war ja schon hier, ehe Ihr noch ans die Welt gekommen seid, und wird noch da sein, wenn Ihr schon längst am Galgen gehangen habt, Mensch!«
»Ob gehängt oder ersoffen, ob hier oder anderswo, ob tot oder lebendig, ich weiß noch, wie es gebaut worden ist.«
»Ihr – Ihr – Ihr –,« versetzte der Altertümler, zwischen Verwirrung und Ärger stotternd, »Ihr alter Bummelant und Vagabund, was wißt denn Ihr davon?«
»O, ich weiß Bescheid darüber – und was hätte ich denn für Nutzen davon, Ihnen etwas vorzulügen? Ich weiß folgendes darüber: Zwanzig Jahre mags her sein, da haben ich und ein paar Schnorrer wie ich und die Maurergesellen, die den langen Deich gemacht haben am Fußsteige unten, uns an die Arbeit gemacht und das Ding hier gebaut, das sie ein – ein Praetorium nennen. Damals hatte der alte Trumm Hochzeit, und wir haben oft drin gesessen, wenns regnete. Mehr Beweise finden Sie, Monkbarns, wenn Sie die Erde aufgraben, wie Sie schon angefangen haben, und dann werden Sie, wenn Sie ihn nicht überhaupt schon gefunden haben, einen Stein finden, auf dem einer von den Maurergesellen einen Suppenlöffel ausgehauen hat, zum Jux auf den Bräutigam, und er hat vier Buchstaben darauf gegraben, nämlich
Lovel warf einen verstohlenen Blick auf unsern Altertümler, sah aber sogleich in purem Mitleid wieder weg. Denn, gütiger Leser, wenn du je das Gesicht eines sechzehnjährigen Backfischchens gesehen hast, dessen Schwärmerei von treuer Liebe durch eine unzeitige Entdeckung zerstört worden ist, oder eines zehnjährigen Kindes, dessen Kartenhaus von einem boshaften Spielkameraden umgeblasen worden ist, – ich kann dir getrost sagen, Jonathan Oldbuck von Monkbarns sah weder viel weiser noch weniger betrübt aus.
»Da liegt ein Irrtum vor,« sagte er plötzlich und wandte sich von dem Bettler ab.
»Nicht der geringste von meiner Seite,« versetzte der kecke Bettler. »Ich bin kein Freund von Irrtümern, es schaut doch immer ein Malheur dabei heraus. – Nun, Monkbarns, der junge vornehme Herr, der bei Euer Ehren ist, denkt gering von einem Kerl wie ich, und doch wette ich, ich kann ihm sagen, wo er gestern in der Dämmerstunde gewesen ist, bloß ist's ihm vielleicht nicht angenehm, daß in andrer Leute Beisein darüber gesprochen wird.«
Lovels Wangen färbten sich vor Scham, mit der starken Röte eines Zweiundzwanzigjährigen.
»Laßt den alten Gauner,« sagte Herr Oldbuck. »Meinen Sie nicht etwa, ich dächte geringer von Ihnen Ihres Berufes wegen. Wer das tut, ist ein Narr voller Vorurteile und ein Hanswurst. Es wird Ihnen erinnerlich sein, was der große Tullius in seiner Rede
Die Worte des alten Mannes schlugen Wohl an Lovels Ohr, aber sie vermittelten ihm keinen bestimmten Begriff, denn sein Geist war jetzt damit beschäftigt, darüber zu grübeln, auf welche Weise Wohl der alte Bettler, der ihn noch immer mit herausfordernd verschlagener pfiffiger Miene ansah, etwas von seinen Angelegenheiten erfahren haben könnte. Er griff in die Tasche, das sicherste und schnellste Mittel, ihm begreiflich zu machen, daß er auf seine Verschwiegenheit rechne, und gab ihm ein Almosen, dessen Höhe wohl mehr seinen Besorgnissen als seiner Barmherzigkeit entsprach, dabei sah er ihn mit einem ausdrucksvollen Blick an, den der Bettler – ein Physioanomiker von seinem Gewerbe her – vollkommen zu verstehen schien.
»Seien Sie unbesorgt Herr, ich bin keine Schlabbertasche, aber es sind noch mehr auf der Welt als ich,« sagte er, indem er Lovels Gabe einsteckte.
Er sprach die Worte in so leisem Tone, daß nur Lovel ihn verstehen konnte, aber mit einem Ausdruck, der das, was er unausgesprochen ließ, vollauf zu verstehen gab.
Dann wandte er sich an Oldbuck.
»Ich gehe jetzt nach der Pfarre. Haben Euer Ehren was zu bestellen dort oder vielleicht auch an Sir Arthur, denn ich treffe wohl auch noch vor Abend auf Schloß Knockwinnock ein.«
Oldbuck fuhr auf, wie aus einem Traume. In hastiger Rede, in der Ärger mit dem Wunsche, sich nichts merken zu lassen, stritt, und indem er gleichzeitig seinen Tribut in Edies weichen fettigen Hut warf, sagte er:
»Geht nach – nach Monkbarns – laßt Euch was zu essen geben – doch hört! wenn Ihr nach der Pfarre geht oder nach Knockwinnock, so braucht Ihr nichts von Euer albernen Geschichte von vorhin zu erzählen.«
»Wer, ich?« versetzte der Bettler. »Gott segne Euer Ehren! Von mir soll keine Menschenseele ein Wort davon erfahren, meinetwegen mag das Ding da immer schon von Noahs Sintflut da sein. Meine Lippen sollen Verschwiegenheit darüber bewahren.
Aber, Herr, die Leut reden, Euer Ehren hatten Hannes Howie für diese dürre Heide ebensoviel von dem besten Boden gegeben! Nun, wenn er wirklich Ihnen das Ding da für ein antikes Werk angeschwindelt hat, so ist meine aufrichtige Meinung, der Handel kann nimmer gelten, Sie brauchten sich nur ein Herz zu fassen und die Sache beim Gericht anhängig zu machen und zu sagen, daß Sie übers Ohr gehauen worden wären.«
»Der freche Schurke!« murmelte der entrüstete Altertümler zwischen den Zähnen, »dafür soll aber doch noch dein Buckel die Geißel des Henkers kennen lernen.« Und in lauterm Tone setzte er hinzu: »Gebt Euch zufrieden, Edie, es ist alles ein Irrtum.«
»Wahrlich, so denk ich auch,« fuhr sein Peiniger fort, dem es Vergnügen zu machen schien, die wunde Stelle zu kitzeln. »Wahrlich, so hab ich immer schon gedacht, und es ist noch gar nicht so lange her, da hab ich zu Lucie Gemmels gesagt: Kein Gedanke daran, hab ich gesagt, daß seine Ehren Monkbarns so eine Dummheit gemacht haben sollte und einen Boden, von dem der Acker fünfzig Schilling wert ist, für so eine Wüstenei, die mit einem schottischen Pfund zu teuer bezahlt wäre, hingegeben hätte. Verlassen Sie sich drauf, der gnädige Herr ist übers Ohr gehauen worden von dem alten Teufelskerl, dem Hannes Howie. – Aber soll der Himmel uns behüten, Ihr Herrn, wie ist das nur möglich,« sagt sie, »der Lord ist doch so gelehrt in den Büchern– so einen gibts überhaupt nicht wieder hier herum – und Hannes Howie hat doch, nicht Grieps genug im Schädel, daß er seine Rindviecher aus dem Gemüsegarten jagen kann? – Ja doch, ja doch, sag ich, – er hat ihn an der Nase herumgeführt mit einer von seinen Geschichten aus der alten Welt – denn Sie besinnen sich doch wohl noch, Herr, wie Sie damals mal von einem alten schottischen Dreier sagten, es wäre eine antike Münze.«
»Geh zum Teufel,« sagte Oldbuck, und dann setzte er in milderm Tone hinzu, wie einer, der wohl weiß, daß sein Ruf in der Macht seines Gegners läge: »Schert Euch nach Munkbarns, und wenn ich zurückkomme, will ich Euch 'ne Flasche Bier in die Küche schicken.«
»Lohns der Himmel Euer Ehren!«
Diese Worte waren gesprochen in dem echten weinerlichen Geplärr des Bettlers, während er, seinen Stab vor sich setzend, in der Richtung auf Monkbarns hinwegschritt.
»Aber haben Euer Ehren,« und er wandte sich noch einmal um, »jemals das Silber zurückbekommen, das Sie dem herumziehenden Trödler für den schottischen Dreier bezahlt haben?«
»Fluch dir! geh an dein Geschäft!«
»Schon gut, schon gut, Herr! Gott segne Euer Ehren! – Ich hoffe, Sie werdens Hannes Howie schon heimzahlen, und ich erlebs noch!«
Und mit diesen Worten ging der alte Bettler, Herrn Oldbuck endlich von Erinnerungen befreiend, die nichts weniger als angenehm waren.
»Wer ist der zudringliche alte Kerl?« fragte Lovel, als der Schnorrer aus Hörweite war.
»O, eine von den Landplagen dieser Gegend – ich bin immer gegen die Abgaben für die Armen und gegen die Arbeitshäuser gewesen – ich denke, ich werde jetzt dafür stimmen, damit dieser Schurke hinter Schloß und Riegel kommt. Wer er ist? Ei, er ist mit allem so ziemlich durch! Ist Soldat gewesen, Bänkelsänger, wandernder Kesselflicker, und jetzt ist er Bettler. Unser törichter Landadel schont seiner und verhätschelt ihn förmlich. Sie lachen über seine Witze und erzählen die Schnurren Edie Ochiltrees weiter.«
»Er nimmt sich viel Freiheit heraus – was ja die Seele des Witzes ist,« bemerkte Lovel.
»Ei ja, Freiheiten genug,« sagte der Altertümler. »In der Regel erfindet er so eine verdammte unwahrscheinliche Schwindelei, um einen zu hänseln, wie den Mumpitz, von dem er eben geschwatzt hat, aber ich will jetzt noch nicht weiter darauf eingehen, bis ich nicht der Sache auf den Grund gegangen bin.«
»In England,« sagte Lovel, »würde mit einem solchen Bettler kurzer Prozeß gemacht werden.«
»Freilich, die Parochievorsteher und Büttel würden ihm seine faulen Witze bald versalzen! Aber hier! – Fluch ihm! – hier ist er eine Art privilegierten Ärgernisses – einer der letzten Vertreter der altmodischen schottischen Bettlersippschaft, die in einem Landstrich ihre Runde machten und der Neuigkeitskrämer, der fahrende Sänger und oft auch der Chronist des Kreises waren. Dieser alte Gauner weiß mehr alte Balladen und Traditionen als irgend einer in diesem oder den vier nächsten Sprengeln. Und schließlich,« setzte er hinzu und wurde ein wenig milder gestimmt, während er Edies gute Seiten beschrieb, »der Hund hat Humor und ist eine gutmütige Haut. Er hat sein hartes Geschick mit ungebrochenem Mute ertragen, und es wäre grausam, wenn man ihm den Trost versagen wollte, über die Leute, denen es besser geht wie ihm, sich lustig zu machen. Für das Vergnügen, daß er mich gefoppt hat, kriegt er auf ein paar Tage Essen und Trinken. Aber ich muß zurück und ihm nachschaun, sonst verbreitet er seine verdammte unsinnige Geschichte über die halbe Gegend.«
Nach diesen Worten verabschiedeten sich unsere Helden, Herr Oldbuck kehrte zu seinem hospitium in Monkbarns zurück, und Lovel nach Fairport, wo er ohne jeden weiteren Zwischenfall anlangte.
Fünftes Kapitel
Das Theater in Fairport war eröffnet, aber kein Herr Lovel erschien auf der Bühne, noch lag in dem Wesen und Benehmen des jungen Mannes etwas, das Herrn Oldbucks Vermutung, sein Reisegefährte sei ein Bewerber um die Gunst des Publikums, hätte bekräftigen können. Regelmäßig erkundigte sich der Altertümler bei einem altmodischen Barbier, der die einzigen drei Perücken im Sprengel frisierte – trotz der Kosten und des Zeitaufwandes durfte er sie immer noch regelmäßig pudern und kräuseln, und er verteilte daher seine Zeit unter die drei letzten Kunden, die ihm im Wechsel der Mode treu geblieben waren – regelmäßig, wie gesagt, erkundigte sich Herr Oldbuck bei dieser Person nach den Neuigkeiten des kleinen Theaters in Fairport, und jeden Tag erwartete er, von Herrn Lovels Auftreten zu hören. Der alte Herr hatte sich fest vorgenommen, zu Ehren seines jungen Freundes nicht nur selber sich das Stück anzusehen, sondern sogar sein Weibsvolk mitzunehmen. Aber der alte Jakob Caxon brachte keine Nachricht, die ihn zu einem so entscheidenden Schritt, sich eine Loge zu kaufen, hätte veranlassen können.
Er brachte im Gegenteil die Mitteilung, es lebe jetzt ein junger Mann in Fairport, aus dem die Stadt (mit diesem Begriff meinte er alle Klatschmäuler, die selber nichts zu tun haben und daher sich die faule Zeit damit vertreiben, daß sie sich um anderer Leute Angelegenheiten bekümmern) nicht klug werden könne. Er suche keinen Umgang, ja vermeide sogar den Verkehr, den nach seiner äußeren Vornehmheit und auch aus einiger Neugierde viele Leute ihm angeboten hätten.
Und doch könne man sich nichts Regelmäßigeres und einem Abenteurer Unähnlicheres denken als seine Lebensweise, die zwar einfach, aber doch so wohl geordnet sei, daß alle Leute, die geschäftlich mit ihm zu tun hätten, des Lobes über ihn voll wären.
Dieser Tugenden könne sich freilich ein Held des Kothurns nicht rühmen, dachte Oldbuck bei sich selber. So hartnäckig er auch gewohnheitsmäßig an seinen Meinungen festhielt, so hätte er doch wohl oder übel die in diesem Fall gefaßte Meinung aufgeben müssen, hätte nicht Caxon in seinem Bericht den folgenden Zusatz gemacht:
»Der junge Herr, das haben viele gehört, hat oft mit sich selber gesprochen und im Zimmer herumspektakelt, als wenn er einer von dem Komödiantenvolk wäre.«
Außer diesem einzigen Umstand konnte jedoch nichts Herrn Oldbucks Annahme bestätigen, und es blieb ein ungelöstes Rätsel, was ein wohlgebildeter junger Mann ohne Freunde, Beziehungen oder Beschäftigung irgendwelcher Art in Fairport zu tun haben könne. Augenscheinlich machte er sich weder aus Portwein noch aus Whist etwas. Er vermied es, an den geselligen Zusammenkünften einer der beiden Parteien, in die sich die Einwohnerschaft von Fairport schied – wie die ja auch in größeren Städten der Fall ist – teilzunehmen. Er war zu wenig Aristokrat, um dem Klub der königlichen Blaublütler beizutreten, und zu wenig Demokrat, um sich mit einer Gesellschaft der sogenannten Volksfreunde zu verbrüdern, die der Kreis auch das Glück hatte zu besitzen. Kaffeelokale waren sein Abscheu, und für einen Teetisch – leider kann es nicht verschwiegen werden – hatte er wenig Sympathie. In der Tat, seit der Name in Romanen oder Erzählungen gebräuchlich war – und das ist schon sehr, sehr lange her – hatte es noch nie einen Herrn Lovel gegeben, über den so wenig Bestimmtes bekannt war und über den alle Welt nur Beschreibungen in so ausschließlich negativer Form vorzubringen gewußt hätte.
Ein negativer Umstand jedoch war sehr wesentlich, es wußte niemand etwas Schlechtes von Lovel. Wäre dies der Fall gewesen, so wäre es in der Tat schleunigst ruchbar geworden, denn das natürliche Verlangen, vom lieben Nachbar übel zu reden, wäre in seinem Falle von keinem Gefühl der Sympathie für einen so einsiedlerischen Menschen gemildert worden.
Nur in einem Punkte traute man ihm nicht recht über den Weg. Da er auf seinen einsamen Spaziergängen viel mit dem Bleistift arbeitete und mehrere Ansichten vom Hafen gezeichnet hatte, darunter auch den Signalturm und die Batterie mit den vier Geschützen, so verbreiteten ein paar biereifrige Kannegießer das Gerücht, dieser geheimnisvolle Fremdling müsse ein französischer Spion sein. Demzufolge war auch der Herr Sheriff bei Herrn Lovel gewesen, aber das »Interview« hatte dahin geführt, daß der Beamte seinen Verdacht völlig aufgegeben hatte, denn nicht nur wurde der junge Mann in seiner Behausung ganz ungeschoren gelassen, sondern er wurde, wie glaubwürdig berichtet wurde, sogar zweimal zu Tisch gebeten, welche beiden Einladungen eine höfliche Ablehnung erfuhren. Ueber den Inhalt der Auseinandersetzung aber bewahrte der Beamte der Obrigkeit tiefes Schweigen, nicht nur dem Publikum im großen und ganzen gegenüber, sondern auch vor seinem Schreiber, seiner Frau und seinen zwei Töchtern, die sonst in allen Fragen der Amtspflicht seinen geheimen Kabinettsrat bildeten.
All diese Einzelheiten, die Herr Caxon getreulich dem Gutsherrn von Monkbarns zutrug, ließen Lovel in der Meinung seines Reisegefährten sehr gewinnen.
»Ein anständiger, verständiger Bursche,« sagte er zu sich selber, »er hält es unter seiner Würde, die Dummheiten und den Mumpitz der Fairporter mitzumachen. – Ich muß mich ein wenig seiner annehmen – ich muß ihn zu Tisch laden – und ich will auch Sir Arthur schreiben, daß er nach Monkbarns kommen und ihn kennen lerne soll. – Da muß ich mal mit meinem Weibsvolk reden.«
Nachdem demgemäß eine solche Beratschlagung stattgefunden hatte, wurde ein Sendbote – kein Geringerer als Caxon selber – beauftragt, sich auf einen Weg nach Schloß Knockwinnock einzurichten und einen Brief mitzunehmen an den sehr ehrenwerten Sir Arthur Wardour von Knockwinnock, Baronet.
Dieses Schreiben lautete folgendermaßen:
»Sehr werter Sir Arthur!
Am Donnerstag den 17. curr.
Ich verbleibe, sehr werter Sir Arthur
etc. etc. etc.«
»Fliegen Sie mit diesem Briefe, Caxon,« sagte der alte Herr, und hielt ihm sein Schreiben hin,
Während Caxon auf seinem Hin- und Rückwege sich befindet, ist es wohl ganz am Platze, dem Leser mitzuteilen, zu welchem Hause ihn seine Sendung führte.
Wir haben bereits gesagt, daß Herr Oldbuck wenig Verkehr mit den Edelherren der Umgegend pflegte, abgesehen von einer einzigen Person. Dies war Sir Arthur Wardour, ein Baronet aus altem Geschlecht und von großem Vermögen, aber trotzdem mißlichen Verhältnissen.
Sein Vater, Sir Anthony, war Jakobit gewesen und hatte alle Begeisterung für diese Partei an den Tag gelegt, so lange man ihr noch mit bloßen Worten nützlich sein konnte. Niemand hat die Zitrone mit einer bezeichnenderen Handbewegung ausgedrückt, und niemand konnte mit mehr Geschick einen gefährlichen Trinkspruch ausbringen, ohne dabei unter die Paragraphen des Strafgesetzbuches zu fallen; und vor allem, niemand hat auf den Erfolg der Sache annähernd soviel und annähernd so anhänglich getrunken.
Aber als 1745 die Hochlandsarmee heranrückte, schien der Eifer des würdigen Baronets ein wenig nachzulassen, während doch gerade die Konsequenz eine Steigerung erheischt hätte. Er schwatzte in der Tat viel davon, daß er für die Rechte Schottlands und Karl Stuarts seinen Mann stellen wolle; aber sein Sattel paßte nur auf eins von seinen Pferden, und das konnte kein Pulver riechen und war auch nicht dazu zu bringen. Vielleicht teilte der würdige Eigentümer die Bedenken dieses scharfsinnigen Vierfüßlers und begann zu denken, was dem Tiere solches Grausen einflöße, könne auch dem Reiter nicht zuträglich sein.
Dieweil Sir Anthony Wardour schwatzte und trank und zauderte, rückte der herzhafte Amtmann von Fairport (der niemand andres war als der Vater unseres Altertümlers) an der Spitze einer Schar von Bürgern aus, besetzte im Namen Georgs II. ohne weiteres Knockwinnock, nahm die vier Kutschpferde in Beschlag und verhaftete den Besitzer. Kurz darauf wurde Sir Anthony laut königlichem Haftbefehl nach dem Tower zu London geschickt, und mit ihm ging sein Sohn Arthur, damals noch ein Jüngling. Da man ihnen aber nichts als offenkundige Verräterei auslegen konnte, so wurden Vater und Sohn wieder in Freiheit gesetzt und kehrten nach ihrem Herrenhause Knockwinnock zurück, um auch weiterhin fünf Klaftern tiefe Gesundheiten aus das Haus Stuart zu trinken und zu erzählen, was sie alles für die königliche Sache gelitten hatten.
Und so sehr wurde dies zu einer Art Gewohnheit, daß nach seines Vaters Tod Sir Arthur noch immer unentwegt für das Haus Stuart betete, selbst als die Familie schon längst erloschen war.
Sonst führte Sir Arthur dasselbe Leben wie die Mehrzahl der schottischen Krautjunker – jagte, angelte, gab Diners und ging zu Diners – war bei Pferderennen und Landtagen zugegen, war Vizestatthalter und Administrator der Chauseeverwaltungskommission. In seinen vorgerückten Jahren, als er für den Sport in Feld und Wald zu faul und auch zu schwerfällig wurde, las er statt dessen ab und zu schottische Geschichte, und da er allmählich Geschmack an Raritäten zu finden begann – freilich ging die Liebhaberei nicht sehr tief und blieb auch ohne Fachkenntnis – so wurde er ein intimer Freund seines Nachbars, des Herrn Oldbuck von Monkbarns, und Mitarbeiter in seinen antiquarischen Beschäftigungen.
Es bestanden aber zwischen den beiden wunderlichen Heiligen verschiedene Meinungsverschiedenheiten, die manchmal zu kleinen Mißstimmungen führten. Sir Arthur war als Altertümler von grenzenloser Leichtgläubigkeit, und Herr Oldbuck war – trotz der Geschichte mit dem Praetorium im Kaim of Kinprunes – viel bedenklicher und vorsichtiger, ehe er eine Legende als giltige oder authentische Münze annahm. Sir Arthur hätte sich selber des Verbrechens der Majestätsbeleidigung für schuldig erachtet, wenn er an der Existenz eines einzigen in der fürchterlichen Reihe von einhundertundvier schottischen Königen gezweifelt hatte, – eine Ahnenreihe, aus die Jakob IV. seinen Anspruch auf den Thron begründete und deren Porträte noch jetzt grimmig von der Galerie von Holyrood herunterschauen.
Oldbuck aber als kniffliger mißtrauischer Mann gab nicht viel auf göttliches Erbrecht und machte sich gern über diese geheiligte Ahnenreihe lustig.
Ein andrer heikler Punkt war der gute Ruf der Königin Maria, den der Baron aufs ritterlichste behauptete, wahrend der Lord ihn trotz ihrer Schönheit und trotz ihres Unglücks angriff. Wenn ihre Unterhaltung sich auf noch spätere Zeiten erstreckte, so fanden sich Gründe zur Uneinigkeit fast auf jeder Seite der Geschichte. Oldbuck war aus Prinzip ein hartnäckiger Presbyterianer und ein Freund von revolutionären Grundsätzen und von der protestantischen Dynastie, und Sir Arthur war in all diesen Stücken sein gerades Widerspiel. Der einzige Punkt, in dem sie eins waren, war treue Liebe und Anhänglichkeit für den Herrscher, der zur Zeit auf dem Throne saß. So kam es denn mitunter zu heißen Plänkeleien zwischen beiden, in welchen Oldbuck nicht immer seinen kaustischen Humor unterdrücken konnte, während bei dem Baronet oft die Erinnerung an die Beschlagnahme der Kutschpferde und die Besetzung seines Herrenhauses durch Oldbucks Vater zum Durchbruch kam und zugleich seine Wangen und seine Redeweise erhitzte.
Und letztens einmal, als Herr Oldbuck die Meinung gefaßt hatte, daß sein Freund und Kamerad in mancher Hinsicht ein richtiger Esel sei, war er der Unhöflichkeit, diese ungünstige Meinung zu äußern, näher gekommen, als die Vorschriften der modernen Höflichkeit es gestatten. In solchen Fallen gingen sie oft in tiefem Groll auseinander und waren fest entschlossen, in Zukunft sich überhaupt nicht mehr anzusehen.
Aber jeder wußte doch, daß ihm die Gesellschaft des andern durch langjährige Gewohnheit zur Gemütlichkeit erforderlich war, und so war der Bruch zwischen beiden immer bald wieder geheilt. Dann bekundete immer Oldbuck, der sehr richtig kalkulierte, daß der Baron in seiner Empfindlichkeit wie ein kleines Kind sei, stets seinen überlegnen gesunden Sinn und machte mitleidsvoll die ersten Schritte zur Versöhnung. Und wenn gar einmal der Bruch unheilbar zu sein schien, so gelang es doch stets den liebevollen Bemühungen und der Vermittlung der Tochter des Baronets, Fräulein Isabella Wardour, die neben einem Sohne – jetzt in fremdem Lande beim Militär – die ganze Familie ausmachte.
Sie wußte sehr wohl, wie unentbehrlich Herr Oldbuck ihrem Vater zum Zeitvertreib und zur Gemütlichkeit war, und stets war ihre Einmischung von günstigem Erfolge. Da sie aber in diesen Streitigkeiten in der Regel die Partei ihres Vaters ergriff, wenn auch in scherzhafter Weise, so nannte Oldbuck sie immer seine schöne Feindin – im Grunde aber hielt er von ihr mehr als von irgend einer andern Person ihres Geschlechtes, von dem er ja, wie wir gesehen haben, kein Bewunderer war. Noch eine andere Beziehung bestand zwischen diesen Ehrenmännern, die abwechselnd einen abstoßenden und anziehenden Einfluß auf ihren Verkehr hatte. Sir Arthur wünschte immer zu borgen, und Herr Oldbuck war nicht immer willens zu leihen. Dahingegen wünschte Herr Oldbuck immer regelmäßig Zurückzahlung, und Sir Arthur war nicht immer – ja fast nie in der Lage, dem vernünftigen Wunsche nachzukommen, und bei so entgegengesetzten Neigungen kam es gelegentlich zu Verdrießlichkeiten. Dennoch bestand, alles in allem, der Geist gegenseitiger Anpassung, und sie trotteten durchs Leben wie zwei angeschirrte Hunde – gelegentlich haperte es und sie knurrten einander an, aber zu einem völligen Stillstand oder daß gar einer den andern erwürgt hatte, soweit kam es nie.
Eine kleine Mißstimmung, wie wir sie beschrieben haben, ob sie nun aus Geschäften oder aus politischer Plänkelei entstanden sein mochte, hatte die Häuser Knockwinnock und Monkbarns wieder einmal entzweit, als der Bote des letzteren erschien, seine Sendung zu erfüllen. In seinem altgotischen Zimmer, dessen Fenster auf der einen Seite auf den ruhelosen Ozean hinausschauten und auf der andern eine Aussicht auf die lange schnurgerade Allee boten, saß der Baron und blätterte gerade in einem dickleibigen Folio, ab und zu einen gelangweilten Blick nach den Sonnenflecken werfend, die auf dem dunkelgrünen Laub und den glatten Stämmen der breitwipfligen Linden der Allee zitterten.
Endlich – welch erfreulicher Anblick! ist etwas zu sehen, das sich bewegt, und Ursache gibt zu den üblichen Fragen: Wer ist das wohl? Und was mag er zu bestellen haben? An dem alten weißlich grauen Kittel, dem Hute, der halb Schlapphut, halb steifer Hut ist, war der abgedankte Perückenmacher zu erkennen, und so blieb denn nur noch die zweite der beiden Fragen aufzuwerfen. Und diese wurde bald beantwortet, indem ein Diener hereintrat.
»Ein Brief von Monkbarns, Sir Arthur!«
Mit der gebührlichen Miene der Würde, die ihren Standpunkt festzuhalten weiß, nahm Sir Arthur die Epistel entgegen.
»Nimm den alten Mann in die Küche, und laß ihm etwas Erfrischung geben,« sagte die junge Dame, deren mitleidiges Auge sein dünnes graues Haar und seine abgetragene Kleidung erkannt hatte.
»Herr Oldbuck, meine Liebe, lädt uns für Donnerstag, den 17. zu Tisch,« sagte der Baronet mit Unterbrechungen, »er scheint wahrhaftig zu vergessen, daß er sich neulich nicht gerade so höflich gegen mich benommen hat, wie wohl zu erwarten gewesen wäre.«
»Lieber Vater, du hast soviel vor dem armen Herrn Oldbuck voraus, daß es wohl kein Wunder ist, wenn er einmal ein wenig mißmutig wird. Aber ich weiß, er hat soviel Respekt vor deiner Person und vor deiner Konversation, und nichts würde ihm mehr leid tun, als wenn es an aufrichtiger Aufmerksamkeit sollte fehlen lassen.«
»Wahr, wahr, Isabella, und man muß auch seiner Herkunft manches zu gute halten, es fließt noch ein wenig von der deutschen Grobheit in seinen Adern, etwas von der der Partei der Whigs eigentümlichen hartnäckigen Auflehnung gegen alteingesessnen Rang und Vorrechte. Du wirst bemerken, er hat in keiner Debatte einen Vorteil vor mir, außer wenn er mit seiner chikanösen Beschlagenheit in Daten, Namen und allerlei nebensächlichen Ereignissen loslegt – eine ermüdende, gehaltlose Gedächtnisfaxe, die auch bloß dem Umstande zuzuschreiben ist, daß er von einem Handwerker abstammt.«
»Das mag ihm aber meiner Meinung nach bei historischen Untersuchungen sehr zu gute kommen.«
»Es führt zu einer unhöflichen rechthaberischen Führung jeder Debatte, und es führt auch zu einer kaufmännischen krämerhaften Manier in Geschäftssachen, die selbst ein Gutsbesitzer von einem zwei bis drei Generationen alten Geschlechte unter seiner Würde halten sollte – ich frage nur, versteht es wohl in Fairport irgend ein Ladenschwengel eines Händlers so gut, wie Monkbarns, eine Zinsenrechnung aufzusetzen?«
»Aber du nimmst doch seine Einladung an, Papa?«
»Na ja – jawohl, wir haben, glaube ich, gerade nichts weiter vor. Wer mag nur der junge Mann sein, von dem er spricht? Eine neue Bekanntschaft bei ihm ist eigentlich eine Seltenheit, und Verwandte hat er auch nicht – habe nie von welchen gehört.«
»Wahrscheinlich ein Verwandter seines Schwagers, des Kapitäns M'Intyre.«
»Sehr leicht möglich, jawohl, wir werden annehmen. Die M'Intyres stammen aus sehr alter hochländischer Familie. Du kannst sein Schreiben in zusagendem Sinne beantworten.«
Diese wichtige Angelegenheit war also erledigt. Fräulein Wardour bestellte für sich und Sir Arthur beste Grüße, und sie würden sich die Ehre geben, Herrn Oldbuck zu besuchen. Fräulein Wardour benutzte die Gelegenheit, ihre Feindseligkeiten mit Herrn Oldbuck zu erneuern, weil er sich solange nicht auf Knockwinnock habe sehen lassen.
Mit dieser Antwort trat Caxon, der inzwischen wieder zu Kräften und auch zu Atem gekommen war, den Rückweg nach dem Hause des Altertümlers an.
Sechstes Kapitel
Unser junger Freund, Lovel, der eine entsprechende Einladung erhalten hatte, traf pünktlich zur festgesetzten Stunde, und zwar noch fünf Minuten vor vier Uhr am siebenten Juli in Monkbarns ein. Der Tag war merkwürdig trübe, und große Regentropfen waren ab und zu gefallen, das drohende Unwetter war aber bis jetzt immer wieder vorübergezogen. »Willkommen zu meinem Symposion, meinem Gastmahle!« begrüßte ihn Herr Oldbuck, – »und nun will ich Ihnen mein unglückseliges nichtsnutziges Weibsvolk vorstellen –
»Die Damen verdienen sicher Ihre satirische Darstellung ganz und gar nicht, oder ich müßte mich sehr täuschen,« sagte Lovel. »Wischiwaschi! Herr Lovel, Sie werden selber sehen, sie sind weiter nichts als eben Weiber – aber da sind sie. Ich stelle Ihnen, wie es sich gehört, meine sehr artige Schwester Griselda vor und meine ausgezeichnete Nichte, – ihre Mutter hieß Mary und wurde manchmal Molly gerufen.«
Die ältliche Dame rauschte einher in Seide und Satin und trug auf ihrem Haupte einen Bau, wie man sie in den Modeblättern von 1770 findet – ein prächtiges Stückchen Architektur – nicht sonderlich geringer als ein modernes gotisches Schloß – die Locken konnten die Türmchen darstellen, die schwarzen Nadeln die
Das Gesicht, das gleich dem der antiken Bestastatuen also mit Türmen gekrönt war, war groß und lang und spitz an Nase und Kinn und hatte im übrigen eine so spaßhafte Ähnlichkeit mit der Physiognomie Jonathan Oldbucks, daß Lovel, wären sie nicht zu gleicher Zeit beide vor ihm erschienen, hätte denken können, die Gestalt vor ihm sei sein alter Freund in weiblicher Verkleidung.
Ein antikes geblümtes Seidenkleid zierte die außerordentliche Person, der dieser unverhältnismäßige Kopfputz angehörte – ihr Bruder sagte immer, er passe besser zu einem Turban von Mahund oder Termagent, statt auf den Kopf einer vernünftigen Kreatur oder gar eines christlichen Weibes. Zwei lange knöcherne Arme waren an den Ellbogen von dreifachen Spitzenkräuschen umgeben, und da sie vor dem Leibe kreuzweis übereinander gelegt waren und mit langen Handschuhen von grellroter Farbe geziert waren, so hatten sie eine große Ähnlichkeit mit einem Paar gigantischer Hummern. Schuhe mit hohen Absätzen und ein kurzes seidnes Mäntelchen, das sie in graziöser Nachlässigkeit über die Schultern geworfen hatte, vervollständigten das Äußere der Jungfer Griselda Oldbuck.
Ihre Nichte – dieselbe, die Lovel auf seinem ersten Besuche flüchtig gesehen hatte, war ein hübsches junges Weibchen, der Mode des Tages entsprechend gefällig gekleidet, mit einem Zug von Schalkhaftigkeit, der ihr sehr gut stand, und der vielleicht aus dem der Familie des Oheims eignen kaustischen Humor auf sie übergegangen war – nur nach der Übertragung gemildert und verfeinert.
Herr Lovel begrüßte beide Damen aufs höflichste. Die ältere Dame antwortete mit dem echten langen Knicks von 1760, die jüngere mit einer modernen Verneigung, mit der sie viel rascher fertig war.
Während noch diese Begrüßungen ausgetauscht wurden, erschien Sir Arthur mit seiner schönen Tochter am Arme an der Gartentür – er hatte eben seinen Wagen weggeschickt – mit aller gebührenden Achtung bekomplimentierte er die Damen.
»Sir Arthur,« sagte der Altertümler, »und Sie, meine schöne Feindin, lassen Sie mich Ihnen meinen jungen Freund, Herrn Lovel, vorstellen, einen jungen Herrn, der inmitten des Scharlachfiebers, das jetzt auf dieser unserer Insel grassiert, doch so viel Tugend und Anstand besitzt, in einem Rock von gesitteter Farbe zu erscheinen. Sie sehen indessen, daß die Modefarbe, die zwar nicht an seinem Anzüge zu finden ist, ihm doch in die Wangen gestiegen ist. Sir Arthur, lassen Sie mich Ihnen einen jungen Herrn vorstellen, den Sie bei näherer Bekanntschaft als ernst, weise, höflich, gebildet, wohlbewandert und tief belesen und von Grund auf vertraut mit all den verborgenen Geheimnissen der Bühne – er errötet wieder –«
»Mein Bruder« sagte Jungfer Griselda, »hat eine so närrische Manier, sich auszudrücken, mein Herr. Kein Mensch gibt was drauf, was Monkbarns schwatzt, so bitte ich Sie, lassen Sie sich nicht so verwirren von seinem Unsinn. Aber es muß Ihnen unterwegs in der brennenden Sonne warm geworden sein – wollen Sie etwas zu sich nehmen – ein Gläschen Balsam-Wein?«
Ehe Lovel antworten konnte, mischte der Altertümler sich drein.
»Hebe dich weg, Hexe! wolltest du meine Gäste vergiften mit deinem infernalischen Gebräu? Erinnerst du dich nicht mehr, wie es dem Pfarrer ergangen ist, den du verlockt hast, von diesem heimtückischen Getränk zu genießen?«
»O pfui, pfui, Bruder! Sir Arthur, ist Ihnen so etwas schon vorgekommen? Es muß alles nach seiner Manier sein, sonst erfindet er derartige Geschichten. Aber da geht Hanne die alte Glocke läuten, um uns anzukünden, daß das Mittagessen fertig ist.«
Streng in seiner Sparsamkeit, hielt sich Herr Oldbuck keinen männlichen Bedienten. Er verbarg dies unter dem Vorwande, das männliche Geschlecht sei zu edel, um in dieser Tätigkeit persönlichen Dienstes verwendet zu werden, die in früheren Gesellschaftsperioden ausschließlich von den Weibern verrichtet worden sei.
»Warum,« sagte er, »warum hat der Bengel, Tom Rintherout, den ich auf meiner Schwester Anregung hin, ich, der ich doch so klug bin, auf Probe angestellt hatte, warum hat er Apfel gemaust, Vogelnester ausgenommen, Gläser zerschlagen und mir schließlich gar die Brille gestohlen – bloß weil er den edlen Tatendrang in sich hatte, der dem männlichen Geschlecht die Brust schwellt? Und dieser Tatendrang hat ihn denn auch nach Flandern geführt, mit einem Schießprügel über der Schulter, und wird ihn ohne Zweifel noch zu einer ruhmvollen Hellebarde bringen oder gar an den Galgen! Und warum bewegt sich dieses Mädchen, seine leibliche Schwester, Hanne Rintherout, in demselben Berufe mit so sicherem geräuschlosen Fuße, ob sie nun Schuhe anhat oder barfuß geht, so leise wie eine Katze oder so sachte wie ein Hühnerhund – warum? Eben weil es ihr Beruf ist. Dienen mögen sie uns, Sir Arthur, dienen – sage ich – das ist das einzige, wozu sie sich eignen. Alle Gesetzgeber des Altertums – von Lykurg bis auf Mohammed, fälschlich Mahommet genannt – stellen sie einstimmig auf den ihnen zukommenden untergeordneten Rang, und nur in den verrückten Köpfen unserer ritterlichen Ahnen sind die Dulcineas zu despotischen Prinzessinnen aufgerückt.«
Fräulein Wardour protestierte laut gegen diese jeder Galanterie Hohn sprechende Doktrin, aber jetzt läutete die Glocke zum Mittagstisch.
»Einer so schonen Gegnerin gegenüber will ich all die Pflichten zarter Höflichkeit erfüllen,« sagte der alte Herr, ihr den Arm bietend.
Er führte sie in das Eßzimmer, das Lovel noch nicht gesehen hatte. Es war mit Getäfel versehen und enthielt wunderliche Gemälde. Bei Tische bediente Hanne, aber eine Art weiblichen Mundschenks stand am Serviertische und nahm das schwere Los auf sich, mehrmals Tadel von Herrn Oldbuck und weniger grobe, aber nicht minder beißende Bemerkungen von seiner Schwester hinzunehmen.
Das Mittagessen war ganz der Manier eines berufsmäßigen Altertümlers entsprechend und enthielt mehrere schmackhafte altschottische Gerichte, die jetzt von den sogenannten vornehmen Tischen verschwunden sind. Da gab es die köstliche Solandgans oder Rotgans, die einen so starken Duft an sich hat, daß sie nie im Hause drinnen zubereitet wird. Diesmal war sie unglücklicherweise noch blutig und nicht ganz gar, und Oldbuck drohte, den fettigen Seevogel der liederlichen Haushälterin an den Kopf zu werfen. Aber zum Glück war das schottische Allerlei ihr besser gelungen – es wurde einstimmig als unnachahmlich erklärt.
»Daß uns das glücken würde, hab ich von vornherein gewußt,« sagte Oldbuck in heller Freude, »denn Davie Nibble, der Gärtner – er ist Junggeselle wie ich –läßt es nicht zu, daß das nichtsnutzige Weibsvolk ihm das Gemüse verschandelt. Und hier haben wir Fisch mit Sauce – das Gericht versteht unser Weibsvolk ganz ausgezeichnet zu bereiten, geb ich zu – sie haben dabei aber auch das Vergnügen, zweimal die Woche mit der alten Maggie Mucklebackit, dem Fischweib, herumzufeilschen. Die Hühnerpastete, Herr Lovel, ist nach einem Rezept gemacht, das mir meine Großmutter selig hinterlassen hat. Und wenn Sie sich auch an ein Glas Wein herantrauen, so werden Sie finden, es macht einem alle Ehre – einem, der sich zu dem Grundsätze des Königs Alphons von Kastilien bekennt: Altes Holz zum Brennen – alte Bücher zum Lesen – alten Wein zum Trinken – und alte Freunde, Sir Arthur – ja, Herr Lovel, und auch junge Freunde zum Plaudern.«
»Und was bringen Sie uns Neues aus Edinburgh, Monkbarns?« fragte Sir Arthur.
»Toll, toll, Sir Arthur – nicht wieder gut zu machen! Die schlimmste Art von Wahnsinn – ein Militärrappel – hatte Mann, Weib und Kind ergriffen.«
»Und das ist auch hohe Zeit, dünkt mich,« sagte Fräulein Wardour, »wenn wir mit Einfallen von außen und Revolution von innen bedroht sind.«
»Oh, ich habe auch gar nicht daran gezweifelt, daß Sie auf die Seite des scharlachroten Heeres der Feinde treten würden – die Weiber sind wie die Truthähne, über einen roten Lappen verlieren sie den Verstand. Aber haben Sie je die Geschichte von der Schwester Margarete gehört? Der Kopf, der sie ausgeheckt hat, ist zwar jetzt alt und auch schon grau, hat aber mehr gesunden Menschenverstand und politischen Scharfblick, als heutzutage in einer ganzen Synode zu finden ist. Besinnen Sie sich auf den Traum der Amme, in jenem ausgezeichneten Werke, den sie in so großer Todesangst Hubble-Bubble erzählt? – Wenn sie in ihrem Traum, ein Stück breite Leinwand in die Hand genommen hatte, – bums! explodiert wars wie eine große eiserne Kanone. Wenn sie nach einer Spindel griff, reckte sie sich in ihren Augen als Pistole empor. Mir war in Edinburgh zu Mute, als ob ich einen ähnlichen Traum hätte. Ich bin zu meinem Anwalt gegangen, er trug Dragoneruniform, gestiefelt und gespornt, und war im Begriff, ein Streitroß zu besteigen, das sein Schreiber (der als Scharfschütze eingekleidet war) vor der Tür hin- und herführte. – Da ging ich zu meinem Geschäftsführer, um ihn auszuzanken, daß er mich an einen Irrsinnigen gewiesen hätte, er hatte sich einen ganzen Busch von den Federn, die er in ruhigeren Zeiten sonst zwischen den Fingern abstrapaziert hatte, auf den Kopf gesteckt und war als Artillerieoffizier gekleidet. Mein Schnitthändler hatte eine Hellebarde in der Hand, als wolle er mit diesem Gerät sein Tuch messen, statt mit der gesetzmäßigen Elle. Der Bankiersbuchhalter, der angewiesen war, mein Konto aufzustellen, verrechnete sich dreimal, weil er noch den Kopf voll hatte von seinem militärischen Rapport bei der Vormittagsübung, und das machte ihn ganz dumm. Mir war unwohl, und ich schickte zu einem Arzt.
Er kam – doch Mut in seinen Augen glühte, Ein Säbel an der Seite Flammen sprühte, Er war, bei Gott, so ganz zu Stahl geworden – Ich dacht, er käm – zu heilen nicht – zu morden. Ich wandte mich an einen andern Arzt, aber er schien auch den Menschenmord mehr en gros zu üben, als sein Beruf ihm vermutlich sonst gestattet hatte. Und nun ich hierhergekommen bin, hat die Laune der Tapferkeit selbst unsre weisen Nachbarn von Fairport ergriffen. Ich hasse ein Gewehr wie eine angeschossene Wildente, ich verabscheue eine Trommel wie einen Quäcker – und sie donnern und rasseln da drüben auf der Stadtwiese, daß jeder Wirbel und jede Salve mir schier das Herz zersprengt!«
»Lieber Bruder, sprich doch nicht so von den Herren Freiwilligen. Sie haben doch eine sehr schmucke Uniform. Ich wette, vergangene Woche sind sie zweimal bis auf die Haut naß geworden. Denk doch, was sie sich für Blackerei machen – dafür müssen wir ihnen doch sicherlich dankbar sein.«
»Und mein Onkel,« sagte Fräulein M'Intyre, »hat auch zwanzig Guineen bewilligt als Beisteuer für ihre Ausrüstung.«
»Branntwein und Zuckerkant sollten sie dafür kaufen,« versetzte der Zyniker, »damit Schwung in den Handel kommen sollte und die Offiziere, die sich im Dienste des Vaterlandes heiser gebrüllt hatten, sich die Kehlen wieder ein bißchen schmieren sollten.«
»Nehmen Sie sich in acht, Monkbarns, wir werden Sie noch auf die schwarze Liste setzen.«
»Nicht doch, Sir Arthur, einen harmlosen Brummbär wie mich! Ich verlange nur das Recht, hier in meinem eigenen Winkel krakehlen zu können, aber dem großen Chorus der Heerstraße misch ich mein Trotzen nicht bei.
Als das Mittagsmahl vorüber war und die Becher auf den Tisch kamen, brachte Herr Oldbuck die Gesundheit des Königs aus in einem großen Humpen, und Lovel und der Baronet taten ihm gern Bescheid – denn der Jakobitismus des letzteren war jetzt bloß noch spekulative Ansichtssache – der Schatten eines Schattens.
Nachdem die Damen das Zimmer verlassen hatten, entspannen sich zwischen dem Wirt und Sir Arthur mehrere tiefsinnige Erörterungen, an denen der jüngere Gast, wohl weil sie sich in zu komplizierter Gelehrsamkeit verloren, nur geringen Anteil nahm, bis er endlich aus einer tiefen Träumerei erwachte, indem er inne wurde, daß beide in hitzigern Ton verfallen und auf einen jener Punkte geraten waren, über die es leicht zwischen ihnen zu Mißstimmungen kam.
»Es gibt eine Liste von Königen der Pikten,« sagte Sir Arthur, »die vollauf beglaubigt ist, von Crentheminachcryme (das Datum seiner Regierung steht nicht genau fest) bis auf Drusterstone, mit dessen Tode ihre Dynastie erloschen ist. Die Liste dieser Herrscher ist von Henry Maule von Melgum aus den Chroniken von Loch-Leven und Saint-Andrews kopiert worden, er hat sie dann in seiner kurzen aber befriedigenden Geschichte der Pikten veröffentlicht im Jahre des Herrn siebzehnhundertundfünf oder sechs, das weiß ich nicht genau, aber ich habe selber ein Exemplar zu Hause. Was sagen Sie dazu, Herr Oldbuck?«
»Was ich dazu sage? Je, ich lache über Harry Maule und seine Geschichte,« antwortete Oldbuck.
»Lachen Sie nicht über einen Mann, der mehr wert ist, wie Sie selber,« erwiderte Sir Arthur in etwas verächtlichem Tone. »Henry Maule war ein Ehrenmann.«
»Ich dächte, darin hätte er vor mir nichts voraus,« sagte der Altertümler, ein wenig patzig.
»Gestatten Sie, Herr Oldbuck, er war ein Edelmann aus hoher Familie und von sehr alter Abkunft und daher –«
»Daher sollte der Abkömmling eines westfälischen Druckers nicht mit Geringschätzung von ihm sprechen? – So mögen Sie ja denken, Sir Arthur. Ich bin der Meinung, daß meine Abkunft von dem betriebsamen und sorgfältigsaubern Typographen Wolfbrand Oldenbuck, der im Dezember 1493 unter der Gönnerschaft von Sebaldus Scheyter und Sebastian Kammermeister den Druck der großen Chronik von Nürnberg vollendet hat – ich bin der Meinung, daß meine Abkunft von diesem großen Manne der Bildung für mich als Gelehrten rühmlicher ist, als wenn ich in meiner Genealogie alle die bramarbasierenden, alten gotischen Barone mit Köpfen und Fäusten von Eisen von den Tagen des Crentheminachcryme an aufzuweisen hätte – von denen nicht einer, glaub ich, seinen eigenen Namen hat schreiben können.«
»Wenn Sie diese Bemerkung als Hohn auf meine Ahnen gemünzt haben,« sagte der Ritter mit einer Pose würdevoller Überlegenheit, »so habe ich das Vergnügen, Ihnen mitzuteilen, daß mein Ahnherr, Gamelyn de Guardover, seinen Namen in sauberer Schrift eigenhändig in die früheste Kopie der Ragman-Liste eingetragen hat.«
»Was beweist weiter gar nichts, als daß er der erste war, der das niedrige Beispiel gegeben hat, sich Eduard I. zu unterwerfen. Was haben Sie noch von der fleckenlosen Königstreue Ihrer Familie zu sagen, Sir Arthur, nach solcher Abtrünnigkeit?«
»Es ist genug, Herr,« sagte Sir Arthur und fuhr zornig auf, den Stuhl zurückstoßend, »ich werde in Zukunft mich vorsehen, mit meiner Gesellschaft einen Mann zu beehren, der sich für meine Herablassung so undankbar erzeigt.« »In diesem Punkte handeln Sie nur ganz nach Belieben, Sir Arthur. Ich bin mir allerdings nicht vollauf bewußt gewesen, ein wie großes Entgegenkommen Sie mir erzeigt haben, indem Sie mein armes Haus besuchten, ich hoffe daher, Sie werden es mir nicht verübeln, daß ich die Dankbarkeit nicht bis zur knechtischen Unterwürfigkeit getrieben habe.«
»Sehr wohl, Herr Oldbuck– ich wünsche Ihnen einen guten Abend, Herr – ä–ä–ä – Shovel,– ich wünsche Ihnen einen sehr guten Abend.«
Hinaus aus der Stube sauste Sir Arthur und durchmaß mit langen Schritten das Labyrinth von Gängen, das nach dem Gesellschaftszimmer führte.
»Ist Ihnen schon einmal solch ein verbohrter Dicknischel vorgekommen?« wandte sich Oldbuck plötzlich an Lovel. »Aber ich darf ihn nicht wie einen Tollhäusler davonrennen lassen.«
Mit diesen Worten, schoß er hinter dem Baron drein und folgte ihm, dem Knallen mehrerer Türen nach, die der Zürnende in der Suche nach dem Teezimmer aufriß und jedesmal, wenn es nicht das gesuchte Zimmer war, wieder zuwarf.
»Sie werden sich noch Schaden tun!« brüllte der Altertümler. »Qui ambulat in tenebris, nescit quo vadit – Sie werden noch die Hintertreppe hinunterfallen!«
Sir Arthur befand sich jetzt in tiefer Finsternis, deren niederschlagende Wirkung Ammen und Erzieherinnen gut kennen, die mit kleinen nergligen Kindern zu tun haben. Die Finsternis verlangsamte den Schritt des entrüsteten Barons, wenn sie auch seinen Ärger nicht dämpfte, und Herr Oldbuck, der ja mit den Örtlichkeiten besser Bescheid wußte, holte ihn gerade in dem Augenblicke ein, als er die Hand auf die Klinke zum Gesellschaftszimmer legte.
»Warten Sie einen Augenblick, Sir Arthur,« sagte Oldbuck, indem er ihn nicht so jäh in das Zimmer eintreten ließ. »Seien Sie nicht so ungestüm, mein guter alter Freund, – ich bin ein bißchen zu grob gewesen zu Ihnen, was Sir Gamelyn anbetrifft, – ei, du meine Güte, dabei ist er ein alter Bekannter von mir, der Sir Gamelyn – ein Liebling von mir – er war ein Gefährte von Bruce und Wallace! Kommen Sie, lassen Sie vergeben und vergessen sein und lassen Sie uns zugeben, daß wir dem jungen Herrn hier ein Recht gegeben haben, uns für zwei eigensinnige alte Schafsköpfe zu halten.«
»Na sprechen Sie nur für sich selber, Herr Oldbuck,« sagte Sir Arthur mit Majestät.
»Na denn meinetwegen – wer eben ein Trotzkopf ist, muß seinen Willen haben.«
Mit diesen Worten öffnete er die Tür, und hinein in das Gesellschaftszimmer trat die hohe hagere Gestalt Sir Arthurs. Herr Lovel und Herr Oldbuck folgten – sie sahen alle ein wenig ratlos und sehr mißgestimmt aus.
»Ich habe auf dich gewartet, lieber Vater,« sagte Fräulein Wardour, »ich möchte dir vorschlagen, der Kalesche entgegen zu gehen, da es ein so schöner Abend ist.«
Sir Arthur summte diesem Vorschlage bereitwillig bei, paßte er doch vortrefflich zu der zornigen Stimmung, in der er sich befand. Nachdem er, wie es in Fällen der Mißstimmung immer geschah, die Erfrischung von Thee und Kaffee abgelehnt hatte, nahm er den Arm seiner Tochter, verabschiedete sich mit vieler Zeremonie von den Damen und sehr trocken von Herrn Oldbuck – und ging von dannen.
»Mir scheint,« sagte Fräulein Oldbuck, »Sir Arthur hat schon wieder das böse Wesen.«
»Das böse Wesen? Den Teufel hat er! Alberner ist er wie das Weibsvolk! – Was sagen Sie, Lovel? – zum Kuckuck! der Bursche ist auch schon weg.«
»Er hat sich empfohlen, Oheim,« sagte Fräulein M'Intyre, »während Fräulein Wardour sich ankleidete. Aber du hast gar nicht nach ihm hingesehen.«
»Der Teufel steckt in dem Volke! Das hat man nun davon, daß man sich am Leibe reißt und sich allerlei, Scherereien macht, um Diners zu geben – ganz zu schweigen von all den Unkosten. – O Sagad, König von Äthiopien!« sagte er, indem er eine Tasse Tee in die eine und ein Buch in die andere Hand nahm – denn es war seine Gepflogenheit, wenn er im Beisein seiner Schwester aß oder trank, zu lesen – dieser Kunstgriff diente gleichzeitig dazu, seine Verachtung gegen die Gesellschaft der Frauen zu bekunden, wie zu beweisen, daß er nicht einen Augenblick, den er zu seiner Weiterbildung verwerten könne, unausgenutzt lassen wolle. – »O Sagad, Herrscher von Äthiopien! wie recht hast du – niemand soll so kühn sein und sagen: Dies wird sein ein Tag des Glückes!« Oldbuck fuhr fast eine volle Stunde in seinen Studien fort, ohne daß die Damen ihn unterbrochen hätten, die in tiefem Schweigen irgend einer weiblichen Beschäftigung nachgingen.
Endlich klopfte es leise und bescheiden an die Tür.
»Seid Ihrs, Caxon? Nur herein, nur herein, Mann!«
Der alte Mann öffnete die Tür, schob sein mageres, mit grauen dünnen Locken umgebenes Gesicht und einen Ärmel seines weiten Rockes herein und sagte in unterdrücktem geheimnisvollem Tone:
»Ich wollte mit Ihnen sprechen, Herr.«
»So kommen Sie doch herein, Sie alter Dummkopf, und sagen Sie, was Sie zu sagen haben.«
»Kann sein, ich erschreck' die Damen,« sagte der Ex-Friseur.
»Erschrecken?« versetzte der Altertümler. »Was soll das heißen? um die Damen kümmern Sie sich nur nicht weiter! Haben Sie vielleicht wieder einen Geist gesehen?«
»Nein, Herr, diesmal ists kein Geist,« versetzte Caxon. »Aber ich bin in großer Sorge.«
»Habt Ihr etwa gehört, daß wär zur Zeit irgend jemand nicht?« antwortete Oldbuck. »Was hat denn da ein alter abgerackerter Puderfex wie Ihr, für Ursache, nicht in Sorge sein zu wollen, wo es sonst alle Welt ist?«
»Es ist nicht um mich selber, Herr, aber es zieht eine furchtbare Nacht herauf, und Sir Arthur und Fräulein Wardour, das arme Ding –«
»Ei, Mann, die müssen doch an der grünen Gasse oder da herum ihre Kutsche getroffen haben, die sind gewiß schon längst zu Hause.«
»Nein, Herr, sie sind eben nicht, die Chaussee nach dem Schlagbaum, dem Wagen entgegengegangen, sie sind über die Dünen gegangen.«
Das Wort wirkte auf Oldbuck elektrisierend.
»Die Dünen!« rief er. – »Unmöglich!«
»Ja, Herr, das habe ich dem Gärtner auch gesagt, aber er hat gesagt, er hätte sie nach dem Muschelriff hinabgehen sehen – meiner Treu, sag ich zu ihm, wenn das der Fall ist, dann befürchte ich –«
»Einen Kalender! einen Kalender!« rief Oldbuck, in Bestürzung aufspringend. »Großer Gott! meine arme liebe Isabella! Holt mir auf der Stelle den Fairport-Kalender!«
Er wurde gebracht, der Altertümler sah nach, und seine Unruhe stieg aufs höchste.
»Ich will selber gehen! ruft den Gärtner und den Ackerknecht! Taue sollen sie mitnehmen und Leitern – sie sollen unterwegs Leute zur Hilfeleistung aufbieten – auf die Spitze der Klippen sollen sie und ihnen zurufen!«
»Was ist denn los?« fragte Jungfer Oldbuck.
»Die Flut! die Flut!« antwortete der bestürzte Altertümler.
»Wärs da nicht besser, wenn Hanne – aber nein! ich will selber gehen,« sagte die jüngere Dame, das Entsetzen ihres Oheims teilend. »Ich will selber zu Saunders Mucklebackit laufen und ihn sein Boot aussetzen lassen.«
»Dank dir, liebes Kind, das ist das gescheiteste Wort, das bis jetzt gesprochen worden ist. Lauf! lauf! auf nach den Dünen!«
Und er griff nach Hut und Stock.
»Ist je schon solch ein hirnverbrannter Blödsinn vorgekommen!« setzte er hinzu und stürmte davon.
Siebentes Kapitel
Die Mitteilung des Gärtners, die in Monkbarns so große Bestürzung wachgerufen hatte, war zutreffend. Sir Arthur und seine Tochter waren ihrem ersten Vorsatz gemäß willens gewesen, auf der Landstraße nach Knockwinnock zurückzukehren. Aber als sie die sogenannte grüne Gasse erreichten, sahen sie ein Stückchen vor sich Lovel, der absichtlich langsam zu gehen schien, um mit ihnen zusammenzutreffen.
Fräulein Wardour schlug sofort ihrem Vater vor, einen andern Weg zu gehen und, da es schönes Wetter war, über die Dünen heimzukehren, die unterhalb eines malerischen Kammes von Klippen sich hinstreckend, fast zu allen Zeiten eine angenehmere Verbindung zwischen Monkbarns und Knockwinnock boten als die Landstraße.
Sir Arthur stimmte bereitwillig ein.
Es sei nicht gerade angenehm, sagte er, wenn dieser junge Mann mit ihnen gehen wollte, den Oldbuck ihnen vorzustellen sich die Freiheit genommen habe. Seine altmodische Höflichkeit wußte noch nichts von den bequemen Manieren unserer Zeit, einen, mit dem man eine Woche lang Verkehr gehabt hat, zu »schneiden«, wenn man gerade so gelaunt ist, oder wenn man sich in einer Lage befindet, wo es einem unangenehm ist, sich als einen Bekannten des Betreffenden zu bekennen. Sir Arthur bestimmte nur, daß ein kleiner, zerlumpter Bengel für ein Trinkgeld von einem Penny zum Kutscher laufen und ausrichten sollte, daß die Equipage nach Knockwinnock zurückfahren solle.
Als dies erledigt und der Sendbote abgeschickt war, bogen der Ritter und seine Tochter von der Chaussee ab und schlugen einen Pfad ein, der sich zwischen hügeligen Dünen hinschlängelte. Sie waren zum Teil bewachsen mit Pfriemenkraut und Binsen. Auf diesem Wege erreichten sie bald die Meeresküste. Die Flut konnte bei weitem nicht mehr so fern sein, wie sie erwartet hatten, aber das beunruhigte sie nicht, es gab kaum zehn Tage im Jahre, wo sie so dicht an die Klippen herangekommen wäre, daß nicht noch ein trockener Fußweg geblieben wäre.
Aber zu Zeiten der Springflut, oder wenn die gewöhnliche Flut durch hohe Winde beschleunigt wurde, dann war dieser Weg ganz unter Wasser, und es wurden manche Unglücksfälle berichtet, die dann sich zugetragen hatten. Allein solche Gefahr hielten die beiden für ausgeschlossen, und sie ließen sich dadurch nicht abhalten, am Strande entlang von Monkbarns nach Knockwinnock zu gehen, wie es die meisten andern Leute ja auch taten.
Als Sir Arthur und Fräulein Wardour dahinschritten, den schönen Spaziergang auf dem kühlen feuchten festen Sande angenehm empfindend, bemerkte Fräulein Wardour unwillkürlich, daß die letzte Flut die gewöhnliche Fluthöhe beträchtlich überschritten habe. Sir Arthur machte die gleiche Beobachtung, aber sie erblickten beide hierin keinen Grund, sich zu beunruhigen.
Die Sonne ruhte jetzt mit ihrer riesigen Scheibe am Saume des spiegelglatten Ozeans und vergoldete die Masse aufgetürmter Wolken, durch die sie den lieben langen Tag gewandelt war, und die jetzt von allen Seiten herbeiwallten wie Mißgeschick und Unheil um ein sinkendes Reich und um einen fallenden Monarchen. Aber ihr ersterbender Glanz kleidete in düstre Herrlichkeit und Pracht die wuchtige Dunstmasse, die aus ihrem wesenlosen Dunkel heraus Pyramiden und Türme hervorblicken ließ, hier mit Gold bekleidet, dort von Purpur angehaucht, dort wieder in tiefes, dunkles Rot getaucht.
Die ferne See, unter diesem bunten prunkenden Baldachin hingestreckt, lag fast unheimlich und verderbendrohend still und spiegelte die blendenden wagerechten Strahlen des untergehenden Tagesgestirns wider und die prächtige Färbung der Wolken, in deren Mitte es versank. Näher dem Strande kräuselte sich die Flut in Wellen von blitzendem Silber, die unwahrnehmbar, aber doch reißend schnell höher und höher zur Düne heranfliegen.
Im Geiste in Bewunderung dieses romantischen Anblicks versunken oder vielleicht auch mit einem anderen Gegenstande von beunruhigenderer Art beschäftigt, schritt Fräulein Wardour schweigend neben ihrem Vater her, der in seiner kürzlich gekränkten Würde sich zu keinerlei Gespräch herabließ. Sie folgten den Windungen des Gestades und überschritten einen vorspringenden Punkt oder Klippenansatz nach dem andern. So befanden sie sich jetzt unter einer riesigen langhingedehnten Masse steil abstürzender Klippen, wie sie an den meisten Stellen diese Küste wie ein eiserner Gürtel umschließt und schützt.
Lang vorgestreckt lagen Riffe unter Wasser, die nur hier und da an einer freien herausragenden Spitze oder an den »Weißköpfen« und der Brandung, die über den teilweis unter Wasser befindlichen schäumten, zu erkennen waren.
Infolgedessen war die Bai von Knockwinnock von Lotsen und Schiffseignern gefürchtet. Die Felsen, die zwischen dem Gestade und dem Festlande sich erhoben, zwei- bis dreihundert Fuß hoch, beherbergten in ihren Spalten unzählige Seevögel, die in der schwindelnden Höhe augenscheinlich vor der Raubsucht des Menschen gesichert waren.
Viele dieser wilden Schwärme, getrieben von dem Instinkt, vorm Ausbruch eines Sturmes das Land aufzusuchen, kamen jetzt mit dem schrillen mißtönenden Geschnarr und Geschrei, das Unruhe und Furcht bekundet, ihrem Neste zugeflattert. Ehe die Scheibe der Sonne schon ganz unter den Horizont gesunken war, wurde sie fast völlig verfinstert, und ein früher fahler Schatten von Dunkelheit trübte das heitere Zwielicht eines Sommerabends.
Nun sprang auch ein Wind auf, aber schon lange war sein klagendes wildes Brausen zu hören und schon lange war seine Wirkung auf der Meeresfläche sichtbar, ehe am Strande noch die Brise sich bemerkbar machte. Finster jetzt und drohend begann die Wassermasse sich in breiteren Kämmen zu heben und in tieferen Furchen zusammenzusinken und bildete Wogen, die in lauter Schaum auf den Riffen hoch emporstiegen oder am Strande mit einem Grollen wie feiner Donner barsten.
Erschrocken über diese plötzliche Veränderung des Wetters schmiegte sich Fräulein Wardour eng an ihren Vater und hielt seinen Arm fest umklammert.
»Ich wünschte,« sagte sie endlich, aber in fast flüsterndem Tone, als schäme sie sich ihrer wachsenden Angst, »ich wünschte, wir wären auf der Chaussee geblieben oder hätten in Monkbarns auf die Kutsche gewartet.«
Sir Arthur hielt Umschau, aber er sah nichts oder wollte nichts sehen, was auf bevorstehenden Sturm deutete. Sie würden Knockwinnock, sagte er, längst vor dem Ausbruch des Unwetters erreichen. Dabei ging er aber so eilig, daß Isabella kaum Schritt halten konnte, als ob er sich selber bewußt sei, daß sie sich doch sehr dazuhalten müßten, wenn er mit seiner tröstlichen Versicherung Recht behalten wolle.
Sie waren jetzt dem Mittelpunkt einer tiefen engen Bucht oder eines Einschnittes nahe, der von zwei vorspringenden Spitzen hoher unersteigbarer Felsen gebildet wurde. Wie die Hörner der Mondsichel ragten sie in die See hinein. Sie wagten beide nicht, einander die Befürchtungen zu gestehen, die sie hegten, daß bei dem reißend schnellen Wachsen der Flut, ihnen der Weg um das Vorgebirge vor ihnen herum. Wie auch die Umkehr auf dem Wege, auf dem sie hierher gekommen waren, abgeschnitten würde.
Während sie so vorwärts schritten – zweifellos von dem Wunsche beseelt, von dem leichten Bogen, den sie bei den Krümmungen der Bucht machen mußten, abzukommen und auf einen geraderen und kürzeren Pfad zu gelangen, wenn sie dabei auch auf die landschaftlichen Schönheiten hätten verzichten sollen, erblickte Sir Arthur eine menschliche Gestalt, die am Strande ihnen entgegenkam.
»Gott sei Dank!« rief er aus. »Wir werden um die Halket-Spitze herum kommen. Der Mann da muß von da herkommen.«
»Ja, wirklich! Gott sei Dank!« sagte halb hörbar, halb bei sich selber seine Tochter, wie um die Dankbarkeit auszudrücken, die sich mächtig in ihr regte.
Die Gestalt, die auf sie zukam, machte viele Zeichen, die sie in der dunstigen Luft, in dem Winde und dem treibenden Regen nicht erkennen oder gar verstehen konnten. Erst kurz vor ihrem Zusammentreffen konnte Sir Arthur den alten Bettler im blauen Kittel, Edie Ochiltree, erkennen.
Man sagt, selbst die rohe Kreatur, selbst die wilden Tiere lassen ihre Feindseligkeiten und Abneigungen fallen, wenn sie von unmittelbarer und gemeinsamer Gefahr gedrängt sind. Der Strand unter der Halket-Spitze, der durch die vorspringende hereinschlagende Springflut und dem Nordwestwind an Breite reißend verlor, war gewissermaßen ein neutraler Boden, auf dem selbst ein Friedensrichter und ein herumstrolchender Bettler sich mit einander vertragen konnten.
»Kehrt um! kehrt um!« rief der Landstreicher. »Warum sind Sie nicht schon umgekehrt, wie ich Ihnen zuwinkte?«
»Wir dachten,« antwortete Sir Arthur, »wir könnten noch um die Halket-Spitze herumkommen.«
»Um die Halket-Spitze? Da braust jetzt schon die Flut wie ein Wasserfall. Es war nachgerade ein Glück, daß ich vor zwanzig Minuten dort herumgekommen bin, da stand das Wasser schon drei Fuß hoch. Wir können aber vielleicht nach Ballyburgh Neß-Point zurückgelangen. Helf uns der liebe Gott! es ist das einzige, was uns noch übrig ist – wir können es nur versuchen.«
»Mein Gott! Mein Kind!« – »Mein Vater! Mein lieber Vater!« riefen Vater und Tochter aus. Die Furcht verlieh ihnen Kraft und beflügelte ihren Schritt, sie drehten um und versuchten den Punkt zu umschreiten, dessen vorspringende Höhe das Südende der Bucht bildete.
»Ich hatte gehört, daß Sie hier entlang gegangen waren – der Bursche, den Sie nach Ihrer Kutsche geschickt haben, hat mirs gesagt,« sagte der Bettler, indem er rüstig etwa einen Schritt hinter Fräulein Wardour dreinschritt. »Und ich mußte daran denken, in was für eine Gefahr die schmucke junge Dame geraten müsse, die schon zu allen Unglücklichen, die in ihre Nähe gekommen sind, lieb und freundlich gewesen ist. So sah ich denn nach der Fluthöhe und hab mich davon überzeugt, daß ich noch rechtzeitig hinunterkommen könnte, um Ihnen eine Warnung zu bringen, und daß dann noch alles gut ablaufen könnte. Aber ich befürchte, ich befürchte, ich habe mich verrechnet! denn hat' wohl je ein Sterblicher die Flut so reißend schwellen und steigen sehen wie jetzt? Sehen Sie da drüben die Rattenklippe, sie hat sonst immer mit der Spitze übers Meer geschaut – jetzt ist sie ganz unter Wasser.«
Sir Arthur warf einen Blick in die Richtung, nach der der alte Mann deutete. Ein gewaltiger Felsen, der gewöhnlich, selbst wenn Springflut war, einen Kamm gleich dem Kiele eines großen Schiffes zeigte, stand jetzt ganz unter Wasser, und sein Standort war nur durch die kochenden brandenden Wogen, die sich an dem Widerstände brachen, gekennzeichnet.
»Halten Sie sich dazu, schnell, schnell, gute Name, und es gelingt uns am Ende noch!« fuhr der Alte fort. »Halten Sie sich an meinem Arme – ein alter gebrechlicher Arm ists jetzt, aber er war einmal straff und kraftvoll. Halten Sie sich an meinem Arme fest, meine holde Dame! Sehen Sie den schwarzen Fleck dort unter den wallenden Wogen? Heute morgen noch war er so hoch wie der Mastbaum einer Brigg – jetzt ist er recht klein – aber wenn ich auch jetzt nur noch so viel Schwarzes dort herumsehe wie mein Hutdeckel dahier, so denke ich doch, wir werden trotz alledem noch um Ballyburgh-Neß herumkommen.«
Isabella nahm schweigend den Beistand des alten Mannes an, da Sir Arthur noch weniger imstande war, sie zu stützen. Die Wellen waren jetzt so weit auf dem Strande vorgedrungen, daß sie den festen und glatten Pfad, auf dem sie über den Sand hergekommen waren, nicht mehr gehen konnten und einen weit rauheren Pfad dicht am Fuße der Felsenabstürze einschlagen mußten, der stellenweise sogar auf die niedrigeren Kamme hinaufführte.
Ohne die Führung und die Ermutigung des Bettlers, der schon oft bei hoher Flut hier gewesen war, wenn auch, wie er zugab, noch nie in einer so entsetzlichen Nacht, wäre es für Sir Arthur und seine Tochter ganz unmöglich gewesen, sich in diesen Scheren zurechtzufinden.
Es war in der Tat ein fürchterlicher Abend. Das Heulen des Sturmes, in das das Gekreisch der Seevögel hineinklang, tönte wie das Grablied der drei todgeweihten Wesen, die – mitten innen zwischen zweien der prachtvollsten und doch auch entsetzlichsten Bildungen der Natur, einer rasenden See und einem unübersteigbaren Felsabsturz, eingekeilt waren – und auf ihrem mühsamen und gefahrvollen Pfade dahinschritten, oft bespritzt von einer riesigen Welle, die höher zum Gestade herausschlug als ihre Vorgänger.
Mit jeder Minute gewann ihr Todfeind sichtlich Boden vor ihnen. Nicht willens, der letzten Hoffnung auf Leben zu entsagen, hingen sie mit den Blicken noch immer an dem schwarzen Felsen, auf den Ochiltree deutete. Noch immer war er deutlich in der Brandung zu sehen und blieb sichtbar, bis sie an eine Biegung ihres spärlichen Pfades gelangten, wo ein vorspringender Felsen ihn ihren Blicken entzog.
Na ihnen nun der Anblick der Warte fehlte, auf die sie sich verlassen hatten, empfanden sie die doppelte Qual des Entsetzens und der Spannung. Sie kämpften sich weiter vorwärts, aber als sie den Punkt erreichten, von dem aus sie den Felsen wieder hätten erblicken müssen, da war er nicht mehr zu sehen. Ihr Wahrzeichen der Rettung war unter tausend brandenden Wellen verschwunden, die an der Spitze des Vorgebirges zerschellten und in riesigen Massen schneeigen Schaumes emporschlugen gegen die finstre Wand des Absturzes, so hoch, wie der Mast eines Kriegsschiffes erster Klasse.
Der Alte wurde totenbleich. Isabella stieß einen schwachen Schrei ans.
»Der Herr erbarme sich unser!« murmelte feierlich ihr Führer, und von Sir Arthurs Lippen klang es in kläglichem Tone: »Mein Kind! mein Kind! – solch eines Todes zu sterben!«
»Mein Vater, mein lieber Vater!« rief seine Tochter, »und auch Ihr, der Ihr Euer Leben verliert in dem Bemühen, das unsere zu retten!«
»Das ist nicht der Rede wert,« sagte der alte Mann. »Mein Leben war so, daß ich es lange schon satt habe, und hier oder dort – ob in einem Schneesturm oder in der brandenden Flut – was besagt es, wie der alte Bettler stirbt?«
»Guter Mann,« sagte Sir Arthur, »habt Ihr keinen Ausweg? – keine Hilfe mehr? – ich will Euch reich machen – ich will Euch eine Farm geben – ich will–«
»Wir werden bald einer so reich sein wie der andere,« sagte der Bettler, mit einem Blick auf die wogende See. »Ja, wir sind es schon, denn ich habe kein Land, und Sie würden all Ihre schönen Güter und Ihre Baronie hingeben für einen Fuß breit Felsen, der zwölf Stunden lang trocken bliebe.«
Während sie so sprachen, machten sie auf dem Felsenrande Rast, so hoch sie hatten hinansteigen können. Denn nun schien es, als ob jeder Versuch, weiter vorzudringen, ihr Verderben nur beschleunigen mußte, hier standen sie nun und warteten das sichere langsame Steigen des rasenden Elements ab.
Noch diese furchtbare Pause gab Isabella Zeit, die Kräfte eines von Natur starken mutigen Gemütes zu sammeln, die sich eben an den Schrecken dieser furchtbaren Lage stählten.
»Müssen wir das Leben lassen,« sagte sie »ohne einen Kampf? Ist denn kein Pfad, und wäre er noch so entsetzlich, auf dem wir die Klippe erklimmen oder wenigstens zu einer Höhe gelangen könnten, die über der Flut läge und wo wir warten könnten bis zum Morgen, oder bis Hilfe käme? Sie müssen sich denken können, in welcher Lage wir uns befinden und werden das ganze Land aufbieten, uns zu erlösen.«
Sir Arthur, der die Frage seiner Tochter hörte, aber kaum begriff, wandte sich instinktiv und begierig nach dem Alten, als ob ihr Leben in seiner Hand läge.
Ochiltree hielt inne.
»Ich war ein kühner Kletterer,« sagte er, »wie ich noch jung war. Manches Vogelnest habe ich ausgenommen unter diesen schwarzen Felsen hier, aber das ist schon lange her, lange, lange her! Und da kann kein Sterblicher ohne ein Tau hinauf – und wenn ich eins hätte – mein Auge ist schwach und meine Hand und mein Fuß sind nicht mehr sicher und fest – wie sollte ich Sie retten können? Aber einen Pfad hats hier einmal gegeben, freilich, wenn wir ihn sehen könnten, so würden Sie vielleicht lieber bleiben, wo Sie sind. – Gelobt sei sein Name!« rief er plötzlich aus. »Da kommt einer den Felsen herunter!«
Dann strengte er seine Stimme an und rief dem tollkühnen Kletterer Ratschläge und Weisungen zu, die seine frühere Übung und die Erinnerung an die örtlichen Verhältnisse ihm eingaben.
»So ist recht! so ist recht! da gehts hindurch – jawohl! Machen Sie Ihr Seil am Kuhhorn fest – das ist der schwarze Stein da – zweimal herumgeschlungen – so ist recht! Nun wenden Sie sich ein kleines Stück mehr nach Osten – noch ein bißchen mehr bis zu dem andern Steine da – wir haben die Stelle immer das Katzenloch genannt – da hat sonst eine Eiche gewurzelt – so ist recht! – Nun behutsam, Bursch! Behutsam! Geben Sie acht und nehmen Sie sich Zeit! – Um Himmels willen, lassen Sie sich doch Zeit! – Sehr gut so! – Nun müssen Sie hinüber zu Liesels Schürze – das ist der breite flache blaue Stein dort – und dann denk ich, mit Ihrer Hilfe und dem Tau kann ich zu Ihnen gelangen, und dann wird es uns möglich sein, die junge Dame und Sir Arthur hinaufzuholen.«
Der Wagehalsige hatte die Weisungen des alten Edie befolgt und warf ihm jetzt das Tauende zu, das dieser um Fräulein Wardour wand, nachdem er sie in seinen blauen Kittel gewickelt hatte, um ihr möglichst wenig weh zu tun. Dann hielt er sich an dem Tau fest, das am andern Ende festgemacht worden war, und begann an den Felsen empor zu klimmen – ein unsicheres schwindeliges Unterfangen, aber nach ein paar Fehltritten gelangte er wohlbehalten auf den breiten flachen Stein neben unseren Freund Lovel.
Mit vereinten Kräften konnten sie dann Isabella zu dem sicheren Fleck emporziehen, den sie erreicht hatten. Dann stieg Lovel hinab, um Sir Arthur festzumachen, um den er das Tau schlang. Wieder stieg er zu ihrem Zufluchtsort empor, und mit Hilfe Ochiltrees und Sir Arthurs eigenen Bemühungen brachten sie nun auch ihn über den Bereich der Wellen empor.
Das Bewußtsein der Rettung vor nahem und augenscheinlich unvermeidlichem Tode hatte die gewöhnliche Wirkung. Vater und Tochter fielen einander in die Arme, küßten sich und weinten vor Freude, wenn auch ihr Entkommen die Aussicht mit sich brachte, am steilen Abhänge eines Felsens eine stürmische Nacht zu verbringen. Kaum war Platz genug zum Stehen für die vier zitternden Wesen, die nun wie die Seevögel um sie her hier hingen und hofften, vor dem verschlingenden Element, das unter ihnen tobte, geborgen zu sein.
Der Sprühregen der Wellen, die in furchtbarem Vordringen den Fuß des Abgrunds erreicht hatten und das Gestade überfluteten, auf dem sie eben noch gestanden hatten, flog selbst bis zu ihrem jetzigen Zufluchtsorte hinauf, und das betäubende Getöse, mit dem sie gegen die Felsen unten prallten, klang, als verlangten sie noch nach den Flüchtlingen, als nach einer ihnen bestimmten Beute. Es war eine Sommernacht, gewiß, aber es bestand wenig Wahrscheinlichkeit, daß ein so zartes Wesen wie Fräulein Wardour bis zum Morgen in dem durchnässenden Sprühregen standhalten würde, und der strömende Regen, der jetzt mit voller Gewalt losbrach, und die tiefen schweren Windstöße erhöhten noch die Qual und Gefahr ihrer Lage.
»Die Dame, die arme Dame,« sagte der Alte, »Manche Nacht daheim und in der Fremde hab ich in Sturm und Wetter unter freiem Himmel zugebracht, aber, Gott sei mit uns! wie soll sie es überstehen?«
Er teilte seine Befürchtungen in gedämpftem Tone Lovel mit.
»Ich will wieder zur Klippe hinauf,« sagte dieser, »es ist hell genug, daß ich sehen kann, wo ich den Fuß hinsetze. Ich will hinauf und mehr Hilfe holen.«
»Tun Sie das, tun Sie das, ums Himmels willen!« rief Sir Arthur.
»Sind Sie von Sinnen?« sagte der Bettler. »Der kühnste Kletterer dürfte sich nach Sonnenuntergang nicht auf die Halket-Spitze hinauswagen. Es ist eine Gnade Gottes und ein Wunder, daß Sie nicht bei Ihrem Abstieg bis hierher in die brüllende See gestürzt sind. Ich hab's nicht für möglich gehalten, daß ein Mensch überhaupt an den Klippen herabklimmen könne, wie Sie es fertig gebracht haben. Ich bezweifle sehr stark, daß ich es selber zu dieser Stunde und bei diesem Wetter selbst in der vollsten Jugendkraft vermocht hätte. Aber sich wieder hinauf zu wagen, – das heißt denn doch Gott versuchen!«
»Ich fürchte mich nicht,« antwortete Lovel, »ich habe mir beim Abstieg die Trittstellen alle genau gemerkt, und es ist noch Licht genug da, daß man sie alle gut sehen kann – ich bin überzeugt, ich kann es ohne alle Gefahr tun. Bleiben Sie hier, guter Freund, bei Sir Arthur und der jungen Dame!«
»Der Teufel soll mir in die Glieder fahren,« antwortete der Bettler entschlossen, »wenn Sie gehen, geh ich mit, denn es wird Arbeit genug sein für uns beide!«
»Nein, nein, bleiben Sie hier und geben Sie acht auf Fräulein Wardour, Sie sehen, Sir Arthur ist völlig erschöpft!" »So bleiben Sie selber und lassen Sie mich gehen,« sagte der Alte, »der Tod mag das grüne Korn verschonen und das reife nehmen.«
»Bleiben Sie beide, ich bitte Sie,« sagte Isabella schwach. »Ich fühle mich wohl und kann die Nacht hier sehr gut zubringen. Ich fühle mich völlig bei Kräften.«
Mit diesen Worten erstarb ihr die Stimme – sie sank zu Boden und würde abgestürzt sein, wenn nicht Lovel und Ochiltree sie gehalten hätten. Sie brachten sie in eine halb liegende, halb sitzende Lage neben ihrem Vater, der, von einer so ungewohnten und aufreibenden Anspannung des Leibes und Gemütes bis aufs äußerste erschöpft, sich schon in einer Art von Betäubung auf einen Stein hingesetzt hatte.
»Ich kann sie unmöglich verlassen,« sagte Lovel. »Was ist zu tun? – Horch, – horch! Mir wars, als hörte ich einen Zuruf!«
»Es ist der Schrei des Seetauchers,« antwortete Ochiltree. »Ich kenne den Schrei gut!«
»Nein, beim Himmel,« sagte Lovel, »es war eine Menschenstimme.«
Ein ferner Zuruf ward vernommen, der Laut war deutlich zu unterscheiden inmitten der verschiedenen Laute und all des Getöses der Elemente und des Geschreies der Seemöwen um sie her. Der Bettler und Lovel erhoben vereint ihre Stimmen zu einem lauten Halloh, und der erstere ließ von seinem Stabe Fräulein Wardours Taschentuch wehen, daß man es von oben sollte sehen können.
Obwohl der Schrei wiederholt wurde, dauerte es doch noch eine Weile, bis Antwort auf ihren Ruf gegeben wurde, und die unglücklichen Dulder verblieben noch in Ungewißheit, ob bei der Finsternis und in dem steigenden Unwetter die Leute, die sicherlich über die Höhe des Felsens herkamen, um ihnen Hilfe zu bringen, den Platz entdecken würden, wo sie Zuflucht gefunden hatten.
Endlich wurde ihr Halloh regelmäßig und deutlich beantwortet, und ihr Mut stieg von neuem unter der Gewißheit, daß sie in Hörweite waren, wenn auch nicht in Armesnähe, von Freunden, die ihnen Hilfe brachten.
Achtes Kapitel
Das Geschrei und die Zurufe menschlicher Stimmen wurden bald lauter über ihnen, und das Licht von Fackeln mischte sich in den Schein des Abends, der inmitten der Finsternis des Sturmes noch immer nicht völlig erloschen war. Es wurde ein Versuch gemacht, eine Verständigung zwischen den Leuten oben, die Hilfe brachten, und den Duldern unten, die noch immer an ihrer gefahrvollen Steinplatte hingen, herzustellen. Aber bei dem Geheul des Sturmes blieb ihre Verständigung auf Schreie beschränkt, die so unartikuliert waren, wie die der gefiederten Bewohner des Felsens, die entsetzt über den wiederholten Klang menschlicher Stimmen hier, wo sie nur selten vernommen wurden im Chore kreischten.
Am Rande des Abgrunds hatte sich nun eine angstvolle Gruppe versammelt. Oldbuck war der vorderste und besorgteste. Mit ungewohnter Kühnheit wagte er sich bis an die Schneide des Absturzes, Hut und Perücke hatte er durch ein ums Kinn geschlungenes Taschentuch festgemacht. So reckte er den Kopf über die schwindelnde Tiefe mit einer Miene der Entschlossenheit, die seinen etwas furchtsamen Gefährten großen Respekt einflößte.
»Sehen Sie sich vor, sehen Sie sich vor, Monkbarns,« rief Caxon, indem er seinen Gönner an den Rockschößen festhielt und ihn, soweit seine Kräfte erlaubten, vor Gefahr schützte. – »Um Gottes Willen, sehen Sie sich vor! Sir Arthur ist schon ertrunken, und wenn Sie noch über die Klippe hinabstürzen, dann ist bloß noch eine Perücke im Sprengel da, nämlich dem Geistlichen seine.«
»Geben Sie acht auf den Fels da!« rief Mucklebackit, ein alter Fischer und Schmuggler. »Steenie Wilks, bring das Tau her – ich steh dafür, daß wir sie in einer halben Stunde alle an Bord haben, Monkbarns, wenn Sie nur aus dem Wege gehen wollten.«
»Ich seh sie,« sagte Oldbuck, »ich seh sie dort unten auf dem flachen Steine. Hilli-Halloh!«
»Ich sehe sie selber gut genug,« sagte Mucklebackit, »sie sitzen da unten wie Krähen im Nebel. Aber bilden denn Sie sich ein, Sie helfen ihnen, wenn Sie da herumschreien wie ein alter Seerabe vorm Unwetter? – Steenie, stell den Mast auf, paßt auf, ich kriege sie herauf, wie wir immer die Branntweinfässer heraufgeleiert haben – bring die Hacke her – mach den Sitz an der Strickleiter fest – Nun stramm ans Werk.«
Die Fischer hatten den Mast eines Bootes mitgebracht, und da die Hälfte der Bauernburschen aus der Umgegend teils aus Neugierde, teils aus Eifer mitgekommen war, so war der Mast bald in die Erde gesenkt und genügend fest gemacht. Eine quer auf dem Mast befestigte Segelstange und ein an ihr entlang gefühltes Tau, das an beiden Enden durch einen Block gesteckt war, bildeten einen primitiven Kran, an welchem ein sicher festgebundener Lehnstuhl nach einem flachen Stein, auf dem die Dulder hockten, heruntergelassen werden konnte.
Ihre Freude, als sie oben die Vorbereitungen zu ihrer Befreiung treffen hörten, sank beträchtlich, als sie die unsichere schwankende Vorrichtung sahen, mittels der sie in die Luft emporgehoben werden sollten. Der Lehnstuhl schaukelte eine Elle weit von dem Flecke, auf dem sie saßen; jedem Zuge des Sturmes gehorchend, die leere Luft rings um ihn her, so hing er nur an dem Halt eines Taues, das bei der zunehmenden Finsternis zu einem fast unerkenntlichen.
An sich war es ein Wagnis, ein menschliches Wesen in solch einem haltlosen Beförderungsmittel der leeren Luft zu übergeben, aber es kam noch die furchtbare Gefahr hinzu, daß der Stuhl und die Person auf ihm entweder durch den Sturm oder durch die Schwingungen des Seiles gegen die rauhe Felswand geschleudert und zerschellt würden. Um aber die Gefahr so weit wie möglich zu vermindern, hatte Faden eingeschrumpft war der erfahrene Seemann mit dein Stuhle ein zweites Seil hinuntergelassen, das daran befestigt und von den Leuten unten festgehalten werden sollte. Auf diese Weise wurde der Aufzug stetiger und war weniger der Gewalt des Sturmes preisgegeben.
Aber um sich inmitten eines heulenden Sturmes von Regen und Wind, einem solchen Sitz anzuvertrauen, über sich den überhängenden Felsen, unter sich den tosenden Abgrund, dazu gehörte der Mut, den nur die Verzweiflung einzugeben vermag, Sa wild aber auch der Lärm und der Anblick der Gefahr waren, über ihnen, unter ihnen und um sie her, und so bedenklich und gefahrvoll der Rettungsweg erschien, so kamen Lovel und der alte Bettler nach kurzer Beratung und nachdem der erstere unter großer Gefahr für sein Leben sich durch einen kräftigen Ruck an dem Tau davon überzeugt hatte, daß es fest war, dahin überein, daß es das beste sei, Fräulein Wardour auf dem Stuhle festzubinden und der Fürsorge der Leute oben anzuvertrauen, die sie gewiß wohlbehalten auf die Höhe hinaufziehen würden.
»Lassen Sie meinen Vater zuerst hinauf,« rief Isabella. »Um Gottes Willen, meine Freunde, bringen Sie ihn zuerst in Sicherheit.«
»Es kann nicht sein, Fräulein Wardour,« sagte Lovel. »Ihr Leben muß zuerst gerettet werden. Das Tau kann wohl Ihre Last aushalten, aber es könnte –«
»Ich will auf einen so selbstsüchtigen Grund nicht hören.«
»Aber Sie müssen darauf hören, gute Dame,« sagte Ochiltree, »denn unser aller Leben hängt davon ab. Wenn Sie hinaufkommen, können Sie den Leuten genau beschreiben, wie es hier auf unsrer Zuflucht aussieht, und das ist, glaube ich, jetzt von Sir Arthur nicht zu erwarten.«
Dies leuchtete ihr ein und sie rief:
»Wahr, sehr wahr! Ich bin bereit und will als erste den Versuch machen – was soll ich unser Freunden oben sagen?«
»Bloß daß sie sich vorsehen sollen, daß ihr Tau nicht an der Felswand schurrt, und den Stuhl herablassen und fein behutsam wieder hinaufziehen sollen. Wenn wir hier fertig sind, rufen wir.«
Mit der bedachtsamen Aufmerksamkeit eines Vaters zu seinem Kinde, band Lovel mit seinem Taschentuch, Halstuch und dem ledernen Leibriemen des Bettlers Fräulein Wardour an die Rücken- und Armlehnen des Stuhles fest, sorgsam prüfte er die Festigkeit jedes Knotens, während Ochiltree Sir Arthur beruhigte.
»Was tut Ihr da mit meinem lieben Kinde? – Sie soll nicht von mir weggenommen werden – Isabella, bleibe bei mir, ich befehle es dir!«
»Ums Himmels Willen, Sir Arthur, halten Sie den Mund und danken Sie lieber Gott, daß klügere Leute als Sie die Sache in die Hände genommen haben.«
»Lebe wohl, mein Vater – leben Sie wohl, meine Freunde,« murmelte Isabella, dann schloß sie die Augen, dem Rat des erfahrenen Ochiltree folgend, und gab das Zeichen Lovel, der es wieder denen oben weiter gab. Sie stieg empor. während der Stuhl durch das Seil, das Lovel unten hielt, in ruhiger Lage gehalten wurde. Mit klopfendem Herzen folgte er dem wehenden Fleck ihres weißen Kleides, bis der Fahrstuhl in einer Höhe mit dem Rande des Abgrundes war.
»Vorsichtig nun, Jungens, vorsichtig!« rief der alte Mucklebackit, der als Kommodore tätig war, »laßt die Raa ein wenig nach! So, nun sitzt sie wohlbehalten auf dem Trockenen!«
Lauter Jubelruf meldete ihren Leidensgefährten unten das glückliche Gelingen, sie antworteten unverzüglich mit frohem Halloh. Monkbarns zog in seiner übergroßen Freude den Mantel aus, um die junge Dame einzuhüllen, und hätte zu demselben Zweck noch Rock und Weste ausgezogen, wenn ihn der vorsichtige Caxon nicht davon abgehalten hätte.
»Sehen Sie sich vor, Herr, Sie erkälten sich auf den Tod! Der Wagen steht ja da unten, zwei Burschen mögen, die junge Dame dorthin tragen.«
»Sie haben recht,« sagte der Altertümler und schob Ärmel und Kragen seines Rockes wieder zurecht, »Caxon, Sie haben recht. Fräulein Wardour, ich will Sie nach dem Wagen bringen.«
»Nicht um die Welt! erst will ich meinen Vater gerettet sehen!«
Mit ein paar klaren Worten, die deutlich ausdrückten, wie ihre Entschlossenheit selbst die tödliche Furcht vor einem so auflegenden Wagnis überwunden hatte, schilderte sie die Lage unten und die Wünsche Lovels und Ochiltrees.
»Sehr recht, sehr recht. Ich möchte selber, den Sohn von Sir Gamelyn de Guardover aufs trockne gebracht sehen. Ich vermute, er würde gern auf die Ragman-Liste verzichten und zugeben, daß es mit der Königin Maria doch nicht weit her sei, wenn er nur wieder neben meiner Flasche alten Portwein sitzen könnte, von der er weggelaufen ist – kaum angebrochen war sie! Aber er ist nun in Sicherheit, und da kommt er an – da kommt er an –« (denn der Stuhl war wieder heruntergelassen und Sir Arthur darauf befestigt worden, der freilich fast ganz ohne Besinnung war) – »seid vorsichtig mit ihm, Jungens, ein Stammbaum von hundert Gliedern hängt jetzt an diesem Tau – die ganze Baronie von Knockwinnock hängt an dem Seile! – Willkommen, willkommen, mein guter alter Freund, auf festem Lande, wenn ich auch nicht sagen kann auf warmem Lande oder auf trockenem Lande!«
Während Oldbuck so sprach, wurde Sir Arthur, der wohlbehalten oben angelangt war, von seiner Tochter in die Arme geschlossen. Dann befahl sie ein paar Burschen, ihn nach dem Wagen zu bringen, indem sie versprach, ihm binnen kurzem zu folgen. Sich am Arme eines alten Bauern haltend, blieb sie noch auf der Klippe. Wahrscheinlich wollte sie nun auch erst die beiden andern, deren Gefahren sie geteilt hatte, gerettet sehen.
»Was haben wir denn hier?« rief Oldbuck, als der Stuhl noch einmal emporstieg. »Was für ein zerzaustes verwittertes Ding kommt denn da an?«
Dann fiel der Fackelschein auf das alte rauhe Antlitz und das graue Haar Ochiltrees.
»Was? du bists! Na, komm nur her, alter Gaukler, ich, muß schon gut Freund mit dir sein – aber wer zum Teufel hat dir denn noch Gesellschaft geleistet?«
»Einer, der noch einmal soviel wert ist wie wir beide zusammen, Monkbarns – der junge Fremde ists, den sie Lovel nennen – und er hat sich in dieser verdammten Nacht so tapfer gezeigt, als hätte er drei Leben, auf die er bauen könnte, und als wolle er alle drei willig hingeben, ehe er andre Leute in Gefahr ließe! – Zieht vorsichtig, es ist niemand mehr unten, der das zweite Tau halten kann.«
»Ja, seht Euch vor, Mucklebackit! Was, es ist mein Reisegefährte aus dem Omnibus? – nehmt Euch in acht, Mucklebackit!«
»So sehr in acht, als wenn 'ne Tonne Branntwein dranhinge,« versetzte der Fischer. »Joho, meine Jungens, herauf mit ihm!«
Lovel schwebte in der Tat in weit größerer Gefahr als irgend einer seiner Vorgänger. Sein Gewicht war nicht schwer genug, als daß es sich bei dem heftigen Sturm ruhig und sicher hätte hinaufziehen lassen, und er schaukelte wie ein Pendel, jeden Augenblick in der tödlichen Gefahr, am Felsen zerschmettert zu werden. Aber er war jung, beherzt und gewandt, und mit Hilfe des starken spitzen Stabes Ochiltrees, den er auf den Rat des Bettlers hin unten behalten hatte, gelang es ihm, sich von dem Felsen und den noch schärfer hervorspringenden Klippen abzuhalten. Im leeren Räume hin und her gewirbelt wie eine leichte, wesenlose Feder, in so heftiger Bewegung, daß jeder andere vor Furcht und Schwindel die Besinnung hätte verlieren müssen – verlieh ihn die flinke Gewandtheit und die Geistesgegenwart nicht. Erst als er glücklich auf der Höhe der Klippe angelangt war, befiel ihn vorübergehend ein Unwohlsein und Schwindel.
Als er aus einer leichten Ohnmacht wieder zu sich gekommen war, sah er sich hastig um. Die, die er so gern noch erblickt hätte, war schon fast aus dem Gesicht, und ihr weißes Kleid war gerade noch zu sehen, während sie auf dem Wege dahin eilte, den ihr Vater bereits gegangen war. Sie hatte so lange gewartet, bis der letzte ihrer Unglücksgefährten aus der Gefahr errettet war und bis Mucklebackit ihr versichert hatte, daß er mit heilen Gliedern heraufgekommen sei und nur eine leichte Betäubung ihn befallen habe.
Aber Lovel wußte nichts davon, daß sie soviel Anteil an seinem Schicksal bekundet hatte, und wenn es auch nur eben soviel war, wie einem Fremden zukam, der ihnen in solcher Stunde der Gefahr geholfen hatte, so hatte doch Lovel dafür noch weit mehr sein Leben aufs Spiel gesetzt, als er an diesem Abend getan hatte.
Dem Bettler hatte sie schon befohlen, am Abend noch nach Knockwinnock zu kommen. Er hatte sich entschuldigt.
»Wann laßt Euch morgen sehen.«
Der alte Mann hatte versprochen zu gehorchen. Oldbuck schob ihm etwas in die Hand. Ochiltree sah sichs beim Fackelschein an und sagte, indem er es ihm wieder zurückgab:
»Nein, nein, Gold nehme ich nie, – und außerdem, Monkbarns, morgen würde es Ihnen leid tun.« Dann wandte er sich an die Schar von Fischern und Bauern.
»Na,« sagte er, »wer will mir ein bißchen Abendbrot und eine Schütte frisches Stroh geben?«
»Ich!« und »Ich!« und »Ich!« rief manche Stimme bereitwillig.
»Na, da es so ist, und ich nur in einer Hütte auf einmal schlafen kann, so will ich mit Saunders Mucklebackit nuntergehn – er hat auch eine gute Suppe zu Hause. Und liebe Leute, es trifft sich vielleicht noch, daß ich bei euch andern allen mal eine Nacht einsprechen und euch daran erinnern kann, daß ihr mir Quartier und milde Gabe versprochen habt.«
Oldbuck hielt Lovel mit starker Hand fest.
»Heute nacht dürfen Sie mir nicht erst noch nach Fairport, junger Mann, Sie müssen mit mir nach Monkbarns gehen. Ei, Mann, Sie sind ein Held gewesen – ein richtiger William Wallace in allen Stücken. Kommen Sie, mein guter Junge, halten Sie sich an meinem Arme fest, ich bin freilich keine sehr standfeste Stütze in solchem Sturme, aber Caxon wird uns helfen – hier, Sie alter Idiot, kommen Sie auf die andere Seite. Und wie zum Teufel find Sie auf diese Felsenplatte hinuntergekommen?«
»Ich bin ein geübter Bergsteiger und ich habe seit langem schon die Vogeljäger beobachtet, wenn sie hier heruntergestiegen sind.«
»Aber wie bei allem, was wunderbar ist, haben Sie die Gefahr des kindischen Barons und seiner weit tüchtigeren Tochter erkennen können?«
»Ich sah sie vom Rande des Abgrundes aus.«
»Vom Rande? Hat Sie der leibhaftige Teufel geplagt, daß Sie sich bis an den Rand des Abgrundes gewagt haben?«
»Nun – ich sehe gern, wie ein herannahender Sturm sich grollend entfacht, – oder um mit ihrer klassischen Redeweise zu sprechen, Herr Oldbuck,
»Nicht einen Schritt, nicht einen Fuß, nicht einen Zoll, nicht eines Schuhes Breite –«
»Aber, mein lieber Herr, ich muh wirklich heim, ich bin bis auf die Haut naß.«
»Sie sollen meinen Schlafrock haben und meine Pantoffel, Mann – nein, ich weiß schon, was dahinter steckt, Sie fürchten, Sie könnten dem alten Junggesellen Unkosten machen. Aber von der gloriosen Hühnerpastete ist noch ein gutes Stück da, und meo arditrio, schmeckt die kalt besser als warm. Und dann ist auch noch die Flasche von meinem ältesten Portwein da, aus der der alberne schwachsinnige Baron – ich kann ihm nicht mehr verzeihen, seit er sich um ein Haar das Genick gebrochen hat – gerade ein Glas getrunken hat, als er in seiner Blödsinnigkeit wegen Sir Gamelyn de Guardove in Wolle geriet.«
Mit diesen Worten zog er Zovel mit bis zu dem Tore seines Hauses. Nie vielleicht waren zwei Männer hindurch gegangen, die der Ruhe bedürftiger gewesen wären, denn Monkbarns war so abgespannt, wie er seit erdenklicher Zeit nicht wieder gewesen war, von der so ganz seinen sonstigen Gewohnheiten widersprechenden Anstrengung, und sein jüngerer und kraftvollerer Gefährte hatte an diesem Abend eine Gemütserregung erlitten und überstanden, die ihn mehr als seine gewohnheitsmäßigen Leibesübungen mitgenommen und erschöpft hatte.
Neuntes Kapitel
Sie traten in das Zimmer, wo sie gespeist hatten und wurden lärmend von Jungfer Oldbuck bewillkommnet.
»Wo ist die jüngere Frauensperson?« fragte der Altertümler.
»Ja, Bruder, bei all dem Wirrwarr hat sich Maria nicht von mir zurückhalten lassen – sie ist nach der Haltet-Spitze gegangen – ich wundre mich, daß du sie nicht gesehen hast.«
»Was – was sagst du, Schwester – ist das Mädchen in solch einer Nacht ausgegangen und obendrein nach der Halket-Spitze? – Guter Gott! ist das Elend dieser Nacht noch nicht vorüber?«
»Aber so warte doch, Monkbarns – du bist immer so gebieterisch und ungeduldig.«
»Wischiwaschi, Weib,« sagte der ungeduldige und aufgeregte Altertümler, »wo ist meine liebe Mary?«
»Na, wo du auch sein solltest, Monkbarns, oben, im warmen Bett.«
»Darauf hätte ich schwören können,« sagte Oldbuck lachend, aber sichtlich erleichtert, »darauf hätte ich schwören können, daß der faule Affe sich kein graues Haar drum hätte wachsen lassen, ob wir alle ertrunken wären. Warum hast du gesagt, sie wäre weggegangen?«
»Aber du hast mich ja nicht zu Ende angehört, Monkbarns. Sie ist ausgegangen und mit dem Gärtner gleich wieder gekommen, wie sie gesehen hatte, daß keiner von Euch die Halket-Spitze heruntergefallen war, und daß Fräulein Wardour wohlbehalten im Wagen saß. Vor 'ner Viertelstunde wohl mochte sie heimgekommen sein, es geht jetzt auf zehn, und sie war pitschenaß, das arme Ding, da hab ich ihr ein Glas Sherry in ihre Wassersuppe getan.«
»Recht, Griselda, aber höre, meine ehrwürdige Schwester – stoß dich nicht an dem Worte ehrwürdig, es schließt viele lobenswerten Eigenschaften außer dem Alter in sich, obzwar auch dies ehrenwert ist – allerdings ist es die allerletzte Eigenschaft, um die das Weibsvolk verehrt zu werden hoffen kann –– aber höre, was ich dir sage: bring mir und Herrn Lovel auf der Stelle den Rest der Hühnerpastete und des Portweins.«
»Die Hühnerpastete – der Portwein – o jemine, Bruder! Das waren ja nur noch ein paar Knochen und kaum noch ein Glas voll.«
Der Altertümler zog ein finstres Gesicht, obwohl er zu wohlerzogen war, um in Anwesenheit eines Fremden der unangenehmen Überraschung über das Verschwinden des Abendbrotes, auf das er mit Bestimmtheit gerechnet hatte, Luft zu machen. Aber seine Schwester verstand diese Blicke sogleich.
»O du liebe Güte, Monkbarns, wirst doch nicht gar ein Geseires machen?««
»Ich mache kein Geseires, wie du es nennst, Weib.«
»Ich will dir sagen, wie es gekommen ist. Der Geistliche war hier, ein würdiger Mann, wie du weißt. Und er wollte durchaus bleiben, bis er bestimmte Nachricht bekommen könnte, wie alles abgelaufen sei. Schöne Worte hat er gesprochen von der Ergebenheit in die Fügungen des Schicksals – ein würdiger Mann!«
»Na, jedenfalls ist alles verputzt, was, Griselda?«
»Aber, Monkbarns, du sprichst gerade, als ob weiter kein Fleisch im Hause wäre. Hätte ich etwa dem wackern Manne nichts vorsetzen sollen, wo er den weiten Weg von der Pfarre hergemacht hatte?«
Griselda beeilte sich dann, ihren Bruder zu beruhigen, indem sie ihm ein paar Reste vom Mittagstisch auftrug. Er sprach von einer anderen Flasche Wein, zog aber schließlich ein Glas Branntwein vor, der wirklich ausgezeichnet war. Da Lovel nicht dazu zu bewegen war, die samtne Kappe und den Schlafrock seines Wirtes anzulegen, bestand Oldbuck, der sich etwas auf ein wenig Kenntnis in der Heilkunde zugute tat, darauf, daß er sobald wie möglich zu Bett gehen sollte und schlug vor, einen Boten (den unermüdlichen Caxon) nach Fairport zu senden und neue Kleider holen zu lassen.
Dies war die erste Andeutung, die Jungfer Oldbuck erhielt, daß der junge Fremde die Nacht über ihr Gast sein solle, und ihre große Verwunderung über einen so ungewohnten Vorschlag machte sich in dem Rufe Luft:
»Herr du meine Güte!«
»Was ist denn los, Griselda?«
»Was du nur da eben geredet hast?«
»Geredet? – Was soll ich denn auch, noch lange reden. Ich will zu Bett – und hier für den armen jungen Mann laß sofort ein Bett zurecht machen.«
»Ein Bett! – Gott soll uns behüten!«
»Na, was ist denn los? Sind nicht Betten und Zimmer genug im Hause? Haben doch, wie verbürgt ist, ehedem schockweis die Pilger hier übernachtet?«
»O du liebe Güte, Monkbarns, wer soll wissen, was vor so langer Zeit geschehen ist? aber heutzutage! – Betten – ja, freilich, Betten sind genug da, wie sie nun eben sind – und Zimmer auch – aber du weißt ja selber, in den Betten hat seit langem keine Menschenseele mehr geschlafen, und die Zimmer sind wer weiß wie lange nicht gelüftet worden. Wenn ich was gewußt hätte, dann hätte ich ja mit der Mary nach der Pfarre gehen können, sie hätten uns dort sehr, gern aufgenommen – aber jetzt – Gott sei mit uns!«
»Da ist doch das grüne Zimmer.«
»Ja freilich, und es ist auch in Ordnung, aber es hat niemand mehr dort geschlafen, seit Doktor Heavysterne, und –«
»Und was denn?«
»Und was? Ich dachte, du wüßtest selber, was für eine Nacht er durchgemacht hat – du möchtest doch den jungen Herrn nicht eine solche Nacht erleben lassen?«
Als Lovel dies Gespräch hörte, mischte er sich ein und erklärte, er würde weit lieber nach Hause gehen, als ihnen die geringste Unannehmlichkeit bereiten – die Bewegung könne ihm nur dienlich sein – er kenne den Weg nach Fairport sehr genau und könne sich bei Nacht ebenso wenig verlaufen wie bei Tage – der Sturm ließe ja jetzt nach, und so weiter.
Aber das Heulen des Windes und das Prasseln des Regens und seine Kenntnis von den überstandenen Mühsalen muhten Oldbuck, auch wenn er weniger Anteil an seinem Freunde genommen hätte, als er in der Tat für ihn hegte. auf alle Fälle davon abhalten, ihn gehen zu lassen. Außerdem kam es ihm drauf an, zu zeigen, daß es bei ihm nicht nach den Frauensleuten ginge.
»Setzen Sie sich, setzen Sie sich, setzen Sie sich, Mann,« wiederholte er. »Ehe Sie so Weggehen, wünschte ich lieber, ich möchte nie wieder eine Flasche aufziehen – und da zieh ich eben den Korken aus einer Primapulle starken Ales. Und damit Sie den geringsten Wunsch aufgeben, heute noch nach Fairport zu gehen, so wissen Sie, wenn Sie gehen, so ist Ihr Ruf als mutiger Ritter für immer dahin. Ei, es ist ein kühnes Wagestück, Mann, in dem grünen Zimmer von Monkbains zu schlafen – Schwester, laß es bitte zurechtmachen. Der kühne waghalsige Heavysterne hat zwar Qualen und Schmerzen in dem verzauberten Gemach erlitten, aber warum sollte nicht ein tapferer Ritter wie Sie – zweimal so groß und nicht halb so schwer – dem Zauber die Stirn bieten und ihn brechen können?«
»Was? wohl gar ein Spukzimmer, wie?«
»Gewiß, gewiß! Jedes Herrenhaus im Lande – sei es auch von geringstem Alter – hat seine Geister und sein heimgesuchtes Zimmer, und Sie müssen nicht denken, daß wir in irgendetwas schlechter weggekommen wären als unsere Nachbarn.«
Jungfer Oldbuck kehrte wieder mit seltsam ernstem Ausdruck.
»Herrn Lovels Bett ist fertig,« sagte sie. »Frisch überzogen – gut gelüftet – Feuer im Kamin gemacht – Ich hoffe,« wandte sie sich an Herrn Lovel selber, »Sie werden eine gute Nachtruhe haben, allein ...«
»Meine liebe Dame, aus welchem Grunde sind Sie denn so besorgt um mich?« fragte Lovel.
»Ach, Monkbarns hört nicht gern davon – aber er weiß selber, daß das Zimmer einen übeln Namen hat. Es ist noch in aller Erinnerung, daß der alte Rab Tull darin geschlafen hat, wie er die wunderbare Mitteilung hatte, betreffs des großen Prozesses zwischen uns und den Pächtern der Muschelklippe. Der hat ein gutes Stück Silber gekostet, denn die Prozesse waren früher genau so kostspielig wie jetzt – der Monkbarns von dazumal – unser Großvater, Herr Lovel – hätte um ein Haar den Prozeß verloren, weil ein bestimmtes Papier nicht beigebracht werden konnte – Monkbarns weiß genau, was das für eine Sorte Papier war, aber ich sehe schon, er hilft mir nicht weiter in meiner Geschichte – na, jedenfalls war es ein sehr wichtiges Papier, und der Prozeß wäre beinahe verloren gewesen, weil es nicht da war. Da ist denn der alte Rab Tull, der Stadtschreiber, herübergekommen und hat noch ein letztes Mal nach dem Papier gesucht, das sich nicht anfinden wollte, ehe unser Großvater zum Termin fahren mußte nach Edinburgh – es war gerade noch ein bißchen Zeit übrig – er war ein zerstreuter schnurriger Kerl, der Rab, soviel ich gehört habe – aber er war der Stadtschreiber von Fairport, und die Monkbarns haben mit ihm viel zu tun gehabt, wissen Sie ...«
»Das ist einfach gräßlich, Schwester Griselda,« unterbrach sie Oldbuck. »Trink ein Glas Bier, und dann komm zu Rande mit deiner Geschichte, denn es wird spät.«
»Hanne wärmt eben dein Bett, Monkbarns, und da mußt du schon warten, bis sie fertig ist. – Also ich war da, wo unser Großvater mit Rab Tulls Beistand sich auf die Suche machte. Aber sie konnten nichts finden, was ihnen geholfen hätte. Und nachdem sie also einen großen Haufen von Papieren durchstöbert hatten, da kriegte der Stadtschreiber natürlich sein Töpfchen mit Punsch, daß er sich die Kehle von dem Staube säubern konnte. Trinker sind in unserm Hause nie gewesen, Herr Lovel, aber der Kerl hatte sich von den Gerichtsherren das Zechen so angewöhnt, daß er gar nicht mehr einschlafen konnte, wenn er nicht vorher einen gekippt hatte. Also seinen Punsch kriegt er und dann geht er zu Bett – und gegen Mitternacht hat er ein furchtbares Erwachen! – seitdem ist er nie wieder der alte geworden und an demselben Tage hat ihn vier Jahre nachher der Schlag getroffen. Ihm war, Herr Lovel, als hörte er die Vorhänge seines Bettes rauschen, und er sah hinaus, weil er, der arme Kerl, dachte, es wäre die Katze gewesen. Aber da sah er – Gott soll uns behüten – mich überläufts noch, immer eisig kalt, obgleich ich die Geschichte schon zwanzigmal erzählt habe! – da sah er einen stattlichen alten Herrn neben seinem Bette stehen, im Mondschein – er trug einen Anzug von absonderlicher Mode mit manchem Knopf und Bündchen und Schleifchen daran, und der Teil seiner Tracht, den ein Frauenzimmer schicklicherweise nicht näher beschreiben kann, war lang und weit und schlug viele Falten – auch einen Bart hatte er, und einen hochgezwirbelten Schnauzbart auf der Oberlippe – und noch viele Einzelheiten schilderte Rab Tull, aber sie sind jetzt vergessen, – es ist ja eine alte Geschichte. Rab Tull hatte als Landstreicher Courage genug, er hatte das Herz auf dem rechten Flecke und war vielleicht weniger erschrocken, als man hätte erwarten mögen – und er fragte im Namen der Gottheit, was die Erscheinung wolle. Und der Geist antwortete in einer unbekannten Zunge. Da besann sich Rak auf die paar lateinischen Brocken, die er aus seiner amtlichen Tätigkeit her kannte, und kaum hatte er es damit versucht, so sprudelte der Geist eine solche Flut von Latein hervor, daß der arme Rab Tull, der eben nicht viel Gelehrsamkeit hatte, sich nicht mehr zu helfen wußte. Aber ein dreister Bursche war er, und da fiel ihm das Wort ein für das, was er haben wollte: darta. Ja, ja, sagte das Gespenst, carta, und machte Rab ein Zeichen, ihm zu folgen. Rab Tull faßte sich ein Herz und sprang aus dem Bett und folgte der Erscheinung treppauf und treppab bis nach einem kleinen Turme in der Ecke des alten Hauses, wo ein Wirrwarr von nutzlosen Kisten und Kasten herumlag, und da gab der Geist Rab einen Tritt mit dem einen Fuß, und mit dem andern stieß er gegen eben den alten Schrank, den mein Bruder neben seinem Tisch in der Bibliothek zu stehen hat, und dann verschwand er wie ein Paff von Zigarrenrauch und ließ Rab in recht jammervoller Lage zurück.«
»Na, genug des Gewäschs,« unterbrach sie Oldbuck. »Jedenfalls wurde das Aktenstück in einem Fache eben dieses vergessenen Schrankes gefunden, in dem noch viele andere seltsamen Papiere enthalten waren, die jetzt alle registriert und geordnet sind. Sie scheinen noch von unserm Ahnherrn, dem ersten Eigentümer von Monkbarns, zu stammen. Das ganze Wunder läßt sich wohl auf natürlichem Wege erklären.«
»O Bruder, Bruder, und Doktor Heavysterne, der so furchtbar aus dem Schlaf geschreckt wurde, daß er erklärte, er wolle nicht noch eine einzige Nacht im grünen Zimmer zu Monkbarns verbringen?«
»Ei, Griselda, der Doktor ist ein guter ehrlicher, dickköpfiger Deutscher, sehr tüchtig in seinem Fache, aber wie viele seiner Landsleute ein Freund von allem Mystischen. Du und er, ihr habt den ganzen Abend miteinander geschwatzt von Mesmer, Cagliostro und andern modernen Verfechtern des Spiritismus, und dann, abgesehen von allen den Geschichten von erschienenen Geistern und gefundenen Schätzen, die ihr einander aufgetischt habt, darf man nicht vergessen, daß der gute Mann eine gewaltige Portion Kalbsbraten zum Abend gegessen, sechs Pfeifen geraucht und dementsprechend viel Bier und Branntwein getrunken hatte. Da nimmt michs gar nicht wunder, daß er Alpdrücken bekommen hat. Aber es ist nun alles fix und fertig, gestatten Sie mir, daß ich Ihnen nach Ihrem Zimmer leuchte, Herr Lovel. Sicherlich haben Sie Bedürfnis nach Ruhe. Ich bin überzeugt, mein Ahnherr achtet die Pflichten der Gastlichkeit zu sehr, als daß er die Ruhe stören sollte, die Sie sich so wacker verdient haben durch Ihr mannhaftes, ritterliches Benehmen.«
Mit diesen Worten nahm der Altertümler einen Schlafstubenleuchter zur Hand, der aus massivem Silber und von antiker Form war und ebendemselben Ahnherrn gehört hatte, von dem sie gesprochen hatten. Er führte den jungen Mann durch manchen düstern zugigen Gang, jetzt treppauf und dann gleich wieder treppab, bis sie das Zimmer erreicht hatten, das für den jungen Gast hergerichtet worden war.
Zehntes Kapitel
Im sogenannten grünen Zimmer angelangt, stellte Oldbuck den Leuchter auf den Toilettentisch vor einen großen Spiegel mit schwarz lackiertem Rahmen. Dann sah er sich mit ein wenig verstörtem Ausdruck um und sagte:
»Selten komme ich hierher, und stets wenn ich einmal das Zimmer betrete, ergreift mich ein schwermütiges Gefühl – das hat natürlich nichts mit dem kindischen Unsinn zu tun, den Griselda erzählt hat, sondern rührt noch von einer unglücklichen Jugendliebe her. In solchen Augenblicken, Herr Lovel, wie diesen fühlen wir, wie mit der Zeit alles anders wird. Dieselben Gegenstände stehen vor uns – die leblosen Dinge, die wir in launischer Kindheit und als stürmischer Jüngling und dann als sorgsamer zielbewußter Mann betrachtet haben, – sie sind beständig die gleichen geblieben. Aber wenn wir sie jetzt im kalten gefühllosen Alter betrachten, können da wir, die wir in Gemütsart, Tun, Treiben und Gefühlen uns verändert haben – die wir im Körperbau, den Gliedern und der Stärke uns verwandelt haben – können wir noch dieselben genannt werden? – oder schauen wir nicht vielmehr voller Verwunderung sozusagen zurück auf unser früheres Selbst, das deutlich verschieden ist von dem, was wir jetzt sind? Mich rührt immer das Gefühl, das so schön in einem Gedicht, das ich mal, gehört habe, ausgesprochen ist:
Den Blick trübt kindischer Tränen Flor,
Das Herz ist mir töricht beklommen,
Derselbe Laut klingt mir im Ohr,
Den damals ich vernommen.
So schmerzt am Lebensabend spät
Das Herz in weisern' Stunden
Weit mehr, was noch bevor uns steht.
Als was bereits entschwunden.
Na, die Zeit heilt jede Wunde, und wenn auch die Narbe bleibt und manchmal schmerzt, so ist doch von der Qual, die sie ehedem, kaum geschlagen, bereitete, nichts mehr zu spüren.«
Schritt für Schritt konnte Lovel verfolgen, wie sein Wirt zurückkehrte, und jede Tür, die er hinter sich schloß, klang ferner und hohler.
Also getrennt von der lebenden Welt, nahm Lovel die Kerze und besichtigte das Gemach. Das Feuer lohte lustig. Jungfer Griselda hatte ein wenig frisches Holz dagelassen, damit er nachlegen könne. Das Zimmer sah zwar nicht sonderlich heiter, aber doch recht behaglich aus. Es war mit Tapeten verhängt, die im sechzehnten Jahrhundert auf den Webstühlen von Arras gefertigt worden waren und die der gelehrte Buchdrucker, den wir schon so oft genannt haben, als eine Probe der Geschicklichkeit und Kunstfertigkeit des Festlandes mitgebracht hatte.
Eine Jagdszene war darauf dargestellt, und da das Gezweig und Blätterwerk der Bäume im Walde die vorherrschende Farbe bildeten, war das Zimmer die grüne Stube genannt worden. Grimmige Gestalten in der alten vlämischen Tracht mit aufgeschlitztem Wams voller Schleifen und Bänder, in kurzen Mäntelchen und Pluderhosen hielten Windspiele und Vorstehhunde an der Koppel oder ließen sie auf das Wild los. Andre mit Hirschfängern oder Schwertern und altmodischen Büchsen griffen Eber oder Hirsche an, die sie gestellt hatten. In den Zweigen des gewebten Waldes wimmelte es von Vögeln aller Art, die alle in den richtigen Farben ihres Gefieders dargestellt waren.
Das Bett war von verschossenem Dunkelgrün, es sollte zur Tapete passen, war aber von der weniger geschickten Hand eines modernen Handwerkers gefertigt. Die großen wuchtigen Stühle mit Stoffpolstern und ebenholzschwarzen Lehnen waren mit Stickereien des gleichen Musters versehen, und ein hoher Spiegel über dem antiken Kaminaufsatz entsprach in seiner Mache dem auf dem altmodischen Toilettentisch.
»Ich habe gehört,« murmelte Lovel, als er die Stube und ihre Ausstattung überschaute, »Geister sollen sich oft das beste Gemach in dem Hause, das sie heimsuchen, wählen, und da kann ich wirklich den Geschmack des entseelten Druckers der Augsburger Konfession gar nicht tadeln.«
Aber seine Gedanken auf die Geschichten zu richten, die er von dem Zimmer gehört hatte, und die auch so seltsam zu ihm zu passen schienen, fiel ihm so schwer, daß es ihm fast leid tat, so ganz frei zu sein von den aufgeregten Empfindungen, die, halb Furcht, halb Neugierde, für die alten Sagen von Grausen und Wunder empfänglich stimmen. Die bange Wahrheit seiner hoffnungslosen Leidenschaft hielt ihn jetzt fern von diesem Reich des Spukes. Denn er empfand jetzt nur die Gefühle, die in den Zeilen ausgedrückt sind:
Grausame Maid, wie hast du mich verwandelt!
Nie anders ward mir Herz und Sinn!
So bitter schlecht hast du an mir gehandelt,
Daß ich wie du jetzt lieblos bin!
Es fiel ihm immer wieder ein, wie Fräulein Wardour sich ihm fremd gestellt hatte, da sie notgedrungen seine Gesellschaft hatte ertragen müssen und wie sie ihren festen Entschluß kund gegeben hatte, sich ihm fern zu halten, und diese Erinnerung hatte sein Gemüt ausschließlich beschäftigt. Aber hierzu kamen Erinnerungen aufregenderer, wenn auch weniger schmerzlicher Art – wie sie um ein Haar dem Tode entronnen war – wie er ihr so glücklich hatte Hilfe bringen können – und doch! wie war es ihm gelohnt worden? Während noch niemand Gewißheit hatte, ob er gerettet würde, war sie schon gegangen – während es noch unbestimmt war, ob nicht ihr Retter sein Leben verlieren würde, das er so hochherzig für sie eingesetzt hatte – hatte sie die Klippe verlassen! Gewiß hätte sie zum mindesten aus Dankbarkeit ein wenig Anteil an seinem Schicksal nehmen müssen – doch nein, ungerecht oder selbstsüchtig konnte sie nicht sein, das lag nicht in ihrer Natur. Sie wünschte nur, von vornherein keine Spur von Hoffnung aufkommen zu lassen und eben aus Mitleid mit ihm eine Liebe zu ersticken, die sie nicht erwidern konnte.
Aber diese liebhabermäßige Art der Betrachtung war nicht dazu angetan, ihn mit seinem Schicksal zu versöhnen, denn je liebenswerter ihm die Phantasie Fräulein Wardour vorstellte, um so untröstlicher mußte er sich fühlen unter dem Zwang, seiner Hoffnung zu entsagen. Er war sich allerdings bewußt, daß er die Macht besaß, ihre Vorurteile in einigen Punkten zu überwinden, aber selbst in seiner schmerzvollen Bedrängnis war er entschlossen, an dem ursprünglich gefaßten Vorsatz festzuhalten: ehe er ihr eine Erklärung aufdrängte, wollte er sich vergewissern, daß sie nach einer verlangte. Und er mochte die Sache betrachten, von welcher Seite er wollte, er konnte seine Werbung noch nicht als gänzlich hoffnungslos ansehen. Als Oldbuck ihn vorgestellt hatte, war Verlegenheit und ernstes Erstaunen in ihren Blicken zu erkennen gewesen, und vielleicht hatte sie auf flüchtige Überlegung hin den einen Ausdruck angenommen, um den andern zu verbergen. Er wollte seine Liebeswerbung noch nicht aufgeben, obgleich sie ihm schon so viele Schmerzen bereitet hatte.
Pläne, entsprechend der romantischen Gemütsart des Gehirns, die sie hegte, jagten einander, in dichtem, unregelmäßigem Spiele wie die tanzenden Sonnenstäubchen, und lange noch, nachdem er sich schon niedergelegt hatte, hielten sie noch immer von ihm die Ruhe fern, deren er so dringend bedurfte. Überdrüssig der Ungewißheit und der Schwierigkeiten, mit denen jeder einzelne Plan verknüpft zu sein schien, versuchte er seinen Geist zu dem schweren Entschlüsse zu zwingen, seine Liebe von sich zu schütteln und die Studien und die Laufbahn wieder aufzunehmen, die er um seiner unerwiderten fruchtlosen Liebe willen so lange und so unnütz unterbrochen hatte. In diesem letzten Entschlüsse bemühte er sich, sich selber, durch jeden Beweggrund, den ihm Stolz und Vernunft unterbreiten konnten, zu bekräftigen.
»Sie soll nicht denken,« sagte er zu sich selber, »daß ich auf Grund eines zufälligen Dienstes, den ich ihr und ihrem Vater geleistet habe, mich ihr aufdrängen wollte und jene Beachtung und Teilnahme von ihr erwartete, zu der sie persönlich mich für unwürdig und nicht berechtigt halten müßte. Ich will sie nicht wiedersehen. Ich will zurück nach dem Lande, das, wenn auch keine schönern, doch viele ebenso schönen und weniger hochmütigen Mädchen hat als Fräulein Wardour. Morgen will ich Lebewohl sagen diesem nördlichen Gestade und ihr, die ebenso kalt und unbarmherzig ist, wie dies Klima hier!«
Nachdem er eine Zeitlang über diesem trotzigen Entschluß gebrütet hatte, verlangte endlich die erschöpfte Natur ihre Rechte, und trotz alles Zornes, Zweifels und bangen Sorgens sank er in Schlummer.
Selten ist ein Schlaf nach so heftiger Aufregung tief und ruhig oder doch erfrischend. Lovels Schlaf war von tausend haltlosen verworrenen Gesichtern gestört. Er war ein Vogel – er war ein Fisch – oder er flog wie ein Vogel – oder er schwamm wie ein Fisch – Eigenschaften, die vor wenigen Stunden noch seine Lebensgefahr um ein bedeutendes verringert hätten. Dann war Fräulein Wardour eine Sirene oder ein Paradiesvogel, ihr Vater ein Triton oder eine Seemöwe, und Oldbuck bald ein Meerschwein, bald ein Kormoran.
In diese angenehmen Phantasien mischten sich die gewöhnlichen tollen Fratzen eines Fiebertraumes. Die Luft wollte den Träumenden nicht mehr tragen, das Wasser schien ihn zu verbrennen – die Felsen fühlten sich an wie Daunenkissen, als er gegen sie geschleudert wurde. Was er auch unternahm, schlug auf irgend eine fremdartige, unerwartete Weise fehl – und was immer seine Aufmerksamkeit fesselte, erlitt, sobald er es untersuchen wollte, eine wilde wunderbare Verwandlung, dabei war sich sein Geist immer noch in gewissem Grade bewußt, daß alles ein Traumbild sei, – suchte aber vergebens, sich ihm durch Erwachen zu entreißen. Das alles waren fieberhafte Symptome, die jedem, der an Alpdrücken leidet, sehr wohl bekannt sind. Endlich kam ein wenig Regelmäßigkeit und Ordnung in diese Traumgebilde, sofern nicht die Phantasie Lovels, nachdem er schon munter geworden war (denn er hatte eine ziemlich lebhafte und reiche Phantasie), allmählich, unmerklich und unabsichtlich bessere Ordnung in das Bild brachte, daß sich ihm im Schlafe nur in wenig deutlichen Umrissen gezeigt hatte. Oder möglicherweise kam ihm auch seine fieberhafte Aufregung bei der Bildung der Erscheinung zu Hilfe.
Wir überlassen diese Erörterung den Gelehrten und wollen sagen, daß nach einer Folge von wilden Geschichten unser Held – denn als solchen müssen wir ihn anerkennen – soweit zu einem Bewußtsein der Örtlichkeit erwachte, daß er sich erinnerte, wo er sich befand, und die ganze Ausstattung des grünen Zimmers sich vor seinem schlummernden Auge darstellte. Und nochmals will ich hier bekennen: wenn soviel altmodische Leichtgläubigkeit unter diesem scharfsinnigen skeptischen Geschlecht noch vorhanden ist, daß jemand glauben will, was nun folgt, sei mehr mit dem Auge geschaut, als von der Phantasie vorgegaukelt worden – ich widerspreche dieser Auffassung nicht.
Lovel also war – oder bildete es sich ein zu sein – völlig wach im grünen Zimmer und sah in die flackernde launenhafte Flamme, die aus den Resten der noch nichtausgebrannten Scheite hervorzüngelte. Eine nach der andern fielen die Holzkohlen in die rote Glut. Ohne daß er es merkte, erwachte in seinem Geiste die Mär von Aldobrand Oldenbuck und seinem Besuch in dieser Kammer – und damit erwachte auch, wie wir es in Träumen oft empfinden, eine ängstliche furchtsame Erwartung, die fast immer unverzüglich den Gegenstand unserer Furcht vor unser geistiges Auge hinzaubert.
Heller zuckender Schein flammte aus dem Kamin mit so grellem Geleucht, daß das ganze Zimmer erhellt war. Wild wehte die Tapete an der Wand, bis ihre düsteren Gestalten sich zu beleben schienen. Die Jäger bliesen in die Hörner – der Hirsch schien zu flüchten – der Eber schien sich zu wehren – und die Hunde schienen über den einen herzufallen und die andern zu verfolgen – das Geschrei des Wildes, das von Hunden gewürgt wurde, die Rufe von Männern und das Getrappel von Pferden schien ihn plötzlich zu umgeben – während jede Gruppe bei all der Wildheit der Jagd sich doch in der Weise betätigt zeigte, wie der Künstler sie dargestellt hatte.
Lovel starrte auf diese Szene ohne jede Verwunderung – ein Gefühl, das sich der schlafenden Phantasie selten aufdrängt – aber mit einem bangen Gefühl entsetzlicher Angst. Als er starrer auf die gewebten Jäger blickte, schien eine besondere Gestalt unter ihnen die Tapete zu verlassen und auf das Bett des Schlummerers zuzukommen.
Im Näherkommen schien sich seine Gestalt zu verändern. Sein Hifthorn wurde ein dickes Buch mit Metallklammern, seine Jagdkappe wurde eine Pelzmütze, wie sie die Bürgermeister Rembrandts tragen, das vlämische Gewand blieb, aber sein Gesicht bewegte nicht mehr der tolle Eifer der Jagd, es hatte eine so starre, ehrfurchtgebietende Ruhe und Fassung, wie sie am besten den ersten Eigentümer von Monkbarns mag gekleidet haben und wie er Lovel im Laufe dieses Abends von den Nachkommen beschrieben worden war.
Wählend diese Verwandlung vor sich ging, verschwand das Leben und Treiben unter den andern Personen auf dem Gewebe aus der Phantasie des Träumers, die jetzt ausschließlich auf die einzelne Gestalt vor ihm konzentriert war. Lovel bemühte sich, ja strengte sich an, die schreckliche Person in der Form einer passenden Beschwörung zu fragen, aber wie es in furchtbaren Träumen zu geschehen pflegt, die Lunge versagte ihm den Dienst und hing wie gelähmt am Gaumen fest.
Aldobrand hob den Finger, wie um dem Gaste, der in sein Zimmer eingedrungen war, Schweigen zu gebieten, und begann bedächtig das ehrwürdige Buch aufzuschlagen, das er in der linken Hand trug. Als er es aufgeschlagen hatte, wandte er hastig die Blätter ein kleines Stück um, und dann richtete er seine Gestalt zu ihrer vollen Größe auf, hielt das Buch hocherhoben in der linken Hand und deutete auf eine Stelle aus der Seite, die er so hinhielt.
Obwohl die Sprache unserm Träumer unbekannt war, schienen Auge und Aufmerksamkeit von der Zeile, die die Gestalt ihm so hinzeigte, fest gebannt, und die Worte schienen in übernatürlicher Glut zu flammen und blieben seinem Gedächtnis eingeprägt. Als die Erscheinung das Buch wieder schloß, schien eine entzückende Musik das Gemach zu erfüllen – Lovel fuhr auf und erwachte vollends.
Aber die Musik blieb noch in seinem Ohr und verstummte auch nicht, und deutlich vernahm er die Weise eines alten schottischen Liedes.
Er setzte sich im Bette auf und bemühte sich, die Phantasie von den Phantomen, die sie in dieser qualvollen Nacht aufgestört hatten, zu säubern. Die Strahlen der Morgensonne fielen durch die halbgeschlossenen Fensterladen und ließen helles Licht ins Zimmer. Er sah sich rings um und musterte die Tapeten, aber die bunten Gruppen gewebter seidener Jäger waren regungslos, und nur leise erbebte das Gehänge im Frühwinde, bei durch eine Spalte in den Läden hereinkam und über die Tapeten hinstrich.
Lovel sprang heraus, hüllte sich in einen Morgenrock, den sie ihm vorsorglich neben das Bett gelegt hatten und trat ans Fenster, das auf die See hinaussah. An dem Wellengange war zu erkennen, daß der Sturm vom verflossenen Abend sich noch nicht völlig gelegt hatte, obwohl der Morgen schön und heiter war.
Das Fenster eines Türmchens, das an einer Ecke der Mauer hervorsprang und so ganz in der Nähe von Lovels Zimmer gelegen war, stand halb offen, und aus diesem Gemach hörte er abermals die Musik, die wahrscheinlich seinen Traum zu einem raschen Ende gebracht hatte. Mit dem visionären Eindruck hatte sie auch viel von ihrem Reize verloren – es war jetzt weiter nichts mehr als ein leidlich ausgeführter Harfengesang, von einer Frauenstimme mit Geschmack und Schlichtheit vorgetragen. Das Lied lautete folgendermaßen:
Was weilst du bei dem Trümmerhaus,
Du finstrer Kerl in grauen Haaren?
Malst du die frühere Pracht dir aus?
Sinnst du, wie sie verfiel seit Jahren?
»Kennst du mich nicht?« die Antwort tönt.
»So oft mißbraucht, so lang genossen –
Verflucht, verschmäht, erwünscht, ersehnt –
Ob du vergnügt – ob du verdrossen?
Die Menschen und ihr Tun verwehn
Vor meinem Hauch wie loser Zunder –
Und Reiche wechselvoll entstehn,
Und wachsen hoch und gehen unter!
Doch nutz es aus – kurz ist die Frist.–
Und maßlos werden Freud und Leiden,
Wenn erst der Sand verronnen ist
Und Zeit und du auf immer scheiden!«
Noch während die Verse erklangen, war Lovel zum Bette zurückgekehrt, die Gedanken, die sie erweckten, waren romantisch und lieblich, wie er ihnen voller Freude nachzuhängen pflegte, und willig ließ er, bis es hellerer Tag geworden wäre, die bedenkliche Aufgabe, sich über sein künftiges Verhalten schlüssig zu werden, einstweilen fallen und überließ sich dem süßen Verlangen, mit dem die Musik ihn erfüllte, und verfiel in einen festen erquickenden Schlaf, aus dem er erst spät von dem alten Caxon aufgeweckt wurde, der sich leise ins Zimmer stahl) um, sich als Kammerdiener nützlich zu machen.
»Es ist doch jammerschade, daß er sich nicht frisieren und pudern läßt,« jammerte der ehemalige Friseur, als er in die Küche zurückgekehrt war, wo er unter dem oder jenem Vorwande dreiviertel seiner müßigen Zeit verbrachte – das will soviel sagen wie seiner ganzen Zeit – »Es ist jammerschade, denn er ist ein schmucker, junger Herr!«
»Gehn Sie, Sie alter Schafskopf Sie!« sagte Hanne Rintherout. »Möchten Sie am Ende sein hübsches, braunes Haar mit Ihrem ekelhaften Fett und Oel einschmieren und dann zurechtzwirbeln wie dem alten Pastor seine Perücke? Den natürlichsten und schönsten Kopf voll Haaren würden Sie verschandeln, den es in ganz Fairport, in der Stadt und auf dem Lande gibt.«
Elftes Kapitel
Ein Frühstück war von den Damen hergerichtet worden, und als Lovel mit Oldbuck und den Damen zusammen im Eßzimmer saß, hatte er mancherlei Fragen zu beantworten, wie er die Nacht verbracht hätte.
»Nun, ich hoffe,« sagte der Altertümler im Laufe dieses Gesprächs, ohne daß Lovel das Traumgesicht erzählt hatte, »Sie werden noch eine Nacht den Schrecken des Spukzimmers und noch einen Tag Ihren treuen Freunden vergönnen.«
»Ich wünschte es selber von ganzem Herzen – aber –«
»Nein, kommen Sie mir nicht mit Abers – ich bin nun einmal mit ganzer Seele darauf versessen.«
»Ich bin Ihnen sehr dankbar, werter Herr, aber –«
»Potz schon wieder ein Aber! – Ich hasse das Aber! – Das Aber ist für mich noch eine abscheulichere Zusammenstellung von Buchstaben als das Nein. Nein ist ein barscher, ehrlicher Kerl, der seine Meinung rund heraussagt und keine Umschweife macht – Aber ist eine schleichende, schielende Sorte von Konjunktion, die Ausflüchte macht und wie die Katze nm den heißen Brei geht. Das Aber nimmt einem den Becher von den Lippen weg, wenn man ihn eben ansetzt.«
»Na gut,« sagte Lovel, der im Augenblick wirklich noch nicht recht wußte, was er wollte, »Sie sollen die Erinnerung an meinen Namen nicht mit einem so rauhen Worte verknüpfen – ich muß binnen kurzem daran denken, Fairport zu verlassen, fürchte ich. Und da Sie es wollen und es mir gütigst anbieten, will ich die Gelegenheit benutzen und noch einen Tag hier bleiben.«
»Und das will ich Ihnen lohnen, mein Junge – zuerst sollen Sie John o'the Girnels Grab sehen, und dann wollen wir gemächlich an den Dünen hingehen – das heißt, über den Stand der Flut schaffen wir uns erst Gewißheit – denn so ein Abenteuer wollen wir nicht noch einmal haben – bis nach Schloß Knockwinnock und uns erkundigen, wie es dem alten Ritter und meiner schönen Feindin ergeht – das verlangt die bloße Höflichkeit, und dann –«
»Verzeihen Sie bitte, Herr, aber diesen Besuch verschieben Sie vielleicht lieber bis morgen – ich bin den Herrschaften fremd, wie Sie wissen.«
»Und sind daher noch weit mehr verpflichtet, sich höflich zu zeigen, sollt ich meinen –«
»Wenn – wenn – wenn Sie denken, es würde darauf gerechnet – aber ich glaube, ich bleibe besser fort.«
»Nein, nein, mein junger Freund – ich bin nicht so altmodisch, daß ich Sie zu etwas dränge, was Ihnen unangenehm ist – ich brauche bloß zu merken, daß Sie Ihre Ursache haben, nicht mitzumachen – was für eine Ursache, danach habe ich nicht zu fragen. Sie find vielleicht auch noch ein bißchen müde. Ich steh Ihnen dafür, daß ich Mittel finde, Ihren Geist zu beschäftigen, ohne Ihre Glieder anzustrengen – ich bin selber kein Freund vom Strapazieren – ein Spaziergang im Garten, einmal am Tage, ist Leibesübung genug für jedes denkende Wesen. – Hier, einstweilen sehen Sie sich einmal dieses Kleinod an.«
Mit diesen Worten öffnete der Altertümler einen Schubkasten und legte in Lovels Hand eine Schachtel von Eichenholz, die an den Ecken mit silbernen Rosetten verziert war.
»Bitte, machen Sie den Knopf da auf,« setzte er hinzu, als er sah, daß sein Gast an der Klammer herumnestelte.
Er tat es, der Deckel öffnete sich, und es zeigte sich ein dünner, seltsam in Schagrin gebundener Quartband.
»Dies, Herr Lovel,« sagte der Altertümler, »ist der seltene Quartband der Augsburger Konfession, des Fundaments und Bollwerks der Reformation, entworfen von dem gelehrten ehrwürdigen Melanchthon, verteidigt von dem Kurfürsten von Sachsen und den anderen tapferen Herzen, die für ihren Glauben eingetreten sind, selbst einem mächtigen siegreichen Kaiser gegenüber. Gedruckt ist sie von dem kaum weniger ehrwürdigen, lobenswerten Aldobrand Oldenbuck, meinem glücklichen Ahnherrn und Stammvater, zur Zeit der tyrannischen Versuche Philipps II, zugleich die Freiheit der Bürger und der Religion zu unterdrücken. Ja, Herr, weil er dieses Werk gedruckt hat, ist der hervorragende Mann aus seinem undankbaren Vaterlande vertrieben worden, deshalb ist er gezwungen worden, hier in Monkbarns sein Heim aufzuschlagen, unter den Ruinen päpstlichen Aberglaubens und Willkür. Sehen Sie hier seinen Lieblingsspruch, der zugleich Unabhängigkeit und Selbstvertrauen ausdrückte, die es unter ihrer Würde hielten, irgend etwas einem Gönner zu verdanken. Er war in der Tat ein Mann, der fest gestanden hätte, wenn auch seine ganze Druckerei mit Pressen und Formen und allem Zubehör in Stücke zerschellt wäre um ihn her. Lesen Sie, sage ich, sein Motto, denn jeder Drucker hatte sein Motto oder seinen Wahlspruch, als diese großartige Kunst im Entstehen war. Mein Ahnherr hatte wie Sie sehen, zur Devise das deutsche Sprichwort: Kunst macht Gunst – das ist, Fertigkeit oder Wissen in der Ausnutzung unserer natürlichen Begabung und Talente, werden uns Beliebtheit und Gönnerschaft eintragen.«
»Und diese Bedeutung also,« sagte Lovel nach kurzem, sinnendem Schweigen, »haben diese deutschen Worte?«
»Eine Frage – Sie merken, wie sehr sie passen zu einem Bewußtsein des inneren Wertes und einer hervorragenden Befähigung zu einer nützlichen und ehrenvollen Kunst. Es besteht eine Familientradition, daß er durch romantische Umstände zur Wahl dieses Spruches gekommen sein soll.«
»Und auf welche Weise denn wohl, mein guter Herr?« fragte sein junger Freund.
»Nun, es schmälert eigentlich ein wenig den Ruf meines Ahnherrn, ein besonders weiser und kluger Mann gewesen zu sein – aber es hat mal jeder eine Dummheit gemacht. Mein Ahnherr soll während seiner Lehrzeit bei dem alten Drucker Just sich in ein armseliges, Stückchen von Weibe, die Tochter seines Meisters, namens Bertha, verliebt haben. Sie wechselten Ringe oder trieben sonst welche Allotria von blödsinniger Zeremonie, wie Usus ist, wenn ein treuer Liebesbund geschlossen wird – und Aldobrand trat seine Reise durch Deutschland an, wie es sich für einen ehrlichen Handwerker geziemte. Denn es war damals Sitte unter den Handwerkern jener Zeit, daß sie eine Rundreise durchs Reich machten und in ihrem Fache in allen hervorragenden Städten eine Zeitlang arbeiteten, ehe sie sich fürs Leben irgendwo festsetzten. Es war eine weise Sitte, denn die Reisenden wurden wie Brüder in jeder Stadt von den Männern ihres Gewerbes aufgenommen und hatten in jedem Falle sichere Gelegenheit, Kenntnisse zu sammeln und mitzuteilen. Als mein Ahnherr nach Nürnberg zurückkehrte, soll er seinen alten Meister nicht mehr lebend angetroffen haben, vor kurzem war er gestorben, und zwei bis drei vornehme junge Verehrer darunter wohl auch ein paar halb verhungerte Sprößlinge von Adligen – bewarben sich um die Jungfrau Hertha, der der Vater eine Mitgift hinterlassen haben sollte, die wohl sechzehn Wappenschilde hatte aufwiegen können. Aber Bertha war eben kein allzu schlechtes Exemplar von einem Weibsstück und hatte ein Gelübde getan, nur den Mann zu heiraten, der die Presse des Vaters zu handhaben verstand. Diese Kunstfertigkeit war damals ebenso selten wie wundersam, und dazu befreite dieses Verfahren sie mit einemmale von der Mehrzahl ihrer zärtlichen Freier. Ein paar gewöhnliche Buchdrucker machten den Versuch, aber keiner war hinreichend mit dem Geheimnis vertraut – aber ich langweile Sie.« »Keineswegs, bitte, fahren Sie fort, Herr Oldbuck! Ich höre Ihnen mit ungewöhnlichem Interesse zu.«
»Ach! Torheit ist es ja doch – na also – Aldobrand kam in der üblichen Tracht eines fahrenden Druckers an in demselben Habit, in dem er Deutschland durchreist und mit Luther, Melanchton, Erasmus und anderen Gelehrten gesprochen hatte, die seine Kenntnisse nicht gering achteten, wenn sie auch unter so bescheidener Tracht verborgen waren. Aber was in den Augen der Weisheit, Religion, Bildung und Philosophie ehrenwert erschien, das erschien, wie ja leicht anzunehmen gewesen war niedrig und verabscheuenswert in den Augen des albernen affektierten Weibsvolkes, und Bertha wollte nichts mehr von ihrem früheren Geliebten wissen, als er in dem zerrissenen Wams, der Pelzmütze, den Nagelschuhen und der ledernen Schütze eines wandernden Handwerkers wieder vor sie hin trat. Er machte indessen sein Vorrecht geltend, auch zu der Probe zugelassen zu werden. Er legte sie glänzend ab, und lauter Beifall aller Zuschauer lohnte den würdigen Nachfolger Fusts – das errötende Mädchen gab ihren Irrtum zu, daß sie dem Auge mehr als dem Verstände getraut habe, und von da ab wählte sich der Bräutigam den Wahlspruch: Kunst macht Gunst. – Wer was ist denn mit Ihnen los? Sie sind ja in tiefes Sinnen versunken!«
»Verzeihen Sie,« sagte Lovel, – »ich komme Ihnen wohl sehr albern und grillig vor, aber Sie schienen zu meinen, Sir Arthur erwarte aus bloßer Höflichkeit, daß ich ihn besuche?«
»Na, du lieber Gott, ich kann Sie ja auch schließlich entschuldigen. Und wenn Sie doch so früh schon von uns wegmüssen, was hat es dann zu besagen, ob Sie bei Seiner Ehren eine gute Meinung hinterlassen haben? Aber wenn ich Sie so ansehe, kommt es mir vor, als seien Sie anderer Meinung. Nun so sagen Sie doch rund heraus – wollen wir gehen oder nicht?«
»Wir wollen gehen, auf alle Fälle.«
Zwölftes Kapitel
Mit Verlaub des Lesers wollen wir den Altertümler auf seinem langsamen, wenn auch rüstigem Gange überholen, während er aller Augenblicke Halt machte, um seinem Gefährten einen bemerkenswerten Punkt der Landschaft zu zeigen oder über ein Lieblingsthema in nachdrücklicherer Weise sich zu verbreiten, als es ihm unterm Gehen möglich war, und auf diese Weise ziemlich lange Zeit zu seinem Wege brauchte.
Trotz der Strapazen und Gefahren vom verflossenen Abend konnte Fräulein Wardour zur gewohnten Stunde aufstehen und sich ihrer gewöhnlichen Beschäftigung widmen, nachdem sie zuerst die Sorge um das Befinden ihres Vaters beschwichtigt hatte. Sir Arthur war zwar nur von der großen Aufregung und der ungewohnten Anstrengung mitgenommen, doch genügte diese Unpäßlichkeit für ihn, um sich aus seinem Schlafzimmer nicht herauszurühren.
Der Rückblick auf die Ereignisse des verflossenen Tages war für Isabella unangenehm. Sie dankte das Leben und das ihres Vaters dem Manne, dem von allen andern sie am wenigsten irgendwie verpflichtet zu sein wünschte, weil sie ihm gegenüber schwerlich auch nur alltägliche Dankbarkeit äußern konnte, ohne ermutigende Hoffnungen zu erwecken, die für sie beide verderblich werden konnten.
»Warum muß es mein Schicksal sein, daß mir solche Wohltat, unter so großer persönlicher Gefahr, erwiesen wird von eben dem Manne, dem ich in seiner romantischen Liebe so fortgesetzt Abweisungen erteilt habe? Warum mußte der Zufall ihm diesen Vorteil über mich geben? Und warum, o warum muß ein halb unterdrücktes Gefühl in meiner Brust meiner nüchternen Vernunft zum Trotze fast darüber frohlocken, daß er ihn erlangt hat?«
Während Fräulein Wardour also sich selber mit launigen Grillen quälte, sah sie auf der Allee einherkommen nicht ihren jüngeren und gefürchteten Retter, sondern den alten Bettler, der in dem Melodrama vom vergangenen Abend eine solche Hauptrolle gespielt hatte.
Sie klingelte ihrer Zofe. – »Laß den alten Mann herauf.«
Das Dienstmädchen kam gleich darauf wieder.
»Er will auf keinen Fall heraufkommen, gnädiges Fräulein. Er sagt, seine Nagelschuhe hätten noch in seinem ganzen Leben keinen Teppich betreten und sollten's auch nicht, so es Gott gefalle. Soll ich ihn in das Dienstbotenzimmer führen?«
»Nein; warte, ich will mit ihm reden. – Wo ist er denn?« Denn als er an das Haus herangekommen war, hatte sie ihn aus den Augen verloren.
»Er sitzt auf der Steinbank im Hofe in der Sonne.«
»So sag ihm, er solle dort warten – ich werde in die Stube hinuntergehen und durchs Fenster mit ihm reden.«
Sie ging hinunter und fand den Bettler halb sitzend, halb lehnend auf der Bank neben dem Fenster. Edie Ochiltree – Greis und Bettler, wie er war – mußte sich doch wohl im Innern des vorteilhaften Eindrucks bewußt sein, den seine hohe Gestalt, seine gebieterischen Züge und sein langer weißer Bart machten. Es ging über ihn die Rede, daß man ihn selten in einer Stellung sah, die diese persönlichen Vorzüge nicht vorteilhaft zur Geltung brachte.
Diesmal lag er halb zurückgelehnt, die runzligen doch frischen Wangen und das graue Auge zum Himmel emporgekehrt, Stock und Sack neben sich und ein Zug von Bauernschlauheit und sarkastischer Ironie im Antlitz – er sah sich ein Weilchen im Hofe um und dann blickte er wieder zum Himmel empor – so hätte ihn ein Künstler zum Modell für einen Philosophen aus der Schule der Zyniker nehmen können, der über die Fruchtlosigkeit menschlichen Treibens und den immer schwankenden Bestand menschlichen Besitztums nachsann und aufsah zu jener Quelle, aus der allein alles dauernde Glück kommen konnte.
Nachdem Fräulein Wardour in freundlicher Weise dem Bettler ihren Dank ausgesprochen hatte, den dieser von sich wies, als weit über Verdienst, schlug sie einen Ton an, der ihres Erachtens nach seinem Begriffsvermögen besser entsprechen würde.
»Sie wisse nicht, was ihr Vater für ihren Retter tun wolle, aber sicher beabsichtige er etwas, was ihn für sein Leben von aller Not befreien würde. Wenn er im Schlosse wohnen wolle, so wolle sie Anordnungen treffen......«
Lächelnd schüttelte der alte Mann den Kopf.
»Ich würde Ihren seinen Dienern und Dienstmädchen nur ein Dorn im Auge sein und ein Schandfleck unter ihnen, meine Dame, und ein Schandfleck bin ich eigentlich noch für niemand gewesen – daß ich nicht wüßte...«
»Sir Arthur würde strengen Befehl erteilen . ...«
»Sie sind sehr gütig, ganz gewiß, ganz gewiß. Aber es gibt so Sachen, die kann ein Herr schon befehlen, aber es gibt ihrer, die kann er nicht befehlen. Freilich wohl würde er sie davon abhalten, daß sie sich an mir vergriffen, und ich selber möcht's auch keinem geraten haben, sich sowas herauszunehmen – und er würde sie wohl dazu bringen, daß sie mir Suppe und Fleisch geben, – Aber glauben Sie, Sir Arthurs Befehl könne das Spiel der Jungen oder den Blick der Augen verwehren oder sie davon abhalten, mich zu verhöhnen oder zu schmähen? – Außerdem bin ich der faulste alte Kerl, der je gelebt hat, und ich habe mich nicht an bestimmte Stunden zum Essen und zum Schlafen gewöhnt, und die ehrliche Wahrheit zu gestehen, ich passe ganz und gar nicht in einen geregelten Hausstand hinein.«
»Na, Edie, was sagen Sie dann zu einem netten Häuschen und einem Garten, wo Sie nichts zu tun hatten, als ein bißchen in Ihrem Garten zu graben, wenn Sie Lust dazu hätten?« »Und wie oft hätte ich wohl dazu Lust, was meinen Sie wohl, meine Dame? Vielleicht nicht einmal zwischen Lichtmeß und Weihnachten. Und ich kann auch nicht an einem Fleck stillsitzen und Abend für Abend dasselbe Dach und dieselben Sparren mir zu Häupten sehen.«
»Aber bedenken Sie doch, Sie sind schon alt.«
»O, damit hat's noch keine Not,« versetzte der Schnorrer. »Erst gestern bin ich rüstig gewesen und flink wie ein Aal. Und was sollte denn das ganze Land tun, wenn der alte wie Ochiltree verschwände, der Neuigkeiten und Geschwätz von Kreisangelegenheiten von einem Bauernhöfe zum andern trägt? Er bringt den Mädels Pfefferkuchen und hilft den Jungen die Fiedeln ausbessern und flickt den Weibern die Pfannen und macht den Kindern Soldatenmützen und Holzschwerter und versteht sich darauf, Pferde und Rindvieh zu kurieren, und kennt mehr alte Lieder und Geschichten als irgendwer ringsherum und macht alle Welt zum Lachen, wohin er nur kommt. Wahrhaftig, Fräulein, ich kann meinen Beruf nicht niederlegen – es wäre ein Verlust fürs Publikum.«
»Na, Edie, wenn Sie von Ihrer Wichtigkeit eine so hohe Meinung haben, daß Sie sich selbst durch die Aussicht auf Unabhängigkeit nicht bewegen lassen ...«
»Nein, nein, Fräulein – ich bin nämlich auf diese Weise mehr unabhängig,« antwortete der alte Mann. »Ich bitt' an keinem Hause um mehr als um etwas zu essen oder auch nur um einen Mundvoll Futter – wird mir's an der einen Stelle abgeschlagen, gehe ich zur andern – so kann mir niemand nachsagen, ich hinge ganz und gar von irgendwem ab, sondern ich bin eben nur so auf das Land im großen und ganzen angewiesen.«
»Gut, dann versprechen Sie mir, daß Sie mich's wissen lassen wollen, wenn Sie je im späteren Alter Lust bekommen, sich zur Ruhe zu setzen. Bis dahin nehmen Sie dies hier.«
»Nein, nein, Fräulein, soviel Silber auf einmal nehm ich nicht, es ist gegen unsere Regel – und wenn es auch nicht höflich sein mag, dergleichen wieder zu sagen, die Leut da herum reden, Silber sei bei Sir Arthur selber ein rarer Artikel und er hätte an seinen Blei- und Kupfergruben gar viel edlers Metall verloren.«
Isabella hatte wohl selber schon hiervon eine leise Ahnung, erschrak aber, als sie hörte, daß die finanziellen Schwierigkeiten ihres Vaters schon so sehr zum öffentlichen Gespräch geworden seien, als ob nicht die Klatschsucht zu jeder Zeit am liebsten über ein so angenehmes Thema wie das Mißgeschick eines guten, den Zusammenbruch eines mächtigen oder den Fall eines glücklichen Menschen hergefallen wäre.
Sie seufzte tief.
»Wir haben noch genug, Edie,« sagte sie, »unsere Schulden zu bezahlen, mögen die Leute sonstwas schwätzen, und Ihnen zu vergelten, ist unsere nächste Schuld – lassen Sie mich also Ihnen diese Summe aufdrängen.«
»Daß ich in einer schönen Nacht mal auf der Bandstraße totgeschlagen werde oder, was eben so schlimm ist, beständig in tausend Ängsten leben muß? ich bin –« und er dämpfte die Stimme und sah sich vorsichtig um – »ich bin gar nicht einmal so blutarm, und wenn ich auch mal auf der Straße sterben sollte, hier in meinem blauen Kittel findet sich genug eingenäht, daß man mir ein christliches Begräbnis bereiten kann.«
»So kann ich denn nichts für Sie tun?«
»Ei ja doch – ich komm um meine Almosen wie bisher – und Sie können auch dem Gendarm und dem Polizisten sagen, sie möchten ein Auge zudrücken und vielleicht können Sie auch ein gutes Wort für mich beim Müller einlegen, daß er seinen großen Hund an die Kette legt – ich möchte freilich nicht, daß er das arme Tier schlüge, denn das, tut ja nur seine Pflicht, wenn es einen Landstreicher wie mich anbellt, – und dann hätte ich wohl noch eins, aber Sie denken vielleicht, es wäre recht frech von mir, über sowas zu reden.«
»Was ist's denn, Edie? Wenn es Sie angeht, so soll es geschehen, sofern es in meinen Kräften steht.«
»Es geht Sie selber an, und es steht in Ihren Kräften, und ich muß es nur frei heraus sagen. Sie sind eine gute junge Dame, eine herzensgute, und wohl auch sehr gebildet – aber weisen Sie nicht so verächtlich den jungen Herrn Lovel ab, wie Sie es neulich getan haben auf dem Wege unterhalb Brierybank, wo ich Sie beide gesehen und auch gehört habe, wenngleich Sie mich nicht gesehen haben. Gehen Sie sanft mit dem Burschen um, denn er hat Sie sehr gern, und ihm, nicht aber irgendwelcher Tat von mir, verdanken Sie es, daß Sir Arthur und Sie gestern mit dem Leben davongekommen sind.« Er sprach diese Worte in leisem, doch deutlichem Tone, und ohne eine Antwort abzuwarten, ging er auf eine niedrige Tür zu, die in die Gesindestuben führte und trat so in das Haus.
Fräulein Wardour blieb einen Augenblick in der Stellung, in der sie die letzten seltsamen Worte des alten Mannes gehört hatte – gegen das Fenster gelehnt, – sie vermochte sich nicht aufzuraffen, auch nur ein Wort über diese so heikle Angelegenheit zu äußern, bis der Bettler verschwunden war. Es war wirklich schwierig, sich zu irgend etwas zu entschließen. Daß sie eine geheime Unterredung unter vier Augen mit dem jungen unbekannten Fremden gehabt hatte, in dieses Geheimnis war also ein Mann aus der letzten Klasse eingeweiht, in der eine junge Dame einen Vertrauten hätte suchen können. Es war einem Manne preisgegeben, der von Gewerbe die Klatschbase für die ganze Umgegend war. Das schmerzte sie tief.
Sie hatte allerdings keinen Grund zu glauben, daß der alte Mann absichtlich sie verletzen oder ihr einen boshaften Streich spielen würde, aber daß er überhaupt sich die Freiheit genommen hatte, darüber mit ihr zu reden, das bewies, wie es ja nicht anders zu erwarten gewesen wäre, daß ihm jegliches Zartgefühl abging und daß ein so erklärter Verehrer aller Zwanglosigkeit auch ohne alle Bedenken tun oder sagen würde, was ihm eben gerade in den Sinn kommen würde. Dieser Gedanke schmerzte sie so sehr, daß sie fast gewünscht hätte, sie hätte am verflossenen Abend Lovels und Ochiltrees Beistand nicht gefunden.
Während sie in solcher Erregung sich befand, sah sie plötzlich Oldbuck und Lovel in den Hof treten. Sie trat sofort so weit vom Fenster zurück, daß sie die beiden sehen konnte, ohne selber gesehen zu werden. Sie sah, wie der Altertümler vor dem Gebäude stehen blieb und mit der Gebärde, als tische er Lovel manche lehrreiche Ausführung auf, nach den verschiedenen Wappenschilden der früheren Besitzer deutete, und wie Lovel – sie erkannte es deutlich an seiner abwesenden Miene – gar nicht darauf hörte.
Sie sah ein, daß sie auf der Stelle einen Entschluß fassen müsse – sie klingelte daher einem Dienstmädchen und befahl, die Gäste in den Salon zu führen, während sie auf einer anderen Treppe sich in ihr eigenes Zimmer begab, um, ehe sie sich zeigte, zu überlegen, wie sie sich am passendsten zu verhalten hätte. Ihren Weisungen gemäß wurden die Gäste in das, Zimmer geführt, wo in der Regel Besuch empfangen wurde.
Dreizehntes Kapitel
Ein hohes Rot bedeckte Fräulein Wardours Wangen, als sie nach einer Weile den Salon betrat.
»Es freut mich, daß Sie gekommen sind, meine schöne Feindin,« begrüßte der Altertümler sie aufs freundlichste, – »denn in meinem jungen Freunde hatte ich einen sehr gleichgültigen Zuhörer, als ich ihn in die Geschichte von Knockwinnock einweihte. Mich dünkt, die Gefahr von gestern nacht hat den armen Jungen schier um den Verstand gebracht. Aber Sie, Fräulein Isabella, Sie sehen aus, als ob das Fliegen durch die Nachtluft Ihre natürliche und liebste Beschäftigung sei. Ihre Gesichtsfarbe ist sogar besser als gestern, wie Sie zu meinem
»Leidlich wohl, Herr Oldbuck, aber ich fürchte, er wird nicht in der Lage sein, Ihre Glückwünsche entgegenzunehmen oder Herrn – Herrn Lovel seinen Dank abzustatten für seine unvergleichliche Tat.«
»Ich hätte nicht beabsichtigt, mich aufzudrängen,« sagte Lovel, indem er zu Boden sah und zögernd und mit unterdrückter Erregung sprach, »ich war nicht willens, Sir Arthur zu belästigen – oder Fräulein Wardour ich weiß ja, daß ich unwillkommen sein muß, – da ich ja doch nur schmerzliche Erinnerungen wachrufe.«
»Halten Sie meinen Vater nicht für undankbar und ungerecht,« sagte Fräulein Wardour »Ganz gewiß,« fuhr sie fort, in der gleichen Beklommenheit wie Lovel, »ganz gewiß – ich bin überzeugt – würde sich mein Vater glücklich schätzen, seine Dankbarkeit zu erzeigen – auf irgend eine Weise – ich meine, auf eine Weise, die Herr Lovel wohl angeben könnte.«
»Ei, zum Kuckuck,« unterbrach sie Oldbuck, »lassen wir doch diesen Unsinn beiseite – Sir Arthur, wird uns schon ein andermal guten Tag sagen. – Was haben Sie für Nachricht aus dem Königreiche der unterirdischen Finsternis und der luftigen Hoffnung? Was sagt der schwarze Geist des Bergwerks? – Hat Ihr Vater gute Nachricht von seinem letzten Unternehmen in Glen-Withershins?«
Fräulein Wardour schüttelte den Kopf.
»Nicht der Rede wert, fürchte ich,« antwortete sie. »Aber dort liegen ein paar Proben, die vor kurzem hinuntergesandt worden sind.«
»Ach, meine armen lieben hundert Pfund, für die ich auf Sir Arthurs Zureden hin Anteile an diesem hoffnungsvollen Unternehmen genommen habe! – Wollen uns die Dinger mal ansehen!«
Mit diesen Worten setzte er sich an den Tisch, auf dem die Minenprodukte lagen, und fing an sie zu untersuchen, wobei er über jedes brummte, das er aufnahm und unbefriedigt wieder hinlegte.
Inzwischen war Lovel durch Oldbucks Verhalten, gewissermaßen in ein notgedrungenes Tête-à-tête mit Fräulein Wardour hineingeraten – er benutzte die Gelegenheit, sie mit leiser Stimme, in stockender Rede anzusprechen.
»Ich hoffe zuversichtlich, Fräulein Wardour wird es fast unwiderstehlichen Umständen zuschreiben, wenn sich in dieser Weise ein Mann, der Ursache hat, sich für einen so unwillkommenen Gast zu halten, in ihre Nahe gedrängt hat.«
»Herr Lovel,« antwortete Fräulein Wardour, den gleichen vorsichtigen Ton anschlagend, »ich glaube, ganz gewiß, daß Sie – ich bin überzeugt, daß Sie nicht der Mann sind, die Vorteile zu mißbrauchen, die Sie durch die uns erwiesenen Dienste über uns erlangt haben. Soweit sie meinen Vater betreffen, können diese Dienste nie hinreichend anerkannt oder vergolten werden. Könnte Herr Lovel mich sehen, ohne daß sein Gemütsfriede darunter litte – könnte er mich wie eine Freundin besuchen – wie eine Schwester – so wird niemand – und nach allem, was ich von Herrn Lovel gehört habe, würde er das auch vollauf verdienen – willkommner sein, aber –«
Im Innern wiederholte Lovel jetzt Oldbucks Verurteilung des leidigen Aber.
»Verzeihen Sie mir, wenn ich Sie unterbreche, Fräulein Wardour. – Sie brauchen nicht befürchten, daß ich einen neuen Versuch machen würde, wo ich bereits so strenge Abweisung erfahren habe. Es ist aber streng genug, daß Sie meine Liebe abweisen, fügen Sie nicht noch die Grausamkeit hinzu, daß Sie mich zwingen wollen, meine Liebe zu verleugnen.«
»Sie bringen mich in größte Verlegenheit, Herr Lovel,« versetzte die Baroneß, »durch Ihre – ich möchte nicht gern ein hartes Wort gebrauchen – durch Ihre romantische hoffnungslose Hartnäckigkeit – nur um Ihretwillen bitte ich, denken Sie daran, daß unser Vaterland einen Anspruch hat auf Ihre reichen Talente. Vergeuden Sie doch nicht in müßiger grilliger Hingebung an eine schlecht angebrachte Verliebtheit die kostbare Zeit, die, in reger Tätigkeit klug angewendet, für Sie der Grundstein zu künftiger Auszeichnung wäre. Lassen Sie mich Sie ersuchen – fassen Sie einen männlichen Entschluß –«
»Es ist genug, Fräulein Wardour, ich sehe klar, daß –«
»Herr Lovel, Sie fühlen sich verletzt – und glauben Sie mir, mich selber schmerzt es, daß ich Ihnen weh tun muß. Aber kann ich, wenn ich gegen mich selbst gerecht und gegen Sie ehrenvoll handeln will, anders tun? – Ohne meines Vaters Einwilligung werde ich niemals Verkehr mit irgendwem unterhalten, und es ist ja ganz und gar unmöglich, daß er die Neigung begünstigen würde, mit der Sie mich beehren – Sie selber wissen ja vollkommen – und in der Tat ... .«
»Nein, Fräulein Wardour,« antwortete Lovel im Tone leidenschaftlicher Bitte, – »gehen Sie nicht weiter – es ist genug damit, daß Sie jede Hoffnung in unserer gegenwärtigen Lage zueinander vernichten – gehen Sie nicht weiter in Ihren Entschlüssen – warum wollten Sie mich wissen lassen, wie Sie sich verhalten würden, wenn Sir Arthurs Einwendungen sich beseitigen ließen?«
»Allerdings ist es unnütz, Herr Lovel,« sagte Fräulein Wardour, »weil es eben doch unmöglich ist, sie zu beseitigen. Und als Ihre Freundin und als eine Dankbare, die für ihr und ihres Vaters Leben Ihnen verpflichtet ist, wünsche ich nur, ich könnte Sie bewegen, diese unglückliche Liebe zu unterdrücken – ein Land zu verlassen, daß für Ihre Begabung keinen Boden bietet, und den ehrenvollen Beruf wieder zu ergreifen, den Sie aufgegeben zu haben scheinen.«
»Wohl, Fräulein Wardour, ich werde mich nach Ihren Wünschen richten – haben Sie Geduld mit mir noch einen kleinen Monat, und wenn ich Ihnen in dieser Frist nicht triftige Gründe nachweisen kann, die mich zu noch längerm Aufenthalt in Fairport veranlassen – Gründe, die selbst Sie gutheißen müßten – dann will ich dieser Gegend Lebewohl sagen und damit alle Hoffnungen aufgeben, daß ich jemals glücklich werden könnte.«
»Nicht doch, Herr Lovel, viele Jahre wohlverdienten Glücks, daß auf vernünftigerer Grundlage, als Ihre derzeitigen Wünsche sind, Ihnen erblühen wird – liegen vor Ihnen, das glaube ich zuversichtlich. Aber es ist hohe Zeit, dieses Gespräch zu beenden – ich kann Sie nicht zwingen, meinen Rat anzunehmen – ich kann meines Vaters Haus nicht dem Manne, der ihm und mir das Leben gerettet hat, verschließen – aber je früher Herr Lovel sich zu der vollen Erkenntnis zwingen könnte, daß die Wünsche nie erfüllt werden können, die so voreilig gefaßt worden sind, um so höher wird er in meiner Achtung steigen – und inzwischen muß er um meinet- und um seinetwillen entschuldigen, wenn ich einem Gespräch über einen so peinlichen Gegenstand ein Ende mache.«
In diesem Augenblick meldete ein Diener, Sir Arthur wünsche mit Herrn Oldbuck in seinem Ankleidezimmer zu sprechen.
»Ich will Sie führen,« sagte Fräulein Wardour, die augenscheinlich eine längere Dauer ihres Alleinseins mit Lovel fürchtete, und sie führte den Altertümler in ihres Vaters Zimmer.
Die Beine in Flanelltücher gewickelt, lag Sir Arthur auf dem Bette.
»Willkommen, Herr Oldbuck,« fügte, er. »Ich hoffe, Sie sind bei dem unangenehmen Vorfall von gestern abend besser weggekommen als ich.«
»Allerdings, Sir Arthur, ich habe auch nicht so sehr darunter zu leiden gehabt – ich war immer auf terra firma. – Sie aber haben sich im buchstäblichsten Sinne der kalten Nachtluft aussetzen müssen. Aber derlei Abenteuer geziemen sich besser für einen vornehmen Ritter als für einen einfachen Landadeligen. Was haben wir denn Neues von unserem Bergwerk »Gute Hoffnung«? von unserer terra incognita, von Withershins?«
»Noch nicht viel Gescheites,« sagte der Baron, sich hastig umwendend, als wenn ihm die Gicht einen Stich gegeben hätte. »Aber Dusterschieler hat die Flinte noch nicht ins Korn geworfen.« »Noch nicht?« sagte Oldbuck. »Ich aber schon lange, wenn er nichts dagegen hat – ich glaube, wir werden im ganzen Leben nicht soviel Kupfer finden, daß wir uns zwei Hosenschnallen davon machen könnten. Ihrem Herrn Dusterschieler trau ich nicht viel zu, und wir sind gehörig hineingefallen, wenn wir nicht bald die verdammte Ader entdecken können, die er nun schon zwei Jahre lang prophezeit.«
»Na, Sie sind doch nicht stark dabei beteiligt, Herr Oldbuck,« sagte der Baron.
»Nur allzu stark, nur allzu stark, Sir Arthur – und doch möchte ich um meiner schönen Feindin willen gern alles einbüßen, wenn Sie nur nicht mehr dabei zu riskieren hätten.«
Es herrschte ein paar Minuten lang ein peinliches Schweigen, denn Sir Arthur war zu stolz, den Zusammenbruch seiner goldenen Träume einzugestehen, wenn er sich es auch nicht länger verhehlen konnte, daß ein solches Ende dem Unternehmen ohne Frage beschert sei.
»Wie ich höre,« sagte er endlich, »hat der junge Mann, der uns durch seine ritterliche Tapferkeit und Geistesgegenwart gestern abend einen so großen Dienst erwiesen hat, mich mit einem Besuche beehrt – ich bin trostlos, daß ich ihn nicht empfangen kann – ich kann in der Tat in meinem Zustand niemand empfangen als eben einen so alten Bekannten wie Sie, Herr Oldbuck.«
Mit einer steifen Verbeugung dankte der Altertümler für diesen Vorzug.
»Sie haben den jungen Herrn wohl in Edinburgh kennen gelernt?«
Oldbuck erzählte, wie sie miteinander bekannt geworden waren.
»Na, da ist meine Tochter ja schon länger mit Herrn Lovel bekannt als Sie,« sagte der Baron.
»Was Sie sagen! das wußte ich nicht,« antwortete Herr Oldbuck, ein wenig überrascht.
»Ich habe Herrn Lovel,« sagte Isabella leicht errötend, »kennen gelernt, als ich im vorigen Frühjahr bei meiner Tante, Frau Wilmot, war.«
»In Yorkshire? und was für eine Stellung hatte er denn da inne, oder als was ist er angestellt gewesen?« fragte Oldbuck. »Und wieso haben Sie ihn nicht wiedererkannt, als Sie ihm vorgestellt wurden?« Isabella beantwortete die weniger schwierige Frage und ging über die andere hinweg.
»Er war Offizier, und er hatte, glaube ich, sich einen guten Ruf verschafft, war sehr beliebt als liebenswürdiger, vielverheißender junger Mann.«
Der Altertümler war nicht geneigt, sich auf zwei deutliche Fragen mit einer Antwort abfinden zu lassen.
»Und warum haben Sie denn den jungen Mann nicht gleich begrüßt, als Sie ihn in meinem Hause sahen? – Ich habe gedacht, Sie hätten weniger von dem kleinlichen Stolze des Weibsvolks an sich, Fräulein Wardour.«
»Das hatte seinen Grund,« sagte Sir Arthur würdevoll. »Sie kennen die Ansichten – Vorurteile werden Sie es vielleicht nennen – unsers Hauses, hinsichtlich einer tadellosen Herkunft. Dieser junge Mann ist vermutlich der uneheliche Sohn eines vermögenden Mannes. Meine Tochter wollte die Bekanntschaft nicht erneuern, ehe sie nicht wußte, ob es mir lieb sei, daß irgendwelcher Verkehr mit dem jungen Manne gepflogen würde.«
»Wenn es sich um seine Mutter handelte,« sagte Oldbuck mit seinem gewöhnlichen, kaustischen Humor, »dann wäre mir die Sache plausibel. Der arme Bursche! Das war also der Grund, daß er so zerstreut und verwirrt schien, als ich ihm die Geschichte von Malcolm, dem Bastard, erzählte, von dem ein Wappenschild drüben unter dem Eckturm hängt. Der arme Junge! Es muß ihm sehr weh getan haben! Ich nahm seine mangelnde Aufmerksamkeit für Interesselosigkeit und war ein wenig pikiert darüber, nun stellt sichs heraus, daß es nur ein Aufwallen unliebsamer Gefühle war. Ich hoffe, Sir Arthur, Sie werden deswegen Ihr Leben nicht für geringwertiger erachten, weil es durch die Hilfe eines solchen Mannes gerettet worden ist?«
»Auch denk' ich nicht geringer von meinem Retter selber,« sagte der Baron, »mein Haus und mein Tisch sind ihm zugänglich, als wenn er von untadeligster Abstammung wäre.«
»Na, das freut mich, er weiß doch wenigstens, wo er was zu essen kriegen kann, wenn er mal in Verlegenheit drum ist. Aber was kann er in dieser Gegend vorhaben? Ich muß ihn ins Gebet nehmen, und wenn es not tut – ja ob es nun not tut oder nicht – jedenfalls soll ihm mein bester Rat zur Seite stehen.«
Wählend der Altertümler dieses wohlwollende Versprechen gab, verabschiedete er sich von Fräulein Wardour und ihrem Vater, denn er konnte es gar nicht erwarten, Herrn Lovel in der beabsichtigten Weise zu bearbeiten. Er sagte ihm nur kurz, Fräulein Wardour lasse sich empfehlen, wolle aber bei ihrem Vater bleiben, und dann nahm er ihn unterm Arm und führte ihn zum Schlosse hinaus.
Knockwinnock hatte noch mancherlei äußerliche Eigentümlichkeiten eines alten Freiherrnsitzes. Es hatte seine Zugbrücke, die allerdings nie hoch gezogen wurde, und seinen trocknen Graben, dessen Wände mit Gestrüpp bewachsen waren. Über diesen erhob sich das alte Gebäude, teils auf einem Fundament von rotem Gestein, das gegen den Strand abfiel, teils auf dem steilen grünen Rande des Grabens.
Die Bäume der Allee sind bereits beschrieben worden – und noch viele andere stattliche Bäume standen umher, wie um die allgemeine Ansicht zu widerlegen, daß man in der Nähe des Meeres kein Nutzholz ziehen könnte.
Die beiden Männer machten Halt und schauten nach dem Schlosse zurück. Sie standen auf einem kleinen Hügel, über den ihr Heimweg hinführte. Das Gebäude warf seinen breiten Schatten auf das buschige Laub des Gestrüpps am Grunde, die Fenster der Vorderseite blitzten in der Sonne,
Die beiden, die jetzt danach hinsahen, betrachteten das Bild mit verschiedenen Empfindungen. Mit der zärtlichen Sehnsucht, die ihre Nährung aus Kleinigkeiten nimmt, war Lovel bemüht, herauszufinden, welche von den zahlreichen Fenstern zu dem Zimmer gehörten, das jetzt durch, Fräulein Wardours Anwesenheit geziert wurde.
Die Betrachtungen des Altertümlers waren von mehr melancholischer Art und kamen zum Teil zum Ausdruck in dem Rufe:
»Ja, mein junger Freund,« sagte er, »ich befürchte stark – und es preßt mir das Herz ab, daß ich es sagen muß – mit dieser alten Familie geht es rasch zu Grunde!«
»Wirklich!« rief Lovel. »Sie setzen mich aufs höchste in Erstaunen.«
»Umsonst härten wir uns ab,« fuhr der Altertümler fort, seinem eigenen Gefühls- und Gedankengange folgend, »vergeblich härten wir uns ab, daß wir mit der Gleichgültigkeit, die sie verdienen, die Wandlungen in dieser lumpigen firlefanzigen Welt hinnehmen – wir mühen uns fruchtlos ab, ein selbstgenügsames, unverwundbares Wesen zu werden – die stoische Erhabenheit, die die Philosophie uns über die Schmerzen und Verdrießlichkeiten des Lebens verleiht, ist ebenso eine Sache der Einbildung, wie der Zustand mystischer Gleichgiltigkeit und Vollkommenheit, auf den hirnverbrannte Enthusiasten hinarbeiten.«
»Verhüte der Himmel, daß es anders wäre!« sagte Lovel mit Wärme. »Verhüte der Himmel, daß ein philosophisches System imstande wäre, so sehr unsere Gefühle abzustumpfen und zu verhärten, daß sie durch nichts mehr in Wallung gebracht werden könnten, als was unmittelbar unsre eignen selbstischen Interessen angeht! Ehe jener Stoizismus, der mein Herz hart wie einen Mühlstein machen sollte, mein Ehrgeiz wäre, eher möcht ich wünschen, meine Hand wäre so schwielig wie Horn, daß sie gegen einen gelegentlichen Stich oder Riß unempfindlich wäre.«
Der Altertümler maß seinen jugendlichen Gefährten mit einem Blick halb des Mitleids und halb der Sympathie. Achselzuckend erwiderte er:
»Warten Sie, junger Mann, warten Sie, bis Ihre Barke sechzig Jahre lang im Sturme irdischen Unbestands herumgeworfen worden ist. Dann werden Sie es schon lernen, die Segel zu reffen, daß das Boot dem Steuer gehorcht, oder um mit der Sprache dieser Welt zu reden, Sie werden genug Mißgeschicke erfahren, die schon erduldet sind oder die noch zu erdulden sind, daß Sie Ihre Gefühle und Ihre Teilnahme sich in voller Frische erhalten und sich doch nicht mehr darum härmen, wie es andern ergeht, als eben unbedingt nötig ist.«
»Wohl, Herr Oldbuck, das mag ja sein, bis jetzt aber kann ich nicht anders, als am Schicksal der Familie, die wir eben verlassen haben, das tiefste Interesse zu nehmen.«
»Und dazu haben Sie auch Ursache,« erwiderte Oldbuck. »Sir Arthur ist in letzter Zeit in vielfältige und arge Schwierigkeiten geraten, und es wundert mich nur, daß Sie nicht schon davon gehört haben. Und dann seine albernen kostspieligen Unternehmungen mit diesem Landstreicher, dem Dusterschieler.«
»Ich glaube, diesen Mann habe ich gesehen, als ich durch einen seltnen Zufall mal in das Café zu Fairport gekommen bin – ein großer vierschrötiger Mensch mit buschigen Augenbrauen, der, wie es wenigstens meiner Unmaßgeblichkeit erschien, mit mehr Zuversicht als Sachkenntnis über wissenschaftliche Themata sprach, in sehr rechthaberischer Weise seine Meinungen darlegte und bekräftigte und seine wissenschaftlichen Ausführungen mit einem seltsamen Kauderwelsch von Mystizismus vermischte. Ein simpler Jüngling flüsterte mir zu, er wäre ein Erleuchteter und pflege Verkehr mit der unsichtbaren Welt.«
»Das ist er – das ist er – er hat genug praktische Kenntnisse, daß er zu denen, die in ihrer Borniertheit Respekt vor ihm haben, wie ein Gelehrter, ja wie ein Weiser reden kann, und daß ich die Wahrheit gestehe, diese Fähigkeit, zusammen mit seiner beispiellosen Unverschämtheit, hatte es auch mir eine Zeitlang angetan, als ich ihn kennen gelernt hatte. Aber seitdem habe ich erkannt, daß er, wenn er mit Eseln und mit Weibsvolk zusammen ist, sich als ein Charlatan durch und durch zeigt – dann spricht er vom Magistertum – von Sympathien und Antipathien – von der Kabbala – von der Wünschelrute und von all dem Humbug und Blendwerk, mit dem die Rosenkreuzer ein weniger aufgeklärtes Zeitalter zum Narren gehalten haben und das zu unsrer Schande in unsrer Zeit wieder in gewissem Grade zur Geltung gekommen ist. Mein Freund Heavysterne hat diesen Kerl im Auslande kennen gelernt und hat mir unabsichtlich – denn er, müssen Sie wissen, glaubt selber ein wenig an derlei Zeug – einen tiefen Einblick in die wahre Art dieses Gauners verschafft. Und nun hat dieser erbärmliche Lump und Quacksalber den letzten Schlag zur Vernichtung einer alten ehrenvollen Familie getan!«
»Aber wie hat er denn Sir Arthur soweit täuschen können, daß es der Ruin des Barons werden kann?«
»Ja, das weiß ich nicht – Sir Arthur ist ein gutmütiger, ehrenwerter Mann – aber mit dem Verstand ist es bei ihm nicht eben sehr weit her – wie man sagt, er ist gerade kein Kirchenlicht. Seine Besitzung ist ein unveräußerliches Gut laut testamentarischer Bestimmung, und so ist er immer schon in finanziellen Schwierigkeiten gewesen, der Schwindler versprach ihm goldene Berge, und es wurde eine, englische Gesellschaft gegründet, die große Summen hergab, und zwar, wie ich fürchte, gegen Sir Arthurs Bürgschaft. Einige Herren – ich selber bin auch mit unter den Eseln – haben sich, bei der Sache mit kleinen Beiträgen beteiligt, und Sir Arthur selber hat viel hineingesteckt. Wir wurden durch! falsche Vorwände und noch falschere Lügen hingehalten, und nun geht es uns wie John Bunyan, wir erwachen und erkennen, daß alles ein Traum war.«
»Es wundert mich, Herr Oldbuck daß auch Sie Sir Arthur durch Ihr Beispiel ermutigt haben.«
»Freilich,« sagte Oldbuck, und seine starken grauen Augenbrauen senkten sich, »das wundert und beschämt mich eigentlich selber. Es war nicht die Sucht, ein Geschäft zu machen. Kein Mann schert sich weniger – soweit es ein kluger Mann kann – um Geld als ich. Aber ich dachte, die kleine Summe könnte ich ruhig riskieren. Ich habe auch so eine Idee gehabt, als ob die Phönizier in alten Zeiten an eben derselben Stelle Kupfer gefunden Hütten. Dieser pfiffige Schurke, der Dusterschieler, hat meine Achillesferse zu finden verstanden und hat schnurrige Geschichten vorgebracht – hol ihn der Satan – daß alte Schächte und Spuren von Bergwerksarbeiten gefunden worden seien, die wären ganz andrer Art gewesen, als sie in unsrer Zeit ausgeführt würden, und ich –na kurz und gut, ich bin ein Esel gewesen, und damit basta! Ich verliere nicht viel – nicht der Rede wert, aber Sir Arthur sitzt, das weiß ich, tief drin, sehr tief, und das Herz tut mir weh um ihn und um die arme junge Dame, die sein Unglück teilen muß.«
Nach diesen Worten trat eine Pause in ihrem Gespräch ein. Wir nehmen die Fortsetzung im folgenden Kapitel wieder auf.
Vierzehntes Kapitel
Ner Bericht über Sir Arthurs verhängnisvolles Unternehmen hatte Oldbuck ein wenig abgebracht von seinem Vorsatz, Lovel auszufragen, zu welchem Zwecke er sich eigentlich in Fairport aufhalte. Nun aber war, er entschlossen, sein Verhör zu beginnen, »Fräulein Wardour kennt Sie schon von früher her, wie sie mir sagt, Herr Lovel?«
»Er hätte das Vergnügen gehabt,« antwortete Lovel, »sie bei Frau Wilmot in Yorkshire zu sehen.«
»Nanu! Sie haben mir davon noch gar nichts gesagt und haben Sie auch nicht wie eine alte Bekannte begrüßt.«
»Ich – ich wußte nicht gleich,« sagte Lovel in großer Verlegenheit, »daß es dieselbe Dame war, bis wir uns sahen, und dann war es doch meine Pflicht, zu warten, ob sie mich wiedererkennen würde.«
»Ich verstehe Ihr Zartgefühl. Der Ritter ist ein peinlich formeller alter Schafskopf, aber ich verspreche Ihnen, seine Tochter ist über all diese unsinnigen Zeremonien und Vorurteile erhaben. Und da Sie nun hier neue Freunde gefunden haben, darf ich Sie fragen, ob Sie Fairport auch nun noch so bald verlassen werden, wie Sie vorhatten?«
»Wie, wenn ich nun Ihre Frage durch eine andre beantworte?« versetzte Lovel. »Wie, wenn ich Sie frage, was halten Sie von Träumen?«
»Von Träumen, närrischer Junge? – ei, was sollt ich von ihnen halten? Für mich sind Sie Trugbilder der Phantasie, die sich einstellen, wenn die Vernunft die Zügel fallen laßt. – Ich kenne keinen Unterschied zwischen ihnen und den Halluzinationen des Irrsinns – in beiden Fällen gehen die unbewachten Pferde mit dem Wagen durch – nur ist im einen Fall der Kutscher betrunken, und im andern schläft er.«
»Dann sagen Sie mir,« fuhr Lovel fort, »wie geht das zu? Als ich noch nicht ganz schlüssig war, ein Unternehmen aufzugeben, das ich vorschnell vielleicht begonnen habe, ist mir gestern nacht im Traum Ihr Ahnherr erschienen und hat mir einen Sinnspruch gezeigt, der mich zur Ausdauer ermutigte. Warum sollen mir diese Worte in den Sinn gekommen sein, die ich mich nicht erinnern kann, je vorher gehört zu haben, die in einer mir unbekannten Sprache sich mir zeigte und die mir doch in der Übersetzung eine Lehre erteilt haben, die sich so klar auf meine Verhältnisse anwenden läßt?«
Der Altertümler brach in lautes Lachen aus.
»Entschuldigen Sie, mein junger Freund, aber so betrügen wir blöden Sterblichen uns selber und schauen draußen nach Beweggründen um, die doch nur in unserem eigenen launischen Willen entsprungen sind. Ich denke, ich kann Ihnen erklären, wie dieses Gesicht entstanden ist. Gestern nach Tisch waren Sie so tief in Gedanken versunken, daß Sie meine Debatte mit Sir Arthur nicht verfolgt haben, bis wir wegen der Pikten-Könige in Streit gerieten, der dann zu so jähem Abbruch kam. Aber ich erinnere mich, daß ich Sir Arthur ein von meinem Ahnherrn gedrucktes Buch gezeigt habe und daß ich ihn auf den Wahlspruch aufmerksam gemacht habe. Ihr Geist war anderswo, aber Ihr Ohr hat mechanisch die Worte aufgefangen und behalten, und Ihre geschäftige Phantasie, die obendrein noch durch das Ammenmärchen meiner Schwester Griselda außer Rand und Band gebracht worden war, hat diese Brocken deutscher Sprache in Ihren Traum verwebt. Daß der Verstand im Wachen nach einem so läppischen Umstand griff, als nach einem Vorwand und einer Entschuldigung, um bei einem Unternehmen zu beharren, das fortzuführen er keine bessere Berechtigung finden konnte – das ist eben weiter nichts als so ein Gaukelspiel oder Hokuspokus, wie es die Gescheitesten unter uns ab und zu spielen, um einer Neigung zu folgen auf Kosten des Verstandes.«
»Allerdings,« sagte Lovel, tief errötend, »ich glaube, Sie haben recht, Herr Oldbuck. Ich müßte wohl in Ihrer Achtung sinken, wenn ich einer so nichtssagenden Geschichte auch nur auf einen Augenblick Bedeutung und Wirkung in die Zukunft beimessen wollte; ich befand mich aber in einem Widerstreit von Gefühlen und Entschlüssen, und Sie wissen, ein wie leichtes Tau ein Boot zu ziehen vermag, wenn es auf den Wellen schwimmt, während ein Kabel es kaum ein Stückchen wegrücken kann, wenn es auf den Strand gezogen ist.«
»Recht, recht,« sagte der Altertümler, »in meiner Achtung fallen? Nicht ein bißchen – nur um so mehr habe ich Sie lieb, Mann – ei, nun haben wir jeder unser Märchen, und ich brauche mich nicht mehr so zu schämen, daß ich mich mit dem verflixten Prätorium da blamiert habe – aber ich bin immer noch fest überzeugt, daß Agricolas Lager hier in der Drehe herum gewesen ist. Und nun, Lovel, mein Junge, seien Sie offen zu mir, warum haben Sie Ihr Land und Ihren Beruf verlassen und halten sich hier so müßig in Fairport auf? Lust zum Faulenzen, fürchte ich.«
»Das stimmt auch,« sagte Lovel, indem er sich geduldig in ein Verhör fügte, dem er nicht gut ausweichen konnte. »Doch ich bin so von der Welt losgelöst, habe so wenige, an denen ich ein Interesse habe oder die an mir ein Interesse haben, daß eben dieser Zustand der Einsamkeit mich unabhängig macht. Wer so dasteht, daß es ihn ganz allein angeht, ob es ihm gut oder böse geht, der hat auch ein gutes Recht, sich seinem Schicksal ganz nach seinem Geschmack zu überlassen.«
»Verzeihen Sie, junger Mann,« sagte Oldbuck, indem er ihm die Hand auf die Schulter legte und stehen blieb. »
»Aber ich bin mir gar nicht bewußt, daß ich solche Fähigkeiten besitze,« sagte Lovel, ein wenig ungeduldig; – »ich verlange selber nichts von der Gesellschaft, als die Erlaubnis, harmlos meines Weges durchs Leben zu pilgern, ohne andere anzurempeln oder mich von andern anrempeln zu lassen. Ich bin keinem Menschen was schuldig – ich habe die Mittel, ein völlig unabhängiges Leben zu führen, und so bescheiden sind meine Wünsche in dieser Hinsicht, daß diese meine Mittel, wenn sie auch beschränkt, fast noch zu reichlich für mich sind.«
»Je nun,« sagte Oldbuck, nahm die Hand weg und ging weiter, »wenn Sie so durch und durch Philosoph sind, daß Sie denken, Sie hätten ja Geld genug, dann ist dazu nichts weiter zu sagen. Ich wüßte auch nicht, daß ich befugt wäre, Ihnen einen Rat zu geben. Sie haben die
»Mein Zeitvertreib ist in der Hauptsache die Literatur,« antwortete Lovel, »und Verhältnisse, die ich nicht erwähnen kann, haben mich bewogen, den Militärdienst zu verlassen, und so habe ich mich denn in Fairport niedergelassen, weil ich an diesem Orte am wenigsten Störungen in meiner Beschäftigung ausgesetzt bin, wie sie der regere gesellschaftliche Verkehr in einer vornehmeren Stadt mit sich gebracht hätte.«
»Aha!« versetzte Oldbuck pfiffig. »Jetzt verstehe ich so langsam, in welchem Sinne Sie das Motto meines Ahnherrn anwenden. Sie sind einer, der sich um die Gunst des Publikums bewirbt, wenn auch nicht von jener Art, wie ich zuerst vermutete. – Sie haben den Ehrgeiz, als literarische Person zu glänzen, und Sie hoffen, Gunst zu verdienen durch Fleiß und ausdauernde Arbeit.«
Lovel fühlte sich durch die fast zudringliche Wißbegier des alten Herrn in die Enge getrieben und meinte, es sei das beste, ihn in dem Irrtum zu lassen, auf den er ganz ohne eigentlichen Grund nun wieder gekommen war.
»Zu Zeiten bin ich allerdings so töricht gewesen,« erwiderte er, »derartige Gedanken zu hegen.«
»Ach, armer Bursche! es gibt überhaupt nichts Traurigeres! Außer denn Sie hätten sich, wie das bei jungen Leuten manchmal so ist, in irgend ein albernes Frauenzimmer verliebt.«
Dann fragte er weiter, wobei er manchmal so freundlich war, sich seine Fragen selber zu beantworten. Denn von seinen antiquarischen »Stöbereien« her hatte dieser gute alte Herr eine wahre Wonne daran, aus Vermutungen, die oftmals gar keine feste Grundlage hatten, Theorien aufzubauen; und da er, wie der Leser schon bemerkt haben muß, ziemlich rechthaberisch war, so ließ er es sich nicht gern bieten, sich in faktischen Angaben oder in Urteilen berichtigen zu lassen, und sei es selbst von denen, die vor allem an den Gegenständen, über die er Betrachtungen anstellte, beteiligt waren. So fuhr er denn fort, sich Lovels literarische Laufbahn selber auszumalen. »Und womit wollen Sie den Anfang machen?« fragte er dann schließlich.
»Ich habe vorderhand noch nicht daran gedacht, etwas zu veröffentlichen.«
»Na, bloß keine solche Romanzen oder so einen Quark von Novellen! Sie mühten sich gleich auf erhabenen Boden stellen. Was meinen Sie zu einem echten Epos? zu dem altmodischen, aber großartigen historischen Gedicht, das zwölf oder vierundzwanzig Bande lang war – so etwas müßten wir machen – den Stoff will ich Ihnen verschaffen: Die Schlacht zwischen den Kaledoniern und den Römern – die Kaledoniade, oder der siegreich abgewehrte Einfall, so müßte der Titel sein! Das würde auch dem gegenwärtigen Geschmack entsprechen und Sie könnten damit einen Schlager machen.«
»Aber Agricolas Einfall ist ja nicht siegreich abgewehrt worden.«
»Nein doch, aber Sie sind ein Dichter – Sie können sich eine dichterische Freiheit erlauben und die Römer trotz Tazitus aufs Haupt schlagen lassen.«
»Und Agricolas Lager soll aufgeschlagen sein auf dem Kaim of – wie nannten Sie es doch gleich,« antwortete Lovel, »trotz Edie Ochiltree?«
»Nichts mehr davon, sofern Sie mich lieben! Und doch können Sie nach beiden Seiten hin das rechte treffen, trotz der Toga des Historikers und dem blauen Kittel des Bettlers.«
»Ein vortrefflicher Rat – wohl, ich will mein bestes tun! Sie werden mir freundlichst mit Ihrer Lokalkenntnis zur Hand gehen?«
»Ob ich will, Mann! Ei, ich schreibe die kritischen und historischen Noten zu jedem Gesange und werde den Plan zur Geschichte selber entwerfen. Ich habe selber poetische Begabung, nur habe ich es nie fertig gebracht, Verse zu schreiben. Mit meinem Namen möchte ich allerdings nicht an die Öffentlichkeit treten – im Vorwort kann ja der Dank für die Beihilfe eines gelehrten Freundes ausgesprochen werden, wie Sie das machen wollen – schriftstellerische Eitelkeit liegt mir durchaus fern.«
Diese Erklärung machte Lovel Spaß, denn sie stand in offenkundigem Widerspruch zu der großen Begierde, mit der der alte Herr eine Gelegenheit, an die Öffentlichkeit zu treten, ergriff. In der Tat war der Altertümler sehr erfreut, denn wie viele Männer, die ihr Lebenlang im Verborgenen literarische Untersuchungen betrieben haben, hegte er den geheimen Ehrgeiz, etwas drucken zu lassen und war bisher nur immer durch mangelndes Selbstvertrauen, Furcht vor der Kritik und gewohnheitsmäßige Gleichgültigkeit und Aufschub für später davon abgekommen.
»Aber,« dachte er bei sich, »ich kann meine Pfeile hinter dem Schild meines Verbündeten her loslassen, und falls es sich herausstellen sollte, daß er kein Dichter erster Klasse ist, so bin ich für seine Mangelhaftigkeit nicht verantwortlich, und die guten Noten werden für einen unbedeutenden Text entschädigen. Aber er ist – er muß ein guter Dichter sein – er hat alles, was dazu gehört – er beantwortet selten eine Frage, ehe sie nicht gestellt worden ist – er trinkt seinen Tee kochend heiß – er ißt, ohne zu wissen, was er in den Mund steckt. Das ist der echte divinus afflatus, der den Dichter über die Beschränktheit dieser irdischen Dinge hinausträgt. Auch seine Traumgeschichte deutet auf dichterischen Wahnsinn – ich muß daran denken, Caxon zu ihm zu schicken, der muß darauf sehen, daß er des Nachts seine Kerze auslöscht – Dichter und Träumer sind hierin leicht sehr nachlässig.«
Dann wandte er sich an seinen Gefährten und fuhr laut also fort:
»Ja, mein lieber Lovel, ich will Ihnen die vollständigen Noten liefern, ich denke, wir können meine ganze Abhandlung über die Kunst des Lagerbaues aufnehmen.«
»Aber wir müssen auch die Herstellungskosten bedenken,« sagte Lovel, der absichtlich versuchen wollte, ob diese Andeutung auf den Eifer seines Mitarbeiters abkühlend wirken würde.
»Die Kosten,« sagte Herr Oldbuck, blieb stehen und suchte mechanisch in seiner Tasche herum. »Das ist wahr, ich will Ihnen was sagen, ich glaube, ich kenne einen Buchhändler, der sehr viel auf meine Meinung gibt. Ich werde Papier und Druck bezahlen, und für Sie will ich soviel Exemplare verkaufen lassen, als irgend möglich ist.«
»O, mir geht es nicht um den Verdienst,« antwortete Lovel lächelnd. »Ich möchte nur dabei nicht etwa Geld zusetzen.«
»Pst! pst! dafür wollen wir schon sorgen! Die Verleger sollen uns dafür schon aufkommen. Ich wünsche sehnlichst, daß Ihre Arbeiten belohnt werden. Sie werden natürlich den fünffüßigen Jambus wählen, ganz ohne Frage! – das macht sich bei einem historischen Stoffe großartiger, und, wie mich dünkt, mein Freund, schreiben sich die Jamben auch leichter.«
Über diesem Gespräch hatten sie Monkbarns erreicht, wo sie gerade zur rechten Zeit eintrafen, denn eben läutete Hanne die Glocke zum Mittagstisch.
Fünfzehntes Kapitel
Wir lassen Herrn Oldbuck und seinen Freund beim Mittagsmahl und begeben uns in die Hinterstube beim Postmeister zu Fairport, wo eben die Frau Postmeisterin, da der Herr Postmeister selber nicht zugegen ist, damit beschäftigt ist, die letzte Post von Edinburgh zur Bestellung zu sortieren.
In Landstädtchen ist dies dann oft die Stunde, zu der Klatschbasen sich das Vergnügen machen, die Postmeisterin zu besuchen, um an der Außenseite von Briefen oder, sofern ihnen damit nicht zuviel nachgeredet wird, manchmal auch an dem, was darin steht, ihre Neugierde zu befriedigen oder allerlei Schlüsse über den Briefwechsel ihrer Nachbarsleute zu ziehen. Zwei Frauenzimmer dieser Sorte waren diesmal zugegen, um Frau Briefbeutel in ihrer amtlichen Tätigkeit zu unterstützen oder vielmehr zu behindern.
»Ei, Gott soll hüten,« sagte die Schlächtersfrau, »da sind ja zehn, elf, zwölf Briefe an Tennant & Co. – die Leite machen mehr Geschäfte als alle anderen in der Stadt.«
»Ja, aber sehen Sie nur, Frau Gevattern, da sind zwei davon so dick versiegelt, vielleicht sind nur Wechsel drin, die zum Protest kommen.«
»Ist noch kee Brief da für Hanne Caxon?« fragte die Frau der Schinken und Gekröse. »Der Leitnant is doch nu drei Wochen weg.«
»Vorchen Dinnstag war eener gekommen,« sagte die Postmeisterin.
»E Brief vom Schiffe?«
»Freilich!«
»Der war jedenfalls vom Leitnant,« sagte die Wurstmadame ein wenig enttäuscht, »ich hätt mersch nich lassen traimen, daß er, wo er erscht weg war, noch hinter ihr hergucken däte.«
»I du meine Giete, hier is schone widder eener!« sagte Frau Briefbeutel.
»E Brief vom Schiffe – Poststempel Sunderland.«
Alle stürzten hinzu und griffen danach.
»Ne, ne, meine Damen!« wandte Frau Briefbeutel ein. »Davon habe ich noch die Nase voll! Wissen Sie noch, was forne Schererei mein Mann vom Amte in Edingburgh gehabt hat, weil sich Aily Bisset beschwert hatte – der ihren Brief hatten sie uffgemacht, Frau Kurzweck.«
»Ich un uffgemacht?« entgegnete die bessere Hälfte des ersten Bäckers von Fairport. »Meine Gutste, Sie wissen doch wohl selber, wie ich den in die Hand bekam, da war er schon von selber uffgegangen ... Was gonnt ichn nachens dadervor? sollten doch de Leite bessern Siegellack zum Zuklähm nähm!«
»Na, das is nune ganz wurscht!« sagte Frau Briefbeutel. »Ich habe nischt d'rgegen, daß Sie die Briefe sich von außen angucken dun – gucken Se, das Siegel hier hat e Anker druff. Den hat er sicher mit eenem von seine Knöppe druffgedrickt.«
»Herzeigen! herzeigen!« sagten die Weiber vom ersten Bäcker und vom ersten Schlächter und fielen über den mutmaßlichen Liebesbrief her.
Frau Hackebein war eine große Frau und hielt den kostbaren Brief zwischen ihren Augen und dem Fenster empor. Frau Kurzweck war eine kleine steife Person und reckte sich, so hoch es gehen wollte, um auch etwas zu sehen.
»Der is von ihm,« sagte die Schlächterin. »In der Ecke hier kann ich seinen Namen Richard Taffril lesen.«
»Halten Sie ihn doch e bißchen tiefer, Gutste,« rief Frau Kurzweck. »Denken Sie denn, Sie kenn alleene bloß Geschriemnes lesen?«
»Pst! pst! ums Himmelswillen!« rief Frau Briefbeutel. »s is wer im Laden!« dann setzte sie laut hinzu: »Geh, sieh nach de Gunden meine Gleene!«
Die Kleine – Frau Briefbeutels dienstbarer Geist – rief gleich darauf vom Laden herein:
»Hanne Caxon is es, Frau Meestern, ob e Brief für sie da wäre?«
»Sag ihr,« erwiderte die zuverlässige Postmeisterin, indem sie ihren Gefährtinnen zublinzelte, »sie soll morchen frieh um zehne noch emal widdergummen – mir han noch geene Zeit gehabt, die Post zu sortieren – die hats egal brenzlich, als ob ihre Brief mehr wert wärn, als die von de besten Koofleite in der Stadt.«
Das arme Hannchen, ein sehr bescheidenes und sehr schönes Mädchen, konnte sich nur in ihren Mantel hüllen, um ihre Enttäuschung nicht sehen zu lassen, und wieder heimkehren, noch eine Nacht das Herzweh zu erdulden, das verzögerte Hoffnung schafft.
»Nu, ihr Vater is bloß e Balbier un sie is enne Mantelnäherin,« sagte die mildherzige Frau Hackebein. »Was so eener bloß einfällt, mit e Leitnant zu verkehren!«
»Das is ja richtig,« sagte Frau Briefbeutel, »aber für de Post sin se grade was scheenes diese Liebesbriefe – gucken Se, da sin fimf oder sechs Briefe für Sir Arthur Wardour – merschdendeels sin se mit Oblaten zugeklebt, nich mit Siegellack – da gibt's bald e großen Krach, das kenn Se mir gloom.«
»Ja, ja, Hochmut kommt vor dem Fall,« sagte Frau Hackebein. »Bei mein' Mann hat er e ganzes Jahr lang schon keene Rechnung mehr bezahlt. Ich gloobe, bei die Leite stinkt's schone.«
»Na, un bei uns seit e halm Jahre nich!« setzte Frau, Kurzweck hinzu. »Ich gloobe, mit die steht's schone brenzlich!«
»Da is e Brief,« unterbrach sie die gewissenhafte Postmeisterin, »da is e Brief von sein' Sohn, den Kapitän – sieht ganz so aus, nach den Siegel zu schließen. Er wird wahrscheinlich nach Hause gommen un sehen, was aus dem Feier zu retten is.«
Mit dem Baron waren sie nun fertig – jetzt kam der Gutsbesitzer an die Reihe.
»Zwee Briefe für Monkbarns – die sin von e paar von sein gelehrten Freinden. Ganz eng sin se beschriem bis ans Siegel nunter und bloß, damits keen Doppelbrief kosten dut. Wenn er selber e Brief wegschickt, dann nutzt ers Gewicht so genau aus, daß enne Stecknadel dazugetan, das Iebergewicht fertig machen däte – un nich e eenzchesmal dut er zuviel nein!«
»Ja, das is e Geizkragen, der Herr von Monkbarns,« sagte Frau Hackebein. »Der handelt Sie im August um eene Hammelkeile ebenso wie um e Rindervertel!«
»Na, ich willn nischt Schlechtes nachsagen,« setzte Frau Kurzweck hinzu, »die Leite nehm 's Friehstick von uns, un er gommt alle Wochen bezahln.«
»Na, nu sehn Sie aber emal hier!« unterbrach sie Frau Briefbeutel. »Hier gibts was zu sehn! Was däten Sie wohl drum gäm, wenn Sie wißten, was in dem Briefe drinne stehn dut? Das is enne ganz neie Sorte – so eenen habch noch nich gesehn – an Herrn William Lovel, Wohlgeboren, bei Frau Hadoway, Hohe Straße, Fairport. Das is der zweete Brief, der an ihn gommt, seit er hier is.«
»I du liebe Giete! Lassen Sie doch emal sehn! I du liebe Giete, dun Sie doch emal herzeigen! Das is ja der Mensch, von dem de ganze Stadt nischt weeß – un e hibscher Kerl is es ooch – i lassen Se doch emal sehn!«
»Ne, ne, meine lieben Damen, bleim Sie mir von Leibe! Gehn Se weg!« rief Frau Briefbeutel, »Das is keener von die gewehnlichen Briefe – hier is enne Anweisung vom Amt in Edinburgh dabei, daß der Brief durch Eilboten an den jungen Mann bestellt werden soll, oder nachgeschickt, wenn er nich zu Hause is. Ne, ne, liebe Damen, lassen Sie die Finger dad'rvon. Hier derf mer keene Mätzchen machen.«
»Aber von außen kenn Sie 'n uns doch emal angucken lassen!«
Von außen war nichts zu sehen. Die Sendung war in starkes, dickes Papier gehüllt, das für die neugierigen Augen der Klatschbasen undurchdringlich war, wenn sie auch darauf hinstierten, als sollten ihnen die Augen aus den Höhlen fallen. Das Siegel war ein guter tiefer Wappenabdruck, und es war nicht daran zu denken, es zu lösen.
»Na, mir wolln e bischen drieber schwatzen,« sagte die Postmeisterin. »Gleene, bring Deewasser! Ich dank Ihnen ooch scheen, Frau Gurzweckn, fier die scheenen Guchen. Den Laden machen mir zu, bis mei Mann heemegommt.«
»Aber wollen Sie nich erscht den Brief an Herrn Lovel schicken?« fragte Frau Hackebein.
»Ich will unsern gleen David schicken, der alte Caxon hat mir gesagt, Herr Lovel war heite 'n ganzen Tag in Monkbarns. Wenn Sie mir Ihr Färd borchen wollten, da kennt er hinreiten.« Dementsprechende Weisungen wurden erteilt, das ungefüge Pony wurde aus dem Stall geholt und gesattelt – und David (einen ledernen Postsack um die Schulter) wurde auf den Sattel gehoben, wobei ihm eine Träne im Auge glänzte, er bekam auch eine Peitsche in die Hand. Der Schlächterbursch führte das Tier zur Stadt hinaus, und als es seine Peitsche knallen und sein wohlbekanntes Halloh hörte, setzte es sich in Bewegung und trabte gegen Monkbarns zu.
Der Ritt verlief jedoch so einfach nicht. Als das Tier verspürte, wie David, dessen kurze Beine nicht hinreichten, das Gleichgewicht zu bewahren, auf seinem Rücken auf und nieder hüpfte und hin und her rutschte, da fing es an, den Peitschenhieb und den Zuruf des Schlächterburschen zu vergessen und sich an die schwächlichen Weisungen seines neuen Reiters gar nicht zu kehren.
Zuerst verfiel es nur in eine langsamere Gangart, das war nun freilich seinem Reiter gar nicht unangenehm, denn dem tat schon der Leib weh von dem schrecklichen Galopp bisher, er benutzte die Gelegenheit dieses gemütlichen Schrittganges und knabberte ein Stück Pfefferkuchen, das ihm die Mutter mit auf den Weg gegeben hatte. Allmählich fing nun das Pony an, den Rand des Weges abzugrasen. Verblüfft über diese Anzeichen eigenwilliger Auflehnung, und vor lauter Angst, daß er herunterfallen könnte, erhob der kleine David, dem der Zügel entfallen war, die Stimme und weinte laut.
In dieser hilflosen Lage fand ihn Edie Ochiltree, der gerade des Weges daherkam,
»Wer bist du und wohin willst du?« fragte er ihn.
»Ich bin der kleine David,« heulte der Bengel, »und soll mit einem Briefe nach Monkbarns.«
Das Herz des alten Edie war rasch gerührt, wenn es sich um ein Kind handelte. »Ich habe zwar dort jetzt nichts zu suchen,« dachte er, »aber das ist schließlich doch immer noch das beste an meinem Leben, daß ich nie einen falschen Weg gehen kann. In Monkbarns werden sie mir gern Obdach gehen, und so will ich denn den Jungen hier hinbringen.«
Er griff daher nach den Zügeln des Tieres.
Auf dem Hügel Kinprunes, wohin der Altertümler Lovel geführt hatte, erging sich der alte Herr, wieder ausgesöhnt mit dem geschmähten Platze, des langen und breiten über die Szenerie, die zu einer Beschreibung von Agricolas Lager im Morgengrauen zu wählen sei, als er den Bettler und seinen Schützling erblickte.
Der Bettler erklärte, was ihn herführe, und der kleine David, der absolut auf einer buchstäblichen Ausführung seines Auftrages bestehen und nach Monkbarns reiten wollte, war nur schwer dazu zu bewegen, den Brief an den Adressaten auszuhändigen, obwohl er diesen eine halbe Meile noch vor dem Ziele seines Rittes traf.
»Aber meine Mutter hat gesagt, ich kriegte zwanzig Schillinge und fünf Schillinge für die Postsache und zehn Schillinge und sechs Pence für die Eilbestellung. Hier ist die Rechnung.«
Lovel hatte einen Blick auf die Sendung geworfen, bezahlte rasch, was der kleine Junge verlangte, und wandte sich an Oldbuck mit der Bitte um Entschuldigung, daß er zum Abend nicht mit ihm nach Monkbarns zurückkehren könne.
»Ich muß auf der Stelle nach Fairport, und muß vielleicht ganz plötzlich fort. Ihre Liebenswürdigkeit, Herr Oldbuck, kann ich nie vergessen.«
»Keine schlechten Nachrichten, hoffe ich?« fragte der Altertümler.
»Nachrichten sehr buntscheckiger Art,« antwortete sein Freund. »Leben Sie wohl – in Glück und Unglück werde ich Ihre Güte nicht vergessen.«
»Nicht doch, nicht doch, warten Sie doch einen Augenblick. Wenn – wenn –« er riß sich förmlich zusammen, um das Anerbieten auszusprechen – »wenn es sich um finanzielle Schwierigkeiten handelt, ich stelle Ihnen fünfzig oder hundert Guineen zur Verfügung – bis Pfingsten – oder solange wie Sie wollen.«
»Ich bin Ihnen sehr dankbar, Herr Oldbuck, aber ich bin reichlich versehen,« sagte sein geheimnisvoller Freund. »Entschuldigen Sie mich, ich kann im Augenblick wirklich nicht länger mit Ihnen plaudern. Ich schreibe Ihnen noch oder besuche Sie, das heißt, wenn ich von Fairport wegmuß.«
Mit diesen Worten schüttelte er dem Altertümler warm die Hand, wandte sich von ihm und schlug raschen Schrittes den Weg nach der Stadt ein.
»Sehr seltsam,« sagte Oldbuck. »Aber dieser Junge hat etwas an sich, was ich nicht ergründen kann. Und dennoch kann ich deswegen nicht böse von ihm denken. Ich will nur heim und das Feuer im grünen Zimmer ausmachen, denn mein Weibsvolk wagt sich am Abend doch nicht da hinein.«
»Und wie soll ich nun heimkommen?« heulte der trostlose Postbote.
»Es ist ein schöner Abend,« sagte der Blaurock, zum Himmel aufschauend. »Ich kann ebenso gut nach der Stadt zurück und mich des armen Jungen annehmen.«
»Recht so, recht so, Edie,« und der Altertümler kramte eine Weile in seiner Weste herum, bis er fand, was er suchte, und setzte hinzu: »Da habt Ihr ein Sechspencestück – könnt Euch Schnupftoback dafür kaufen.«
Sechzehntes Kapitel
Vierzehn Tage lang brachte der alte Caxon dem Altertümler regelmäßig Nachricht, was er von Herrn Lovel erfahren hatte, und regelmäßig lautete seine Mitteilung, die ganze Stadt könne nichts über ihn erfahren, bloß daß er wieder ein paar Briefe aus dem Süden bekommen hätte, und auf der Straße lasse er sich schon gar nicht mehr blicken.
»Wie lebt er, Caxon?«
»Nu, seine Wirtin macht ihm ein Beefsteak oder ein Hammelkotelette oder ein Backhuhn oder was ihr sonst grade einfällt, und das ißt er in dem kleinen roten Stübchen neben seiner Schlafstube. Sie kann ihn ganz und gar nicht dazu bewegen, daß er mal sagt, das eine wär ihm lieber als das andre, und frühmorgens macht sie ihm Tee, und alle Woche rechnet er reell mit ihr ab.«
»Und geht er denn nie aus?«
»Das Ausgehn hat er ganz aufgegeben und sitzt den ganzen Tag in seiner Stube und liest oder schreibt. Seine Wirtin meint, er sähe schon recht elend aus, sein Appetit ist auch futsch, und doch will er nichts davon wissen, auch nur über die Schwelle zu gehn, und dabei ist er doch früher so viel weggegangen.«
»Das ist nicht recht. Ich kann mir schon denken, woran er arbeitet. Aber er darf sich nicht so furchtbar abbüffeln. Ich will ihn heute noch aufsuchen – ohne Zweifel sitzt er bis über die Ohren in der Kaledonia drin.«
Ein Spaziergang nach Fairport war für Herrn Oldbuck schon sozusagen ein Abenteuer, und zwar eins, an dem ihm nicht sehr viel gelegen war. Das Grüßen auf dem Marktplatz war ihm verhaßt. Und auch auf den Straßen standen fast immer Tagediebe herum, die ihn mit allerlei Neuigkeiten oder kleinen Geschäften aufhielten.
Nach mancherlei derartigem Aufenthalt gelangte er denn glücklich nach dem Hause der Frau Hadoway. Diese gute Frau war die Witwe eines Geistlichen zu Fairport, die durch den Tod ihres Mannes in mißliche beschränkte Lage geraten war, wie man sie bei den Witwen schottischer Pfarrer nur zu oft antrifft. Die Wohnung, die sie innehatte und die Möbel, die sie besaß, ermöglichten es ihr, einen Teil ihres Hauses zu vermieten, und da Lovel ein ruhiger, ordentlicher und auch gut zahlender Mieter war, und sich stets sehr höflich und zuvorkommend gegen sie benahm, so hatte die gute Frau eine große Anhänglichkeit an ihren Mieter und bediente ihn aufs aufmerksamste.
Als sie jetzt die Tür öffnete, war sie so sehr überrascht, Herrn Oldbuck zu sehen, daß ihr sogleich die Tränen in die Augen traten.
»Freut mich, Sie zu sehen, freut mich gar sehr, Herr. Mit meinem armen Herrn stehts, fürcht ich, sehr schlecht. Und er ist noch so jung und wohlgebildet. Von Tag zu Tag hat er weniger gegessen, und jetzt rührt er kaum noch etwas an. Von Tag zu Tag ist sein armes Gesicht blässer und schmäler geworden, und er sieht jetzt wirklich schon so alt aus wie ich, die ich doch seine Mutter sein könnte.«
»Macht er sich denn gar keine Bewegung?«
»Wir haben ihn glücklich so weit gebracht, und er hat sich nun ein Pferd gekauft von Gibbie Flinkfuß, und gestern Morgen und heute Morgen vorm Frühstück ist er ausgeritten. Aber wollen Sie nicht zu ihm hineingehen?«
»Gleich, gleich. Aber bekommt er denn gar keinen Besuch?«
»Ach, Herr Oldbuck, keine Menschenseele, kommt zu ihm. Hat er doch niemand zu sich gelassen, wie er noch frisch und munter war – und wer sollte ihn aus Fairport denn gar jetzt aufsuchen?« »Freilich, freilich, hätt mich auch gewundert, wenns anders gewesen wäre. Führen Sie mich hinauf, Frau Hadoway, damit ich mich nicht verlaufe und irgendwo hineingerate, wo ich nichts zu suchen habe.«
Die gute Wirtin führte Herrn Oldbuck die enge Treppe hinauf. Sie klopfte am Zimmer ihres Mieters an.
»Herein!« rief Lovel, und Frau Hadoway ließ den Herrn von Monkbarns eintreten.
Das kleine Zimmer war nett und sauber, aber es war eng und überheizt und, wie es Herrn Oldbuck vorkam, ein unpassender Aufenthalt für einen jungen Mann, der kränkelte. Dieser Eindruck brachte ihn auf einen Entschluß, den er in Hinsicht auf Lovel gefaßt hatte.
Einen Schreibtisch vor sich, auf dem eine Menge Bücher und Papiere lagen, saß Lovel auf einem Sofa in Schlafrock und Pantoffeln. Oldbuck erschrak, als er ihn so verändert sah. Wange und Stirn waren geisterhaft bleich, nur ein heller Fleck von hektischem Rot hob sich kraß auf jeder Backe ab. Ganz verschwunden war die kräftige gesunde Gesichtsfarbe, die er ehedem gehabt und die ihm einen etwas bräunlichen Teint verliehen hatte.
Oldbuck bemerkte, daß er in Trauer gekleidet war und daß ein Rock von der gleichen Farbe auf einem Stuhle neben ihm hing. Als der Altertümler eintrat, erhob sich Lovel und ging ihm entgegen.
»Das ist aber nett,« sagte er, schüttelte ihm die Hand und dankte ihm warm für seinen Besuch. »Das ist sehr nett. Sie kommen mir da mit einem Besuche zuvor, mit dem ich Sie zu belästigen die Absicht hatte – denn Sie müssen wissen, ich bin seit kurzem Reitersmann geworden.«
»Hab's schon von Frau Hadoway gehört – hoffe nur, mein junger Freund, Sie haben auch ein ruhiges Pferd gekriegt. Sie meinen, Sie sind ein geübter Reiter, wie?«
»Na, wenigstens möcht ich mich nicht gern für einen schlechten ausgeben.«
»Aber haben Sie denn überhaupt Übung gehabt? Ein Pferd, wenn es wild wird, versteht keinen Spaß.«
»Na, ich will mich ja gerade keinen ausgezeichneten Reiter nennen, aber als ich als Adjutant des Sir ... die Attacke bei .... mitritt, im vergangenen Jahr, da sah ich manchen besseren Reiter vom Gaule purzeln.«
»Ei, also haben Sie dem grimmigen Gott der Waffen selber ins Angesicht geschaut? Sie kennen die finstere Stirn des waffengewaltigen Mars? Diese Erfahrung macht das Maß Ihrer Befähigungen zu der Dichtung voll. Na, und war denn die Muse bei Ihnen zu Gaste? Haben Sie schon was fertig, was Sie mir zeigen könnten?«
»Meine Zeit,« sagte Lovel mit einem Blick auf seinen schwarzen Anzug, »haben weniger angenehme Dinge beansprucht.«
»Ein Freund gestorben?« fragte der Altertümler.
»Ja, Herr Oldbuck, der einzige Freund, den zu besitzen ich mich rühmen konnte.«
»Wirklich? Nun, junger Mann,« sagte sein Gast in einem ernsten Tone, der ganz anders klang, als die angenommene Würde, mit der er sonst sprach, »lassen Sie sich trösten – wenn Sie einen Freund verloren haben, solange Sie noch in warmer Freundschaft und Herzenstreue aneinander hingen, und Ihre Träne nun fließen kann, unverbittert durch Entfremdung oder Mißtrauen oder Verrat, so sind Sie vielleicht nur vor einem schweren Schicksalsschlage bewahrt geblieben. Schauen Sie um sich! wie wenige sehen Sie alt werden, denen die Liebe und die Freundschaft ihrer Jugendzeit treu bleibt! Unsere Quellen gemeinsamer Freuden trocknen allmählich aus auf unserer Pilgerfahrt durch dieses Jammertal, und wir graben uns andere Zisternen, aus denen wir die ersten Gefährten unserer Wanderung nicht mitschöpfen lassen – Eifersucht, Nebenbuhlerschaft, Neid drängen sich ein und trennen auch andere von uns, bis niemand übrig bleibt als die, die mit uns verwandt sind oder uns mehr aus Gewohnheit als aus Zuneigung nahe stehen und vielleicht dem alten Manne nur deshalb in seinem Leben Gesellschaft leisten, daß er sie bei seinem Tode nicht vergessen soll. Ach, Herr Lovel, wenn es Ihr Los sein sollte, den frostigen, nebligen, trostlosen Abend des Lebens zu erreichen, dann werden Sie an die Sorgen Ihrer Jugend nur denken als an die leichten schattigen Wolken, die nur auf einen Augenblick sich vor die Strahlen der Sonne geschoben haben, als sie aufging. Aber ich stopfe Ihnen diese Worte ins Ohr, und der Magen Ihres Verstandes nimmt sie nicht an.«
»Ich bin Ihnen dankbar für Ihre Freundlichkeit,« antwortete der junge Mann, »aber die Wunde, die mir so kürzlich geschlagen worden ist, wird immer heftig schmerzen. In meinem augenblicklichen Kummer wäre es mir nur ein geringer Trost, – verzeihen Sie, daß ich so spreche – wenn ich der Überzeugung Raum gäbe, daß das Leben für mich nichts weiter als eine ununterbrochene Folge von Schmerzen enthalten werde. Und erlauben Sie mir hinzuzusetzen, daß Sie, Herr Oldbuck, von vielen Männern am wenigsten Ursache haben, das Leben so düster zu betrachten. Sie haben ein ausreichendes Vermögen – sind allgemein geachtet – können sich den Studien hingeben, zu denen Ihre Neigung Sie zieht, – Sie können außer dem Hause verkehren, mit wem Sie wollen, und im Hause umgibt sie die liebevolle sorgsame Aufmerksamkeit der nächsten Anverwandten.«
»Na ja, das Weibsvolk ist ja, dank meiner Zucht, sehr höflich und sehr gefügig. Stört mich nicht in meinem Morgenstudium – geht auf den Zehenspitzen über den Korridor, wenn es mir mal behagt, nach dem Essen oder nach dem Tee in meinem Lehnstuhle ein Schläfchen zu machen. Das ist ja alles ganz gut und schön; aber ich brauche wen, mit dem ich Gedanken austauschen kann – ich brauche wen, mit dem ich vernünftig plaudern kann.«
»Warum laden Sie dann nicht Ihren Neffen, den Hauptmann M'Intyre, ein, daß er zu Ihnen ins Haus zieht – er soll doch ein geistvoller junger Mann sein?«
»Wer?« rief Monkbllins. »Mein Neffe Hektor? – Der Heißsporn aus dem Norden? – Ei, der Himmel sei Ihnen gnädig, eher wollt' ich mir einen Feuerbrand in den Holzstall legen! Das ist ein wahrer Almansor – er hat einen hochländischen Stammbaum, so lang wie sein Schlachtschwert, und ein Schlachtschwert, so lang wie die Chaussee von Fairport, – als er das letztemal in Fairport war, hat er es aus der Scheide gezogen und ist auf den Arzt losgegangen. Ich erwarte ihn in einigen Tagen hier – aber ich will ihn mir zehn Schritt vom Leibe halten, das kann ich Ihnen versichern. Er und in mein Haus ziehen! daß er mir die Stühle und Tische zittern und tanzen macht, mit seinem Gebrüll und Gestampf! – Nein, nein, von Hektor M'Intyre will ich nichts wissen. Aber hören Sie, Herr Lovel, Sie sind ein ruhiger, sanftmütiger Junge. Wäre es nicht besser, wenn Sie sich auf ein paar Monate in Monkbarns einquartierten? Sie wollen ja doch nicht so rasch aus dieser Gegend weg? Ich lasse eine Tür nach dem Garten zu ausbrechen – das kostet herzlich wenig – und da können Sie dann aus dem grünen Zimmer ein und aus, wenn es Ihnen paßt, und Sie kommen nicht dem alten Mann in die Quere und er Ihnen auch nicht. Sie sind ja auch sonst bescheiden, wie mir Frau Hadoway sagt, und so werden Sie auch mit meinem bescheidenen Tische zufrieden sein. Was das Waschen betrifft. ... .«
»Halten Sie ein, mein lieber Herr Oldbuck,« unterbrach ihn Lovel, der sich eines Lächelns nicht erwehren konnte, »ehe Ihre Gastfreundlichkeit mir alles so schön einrichtet, lassen Sie mich Ihnen von ganzem Herzen danken für ein so freundliches Anerbieten. Es steht augenblicklich noch nicht in meiner Macht, es anzunehmen. Aber bevor ich Schottland Lebewohl sage, wird sich Gelegenheit finden, daß ich Ihnen einen längeren Besuch abstatte.«
Herr Oldbuck zog ein langes Gesicht.
»Hm, ich dachte, ich hätte die Sache auf eine Weise angeordnet, die uns beiden recht sein würde. Und wer weiß, was mit der Zeit noch werden könnte und ob wir uns überhaupt trennen könnten. Ich bin Herr meines Grundbesitzes, Mann, und niemand kann mich zwingen, meine Güter jemand anderm zu vermachen, als mir paßt. Na, ich sehe, für jetzt wollen Sie sich nicht verlocken lassen. Aber die Kaledoniade macht hoffentlich Fortschritte?«
»O gewiß!« sagte Lovel. »Ich werde mir's doch nicht einfallen lassen, einen so hoffnungsvollen Gedanken aufzugeben.«
In diesem Augenblick klopfte es an die Tür, und ein Brief für Herrn Lovel wurde hereingereicht. Der Diener, sagte Frau Hadoway, warte auf eine Antwort.
»Das geht auch Sie an, Herr Oldbuck,« .sagte Lovel nachdem er das Schreiben überflogen hatte. Dann reichte er es dem Altertümler hin.
Es war ein Brief von Sir Arthur Wardour. Er war in außerordentlich höflichem Tone abgefaßt. Sir Arthur bedaure, daß ein Gichtanfall ihn bisher daran gehindert habe, Herrn Lovel für die Hilfe zu danken, die er ihm in Lebensgefahr kürzlich geleistet habe – er entschuldige sich, daß er ihm nicht persönlich seine Erkenntlichkeit ausspreche, er hoffe jedoch, daß Herr Lovel ihn von dieser Förmlichkeit entbinde, und lade ihn zu einer kleinen Partie für den folgenden Tag nach den Ruinen der Abtei St. Ruth ein, das Mittagsmahl solle in Knockwinnock eingenommen werden, wo sie zu gemütlichem Abend beieinander sein wollten. Sir Arthur schloß mit der Bemerkung, er habe auch der Familie Monkbarns eine Einladung gesandt, an der von ihm vorgeschlagenen Vergnügungspartie teilzunehmen. Als Versammlungsplatz war ein Schlagbaum bestimmt, der von allen Punkten, von denen her die Gesellschaft sich zusammenfinden sollte, gleich weit entfernt war.
»Was sollen wir tun?« fragte Lovel – dabei war er sich völlig darüber klar, wie er für sein Teil handeln werde.
»Mitmachen – Mann, auf alle Fälle mitmachen! Wollen mal sehen – es wird allerdings eine Postkutsche kosten, für Sie, mich und Marie M'Intyre – die alte Dame mag nach der Pfarre gehen. Sie können in der Kutsche nach Monkbarns gefahren kommen, denn ich miete dann den Wagen für den ganzen Tag.«
»Ich glaube, ich reite besser.«
»Richtig, richtig, an Ihr Pferd habe ich gar nicht gedacht. Sie sind ein törichter Junge übrigens, daß Sie sich so ein Vieh gleich angeschafft haben.«
»Ja, aber zu Pferde kommt man doch weit schneller vorwärts.«
»Na, genug, genug, tun Sie, was Ihnen behagt. Na, dann nehm ich eben entweder Griselda oder den Pfarrer mit, denn wenn ich 'ne Postkutsche miete, nutz' ich's auch gern voll aus – und wir treffen uns Freitag pünktlich um 12 Uhr am Schlagbaum von Tirlingen.«
Nach dieser Vereinbarung trennten sich die beiden Freunde.
Siebzehntes Kapitel
Der Freitagsmorgen war so heiter und schön, wie wenn keine Vergnügungspartie geplant wäre; denn in der Tat ist dies in Romanen wie im wirklichen Leben ein seltenes Zusammentreffen. Unter dem erheiternden Einfluß des Wetters und in der Freude, daß er noch einmal Fräulein Wardour sehen solle, trabte Lovel in besserer Stimmung, als er seit langem gehabt hatte, nach dem Platze, wo die Gesellschaft zusammenkommen sollte.
In mancher Hinsicht schien die Zukunft offener und heller vor ihm zu liegen. Die Hoffnung, ob sie auch erst wie die Morgensonne durch Wolken und Regenschauer brach, schien doch nun sich anzuschicken, den Pfad vor ihm zu beleuchten. Wie bei solcher Stimmung zu erwarten war, traf er als erster an dem Platze ein, und wie ferner vorauszusehen war, haftete sein Blick so gespannt auf der Straße nach Schloß Knockwinnock, daß er die Ankunft der Abteilung Monkbarns nicht eher gewahr wurde, als bis der Postillon, der hinter ihm herangepoltert kam, ihm sein Juhuhp! zurief.
In dieser Kutsche waren untergebracht: zuvörderst die stattliche Gestalt des Herrn Oldbuck selber, zweitens die kaum minder umfängliche Person seiner Ehrwürden des Herrn Heulmeier, Pfarrers von Trotcosey, dem Sprengel, in welchem Monkbarns und Knockwinnok lagen. Der ehrwürdige Herr trug eine krause Perücke und darüber einen Dreispitz. Die Perücke war das Vorbild der drei noch übrigen Perücken des Sprengels, die untereinander verschieden waren – so bemerkte Monkbarns – wie die drei Vergleichungsgrade: Sir Arthurs war der Positiv, seine der Komparativ und die gewaltige graue des Pfarrers der Superlativ. Der Pfleger dieser antiken Kopfputze meinte bei einer Gelegenheit, wo sie alle drei beieinander waren, nicht gut fehlen zu dürfen, und hatte sich hinten auf den Wagen gesetzt, um »zur Hand zu sein, wenn die Herren vorm Mittagessen rasch noch mal frisiert sein wollten.«
Zwischen den massigen Gestalten von Monkbarns und dem Prediger war wie ein kleiner überflüssiger Gegenstand das schlanke Figürchen der Marie M'Intyre eingeklemmt worden – ihre Tante hatte es vorgezogen, einen Besuch in der Pfarre zu machen und sich lieber mit Fräulein Beckie' Heulmeier einmal hübsch auszuplaudern, als, eine Besichtigung der Ruinen der Abtei St. Ruth mitzumachen.
Als zwischen der Monkbarns-Gesellschaft und Lovel die Begrüßung eben beendet war, kam die Kutsche des Barons, eine offene Kalesche, auf dem Versammlungsplatze schneidig vorgefahren. Mit den dampfenden Pferden, den schmucken Kutschern, dem Wappen am Schlag und den beiden Leibjägern stach sie kraß ab gegen die ausgeleierte »Familienfuhre«, die den Altertümler und seinen Anhang hergebracht hatte.
Den Vordersitz im Wagen hatten Sir Arthur und seine Tochter inne. Beim ersten Blick, den die junge Dame mit Lovel wechselte, errötete sie stark, aber sie hatte sich augenscheinlich vorgenommen, ihn als Freund zu begrüßen, und nur als solchen, und in ihrem Wesen lag Fassung und Höflichkeit zugleich, als sie seinen verwirrten Gruß erwiderte.
Sir Arthur ließ die Kalesche halten, um seinem Retter freundlich die Hand zu drücken und zu versichern, daß es ihm ein großes Vergnügen sei, ihm persönlich Dank abzustatten, und dann setzte er hinzu, wie die Herren nebenher einander vorstellend:
»Herr Dusterschieler, Herr Lovel.«
Lovel nahm, da es nicht zu umgehen war, Notiz von dem deutschen Adepten, der auf dem Rücksitz im Wagen saß – ein Platz, der gewöhnlich geringern Personen oder Untergebenen angewiesen wurde. Das breitfertige Grinsen und die kriechende Verneigung, mit der sein ziemlich flüchtiger Gruß von dem Ausländer erwidert wurde, erhöhten noch den innerlichen Widerwillen, den Lovel schon gegen ihn gefaßt hatte. Aus dem unfreundlichen Scheelblick, den der Altertümler unter seinen buschigen Brauen nach ihm hinwarf, ging deutlich die gleiche Abneigung hervor.
Die Teilnehmer der Partie grüßten einander überhaupt nur oberflächlich, bis sie von dem Platz des Zusammentreffens aus etwa noch drei englische Meilen weiter gefahren waren. Dann machten die Wagen Halt beim Schilde des Gasthofes zu den vier Pferdehufen – einer kleinen Herberge. Hier öffnete Caxon untertänig die Tür der Postkutsche und ließ das Trittbrett herunter, während die Insassen der Baronskalesche von ihren höfischeren Dienern aus der Equipage hinauskomplimentiert wurden.
Hier fanden nun von neuem Begrüßungen statt. Die jungen Damen schüttelten sich die Hand, und Oldbuck, vollkommen in seinem Element, setzte sich als Führer und Cicerone an die Spitze der Partie, die von hier aus zu Fuße sich nach ihrem Ziele begeben sollte. Er traf Sorge, Lovel dicht an seiner Seite zu halten, weil er der dankbarste Zuhörer der Gesellschaft war, und warf ab und zu ein erklärendes Wort Fräulein Wardour und Marie M'Intyre zu, die als nächste folgten. Den Baron und den Prediger ließ er beiseite, weil er sehr wohl wußte, daß die beiden sich einbildeten, sie verstünden das alles ebenso gut, ja wohl noch besser als er; und Dusterschieler war, abgesehen davon, daß er ihn als Charlatan ansah, in so enger Beziehung zu seinem befürchteten Verlust bei dem Bergwerksgeschäfte, daß er seinen Anblick gar nicht vertragen konnte. Diese beiden letzteren Satelliten kreisten daher um den Planeten Sir Arthur, der ja auch als die wichtigste, vornehmste Person der Gesellschaft auf diese Aufmerksamkeit das meiste Anrecht hatte.
Es trifft sich oft, daß die schönsten Punkte schottischer Landschaft in einem abgelegenen Tale liegen, und man kann im ganzen Lande herumreisen, ohne von der großen Nähe einer wahren Sehenswürdigkeit etwas zu merken, wenn nicht Absicht oder Zufall einen an den Fleck selber führt. Das ist besonders in der Gegend um Fairport herum der Fall, die im allgemeinen offen, ohne Einschnitte und flach daliegt. Aber doch gelangt man hie und da, wenn man einem Gewässer oder einem kleinen Flusse weiter folgt, in Schluchten oder, wie man dort zu Lande sagt, Klammen, auf deren hohen Felsenrändern Bäume und Gestrüpp aller Art sich festgenistet haben und in üppiger Fülle wuchern – was durch den unerwarteten Kontrast zu dem allgemeinen Gesicht der Gegend um so reizender wirkt.
Diesen Eindruck hatte man in hohem Maße, wenn man den Ruinen von St. Ruth sich näherte. Der Weg war eine ganze Strecke lang nur ein Schafpfad, der am Abhang eines steilen kahlen Hügels entlang führte. Allmählich aber – der Pfad schlängelte sich um die Flanke der Höhe herum und führte zu Tal – erschienen Bäume, erst vereinzelt, verkümmert und versehrt, mit Flocken Wolle an den Stümpfen. Die Wurzeln waren ausgehöhlt zu Schlupfwinkeln, in denen die Schafe gern ruhen, ein Anblick, der allerdings einen Bewunderer des Malerischen mehr entzücken mochte als einen Pflanzer oder Forstmann.
Allmählich wurden die Bäume dichter und bildeten Gruppen, deren Ränder von Dorngestrüpp und Haselsträuchern umsäumt waren – auch in der Mitte wucherte verdichtendes Gesträuch. Und endlich schlossen diese Gruppen sich so dicht aneinander, daß die Landschaft entschieden als Waldland bezeichnet werden konnte, obwohl hie und da unter dem Laubdach eine breite Lichtung sich öffnete oder ein kleiner Fleck Moor- oder Heideland lag, der kein Wachstum hatte aufkommen lassen.
Die Seiten des Tales begannen einander näher zu kommen. Das Rauschen eines Baches ließ sich unten vernehmen, und wenn der Wald sich auftat, konnte man das Wasser klar und reißend unter dem grünen Baldachin dahinbrausen sehen.
Oldbuck nahm nun die ganze Vollmacht eines Cicerone auf sich und legte der Gesellschaft ans Herz, nicht um eines Fußes Breite von dem Pfade abzubiegen, den er ihr weisen werde, wenn sie den vollen Genuß von ihrem Ausfluge haben wollten. Und nachdem sie ihm durch eine Bresche in einer alten, zerfallenen Mauer gefolgt waren, sahen sie sich denn auch in der Tat plötzlich vor einem ebenso unerwarteten wie interessanten Bilde.
Sie standen ziemlich hoch am Hange der Klamm, die sich plötzlich zu einer Art Amphitheater aufgeschlossen hatte mit einem reinen, tiefen See in der Mitte und einem Stückchen ebnen Bodens um ihn her. Von da ab stiegen dann die Felsenränder ziemlich steil empor. Aus diesem See entsprang der sprudelnde tosende Bach, der der ganzen Klamm entlang ihr Gefährte gewesen war.
An der Stelle, wo er aus dem See ausbrach, stand die Ruine – das Ziel ihrer Partie. Sie war nicht groß, aber die eigenartige Schönheit und der wilde entlegene Fleck, an dem sie lag, gaben ihr ein höheres Interesse und tiefere Bedeutung, als sie manche Ruine von architektonisch höherm Werte hat, die aber in der Nähe alltäglicher Häuser liegt und weniger romantisches Beiwerk aufweist.
Das Ostfenster der Kirche war noch unversehrt in allem Ornament und Zierat. Die Seiten waren von Schwibbogen getragen, die, von der Mauer abgelöst, dem Gebäude einen zierlichen, fast flotten Charakter verliehen. Das Dach und Westende der Kirche waren fast ganz zerfallen, das letztere schien die eine Seite eines Vierecks gebildet zu haben, dessen andre beiden Seiten die klösterlichen Gebäude und dessen vierte Seite der Garten ausmachte.
Die Seite dieser klösterlichen Bauten, die über den Bach herüberhing, war zum Teil auf einem steil abstürzenden Felsen gebaut, denn der Platz war zeitweise zu militärischen Zwecken verwendet worden und fiel in den Kriegen Montroses erst nach furchtbarem Blutbade. Die Ausdehnung des ehemaligen Gartens war noch durch ein paar Obstbäume gekennzeichnet. In größerer Entfernung von den Gebäuden standen Eichen, Ulmen und Nußbäume, die alle zu mächtigem Umfange gelangt waren.
Der übrige Raum zwischen der Ruine und dem Hügel war ein kahlgeschnittener Rasen, den täglich die Schafe abweideten. Er war daher in weit besserer Ordnung, als wenn Sichel und Rechen ihn bearbeitet hätten.
Die ganze Szene atmete eine Ruhe, die nicht eintönig wirkte, sondern zu Herzen ging. Das dunkle, tiefe Becken, in welchem der blaue See ruhte – die Wasserlilien, die auf seiner Fläche wuchsen, und die Bäume, die hie und da die Zweige vom Ufer herüberstreckten, klar widerspiegelnd – gab einen entzückenden Kontrast zu der Hast und dem Aufruhr des Baches, der aus ihm herausbrach, wie wenn er einem Kerker entrann, und die Klamm hinabstürzte, den Fuß des Felsens, auf dem die Ruine lag, reißend umkreisend und mit jedem Stein und jedem Felsstück, das ihm den Weg versperren wollte, unter wildem Schäumen schimpfend und polternd.
»Hier war also die Heimstätte der Gelehrtheit in den Tagen der Finsternis, Herr Lovel,« sagte Oldbuck, um den sich jetzt die Gesellschaft gruppiert hatte, während sie den romantischen Anblick, der sich so unerwartet auftat, bewunderte, »hier wohnten die weltmüden Weisen, ganz dem Gedanken an das Künftige hingegeben, oder dem Dienste der Generationen geweiht, die ihnen hienieden folgen sollten. Ich werde Ihnen gleich die Bibliothek zeigen – sehen Sie jenen Mauerstrich dort mit den viereckigen Fenstern – dort war sie – wie ein altes Manuskript in meiner Sammlung besagt, enthielt sie fünftausend Bände.«
Mit diesen Worten führte der Altertümler sie auf einem steilen aber sichern Pfade zu der grünen Rasenfläche hinunter, auf der die Ruinen standen.
»Dort lebten sie,« fuhr der Altertümler fort, »und sie hatten nichts weiter zu tun, als das graue Altertum zu erforschen, Handschriften abzuschreiben und neue Werke zur Belehrung der Nachwelt zu verfassen.«
»Und,« setzte der Baron hinzu, »die Zeremonien des Gottesdienstes mit einem Pomp und einer Feierlichkeit zu verrichten, die der Priesterschaft würdig waren.«
»Und wenn Ihro Erlaucht, Sir Arthur, erlauben,« sagte der Deutsche mit einer tiefen Verbeugung, »die Mönsche mögen auch gemacht haben die seltsamschte Ekschperimente in ihren Laboratorien, sowohl in der Alschymie als in der
»Ich meine,« sagte der Geistliche, »sie hätten genug damit zu tun gehabt, die Zehnten aus der Einwohnerschaft von drei guten Sprengeln einzutreiben.«
»Und alles das,« setzte Fräulein Wardour hinzu, dem Altertümler zunickend, »ohne daß sie von Weibsvolk gestört wurden.«
»Freilich, meine schöne Feindin,« sagte Oldbuck, »dies war ein Paradies, in das keine Eva hineindurfte, und um so mehr müssen wir uns wundern, daß die guten Väter daraus vertrieben worden sind.«
Unter solchen Betrachtungen über die Lebensweise derer, Von denen die Ruinen ehemals bewohnt gewesen waren, gingen sie eine Zeitlang von einer moosbewachsenen Kapelle zur andern. Oldbuck führte sie und erklärte mit großer Verständlichkeit den Grundriß des Gebäudes und las und erläuterte die verschiedenen verwitterten Inschriften, die sich noch auf den Grabmälern der Toten oder unter den leeren Nischen der Heiligenbilder erkennen ließen.
»Was ist die Ursache,« fragte endlich Fräulein Wardour, »daß uns die Tradition nur so wenige magere Berichte Von den Insassen dieser stattlichen Gebäude hinterlassen hat? Und doch sind sie mit so großem Aufwand an Arbeit und Geschmack errichtet worden, und ihre Eigentümer waren ihrerzeit Leute von so ehrfurchtgebietender Macht und Bedeutung. Der gemeinste Turm eines freibeuternden Barons oder Grafen, der von Lanze und Schwert lebte, ist durch seine besondere Sage geweiht, und der Schäfer erzählt einem ganz genau, wie die Bewohner geheißen haben und was sie für Heldentaten verrichtet haben. Aber fragt man einen Landmann, was es mit diesen schönen und ausgedehnten Ruinen für eine Bewandtnis habe, mit diesen Türmen, Bogen, Kreuzfenstern, die unter so großen Kosten errichtet worden sind – dann machen drei Worte seine Antwort aus: »Die Mönche haben's gebaut vor langer, langer Zeit.«
Die Frage war etwas kompliziert. Sir Arthur sah zum Himmel hinauf, als ob er eine Antwort von oben erwarte – Oldbuck kratzte sich hinter dem Ohr – Lovel meinte, die Frage lasse sich am besten lösen, wenn man darauf zurückginge, welche Ereignisse den stärksten Eindruck auf den Geist der großen Masse hinterließen.
»Nicht solche,« führte er aus, »die dem allmählichen Vordringen eines befruchtenden Baches glichen, sondern die, die der kopfüber dahinbrausenoen Wut einer gewaltigen, unheilvollen Flut glichen. Die Abschnitte, in die die große Menge sich die Zeit zerlegt, sind in der Regel Zeiten des Grausens oder der Verwirrung, und sie rechnen nach einem Erdbeben, einem Unwetter oder dem Ausbruch bürgerlicher Unruhen. Da nun die Geschehnisse solcher Art am längsten und deutlichsten in der Erinnerung des großen Volkes fortleben,« schloß er, »so kann es uns nicht wunder nehmen, daß man des wilden, grimmigen Kriegsmannes gedenkt und daß die friedlichen Äbte der Vergessenheit anheimgefallen sind.«
»Wenn Sie nichts dagegen haben, meine Herren und Damen,« sagte der Deutsche, »und indem ich Sir Arthur und Fräulein Wardour und diesen würdigen Geischtlichen und Herrn Oldenbuck, der ja mein Landschmann ist, und auch den guten Herrn Lofel um Vertscheihung bitte, so möchte ich meine Meinung dahin äußern, daß dies alles zurücktschuführen sei auf die Hand des Ruhmes.«
»Was für 'ne Hand?« rief Oldbuck.
»Die Hand des Ruhmes, mein guter Meister Oldenbuck – und das ist sehr ein großes schreckliches Geheimnis – das die Mönsche pflegten zu verbergen unter ihren Schätschen, als sie vertrieben wurden aus ihren Klöschtern durch die sogenannte Reformatschon.«
»Was Sie sagen! davon müssen Sie uns mehr erzählen,« sagte Oldbuck. »Diese Geheimnisse sind interessant.«
»Je nun, mein guter Meister Oldenbuck, Sie werden mich auslachen – aber die Hand des Ruhmes ist sehr wohl bekannt in den Ländern, wo Ihre Vorfahren gelebt haben – und es ist die Hand abgeschnitten von einem Toten, der wegen Mordes am Galgen hat gehangen, und gantsch derbe gedörrt im Rauche von Wachholderholtsch – und wenn Sie noch ein bißchen von – was Sie nennen Eibenholtsch hintschutun tschu dem Wachholderholtsch, so wird es damit nicht besser, das heißt vielmehr, es wird dadurch nicht schlechter – dann nehmen Sie noch von dem Fette des Bären und des Dachses und des großen Ebersch, wie man auch nennt das Wildschwein, und das von einem kleinen Säugling, das noch nicht getauft wurden ist (darauf kommt's vor allem an) – und daraus machen Sie eine Kertsche und stecken Sie zur richtigen Stunde und Minute und unter der richtigen Tscheremonie in die Hand des Ruhmes, und derjenige so da nach Schätschen sucht, wird niemals keine finden.« »Auf diesen Schluß leiste ich einen leiblichen Eid,« sagte der Altertümler. »Und hatte man in Westfalen, Herr Dusterschieler, die Gepflogenheit, diesen eleganten Leuchter zu verwenden?«
»Schtetsch, Herr Oldenbuck, wenn Sie nicht wünschten, daß niemand nicht reden sollte, von was sie vorhatten, und tschwar regelmäßig, wenn sie das Silbertscheug der Kirche und ihre großen Kelche und die Ringe mit den äußerscht koschtbaren Steinen und Juwelen versteckten.«
»Aber trotzdem habt doch sicher ihr Ritter vom Rosenkreuz Mittel gehabt, den Zauber zu brechen und zu entdecken, was die armen Mönche unter so großer Mühsal verborgen haben?«
»Ah, guter Herr Oldenbuck,« versetzte der Adept, geheimnisvoll den Kopf schüttelnd, »Sie sind ein Kleingläubiger. Aber wenn Sie gesehen hätten die großen, riesigen Stücke massiven Silbergeräts, Sir Arthur, – so fein gearbeitet, Fräulein Wardour, – und das silberne Kreutsch, das wir gefunden haben (Schröpfer ist es gewesen und ich selber) für den Herrn Freigrafen, wie der Baron von Blunderhaus genannt wird, dann, glaube ich, hätten Sie's geglaubt.«
»Sehen heißt glauben, allerdings – aber was war Ihre Kunst – was war Ihr Geheimnis, Herr Dusterschieler?«
»Aha, Herr Oldenbuck, das ist mein kleines Geheimnisch, mein guter Herr, – Sie werden mir vertscheihen, daß ich das nicht verrate – aber ich will Ihnen sagen, daß es gibt verschiedene Methoden. Ja, gantsch gewiß, da ist tschunächst der Traum, den man träumt dreimal – ja, das ist sehr ein gutes Mittel.«
»Das freut mich,« sagte Oldbuck. »Ich habe einen Freund«, (mit einem Seitenblick auf Lovel) »den die Elfenkönigin mit Vorliebe besucht.«
»Dann sind da die Sympathien und die Antipathien und die seltenen Eigenschaften und natürlichen Vortschüge von Kräutern und von der kleinen Wünschelrute!«
»Ich möchte lieber ein paar von diesen Wundern sehen, statt von ihnen bloß reden zu hören,« sagte Fräulein Wardour.
»Aha, aber meine sehr geehrte Dame, dies ist nicht die Tscheit und auch nicht die rechte Weise, das große Wunder tschu verrichten, tschu finden all das Silbergeschirr und die Schätsche der Kirche. Wer um Ihnen einen Gefallen tschu tun und Sir Arthurn, meinem Gönner, und auch diesem ehrwürdigen Geischtlichen und Herrn Oldenbuck und auch Herrn Lofel, der ein sehr liebenswürdiger junger Herr ist, will ich Ihnen tscheigen, daß es möglich ist – sehr möglich ist, tschu entdecken das Wasser in der Erde oder das kleine Quellchen tief im Grunde ohne Hacke oder Spaten und ohne tschu graben.«
»Hum!« machte der Altertümler. »Von diesem Hokuspokus habe ich schon gehört. Das wird in unserm Lande eine ziemlich brotlose Kunst sein, die nicht viel fertig bringen kann – mit der Eigenschaft sollten Sie nach Portugal oder Spanien gehen und ein gutes Geschäft machen.«
»Ah! mein guter Meister Oldenbuck, da ist die Inquisition und das Autodafé, da täten sie mich verbrennen, mich, der ich doch bloß ein simpler Philosoph bin, als großen Geischterbeschwörer – und Hekschenmeischter.«
»Das wäre schade um die Kohlen,« sagte Oldbuck, »aber,« setzte er leise zu Lovel hinzu, »wenn Sie ihn an den Pranger stellten, als den unverschämtesten Schurken, der je Zungendrescherei betrieben hat, dann würde die Bestrafung besser im Einklang zu dem, was er verdient, stehen. Aber wir wollen mal sehen. Ich glaube, er wird uns jetzt etwas von seinem Hokuspokus vorführen.«
In der Tat war der Deutsche jetzt zu einem kleinen Dickicht in der Nähe der Ruine gegangen und stellte sich, als suche er eifrig nach der Rute, die sich zu seinem Mysterium eignete, und nachdem er mehrere abgeschnitten, geprüft und beiseite geworfen hatte, nahm er endlich einen kleinen Haselzweig, der ein Gabelende hatte. Dieser hatte, wie er erklärte, die Eigenschaft, die zu dem Experiment erforderlich sei.
Die Gabelenden der Gerte hielt er nun zwischen Daumen und Finger, so daß die Rute nach oben gekehrt war, und durchschritt nun die zerfallenen Hallen und Ecken, und die Gesellschaft folgte ihm in bewundernder Prozession.
»Ich glaube, hier ist gar kein Wasser,« sagte der Schwarzkünstler, nachdem er ein paarmal um verschiedene Gebäude herumgeschritten war, ohne die Anzeichen zu verspüren, die er erwartete – wenigstens tat er so.
»Ich glaube, diese schottischen Mönsche haben das Wasser zu kalt gefunden für ihr Klima und haben getrunken den guten wohltuenden Rheinwein. Aha! Sieh da!«
Nun sahen denn auch die anderen die Rute sich in seinen Fingern drehen, obwohl er so tat, als hielte er sie ganz fest.
»Hier herum ist Wasser, ohne Tschweifel.«
Dann wandte er sich hierhin und dorthin, je nachdem ob die Bewegungen der Wünschelrute zuzunehmen oder sich zu verringern schienen, und endlich schritt er mitten in eine leere, dachlose Einfriedigung, die einst die Küche der Abtei gewesen war. Hier verdrehte die Rute sich so, daß sie fast kerzengerade zu Boden zeigte.
»Hier ist der Platsch,« sagte der Alchymist, »und wenn Sie nicht das Wasser hier finden, so will ich Ihnen allen die Berechtigung einräumen, mich einen unverschämten Schurken tschu nennen.«
»Die Berechtigung nehm' ich mir auch so,« flüsterte der Altertümler Lovel zu, »ob nun das Wasser entdeckt ist oder nicht.«
Ein Diener, der mit einem Korbe kalter Erfrischungen herbeigekommen war, wurde jetzt zu einem Förster in der Nähe geschickt, um Spaten und Beilpicke zu holen. Als die losen Steine und der Schutt von dem Flecke entfernt worden waren, den der Deutsche bezeichnet hatte, stieß man bald auf die Seiten eines regelrecht gebauten Brunnens, und als mit Hilfe des Försters und seiner Söhne der Schutt ein paar Fuß tief weggeräumt worden war, begann das Wasser sehr schnell zu steigen, zum Entzücken des Philosophen, zum Erstaunen der Damen, des Herrn Heulmeier und Sir Arthurs, zur Überraschung Lovels und zur Verwirrung des ungläubigen Altertümlers.
Der aber unterließ nicht, Lovel seinen Protest gegen das Mirakel ins Ohr zu flüstern:
»Das ist ein bloßer Spielerkniff, der Schurke hat sich vorher davon überzeugt, daß dieser alte Brunnen da ist, auf die eine oder andere Weise, ehe er uns dieses mystische Gaukelspiel vorgemacht hat. Passen Sie auf, wovon er zunächst reden wird. Ich müßte mich sehr irren, wenn das nicht als Vorspiel zu einer ernsteren Betrügerei beabsichtigt ist. Sehen Sie bloß, wie der Schuft sich brüstet, daß er Erfolg gehabt hat und wie der arme Sir Arthur den ganzen Schwall von Blödsinn als Lehren der okkulten Wissenschaft in sich aufnimmt.«
»Sie sehen, mein guter Gönner, Sie sehen, meine guten Damen, Sie sehen, würdiger Herr Heulmeier, und selbst der Herr Lofel und der Herr Oldenbuck können sehen, sofern Sie wollen sehen, daß die Kunscht keinen Feind nicht hat als wie bloß allein die Ignorantsch. Sehen Sie dieses Haselstöckchen an – es ist tschu nichtsch tschu brauchen als wie bloß durchtschuhauen die kleinen Kinderchen« – (»Für dich würd' ich dazu lieber eine neunschwänzige Katze nehmen,« flüsterte Oldbuck beiseite) – »und Sie geben sie in die Hand dem Philosophen und – baff! da macht sie die große Entdeckung! Aber dies ist nichts, Sir Arthur, gantsch und gar nichts, würdiger Herr Heulmeier, – nichts im geringsten, nieine Damen – absolut nichts, junger Herr Lofel, und guter Herr Oldenbuck, gegen das, was die Kunscht noch kann. Ah! wenn ein Mann da Ware, der den Geischt hätte und den Mut, so wollt ich ihm tscheigen bessere Dinge als den Brunnen mit Wasser – ich wollt ihm tscheigen...«
»Und wohl auch ein bißchen Geld wär' nötig, was?« fragte der Altertümler.
»Bah! eine gantsche Kleinigkeit, nicht des Maulauftuns wert, tät erforderlich sein,« antwortete der Schwarzkünstler.
»Das dacht' ich mir doch,« versetzte der Altertümler trocken. »Und ich will einstweilen ohne irgend welche Wünschelrute Ihnen eine ausgezeichnete Wildpastete und eine Flasche vorzüglichen Madeira aus London zeigen, und ich glaube, das hält allem die Stange, was Herrn Dusterschielers Kunst uns nur zu zeigen vermag.«
Das Mahl wurde auf dem grünen Rasen ausgebreitet unter einem großen mächtigen Baume, der die Priorseiche hieß, die Gesellschaft setzte sich darum und tat dem Inhalt des Körbchens alle Ehre an.
Achtzehntes Kapitel
Als der Imbiß beendet war, nahm Sir Arthur den Bericht über die Mysterien der Wünschelrute wieder auf – ein Thema, über das er vor kurzem mit Dusterschieler gesprochen hatte.
»Mein Freund, Herr Oldbuck, wird jetzt soweit eingeweiht sein, daß er den Geschichten, die Sie uns über die letzten Entdeckungen Ihrer Brüder in Deutschland erzählt haben, mit größerer Achtung lauschen wird.«
»Ach, Sir Arthur, das war kein Gegenstand, über den Sie mit diesen Herren hätten reden sollen, weil es eben gerade der Mangel an Glauben und Tschuversicht ist, wodurch das große Unternehmen tscherstört wird.«
»Zum wenigsten lassen Sie meine Tochter die Erzählung vorlesen, die sie aus der Geschichte Martin Waldecks gemacht hat.«
»Ah, das war eine sehr wahre Geschichte, aber Fräulein Wardour, sie ist so klng und so geischtreich, sie wird daraus eine richtige Romantsche gemacht haben, wie Goethe oder Wieland, bei meinem ehelichen Worte!«
»Die Wahrheit zu sagen, Herr Dusterschieler,« antwortete Fräulein Wardour, »in dieser Legende herrschte an sich das Romantische derartig vor dem Wahrscheinlichen vor, daß es für eine Liebhaberin des Feenlandes wie mich selbstverständlich war, die Farben noch ein wenig stärker aufzutragen, um sie in ihrer Art vollkommen zu machen. Aber ich habe sie hier, und wenn wir in diesem Schatten hier bleiben wollen, bis die Hitze des Tages ein wenig nachgelassen hat, und wenn Sie meine minderwertige Ausarbeitung freundlich hinnehmen wollen, so wird vielleicht Sir Arthur oder Herr Oldbuck uns die Geschichte vorlesen.«
»Ich nicht,« sagte Sir Arthur, »ich war nie ein Freund vom lauten Lesen.«
»Ich auch nicht,« sagte Oldbuck, »ich habe meine Brille vergessen. Aber hier ist Herr Lovel, der hat scharfe Augen und eine gute Stimme.«
Das Amt des Vorlesers wurde also an Lovel gegeben, und Fräulein Wardour reichte ihm mit leiser Verlegenheit ein kleines Schreibheft, das er mit leisem Beben entgegennahm. Die Blätter waren beschrieben von jener schönen Hand, nach deren Besitz er als nach dem höchsten Glück der Welt schmachtete. Aber er mußte seine Bewegung unterdrücken, er warf einen Blick über das Manuskript, wie um sich ein wenig an die Handschrift zu gewöhnen, sammelte sich und las der Gesellschaft die folgende Erzählung vor:
»Martin Waldecks Schicksale.« [Fußnote]
»Die abgelegenen einsamen Höhen des Harzes in Deutschland, vor allem aber der Berg mit Namen Blocksberg oder vielmehr der Brocken, sind Lieblingsschauplätze für Geschichten von Hexen, Dämonen und Erscheinungen. Die Beschäftigungen der Einwohner, die entweder Förster oder Bergmänner sind, stimmen für Aberglauben besonders empfänglich, und die natürlichen Phänomene, die sie in ihrem einsamen oder unterirdischen Gewerbe mit ansehen, werden von ihnen oft auf die Einmischung von Kobolden oder magischen Gewalten zurückgeführt.
Unter den verschiedenen Sagen, die in diesem wilden Lande umgehen, ist eine besonders beliebt und verbreitet, nach der im Harz eine Art Schutzgeist hausen soll in Gestalt eines wilden Mannes von riesigem Wuchse, der ums Haupt und um die Hüften einen Kranz von Eichenblättern und in der Hand eine mit den Wurzeln herausgerissene Fichte trägt. Es steht fest, daß viele Leute beteuern, sie hätten eine solche Gestalt in der gleichen Richtung wie sie mit Riesenschritten dahingehen sehen. Wenn eine enge Klamm zwei Berge trennte, habe sie die Kluft mit einem Satze überschritten. Die Tatsache dieser Erscheinung wird so allgemein zugegeben, daß die moderne Wissenschaft sich mit ihr hat abfinden müssen und sich nur dadurch hat helfen können, daß sie sie auf eine optische Täuschung zurückführt. [Fußnote]
In früheren Zeiten stand der Geist mit den Einwohnern in vertrauterm Verkehr, und nach den Traditionen des Harzes pflegte er mit der Willkür, die man gewöhnlich diesen erdgeborenen Kräften zuschreibt, sich in die Angelegenheiten der Sterblichen einzumischen, bald zu ihrem Wohl, bald zu ihrem Wehe. Es wurde aber auch beobachtet, daß selbst seine Gaben, – sich nach langer Zeit erst für die, denen sie verliehen worden waren, als verderbenbringend erwiesen, und es war nichts Seltenes, daß die Hirten, in der Sorge um ihre Herden, lange Gebete verfaßten, deren Quintessenz immer eine Warnung war, in irgendwelchen unmittelbaren oder mittelbaren Verkehr mit dem Harzgeiste zu treten. Die Schicksale Martin Waldecks sind oft von den Alten ihren Kindern erzählt worden, wenn sie leichtsinnig über eine Gefahr spotteten, die nach ihrer Meinung nur eine Sache der Einbildung sei.
Ein fahrender Kapuziner hatte sich die Kanzel der kleinen, mit Stroh gedeckten Kirche eines Dörfleins im Harzbezirk, mit Namen Morgenbrod, zu eigen gemacht. Hier predigte er nun gegen die Gottlosigkeit der Bewohner, gegen ihre Gemeinschaften mit bösen Feinden, Hexen und Elfen und vor allem mit dem Waldkobold des Harzes.
Die Lehren Luthers hatten sich schon unter der Bauernschaft verbreitet, denn das Vorkommnis fällt unter die Regierung Karls V., und sie verlachten den ehrwürdigen Mann und verhöhnten ihn um des Eifers willen, mit dem er bei der Sache war. Je heftiger er nun gegen sie wetterte, um so mehr wuchs auch ihr Widerspruch. Es paßte den Einwohnern nicht, daß ein stiller Geist, der so viele Menschenalter hindurch den Brockenberg bewohnt hatte, kurzweg mit Baal, Astaroth und Beelzebub selber zusammengeworfen und in Grund und Boden verdammt wurde.
Die Befürchtung, daß der Geist sich an ihnen rächen könnte, weil sie einem solchen ungerechten Urteil ihr Ohr liehen, wurde noch durch das nationale Interesse, das sie für ihren Geist hatten, bestärkt. Ein wandernder Mönch, sagten sie, der heute hier ist und morgen wieder weg, mag reden, was ihm gefällt. Wir aber, die ständigen und alten Einwohner des Landes, sind der Gnade des beleidigten Geistes anheimgegeben und müssen natürlich für alles büßen. Durch solche Betrachtungen aufgebracht, begnügten sich die Einwohner schließlich nicht mehr mit Schmähungen, sondern griffen zu Steinen, und als sie den Priester mit einem wackern Hagel überschüttet hatten, jagten sie ihn aus ihrem Sprengel hinaus, daß er anderswo gegen die Geister predigen möge.
Drei junge Männer waren auch mit dabei gewesen und waren eben auf der Heimkehr zu der Hütte, wo sie der mühseligen und ärmlichen Beschäftigung oblagen, Holzkohle für die Hochöfen zu bereiten. Unterwegs kam die Rede natürlich auf den Harzgeist und auf die Lehren des Kapuziners.
Max und Georg Waldeck, die beiden älteren Brüder, waren allerdings der Meinung, daß die Sprache des Kapuziners unbedacht und verwerflich gewesen sei, hegten aber die volle Überzeugung, daß es im höchsten Grade gefahrvoll sei, seine Gaben anzunehmen oder irgend welchen Verkehr mit ihm zu pflegen. Er sei wohl mächtig, das gaben sie zu, aber auch launisch und willkürlich, und die, die mit ihm Verkehr hätten, kämen selten zu einem guten Ende.
Hätte er nicht dem tapfern Ritter Eckbert von Rabenwald das berühmte schwarze Roß gegeben, mit dem er alle Kämpen auf dem großen Turnier zu Bremen besiegt habe? und hätte nicht dasselbe Roß sich nachher mit ihm in einen so tiefen schauerlichen Abgrund gestürzt, daß man Roß und Reiter nie wieder gesehen habe? Hätte er nicht der Dame Gertrud Trodden einen seltsamen Zauber, Butter zu bereiten, anvertraut? und sei sie nicht nachher als Hexe von dem Oberkriminalgericht des Kurfürstentums verbrannt worden, weil sie sich dieser Verleihung bedient hätte?
Aber diese und noch viele andere Beispiele, die sie dafür anführten, daß die anscheinenden Wohltaten des Geistes zu guter Letzt Unglück und Verderben im Gefolge hätten, machten nicht den geringsten Eindruck auf Martin Waldeck, den jüngsten der Brüder.
Martin war jugendlich, rasch und ungestüm. Er war ein Meister in all den Fertigkeiten, die einen Bergbewohner auszeichnen, und die Vertrautheit mit all den Gefahren, die sie mit sich bringen, hatte ihn mutig und unerschrocken gemacht. Er lachte über die Furchtsamkeit der Brüder.
»Redet mir nicht solche Torheiten,« sagte er, »der Geist ist ein guter Geist – er lebt unter uns, als wäre er selber ein Bauer wie wir – er streift auf den einsamen Höhen und in den Verstecken der Berge herum wie ein Jäger oder Ziegenhirt – und wer den Harz und seine wilden Landschaften liebt, kann nicht gleichgültigen Herzens sehen, wie es den kühnen Kindern dieses Bodens ergeht. Aber wenn der Geist so boshaft wäre, wie ihr ihn machen wollt, wie könnte er dann Macht über Sterbliche erlangen, da sie ja bloß sich seiner Gaben bedienen, ohne daß sie sich verpflichten, sich seinem Willen zu unterwerfen? Nicht die Gaben des Koboldes sind es, die uns Gefahr bringen, sondern in dem Gebrauche, den wir davon machen, liegt unsere eigene Verantwortung. Und sollte der Geist jetzt selber vor mir erscheinen und mir eine Gold- oder Silbergrube zeigen, so wollte ich schon wacker zu graben anfangen, ehe er noch den Rücken gekehrt hätte, und würde mich sicher wissen unterm Schutze eines, der weit größer ist als er, dabei würde ich aber den Reichtum, den er mir gezeiget hätte, zu wohltätigem Gebrauche verwenden.«
Hierauf erwiderte der ältere Bruder, schlecht erworbener Reichtum werde selten gut angewendet. Martin aber erklärte voller Eigendünkel, er würde sich in seinen Gewohnheiten, seiner Gesinnung und seinem Charakter nicht im geringsten ändern, und wären auch alle Schätze des Harzes sein eigen.
Sein Bruder bat Martin, nicht so wild über so eine Sache zu schwatzen, und mit einiger Mühe gelang es ihm, ihn davon abzubringen, indem er seine Gedanken auf die bevorstehende Eberjagd lenkte. Unter diesem Gespräch kamen sie nach ihrer Hütte, einem elenden Wigwam, der an der einen Seite einer wilden, engen, romantischen Schlucht in der Einöde des Brockens lag. Sie lösten ihre Schwester ab, die unterdessen an dem Kohlenmeiler gewacht hatte, denn der Brand bedarf ständiger Beobachtung und Aufmerksamkeit. Dann teilten sie sich in die Wache über Nacht, wie es immer ihre Gewohnheit war. Einer hielt stets die Wache, während seine Brüder schliefen.
Max Waldeck, der älteste, hatte während der ersten Stunden der Nacht die Wache, und er erschrak sehr, als er an dem gegenüberliegenden Rande der Schlucht, – ein riesiges Feuer erblickte, um das Gestalten mit phantastischen Gebärden herumtanzten. Max wollte erst seine Brüder rufen, aber er dachte an die tollkühne Art des jüngsten, und da es doch unmöglich war, den älteren zu wecken, ohne den jüngsten zu stören und da er auch das Bild für einen Spuk des Harzgeistes hielt, der sie vielleicht für Martins waghalsige Worte an diesem Abend strafen wollte, so hielt er es für das beste, zu seinem Schutze die Gebete herzumurmeln, die ihm bekannt waren, und mit großer Furcht und tiefem Mißbehagen die seltsame und beängstigende Erscheinung zu beobachten. Das Feuer hatte eine Weile geloht und verblaßte dann in der Finsternis mehr und mehr, bis es völlig erloschen schien, und der Rest von Maxens Wache war nur noch durch die Erinnerung an den überstandenen Schrecken gestört.
Nun hatte Georg den Platz seines ältern Bruders inne, der sich zur Ruhe niedergelegt hatte. Die Erscheinung eines riesigen lodernden Feuers an der andern Seite der Schlucht zeigte sich abermals dem Auge des Wächters. Wie zuvor war es von Gestalten umgeben, die, wie an schattenhaften Formen zu erkennen war, sich zwischen dem rotglühenden Licht und dem Zuschauer befanden und es gespenstisch umschwirrten, als betrieben sie eine mystische Zeremonie.
Georg war zwar ebenso vorsichtig, aber doch beherzter als sein Bruder. Er beschloß, sich die seltsame Erscheinung aus größerer Nähe anzusehen, er überschritt das Wässerchen, das zwischen den beiden Hängen der Schlucht dahinfloß, kletterte an der entgegengesetzten Seite empor und näherte sich bis auf einen Pfeilschuß dem Feuer, das augenscheinlich noch ebenso hell lohte, als wie er es zuerst wahrgenommen hatte.
Die Erscheinungen, die es umschwirrten, glichen den Schemen, die ein wilder Traum hervorbringt, und er fühlte sich bestärkt in dem Gedanken, der ihm von vornherein gekommen war, daß die Gestalten nicht der Menschenwelt angehörten. Unter diesen seltsamen unirdischen Gestalten unterschied Georg Waldeck die eines Riesen, der ganz behaart war und in der Hand eine mit den Wurzeln ausgerissene Fichte trug, mit der er ab und zu das lodernde Feuer zu schüren schien. Er trug nichts weiter als ein Gewinde von Eichenblättern um Stirn und Lenden.
Dem verborgenen Zuschauer sank das Herz, als er die wohlbekannte Erscheinung des Harzgeistes erkannte, wie sie ihm so oft von den alten Hirten und Weidmännern beschrieben worden war, die seine Gestalt durch die Berge hatten schreiten sehen. Er wandte sich und wollte flüchten, aber er besann sich, tadelte sich seiner Feigheit wegen und sprach bei sich selber den Vers des Psalmisten: »Alle guten Geister loben den Herrn!« – der in diesem Lande für eine wirksame Beschwörungsformel gilt. Dann wandte er sich noch einmal nach dem Fleck, wo er das Feuer gesehen hatte, aber es war nicht mehr sichtbar.
Der bleiche Mond allein beleuchtete die Seite des Tales, und als Georg mit zitterndem Schritt, feuchter Stirn und unter der Kappe zu Berge gestiegenem Haar nach dem Flecke hinging, wo eben noch das Feuer zu sehen gewesen war – der Platz war an einer verwitterten Eiche unfehlbar kenntlich – da war auf dem Waldboden nicht die geringste Spur von dem, was er gesehen hatte, zu entdecken. Moos und wilde Blumen zeigten keine Brandspuren, und die Zweige der Eiche, die vor kurzem noch umhüllt von Flammen und Rauch erschienen waren, zeigten sich benetzt vom Tau der Mitternacht.
Mit bebenden Schritten kehrte Georg zur Hütte zurück. Er dachte wie sein älterer Bruder und beschloß, nichts zu sagen, um in Martin nicht die tollkühne Neugier zu erwecken, die seiner Meinung nach nicht ganz frei von Gottlosigkeit war.
Nun war Martin an der Reihe zu wachen. Der Hahn im Hause hatte schon den ersten Schrei getan, und die Nacht war so gut wie vorüber. Als er den Meiler untersuchte, in welchem das Holz sich in Kohle zu verwandeln hatte, sah er zu seiner Verwunderung, daß das Feuer nicht hinreichend unterhalten worden war, denn über seinem nächtlichen Wege und seinen Folgen hatte Georg ganz den Hauptzweck seiner Wache vergessen.
Martins erster Gedanke war, die Schlummerer aufzurufen, aber als er sah, daß seine beiden Brüder ungewöhnlich fest und tief schliefen, da mochte er sie nicht aus der Ruhe reißen und machte sich daran, den Meiler ohne ihre Hilfe wieder in Ordnung zu bringen. Aber was er aufhäufte, schien feucht und zu dem Zwecke nicht geeignet, denn statt zuzunehmen, schien das Feuer nur noch mehr zu erlöschen. Martin ging nun, um von einem Holzstapel, wo sorgsam ausgesuchtes und getrocknetes Reisig aufeinander gehäuft war, ein paar Zweige zu holen, aber als er zurückkehrte, war das Feuer völlig aus.
Das war nun ein ernster Übelstand und drohte ihnen die Arbeit mehrerer Tage zu vernichten. Der Wächter, außer sich vor Verdruß, wollte nun Licht machen, um das Feuer wieder anzufachen, aber der Zunder war feucht, und seine Bemühungen blieben auch hier erfolglos. Nun wollte er seine Brüder wecken, denn die Sache duldete jetzt keinen Aufschub mehr, da flimmerten Blitze von Licht nicht nur durch das Fenster, sondern durch jeden Spalt der roh gebauten Hütte, und nun sah auch er die gleiche Erscheinung, die zuvor seine Brüder in Schrecken gesetzt hatte. Zuerst wollte nun auch er seine Brüder wecken, dann aber schloß er aus den Gebärden derer, die im Feuer zu arbeiten schienen, daß er eine übernatürliche Erscheinung vor sich habe.
»Ob das nun Menschen sind oder Gespenster,« sagte der unerschrockene Waldbewohner, »die dort eine so phantastische Zeremonie mit so seltsamem Gebärdenspiel betreiben, ich will gehen und sie um einen Feuerbrand bitten, daß ich unsern Meiler wieder anbrennen kann.«
Gleichzeitig gab er den Gedanken auf, seine Brüder zu wecken. Es herrschte der Glaube, daß derlei Abenteuer, wie er es jetzt vorhatte, nur von einem allein bestanden werden könnten. Er fürchtete auch, seine Brüder könnten ihn von seinem Vorhaben in ihrer Furchtsamkeit abhalten. Er riß daher seinen Eberspeer von der Wand, und nun ging der unerschrockene Martin Waldeck allein auf sein Abenteuer.
Mit dem gleichen Erfolg, aber mit weit höherem Mute überschritt Martin den Bach, stieg den Hügel hinan und näherte sich so weit der gespenstischen Versammlung, daß er in der Hauptfigur deutlich den Harzgeist an seinen Attributen erkennen konnte. Zum erstenmal in seinem sieben befiel ihn ein kalter Schauer. Aber der Gedanke, daß er vor kurzem erst mit kühnen Worten von dem Zusammentreffen gesprochen hatte, das jetzt stattfinden sollte, ja daß er es herbeigewünscht hatte, frischte seinen wankenden Mut wieder auf und er schritt mit verhältnismäßig festem Fuß auf das Feuer zu. Die Gestalten, die es umgaben, erschienen um so wilder, phantastischer und übernatürlicher, je näher er der Versammlung kam.
Mit einem lauten Gelächter mißtönenden, unnatürlichen Klanges wurde er empfangen. Betäubend gellte es ihm in die Ohren und klang ihm entsetzlicher, als ein Konzert der kläglichsten, traurigsten Töne hatte klingen können.
»Wer bist du?« fragte der Riese.
»Martin Waldeck, der Köhler,« antwortete der kühne Jüngling. »Und wer bist du?«
»Der König der Wüste und des Bergwerks,« erwiderte das Gespenst. »Und warum, wozu hast du dich so dreist zu meinen Mysterien herzugedrängt?«
»Ich wollte einen Brand suchen, daß ich mein Feuer wieder anbrennen kann,« antwortete Martin unerschrocken, und dann fragte er beherzt: »Was sind das für Mysterien, die Ihr hier feiert?«
»Wir feiern,« antwortete der Dämon huldvoll, »die Hochzeit des Hermes mit dem schwarzen Drachen. Aber nimm dein Feuer, um das du kamst, und geh wieder. Kein Sterblicher kann uns lange ansehen und doch dabei am Leben bleiben.«
Der Landmann bohrte seine Speerspitze in ein großes Stück lodernden Holzes, das er nur mit Mühe emporheben konnte, und dann wandte er sich nach der Hütte zurück. Hinter ihm erscholl wieder das Gelächter mit verdreifachter Heftigkeit und schallte noch weit in das enge Tal hinunter.
Als Martin nach der Hütte zurückkehrte, war es seine erste Sorge, so erstaunt er auch war über das, was er gesehen hatte, den Brand an den Meiler zu legen, so daß er gut wieder Feuer fangen sollte. Aber nach vielen Versuchen und nach harter Arbeit mit Blasebalg und Schürbalken erlosch die Kohle, die er vom Gespenst mitgenommen hatte, völlig, ohne die andern in Brand gesetzt zu haben.
Er wandte sich um und sah das Feuer noch auf dem Hügel brennen, nur die Gestalten darum her waren verschwunden. Er meinte, der Geist hätte nur Scherz mit ihm getrieben und so gab er der natürlichen Kühnheit seines Gemütes Raum. Er beschloß, das Abenteuer durchzuführen, und kehrte nach dem Feuer zurück, von dem er abermals, unangefochten von dem Dämon, in der gleichen Weise ein glühendes Stück Holzkohle mitnahm, ohne daß es ihm aber auch diesmal gelungen wäre, das Feuer anzustecken. Die Straflosigkeit hatte sein Ungestüm gesteigert, er beschloß ein drittes Mal das Wagestück zu unternehmen, und er hatte wieder das Glück wie die andern Male, daß er das Feuer erreichte. Aber als er sich abermals ein Stück von der brennenden Kohle angeeignet hatte und sich zur Rückkehr wandte, hörte er hinter sich die heisere, übernatürliche Stimme, die ihn zuvor angeredet hatte, die Worte sprechen: »Wage dich nicht ein viertes Mal hierher!«
Der Versuch, das Feuer mit dieser dritten Kohle anzubrennen, erwies sich ebenso erfolglos wie seine vorigen Bemühungen, und Martin gab das hoffnungslose Vorhaben auf und warf sich aus sein Blätterlager, entschlossen, nicht vor dem andern Morgen seinen Brüdern sein übernatürliches Abenteuer mitzuteilen. Vor körperlicher Erschöpfung und innerer Aufregung verfiel er in einen schweren Schlaf, ans dem ihn Rufe des Erstaunens und der Freude erweckten. Erstaunt, das Feuer beim Erwachen erloschen zu finden, hatten seine Brüder sich angeschickt, den Meiler wieder in Brand zu stecken – da hatten sie in der Asche drei riesige Metallblöcke gefunden, die sie mit Kennerblick (denn die meisten Bauersleute im Harz sind praktische Mineralogen) sofort als lauteres Gold erkannten.
Ihre freudigen Beglückwünschungen wurden allerdings ein wenig gedämpft, als sie von Martin erfuhren, auf welche Weise er den Schatz erlangt hatte. Da sie selber die nächtliche Erscheinung gesehen hatten, konnten sie an seinem Bericht nicht im mindesten zweifeln. Der Versuchung, den Reichtum ihres Bruders zu teilen, konnten sie jedoch nicht widerstehen. Martin Waldeck war nun das Oberhaupt der Familie und kaufte Land und Wälder und baute ein Schloß, erlangte ein Adelspatent und wurde zur Entrüstung aller alteingesessenen Adligen der Gegend mit den vollen Vorrechten eines Mannes von hohem Hause belehnt.
Sein Mut in den Feldzügen des Landes wie in Privatfehden und die große Zahl von Söldnern, die er unterhielt, schützten ihn eine Zeitlang gegen den Haß, den seine plötzliche Erhebung und seine Arroganz und Dünkelhaftigkeit ihm zugezogen hatten.
Und nun war an Martin Waldecks Beispiel, wie es schon in manchen andern Fällen gewesen war, zu erkennen, wie wenig ein Sterblicher die Wirkung plötzlichen Wohlstandes auf seinen Charakter voraussehen kann. Die schlimmen Veranlagungen seiner Natur, die die Armut zurückgehalten und unterdrückt hatte, reiften und zeitigten ihre unglückselige Frucht, denn nun trat die Versuchung heran und nun hatte er ja auch die Mittel, all seinen Gelüsten nachzuhängen.
Eine böse Leidenschaft erweckte die andere. Der Teufel der Habgier rief den Dämon des Stolzes auf, und der Stolz wurde unterstützt durch Grausamkeit und Tyrannei. Waldeck war immer kühn und waghalsig gewesen, jetzt machte ihn das Vermögen wild und anmaßend. Bald war er verhaßt, nicht nur bei den Edelleuten, sondern im gleichen Maße unter dem niedern Volke, das mit doppeltem Unmut sah, wie die tyrannischen Rechte des Adels so gewissenlos von einem Manne ausgeübt wurden, der selber aus der Hefe des Volkes emporgestiegen war.
Sein Abenteuer war zwar sorgfältig geheim gehalten worden, doch begann man jetzt auch davon zu murmeln, und die Geistlichkeit begann schon den Beklagenswerten, der zu einem so großen Reichtum gelangt war, – und nicht einen beträchtlichen Teil der Kirche vermacht hatte, als einen Zauberer und Bundesgenossen der Geister zu brandmarken. Umgeben von Feinden in der großen Öffentlichkeit und im privaten Verkehr, gepeinigt von vielen Fehden und von der Kirche mit Exkommunikation bedroht, beklagte Martin Waldeck, oder wie er jetzt hieß, Baron von Waldeck, oftmals bitterlich, daß er nicht mehr der unbeneidete und unbelästigte, wenn auch von schwerer Arbeit bedrückte arme Köhler von früher war.
Aber unter all diesen Schwierigkeiten verließ ihn der Mut nicht, der vielmehr zu wachsen schien, je dringender die Gefahren wider ihn anstürmten, bis ein unglücklicher Zufall seinen Sturz beschleunigte.
Der regierende Herzog von Braunschweig hatte zu einem festlichen Turnier alle deutschen Edelleute von freier adliger Herkunft eingeladen, und Martin Waldeck, glänzend bewaffnet, begleitet von seinen beiden Brüdern und einem vornehm ausgerüsteten Gefolge, hatte die Anmaßung, unter der Ritterschaft der Provinz zu erscheinen, und stellte das Ansuchen, sich in die Listen einzuzeichnen. Das schien der Höhepunkt seiner Dünkelhaftigkeit zu sein. Tausend Stimmen riefen:
»Wir wollen keinen Kohlenbrenner bei unsern ritterlichen Spielen haben!«
Außer sich vor Zorn zog Martin sein Schwert und schlug den Herold nieder, der auf den allgemeinen Protest hin sich weigerte, ihn in die Listen einzutragen. Hundert Schwerter fuhren sogleich aus der Scheide, um dieses Verbrechen zu rächen, das den damaligen Begriffen nach eins der schwersten war, allein von Gotteslästerung und Königsmord überboten.
Waldeck wehrte sich wie ein Löwe, aber er wurde überwältigt, und auf der Stelle wurde ihm von den Richtern des Turniers der Prozeß gemacht. Er hatte den Frieden des Reiches gebrochen und die heilige Person eines Herolds erschlagen, und als entsprechende Ahndung ward über ihn, verhängt, daß ihm schmählich die rechte Hand abgeschlagen, ihm auch seine Adelsrechte abgesprochen und er aus der Stadt vertrieben werden sollte. Als ihm die Waffen abgenommen worden waren und er die Verstümmelung, die das harte Urteil über ihn verhängte, erlitten hatte, wurde er, das beklagenswerte Opfer seines Ehrgeizes, dem Pöbel überliefert. Der verfolgte ihn mit lautem Geschrei, ihn als Teufelskünstler und Tyrann verwünschend. Und schließlich fiel denn der Pöbel über ihn her. Seine Brüder (denn die Söldner waren geflüchtet) konnten ihn endlich nach vieler Mühe aus den Händen der Menge retten, die ihre Grausamkeit befriedigt hatte und, da er vom Blutverlust und den erlittenen Mißhandlungen halb tot war, von ihm abließ.
Sie fanden kein anderes Gefährt, ihn wegzuschaffen – so sinnreich war die Grausamkeit ihrer Feinde, – als einen Köhlerkarren, wie sie ihn früher selber benutzt hatten. Auf eine Schütte Stroh betteten sie ihn und konnten nicht hoffen, irgend ein Obdach zu erreichen, ehe noch der Tod ihn von seinen Qualen erlösen würde.
Auf dieser jammervollen Fahrt waren sie an die Grenze ihrer Heimat gelangt und befanden sich in einem Hohlweg zwischen zwei Bergen – da sahen sie eine Gestalt auf sich zukommen – auf den ersten Blick schien es ein alter Mann zu sein. Aber als er näher kam, nahmen Glieder und Wuchs an Größe zu, der Mantel fiel ihm von den Schultern, der Pilgerstab verwandelte sich in eine bei den Wurzeln herausgerissene Fichte, und die gigantische Gestalt des Harz-Geistes schritt in all ihrer Furchtbarkeit an ihnen vorüber. Als er bei dem Karren anlangte, auf dem der unglückliche Waldeck lag, zogen seine Züge sich breit auseinander zu einem Grinsen unsäglicher Verachtung und Boshaftigkeit.
»Wie behagt dir das Feuer, das meine Kohlen angefacht haben?« fragte er den Dulder.
Während seine Brüder vor Entsetzen kein Glied zu rühren vermochten, schien bei Martin in einem letzten Aufflammen feines Mutes noch einmal die Kraft zu erwachen. Er richtete sich in dem Karren auf, runzelte die Stirn und schüttelte die linke Faust nach dem Gespenst hin, mit einem Blick des Hasses und Trotzes. Der Kobold verschwand mit seinem gräßlichen schallenden Lachen, und Waldeck sank nunmehr nach dieser letzten Anstrengung in völlige Erschöpfung.
Die erschreckten Brüder kehrten ihr Gefährt nach den Türmen eines Klosters, die in einem Fichtenwalde am Wegesrande sich erhoben. Ein barfüßiger langbärtiger Kapuziner empfing sie barmherzig, und Martin lebte nur noch so lange, daß er die erste Beichte seit dem Tage, da er reich geworden war, ablegen und Absolution von ebendemselben Priester erlangen konnte, den am selben Tage vor drei Jahren die Menge – und er mit – aus Morgenbrod vertrieben hatte. Daß er drei Jahre sich seines unsicheren Reichtums erfreut hatte, und daß er dreimal nach. dem gespenstischen Feuer auf dem Hügel gegangen war, wurde für eine geheimnisvolle mystische Wechselbeziehung erklärt.
Die Leiche Martin Waldecks wurde bestattet in dem Kloster, wo er seinen Geist ausgehaucht hatte. Seine Brüder aber nahmen das Kleid des Ordens an und starben nach einem Leben der Mildtätigkeit und der Andacht. Sein Land, auf das niemand Anspruch geltend machen konnte, lag brach, bis der Kaiser es als verfallenes Lehen an sich nahm, und die Ruinen des Schlosses, das Waldeck nach seinem eigenen Namen genannt hatte, werden noch jetzt von Wald- und Bergleuten gemieden als Heimstätte böser Geister.
Unglück brachte rasch und schlimm erworbner Reichtum mit sich – wie zu ersehen war aus dem Schicksal Martin Waldecks.
Neunzehntes Kapitel
Die aufmerksamen Zuhörer zollten der schönen Kopistin dieser Sage den Dank, den die Höflichkeit erforderte. Oldbuck allein rümpfte die Nase und bemerkte, Fräulein Wardour habe hier fast die Geschicklichkeit eines Schwarzkünstlers bewiesen, indem sie eine tiefe und schätzenswerte Moral aus einer recht albernen, lächerlichen Sage gezogen habe.
»Die Mode, soviel ich weiß, will es nun einmal, daß solche extravaganten Hirngespinste bewundert werden. Was mich aber betrifft:
Ein englisch Herz und furchtlos ist das meine,
Ihm tun Gespenster nichts noch rasselnde Gebeine.«
»Wenn Sie erlauben, mein guter Herr Oldenbuck,« sagte der Deutsche, »Fräulein Wardour hat der Geschichte – aber das macht sie mit allem so, was sie anfaßt – eine wirklich allerliebste Wendung gegeben. Aber all die Geschichten von dem Hartschgeischt, wie er in den wilden Bergen herumgeht mit einem großen Fichtenstamm als Spatschierstock und dem grünen Krantsch um Kopf und Leib – die sind alle wahr – so wahr ich ein ehrlicher Kerl bin.«
»Gegen eine so gute Bürgschaft läßt sich nichts einwenden,« versetzte der Alteitümler trocken.
Das Gespräch wurde hier unterbrochen durch die Ankunft einer neuen Person.
Ein junger, hübscher Mann war's, fünfundzwanzig Jahre mochte er alt sein, er trug eine militärische Uniform und in Blick und Wesen verriet sich sofort sein Soldatenberuf, ja, vielleicht etwas aufdringlicher, als mit dem Benehmen eines Mannes von guter Lebensart und Erziehung vereinbar ist, bei dem berufsmäßige Manieren nicht vorherrschen sollen. Die Mehrzahl der Ausflügler begrüßte ihn sofort.
»Mein lieber Hektor!« sagte Fräulein M'Intyre, erhob sich und nahm seine Hand.
»Hektor, Priamos' Sohn, von wannen kommst du?« fragte der Altertümler.
»Von Fife, mein Lehnsherr«, antwortete der junge Soldat, und als er die Anwesenden und besonders Sir Arthur und Fräulein Wardour höflich begrüßt hatte, fuhr er fort: »Wie ich nach Monkbarns ritt, dir meine Huldigung darzubringen, hört ich von dem Dienstvolk, ich würde die ganze Gesellschaft hier bei den Ruinen finden, so nahm ich gern die Gelegenheit wahr, so vielen Bekannten auf einmal meine Reverenz zu erweisen.«
»Und auch einem neuen, mein wackrer Trojaner,« sagte Oldbuck, »Herr Lovel, dies ist mein Neffe, Herr Kapitän M'Intyre. –Hektor, ich empfehle dir Herrn Lovel zur nähern Bekanntschaft.«
Der junge Soldat heftete sein scharfes Auge auf Lovel und grüßte ihn mit mehr Zurückhaltung als Herzlichkeit; und da unser Freund seine Kälte fast hochfahrend fand, so erwiderte er den Gruß ebenso unnahbar und stolz. So schien sich im eisten Augenblick ihrer Bekanntschaft ein Vorurteil voreinander herausgebildet zu haben.
Die Beobachtungen, die Lovel im weiteren Verlauf ihrer Partie machte, waren nicht dazu angetan, ihm diesen neuen Teilnehmer sympathischer zu machen. Kapitän M'Intyre widmete sich in der Zuvorkommenheit, die von seinem Alter und seinem Stande erwartet werden konnte, dem Dienste Fräulein Wardours und erwies ihr bei jeder möglichen Gelegenheit Aufmerksamkeiten, die Lovel um alle Welt ihr am liebsten selber erwiesen hätte, nur hielt ihn die Furcht ab, ihr zu mißfallen.
Einmal mit trostloser Niedergeschlagenheit, dann wieder mit reizbarer Achtsamkeit sah er mit an, wie der hübsche junge Soldat all die Pflichten eines werbenden Kavaliers auf sich nahm und ausübte. Er reichte Fräulein Wardour die Handschuhe, half ihr den Schal umlegen, begleitete sie, als es weiterging, beseitigte bereitwillig alle Hemmnisse auf dem Wege und reichte ihr den Arm wo der Pfad schwierig und rauh war, wenn er sprach, wandte er sich vor allen an sie, und so oft es ging oder die Umstände es gestatteten, sprach er nur mit ihr. Dies alles, das wußte Lovel, konnte nur so die egoistische Galanterie sein, mit der die jungen Männer gern sich das Ansehen gaben, als wüßten sie die Aufmerksamkeit der hüschesten Name, die sonst an niemand Gefallen finden mochte, auf der Stelle an sich zu fesseln.
Aber es kam ihm so vor, als läge im Benehmen des Kapitäns M'Intyre eine scharf ausgesprochene Zuvorkommenheit, die wohl einen Liebhaber eifersüchtig machen konnte. Auch nahm Fräulein Wardour seine Aufmerksamkeiten entgegen, und wenn er sich auch freimütig eingestand, daß sie nicht gut abgelehnt werden konnten, ohne unliebsames Aufsehen zu machen, so war es doch Wermut für seine Seele, es mitanzusehen.
Sie befanden sich nun auf dem Rückweg nach dem Platze, wo sie die Wagen zurückgelassen hatten. Fräulein Wardour und ihr Kavalier waren den andern auf einem engen Wege ein Stück voraus, aber anscheinend wünschte die junge Dame sich der übrigen Gesellschaft wieder anzuschließen und dem Alleinsein mit dem jungen Offizier ein Ende zu machen. Sie blieb daher stehen und wartete, bis Herr Oldbuck herangekommen war.
»Ich möchte Sie gern einmal fragen, Herr Oldbuck,« sagte sie, »wie alt Wohl diese interessanten Ruinen sein mögen.«
Es hieße der Lebensart Fräulein Wardours nicht gerecht werden, wollte man meinen, sie hätte nicht von vornherein gewußt, daß diese Frage zu einer allenfalls langatmigen Antwort führen müsse. Der Altertümler stürzte sich denn auch – wie ein Streitroß sich bäumt bei der Drommete Klang – Hals über Kopf in allerlei Ausführungen für und gegen das Jahr 1273, das von einer neueren Schrift über Altertümer der schottischen Baukunst als Gründungsjahr von St. Ruth bezeichnet worden war. Er zählte die Namen aller Äbte her, die der Stiftung vorgestanden hatten, aller Edelherren, die ihr Ländereien vermacht hatten, und aller Herrscher, die hier ihren letzten Schlaf getan hatten.
Wie eine Zündschnur, die Feuer gefangen hat, leicht eine andere ansteckt, wenn Brennstoff in der Nähe ist, so schnappte der Baron den Namen eines seiner Ahnen auf, der in Oldbucks Statistik vorkam, und begann nun zu erzählen, was dieser Mann für Kriege geführt, was er für Siege erfochten und was er für Trophäen erbeutet habe. So rannten nun die Redner wie Rennpferde auf ihr Ziel los, einer den andern überbietend, und es machte ihnen nichts aus, wenn sie einander in die Quere kamen oder sich gar anrannten.
So uninteressant dieses Gewäsch auch sein mochte, es war offenkundig, daß Fräulein Wardour entschlossen war, lieber aufmerksam zuzuhören, als Kapitän M'Intyre Gelegenheit zu geben, ihr Gespräch unter vier Augen zu erneuern, Der junge Krieger wartete denn auch eine Weile mit schlecht verhehltem Mißfallen in den hochnäsigen Zügen und überließ sie dann ihrem schlechten Geschmack, indem er den Arm seiner Schwester nahm und sie ein wenig hinter der Gesellschaft zurückhielt.
»Ich merke schon, Mariechen, ihr seid hierherum nicht eben flotter und auch nicht gebildeter geworden.«
»Es hat uns deine Geduld und deine Weisheit zum Unterricht gefehlt, Hektor.«
»Sehr nett, Schwesterchen. Aber ihr habt an deines Bruders Stelle einen weisern, wenn auch nicht ganz so flotten Zuwachs zu eurer Gesellschaft bekommen. Bitte, sag' mal, wer ist denn dieser Herr Lovel, den unser guter alter Oheim mit einem Male so hoch in Gnaden aufgenommen hat? – er läßt sich doch sonst nicht so leicht mit fremden Leuten ein.«
»Herr Lovel, Hektor, ist ein sehr netter junger Mann.«
»Pah! das heißt weiter nichts, als er macht 'ne Verbeugung, wenn er ins Zimmer kommt und hat einen Rock an, der an den Ellenbogen ganz ist.«
»Nein, Bruder, das besagt weit mehr. Ich will damit sagen, seine Manieren und seine Redeweise deuten auf den Charakter und die Bildung eines Mannes von höherem Stande.«
»Ich aber verlange genau zu wissen, von welcher Herkunft er ist und was für einen Rang er in der Gesellschaft einnimmt. Und vor allem welches Recht er hat, in dem Kreise zu verkehren, in dem ich ihn schon so hübsch heimisch finde.«
»Wenn du meinst, wie er dazu käme, daß er uns in Monkbarns besucht, da mußt du Onkel fragen, und der wird dir voraussichtlich sagen, daß er sich einladet, wen er will. Und wenn du Sir Arthur fragen willst, so mußt du wissen, daß er Fräulein Wardour und ihm einen hervorragenden Dienst geleistet hat.«
»Was? Diese romantische Geschichte ist also wahr? Und bitte, sag' mal, rechnet der tapfere Ritter etwa auf die Hand der Baroneß, die er aus der Gefahr errettet hat? Das wäre vorschriftsmäßig, wie es in einem hübschen Roman sein müßte. Und mir kommt's auch so vor, als wäre sie zu mir ungewöhnlich kurz gewesen. Manchmal schien sie auch sich zu überzeugen, ob sie auch ja nicht bei ihrem galanten Kavalier Anstoß errege.«
»Lieber Hektor,« sagte seine Schwester, »wenn du wirklich noch immer Fräulein Bardour liebst...«
»Wenn? Mariechen, da ist keine Rede von wenn!«
»Nun, ich will dir's nur gestehn, ich halte deine hartnäckige Werbung für aussichtslos.«
»Und warum hoffnungslos, Meine weise Schwester?« fragte Kapitän M'Intyre. »So wie es mit ihrem Vater steht, kann Fräulein Wardour auf großes Vermögen keinen Anspruch machen – und was die Familie anbetrifft – na, ich denke doch, die M'Intyres stehen ihnen nicht nach.«
»Aber Hektor, Sir Arthur hat uns immer für Mitglieder des Hauses Monkbarns angesehen.«
»Darüber mag Sir Arthur denken, was er will,« antwortete der Hochländer zornig. »Aber jeder, der seine fünf Sinne beisammen hat, wird so denken, daß das Weib den Rang vom Manne erhält und daß meines Vaters Stammbaum von fünfzehn untadelhaften Ahnen meine Mutter veredelt haben muß, und wenn Druckerschwärze selbst in ihren Adern geflossen wäre!«
»Um Gotteswillen, Hektor,« versetzte seine ängstliche Schwester, »sieh dich vor – wenn ein indiskreter oder hinterlistiger Lauscher einmal eine einzige derartige Äußerung dem Onkel hinterbrächte, so hättest du sein Wohlwollen für immer verloren, und all deine Aussicht, einmal sein Vermögen und seine Besitzung zu erben, wäre dahin.«
»Meinetwegen!« erwiderte der achtlose junge Mann, »ich gehöre zu einem Berufe, den die Welt bisher noch nie hat entbehren können und auch noch ein halbes Jahrhundert lang mindestens nicht wird entbehren können, und mein guter alter Onkel mag sein gutes Besitztum und seinen plebejischen Namen an dein Schürzenband hängen, wenn er will, Mariechen, und du magst diesen seinen neugebackenen Günstling heiraten, wenn du willst, und ihr mögt beide still, friedlich und hübsch ordentlich leben miteinander, wenn der Himmel will. Mein Entschluß steht fest – ich tu keinem Menschen schön wegen eines Erbes, das durch Geburt überhaupt mein sein sollte.«
Fräulein M'Intyre legte ihrem Bruder die Hand auf den Arm und bat ihn sich in seinem Ungestüm zu mäßigen.
»Wer tritt dir denn zu nahe oder trachtet auch nur danach, als du dir selber in deinem Jähzorn? Was für Gefahren trotzest, du denn, als bloß denen, die du selber heraufbeschworen hast? – Unser Oheim ist doch bisher zu uns immer freundlich und väterlich gewesen, und warum wolltest du denn denken, es würde anders werden, als es bisher immer gewesen ist, seit wir als Waisen unter seiner Obhut stehen?«
»Er ist ein ausgezeichneter alter Herr, – muß ich zugeben,« erwiderte M'Intyre, – »und ich bin selber fuchsteufelswild auf mich, wenn ich ihm mal zufällig weh tue. Aber seine ewigen Salbadereien über Gegenstände, die keinen Schuß Pulver mehr wert sind – seine Untersuchungen über angebrochene Töpfe und Pfannen und ausgediente Pfeifenstopfer – all diese Sachen sind mir unerträglich – dabei reiht mir die Geduld – hab' etwas vom Heißsporn an mir, Schwesterchen – muß ich gestehn.«
»Nur zu viel, Bruder, nur zu viel. In wieviel Gefahren, und verzeih mir, manche davon waren recht unvernünftig und unrühmlich – hat dich nicht schon dieses zufahrende ungestüme Wesen gebracht! Laß nicht solche Wolken die, Zeit verdüstern, die du jetzt bei uns zubringen willst, sondern laß unsern alten Wohltäter seinen Verwandten sehen wie er ist: hochherzig, lieb und flott, nicht roh, starrsinnig und ungestüm.«
»Schön,« sagte Kapitän M'Intyre, »da hab' ich meine Gardinenpredigt weg – so will ich denn mich guter Manieren befleißigen! Ich will gleich bei eurem neuen Freunde den Höflichen machen – will mal 'n kleinen Plausch veranstalten mit diesem Herrn Lovel.«
Mit diesem Vorsatz, mit dem er es für den Augenblick völlig ehrlich meinte, begab er sich wieder zu der Gesellschaft, die vor ihnen einherging. Sir Arthur sprach jetzt über die' neuesten Nachrichten aus dem Auslande und über die politische und militärische Lage des Landes – Themata, über die eine Meinung zu äußern sich jedermann für befähigt hält. Es war die Rede auf eine Schlacht vom vergangenen Jahre gekommen, und Lovel hatte sich zufällig ins Gespräch gemischt und eine Behauptung inbetreff dieser Schlacht geäußert, von deren Richtigkeit Kapitän M'Intyre nicht überzeugt zu sein schien. Er äußerte seine Zweifel in höflicher Form.
»Hier mußt du deinen Irrtum zugeben, Hektor,« sagte sein Oheim, »freilich kenn' ich keinen, der weniger gern ein Unrecht eingestünde – aber du warst damals in England, und Herr Lovel war wahrscheinlich selber mit in dieser Schlacht.«
»So rede ich mit einem Militär,« sagte M'Intyre. »Darf ich fragen, welchem Regiment Herr Lovel angehört?«
Herr Lovel nannte die Nummer seines Regiments.
»Es ist komisch, daß wir uns noch nie gesehen haben, Herr Lovel. Ich kenne Ihr Regiment sehr gut und habe mehrmals mit ihm in einem Quartier gelegen.«
Eine Röte fuhr über Lovels Gesicht.
»Ich bin seit einiger Zeit nicht mehr bei meinem Regiment gewesen,« erwiderte er. »Ich bin im letzten Feldzuge zum Generalstab abkommandiert gewesen, unter Sir...«
»Was Sie sagen! das ist ja noch wunderbarer, denn ich habe allerdings nicht unter Sir... gedient, aber ich hatte Gelegenheit, die Namen aller Offiziere zu lesen, die unter ihm gestanden haben, und ich kann mich eines Lovel nicht erinnern.«
Bei diesen Worten errötete Lovel abermals so tief, daß es der ganzen Gesellschaft auffallen mußte, während Kapitän M'Intyre mit einem verächtlichen Lachen seinen Triumph zu zeigen schien. Lovel hatte inzwischen sein Notizbuch hervorgezogen und einen Brief herausgesucht, den er aus dem Umschlag nahm und M'Intyre reichte.
»Sie kennen höchstwahrscheinlich die Handschrift des Generals,« sagte er, »eigentlich' sollte ich ja wohl nicht diese überschwenglichen Äußerungen seiner Achtung und Hochschätzung meiner Wenigkeit zeigen.«
In dem Schreiben sprach der betreffende Offizier seine hohe Anerkennung eines vor kurzem geleisteten militärischen Dienstes aus. Kapitän M'Intyre überflog es und konnte nicht bestreiten, daß es in der Handschrift des Generals geschrieben war, aber er gab es zurück mit den trocknen Worten, daß die Adresse fehle.
»Die Adresse, Kapitän M'Intyre,« antwortete Lovel im selben Tone, »steht Ihnen zur Verfügung, sobald es Ihnen beliebt, sie sich auszubitten.«
»Ich werde sicherlich darauf zurückkommen,« sagte der Soldat.
»Nanu, nanu!« unterbrach sie Oldbuck. »Was soll denn das bedeuten? Laßt mal eure Eisenfresserei, ihr Bürschchen! Seid ihr vom Kriege in der Ferne hergekommen, um häuslichen Zank in unserm friedlichen Lande anzustiften? Seid ihr denn wie die Schlächterhunde, die, wenn das Schlachtvieh weggebracht worden ist, übereinander herfallen und sich beißen und ehrlichen Leuten, die dabei stehen, an die Waden fahren?«
Sir Arthur meinte, die jungen Herren würden sich doch hoffentlich nicht über eine solche Kleinigkeit wie eine Briefadresse ereifern?
Die beiden Gegner stritten jede derartige Absicht ab, und während sie hochrot erglühten und ihre Augen flammten, beteuerten sie doch, sie seien noch nie in ihrem Leben so ruhigen Blutes gewesen. Aber das Vergnügen des Ausflugs hatte einen merklichen Riß bekommen, das Gespräch bewegte sich von nun an durchaus in den Grenzen gesellschaftlicher Vorschriften, und Lovel, der sich kalten, mißtrauischen Blicken allerseits ausgesetzt glaubte und wohl verspürte, daß seine ungenauen Antworten seltsame Gedanken über seine Person wachgerufen haben mußten, entschloß sich schweren Herzens, auf das Vergnügen, den Abend in Knockwinnock zu verbringen, wie er es sich zuerst vorgenommen hatte, zu verzichten.
Er gab daher als Entschuldigung an, daß ihn ein heftiges Kopfweh befallen habe, wie er es seit seiner Erkrankung noch nicht gehabt habe – er schrieb es der Hitze des Tages zu. Sir Arthur, den er der Förmlichkeit halber bat, ihn für den Abend zu beurlauben, hörte mehr auf den plötzlich erwachten Verdacht, als auf die Dankbarkeit für früher getane Dienste und drängte ihn nicht mehr, sein Versprechen zu halten, als es der gute Ton allenfalls verlangte.
Als Lovel sich von den Damen verabschiedete, schien Fräulein Wardour besorgter, als je bisher. Sie warf einen Blick, den Lovel allein bemerken konnte, nach Kapitän M'Intyre hin, ihn als die Ursache ihrer Besorgnis bezeichnend, und in einem Tone, weit leiser als sie sonst zu sprechen pflegte, sprach sie die Hoffnung aus, es möge eine nicht minder angenehme Einladung sein, die Herrn Lovel bewege, sie des Vergnügens seiner Gesellschaft zu berauben.
»Es handelt sich um keine Einladung,« versicherte er ihr, »nur das Leiden ist wiedergekehrt, das mich seit einiger Zeit ab und zu befällt.«
»In solchem Falle ist das beste Mittel Klugheit, und ich – jeder, der es gut mit Herrn Lovel meint, wird erwarten, daß er das Mittel anwendet.«
Lovel verbeugte sich und errötete tief, und Fräulein Wardour wandte sich ab, als fühle sie, daß sie zu viel gesagt hätte, und stieg in den Wagen. Nun hatte Lovel sich von Oldbuck zu verabschieden.
»Was, Mann!« rief dieser. »Sie wollen uns doch nicht etwa verlassen wegen der Zudringlichkeit und des Ungestüms Hektors? Ei, das ist ein gedankenloser Bengel – seit der Zeit schon, wo er noch in den Armen der Amme gelegen hat, ist er eine verzogene Range – wenn ich ihm das Stück Zucker, um das er nergelte, nicht hab' geben wollen, hat er mir sein Spielzeug an den Kopf geworfen – und Sie haben doch zuviel Verstand, als daß Sie sich um so einen schrulligen Jungen kümmern sollten? Ich will ihn schon mit der Zeit Mores lehren und alles ins rechte Geleise bringen.«
Aber Lovel bestand darauf, nach Fairport zurückzukehren.
Da schlug der Altertümler einen ernstern Ton an.
»Nehmen Sie sich in acht, junger Mann, und erwägen Sie wohl, was jetzt in Ihnen sich regt. Das Leben ist Ihnen zu nützlicherem und wertvollerem Zweck gegeben und Sie müssen es erhalten, um die Literatur unsers Landes zu zieren, sofern es nicht Ihre Pflicht ist, es zur Verteidigung des Landes oder zur Rettung der Unschuldigen in die Schanze zu schlagen. Der Krieg zwischen zweien ist dem zivilisierten Altertum ganz unbekannt und von allen Albernheiten, die die gotischen Stämme aufgebracht haben, die gröbste, ruchloseste und grausamste. Lassen Sie mich nichts mehr von diesen albernen Zänkereien hören, und ich will Ihnen auch meine Abhandlung über das Duell zu lesen geben.«
»Aber ich versichere Ihnen, mein lieber Herr, es ist nichts zwischen Kapitän M'Intyre und mir vorgefallen, und es liegt kein Anlaß zu einer so schätzenswerten Vermittlung vor.«
»Sehen Sie zu, daß dem so sei, denn sonst, meiner Treu, – ich sekundiere Ihnen beiden, – das heißt, ich leuchte Ihnen heim!«
Mit diesen Worten stieg der alte Herr in die Postkutsche, bei der Marie M'Intyre ihren Bruder zurückgehalten hatte. Aber Hektor verstand es doch, ihrer Vorsicht ein Schnippchen zu schlagen. Als er zu Pferde saß, ritt er langsam hinter dem Wagen her, bis sie um die Ecke der Chaussee von Knockwinnock gebogen waren, und dann warf er den Kopf seines Pferdes herum, gab ihm die Sporen und galoppierte in der entgegengesetzten Richtung davon.
In wenigen Minuten hatte er Lovel eingeholt, der vielleicht seine Absicht vorausgeahnt hatte und daher im Schritt geritten war. Der junge Soldat, schon von Natur heißblütig, war durch den scharfen Ritt noch mehr in Hitze geraten und brachte sein Pferd mit einem jähen Ruck neben Lovel zum Stehen. Flüchtig griff er an seinen Hut und fragte in hochfahrendem Tone:
»Sie sagten, Herr, Ihre Adresse stände mir zur Verfügung – wie hab' ich das zu verstehen?«
»Sehr einfach, Herr!« versetzte Lovel. »Das heißt, daß ich zur Zeit in Fairport wohne, wie Sie aus dieser Karte ersehen.«
»Und das ist die ganze Auskunft, die Sie mir geben wollen?«
»Ich wüßte nicht, daß Sie ein Recht hätten, mehr zu verlangen.«
»Ich finde Sie, Herr, im Verkehr mit meiner Schwester,« sagte der junge Soldat, »und ich habe ein Recht zu erfahren, wer in den Umgang von Fräulein M'Intyre eingeführt wird.«
»Ich bin so frei, dieses Recht zu bestreiten,« versetzte Lovel in ebenso hochfahrendem Wesen, wie der junge Mann gegen ihn herauskehrte. »Sie finden mich in einer Gesellschaft, die mit der Auskunft, die ich über mich und meine Angelegenheiten zu geben für angebracht gehalten habe, zufrieden ist, und Sie, ein bloßer Fremder, haben gar kein Recht, weiter nachzufragen.«
»Herr Lovel, wenn Sie Offizier sind, wie Sie sagen ...«
»Wenn!« unterbrach ihn Lovel. »
»Jawohl, so sagte ich, Herr – wenn Sie es sind, dann müssen Sie wissen, daß Sie mir Satisfaktion schuldig sind.«
»Wenn Sie meinen – es soll mich stolz machen, Kapitän M'Intyre, Ihnen in der unter Männern von Ehre allgemein üblichen Weise Satisfaktion zu geben.«
»Sehr wohl, Herr,« versetzte Hektor und wandte sein Pferd und galoppierte nun wieder seinen Angehörigen nach.
Seine Abwesenheit hatte sie schon in Sorge versetzt, seine Schwester hatte halten lassen und steckte den Hals zum Wagen heraus, um zu sehen, wo er stecke.
»Was ist los mit dir?« rief der Altertümler. »Reitest hin und her, als säß dir der Satan im Genick – was bleibst du nicht beim Wagen?«
»Hatte meinen Handschuh vergessen, Onkel,« sagte Hektor.
»Deinen Handschuh vergessen! – Glaube eher, hingeworfen hast du deinen Handschuh – aber ich will dir schon den Standpunkt klar machen, Musjöchen! – Heute nacht sollst du mit mir nach Monkbarns.«
Mit diesen Worten hieß er den Postillon weiterfahren.
Zwanzigstes Kapitel
Ende des ersten Bandes.
Zweiter Band
Erstes Kapitel
Fast mechanisch folgte Lovel dem Bettler, der schnellen rüstigen Schrittes den Weg führte durch Busch und Dorn. Er vermied die gebahnten Pfade und wandte sich oft und lauschte, ob Laute der Verfolgung hinter ihnen seien. Bisweilen stiegen sie in das Bett des Wildbachs selber hinab, bisweilen schlugen sie einen engen gefahrvollen Pfad ein, den die Schafe am Rande der überhängenden Flanken gebahnt hatten.
Von Zeit zu Zeit hatte Lovel eine Aussicht auf den Weg, den er am verflossenen Tage mit Sir Arthur, dem Altertümler und den jungen Damen gegangen war. Niedergeschlagen, bestürzt und beherrscht von tausend unruhigen Gedanken, wie er war, was hätte er jetzt darum gegeben, das Bewußtsein der Unschuld wieder zu erlangen, das allein tausend Übeln die Wage hätte halten können.
»Und doch,« solche Gedanken kamen ihm in Eile und unwillkürlich, »selbst schuldlos und wertgeschätzt von allen um mich her, kam ich mir unglücklich vor. Was bin ich nun, da das Blut dieses jungen Mannes mir an den Händen klebt? Das Gefühl des Stolzes, das mich zur Tat trieb, hat mich jetzt verlassen, und so, sagt man ja wohl, spielt der böse Feind selber denen mit, die er zur Schuld verlockt hat.«
Vor den ersten Stichen der Gewissensbisse sank selbst seine Liebe zu Fräulein Wardour für den Augenblick, und er meinte, er könne jede Qual verschmähter Liebe ertragen, wenn er nur das Gewissen wieder frei von der Blutschuld hätte machen können, so wie es noch am Morgen gewesen war.
Diese schmerzlichen Betrachtungen wurden durch kein Gespräch seines Führers unterbrochen, der ihn durch das Dickicht leitete, bald hielt er die Zweige zurück, damit er leicht hindurch könne, bald mahnte er ihn zur Eile, bald murmelte er, wie es einsame, vernachlässigte Greise zu tun pflegen, Worte vor sich hin, die Lovel vielleicht auch bei achtsamem Lauschen nicht verstanden hätte.
Erschöpft von der Krankheit, die ihn in letzter Zeit geplagt hatte, von den quälenden Gedanken, die in ihm rege waren, und von der Anstrengung, auf einem so rauhen Pfade mit seinem Führer Schritt zu halten, begann Lovel endlich zu erschlaffen und zurückzubleiben. Aber noch ein paar unsichere Schritte brachte sie an den Rand eines von Gestrüpp überhangenen Abgrundes. Hier war eine Höhle, nicht breiter wie ein Fuchsloch, durch einen schmalen Spalt im Felsen bezeichnet und von den Zweigen einer alten Eiche beschirmt, die mit ihren dicken verschlungenen Wurzeln im oberen Teile der Klippe festsaß und die Zweige vom Felsrand aus fast wagerecht in die Luft reckte, die Höhle tatsächlich vor jedem Blick verbergend.
Sie hätte selbst von einem, der an der Öffnung selber stand, unentdeckt bleiben können, so wenig einladend war das Portal, durch das der Bettler jetzt hineintrat. Im Innern aber war die Höhle höher und geräumiger, geteilt in zwei Verzweigungen, die, einander im rechten Winkel schneidend, ein Kreuz bildeten und die Höhle als die Behausung eines Anachoreten – vor langer Zeit vielleicht – erkennen ließen. Am Eingang herrschte düsteres Zwielicht, weiter innen völlige Finsternis.
»Von dieser Stätte wissen nur wenige,« sagte der alte Mann. »Ich hab manchesmal schon gedacht, wenn ich alt und gebrochen bin und mich nicht mehr an Gottes gesegneter Luft erfreuen kann, dann wollt ich mich hierher schleppen mit ein bißchen Hafermehl zum Proviant, und dann sehen Sie, hier ist auch eine hübsche kleine Quelle, die rinnt dieses Weges hier Sommer und Winter hindurch. Und dann will ich mich hier ausstrecken – wegbringen laß ich mich nicht – und will hier liegen wie ein alter Hund, der seinen nutzlosen häßlichen Kadaver in einen Busch oder eine Schlucht schleppt, daß sich die Lebenden bei seinem Anblick nicht entsetzen mögen, wenn er verreckt ist.«
Dann führte er Lovel, der ihm ohne Widerstreben folgte, in eine der inneren Verzweigungen der Höhle.
»Hier,« sagte er, »ist ein Stück von einer Wendeltreppe, die nach der alten Kirche oben führt. Manche Leute sagen, die Mönche hätten die Gruft hier ausgehauen vor langer Zeit, um ihre Schätze hier zu verbergen. Manche sagen auch, sie hätten auf diesem Wege Sachen in die Abtei gebracht, die sie nicht gut zur Haupttür und bei hellem lichten Tage hätten hineinbringen können.«
Sein unglücklicher Zuhörer hatte sich inzwischen auf einem aus dem festen Felsen gehauenen Sitz niedergelassen und überließ sich jener Erschlaffung des Geistes und Leibes, die gewöhnlich auf eine Abspannung beider folgt.
»Der arme Bursch!« sagte der alte Edie, »nun schläft er in dieser feuchten Höhle, wie leicht möchte er gar nicht wieder erwachen oder sich eine schwere Krankheit zuziehen. Stehen Sie auf, Herr Lovel – alles in allem wird der Kapitän wohl noch leidlich weggekommen sein – und schließlich sind Sie nicht der erste, der dieses Unglück gehabt hat. Ich habe manchen Mann umbringen sehen, und habe selber mit dabei geholfen, obgleich wir uns gar nicht miteinander gezankt hatten – und wenn es nichts Unrechtes ist, jemand umzubringen, die uns gar nichts zuleide getan haben, bloß weil er eine andere Kokarde trägt und eine fremde Sprache spricht – so wird wohl einem Manne verziehen werden können, der seinen Todfeind tötet – kommt doch sein Todfeind selber heran mit den Waffen in der Hand und mit der Absicht, ihn zu töten. Ich sage nicht etwa, daß es recht wäre – verhüts Gott – oder daß es nicht sündhaft wäre, wegzunehmen, was man nicht wieder ersetzen kann, und das ist der Atem eines Mannes, – aber ich sage, es ist eine Sünde, die verziehen werden kann, wenn sie bereut wird. Wir sind allzumal Sünder, aber wenn Sie einem alten ergrauten Sünder glauben wollen, der Unheil und Unrecht viel gesehen hat – die Heilige Schrift hat so viel Verheißung in sich, daß der schlimmste unter uns sich der Gnade versehen darf – wenn wir nur dran glauben könnten.«
Mit solchen Brocken des Trostes und der Andacht fuhr der Bettler fort, Lovel wach zu halten und zu zerstreuen, bis das Zwielicht zur Nacht zu werden begann.
»Jetzt,« sagte dann Ochiltree, »will ich Sie nach einem behaglicheren Fleck führen, wo ich selber manchmal gesessen habe, wenn die Eule schon im Efeudickicht schrie und das Mondlicht durch die alten Fenster der Ruinen fiel. Zu dieser Nachtzeit kommt dort keine Seele mehr hin, und wenn auch die Häscher des Sheriffs dort nachgesucht haben, so ist das nun lange vorüber, und die Hasenfüße – denn das sind sie ebenso wie andere Leute, trotz all ihrer königlichen Haftbefehle – haben längst das Feld geräumt.«
Mit diesen Worten beseitigte der Bettler ein paar lose Steine in einer Ecke, der Höhle, die den Zugang zu der Treppe versperrten, von der er gesprochen hatte, und stieg sie hinan, und in untätigem Schweigen folgte ihm Lovel.
Die Treppe war zwar eng, aber noch gar nicht verfallen und bald gelangten sie in einen schmalen Gang, der innerhalb der Seitenmauer des Chores entlang lief, von dem er durch sinnreich in den Blumenornamenten der gotischen Bauart verborgene Öffnungen Luft und Licht erhielt.
»Dieser geheime Gang führte ehemals um einen großen Teil des Gebäudes herum,« sagte der Bettler. »Der Prior mochte ihn wohl benutzt haben, um zu horchen, was die Mönche zur Essenszeit plauderten, und konnte auch sich überzeugen, ob sie da unten wacker Psalmen gröhlten, und wenn alles in Ordnung und zur Ruhe gegangen war, dann konnte er wohl auch auf diesem Wege hinwegschleichen und sich in die Höhle da unten ein hübsches Mädel holen, denn es waren schnurrige Gesellen, die Mönche, wenn alles wahr ist, was von ihnen erzählt wird.«
Sie kamen jetzt zu einer Stelle, wo der Gang zu einem kleinen Kreise erweitert war, der groß genug war, daß ein steinerner Sitz darin Platz hatte. Eine Nische war genau davor angebracht und ragte nach dem Chore vor. An den Seiten war das Gestein durchbrochen, und so konnte man von hier aus den Chor nach allen Seiten übersehen. Wie Edie gesagt hatte, sollte dies wahrscheinlich ein bequemer Beobachtungsposten sein, von dem aus der oberste Priester selber ungesehen das Treiben seiner Mönche überwachen und sich davon überzeugen konnte, daß sie pünktlich diejenigen Andachtsübungen verrichteten, von denen er kraft seines Ranges befreit war.
»Hier werden wir besser aufgehoben sein,« sagte Edie, sich auf die Steinbank setzend und den Schoß seines blauen Kittels auf die Stelle breitend, auf die er Lovel sich zu setzen einlud, »hier sind wir besser aufgehoben als dort unten, und die Luft ist frei und mild und der Duft der Blumen am Gemäuer ist weit erfrischender als die Feuchtigkeit unten. Am süßesten duften diese Blumen zur Nachtzeit, und am meisten wachsen sie auch um verfallene Gebäude herum. Nun, Herr Lovel, kann einer von euch gelehrten Leuten dafür einen guten Grund angeben?«
Lovel verneinte.
»Ich denke mir,« fuhr der Bettler fort, »es ist damit wie mit den guten Eigenschaften mancher Menschen, die erst im Unglück am besten und schönsten sich zeigen – oder vielleicht sollen sie uns ein Gleichnis lehren, diejenigen nicht zu verachten, die im Dunkel der Sünde und im Verfall des Elends leben, da ja Gott Wohlgerüche sendet, die schwärzeste Stunde zu erquicken, und mit Blumen und lieblichem Gesträuch die zerfallenen Gebäude bekleidet.«
Plötzlich legte Lovel in eindringlicher Gebärde dem Bettler die Hand auf den Arm.
»Still,« sagte er, »ich hörte jemand reden.«
»Ich bin schwerhörig,« sagte Edie flüsternd, »aber hier sind wir sicher – ganz gewiß – wo kam das Geräusch her?«
Lovel deutete nach dem Tor des Kirchenschiffes, das, mit hohem Zierat versehen, das Westende des Gebäudes einnahm, überragt von einem Bogenfenster, durch das eine Flut von Mondlicht hereinströmte.
»Von unsern Leuten kann es niemand sein,« sagte Edie im selben leisen, vorsichtigen Tone, »es sind nur ihrer zwei, die diesen Fleck noch kennen, und die sind viele Meilen von hier weg, wenn sie überhaupt sich noch auf der mühseligen Wanderschaft durch dieses Jammertal befinden. Daß die Beamten zu dieser Nachtzeit hier sein könnten, halte ich für ausgeschlossen. Und an Altweibergeschichten von Geistern glaub ich nicht, wenn auch dies wohl ein passender Tummelplatz für sie wäre. Aber ob sie nun Sterbliche oder Angehörige des Jenseits sein mögen, hier kommen sie – zwei Männer und ein Licht.«
Und in Wahrheit verdunkelten zwei menschliche Gestalten, noch während der Bettler sprach, mit ihrem Schatten den Eingang zur Kapelle, durch den man zuvor auf die monderhellte Wiese draußen hatte blicken können. Die kleine Laterne, die einer von ihnen trug, glimmerte bleich in den klaren starken Strahlen des Mondes, wie der Abendstern schimmert mitten im Licht des scheidenden Tages.
Der erste und auch begreiflichste Gedanke war, daß trotz Edies Versicherung die Männer, die zu so ungewöhnlicher Stunde den Ruinen sich näherten, die Gerichtsbeamten sein müßten, die nach Lovel suchten. Ihr Treiben aber bestärkte diesen Verdacht in keiner Weise. Der alte Mann berührte Lovel leise und flüsterte ihm zu, daß es für ihn das beste sei, sich still zu verhalten und von ihrem Versteck aus zu beobachten, was die beiden beginnen würden.
Wenn es sich zeigen sollte, daß sie flüchten müßten, so hatten sie ja die geheime Treppe und die Höhle hinter sich, durch die sie in den Wald entrinnen könnten, lange ehe die Gefahr einer Verfolgung dicht hinter ihnen sein könne. Sie verhielten sich also so still wie möglich und beobachteten mit begieriger und ängstlicher Neugierde jeden Laut und jede Bewegung dieser nächtlichen Wanderer.
Nachdem sie ein Weilchen miteinander geflüstert hatten, traten die beiden Gestalten in die Mitte der Kapelle, und eine Stimme, in der Lovel an Ton und Dialekt sofort die Stimme. Dusterschielers erkannte, sprach in lauterem aber noch immer gedämpftem Tone:
»In der Tat, mein guter Herr Baron, es kann keine schönere Stunde oder Jahrestscheit für dieses große Vorhaben geben. Sie werden sehen, mein guter Herr Baron, das ist nichts weiter als Wischiwaschi, alles, was Herr Oldenbuck sagt, und er weiß nicht, was er schwascht, gantsch wie ein kleines Kindchen. Meiner Seel'! er denkt sich, er wird gleich reich werden wie ein Jud von seinen paar lausigen schmierigen hundert Pfündchen, um die ich mich, bei meinem ehrlichen Worte, nicht mehr schere als um hundert Stüver! Aber Ihnen, mein sehr freigebiger und ehrwürdiger Herr Gönner, Ihnen will ich all die Geheimnisse tscheigen, die die Kunscht überhaupt tschu enthüllen vermag.«
»Der andere muß,« flüsterte Edie, »nach der Ähnlichkeit zu schließen, Sir Arthur Wardour sein. Ich kenne keinen als ihn, der noch zu dieser Stunde mit diesem deutschen Strolch hierherkommen möchte. Möcht man hoch denken, der Hund hätt ihn verhext – er macht ihm schließlich noch weis, Kalk wäre Käse – wollen doch mal sehen, was sie hier noch anfangen werden.«
Diese Unterbrechung und der leise Ton, in dem Sir Arthur sprach, ließen Lovel die Antwort ganz entgehen, die der Baron dem Schwarzkünstler gab, bis auf die letzten drei besonders betonten Worte: »Sehr große Ausgaben.«
Hierauf antwortete Dusterschieler sofort:
»Große Ausgaben – ei, freilich wohl! – aber sie müssen auch sein, die großen Ausgaben. – Sie erwarten doch nicht etwa tschu ernten, ehe Sie gestreut haben die Saat? – die Saat aber find die Ausgaben – die Reichtümer und das Bergwerk voller Edelmetalls und jetscht hier die großen riesengroßen Stücke von Silbergeschirr – das ist die Ernte – und sehr eine große Ernte, auf mein Wort! Nun, Sir Arthur, Sie haben heute abend eine kleine Saat von tschehn Guineen ausgestreut, das ist für Sie wie eine Prise Schnupftabak oder so was – – und wenn Sie nicht die große Ernte in die Scheuer bringen – die sehr große riesengroße Ernte für die kleine Prise Aussaat – so sollen Sie nie wieder Hermann Dusterschieler einen ehrlichen Mann nennen! – Nun, sehen Sie, mein Herr Gönner, denn ich will mein Geheimnis vor Ihnen nicht verbergen – hier ist eine kleine silberne Platte – Sie wissen, daß der Mond den gantschen Tierkreis durchlauft im Tscheitiaum von achtetschwantschick Tagen – das weiß jedes kleine Kindchen – nun, ich nehme eint silberne Platte, wenn der Mond in seiner funftschehnten ReWentsch ist, und diese Residentsch ist im obersten Teile der Libra, und ich tscheichne auf eine Seite die Worte ein: Schedbaischemoth Schartachan – das sind nämlich die Tscheichen für die Intelligentsch des MondsI – und ich tscheichne das Bild des Mondes selber als fliegende Schlange mit dem Kopfe eines Truthahnes – sehr gut so! – dann auf dieser Seite mache ich die Tafel des Mondes, nämlich ein Quadrat von neun multiplitschiert mit sich selber, mit einundachtschiff Tschiffern an geder Seite und dem Nurchmesser neun – hier ist es qemacht, gantsch ausgetscheichnet! – Nun will ich dasselbe Verfahren anwenden in gedem Mondesviertel, sobald es wechselt, und was ich an Kosten durch das Räucherwerk habe, wird sich verhalten tschu dem, was ich finden werde, wie neun tschu neun mit sich selber multiplitschiert. Heute aber werde ich nicht mehr finden als zwei oder dreimal neun, denn eben jetscht ist eine seindliche Macht im Hause des aufsteigenden Gestirns,«
»Aber Dusterschieler,« sagte der einfältige Baron, »sieht das nicht aus wie Magie? – Ich bin ein gläubiger, wenn auch unwürdiger Sohn der Kirche, und ich will mit dem bösen Feinde nichts zu tun haben.«
»Bah! Lah! nicht ein bißchen Magie ist dabei – nicht ein bißchen. Die gantsche Sache beruht auf dem planetarischen Einfluß und der Sympathie und Macht von Tschahlen – ich werd Ihnen noch viel was Meiners tsch eigen als das – denn es ist auch ein Geist mit dabei – von wegen dem Räucherwerk – aber wenn Sie sich nicht fürchten, bloß dann wird er nicht in Unsichtbarkeit verharren.«
»Ich bin nicht im mindesten neugierig, ihn zu sehen,« sagte der Baron.
»Das ist sehr schade,« sagte Dusterschieler, »gern hätte ich Ihnen getscheigt den Geischt, der diesen Schatsch behütet wie ein grimmiger Kettenhund – aber ich weiß, wie mit ihm umgegangen werden muß – liegt Ihnen nichts dran, ihn tschu sehen?«
»Nicht das geringste,« antwortete der Baron in einem Tone erkünstelter Gleichgültigkeit. »Ich meine, wir haben nicht viel Zeit.«
»Sie werden mir vertscheihen, mein Herr Gönner, es ist noch nicht tschwölf, und Punkt tschwölf erst ist die planetarische Stunde, und ich könnte Ihnen den Geischt sehr gut zeigen, nur so tschum Tscheitvertreib. Sehen Sie, ich würde nur ein Fünfeck – ein Pentagon – in einem Kreise tscheichnen – macht gar keine Mühe – und würde meine Räucherung darin vornehmen – und darin würden wir sein wie in einem festen Schlosse, und Sie würden das Schwert halten, während ich die nötigen Worte reden würde. Dann würden Sie die starke Mauer sich auftun sehen wie das Tor einer Stadt und dann – warten Sie – dann würden Sie sehen – tschuerscht – jawohl – tschuerscht würden Sie sehen einen Hirsch, verfolgt von drei schwartschen Windhunden, und die würden ihn tschu Boden jagen, wie es geschieht auf der großen Jagd des Kurfürschten – und dann würde ein kleiner häßlicher pechschwaitscher Neger erscheinen und ihnen den Hirsch wegnehmen – und paff! mit einem Male wären die alle weg und verschwunden – dann würden Sie krumme Hörner hören, daß die gantschen Ruinen davon widerhallen würden – mein Wort drauf, Sie würden ein seines Jägerstückchen spielen – sehr gut, ja – dann – na, dann kommt ein Herold, der heißt Ehrenhold – auch mit einem Hörn – und dann kommt der große Peolphan, genannt der mächtige Jäger des Nordens, auf seinem schwartschen Roß – aber es liegt Ihnen ja doch nichts dran, das alles tschu sehen?«
»Jenun, ich fürchte mich nicht,« antwortete der arme Baron, – »das heißt – geschieht nicht – nicht leicht ein großes Unglück – bei solchen Gelegenheiten?«
»Bah! Unglück? nein! – manchmal, wenn der Kreis nicht gantsch fest geschlossen ist oder der Tschuschauer ist ein furchtsamer Mensch und hält sein Schwert nicht fest und dem Geist gerade entgegen – dann rutscht der wilde Jäger seinen Vorteil aus und er reißt ihn aus dem Kreis heraus und erwürgt ihn. Das passiert wohl manchmal.«
»Nun denn, Dusterschieler, wir wollen bei allem Vertrauen in meinen Mut und Ihre Geschicklichkeit uns diese Erscheinung schenken und uns an unser nächtliches Geschäft machen.«
»Von gantschem Hertschen! – das ist mir gantsch egal – und nun ist auch die richtige Tscheit – halten Sie das Schwert, dieweil ich hier das bißchen sogenannte Spanholtsch antschünde.«
Dusterschieler setzte demgemäß ein kleines Häuflein Reisig in Brand, das mit einer harzigen Masse bestrichen war, damit es tüchtig brennen sollte, und als die Flamme hoch aufloderte und mit ihrem kurzlebigen Schein die ganze Ruine ringsum beleuchtete, warf der Deutsche eine Handvoll Räucherwerk hinein, das einen starken beißenden Geruch verbreitete. Der Beschwörer und sein Jünger mußten denn auch heftig niesen und husten, und als der Dunst um die Säulen des Gebäudes herumzog und in jede Spalte gedrungen war, ging es dem Bettler und Lovel bald ebenso.
»War das ein Echo?« sagte der Baron, verblüfft über das Niesen, das von oben herabschallte. »Oder,« – und er drängte sich dicht an den Adepten, – »kann es der Geist sein, von dem Sie sprachen, und lacht er über unseren Versuch, zu seinen verborgenen Schätzen zu gelangen?«
»N–n–nein,« stammelte der Deutsche, den sein Jünger mit seinem Schrecken anzustecken schien, »das hoff ich nicht«.
Jetzt erscholl ein lautes Niesen, das der Bettler nicht länger unterdrücken konnte und das auch auf keinen Fall für den hinsterbenden Nachklang eines Echos gehalten werden konnte, ein halbunterdrücktes grunzendes Husten folgte, und die beiden Schatzgräber standen starr vor Entsetzen.
»Der Herr erbarme sich unser!« sagte der Baron.
»Alle guten Geister loben den Herrn!« rief der erschrockene Schwarzkünstler. »Ich denke doch wohl, die gantsche Sache wird besser bei Tageslicht gemacht – es ist doch wohl das beste, wir machen jetscht, daß wir wegkommen!«
»Du Schuft von einem Gaukelspieler!« sagte der Baron, – ein Verdacht ward durch diese Worte in ihm wachgerufen, der den Schreck überwand – ein Verdacht, der durch das Bewußtsein der Verzweiflung über den ihm drohenden Ruin verstärkt wurde. »Du schwindelhafter Quacksalber! – Das ist bloß so ein Hokuspokus-Trick von dir, um von dem gegebenen Versprechen entbunden zu werden, wie du es schon oftmals getan hast. Aber beim Himmel, in dieser Nacht will ich wissen, wem ich mein Vertrauen geschenkt habe, indem ich mich von Ihnen an der Nase herumführen ließ, bis Sie mich nun glücklich an den Rand des Ruins gebracht haben! – Weiter im Text, sage ich Ihnen, und mag eine gute Fee kommen oder ein böser Feind, Sie sollen mir den Schatz zeigen oder sich als Schurke und Schwindler bekennen. Sonst bei dem Worte eines verzweifelten und ruinierten Mannes, ich schicke Sie dorthin, wo Sie Geister genug sehen werden!«
Zitternd in dem Grausen vor den übernatürlichen Wesen, von denen er sich umringt wähnte, und zitternd für sein Leben, das der Gnade eines Verzweifelten anheimgegeben zu sein schien, konnte der Schatzsucher nur die Worte stammeln:
»Mein Herr Gönner, das ist nicht gerade allerbest von Ihnen gehandelt. Tschiehen Sie doch in Betracht, mein sehr geehrter Herr Gönner, daß die Geischter ...«
Edie, dem nachgerade der Auftritt Spaß machte, ließ hier ein tolles Geheul hören, bei dessen Klang Dusterschieler auf die Knie niederstürzte.
»Teurer Sir Arthur, lassen Sie uns gehen – oder wenigstens mich!«
»Nein, du schuftiger Gauner,« sagte der Ritter und zog das Schwert, das er zur Beschwörung mitgebracht hatte, »so sollen Sie mir nicht entkommen – Monkbarns hat mich längst vor Ihren Gaunereien gewarnt – ich will diesen Schatz sehen, eher kommen Sie nicht hier weg, oder Sie sollen gestehen, daß Sie ein Schwindler sind – sonst, beim Himmel, renn ich Ihnen das Schwert durch den Leib, sollten auch alle Geister der Toten um uns her aufsteigen!«
»Um der Liebe des Himmels willen, haben Sie Geduld, mein geehrter Herr Gönner, und Sie sollen haben alle Schätsche, die mir bekannt sind – ja – ja – das sollen Sie wahrhaftig – bloß sprechen nicht Sie von den Geischtern, die werden böse darüber!«
Edie Ochiltree schickte sich an, noch einmal durch ein lautes Stöhnen das Gespräch zu unterbrechen, aber Lovel gebot ihm Schweigen. Dusterschieler, in seinem Grausen vor dem bösen Feinde und vor der Wut Sir Arthurs, spielte seine Veschwörerrolle herzlich schlecht, denn er hatte nicht den Mut, jene Vertrautheit und Zuversicht an den Tag zu legen, durch die allein er Sir Arthur hätte hintergehen können, weil er fürchtete, den unsichtbaren Geist, vor dem ihm grauste, zu beleidigen. Er rollte aber doch mit den Augen, murmelte und stotterte deutsche Veschwörungssprüche, verzerrte das Gesicht und verrenkte seine Gestalt – ein Gebaren, das eher aus Furcht als wohlüberlegter Betrügerei entsprang – und näherte sich endlich einer Ecke des Gebäudes, wo ein flacher Stein auf dem Boden lag, der auf der Oberfläche das Bildnis eines bewaffneten Kriegers in liegender Stellung, in Bas-Relief geschnitzt, zeigte.
»Mein Herr Gönner, hier ist der Schatsch – Gott schütsche uns alle!« murmelte er Sir Arthur zu.
Nachdem der erste Augenblick der abergläubischen Furcht vorüber war, schien Sir Arthur alle Fähigkeiten auf den Höhepunkt der Entschlossenheit geschraubt zu haben, der erforderlich war, das Abenteuer durchzuführen, und half dem Adepten den Stein umdrehen, was vermittelst eines Hebebaumes ihren vereinten Kräften gelang.
Kein übernatürliches Licht brach von unten hervor, den unterirdischen Schatz anzuzeigen, noch erschienen Geister der Erde oder gar der Hölle. Aber als Dusterschieler zitternd und zagend ein paar Schläge mit einer Hacke getan und ebenso hastig ein paar Schaufeln voll Erde herausgeworfen hatte (denn sie hatten das zum Graben nötige Werkzeug mitgenommen) – da ward ein Laut vernommen wie das Klimpern eines fallenden Stückes Metall, und Dusterschieler nahm gierig den Gegenstand empor, der das Geräusch gemacht hatte und den seine Schaufel mit der Erde herausgeschleudert hatte, und rief:
»Bei meinem teuern Worte, mein Herr Gönner, weiter können wir heute – ich meine, weiter können wir heute nichts mehr tun –«
Und er starrte um sich mit lauerndem scheuem angstvollem Blick, wie um zu sehen, aus welcher Ecke der Rächer seines Schwindels hervorspringen würde.
»Zeigen Sie es mir her,« sagte Sir Arthur, und dann setzte er noch energischer hinzu: – »ich will mich überzeugen – ich will mit eigenen Augen mich überzeugen!«
Er hielt also das Ding gegen das Licht der Laterne. Es war ein kleines Kästchen – die genaue Form konnte Lovel bei der Entfernung nicht erkennen, aber aus dem Rufe, den der Baron tat, als er es öffnete, konnte er schließen, daß es Geld oder Münzen enthielt.
»Naja!« sagte der Baron, »Das nenn ich doch Glück haben, und wenn das ein Anzeichen ist, daß bei weiteren Versuchen der Erfolg im Verhältnis steigt, dann will ich auch noch mehr riskieren. Die sechshundert Pfund von Goldvogel und die anderen dringenden Schulden hätten mir in der Tat den Hals brechen müssen. Wenn Sie meinen, daß wir das durch eine Wiederholung des Experiments aufbringen können – vielleicht beim nächsten Mondwechsel – dann will ich den nötigen Vorschuß riskieren, und sollt ich das Geld sonstwo hernehmen!«
»O mein guter Herr Gönner, reden Sie nicht davon,« sagte Dusterschieler, »sondern helfen Sie mir den Stein wieder richtig legen, und lassen Sie uns machen, daß wir fortkommen.«
Und sobald der Stein wieder zurückgelegt worden war, drängte er den Baron, der nun wiederum in seine Hand gegeben war, und sie verließen eiligst den Platz, wo der Deutsche in seinem Schuldbewußtsein und seiner abergläubischen Furcht hinter jedem Pfeiler Geister und Kobolde lauern sah, die ihn für seinen Verrat zu strafen trachteten.
»Hat wohl je ein Mensch schon so was gesehen!« rief Edie, als sie wie Schatten durch das Tor verschwunden waren, zu dem sie hereingekommen waren. »Hat wohl je ein lebendes Wesen so was schon gesehen! – Aber was können wir tun für diesen armen, altersschwachen Teufel von einem Baron? – Potzblitz, er hat mehr Courage gezeigt, als ich ihm je zugetraut hätte! – Dacht ich doch, er würde dem Vagabunden das kalte Eisen durch den Leib rennen. War doch Sir Arthur in jener Nacht auf der Felsenplatte weit weniger beherzt. Aber was ist zu tun?«
»Ich glaube,« sagte Lovel, »sein Zutrauen zu diesem Kerl ist durch diesen Betrug völlig wieder hergestellt, den der Schurke höchst wahrscheinlich vorher zurecht gemacht hat.«
»Was? Das Silber? Ja, ja, das ist ihm zuzutrauen – wer vorher versteckt, weiß am besten, wo was zu finden ist. Er will ihm die letzte Guinea abgaunern und dann nach seiner Heimat ausreißen, der Landstreicher. Ich wär am liebsten vorgesprungen, wie er es klimpern ließ, und hätte ihm eins mit meinem Stock versetzt, er hätte es wahrscheinlich als eine Guttat von einem der toten Äbte hingenommen. Aber es ist nicht gut, so ungestüm zu sein – ich werde ihn mir schon eines Tages noch kaufen.«
»Wie wäre es, wenn Sie Herren Oldbuck die Sache mitteilten?« fragte Lovel.
»Na, ich weiß nicht recht – Monkbarns und Sir Arthur gleichen einander und doch sind sie einander sehr unähnlich – bisweilen hat Monkbarns Einfluß auf ihn, und bisweilen wieder fragt Sir Arthur so wenig nach ihm wie nach mir. Und in manchen Dingen ist Monkbarns selber nicht gerade übermäßig gescheit – nehmen Sie bloß sein Römerlager an. Nein, es ist möglich, daß er die Sache nur noch schlimmer statt besser machen würde, und am Ende würde Sir Arthur sich ein Vergnügen daraus machen, sich nur noch mehr mit dem Schwindler einzulassen, je mehr ihn Monkbarns warnen würde.«
»Was meint Ihr dann dazu,« fragte Lovel, »wenn man Fräulein Wardour einweihte?«
»Ach, das arme Ding! Wie könnte sie denn ihrem Vater wehren, daß er täte, was ihm beliebte? Und was sollte es auch helfen? – Es geht das Gerücht im Lande, daß Sir Arthur wegen der sechshundert Pfund einen Zahlungsbefehl geschickt gekriegt hat, und wenn er nicht zahlen könnte, dann müßte er ins Gefängnis wandern oder aus dem Lande fliehen. Er ist wie einer, der in höchster Verzweiflung ist, und er hascht nach diesem Glücke als nach dem letzten, was ihm noch übrig ist, um dem gänzlichen Verderben zu entrinnen. – Und außerdem, wenn ich die Wahrheit sagen soll, ich möchte nicht das Geheimnis dieses Fleckes hier preisgeben, denn wenn ich selber auch keinen Versteck mehr brauche, so kann ich doch nicht den Gedanken ertragen, daß sonst noch jemand um diese Stätte wisse. Man kann manchmal was sieben Jahre nicht brauchen können, und schließlich wird es einem doch noch einmal nützlich, und so kann ich vielleicht diese Höhle noch einmal gebrauchen, entweder für mich oder für jemand anders.«
Der Vorfall aber tat Lovel gute Dienste, denn er lenkte seinen Geist von dem Unglück des Abends ab und rüttelte die Energie wieder auf, die beim ersten Anblick der verhängnisvollen Tat zusammengebrochen war. Er dachte, daß keineswegs eine gefährliche Wunde auch gleich tödlich sein müsse – daß er ja schleunigst fortgeeilt sei, ehe er noch das Urteil des Arztes über Kapitän M'Intyres Zustand gehört hätte – und daß er Pflichten auf Erden zu erfüllen habe – Pflichten, die, wenn auch das Schlimmste geschehen sei, ihm zwar den Seelenfrieden und das Bewußtsein der Unschuld nicht ersetzen konnten – aber ihm doch einen Grund gaben, das Leben zu ertragen und es noch zu wohltätigen Zwecken auszunutzen.
Solcher Art waren Lovels Empfindungen, als die Stunde herankam, wo nach Edies Berechnung, der nach einem eigenen Verfahren, die Himmelskörper zu beobachten, keine Uhr brauchte, sie ihren Versteck verlassen und sich ans Gestade begeben mußten, um der Verabredung gemäß Leutnant Taffrils Boot zu treffen.
Sie kehrten auf demselben Gange zurück, auf dem sie zu dem geheimen Beobachtungsposten des Priors gelangt waren, und als sie aus der Höhle in den Wald traten, verkündeten die Vögel, die zu zwitschern, ja zu singen begannen, daß der Tag graute. Das Licht und die rosigen Wolken über der See bestätigten ihnen das, sobald sie weit genug aus dem Gehölz heraus waren, daß sie den Horizont sehen konnten. Selbst für Lovel, der eine schlaflose und bange Nacht verbracht hatte, lag Kraft in der frischen Morgenluft, und er fühlte sich gestärkt an Leib und Geist. Mit erneuter Kraft folgte er dem kundigen Führer.
Der erste Strahl der Sonne, als ihre strahlende Scheibe aus dem Meere emporstieg, fiel voll auf das kleine Kanonenboot, das in der Bucht lag, – dicht am Ufer wartete bereits das Boot, und Taffril selber in seinem Seemannsmantel saß am Steuer. Er sprang ans Ufer, als er den Bettler und Lovel herankommen sah, und schüttelte dem letzteren die Hand und bat ihn, nicht niedergeschlagen zu sein.
»M'Intyres Wunde war zwar ernst,« sagte er, »aber durchaus nicht unbedingt tödlich.« Er war so aufmerksam gewesen und hatte Lovels Gepäck an Bord der Brigg bringen lassen. – Wenn Lovel auf dem Schiffe bleiben wolle, wäre eine kleine Kreuzfahrt die einzige Strafe und unangenehme Folge seines Duells.
»Wir reden noch darüber, was wir beginnen werden,« sagte Lovel, »wenn wir an Bord sind.«
Dann wendete er sich an Edie und wollte ihm durchaus Geld in die Hand drücken, aber der Bettler wies es zurück.
»Das ganze Volk hier muß verrückt geworden sein, oder sie wollen mir absolut mein Gewerbe ruinieren, denn man sagt ja, wenn der Müller zuviel Wasser hat, ersäuft er. In den letzten drei Wochen hab ich mehr Geld bekommen, als ich je in meinem Leben gesehen habe. Behalten Sie das Silber, junger Herr, Sie werden es schon brauchen, dafür steh ich Ihnen, und ich brauche es nicht – meine Bedürfnisse sind nicht groß, und einen blauen Kittel krieg ich ja jedes Jahr, und so viel Silbergroschen, wie der König, Gott segne ihn, Jahre alt ist – Sie und ich, wir dienen demselben Herrn, wissen Sie, Leutnant Traffil – da ist für mich gesorgt, und mein Essen und Trinken krieg ich auf meinen Bettelgängen, und setzt's mal nichts, dann halt ich mal einen Tag ohnedem aus, denn ich hab mir's zum Gesetz gemacht, nie etwas dafür zu bezahlen. So kann ich denn das ganze Geld, das ich bekomme, für Rauch- und Schnupftabak verwenden und mal auch für einen Schnaps, wenn es ein kalter Tag ist – obgleich für einen Schnorrer ich ein sehr mäßiger Schnapstrinker bin – so nehmen Sie nur Ihr Geld wieder und geben Sie mir weiter nichts als einen hübschen blanken Schilling.«
Das Boot fuhr davon. Der alte Mann sah ihm nach, wie es schnell unter sechs kräftigen Rudern der Brigg entgegenschoß, und Lovel sah ihn noch den blauen Hut zum Abschied schwenken, dann begann die hochaufgerichtete Gestalt sich langsam auf den Dünen hin zu entfernen, wie wenn Edie Ochiltree sich nun wieder auf seinen gewöhnlichen Bettlerrundgang begab.
Zweites Kapitel
Eine Woche war nach den im letzten Kapitel berichteten Abenteuern verflossen, da war Herr Oldbuck in sein Eßzimmer hinaufgestiegen und fand, daß sein Weibsvolk nicht den Dienst verrichtet und ihm das Frühstück noch nicht bereitet hatte.
»Da nun dieser verwünschte Hitzkopf von einem Jungen,« sagte er bei sich selber, »nun so allmählich aus aller Gefahr ist, kann ich dieses Leben nicht mehr länger mit ansehen. Da geht ja alles drunter und drüber. Saturnalia scheinen in meinem friedlichen und ordentlichen Haushalt an der Tagesordnung zu sein. Ich frage nach meiner Schwester – keine Antwort – ich rufe, ich schreie – ich beschwöre meine Hausgenossen bei mehr Namen, als die Römer ihren Gottheiten gegeben haben. Endlich geruht Hanne, die ich nun schon eine halbe Stunde lang mit schriller Stimme in den Regionen des kulinarischen Tartarus keifen höre, mich zu hören und mir zu antworten, dabei kommt sie aber nicht die Treppe herauf, und das Gespräch muß mit der höchsten Kraft der Lungen fortgesetzt werden.«
Und mit diesen Worten fing er wieder an laut zu brüllen:
»Hanne, wo ist Jungfer Oldbuck?«
»Fräulein Griselda ist im Zimmer des Kapitäns!«
»Hum! Dacht ich mir's doch! – Und wo ist meine Nichte?«
»Fräulein Mariechen macht dem Kapitän den Tee.«
»Hum! Konnt ich mir auch selber sagen – und wo ist Caxon?«
»Nach der Stadt und holt dem Kapitän die Jagdflinte und den Vorstehhund.«
»Was soll eine Flinte und ein Hühnerhund hier? Das Vieh wird mir bloß die ganzen Möbel versauen, mir den Speck mausen und vielleicht die Katze malträtieren, und das Schießgewehr jagt einem höchstens noch mal 'ne Kugel durch den Kopf. Ich dächte, er hätte für 'ne Weile mit Flinten- und Pistolenschießen genug.«
Jetzt trat Fräulein Oldbuck ins Zimmer, an dessen Tür der Altertümler diese Unterhaltung führte, indem er die Treppe hinunterbrüllte und sie wiederum die Treppe hinaufkreischte.
»Lieber Bruder,« sagte die alte Jungfer, »du wirst dich noch so heiser schreien wie ein Kolkrabe – ist das eine Art und Weise, so herumzuschreien, wenn ein Kranker im Hause liegt?«
»Auf mein Wort, der Kranke möchte wohl das ganze Haus für sich allein haben. Ich bin ohne Frühstück losgegangen, und nun soll ich wahrscheinlich auch ohne Perücke losgehen, und wahrscheinlich darf ich mir's auch nicht herausnehmen und sagen, daß ich Hunger hätte oder daß mich fröre, aus Furcht, den kranken Herrn zu stören, der sechs Stuben weit weg liegt und der sich wieder so wohl fühlt, daß er sich seine Flinte und seinen Hund holen läßt. Wo er doch weiß, Wie sehr ich diese Sachen verabscheue, seit unser älterer Bruder, der arme Willibald, auf einem Paar kalter Füße, die er sich auf der Entenjagd im Moor geholt hat, aus dieser Welt hinausspaziert ist. Aber das hat nichts zu sagen.«
Jetzt kam Fräulein M'Intyre herein und begann ihre gewöhnliche Morgenbeschäftigung, das Frühstück ihres Oheims zurechtzumachen. Sie verrichtete sie diesmal mit großer Geschwindigkeit, wie eine, die sich verspätet hat und die versäumte Zeit wieder einholen will.
Währenddessen schimpfte Oldbuck weiter, aber wie seine Schwester sagte, Montbarns bellte wohl, aber er biß nicht.
In der Tat hatte Herr Oldbuck seelisch sehr gelitten, so lange sein Neffe in wirklicher Gefahr war, und nun er genas, fühlte er sich versucht, sich in Klagen über die Umstände, die ihm gemacht worden seien, auszulassen. Seine Schwester und seine Nichte hörten ihn in respektvollem Schweigen an, während er seinem Mißvergnügen brummend Luft machte und manches bissige Wort über Weibsvolk, Soldaten, Hunde und Flinten fallen ließ.
In diesen mürrischen Ausladungen wurde er plötzlich durch das Geräusch eines Wagens unterbrochen, und bei diesem Klang warf er alle Verdrießlichkeit von sich, rannte rasch die Treppe hinauf und eine Treppe hinunter – denn das war beides nötig, um Fräulein Wardour und ihren Vater an der Tür seines Hauses zu empfangen.
Eine herzliche Begrüßung fand von beiden Seiten statt. Und Sir Arthur nahm Bezug auf seinen Brief und seine Botschaft und erkundigte sich ganz besonders nach dem Befinden Kapitän M'Intyres.
»Besser als er's verdient,« war die Antwort. »Besser als er's verdient, nachdem er mit seiner verwünschten Eisenfresserei uns alle aus dem Häuschen gebracht und den Frieden Gottes und des Königs gestört hat.«
»Der junge Mann,« sagte Sir Arthur, »ist unklug gewesen, aber seiner Meinung nach seien Sie ihm doch zu Danke verpflichtet, denn er habe Ihnen doch die Augen geöffnet über den fragwürdigen Charakter des jungen Mannes namens Lovel.«
»Nicht ein bißchen fragwürdiger als sein eigener,« antwortete der Altertümler, der seinen Liebling mit großem Eifer in Schutz nahm, »der junge Herr war ein bißchen töricht und eigensinnig und hat sich geweigert, auf Hektors dreiste Fragen zu antworten – das ist alles. Lovel, Sir Arthur, versteht sich besser die Leute auszusuchen, denen er sich anvertrauen will – jawohl, Fräulein Wardour, starren Sie mich nur an – aber es ist die reine Wahrheit – meiner Brust hat er es anvertraut, aus welchem geheimen Grunde er sich in Fairport aufhält, und ich wollte alle Hebel in Bewegung setzen, um ihm zu helfen in der Aufgabe, der er sich gewidmet hat.«
Als Fräulein Wardour diese großmütige Erklärung des alten Altertümlers hörte, errötete sie und wollte kaum ihren Ohren trauen. Denn von allen Vertrauten, die man sich in Liebessachen hätte aussuchen können – und darum mußte nach ihrer Vermutung es sich gehandelt haben – erschien neben Edie Ochiltree Oldbuck als der wunderlichste. Die seltsame Fügung von Umständen, durch die ein so zartes Geheimnis in den Besitz von so ungeeigneten Vertrauensmännern gelangt war, konnte sie nicht genug halb bewundern, halb sich darüber grämen.
Sie fürchtete nun, Oldbuck würde nach seiner Manier sofort mit ihrem Vater darüber reden, und sie mußte annehmen, daß es zu einem sehr heftigen Auftritt zwischen beiden kommen könnte, wenn sie auf dieses Thema zu sprechen kämen. Es erfüllte sie daher mit großer Besorgnis, als sie ihren Vater Herrn Oldbuck um eine Unterredung unter vier Augen ersuchen hörte, und als sie sah, daß Oldbuck sofort mit ihm nach der Bibliothek hinaufging.
Das Gespräch der beiden Herren drehte sich aber um einen ganz anderen Gegenstand, als Fräulein Wardour vermutet hatte.
»Herr Oldbuck,« sagte der Baron, nachdem sie im Allerheiligsten des Altertümlers Platz genommen hatten, »Sie, der Sie so genau in meine Familienangelegenheiten eingeweiht sind, »werden sich wahrscheinlich über die Frage wundern, die ich an Sie richten will.«
»Sir Arthur, wenn es Geld betrifft, so tut es mir sehr leid ...«
»Geldangelegenheiten betriffts allerdings, Herr Oldbuck.«
»Wahrhaftig, Sir Arthur,« fuhr der Altertümler fort, »bei dem gegenwärtigen Stand des Geldmarktes – wo die Papiere so niedrig stehen –«
»Sie mißverstehen mich, Herr Oldbuck,« sagte der Baron. »Ich wünschte Sie nur um Rat zu fragen, wie ich am besten eine große Summe Geldes anlege.«
»Den Teufel auch!« rief der Altertümler, und da er sich selber wohl sagte, daß sein unwillkürlicher Ausruf des Erstaunens nicht übermäßig höflich war, so drückte er zur Abschwächung Sir Arthur seine Freude aus, daß er eine Geldsumme anzulegen habe, wo jetzt doch überall Geld ein rarer Artikel wäre.
»Und wie Sie die Summe am besten verwenden?« fuhr er fort. »Momentan ist eine faule Zeit, wie ich schon sagte, aber mit Grundstücken ließe sich noch was machen. Aber täten Sie nicht besser, wenn Sie so langsam Schulden abzuzahlen anfingen, Sir Arthur? Da ist der Wechsel von Ihnen und die drei Schuldscheine« – fuhr er fort und zog aus dem rechten Schubkasten seines Schreibtisches ein gewisses rotes Merkbuch, das Sir Arthur schon verschiedentlich kennen gelernt hatte und dessen bloßer Anblick ihm Abscheu einflößte, – »die Zinsen miteingerechnet, beläuft sich die Summe nun auf – lassen Sie mal sehen –«
»Auf etwa tausend Pfund,« sagte Sir Arthur rasch, »Sie haben mir die Summe erst neulich genannt.«
»Aber seitdem sind neue Zinsen hinzugekommen, Sir Arthur, und das Ganze beträgt (Irrtum ausgschlossen) elfhundert und dreizehn Pfund sieben Schilling fünf dreiviertel Pennies – aber sehen Sie sich den Abschluß selber an.«
»Jedenfalls stimmt alles, mein werter Herr,« sagte der Baron und schob das Buch von sich, wie man jene altmodische Höflichkeit von sich weist, die einem immer noch mehr Essen aufnötigt, wenn man schon so viel gegessen hat, daß einem übel wird, »stimmt ganz genau, jedenfalls, und in drei Tagen oder vielleicht noch in kürzerer Zeit sollen Sie vollen Ersatz haben, das heißt, wenn es Ihnen recht ist, die Summe in rohem Metall anzunehmen.«
»In rohem Metall? Sie meinen wohl Blei. Was zum Teufel! Haben wir endlich die Ader gefunden? – Aber was könnte denn ich mit einer Masse Blei im Werte von tausend Pfund anfangen – die Äbte von Trotensey hätten ja freilich das Dach ihrer Kirche und ihres Klosters davon machen lassen können – aber für mich –«
»In rohem Metall!« sagte der Baron. »Damit meine ich die Edelmetalle – Gold und Silber.«
»Was Sie sagen? Und aus welchem Eldorado soll denn dieser Schatz importiert werden?«
»Nicht weit von hier,« sagte der Baron bedeutungsvoll, »und da fällt mir ein, unter einer kleinen Bedingung sollen Sie den ganzen Vorgang sehen.«
»Das wäre?« fragte der Altertümler.
»Es würde nötig für Sie sein, daß Sie mir Ihren freundschaftlichen Beistand liehen und mir etwa hundert Pfund vorschössen.«
Herr Oldbuck, der schon die Summe mitsamt den Zinsen, die er als gefährdete Forderung fast aufgegeben hatte, im Geiste in den Händen gehalten hatte, war so erstaunt über diese unerwartete Wendung, daß er nur in einem Tone des Schmerzes und der Überraschung die Worte wiederholen konnte:
»Hundert Pfund vorschießen!«
»Jawohl, mein guter Herr,« fuhr Sir Arthur fort, »aber gegen die bestmögliche Sicherheit, sie in zwei oder drei Tagen zurückzubekommen.«
Es trat eine Pause ein. Entweder hatte sich Oldbucks Unterkiefer noch nicht wieder soweit eingerenkt, daß eine verneinende Antwort erfolgen konnte, oder der alte Herr schwieg vor Neugierde.
»Ich würde nicht an Sie mit dem Ansinnen herantreten,« fuhr Sir Arthur fort, »mir in dieser Höhe beizuspringen, wenn ich nicht die Beweise für die Tatsächlichkeit der Aussichten, die ich Ihnen vorhalte, in den Händen hätte. Und ich versichere Ihnen, Herr Oldbuck, wenn ich mich über diesen Gegenstand eingehend ausspreche, so verfolge ich dabei den Zweck, mein Vertrauen in Sie zu beweisen und Ihnen meine Dankbarkeit für Ihr Entgegenkommen bei früheren Anlassen zu zeigen.«
Herr Oldbuck beteuerte, er fühle sich sehr verbunden, aber er umging sorgfältig alles, was wie eine Zusage zu weiteren Unterstützungen aussehen konnte.
»Herr Dusterschieler,« sagte Sir Arthur, »hat entdeckt...«
Herr Oldbuck unterbrach ihn, seine Augen funkelten vor Entrüstung.
»Sir Arthur, ich habe Sie so oft gewarnt vor der Schurkerei dieses schuftigen Pfuschers, daß es mich in der Tat wunder nimmt, wie Sie vor mir noch seinen Namen nennen können!«
»So hören Sie doch – hören Sie,« unterbrach ihn Sir Arthur seinerseits, »es wird Ihnen weiter keinen Schaden tun. Kurz, Dusterschieler hat mich überredet, ein Experiment mitanzusehen, das er in den Ruinen von St. Ruth gemacht hat – und was meinen Sie wohl, was wir gefunden haben?«
»Eine neue Wasserquelle, vermute ich, von der der Schurke Lage und Ursprung zuvor ausgekundschaftet hat.«
»Nein, sondern ein Kästchen mit Gold- und Silbermünzen – hier sind sie.«
Mit diesen Worten zog der Baron ein großes Widderhorn hervor mit kupfernem Deckel, das eine ansehnliche Menge Münzen, hauptsächlich Silbermünzen enthielt, unter denen sich aber auch ein Paar Goldstücke befanden.
Die Augen des Altertümlers glänzten, als er sie auf dem Tische ausbreitete.
»Bei meinem Worte – schottische, englische und ausländische Münzen aus dem fünfzehnten und sechzehnten Jahrhundert, und einige rari – und rariores – etiam rarissimi! – hier Jakob V., hier Jakob II. – ah, und hier Königin Maria, ihr Kopf und der des Dauphins – und die sind wirklich in den Ruinen von St. Ruth gefunden worden?«
»Ganz gewiß – mit eigenen Augen habe ich es gesehen.«
»Hm,« machte Oldbuck, »Aber Sie müssen mir das Wo und das Wann und das Wie erzählen.«
»Das Wann,« antwortete Sir Arthur, »es war um Mitternacht beim letzten Vollmond – das Wo? ich habe Ihnen ja schon gesagt, in den Ruinen von St. Ruth – das Wie? durch ein nächtliches Experiment Dusterschielers, welchem ich selber beigewohnt habe.«
»Wirklich?« rief Oldbuck. »Und was für Mittel haben Sie angewendet, um die Entdeckung zu machen?«
»Nur ein bißchen Räucherwerk,« sagte der Baron, »und nur aufgepaßt haben wir, daß wir die richtige Planetenstunde benutzten.«
»Einfaches Räucherwerk? Einfaches Mumpitzwerk! – Planetenstunde? – Planetennarretei! Mein lieber Sir Arthur, dieser Kerl hält Sie über und unter der Erde zum Narren.«
»Aber Herr Oldbuck, so wahr ein Himmel über uns ist, ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie diese Münzen um Mitternacht in der Kapelle von St. Ruth ausgegraben wurden. Und Dusterschieler – wenn die Entdeckung auch seiner Wissenschaft zuzuschreiben ist – so glaube ich doch nicht, die Wahrheit zu sagen, daß er Courage genug gehabt hätte, die Sache auszuführen, wenn ich nicht bei ihm gewesen wäre.«
»So, so!« sagte Oldbuck in jenem Tone, den man anschlägt, wenn man das Ende einer Geschichte hören will, ehe man sich dazu äußert.
»Ja, wahrhaftig,« fuhr Sir Arthur fort, »ich versichere Ihnen, ich habe scharf aufgepaßt – wir haben sehr sonderbare Geräusche gehört, die aus den Ruinen hervorklangen, das steht fest.«
»Tatsächlich?« sagte Oldbuck. »Wahrscheinlich war ein Helfershelfer darin versteckt.«
»Keine Spur,« sagte der Baron; »die Laute, obwohl greulicher und übernatürlicher Art, glichen eher dem heftigen Niesen eines Menschen – auch ein tiefes Stöhnen habe ich außerdem vernommen – und Dusterschieler versichert mir, er hat den Geist Peolphan, den gewaltigen Jäger des Nordens, gesehen.«
»Und trotz des Entsetzens, das Ihnen dieser schnupfende Kobold eingejagt hat, haben Sie die Sache durchgeführt?«
»Na, ich halte es für sehr wahrscheinlich, daß ein Mann von minderwertigerem Charakter oder geringerer Ausdauer es aufgegeben hätte, aber ich dachte, es wäre alles Schwindel, und zwang Dusterschieler durch heftige Drohungen, fortzufahren in seinem Beginnen, und, Herr, der Beweis seiner Fähigkeit und seiner Ehrlichkeit ist dieser Haufen Gold- und Silbermünzen, unter denen Sie sich, wenn ich bitten darf, diejenigen Stücke aussuchen wollen, die am besten in Ihre Sammlung hineinpassen,«
»Nun, Sir Arthur, wenn Sie so gut sein wollen, so will ich nach Pinkertons Katalog den Wert feststellen, und unter der Bedingung, daß wir die einzelnen Beträge von der Rechnung in dem roten Buch abschreiben, will ich mir mit Vergnügen aussuchen...«
»Nein,« sagte Sir Arthur Wardour, »ich meine nicht, daß Sie sie als etwas anderes ansehen möchten denn als eine Gabe der Freundschaft.«
»Bitte, darf ich fragen, was diese Entdeckung Ihnen gekostet hat?«
»Etwa zehn Guineen.«
»Und dabei haben Sie etwas gewonnen, das etwa zwanzig Guineen an Geld wert ist und für solche Narren wie wir, die für Raritäten was bezahlen, noch einmal so viel wert sein mag. Das muß ich zugeben, da ist Ihnen beim ersten Versuch ein ganz verlockender Profit unter die Nase gerieben worden. Und was sollen Sie beim nächsten Mal riskieren?«
»Hundertundfünfzig Pfund. Ein Drittel der Summe habe ich ihm schon gegeben, und das übrige glaubt ich bestimmt von Ihnen geliehen zu bekommen.«
»Ich kann nicht glauben, daß dies schon der letzte Streich sein soll – dazu ist er nicht schwer genug und die Summe zu unbedeutend. Er wird uns wahrscheinlich auch diesmal noch gewinnen lassen, wie es die Bauernfänger beim Spiel machen. Sir Arthur, ich hoffe. Sie sind überzeugt, daß ich Ihnen gern einen Gefallen tue?«
»Gewiß, Herr Oldbuck, ich denke, mein Vertrauen zu Ihnen bei solchen Anlässen gestattet hierüber keinen Zweifel.«
»Na, dann lassen Sie mich mal mit Dusterschieler sprechen. Wenn das Geld zu Ihrem Nutzen und Vorteil vorgeschossen werden kann, dann sollen Sie es haben, jawohl, um der alten Nachbarschaft willen. Aber wenn ich, wie ich denke, den Schatz entdecken kann, ohne Ihnen einen solchen Vorschuß zu leisten, dann werden Sie vermutlich auch nichts dagegen haben.«
»Nicht das geringste.«
»Wo ist Dusterschieler?« fuhr der Altertümler fort.
»Daß ich Ihnen die Wahrheit sage, er ist in meinem Wagen unten, da er aber weiß, was Sie für ein Vorurteil gegen ihn hegen ...«
»Gott sei Dank, ich habe gegen keinen Menschen ein Vorurteil, Sir Arthur; gegen Systeme, nicht gegen Individuen richtet sich mein Widerwille.«
Er schellte.
»Hanne, Sir Arthur und ich lassen uns Herrn Dusterschieler empfehlen, dem Herrn in Sir Arthurs Wagen, und ersuchen um das Vergnügen, ihn hier zu sprechen.«
Es war nicht Dusterschielers Absicht gewesen, daß Herr Oldbuck in sein vermeintliches Geheimnis eingeweiht würde. Er hatte sich darauf verlassen, daß Sir Arthur den erforderlichen Geldbetrag erhalten würde, ohne daß er sich über den Zweck und die Art der Verwendung zu äußern brauchte, und wartete nun unten, um sich so bald als möglich des Geldes zu versichern, denn er sah voraus, daß er hier sein Spiel bald zu Ende gespielt haben dürfte. Aber als er vor Sir Arthur und Herrn Oldbuck gerufen wurde, faßte er sich ein Herz im Vertrauen auf seine Frechheit, von welcher Gabe ihm, wie der Leser ja schon gesehen hat, Mutter Natur eine reichliche Portion auf den Weg gegeben hatte.
Drittes Kapitel
»Wie geht es Ihnen, mein guter Herr Oldenbuck? und ich hoffe, Ihr junger Herr, der Kapitän M'Intyre, befindet sich besser? – Ach! es ist eine schlimme Geschichte, wenn junge Herren sich gegenseitig Bleikugeln in den Leib jagen.«
»Geschichten, wo es sich um Blei handelt, sind immer sehr gefährlich, Herr Dusterschieler, aber ich schätze mich glücklich, von meinem Freunde Sir Arthur zu erfahren, daß Sie sich einem besseren Gewerbe gewidmet haben und ein Goldsucher geworden sind.«
»Ach, Herr Oldenbuck, mein guter und sehr geehrter Herr Gönner hätte über die kleine Geschichte nicht ein Wort ertschählen sollen – denn wenn ich auch feste Tschuversicht hege – ja sicherlich – tschu der Klugheit, Vorsicht und Verschwiegenheit des guten Herrn Oldenbuck und tschu seiner großen Freundschaft tschum guten Sir Arthur Wardour, so ist es doch, mein Himmel! ein schwerwiegendes Geheimnis.«
»Und wiegt sogar noch schwerer als alles Metall zusammen, das wir mit seiner Hilfe finden können, fürchte ich,« antwortete Oldbuck.
»Das kommt gantsch darauf an, wieviel Glauben und Geduld Sie dem großartigen Ekschperiment entgegenbringen. Wenn Sie sich mit Sir Arthur tschusammentun wollen, der selber hundertundfunftschig Pfund hineinstecken will – sehen Sie, hier ist eine von Ihren schmutschigen Fairporter Banknoten – stecken Sie auch hundertundfunftschig Pfund in diesen schmutschigen Noten hinein, und Sie werden das pure lautre blanke Gold und Silber dafür herausbekommen, wer weiß wie viel!«
»Nicht eine Guinea für Sie,« sagte der Altertümler. »Aber hören Sie, Herr Dusterschieler, wenn wir nun, ohne noch einmal den niesenden Kobold mit irgendwelchem Räucherwerk zu belästigen, uns insgesamt auf den Weg machten und bei hellem Tageslicht und mit gutem Gewissen ans Werk gingen und weiter kein Veschwörungswerkzeug mitnähmen als ein paar derbe gute Hacken und Spaten und den Boden der Kapelle von St. Ruth ordentlich durchsuchten, von einem Ende zum andern, und so uns über das Vorhandensein dieses vermeintlichen Schatzes vergewisserten, ohne vor allen Dingen uns weitere Ausgaben zu machen – die Ruinen gehören ja Sir Arthur selber, also kann nichts dagegen eingewendet werden – meinen Sie, wir würden Erfolg haben, wenn wir die Sache in dieser Weise bewerkstelligten?«
»Bah! Nicht ein wintschiges Stücklein Kupfer werden Sie finden – aber Sir Arthur wird tun, was ihm beliebt – ich habe ihm getscheigt, wie es sich machen läßt – wie es mit Sicherheit tschu machen ist – und wie er die große Summe Geldes finden kann, die er zu seinen Unternehmungen braucht – ich habe ihm das Ekschperiment getscheigt – wenn er nicht daran tschu glauben geruht, guter Herr Oldenbuck, so ist es nichts für Hermann Dusterschieler – er büßt nur das Gold ein und das Silber – das is alles.«
Sir Arthur Wardour warf einen eingeschüchterten Blick auf Oldbuck, der besonders, wenn er anwesend war, trotz ihrer häufigen Meinungsverschiedenheit einen großen Einfluß auf das Urteil des Barons hatte. Sir Arthur fühlte, was er freilich nicht gern eingestanden hätte, daß sein Geist dem des Altertümlers überlegen war. Er achtete ihn als einen klugen, scharfsinnigen, sarkastischen Mann, fürchtete sich vor seiner satirischen Ader und hatte Zutrauen zu der allgemeinen Vernünftigkeit seiner Ansichten.
Er sah ihn daher an, als wollte er ihn vorher um Nachsicht bitten, ehe er sich seiner Leichtgläubigkeit überließe. Dusterschieler erkannte, daß ihm sein auf den Leim gegangener Gimpel entgehen würde, wenn er nicht auf den Ratgeber des Barons einen günstigen Eindruck machen könne.
»Ich weiß, mein guter Meister Oldenbuck, es ist ein eitles Beginnen, tschu Ihnen tschu sprechen von den Geischtern und den Kobolden. Aber sehen Sie dieses sonderbare Horn an, ich weiß, Sie kennen alle Merkwürdigkeiten von allen Ländern und wissen, daß das große Horn von Oldenburg, das noch im Museum von Kopenhagen aufbewahrt wird, dem Hertschog von Oldenburg von einer Waldfee gegeben worden ist. Nun könnt ich aber Ihnen wohl keine Fisimatenten vormachen, wenn ich auch wollte, da Sie ja alle Merkwürdigkeiten so gut kennen, und da ist das Horn voll von Müntschen – wäre es eine Schachtel oder ein Kästchen gewesen, so hätte ich nichts gesagt.«
»Daß das ein Horn ist,« sagte Oldbuck, »bestärkt allerdings Ihre Ansicht. – Bei unkultivierten Völkern war es als ein von der Natur geliefertes Gefäß sehr in Gebrauch. Und dieses Horn hier,« fuhr er fort, und rieb es am Ärmel, »ist eine sonderbare und ehrwürdige Reliquie und sollte ohne Zweifel eine
»Nun, Herr Oldenbuck, ich finde Sie immer noch schwer zum Glauben zu bewegen – aber lassen Sie mich Ihnen versichern, die Mönche verstanden das Magisterium.«
»Wir wollen uns nicht weiter auf das Magisterium einlassen, Herr Dusterschieler, sondern ein wenig an den Magistrat denken. Wissen Sie auch, daß diese Beschäftigung von Ihnen gegen das Gesetz Schottlands verstößt, und daß wir beide, Sir Arthur und ich, Mitglieder des Friedensgerichts sind?«
»Mein Himmel! was tut das tschur Sache, wo ich doch alles Gute tue, was ich kann?«
»Es muß Ihnen bekannt sein, daß die Abschaffung der grausamen Gesetze gegen Hexerei und Zauberei keinen Einfluß hatten auf die abergläubischen Neigungen der Menschheit und daß der Aberglauben nach wie vor in der Welt blieb. Damit nun aber diese Gefühle nicht von gerissenen betrügerischen Personen gewinnsüchtig ausgenutzt werden sollen, besteht der Gesetzesparagraph, daß wer in okkulter Wissenschaft oder geheimen Künsten bewandert zu sein vorgibt und behauptet, daß er Güter, die verloren, gestohlen oder verborgen sind, zu entdecken und ans Licht zu bringen vermöge, an den Pranger gestellt und mit Gefängnis bestraft werden soll als gemeiner Schwindler und Betrüger.«
»Und so steht's im Gesetsch?« fragte Dusterschieler bestürzt.
»Sie sollen selber den Paragraphen lesen,« erwiderte der Altertümler.
»Dann, meine Herren, will ich mich empfehlen, das ist alles. Ich habe keine Luscht, an Ihrem sogenannten Pranger tschu stehen – das ist eine sehr schlechte Methode, Luft tschu schnappen, mein ich, und Ihre Gefängnisse hab ich noch viel mehr im Magen, wo man überhaupt nicht Luft schnappen kann.«
»Wenn das Ihr Geschmack ist, Herr Dusterschieler,« sagte der Altertümler, »dann rat ich Ihnen, bleiben Sie, wo Sie sind, denn ich könnte Sie nicht weglassen, es sei denn, Sie gingen mit dem Büttel – und damit nicht genug, ich erwarte sogar, daß Sie uns zu den Ruinen von St. Ruth jetzt gleich begleiten und uns den Platz zeigen, wo Sie den Schatz zu finden denken.«
»Mein Himmel, Herr Oldenbuck! Was ist das für eine Behandlung gegenüber Ihrem alten Freunde, wo ich Ihnen doch klar und deutlich sage, daß, wenn Sie jetscht gehen, Sie auch nicht ein schäbiges Fünfgroschenstück von einem Schatsche finden werden.«
»Ich will aber das Experiment trotzdem versuchen, und Ihr Lohn soll je nach dem Erfolge abgemessen werden – immer natürlich, sofern Sir Arthur es gestattet.«
Sir Arthur hatte während dieses Gesprächs sehr verlegen dreingeschaut, wie, um eine volkstümliche Wendung zu gebrauchen, ein Greis, der sich nicht zu helfen weiß. Oldbucks hartnäckiges Mißtrauen zwang ihn fast dazu, Dusterschieler des Betrugs zu verdächtigen, und die Art und Weise, wie der Adept sich verteidigte, zeigte weniger Entschlossenheit noch, als er selbst ihm zugetraut hatte. Dennoch wollte er ihn nicht völlig aufgeben.
»Herr Oldbuck,« sagte der Baron, »Sie sind im höchsten Maße ungerecht gegen Herrn Dusterschieler. Er hat es unternommen, diese Entdeckung vermittels seiner Kunst zu bewerkstelligen, und Sie verlangen, daß er's bei Gefahr einer Bestrafung machen soll, ohne daß Sie ihm die Anwendung irgendwelcher derartiger Vorbereitungen erlauben, die er für die eigentlichen Mittel hält, zu Erfolgen zu gelangen.«
»Das habe ich nicht direkt gesagt – ich habe nur verlangt, daß er mit dabei ist, wenn wir die Untersuchung vornehmen, und bei uns bleibt, bis wir fertig sind. Ich trau ihm nicht über den Weg, und was jetzt vielleicht noch in St. Ruth versteckt ist, verschwindet vielleicht sonst einstweilen, ehe wir hinkommen.«
»Nun, meine Herren,« sagte Dusterschieler mürrisch, »ich will keinen Einwand machen und mit Ihnen gehen, aber ich sage Ihnen von vornherein, Sie werden nicht soviel finden, daß sichs verlohnt hätte, auch nur tschwantschick Schritt von Ihrer Tür sich tschu entfernen.«
Fräulein Wardour erhielt den Bescheid, daß sie in Monkbarns bleiben möge, bis der Vater von einer kurzen Ausfahrt zurück sein werde. Die junge Dame konnte sich diesen Bescheid nicht recht mit dem von ihr vermuteten Ausgang der Unterredung zwischen den beiden Herren zusammenreimen, aber es blieb ihr vorderhand nichts weiter übrig, als sich in den sehr unangenehmen Zustand banger Spannung zu schicken.
Die Fahrt der Schatzsucher war trübselig genug. Dusterschieler verharrte in finsterem, dickköpfigem Schweigen und dachte zugleich über enttäuschte Hoffnungen und drohende Bestrafung nach. Sir Arthur, dessen goldene Träume allmählich verblaßt waren, betrachtete in düsterer Versunkenheit die Schwierigkeiten seiner Lage; und Oldbuck, der erkannte, daß eine derartige Einmischung in die Angelegenheiten seines Nachbars den Baron eine tatsächliche und wirksame Unterstützung zu erwarten berechtigte, sann mißvergnügt darüber nach, wie weit er wohl oder übel die Börse werde öffnen müssen.
So war jeder für sich in unbehagliches Grübeln versunken, und es wurde kaum ein Wort gesprochen, bis sie den kleinen Gasthof »Zu den vier Pferdehufen« erreichten. Hier verschafften sie sich die nötige Hilfsmannschaft und das Werkzeug zum Graben, und während sie noch hiermit beschäftigt waren, trat plötzlich der alte Bettler Edie Ochiltree zu ihnen.
»Der Herr segne Euer Ehren!« begann der Blaurock, mit dem echten und rechten Greinen des Schnorrers, – »und langes Leben sei Ihnen beschert – es freut mich, daß ich höre, wie bald Kapitän M'Intyre sich wieder erholen wird. – Vergessen Sie an diesem Tage nicht Ihren alten Bettler!«
»Na selbstverständlich, alte ehrliche Haut!« versetzte der Altertümler. »Ihr habt Euch ja nicht wieder sehen lassen in Monkbarns, seit dem Abenteuer am Strande. – Hier habt Ihr was, daß Ihr Euch Schnupftabak kaufen könnt –« und er suchte in der Tasche herum und zog dabei gleichzeitig das Horn hervor, in dem die Münzen waren.
»Ei, und da ist auch was, wo ich ihn hineinstecken kann,« sagte der Bettler, das Widderhorn betrachtend, – »das Horn ist ein alter Bekannter von mir – das alte Schnupftabakshorn möcht ich unter tausenden wiedererkennen – habe es selber manches Jahr bei mir getragen, bis ich es gegen diese Dose hier dem alten Georg Glen, dem Bergwerker von Witershins, abgetreten habe – er war wie versessen drauf.«
»Was Ihr sagt!« rief Oldbuck. »Also umgetauscht habt Ihrs mit einem Bergarbeiter? Aber ich glaube wohl, so gut gefüllt habt Ihrs noch nie zuvor gesehen?« Und er öffnete es und zeigte ihm die Münzen.
»Freilich wohl, das können Sie mir glauben, Monkbarns, wie es noch mein war, ist nie mehr drin gewesen, als meinetwegen für einen Fünfer schwarzer Schnupftabak.«
»Sie können sich nun denken,« sagte Oldbuck, indem er sich an Sir Arthur wandte, »wem Sie den guten Fund in jener Nacht, verdanken. Dieses Füllhorn stammt von einem Grubenarbeiter, und damit sind wir doch wohl einem Freund von uns beiden ziemlich nahe – ich hoffe, wir haben heute morgen ebensoviel Glück, ohne daß wir was dafür zu bezahlen brauchen.«
»Und wo wollen Euer Ehren heute hin,« fragte der Bettler, »mit den Hacken und Spaten? – Potzblitz, das ist doch wieder so ein Streich von Ihnen, Monkbarns, und wenn Sie erlauben, ich geh mit Ihnen – ich will doch sehen, was da los ist.«
Die Gesellschaft war bald bei den Ruinen der Abtei angelangt, und als sie in der Kapelle waren, machten sie Halt, um zu erwägen, was sie zunächst beginnen sollten. Einstweilen wandte sich der Altertümler an den Schwarzkünstler.
»Bitte, Herr Dusterschieler, was raten Sie uns in dieser Angelegenheit? – Haben wir Aussicht auf Erfolg, wenn wir von Osten nach Westen graben, oder sollen wir von Westen nach Osten graben? – oder wollen Sie uns helfen mit Ihrer dreieckigen Phiole voll Maitau oder mit Ihrer Wünschelrute vom Haselstrauch?«
»Herr Oldenbuck,« sagte Dusterschieler verbissen, »ich habe Ihnen schon gesagt, Sie werden gar kein Glück haben mit Ihrer Arbeit, und ich werde für mich selber schon einen Weg finden, Ihnen für die Höflichkeiten tschu danken, die Sie mir erweisen – ja, das werde ich gantsch gewiß.«
»Wenn Euer Ehren den Boden umgraben wollen,« sagte der alte Edie, »und auf den Rat eines alten Kerls hören wollen, so würd ich unter dem alten großen Stein da anfangen, wo in der Mitte draus die Figur ausgestreckt eingegraben ist.«
»Ich habe Grund, diesen Vorschlag selber für gut zu halten,« sagte der Baron.
»Ich habe nichts dagegen einzuwenden,« sagte Oldbuck. »Es war nichts Ungewöhnliches, Schätze in den Grabstätten Verstorbener zu verbergen – dafür gibt es viele Beispiele.«
Der Grabstein, derselbe, unter dem Sir Arthur und der Deutsche die Münzen gefunden hatten, wurde noch einmal zur Seite gehoben, und die Erde gab leicht der Hacke und dem Spaten Raum.
»Hier ist schon gegraben worden,« sagte Edie, »das hackt sich so leicht. Ich kenn mich aus darauf.«
Die Arbeiter waren jetzt soweit, daß sie die Seiten des Grabes erkannten, die durch vier Seitenwände gefestigt waren in Form eines Parallelogramms, das wahrscheinlich zur Aufnahme des Sarges bestimmt war.
»Es verlohnt schon der Mühe,« sagte der Altertümler zu Sir Arthur, »in der Arbeit fortzufahren, wär's auch bloß aus Neugierde. Möchte doch wissen, auf wessen Grabmal sie eine so ungewöhnliche Sorgfalt verwendet haben.«
»Das Wappen auf dem Schild,« sagte Sir Arthur mit einem Seufzer, »ist dasselbe, wie es auf dem Turme Schwarzrocks sich befindet, der der Sage nach von Malcolm dem Usurpator erbaut worden ist. Niemand weiß, wo er begraben worden ist, und es besteht eine alte Prophezeiung in unserer Familie, daß uns nichts Gutes bevorstände, wenn sein Grab gefunden würde.«
»Weiß ich,« sagte der Bettler, »habs oft gehört, wie ich noch ein kleiner Junge war:
Wenn einst das Grab gefunden wird
Von Malcolm mit dem schwarzen Rock,
Verloren und gewonnen wird
Dann Schloß und Land von Knockwinnock.«
Oldbuck hatte die Brille aufgesetzt und war an dem Grabmal niedergekniet und verfolgte halb mit dem Auge, halb mit dem Finger die verwitterten Inschriften auf dem Bildnis des abgeschiedenen Kriegers.
»Das ist das Wappen von Knockwinnock, ganz gewiß,« rief er, »verbunden mit dem Wappen von Wardour.«
»Richard, genannt Wardour mit der Roten Hand,« sagte Sir Arthur, »heiratete Sibylle Knockwinnock, die Erbin der sächsischen Familie, und durch diese Verbindung erhielt das Schloß im Jahre des Herrn 1150 den Namen Wardour.«
Inzwischen fuhren die Arbeiter fort, zu graben, und hatten schon etwa fünf Fuß tief gegraben. Als die Arbeit des Aushebens immer mühsamer wurde, so fingen sie an, der Sache überdrüssig zu werden.
»Wir sind bis auf den Grund,« sagte einer – »und ein Sarg ist nicht da, noch sonst etwas – hier ist schon irgendwer, der's versteht, vor uns dabei gewesen.«
Und der Arbeiter kletterte aus dem Grabe heraus.
»Halt, Bursche,« sagte Edie und kletterte an seine Stelle hinunter, »ich will mal sehn, was ein alter Bettler noch kann – ihr versteht euch wohl aufs Suchen, aber das Finden ist nicht eure Sache.«
Sobald er ins Grab gestiegen war, stieß er seinen Stock wuchtig in den Boden – die Spitze stieß auf Widerstand, und der Bettler rief wie ein schottischer Schuljunge, der etwas findet: »Geteilt wird nicht – alles mein und nichts dem Nachbarn!«
Jedermann, vom niedergeschlagenen Baron bis zum finsteren Adepten, ward jetzt von Neugierde ergriffen, und alles drängte sich um das Grab. Die Arbeiter, die in ihrer eintönigen und anscheinend hoffnungslosen Beschäftigung schon ermattet waren, nahmen das Werkzeug wieder zur Hand und gruben mit dem Eifer der Erwartung weiter. Bald stießen ihre Spaten auf eine harte Holzfläche, die, als die Erde weggeräumt war, die Form einer Kiste zeigte, aber weit kleiner als ein Sarg. Nun griffen alle Hände zu, sie aus dem Grabe zu heben, und alle riefen, wie schwer sie sei und schätzten sogleich ihren Wert.
Als die Kiste außen niedergesetzt worden war, wurde der Deckel mit einer Hacke aufgebrochen. Nun zeigte sich zuerst eine Decke von rauher Leinwand. Dann kam eine Menge Werg zum Vorschein und darunter eine Unzahl Silberstücke. Eine so unerwartete und überraschende Entdeckung wurde mit allgemeinem Jubel begrüßt.
Der Baron warf die Hände zum Himmel empor und schlug die Augen auf, in dem stummen Entzücken eines Mannes, der aus unsäglicher Not erlöst wird. Oldbuck wollte fast seinen Augen nicht trauen und hob ein Stück Silber nach dem anderen auf. Sie hatten weder Inschrift noch Prägung bis auf eines, das spanisch zu sein schien. Er konnte an dem hohen Werte und der Echtheit des Schatzes, der vor ihm lag, nicht zweifeln. Er mußte zugeben, daß Sir Arthur hier etwa tausend Pfund an rohem Metall gefunden habe.
Sir Arthur versprach nun den Arbeitern einen reichen Lohn für ihre Mühe und begann sich schon den Kopf zu zerbrechen, wie dieser reiche Fund am besten nach Knockwinnock zu schaffen sei – da zupfte ihn der Schwarzkünstler am Ärmel. Er hatte sich inzwischen von seinem Erstaunen erholt, brachte demütig seine Glückwünsche dar und wandte sich dann mit einer Miene des Triumphes an Oldbuck.
»Ich habe Ihnen gesagt, mein guter Freund Herr Oldenbuck, ich würde eine Gelegenheit suchen, Ihnen für Ihre Höflichkeit tschu danken, meinen Sie nicht, dah ich jetscht sehr eine gute Gelegenheit gefunden habe, Dank abtschustatten?«
»Herr Dusterschieler, wollen Sie etwa behaupten, Sie hätten irgendwelches Verdienst an unserem guten Erfolg? Sie vergessen, daß Sie uns alle Hilfe abschlugen und uns den Dienst Ihrer Wissenschaft verweigerten. Mann! Und Sie sind auch hier ohne Ihre Waffen, mit denen Sie den Kampf bestehen wollten, den Sie nun für uns mit einem Male gewonnen haben wollen. Sie haben nichts von Ihren Künsten angewendet: Zauber, Siegel, Talisman, Amulett, Pentakulum, magische Spiegel und geomantische Figuren – alles ist unterblieben. Wo sind Ihre Periapten und Ihre Abrakadabras, Mann? Wo Ihr Farnsamen und Ihr Eisenkraut?
Wo Ihre Kröten, Krähen, Drachen, Panther,
Wo Sonne, Mond und Firmament und Sphäre,
Wo Lato, Azoch, Zernick, Schibrit, Hautrit,
Wo Brühen, Säfte und Materien,
Bei deren bloßen Namen man verrückt wird?«
Die Antwort des Adepten auf die Tirade des Altertümlers ist dem folgenden Kapitel vorbehalten.
Viertes Kapitel
Der Deutsche schien entschlossen, die vorteilhafte Position zu behaupten, die ihm die Entdeckung verschafft hatte, und antwortete mit großer Feierlichkeit und Würde auf den Angriff des Altertümlers:
»Meister Oldenbuck, all das mag ja sehe geischtreich und witschick und wohl auch luschtick sein – aber ich habe nichts – aber auch gar nichts – tschu Leuten tschu sagen, die selbst noch nicht an das, was sie mit eigenen Augen sehen, glauben wollen. Es ist sehr wahr, daß ich heute nichts von dem Werktscheug der Kunscht hier habe, und es ist um so wunderbarer, was ich heute vollbracht habe. Aber ich möchte Sie bitten, mein sehr geehrter und guter und edelmütiger Herr Gönner, stecken Sie die Hand in die rechte Weschtentasche und tscheigen Sie mir, was Sie darin finden.«
Sir Arthur erfüllte sein Ansuchen und zog das kleine Silberstück heraus, das er unter den Auspizien des Schwarzkünstlers bei dem ersten Versuche gebraucht hatte.
»Es ist durchaus wahr,« sagte Sir Arthur mit einem ernsten Blick auf den Altertümler, »das ist das geläuterte und berechnete Siegel, mit dem Herr Dusterschieler und ich unsere erste Entdeckung bewirkt haben.« –
»Pfui, pfui, mein lieber Freund,« sagte Oldbuck, »Sie sind zu gescheit, um an die Zauberkraft eines lumpigen Kronenstückes zu glauben, das dünngeschlagen und bloß ein bißchen zerkratzt worden ist. Ich sage Ihnen, Sir Arthur, wenn Dusterschieler gewußt hätte, wo er diesen Schatz allein hätte finden können, dann hätten Sie keinen Deut davon zu sehen bekommen.«
»Wenn Euer Ehren nichts dagegen haben,« sagte Edie, der bei allen Gelegenheiten, wie es im Volksmunde heißt, seinen Senf dazuzugeben hatte, »wenn Herr Dusterschieler soviel Verdienst an der Entdeckung des Schatzes hat, so können Sie ihm, meine ich', zum wenigsten zugestehen, daß alles, was für seine Arbeit noch übrig ist, ihm gehören soll, denn der, der gewußt hat, wo so viel zu finden ist, weiß ohne Frage auch, wo noch mehr zu finden ist.«
Als Dusterschieler diesen Vorschlag hörte, zog er ein sehr finsteres Gesicht, aber der Bettler zog ihn zur Seite und flüsterte ihm etwas ins Ohr, das ihn sehr zu interessieren schien.
Inzwischen sagte Sir Arthur, dem von seinem Glücke das Herz voll war, mit lauter Stimme:
»Kümmern Sie sich nicht um unseren Freund Monkbarns. Herr Dusterschieler, sondern kommen Sie morgen ins Schloß, und ich werde Sie überzeugen, daß ich nicht undankbar bin für die Winke, die Sie mir in dieser Sache gegeben haben, und die schmutzige Fairporter Fünfzigpfundnote, wie Sie sich ausdrücken, steht herzlich gern zu Ihrer Verfügung. Nun, Leute, macht den Deckel über dieser kostbaren Kiste wieder fest!«
Aber der Deckel war in der Verwirrung zur Seite in das Gestrüpp gefallen oder unter die lose Erde geraten, die aus dem Grabe geworfen war, – kurz, er war nicht mehr zu sehen.
»Leute,« sagte Sir Arthur, »kommt mit mir nach den Vier Pferdehufen, damit ich mir alle Eure Namen aufschreiben kann. Dusterschieler, ich möchte Sie nicht auffordern, jetzt mit nach Monkbarns zu kommen, da zwischen dem Laird und Ihnen eine so große Meinungsverschiedenheit herrscht, aber Sie kommen bestimmt morgen zu mir.«
Dusterschieler knurrte eine Antwort, in der nur die Worte zu vernehmen waren: – »Pflicht – mein sehr geehrter Herr Gönner! – und Sir Arthur besuchen« – und als der Baron und sein Freund die Ruinen verlassen hatten, begleitet von den Arbeitern, die auf Lohn und Branntwein hofften, blieb der Schwarzkünstler in tiefstem Sinnen neben dem offenen Grabe stehen.
»Wer hätte das denken sollen?« rief er unwillkürlich aus. »Meine Heiligkeit! Ich habe von solchen Dingen gehört und ich habe von solchen Dingen oft gesprochen, aber, sapperment, ich hätte nie gedacht, daß ich es leibhaftig schauen würde. Und wenn ich nur drei Fuß tiefer gegangen wäre, mein Himmel! Dann wäre alles mein eigen gewesen! – soviel mehr, als ich bis jetscht tropfenweis diesem Schafskopf abgetschwickt habe.«
Der Deutsche brach sein Selbstgespräch ab, denn, indem er die Augen aufschlug, begegnete er dem Blick Edie Ochiltrees, der nicht mit den anderen gegangen war, sondern, wie gewöhnlich auf seinen Stab gestützt, sich auf der anderen Seite des Grabes aufgepflanzt hatte.
Die Züge des alten Mannes, die von Natur fast einen spitzbübischen Ausdruck hatten, schienen jetzt so schlau und pfiffig, daß selbst die Dreistigkeit Dusterschielers, der doch ein Abenteurer von Profession war, gegen dieses Mienenspiel nicht aufkommen konnte.
Aber er begriff, daß es notwendig sei, sich mit ihm einzulassen, faßte sich ein Herz und begann sogleich den Bettler über die Vorfälle des Tages auszufragen:
»Guter Meister Edie Ochiltree ...«
»Edie Ochiltree schlechtweg, nicht Meister oder Herr – nur der arme Bettelmann des Königs,« antwortete der Blaurock.
»Na schön, schön, guter Edie also, was halten Sie von dem allen?«
»Ich dachte eben, es wäre doch sehr freundlich, denn ich darf nicht sagen sehr einfältig, von Euer Ehren gewesen, daß Sie diesen beiden reichen Herren, die Länder und Lordschaften besitzen, diesen großen Silberschatz gegeben haben (der dreimal im Feuer gefeit ist, wie die Schrift sagt), wo doch mit ihm Sie selber und noch ein paar ehrliche Kerle außerdem so glücklich und zufrieden hätten werden können, wie der Tag lang ist.«
»Allerdings Edie, mein ehrlicher Freund, das ist sehr wahr, nur wußte ich gar nicht, das heißt, ich war nicht genau darüber unterrichtet, wo ich das Geld selber hätte finden können.«
»Was! So sind Monkbarns und der Ritter von Knockwinnock nicht auf Ihren Rat und Vorschlag hin hierhergekommen?«
»Aha – ja doch – aber es verhält sich eben ein bißchen anders. Ich wußte nicht, daß sie den Schatsch finden würden, mein Freund, allerdings habe ich mir bei dem Krakehl und dem Husten und Niesen neulich nachtsch unter den Geischtern dahier gleich gedacht, daß hier ein Schatsch und edles Metall läge. Ach, mein Himmel! Der Geischt wird nun schön hinter seinem Gelde herheulen, wie ein deutscher Bürgermeister hinter seinen Talern nach einem Festessen im Stadthause.«
»Und glauben Sie wirklich an so etwas, Herr Dusterschieler? Ein kundiger Mann wie Sie – pfui doch!«
»Mein Freund,« sagte der Alchimist, durch die Umstände gezwungen, ein wenig mehr als sonst aus sich herauszugehen – »ich habe nicht mehr daran geglaubt, als Sie oder irgend ein Mensch, bis ich sie selber habe heulen und stöhnen und winseln hören mit meinen eigenen Ohren neulich in der Nacht, und bis ich heute die Geschichte gesehen habe, eine große Kiste voll bis zum Rande von lauterm Silber aus Mekschiko – und was soll ich denn nun anders denken?«
»Und was würden Sie wohl einem Manne geben, der Ihnen zu einer anderen solchen Kiste voll Silber verhelfen würde?«
»Was ich gäbe? Mein Himmel! – ein großes, riesengroßes Viertel davon!«
»Nun, wenn ich das Geheimnis besäße,« sagte der Bettler, »so würde ich mir eine Hälfte ausbedingen, denn sehen Sie, wenn ich auch ein armes Luder bin und kein Geld mit mir herumtragen könnte, so hab ich doch Leute genug, die es mir aufheben würden mit besserm Profit für mich, als Sie denken.«
»Ach Himmel! Mein guter Freund, was hab ich gesagt? – Ich wollte sagen, Sie sollten die drei Viertel davon haben, und das letschte Viertel sollte mein gerechter Anteil sein.«
»Nein, nein, Herr Dusterschieler, wir wollen zu gleichen Teilen, was wir finden, unter uns verteilen, wie Bruder und Bruder. Nun, sehen Sie diesen Deckel an, den ich eben beiseite getan habe, während Monkbarns das Silber da unten anstarrte. Er hat ein scharfes Auge, Monkbarns. Ich war froh, daß ich das Ding ihm aus der Nase gerückt hatte. Sie werden vielleicht die Schrift besser lesen können, als ich – ich bin nicht so gelehrt – wenigstens bin ich nicht so geübt darin.«
Mit dieser bescheidenen Versicherung seiner Unkenntnis brachte Ochiltree hinter einer Säule den Deckel der Schatzkiste hervor, der achtlos beiseite geworfen und dann von dem Bettler versteckt worden war.
Ein Wort und eine Zahl stand auf dem Holze, und der Bettler spuckte in sein Taschentuch und rieb die Erde ab, damit sie deutlicher zu sehen sein sollten. Schrift und Zahl waren im alltäglichen Schwarzdruck aufgepreßt.
»Können Sie es entziffern?« fragte der Bettler den Schwarzkünstler.
»S,« sagte der Philosoph, wie ein Kind, das Fibelstunde hat, »S, A, C, H, E. – Sache – das besagt allerdings gar nichts.«
»Sache!« rief Edie Ochiltiee. »Nein, nein Herr Dusterspieler, Sie verstehen sich doch mehr aufs Beschwören als aufs Lesen –
»Aha! – Jetscht seh ichs.
»Wohl, das mag schon sein – aber jetzt können wir nicht danach graben – wir haben keine Schaufeln, denn sie haben sie mitgenommen, und womöglich werden ein paar wieder hergeschickt, um die Erde ins Loch zu werfen und alles wieder sauber zu machen. Aber wenn Sie mich hier an dieser Stelle um zwölf Uhr mit einer Laterne treffen wollten, dann will ich Werkzeug bei der Hand haben, und wir wollen beide in aller Ruhe an die Arbeit gehen, und keine Menschenseele soll etwas davon merken.«
»Ja, aber, mein guter Freund,« sagte Dusterschieler, – aus dessen Gedächtnis das vorige nächtliche Abenteuer sich nicht völlig vertilgen ließ, – »es ist zu solcher Nachttscheit durchaus nicht so geheuer in der Gegend des Grabes von unserem guten Freund Malcolm mit dem schwartschen Rock. Sie haben vergessen, was ich Ihnen ertschählt habe – daß die Geischter da geheult und gejammert haben. Ich sage Ihnen, dorten spuktsch.«
»Wenn Sie sich vor Gespenstern fürchten,« antwortete der Bettler kühl, »dann will ich die Sache allein machen und Ihnen Ihren Teil an dem Silber irgend wohin bringen, wohin Sie mich bestellen wollen.«
»Nein – nein, mein ausgetscheichneter alter Herr Edie, »tschu viel Mühe für Sie – das will ich nicht haben – ich werde selber kommen – und das wird das allerbeschte sein – denn, mein alter Freund, ich war's, ich, Hermann Dusterschieler, der das Grab des Meisters Schwartschrock entdeckt hat. Ich sah mich nämlich nach einem Fleckchen um, wo ich ein paar lausige Müntschen vergraben konnte – bloß um meinem lieben Freund Sir Arthur einen kleinen Streich tschu spielen so tschum Tscheitvertreib und Amüsement – ja, da hab ich ein bißchen sogenannten Schutt weggeräumt und dabei das Grab und das Monument vom guten Meister Schwartschrock entdeckt. Es hat den Anschein, als wollte er mich tschu seinem Erben haben, und da wäre es doch sehr unhöflich, wenn ich nicht selber käme, meine Erbschaft antschzutreten.«
»Dann um zwölf Uhr,« sagte der Bettler, »wir treffen uns unter diesem Baume.«
»Gut so, mein guter Meister Edie, ich will hier mit Ihnen tschusammentreffen, und wenn sich auch alle Geischter rein närrisch klagen und heulen sollten.«
Mit diesen Worten schüttelte er dem alten Manne die Hand, und unter solcher gegenseitiger Versicherung der Pünktlichkeit gingen sie auseinander.
Fünftes Kapitel
Es war eine stürmische Nacht mit Wind und Regenschauern.
»Ach du meine Zeit,« sagte der alte Bettler, indem er sich an der geschützten Seite der alten Eiche niederhockte, um auf seinen Gefährten zu warten. – »Was doch die Menschennatur für ein launisches, wunderliches Ding ist! – Aus purer Gewinnsucht kommt dieser Dusterwühler hierher in diesem Sturm und Unwetter um zwölf Uhr nachts an diese wilde Stätte! Und bin ich nicht ein größerer Narr als er, daß ich hier sitz und auf ihn warte?«
Nach diesen weisen Betrachtungen hüllte er sich in den Mantel und heftete das Auge auf den Mond, der durch die stürmischen düsteren Wolken glitt. Der trübselige ungewisse Schein, den er durch die vorüberziehenden Schatten warf, fiel voll auf die Bogen und Fenster des alten Gebäudes, die so in ihrem Verfall auf einen Augenblick deutlich sichtbar wurden und dann wieder als dunkle, undeutliche, schattenhafte Masse erschienen.
»Ich hab in Deutschland und in Amerika auf Posten gestanden,« sagte der Bettler zu sich selber, »in mancher schlimmern Nacht, wo ich wußte, daß ein Dutzend Scharfschützen vor mir im Dickicht liegen konnten. Aber ich hab meine Pflicht getan, und nie hat jemand Edie schlafend ertappt.«
Während er so vor sich hinsprach, schulterte er unwillkürlich seinen Stock und stellte sich hin wie eine Schildwache, und als sich Schritte dem Baume näherten, rief er in einem Tone, der besser zu seinen militärischen Erinnerungen als zu seinem gegenwärtigen Zustande paßte: »Halt! Wer da?«
»Tschum Satan, guter Edie,« antwortete Dusterschieler, »was brüllen Sie hier wie ein Bärenhäuter oder wie eine Schildwache?«
»Weil ich eben im Augenblick dachte, ich wär eine Schildwache,« antwortete der Bettler. Eine entsetzliche Nacht ist's – haben Sie eine Laterne und einen Quersack, wo wir das Silber hineintun können?«
»Ja – ja – mein guter Freund,« sagte der Deutsche, »hier ist ein doppelter sogenannter Sattelsack. Eine Seite ist für Sie, eine Seite für mich – ich nehme beide nachher auf mein Pferd, damit Sie es nicht selber tschu tragen brauchen, denn Sie sind ein alter Mann.«
»Sie haben also ein Pferd hier?« fragte Edie Ochiltree.
»O ja, mein Freund, da drüben habe ich's angebunden,« antwortete der Schwarzkünstler.
»Na, da hab ich ja auch ein Wort mitzureden, von meinem Anteil soll nichts auf den Rücken des Pferdes kommen.«
»Was sollten Sie dabei tschu befürchten haben?« '
»Bloß, daß mir Mann, Pferd und Geld ausreißen könnten,« versetzte der Landstreicher.
»Wissen Sie auch, daß Sie damit einen Ehrenmann tschu einem großen Schurken stempeln?«
»Mancher Ehrenmann kann das aus sich machen,« erwiderte Ochiltree. »Aber wozu streiten wir uns? Wenn Sie Lust haben, dann wollen wir uns ans Werk machen, wenn nicht, so kehr ich zurück zu meinem gemütlichen Strohlager bei Ringan Eichholz und nehme Schaufel und Spaten wieder mit, wo ich sie her habe.«
Obwohl innerlich vor Wut kochend, nahm doch Dusterschieler den schmeichelnden Ton an, in dem er zu sprechen pflegte, und bat seinen Freund, den guten Meister Edie Ochiltree, er möchte ihn führen, und versicherte ihm, daß er mit allem einverstanden wäre, was ein so ausgezeichneter Freund vorschlagen würde. »Na schön,« sagte Edie, »dann sehen Sie sich vor, daß Sie in dem langen Grase nicht über lose Steine fallen.«
Mit diesen Worten schritt Edie voran, der Ruine zu, und der Adept folgte ihm auf den Fersen. Gleich darauf aber blieb er wieder stehen.
»Sie sind ein Gelehrter, Herr Dusterspieler, und wissen viel über das wunderbare Wirken der Natur – wollen Sie mir eines sagen? Glauben Sie daran, daß Geister und Gespenster auf der Erde wandeln? Glauben Sie daran? – ja oder nein?«
»Ei, guter Herr Edie,« flüsterte Dusterschieler in mahnendem Tone, – »ist jetscht eine Tscheit und ist dies ein Ort, solche Fragen tschu stellen?«
»Das ist es in der Tat, Herr Dusterspieler, denn ich muß Ihnen offen sagen, es geht die Rede, daß der alte Schwarzrock umgeht. Nun wär das aber eine sehr häßliche Nacht für ein Zusammentreffen mit ihm, und wer weiß, ob er über unseren Besuch bei seinem Grabe sehr erfreut sein würde.«
»Alle guten Geister,« murmelte der Adept, und der Rest der Beschwörungsformel verlor sich in einem zitternden Brummen, »ich wünschte nur, Sie sprächen nicht so, Herr Edie, denn nach allem, was ich neulich Nacht gehört habe, glaube ich sehr stark ...«
»Na, ich,« sagte Ochiltree und trat in die Kapelle, indem er mit einer trotzigen Gebärde den Arm schwenkte, »ich würde nicht soviel mehr für ihn geben, wenn er jetzt in diesem Augenblicke erschiene – er ist nur ein lebloses Wesen, und in uns ist Leben und Kraft.«
»Um der Liebe des Himmels willen,« sagte Dusterschieler, »sagen Sie nichts von solchen Dingen!«
»Schön,« sagte der Bettler, indem er den Schirm von der Laterne nahm, »hier ist der Stein, und Geist oder kein Geist, ich will noch ein bißchen tiefer ins Grab.«
Und er sprang hinein, und nachdem er ein paar Stiche mit dem Spaten getan hatte, wurde er müde, oder er stellte sich wenigstens so – und sagte zu seinem Gefährten:
»Ich bin schon alt und schwach und kanns nicht halten – kommen Sie herein und nehmen Sie die Hacke ein bißchen, nachher löse ich Sie wieder ab.«
Dusterschieler stieg daher an Stelle des Bettlers hinein und arbeitete mit all dem Eifer, den die Habgier – freilich hatte auch das bange Verlangen, fertig zu werden und sobald wie möglich die unheimliche Stätte zu verlassen, seinen Teil daran – in einem zugleich gewinnsüchtigen und furchtsamen Gemüt erwecken konnte.
So arbeitete denn Dusterschieler unter den Steinen und dem harten Boden wie ein Pferd und fluchte innerlich auf deutsch. Wenn solch ein unheiliges Wort seinen Lippen entschlüpfte, begann Edie, der ihm in aller Gemütsruhe bei seiner schweren Arbeit zusah:
»O fluchen Sie nicht, fluchen Sie nicht! Wer weiß, wer's hören kann? – He, Gott sei bei uns! was ist das da? – He, es ist weiter nichts als ein Efeublatt, das von der Mauer weggeflattert ist. Wie der Mond darauf schien, sah es doch ganz aus wie der Arm eines Toten mit einer Kerze in der Hand. Dacht ich doch, es war der Schwarzrock selber. Aber lassen Sie sich nicht stören – arbeiten Sie weiter – werfen Sie die Erde hierher – fein verstehen Sie die Arbeit, wie ein echter und rechter Totengräber! Was halten Sie denn jetzt an?«
»Halt!« sagte der Deutsche in einem Tone der Wut und Enttäuschung. – »Ich bin auf den Felsen geraten, auf dem diese verfluchten Ruinen – Gott vertscheih mir – gebaut worden sind.« »Gut,« sagte der Bettler, »das wird nur ein Stein sein, der dazwischen geschoben ist, damit man das Gold nicht sogleich sehen soll. Hauen Sie drauf, Mann – ein ordentlicher derber Schlag, und er wird zersplittern, dafür steh ich Ihnen. Na, so ist es recht!« Durch Edies Aufforderungen veranlaßt, hatte in der Tat der Adept ein paar verzweifelte Schläge geführt und zwar nicht den Stein – denn wie er vermutet hatte, war es allerdings der harte, feste Felsen – dafür aber das Werkzeug, das er führte, zerbrochen, und ein Krampf fuhr ihm durch die Arme bis hinauf in die Schulterblätter.
»Hurra! Ringans Hacke ist zum Teufel!« rief Edie. »Eine Schande ist's, daß das Volk in Fairport so zerbrechliches Werkzeug verkauft! Versuchen Sie's mit der Schaufel. Nochmals ans Werk, Herr Dusterwühler!«
Ohne eine Antwort kletterte der Adept heraus aus der Grube, die sechs Fuß tief war, und wandte sich an seinen Gefährten in einem Tone zitternder Wut.
»Wissen Sie, Herr Edie Ochiltree, wer es ist, mit dem Sie Ihre Witsche und Schertsche reißen?«
»Sehr gut, Herr Dusterwühler, sehr gut kenn ich Sie, und hab Sie schon lange gekannt, aber von Witzen und Scherzen ist hier gar keine Rede, denn mir liegt daran, daß wir unseren Schatz zu sehen kriegen – wir hatten längst schon den Mantelsack vollhaben müssen. Hoffentlich ist er groß genug, daß alles hineingeht?«
»Warten Sie, Sie gemeine alte Person,« sagte der vor Wut rasende Philosoph, »wenn Sie noch einen Mumpitsch, mit mir treiben, dann schlag ich Ihnen mit dieser Schaufel den Schädel ein!«
»Und wo wären dann wohl meine Hand und mein Stock hier?« versetzte Edie in einem Tone, der keine Furcht verriet. »Papperlappapp! Herr Dusterwühler, ich habe nicht so lange auf dieser Welt gelebt, daß ich nun auf diese Weise hinausgeschaufelt werden sollte. Was tut Ihnen denn weh, Mann, daß Sie sich mit Ihren Freunden zanken? Ich wette, ich finde den Schatz in einer Minute!«
Und er sprang in die Grube und ergriff den Spaten.
»Ich schwöre Ihnen,« sagte der Adept, dessen Verdacht nun voll erwacht war, »wenn Sie mir einen groben Streich gespielt haben, so will ich's Ihnen heimtschahlen mit groben Hieben.«
»Da hör ihn einer,« sagte Ochiltree, »er weiß, wie der Hase läuft! Wer nicht selber hinter der Tür gesteckt hat, vermutet keinen anderen dahinter.«
Bei dieser Bemerkung, die wahrscheinlich auf den Auftritt des Adepten mit Sir Arthur gemünzt war, verlor der Philosoph den letzten Rest an Geduld, der ihm noch verblieben war, und da er überhaupt wilden, leidenschaftlichen Charakters war, hob er den Stumpf der zerbrochenen Hacke, um sie auf das Haupt des alten Mannes niedersausen zu lassen.
Der Schlag wäre aller Wahrscheinlichkeit nach verhängnisvoll gewesen, wenn nicht der, dem er galt, in strengem, festem Tone ausgerufen hätte:
»Schande über Sie, Mann! Glauben Sie, Himmel oder Erde ließen es zu, daß Sie einen alten Mann ermorden, der Ihr Vater sein könnte? Mann, sehen Sie sich um!«
Unwillkürlich wandte Dusterschieler sich um, und zu seinem größten Erstaunen sah er eine große, dunkle Gestalt dicht hinter sich stehen.
Die Erscheinung ließ ihm nicht Zeit, mit Beschwörung oder in anderer Weise gegen sie vorzugehen, sondern ging sogleich zur Tat über und ließ mehrere so wuchtige Schläge auf die Schultern des Adepten niederrasseln, daß er zusammenbrach und zwischen Furcht und Betäubung eine Weile besinnungslos liegen blieb.
Als er wieder zu sich kam, war er allein in der verfallenen Kapelle und lag auf der weichen, feuchten Erde, die aus Schwarzrocks Grab geworfen worden war. Er erhob sich mit einer gemischten Empfindung von Wut, Schmerz und Entsetzen, und erst, nachdem er ein Weilchen aufgerichtet dagesessen hatte, konnte er hinreichend Ordnung in seine Gedanken bringen, um sich zu erinnern, wie und in welcher Absicht er hierhergekommen war.
Als ihm alles wieder einfiel, konnte er nicht daran zweifeln, daß die Lockspeise, mit der Edie Ochiltree ihn an diesen einsamen Ort gebracht hatte, der Spott, durch den er einen Zank mit ihm heraufbeschworen hatte, und die pünktlich bereite Hilfe, die den Streit beendet hatte – daß dies alles von vornherein abgekartete Sache war, um Hermann Dusterschieler Schande und Schaden zuzufügen.
Er konnte kaum denken, daß er die schwere Arbeit, die Angst und die erlittenen Schläge allein der Bosheit Edie Ochiltrees verdanke, sondern meinte, daß der Bettler nur als Werkzeug einer wichtigeren Person tätig gewesen sei. Sein Argwohn schwankte zwischen Oldbuck und Sir Arthur Wardour. Daß es der letztere sei, hatte seines Erachtens die größere Wahrscheinlichkeit für sich, denn wenn Sir Arthur wohl auch noch nicht all seine Schlechtigkeit in ihrem vollen Umfange durchschaut haben mochte, so mußte der Adept doch vermuten, daß er wohl genug vom wahren Sachverhalt erfahren haben mußte, um Vergeltung an ihm zu üben.
Dusterschieler hatte sich daher kaum in die Höhe gearbeitet, so hatte er auch bei sich selber schon geschworen, seinen Wohltäter ins Verderben zu stürzen, und unglücklicherweise lag es nur zu sehr in seiner Macht, den Zusammenbruch des Barons zu beschleunigen.
Aber für die Rachegedanken, die ihm im Hirne rumorten, war jetzt nicht die Zeit. Die Stunde, die Stätte, seine eigene Lage, die Gegenwart oder vielleicht die Nähe derer, die ihn überfallen hatten, lenkten alles Sinnen des Adepten zunächst auf Selbsterhaltung. Die Laterne war umgefallen und in dem Ringen erloschen. Der Wind, der zuvor so laut durch die Bogen der Ruine geheult hatte, war fast ganz zur Ruhe gegangen, unterdrückt von dem Regen, der leise und stark herniederfiel. Der Mond war nun völlig verfinstert, und obwohl Dusterschieler einigermaßen in den Ruinen Bescheid wußte, und er sich darüber klar war, daß er das östliche Tor der Kapelle zu erreichen versuchen müsse, so waren doch seine Begriffe derartig verwirrt, daß er eine Zeitlang ratlos stand und nicht wußte, in welcher Richtung er es zu suchen habe. In dieser Verwirrtheit gewann wiederum der Aberglaube, unterstützt durch die Finsternis und sein böses Gewissen, die Oberhand über ihn.
»Ah bah!« sagte er tapfer zu sich selber, »das ist alles Mumpitsch! – Das ist alles weiter nichts als großer, riesengroßer Schwindel und Betrug! Teufel! ein dicknischeliger schottischer Baron, den ich fünf Jahre lang an der Nase herumgeführt habe, sollte jetscht Hermann Dusterschieler tschum Narren haben!«
Als er zu diesem Schluß gekommen war, da geschah etwas, das wohl angetan war, den Boden, auf den er sich in diesen Betrachtungen gestellt hatte, zu erschüttern. Mitten in dem melancholischen Geseufze des Windes und dem leisen Plätschern des Regens auf Blätter und Steine erhob sich plötzlich, und allem Anschein nach nicht weit von dem Hörer, eine klangvolle, melodische Musik, die in ihrer Schwermut und Feierlichkeit ganz so klang, als ob die abgeschiedenen Geister der Kirchenmänner, die einst diese verlassenen Ruinen bewohnt hatten, über die Einsamkeit und die Verwüstung klagten, denen ihre geweihte Wohnstätte preisgegeben war.
Dusterschieler, der sich jetzt emporgerafft hatte und an der Mauer der Kapelle tastend entlangschlich, stand wie angewurzelt, als dieses neue Wunder sich ereignete. Jede Fähigkeit seiner Seele schien für den Augenblick mit in den Sinn des Hörens einbezogen, und alle schienen ihm einstimmig die Überzeugung aufzudrängen, daß der tiefe, wilde, langgezogene Gesang, den er jetzt hörte, eine der feierlichsten Totenweisen der römischen Kirche sei.
Warum sie in dieser Einsamkeit gesungen wurde, und von was für einer Art Choristen sie gesungen wurde, das waren Fragen, die die entsetzte Phantasie des Adepten, in der all der deutsche Aberglaube von Nixen, Erlkönigen, Werwölfen, Kobolden, Waldschratten und schwarzen Geistern, weißen Geistern, blauen Geistern und grauen Geistern bunt durcheinander spukte, nicht zu beantworten wagte.
Bald wurde ein anderer seiner Sinne von dem Wunder beansprucht. Am Ende eines der Durchgänge der Kirche, am Grunde einer kleinen Treppe von wenigen hinunterführenden Stufen war eine kleine Eisengittertür, die, soweit er sich erinnerte, in ein tiefes Gewölbe, eine Art Sakristei, führte. Als er nach der Richtung hinschaute, aus der die Musik erscholl, bemerkte er einen starken, glühroten Lichtschein, der durch das Gitter fiel. Dusterschieler stand einen Augenblick unschlüssig, was er tun sollte. Dann faßte er plötzlich einen verzweifelten Entschluß und schritt den Bodengang hinab nach der Stelle, von der das Licht ausging.
Er schlug das Zeichen des Kreuzes zu seiner Stärkung und murmelte so viel Beschwörungsformeln, wie sein Gedächtnis ihm eingab – und so näherte er sich dem Gitter, von dem aus er, ungesehen, sehen konnte, was im Innern der Gruft vorging. Als er mit scheuen unsicheren Schritten herantrat, erstarb nach einigen wilden, langgezogenen Tönen der Gesang, und tiefes Schweigen herrschte. Das Gitter ließ ihn ein seltsames Bild im Innern der Sakristei erschauen.
Ein offenes Grab mit vier großen, etwa sechs Fuß hohen Fackeln an den vier Ecken – eine Bahre und ein Leichnam darauf – die Arme auf der Brust gefaltet – dicht an einer Seite des Grabes, als sollte er eben bestattet werden. Ein Priester mit Hut und Meßgewand hielt das offene Andachtbuch in der Hand – ein anderer trug, gleichfalls im Ornat, ein Becken mit Weihwasser – und zwei Knaben in weißen Hemden hielten das Geschirr mit dem Weihrauch – ein Mann, einst von hohem, gebietendem Wuchse, jetzt von Alter oder Schwäche gebeugt, stand allein und dem Sarge am nächsten in der Tracht tiefster Trauer. Dies waren die hervorragenden Erscheinungen in dem Bilde.
Ein Stückchen weiter entfernt standen ein paar Gestalten beiderlei Geschlechts in langen Trauergewändern, und noch mehr, etwa sechs an der Zahl, ebenfalls schwarz gekleidet, standen in noch größerer Entfernung an den Wänden der Gruft entlang, regungslos aufgestellt, jeder eine große Fackel von schwarzem Wachs in der Hand.
Das qualmige Licht, das von so vielen Fackeln ausging, verbreitete eine rote, undeutliche Atmosphäre und gab den Umrissen dieser seltsamen Erscheinung ein nebliges, unklares und in der Tat geisterhaftes Gepräge. Die Stimme des Priesters las jetzt laut, klar und volltönend aus dem Brevier, das er in der Hand hielt, die feierlichen Worte vor. die im Ritus der katholischen Kirche für Beerdigungen vorgeschrieben sind.
Inzwischen stand Dusterschieler noch immer am Gitter und war sich nicht klar darüber, ob das Bild, das sich ihm zeigte, der Wirklichkeit angehörte, oder ob es eine unirdische Darstellung der Zeremonien war, die in früheren Zeiten in diesen Mauern üblich waren, jetzt aber in protestantischen Ländern selten und in Schottland fast nie mehr ausgeübt wurden. Er wußte nicht, ob er die Feierlichkeit mit ansehen oder sich ans der Kapelle hinwegstehlen sollte, da verriet eine Bewegung seine Anwesenheit, und einer aus dem Trauergefolge erblickte ihn durch das Gitter. Die Person machte sofort durch einen Wink den Mann, der dem Sarge am nächsten stand, darauf aufmerksam, und als darauf er mit der Hand winkte, traten zwei aus der Gruppe heraus, kamen mit geräuschlosen Schritten heran, als fürchteten sie die Feier zu stören, und schlössen das Tor auf, das sie von dem Adepten trennte.
Jeder von beiden nahm ihn an einem Arme, und mit Gewalt – soweit sie bei seiner widerstandslosen Furcht sie anwenden mußten, setzten sie ihn in der Kapelle nieder und nahmen neben ihm Platz zu beiden Seiten, wie um ihn festzuhalten.
Beruhigt, daß er sich in der Gewalt von Menschen befand, die sterblich waren wie er, hätte der Adept sie gern ausgefragt, aber der eine deutete auf die Gruft, aus der die Stimme des Priesters deutlich herausklang, und der andere legte den Finger auf den Mund, ihn zur Ruhe zu ermahnen, und der Adept hielt es für das klügste, sich danach zu richten.
Und so hielten sie ihn, bis ein lautes Hallelujah, das durch die verlassenen Wölbungen von St. Ruth hallte, die seltsame Feier schloß, zu deren Zeugen ihn der Zufall bestimmt hatte.
Als der Hymnus und jedes Echo verklungen war, sagte einer von den Männern, die Dusterschieler hielten, in vertrautem Ton und Dialekt:
»Du liebe Güte, sind Sie das, Herr Dusterschieler? Sie hätten es uns doch sagen können, wenn Sie gern der Feier beiwohnen wollten! – Nur konnte mein Herr nicht erlauben, daß Sie so hier hereinguckten.«
»Im Namen aller irdischen und himmlischen Güte, sagen Sie mir, wer Sie sind?« unterbrach ihn der Deutsche. »Wer ich bin? Ei, wer sollt ich weiter sein als Ringan Eichholz, der Förster von Knockwinnock? Und was treiben Sie hier zu dieser Nachtzeit – wollten doch wohl bloß dem Begräbnis der Gnädigen beiwohnen?«
»Ich erkläre Ihnen, mein guter Meister Förschter Eichholtsch Ringan,« sagte der Deutsche, indem er sich erhob, »in dieser selben Nacht bin ich ermordet, beraubt und in drohende Furcht um mein Leben versetscht worden!«
»Beraubt? Wer sollte hier eine solche Tat begehen? Ermordet? Na, Sie reden noch ziemlich kräftig für einen Ermordeten. Furcht um Ihr Leben? Was hätte Ihnen denn Furcht einjagen können, Herr Dusterschieler?«
»Das will ich Ihnen sagen, Meister Förschter Eichholtsch Ringan, der alte, verkrüppelte, hündische, schurkische Blaurock, der sogenannte Edie Ochiltree ist es gewesen.«
»Das glaub ich im Leben nicht,« sagte Ringan. »Ich habe Edie gekannt und mein Vater vor mir – wir haben ihn immer nur gekannt als braven, treuen und friedliebenden Mann, und er schläft unten in unserer Hütte, und ist dort seit zehn Uhr abends.«
»Meister Ringan Eichholtsch Förschter, ich sage Ihnen, ich bin diesen Abend um fufftschig Pfund beraubt worden von Ihrem braven friedliebenden Freund Edie Ochiltree, und ich sage Ihnen, er ist jetscht ebensowenig in Ihrer Hütte, als ich je in das Königreich des Himmels tschu gelangen hoffe.«
»Nun Herr, wenn Sie mit mir kommen wollen, sobald die Trauergesellschaft sich zerstreut hat, dann wollen wir Ihnen bei uns ein Bett zurecht machen und sehen, ob Edie noch in der Scheune ist. Als wir mit der Leiche heraufkamen, sind zwei wild aussehende Kerle aus der Kirche verschwunden, das steht fest.«
Mit diesen Worten zog der freundliche Mann, dem die stumme Person – sein Sohn – dabei behilflich war, den Mantel aus, und beide geleiteten nun den Adepten, um ihn zur Ruhe zu bringen, deren er so sehr bedurfte.
»Ich wende mich morgen an die Obrigkeit,« sagte Dusterschieler, »oder all diesen Schweinehunden hetsch ich die Politschei und die Juschtitsch auf den Hals.«
Sechstes Kapitel
In der Fischerhütte von Mucklebackit sah es recht unordentlich, ja schmutzig aus. Aber bei allem Schmutz hatten Luckie Mucklebackit und ihre Familie in ihrem Äußern alle etwas Behagliches, so daß das alte Sprichwort: »Je klatriger, um so gemütlicher« hier zur Wahrheit zu werden schien. Auf dem Herde brannte ein riesiges Feuer, obwohl es Sommer war – es verbreitete zugleich Licht und Wärme und besorgte der Familie die Mahlzeit.
Die stämmige athletische Gestalt Maggies, der Fischersfrau, schaffte emsig inmitten einer Schar halbwüchsiger und noch kleinerer Kinder, Jungen und Mädchen. Einen starken Kontrast zu ihr bildete die Mutter ihres Mannes – mit ihrem untätigen, halb blödsinnigen Blick und Wesen. Dieses Weib hatte die letzte Stufe menschlichen Lebens erreicht und saß an ihrem gewohnten Platz am Feuer, ohne aber die Wärme zu verspüren, sie murmelte vor sich hin und lächelte ab und zu irr den Kindern zu.
Obgleich es schon lange nach Mitternacht war, war doch die ganze Familie noch auf den Beinen und dachte auch noch nicht daran, zu Bett zu gehen. Die Hausfrau war noch dabei, Haferkuchen zu backen, und ihre älteste Tochter richtete Heringe zu.
Während sie so beschäftigt waren, klopfte es leise an die Tür, und herein kam Hanne Rintherout, das Dienstmädchen des Altertümlers.
»Was? Ist's möglich, Hanne! Na, man bekommt dich ja recht selten zu sehen!«
»Ach, Frau, die Wunde von Kapitän Hektor hat uns so viel zu schaffen gemacht, daß ich vierzehn Tage lang nicht hinausgekommen bin. Nun geht es ihm besser. Sobald daher heute unsere Herrschaft zur Ruhe gegangen ist, habe ich mich davon gemacht. Wollte doch mal sehen, ob es bei Ihnen was Neues gäbe. Haben Sie denn schon gehört von der großen Kiste voll Gold, die Sir Arthur unten in St. Ruth gefunden hat? Nun wird er großartiger sein als zuvor und die Nase noch höher tragen.«
»Ja ja, davon spricht die ganze Gegend, aber der alte Edie sagt, sie machtens zehnmal größer, als es gewesen sei. Und er wär' dabei gewesen, wie sie sie gefunden hätten. Ja ja, lange dürfte es dauern, bis mal ein armer Kerl so was findet.«
»Ja, das stimmt. Und Sie haben wohl auch gehört, daß die Gräfin von Glenallan gestorben ist und in St. Ruth in dieser Nacht beerdigt wird bei Fackellicht und alle Papisten und Ringan Eichholz – der ist ja auch Papist – ist auch mit dabei, und es soll ein prachtvoller Anblick sein.«
»Die alte Metze, wie Ehrwürden Heulmeier sie nennt, hat wenig Freunde hier in der Gegend. Aber weshalb begraben sie den alten Drachen (ein schlimmes Weib war sie) in der Nacht? Die Großmutter wird's wohl wissen. He, Großmutter! Weshalb werden denn die von Glenallan immer bei Kerzenlicht in den Ruinen von St. Ruth beerdigt?«
Die alte Frau hob ihr aschfarbenes Gesicht, das nur durch das Spiel zweier lichtblauer Augen von dem einer Leiche unterschieden war, und antwortete:
»Weshalb die Glenallans ihre Toten bei Fackellicht beerdigen? Ist denn ein Mitglied der Glenallans jetzt gestorben?«
»Die alte Gräfin, Großmutter.«
»So ist sie endlich heimgerufen worden?« versetzte das alte Weib, mit mehr Aufregung, als sich bei ihrem hohen Alter erwarten ließ. »Soll sie denn endlich ihre letzte Rechenschaft ablegen nach ihrem langen Leben voller Stolz und Macht? O, Gott möge ihr verzeihen!«
»Aber die Mutter hat gefragt,« wiederholte Hanne, »warum die Glenallans immer ihre Toten bei Fackellicht begraben?«
»Das haben sie immer schon gemacht,« sagte die Großmutter, »seit der große Graf in der Schlacht von Harlow fiel, wo der Totengesang erklungen sein soll von der Mündung des Tay bis zum Ende des Crabrach, daß man nichts anderes vernehmen konnte als die Klagen der Männer um die Helden, die im Kampfe gegen Donald von den Inseln gefallen waren. Aber die Mutter des großen Grafen lebte noch, und die Frauen vom Geschlecht Glenallan waren hochfahrend und grausam – und die Mutter wollte keinen Totengesang für ihren Sohn singen lassen, und sie ließ ihn mitten im Schweigen der Mitternacht zu seiner letzten Ruhestätte tragen, ohne ein Leichenmahl zu halten oder ein Klagelied anzustimmen. – Sie sagte, er hätte genug erschlagen, daß die Witwen und Töchter der Hochländer, die er getötet, den Totengesang für ihre Gestorbenen und für ihren Sohn zugleich anstimmen könnten. Und mit trockenen Augen und ohne einen Laut der Klage hat sie ihn ins Grab gelegt. Das galt nun in der Familie für ein stolzes Wort, und daran haben sie festgehalten, besonders in der letzten Zeit, weil sie in der Nacht ihre papistischen Feierlichkeiten ungestörter Vollziehen können, als bei hellem Tage. Wenigstens in meiner Zeit ist es so gewesen. Am Tage hätte die Behörde sich eingemischt und auch der Pöbel von Fairport. Die Welt wird anders. Manchmal bin ich mir selber nicht klar, ob ich stehe oder sitze, ob ich noch lebe oder schon tot bin.«
»Es ist ordentlich gruselig,« sagte Hanne, »die Großmutter in dieser Weise sprechen zu hören. Es ist, als ob ein Toter mit den Lebendigen spräche.«
»Das stimmt, Mädel. Sie wird es nicht gewahr, was tagsüber vor sich geht. Bringt man sie aber auf alte Geschichten, dann kann sie reden wie ein Buch. Über die Glenallans weiß sie ganz genau Bescheid, denn ihr Mann war lange Zeit Fischer dort.«
»Still! Still!« flüsterte Hanne. »Die Großmutter will wieder reden.«
»Hat nicht irgendwer gesagt,« begann die alte Sibylle, »oder hab ich's geträumt, oder ist es mir geoffenbart worden, daß Joscelinde, die Gräfin Glenallan in dieser Nacht gestorben und begraben wäre?«
»Ja, Großmutter, so ist es,« sagte Hanne.
»Und recht ist es, daß es so ist,« sagte die alte Elsbeth. »Manches Herz hat sie schon schwer gemacht – selbst ihrem Sohn hat sie das Leben verbittert – lebt er noch?«
»Ja, er lebt noch – aber wie lange wohl noch – erinnerst du dich nicht mehr, wie er vergangenen Frühling nach dir gefragt und Geld für dich dagelassen hat?«
»Kann schon sein, Maggie – besinn mich nicht mehr drauf – aber ein hübscher Herr ist er gewesen und sein Vater auch. Ja, wenn der am Leben geblieben wäre, dann hätten sie glückliche Leute sein können. Aber er starb, und die Gnädige machte nun mit dem Sohne, was sie wollte, und zwang ihn, an Dinge zu glauben, die er nie hätte glauben sollen, und Dinge zu tun, die er sein Lebtag schon bereut hat und noch immer bereuen wird, wenn auch sein Leben so lang sein sollte, wie mein langes beschwerliches Dasein. Ach, bittet doch ihr alle zu Gott, daß ihr nicht einmal dem Stolz und der Willkür eures eigenen Herzens anheimfallt. Sie können in der Hütte ebenso die Oberhand gewinnen wie im Schlosse, das hab ich selber erlebt! – Ach, will denn die Erinnerung an diese furchtbare grausige Nacht nicht aus meiner Seele? Wie ich sie auf der Erde liegen sah, und ihr langes Haar troff vom Meerwasser! das wird der Himmel rächen an allen, die dabei beteiligt waren! Kinder, ist mein Sohn draußen in dieser stürmischen Nacht?«
»Nein, Mutter, bei diesem Wetter kann kein Boot auf See sein. Mucklebackit schläft schon.«
»Dann ist wohl Steenie, sein Sohn, draußen?«
»Nein, Steenie ist mit dem Bettler Ochiltree weggegangen, sie wollen vielleicht die Beerdigung ansehen.«
»Das kann nicht sein, die Sache war ja geheim gehalten worden und fünf Stunden vom Schlosse her ist die Leiche mitten in der Nacht gebracht worden.«
»Dann weiß ich nicht,« sagte die Hausfrau, »was der alte Bettler mit meinem Jungen noch in der Nacht vorhaben mag.«
In diesem Augenblick traten Steenie und Edie Ochiltree in die Hütte. Beide waren erhitzt und außer Atem.
»Es hat uns jemand nachgesetzt,« sagte Steenie.
»Ein Mann war's zu Pferde,« sagte Edie.
»Ihr Gesellen ihr!« rief Maggie Mucklebackit, »es wird einer von den Reitern vom Begräbnis der Gräfin gewesen sein.«
»Was!« sagte Edie, »ist die alte Gräfin heute nacht in St. Ruth beerdigt worden? Daher kamen also die Lichter, die uns verscheucht haben, und der Lärm! Hätt ich das gewußt, dann hätt ich den Kerl nicht dort liegen lassen. Aber die werden sich schon seiner annehmen. Du hast ordentlich auf ihn dreingeprügelt, Steenie, ich dachte, du würdest ihm den Garaus machen. Nun, wenn die Sache glatt abläuft, dann will ich die Vorsehung nicht noch einmal versuchen. Aber ich kann es nicht für strafbar ansehen, wenn man solch einem Schurken von einem Landstreicher, der selber bloß davon lebt, ehrlichere Leute an der Nase herumzuführen, einmal einen Possen spielt.«
»Was sollen wir aber mit dem Ding da anfangen?« fragte Steenie und zog eine Brieftasche hervor.
»Gott behüte uns, Steenie!« rief Edie, aufs höchste bestürzt. »Was mußtest du das Ding an dich nehmen. Jedes Blatt darin kann uns ins Verderben bringen!«
»Das hab ich doch nicht gewußt,« erwiderte Steenie. »Die Brieftasche war ihm entfallen, glaub ich, denn ich fand sie vor meinen Füßen, als ich ihm wieder auf die Beine helfen wollte.«
»Wir müssen sie dem Schurken auf irgend eine Weise wieder zurückbringen,« sagte Edie. »Am besten wär's wohl, wenn du die Brieftasche in aller Frühe selber zu Ringan Eichholz brächtest. Nicht um hundert Pfund wollte ich, daß sie in unserem Besitz gefunden würde.«
Das versprach denn Steenie auch zu tun.
Siebentes Kapitel
Am andern Morgen war der alte Edie in aller Frühe wieder auf den Beinen, und seine erste Frage galt Steenie und der Brieftasche. Der junge Fischer hatte seinem Vater helfen müssen, um noch vor Tagesanbruch sich die Flut zu nutze zu machen, aber er hatte versprochen, gleich nach seiner Rückkehr die Brieftasche mit all ihrem Inhalt, sorgfältig in ein Stück Segeltuch gewickelt, selber bei Ringan Eichholz für den Eigentümer Dusterschieler abzugeben.
Ehe der Bettler das Haus des Fischers verließ, trat er zu der alten Großmutter hin, die wieder an ihrem Platz am Herde saß, während die Fischerin selber schon zum Markt nach Fairport gegangen war.
»Guten Tag, Mütterchen,« sagte er. »Zur Erntezeit komm ich wieder, und ich hoffe, Sie dann noch immer frisch und gesund anzutreffen.«
»Bittet, daß Ihr mich in Ruhe im Grabe finden möget,« versetzte die Alte mit hohler, geisterhafter Stimme. »Hat nicht gestern jemand gesagt, – mir war's doch so, aber alte Leute haben ein schwaches Gedächtnis – hat nicht jemand gesagt, Joscelinde, die Gräfin von Glenallan, hätte das Zeitliche gesegnet?«
»Wer das gesagt hat, der hat die Wahrheit gesagt,« erwiderte der alte Edie. »Gestern ist sie bei Fackellicht in St. Ruth beeidigt worden.«
»Dann will ich mein Herz von seiner Last befreien, komme, was da wolle.« Dies sagte sie unter geringerer Mühsal, als ihr sonst das Sprechen zu bereiten schien, und machte dabei eine Bewegung mit der Hand, als wenn sie etwas wegwerfen wollte. Sie richtete sich auf und suchte mit der langen, welken Hand in einer großen, altmodischen Tasche. Endlich brachte sie einen hübschen Siegelring hervor, in welchen eine Haarlocke von zwei verschiedenen Farben, schwarz und hellbraun durcheinandergeschlungen, eingesetzt war, der mit Brillanten von beträchtlichem Werte geziert war.
»Guter Mann,« sagte sie zu Ochiltree, »sofern Ihr je Gnade zu finden hofft, so müßt Ihr für mich nach dem Schlosse Glenallan gehen und den Grafen zu sprechen begehren.«
»Den Grafen von Glenallan! Ei, Mütterchen, der empfängt schon niemand von den Edelherren des Landes – wie sollte er gar einen Landstreicher wie mich vor sich lassen?«
»Geht hin und versuchts – und sagt ihm, Elsbeth von Craigburnfoot – wenn er den Namen hört, wird er sich auf mich besinnen können – müßte ihn sprechen, ehe sie von ihrer langen Pilgerfahrt abgerufen würde, sie sende ihm diesen Ring, damit er erkennen möge, worum es sich handle.«
Ochiltree sah den Ring an und staunte über den offenbaren Wert des Kleinods, dann legte er ihn in das Schächtelchen zurück, wickelte dieses in ein altes zerlumptes Taschentuch und steckte es in seine Brusttasche.
»Schön, Mütterchen,« sagte er, »ich will Ihren Auftrag ausführen, und wenn es nicht glückt, solls nicht meine Schuld sein. Aber das ist gewiß noch nicht dagewesen, kriegt ein Graf ein solches Juwel geschickt und von einem alten Fischweib, und der's ihm bringt, ist ein alter Bettelmann!«
Mit diesen Worten ergriff Edie seinen Stab, setzte den breitkrempigen Hut auf und trat seine Wanderschaft an. Die alte Frau stand eine Weile in starrer Haltung, die Augen auf die Tür geheftet, durch die ihr Gesandter gegangen war, dann wich die Spannung von ihr, und in ihrer alten Apathie sank sie wieder auf ihrem gewohnten Platz in sich zusammen.
Inzwischen schritt Edie Ochiltree seines Weges. Die Strecke bis Glenallan betrug zehn Meilen (nach englischer Messung) – ein Marsch, den der alte Soldat etwa in vier Stunden zurückgelegt hatte. Mit der seinem müßigen Gewerbe und seinem lebhaften Charakter eigenen Neugierde zerbrach er sich den ganzen Weg lang den Kopf darüber, was es wohl mit dieser seltsamen Sendung, die ihm aufgetragen worden war, für eine Bewandtnis habe, und in welcher Beziehung der stolze, reiche und mächtige Graf von Glenallan wohl zu den Verbrechen oder der Reue einer schwachsinnigen Greisin stehen könne, deren Stellung im Leben fast ebenso niedrig war wie die ihres Sendboten.
Er bemühte sich, an alles zurückzudenken, was er je von der Familie Glenallan gehört hatte, aber auch das brachte ihn nicht weiter, und es war ihm unmöglich, zu irgend welchem Schlüsse in dieser Angelegenheit zu gelangen. Er wußte, daß das ganze ausgedehnte Besitztum dieser alten und mächtigen Familie an die vor kurzem verstorbene Gräfin übergegangen war, die in besonders hervortretendem Grade den starren, wilden, unbeugsamen Charakter geerbt hatte, der seit ihrem ersten Auftreten in der schottischen Geschichte der Familie Glenallan eigen gewesen war.
Gleich allen ihren Ahnen war sie der römisch-katholischen Kirche in Eifer treu geblieben und war an einen englischen Edelmann derselben Konfession verheiratet worden, der aber zwei Jahre darauf schon gestorben war. Die Gräfin war also früh verwitwet und hatte ohne weitere Beaufsichtigung oder Beistand die bedeutenden Besitztümer ihrer beiden Söhne.
Der ältere, Lord Geraldin, auf den Vermögen und Titel der Glenallan übergehen sollte, war zu Lebzeiten seiner Mutter völlig von ihr abhängig. Der jüngere nahm am Tage seiner Großjährigkeit Namen und Wappen seines Vaters an, ergriff Besitz von seinem Vermögen und seinen Gütern, gemäß den im Heiratsvertrag der Gräfin getroffenen Bestimmungen. Nach dieser Zeit hatte er hauptsächlich in England gelebt und, seiner Mutter und seinem Bruder nur sehr kurze Besuche abgestattet. Als er sich gar zur reformierten Konfession bekehrte, hörten diese völlig auf.
Aber schon ehe er der Gebieterin von Glenallan diese tödliche Kränkung zufügte, hatte der Aufenthalt in Glenallan für einen jungen munteren Mann wie Edward Geraldin Neville wenig Verlockendes, wenn auch das düstere und abgeschiedene Leben dort dem menschenscheuen und melancholischen Wesen des älteren Bruders zuzusagen schien. Lord Geraldin war im Anfang seines Lebens ein vorzüglicher, vielverheißender Mann gewesen. Wer ihn auf seinen Reisen kennen gelernt hatte, hegte die höchsten Erwartungen von seiner zukünftigen Laufbahn. Aber solche schönen Hoffnungen werden oft sonderbar vereitelt.
Der junge Mann kehrte nach Schottland zurück, und nachdem er ein Jahr etwa in Gesellschaft seiner Mutter gelebt hatte, schien die starre Finsternis und Schwermut ihres Charakters ganz auf ihn übergegangen zu sein. Da die Anhänger seiner Konfession von Staatsämtern ausgeschlossen waren, stand er dem politischen Leben fern, von allen Beschäftigungen leichterer Art hielt er freiwillig sich abseits, und so führte Lord Geraldin ein völlig zurückgezogenes Leben.
Sein gewöhnlicher Verkehr war nur von den Geistlichen seiner Kommunion gebildet, die ab und zu in das Herrenhaus kamen; und nur bei hohen Festlichkeiten wurden zwei bis drei Familien, die gleichfalls noch der katholischen Konfession angehörten, formell auf Glenallan-Haus bewirtet.
Der Tod der Gräfin hatte nun den finsteren Sohn zum Herrn gemacht, und Vermögen und Titel gingen auf ihn über. Doch schon verbreitete sich das Gerücht, die Gesundheit des Grafen sei durch das streng religiöse Leben untergraben, und er werde seiner Mutter bald ins Grab nachfolgen. Daß es so kommen würde, schien um so wahrscheinlicher, als sein Bruder an einem schleichenden Leiden gestorben war, das in den späteren Jahren seines Lebens zugleich seinen Leib und seinen Geist hingerafft hatte. Schon forschten die Genealogen in ihren Listen nach, wer wohl der Erbe dieser vom Unglück heimgesuchten Familie wäre, und die Advokaten freuten sich schon im voraus auf den bevorstehenden großen Prozeß der Glenallan-Erbfolge.
Glenallan-Haus, ein altes umfangreiches Gebäude, lag jetzt vor Edie Ochiltree, und während er darauf zuschritt, überlegte er, wie er wohl am besten Zutritt erlangen könnte, um seinen Auftrag auszurichten. Nach mannigfachem Bedenken beschloß er, dem Grafen das Erkennungszeichen durch einen der Diener bringen zu lassen.
Zu diesem Zwecke machte er an einer kleinen Hütte Halt, wo er aus dem Schächtelchen ein versiegeltes Päckchen machte, das er mit der Aufschrift versah: An Ihro Gnaden den Grafen von Glenallan. Aber da er sich doch sagen mußte, daß Sendungen, die von solchen Leuten wie ihm an den Toren vornehmer Häuser abgegeben wurden, nicht immer an die richtige Adresse gelangten, so beschloß Edie als alter Soldat, erst das Gelände aufzuklären, ehe er zum Angriff überging.
Er näherte sich nun der Wohnung des Pförtners und sah davor arme Leute in Reihen stehen, darunter auch mehrere wandernde Bettler wie er. Er schloß daraus, daß eine allgemeine Spende oder Almosenausteilung stattfinden solle.
Ein alter Bedienter teilte die Almosen aus, die in Fleisch, Brot und Geld bestanden, und als dieser ein paar Worte insgeheim wechselte und dabei sein Name genannt wurde, fiel dieser sowie das Gesicht des Mannes sofort unserem Blaurock auf, und als die anderen Leute alle ihr Teil erhalten und sich zerstreut hatten, rief er dem Manne, der eben gehen wollte, zu:
»He, Francie Macraw! Könnt Ihr Euch nicht mehr besinnen auf Fontenoy und das Formiert das Karree!«
»Hoho! Hoho!« rief Francie mit einem echten nordländischen Gebrüll des Erkennens, »so kann niemand anders sprechen als wie mein alter Kamerad aus dem ersten Glied Edie Ochiltree! Aber es tut mir leid. Mann, daß ich Euch in so jammervollem Zustand sehe.«
»Nicht ganz so schlimm, wie Ihr vielleicht denken mögt, Francie. Aber ich will nicht von hier fortgehen ohne einen Plausch mit Euch, alter Kerl, und ich weiß nicht, wann ich Euch mal wieder sehen werde, denn Eure Herrschaft sieht keine Protestanten gern, und das ist auch der Grund, weshalb ich noch nie hier gewesen bin.«
»Pst! Pst!« machte Francie. »Laßt diesen Flohstich jetzt! Wenn der Dreck trocken ist, könnt Ihr noch genug jucken. Jetzt kommt mit mir, ich will Euch was Besseres geben als das Zeug da!«
Und nachdem er ein paar vertrauliche Worte mit dem Pförtner gesprochen, (wahrscheinlich um sein Einverständnis zu haben) und gewartet hatte, bis der Almosenverteiler mit feierlich gemessenem Schritte in das Haus zurückgekehrt war, führte Francis Macraw seinen alten Kameraden in den Hof von Glenallan-Haus, den sie so schnell wie möglich überschritten. Sie traten in ein kleines Gemach, das Francis allein innehatte, da er des Grafen Kammerdiener war. Es war für ihn nicht schwierig, etwas kalte Küche und Bier herbeizuschaffen, und nun schwatzten die beiden von ihrer Soldatenzeit, bis dieser Gegenstand erschöpft war und Edie beschloß, nunmehr auf seinen Auftrag zu kommen, den er beinahe ganz vergessen hätte.
»Ich habe eine Bittschrift an den Grafen abzugeben,« sagte er.
»Ach, guter Freund, sagte Francie, »von Bittschriften will der Graf nichts wissen, aber ich will sie dem Almosenier geben.«
»Sie betrifft ein Geheimnis, und vielleicht ist es da dem Grafen das liebste, er sieht sie sich selber an.«
»Gerade deshalb wird sie wohl der Almosenier vor allen andern zu allererst sehen wollen.«
»Ich habe den weiten Weg hierher gemacht, Francie, da müßt Ihr mir nun schon behilflich sein.«
»Na, da bleibt mir wohl nichts anderes übrig,« sagte sein Freund. »Mögen sie auf mich auch noch so böse sein. Mögen sie mich meinetwegen hinauswerfen!«
Mit diesem Entschlusse ging Francie hinaus. Es dauerte lange, bis er wiederkam, und als er endlich zurückkehrte, verriet sein Wesen Verwunderung und Unruhe.
»Mein Herr ist äußerst trostlos und sehr erstaunt,« sagte er. »Aber er will Euch sprechen, das hab ich erreicht. Ein paar Minuten lang war er wie abwesend, und ich dachte schier, er würde völlig den Verstand verlieren. Als er wieder zu sich kam, fragte er, wer den Brief gebracht hätte. Ich sagte ihm nun, das Papier hätte ein alter Mann mit einem weißen Barte gebracht, es könnt ein Kapuziner sein, denn er sei gekleidet wie ein alter Pilger. Er wird dich nun rufen lassen, sobald es ihm möglich ist.«
»Ich wollte, ich hätte die Geschichte schon glücklich hinter mir,« sagte Edie. »Die Leute sagen, der Graf wär nicht recht bei Sinnen, und vielleicht wird er fuchsteufelswild, daß ich mir so viel herausgenommen habe.«
Es gab nun aber kein Zurück mehr, denn es erklang jetzt eine Glocke und leise, als wär sein Herr ganz in der Nähe, sagte Macraw:
»Da schellt mein Herr! – folgt mir und tretet hübsch sacht auf, Edie.«
Edie folgte nun seinem Führer über einen langen Korridor und eine Treppe hinauf, die nach den Gemächern der Familie führte. Am Ende des Ganges traten sie in eine kleine, schwarzverhangene Antichambre. Hier sahen sie sich plötzlich dem Almosenier gegenüber, der das Ohr an die entgegengesetzte Tür gelegt hielt in der Stellung eines Mannes, der aufmerksam horcht, aber dabei ertappt zu werden fürchtet.
Der alte Diener und der Geistliche stutzten beide, als sie sich erblickten. Aber der Almosenier faßte sich zuerst, trat auf Macraw zu und sagte in gedämpftem, aber herrischem Tone:
»Wie könnt Ihr es wagen, dem Gemach des Grafen Euch zu nähern, ohne anzuklopfen? Und wer ist dieser Fremde und was hat er hier zu suchen? – Tretet in den Korridor zurück und wartet dort auf mich.«
»Es ist unmöglich, Euer Ehrwürden jetzt zu Willen zu sein,« antwortete Macraw, indem er die Stimme erhob, so daß er im nächsten Zimmer gehört werden konnte, denn er wußte, daß der Priester ihn nicht weiter behelligen werde, wenn er vom Grafen gehört zu werden fürchten mußte. »Der Graf hat geklingelt.«
Er hatte die Worte kaum gesprochen, da klingelte es nochmals, und stärker als zuvor. Der Geistliche sah ein, daß ein weiterer Einspruch unmöglich sei, drohte Macraw mit dem erhobenen Finger und ging hinaus.
Edies Freund öffnete nun die Tür, an der sie den Kaplan hatten stehen sehen.
Achtes Kapitel
In Glenallan-Haus wurden die alten Formen der Trauer beobachtet, obwohl die Mitglieder der Familie in dem Rufe standen, daß sie ihre Toten nicht in der üblichen Weise zu beweinen pflegten. Als die Gräfin den Brief erhalten hatte, der ihr den Tod ihres zweiten und, wie man einst vermutete, ihres Lieblingssohnes meldete, war es aufgefallen, daß ihre Hand nicht gebebt, noch ihr Augenlid gezittert hatte: ruhig empfing sie das Schreiben, als betreffe es irgend ein alltägliches Geschäft.
Der Himmel allein konnte wissen, ob die Strenge, mit der sie in ihrem Stolze ihre mütterlichen Gefühle unterdrückte, nicht dazu beigetragen hatte, ihren Tod zu beschleunigen. Wenigstens wurde allgemein angenommen, daß durch den Schlaganfall, der so kurz darauf ihrem Leben ein Ende machte, die zürnende Natur sich für die ihr angetane Vergewaltigung gerächt habe. Aber obgleich Lady Glenallan die gewöhnlichen äußeren Zeichen des Kummers nicht an den Tag legte, hatte sie doch viele der Gemächer – darunter ihr eigenes und das des Grafen – schwarz verhängen lassen.
Der Graf von Glenallan saß daher in einem mit schwarzem Tuch verhängten Zimmer. In dunklen Falten hing die Trauerverkleidung von den hohen Wänden hernieder. Ein gleichfalls schwarz überzogener Schirm stand an dem hohen engen Fenster, so daß durch das bunte Glas nur wenig Licht hereinfiel.
Der Tisch, an dem der Graf saß, war von zwei in Silber gearbeiteten Lampen erhellt. Sie verbreiteten jenes unangenehme fahle Licht, das entsteht, wenn künstliche Beleuchtung mit dem hellen Tageslicht vermischt wird. Auf demselben Tische stand ein Kruzifix und ein paar mit Schlössern versehene Pergament-Bücher.
Der Insasse und Herr dieses Zimmers war ein Mann, der noch nicht über die Blüte des Lebens hinweg war, aber von Krankheit und seelischem Jammer so gebrochen war und so hager und gespenstisch abgezehrt erschien, daß man ihn ein Wrack von einem Menschen hätte nennen können. Und als er eilig aufstand und auf seinen Besuch zuging, schien bei dieser Anstrengung seine ausgemergelte Gestalt fast zusammenzubrechen.
Als sie in der Mitte des Zimmers sich gegenüberstanden, war der Kontrast in höchstem Maße auffallend. Die gesunde Farbe, der feste Schritt, die aufrechte Haltung und das unerschrockene Wesen des alten Bettlers bekundeten Geduld und Zufriedenheit im höchsten Alter und in der niedrigsten Lage, zu der der Mensch herabsinken kann. Das niedergeschlagene leblose Auge, die bleiche Wange und die schlotternde Gestalt des Edelmannes zeigten dagegen, wie wenig der Reichtum, die Macht und selbst die Vorteile der Jugend mit den Kräften zu tun haben, die der Gestalt Festigkeit und der Seele Ruhe verleihen.
Der Graf trat dem alten Mann in der Mitte des Zimmers entgegen und hieß seinen Diener auf den Korridor hinausgehen und dafür sorgen, daß niemand hereinkomme, bis er klingle. Dann wartete er mit fliegender Ungeduld, bis er die Tür erst seines Zimmers und dann der Antichambre sich schließen hörte. Als er sich dann gegen Lauscher gesichert wußte, trat er dicht an den Bettler heran, den er scheinbar irrtümlich für einen Mann der Religion in Verkleidung hielt, und sagte in hastigem, doch zitterndem Tone:
»Im Namen dessen, was unsere Religion am heiligsten achtet, sagt mir, ehrwürdiger Vater, was habe ich von einer Mitteilung zu erwarten, die sich durch ein Zeichen voll so entsetzlicher Erinnerungen anzeigt?«
Erschrocken über ein Wesen, das so ganz anders war, als er es von dem stolzen und mächtigen Edelmann erwartet hatte, wußte der alte Mann nicht, was er antworten und wie er ihn aufklären konnte.
»Sagt mir,« fuhr der Graf fort, im Tone steigender Angst und Seelenqual, »sagt mir, kommt Ihr, um mir kund zu tun, daß alles, was getan worden ist, um so entsetzliche Schuld zu sühnen, zu nichtig und zu unbedeutend gegenüber der Missetat gewesen ist, und wollt Ihr neue und wirksamere Wege zu noch strengerer Buße weisen? – Ich will nicht davor zurückschrecken, Vater – laßt mich lieber die Qualen meines Verbrechens hier im Leibe leiden als nachher die Seele vergehen!«
Edie hatte Geistesgegenwart genug, sich zu sagen, daß er Lord Glenallan in seiner Offenherzigkeit unterbrechen müsse, wenn er nicht mehr hören wollte, und daß es mit Gefahr seines Lebens verbunden sein möchte, der Vertraute eines so hohen Herrn in anscheinend so heiklen Dingen zu sein. Er sagte daher rasch und ängstlich:
»Euer Lordschaft irren sich – ich bin nicht von Ihrer Konfession, noch überhaupt ein Geistlicher, sondern in aller schuldigen Ehrfurcht bin ich bloß Edie Ochiltree, Bettelmann Seiner Majestät des Königs und Eurer Lordschaft.«
Diese Erklärung begleitete er mit einer tiefen Verbeugung und dann richtete er sich auf seinem Stabe kerzengerade in die Höhe, warf sein langes weißes Haar zurück und heftete die Augen auf den Grafen, auf eine Antwort wartend.
»Und so seid Ihr nicht,« sagte Lord Glenallan, »so seid Ihr nicht ein katholischer Priester?«
»Verhüts Gott!« rief Edie und vergaß in seiner Verwirrung ganz, mit wem er sprach. »Ich bin bloß Bettelmann des Königs und Euer Gnaden, wie ich schon sagte.«
Der Graf wandte sich hastig ab und durchmaß das Zimmer ein paarmal, wie um diesen Irrtum zu überwinden. Dann trat er dicht an den Bettler heran und fragte in strengem gebieterischem Tone, wie er dazu käme, sich in seine Privatangelegenheiten zu mischen und wo er den Ring herhabe, den er ihm zugesandt habe.
Edie, ein Mann von Mut und Beherztheit, war über diese Art der Anrede weit weniger erschrocken, als er zuvor durch den vertraulichen Ton in Verwirrung geraten war. Auf die wiederholte Frage, von wem er den Ring habe, antwortete er gefaßt:
»Von jemand, der dem Herrn Grafen besser bekannt gewesen ist als ich.«
»Mir besser bekannt, Kerl?« sagte Lord Glenallan. »Was meint Ihr damit? Erklärt Euch auf der Stelle, oder Ihr sollt es verspüren, was es heißt, sich in Stunden der Familientrauer hereinzudrängen.«
»Die alte Elsbeth Mucklebackit hat mich hergeschickt,« sagte der Bettler, »ich soll bestellen ...«
»Ihr faselt, Alter,« sagte der Graf. »Den Namen hab ich noch nie gehört – aber dieser entsetzliche Ring erinnert mich –«
»Jetzt fällt mirs ein, Mylord.« sagte Ockiltree. »sie sagte, Euer Lordschaft würden sich besser auf sie besinnen, wenn ich sie Elsbeth von Craigburnfoot nennte. Diesen Namen führte sie, als sie bei Euer Gnaden in Dienst war, das heißt, bei Euer Gnaden Mutter, die damals noch lebte – Gott hab sie selig!«
»Ah,« sagte der Graf und sein Gesicht wurde noch blässer und sein Blick noch leerer, »dieser Name steht allerdings auf dem tragischsten Blatte einer beklagenswerten Geschichte geschrieben. Aber was kann sie von mir wünschen – ist sie tot oder lebt sie noch?«
»Lebt noch, Mylord und ersucht Sie, Sie möchten sie aufsuchen vor ihrem Tode, denn sie hat etwas mitzuteilen, das ihr schwer auf der Seele lastet, und sie sagt, sie könne nicht im Frieden sterben, bis sie Sie gesehen hat.«
»Nicht, bis sie mich gesehen hat? – Was kann das bedeuten? – Aber sie ist schon schwachsinnig vor Alter – ich sage Euch, Freund, es ist noch nicht ein Jahr her, da war ich selbst in ihrer Hütte, weil mir gesagt wurde, es ginge ihr schlecht, und sie kannte nicht einmal mein Gesicht und meine Stimme.«
»Mit Verlaub, Euer Gnaden.« sagte Edie, der bei der Länge der Unterredung seine natürliche Beherztheit und Geschwätzigkeit wieder erlangte, »mit Verlaub Euer Gnaden möcht ich sagen, die alte Elsbeth ist wie eins der verfallenen Schlösser, wenn man sie zwischen den Hügeln liegen sieht. Viele Teile ihres Geistes erscheinen, wenn ich so sagen darf, brach gelegt und verfallen, aber andere Teile erheben sich dafür um so stärker und großartiger, als sie noch wohl erhalten sich zeigen unter den übrigen Trümmern. Sie ist ein unheimliches Weib.«
»Das war sie immer,« sagte der Graf, fast unbewußt den Worten des Bettlers zustimmend, »sie war immer anders wie die gewöhnlichen Weiber. Am meisten vielleicht hat sie an Charakter und Gemütsart der geglichen, die jetzt nicht mehr ist. Also wünscht sie mich zu sehen?«
»Vor ihrem Tode,« sagte Edie, »ersucht sie noch ernstlich um dieses Vergnügen.«
»Ein Vergnügen wird's für uns beide nicht sein,« sagte der Graf bitter, »doch soll es ihr gewährt sein. Sie wohnt, glaub' ich, am Strande im Süden von Fairport?«
»Zwischen Monkbarns und Schloß Knockwinnock, aber näher nach Monkbarns zu. Euer Lordschaft kennen doch ohne Zweifel den Laird und Sir Arthur?«
Ein starrer Blick, als begreife Lord Glenallan die Frage nicht, war die einzige Antwort. Edie sah, daß seine Gedanken anderswo weilten, und wagte nicht, die Frage zu wiederholen, die so wenig zur Sache gehörte.
»Seid Ihr Katholik, Alter?« fragte der Graf.
»Nein, ich bin, dem Himmel sei Dank, ein guter Protestant,« sagte Edie ohne Scheu.
»Wer sich mit gutem Gewissen gut nennen kann, hat in der Tat Ursache, dem Himmel zu danken, welcher Konfession der Christenheit er auch angehören mag. – Geht, geht Eures Weges, und in all Eurer Armut, Eurem Alter und Eurer Mühsal beneidet nie den Herrn eines solchen Hauses wie dieses, ob er nun schläft oder wacht! – Hier ist etwas für Euch.«
Der Graf legte Edie ein paar Guineen in die Hand. Dann rief er seinen Diener.
»Führ den Mann hier sicher aus dem Schlosse heraus, laß niemand Fragen an ihn stellen – und Ihr, Freund, geht und vergeßt den Weg, der nach meinem Hause führt.«
Neuntes Kapitel
Es war ein schöner Sommerabend, und die Welt – das heißt, der kleine Bezirk, der eben für den, der ihn jetzt durchwanderte, die weite Welt war, lag offen vor Edie Ochiltree, daß er sich ein Nachtquartier aussuchen konnte, wo es ihm behagte. Als er die weniger gastfreundliche Nähe von Glenallan verlassen hatte, hatte er so viele Zufluchtsstätten für den Abend vor Augen, daß er heikel, ja selbst wählerisch wurde.
Ailie Sims Wirtshaus lag eine Meile vor ihm am Wegesrande, aber dort waren am Sonnabend abend gewiß junge Burschen beieinander und eine gemütliche Unterhaltung also ausgeschlossen. Andere Männer und Frauen kamen ihm in den Sinn, aber der eine war taub und konnte ihn nicht hören, der andere war zahnlos und konnte sich nicht verständlich machen, der vierte war ein mißmutiger Mann, und die fünfte wieder ein böser Hausdrache. In Monkbarns und Knockwinnock hätte er ein sehr angenehmes Nachtquartier erhalten, aber beide lagen zu weit, als daß er sie in dieser Nacht noch bequem hätte erreichen können.
Er entschloß sich endlich doch, zu Ailie Sim zu gehen. Als er den Hügel hinabstieg nach dem kleinen Dorfe, das nun sein Ziel war, hatte der Sonnenuntergang die Bewohner von der Arbeit gerufen und die jungen Männer nutzten den schönen Abend aus und spielten auf einer Gemeindewiese Kegel, während die älteren Männer und die Frauen zusahen. Das Gelächter und Schreien der Gewinnenden und Verlierenden klang in lautem Durcheinander zu Ochiltree hinauf und erinnerte ihn an die Tage, wo auch er an den Spielen der Kraft und Gewandtheit oftmals mit Eifer teilgenommen und sehr oft als Sieger hervorgegangen war.
Er wurde aber sofort mit Jubel begrüßt, und seiner Erscheinung wurde mehr Wichtigkeit beigemessen, als er in seiner Bescheidenheit vermutet hätte. Es war zwischen den Parteien über einen Wurf zu einem Streit gekommen, und da der Eichmeister der einen Partei recht gab und der Schulmeister der anderen, so ließ sich wohl sagen, daß höhere Mächte sich der Sache angenommen hätten. Auch der Müller und der Schmied hatten sich zu verschiedenen Seiten geschlagen, und da die Schlagfertigkeit zweier solcher Streithähne zu bedenken war, so ließ sich mit Recht daran zweifeln, ob die Meinungsverschiedenheit zu einem freundschaftlichen Abschluß gelangen würde.
Aber der erste, der des Bettlers ansichtig geworden war, rief:
»Hollah! da kommt der alte Edie, der kennt die Spielregeln besser als irgend einer, der je eine Kugel geschoben hat – wir wollen nicht weiter streiten, Leute – wir wollen den alten Edie den Fall entscheiden lassen.«
Edie wurde demgemäß willkommen geheißen und mit allgemeinem Jubelruf zum Schiedsrichter eingesetzt. Mit all der Bescheidenheit eines Bischofs, dem der Krummstab übergeben wird, oder eines neuen Redners, der die Bühne betritt, lehnte der alte Mann den verantwortlichen Posten, der ihm angetragen wurde, ab. Seine Selbstverleugnung und Bescheidenheit fand ihren Lohn, denn er hatte die Freude, daß durch erneuten Zuruf ihn alt und jung als die passendste Person bezeichnete, des schwierigen Amtes zu walten.
Also ermutigt, machte er sich würdevoll an die Ausübung seines Amtes, indem er zunächst beiden Parteien alle beleidigenden Äußerungen untersagte. Dann hörte er den Schmied und den Eichmeister auf der einen und den Müller und den Schulmeister auf der andern Seite. Im Innern war sich jedoch Edie, ehe noch die Verhandlung begann, völlig klar über den Fall, wie es auch, manchem Richter ergeht, der dennoch aber alle Förmlichkeiten erledigen muß, und den Redeschwall der Advokaten in vollem Maße hinnehmen muß.
Nachdem nun auf beiden Seiten alles gesagt und manches schon mehrmals wiedergekäut worden war, tat unser Alter nach gebührender reiflicher Überlegung den Spruch, daß der streitige Wurf keine Geltung habe und daher keiner Partei angerechnet werden könne. Durch dieses weise und gerechte Urteil wurde der Friede zwischen beiden Parteien wiederhergestellt, und es begann ein neues Spiel unter all dem lauten Lärm, wie er auf dem Lande üblich ist, wenn ein Spielchen gemacht wird. Die Lebendigeren hatten schon die Jacken ausgezogen und mit ihren bunten Schnupftüchern den Frauen, Schwestern oder Liebsten zum Halten gegeben.
Aber ihre Freude wurde auf unerwartete Weise unterbrochen.
Außerhalb des Kreises, den die Spieler gebildet hatten, erhoben sich Töne, die nichts mit der lustigen Freude des Spieles gemein hatten. Jener unterdrückte Seufzer und leise Ruf, mit dem die erste Nachricht eines Unglücks aufgenommen wird, ließ sich undeutlich vernehmen. Unter den Frauen ging das Gemurmel:
»Je, o je! So jung noch und so plötzlich hingerafft!«
Dann griff das Gemurmel auch unter den Männern um sich und brachte die Lust des Spieles zum Schweigen. Alle begriffen sogleich, daß in der Gegend sich ein Unglück zugetragen hätte, und jeder fragte den Nachbar, was denn los sei, der es ihm aber ebensowenig sagen konnte.
Endlich kam das Gerücht in klarer Form dem Bettler zu Ohren, der in der Mitte der Versammlung stand. Mucklebackits Boot – wir haben den Fischer schon kennen gelernt – war auf See gekentert, und es ging die Rede, vier Männer, darunter auch Mucklebackit und sein Sohn, seien dabei ertrunken. Dies war aber vom Gerücht – wie dies bei solchen Anlässen meistens der Fall ist, übertrieben.
Allerdings war das Boot gekentert, es war aber niemand ums Leben gekommen als Stephan, oder, wie er gewöhnlich hieß, Steenie Mucklebackit. Obwohl der junge Mann infolge seiner Lebensweise und seiner entlegenen Wohnstätte nur wenig Verkehr mit den Landleuten gehabt hatte, so hielten sie doch in ihrer ländlichen Lustbarkeit inne und zollten ihre Teilnahme dem jähen Unglück.
Besonders auf Ochiltree wirkte die Nachricht wie ein Donnerschlag, zumal er vor kurzem noch mit dem Beistande des jungen Mannes einen losen Streich vollführt hatte; und obwohl sie nicht die Absicht gehabt hatten, dem deutschen Schwarzkünstler ein Leid zuzufügen, so war es doch eben keine derartige Tätigkeit gewesen, wie man sie gern in den letzten Stunden des Lebens verrichtet sieht.
Ein Unglück kommt selten allein. Während Edie noch nachdenklich auf seinem Stabe lehnte und sich innerlich Vorwürfe machte, daß er ihn noch so kurz vor seinem Ende zu einem solchen Geschäft verleitet hatte, packte ihn plötzlich ein Polizist, der in der Rechten den Amtsstab hielt, am Kragen und rief:
»Im Namen des Königs!«
Der Eichmeister und der Schulmeister vereinten ihre Beredsamkeit, um dem Beamten klar zu machen, daß er kein Recht habe, einen Königsgnadenmann als Landstreicher festzunehmen, und die stumme Ausdrucksweise des Müllers und des Schmieds, die ihre Fäuste ballten, deutete darauf, daß die beiden bereit waren, aus echt hochländische Art für ihren Schiedsrichter einzutreten. Sein blauer Rock, sagten sie, sei sein Gewährschein, daß er wandern dürfe.
Aber sein blauer Rock,« sagte der Beamte, »ist kein Freibrief auf Überfall, Diebstahl und Mord. Und mein Haftbefehl gegen ihn lautet auf diese Verbrechen.«
»Mord?« rief Edie. »Wen soll ich denn ermordet haben?«
»Herrn German Dusterzieler, den Agenten vom Bergwerk Glen-Witherschiens.«
»Dusterspieler ermordet! Potzblitz! der lebt ja und ist ganz fidel.«
»Dir hat er's nicht zu danken, wenn er's ist. Er hat schwer um sein Leben ringen müssen, wenn alles wahr ist, was er sagt, und du mußt dich jetzt vor Gericht deswegen verantworten.«
Die eben noch Edies Partei ergriffen hatten, schreckten zurück, als sie hörten, wie schwere Beschuldigungen gegen ihn vorgebracht wurden, aber manche freundliche Hand schob ihm doch Fleisch und Brot und Geld zu, damit er im Gefängnis zu leben hätte, in das die Beamten ihn abzuführen hatten. »Habt Dank – vergelts euch Gott, Leute! Ich bin schon aus mancher schlimmeren Klemme herausgekommen, wo ich's noch weniger verdient hätte – ich werd auch diesmal davonkommen, wie der Vogel aus dem Netz. Spielt weiter und schert euch nicht um mich – mir tuts nur leid um den armen Steenie.«
Der Gefangene ließ sich ohne Sträuben wegführen, während er mechanisch all die Almosen, die ihm in die Hände gesteckt wurden, in seinem Sacke verschwinden ließ. Als er das Dorf verließ, war er verproviantiert, als gings auf eine Weltreise. Die Mühe, diese Last zu tragen, wurde ihm aber erleichtert, denn der Beamte besorgte Pferd und Wagen, um den alten Mann auf eine Polizeiwache zu bringen, wo er verhört und in Gewahrsam gebracht werden konnte.
Zehntes Kapitel
»So soll also der arme Junge, der Steenie Mucklebackit, heute morgen begraben werden,« sagte unser alter Freund, der Altertümler, indem er den seidenen Schlafrock ablegte und statt des schnupftabakfarbigen Anzugs, den er sonst trug, einen altmodischen schwarzen Rock anzog. »Und es wird wohl angenommen, daß ich an der Feier teilnehme?«
»Freilich,« antwortete der treue Caxon, indem er geflissentlich seinem Gönner die weißen Fäden und Flecke vom Rocke bürstete. »Der Leichnam – Gott helf uns, wir haben's gesehen, ist an den Klippen zerschellt, und da müssen sie nun wohl die Bestattung beschleunigen. Die See kennt keinen Spaß, wie ich immer zu meiner Tochter sage, wenn ich ihr ein bißchen Mut zusprechen will. Auf der See zu leben, sag ich immer zu ihr, das ist ein so unsicherer Beruf ...«
»Wie der Beruf eines alten Perückenmachers, dem das Gewerbe abgeschnitten worden ist. Caxon, Eure Art, Trost zu sprechen, ist ebenso schlecht gewählt, wie sie hier gar nicht hergehört.
»O, ohne Frage werden Euer Ehren erwartet,« antwortete Caxon, »ganz gewiß!«
»Nun ja,« erwiderte der Altertümler, »was den Brauch anbetrifft, daß der Edelmann der Leiche des Bauern folgt, so billige ich diesen Brauch durchaus, Caxon. Er rührt noch aus alten Zeiten her, er wurzelt tief in den Begriffen gegenseitiger Unterstützung und Unabhängigkeit zwischen dem Besitzer des Landes und dem Bebauer des Bodens. – Wo ist mein Neffe, Hektor M'Intyre?«
»Er ist bei den Damen, Herr, im Salon.«
»Schön,« sagte der Altertümler, – »ich werde mich dorthin begeben.«
»Nun, Monkbarns,« sagte seine Schwester, als er hereintrat, »du darfst nicht böse sein.«
»Mein lieber Onkel!« begann Fräulein M'Intyre.
»Was soll das bedeuten?« fragte Oldbuck, dem schon ganz angst wurde, als er diesen bittenden Ton von den Damen vernahm. »Was soll das heißen? Warum bittet ihr mich um Nachsicht?«
»Es ist nichts Besonderes, gewiß nicht,« sagte Hektor, der mit dem Arm in der Binde am Frühstückstisch saß, »aber ich nehme die Verantwortung dafür auf mich – wie für noch weit mehr Unruhe, die ich dir bereitet habe – allerdings hab ich wenig mehr als meinen Dank zum Entgelt dafür zu bieten.«
»Schwamm drüber! Schwamm drüber!« sagte der Altertümler. »Laß es nur dir eine Warnung sein, daß du nicht wieder so deine Wutanfälle kriegst, – das ist ein kurzer Wahnsinn –
»Mein Hund, lieber Onkel, hat zum Unglück umgeworfen ...«
»Gefalls dem Himmel, doch nicht etwa das Tränenkrüglein von Clochnaben?« unterbrach ihn Oldbuck.
»Allerdings, Onkel,« sagte die junge Dame, »ich fürchte, das ist es gewesen – es hat auf dem Seitentischchen gestanden – das arme Tier wollte bloß ein bißchen frische Butter fressen.«
»Und das hat er denn auch tüchtig getan, wie? Aber das ist Nebensache. Mein Tränenkrüglein – der Grundpfeiler meiner Theorie, die ich der Ignoranz des Mac-Cribb zum Trotz behauptet habe, daß nämlich die Römer durch die Engpässe dieser Berge gezogen sind und Spuren von ihrer Kunst und ihren Waffen zurückgelassen haben – mein Tränenkrüglein ist dahin – ist vernichtet – in tausend Stücke zerbrochen – in Scheiben, die nun ebenso gut von einem zerschlagenen Blumentopf herrühren können.
Hektor ich liebe dich!
Doch nimmermehr sei Führer meiner Scharen!«
»Ei, Onkelchen, ich glaube, ich würde mich auch recht schlecht ausnehmen in einem Regiment, das du ausgehoben hättest.«
»Zum mindesten wünschte ich, Hektor, du gäbest deinem Troß den Laufpaß und marschiertest
»Es tut mir aufrichtig leid, lieber Onkel,« sagte Hektor, »daß Juno so etwas angestiftet hat – aber der Mann, der sie dressiert hat, ist auch nie mit ihr fertig geworden, sie hat mehr Mühe gemacht als irgend eine Hündin ihrer Rasse.«
»Dann wünscht ich, Hektor, die Hündin machte sich auf und verließe meinen Grund und Boden.«
»Wir werden das morgen alle beide tun, vielleicht heute noch, aber ich möchte nicht von meiner Mutter Bruder in Unfrieden scheiden wegen eines zerbrechlichen Töpfchens.«
»O Bruder, Bruder!« rief Miß M'Intyre, außer sich über die wegwerfende Bezeichnung.
»Wie sollt ich es denn anders nennen?« fuhr Hektor fort. »Es ist genau so ein Ding, wie sie es in Ägypten brauchen, um Wein oder Scherbet oder Wasser kalt zu stellen – ich hab ein paar solcher Töpfchen mitgebracht – zwanzig hätt ich mitbringen können.«
»Was!« rief Oldbuck, »von derselben Form wie der, den dein Hund umgeworfen hat?«
»Ja, Onkel, fast ebensolche Dinger, wie sie auf dem Seitentisch gestanden haben. In meiner Wohnung in Fairport hab ich sie – die sind ein prachtvoller Ersatz und werden dir Vergnügen machen. Es soll mir daher eine Ehre sein, wenn du sie von mir annimmst.«
»Allerdings, mein Junge, würdest du mir damit eine große Freude machen. Die Beziehungen zwischen Völkerschaften durch den Vergleich ihrer Gebräuche und die Ähnlichkeit ihrer Geräte zu erforschen, ist schon lange mein Lieblingsstudium gewesen. Jeder Gegenstand, der solche Beziehungen beweist, ist mir sehr schätzbar.«
»Schön, Onkel, es soll mir ein Vergnügen sein, wenn du diese Dinger und noch ein bißchen ähnlichen Kram von mir annehmen willst. Und nun, hoff ich, hast du mir verziehen?«
»O, mein lieber Junge, du bist nur gedankenlos und töricht,« sagte Oldbuck, »und unter der Bedingung, daß sie in Zukunft vom Monkbarns-Salon verbannt ist, soll auch deiner Juno verziehen sein.«
»Da nun alles vergeben ist, Onkel, wirst du deinem verwaisten Neffen, dem du ein Vater gewesen bist, erlauben, dir eine Kleinigkeit anzubieten, die wirklich sehr merkwürdig ist, wie ich mich vergewissert habe, und die dir früher anzubieten nur meine unerwartete Verwundung mich gehindert hat. Ich habe es von einem französischen Gelehrten bekommen, dem ich nach dem Gefecht bei Alexandria eine Gefälligkeit erwiesen habe.«
Der Kapitän legte ein kleines Ringschächtelchen in die Hände des Altertümlers. Als dieser es öffnete, fand er einen antiken Ring aus massivem Golde mit einer sehr schön ausgeführten Kamee – einem Kopfe der Kleopatra. Der Altertümler ließ seinem Entzücken freien Lauf, schüttelte seinem Neffen herzlich die Hand, dankte ihm hundertmal und zeigte den Ring seiner Schwester und Nichte, von denen die letztere so viel Takt hatte, ihn gebührend zu bewundern, aber Fräulein Griselda, die zwar ihrem Neffen ebenso zugetan war, war nicht so politisch, ein Gleiches zu tun.
Inzwischen hatte Juno, die mit dem merkwürdigen Instinkt der Hunde ganz genau wußte, wer sie leiden mochte und wer ihr übel wollte, mehrmals zur Tür hereingelugt, und da sie nichts bemerkt hatte, was ihr an der gefürchteten Person des Altertümlers diesmal Furcht hätte einflößen können, war sie endlich keck hereingekommen. Sie sah, daß sie ganz unbehelligt blieb, und dadurch kühn gemacht, fraß sie in der Tat Herrn Oldbucks geröstetes Brot auf, während dieser in seiner Lobrede auf den Ring begeistert fortfuhr, bis er sich endlich, unterbrach:
»Hollah! da ist mein Röstbrot verschwunden! Und ich sehe schon, welchen Weg es gegangen ist! Hu, du Musterexemplar von Weibsvolk!« – und mit diesen Worten hob er die Faust gegen Juno, die spornstreichs aus der Stube sauste. – »Doch da nach Homer Jupiter im Himmel auch seiner Juno nicht Herr zu werden vermochte, und da der Dresseur dieser Juno auf Erden ebenso wenig Glück gehabt hat, so müssen wir uns eben mit dem Beest abfinden und es verbrauchen, wie es ist.«
Nach diesem milden Urteilsspruch, der der Juno volle Verzeihung gewährte, setzte sich die Familie an die Morgenmahlzeit.
Elftes Kapitel
Zwölftes Kapitel
Der Sarg war aus der Hütte getragen worden. In regelmäßiger Folge, je nach ihrer Stellung oder Verwandtschaft mit dem Toten, hatten die Leidtragenden die Hütte verlassen, wahrend die kleineren Kinder hinter der Bahre ihres Bruders drein geführt wurden, ohne den Sinn der Feierlichkeit zu begreifen. Dann erhoben sich auch die Klatschschwestern und nahmen die Mädchen mit sich, um die unglücklichen Eltern allein zu lassen, daß sie ihr Herz gegeneinander ausschütten und durch gegenseitige Aussprache ihren Kummer lindern möchten.
Sie erreichten jedoch ihre gut gemeinte Absicht nicht. Kaum hatte die letzte die Tür leise hinter sich zugezogen, da warf der Vater einen hastigen Blick um sich, und als er gesehen hatte, daß niemand Fremdes mehr da war, da fuhr er auf, schlug die Hände wild über seinem Haupte zusammen, und halb stürzend, halb taumelnd warf er sich auf das Bett, auf dem der Sarg gestanden hatte, begrub das Gesicht in den Betttüchern und machte seinem Schmerz in voller Leidenschaft Luft.
Vergebens unterdrückte die unglückliche Mutter Schluchzer und Tränen – entsetzt durch das ungestüme Herzeleid ihres Mannes, das um so furchtbarer wirkte, als es einen Mann von hartem, festem Wesen und robuster Figur völlig darniederwarf – vergebens zog sie ihn an den Rockschößen und flehte ihn an, er solle doch aufstehen und daran denken, daß er noch ein Weib habe und andere Kinder, die ihn trösteten und ihm zur Seite ständen.
Er hörte nicht auf ihr Flehen, das noch in einer zu frühen Stunde seines Grames kam, er blieb liegen und schluchzte so bitterlich und so heftig, daß das Bett schütterte, und mit geballten Fäusten zerknüllte er die Betttücher und seine Beine zuckten krampfhaft, so tief und furchtbar war die Qual und Not dieses Vaters.
In diesem Augenblick klopfte es laut an die Tür.
»Ach, du lieber Gott!« sagte die arme Mutter. »Wer kann denn jetzt noch zu uns wollen? Die Leute können doch noch nicht von unserem Unglück gehört haben.«
Das Klopfen wurde wiederholt, sie stand auf, öffnete die Tür und fragte mürrisch:
»Wer kommt und stört ein so in Trauer versetztes Haus?«
Ein großer Mann in Schwarz stand vor ihr, in dem sie sofort den Lord Glenallan erkannte.
»Wohnt nicht in diesem oder einem der Nachbarhäuser eine alte Frau mit Namen Elsbeth, die lange in Craigburnfoot und bei Glenallans gewohnt hat?«
»Das ist meine Schwiegermutter, Mylord,« sagte Margarete, »aber sie kann jetzt mit niemand sprechen – uns hat ein schwerer Schlag getroffen.«
»Gott verhüte,« sagte Lord Glenallan, »daß ich Euch aus nebensächlicher Ursache in Eurem Kummer stören sollte, aber meine Tage sind gezählt – Eure Schwiegermutter steht im höchsten Alter, und wenn ich sie heute nicht sehe, so treff ich sie vielleicht hienieden nie wieder.«
»Und wozu,« antwortete die trostlose Mutter, »wollen Sie ein altes Weib sehen, das von Alter und Sorge und Herzeleid hingebracht worden ist? An diesem Tage, wo meines Sohnes Leiche hinausgetragen worden ist, soll weder Edelmann noch Bauer zu meiner Tür herein,«
Mit diesen Worten stellte sich Maggie Mucklebackit in die Tür, wie um dem Gast den Eintritt zu verwehren. Aber die Stimme ihres Mannes ließ sich drinnen vernehmen.
»Wer ist da, Maggie? Was läßt du ihn nicht herein? Was kommts drauf an, wer von jetzt ab noch hier aus und ein geht?«
Die Frau trat auf ihres Mannes Geheiß hin zur Seite und ließ Lord Glenallan hereintreten. Er ging auf die alte Elsbeth zu, die auf ihrem gewohnten Platze saß, und fragte sie, so laut er sprechen konnte:
»Bist du die Elsbeth von Craigburnfoot von Glenallan?«
»Wer ist es, der nach der unglückseligen Wohnung dieses bösen Weibes fragt?« war die Antwort auf diese Frage.
»Der unglückliche Graf von Glenallan.«
»Graf – Graf von Glenallan!«
»Er, der William Lord Geraldin genannt wurde,« sagte der Graf, »und der nach seiner Mutter Tode Graf von Glenallan geworden ist.«
»Mach den Laden auf,« sagte die Alte fest und rasch zu ihrer Schwiegertochter, »mach schnell den Laden auf, daß ich sehen kann, ob das wirklich Lord Geraldin ist – der Sohn meiner Gebieterin – er, den ich in die Arme nahm, als er geboren wurde, – er, der ein Recht hat, mir zu fluchen, daß ich ihn nicht gleich nach der Geburt erstickt habe!«
Das Fenster, das geschlossen worden war, damit ein düsteres Zwielicht die Feierlichkeit der Trauerversammlung erhöhen sollte, wurde geöffnet, wie sie es befahl, und warf ein plötzliches und grelles Licht durch die rauchige dicke Atmosphäre der engen Hütte. Der Schein fiel in einem Strom auf den Kamin und beleuchtete die Züge des unglücklichen Edelmannes und der alten Sibylle, die jetzt aufgestanden war, ihn an der Hand hielt und begierig mit ihren hellblauen Augen ihm ins Gesicht sah. Dabei hatte sie ihren langen, verwelkten Zeigefinger ihm dicht vors Gesicht gehalten und bewegte ihn nun langsam, als zöge sie die Umrisse nach und vergliche das, was sie jetzt sah, mit dem, dessen sie sich erinnerte. Als sie ihre Prüfung beendet hatte, sagte sie mit einem tiefen Seufzer:
»Arg verändert – arg verändert! – und wer ist schuld daran? Aber das ist im großen Schuldbuch eingetragen und wird ausgeglichen. Es ist auf erzenen Tafeln mit einer Feder von Stahl geschrieben, – auf den erzenen Tafeln, auf denen alles verzeichnet ist, was von Menschen begangen ist.«
Nach einer Pause setzte sie hinzu:
»Und was will Lord Glenallan von einem armen alten Geschöpf wie ich, das schon tot ist und nur noch insofern dem Leben angehört, als sie noch nicht ins Grab gelegt worden ist?«
»Im Namen des Himmels,« antwortete Lord Glenallan, weshalb hast du so dringend verlangt, mich zu sehen? und warum hast du zur Bekräftigung deines Verlangens mir ein Zeichen gesandt, dem ich, wie du wohl wußtest, nicht zu widersprechen wagen würde?«
Mit diesen Worten langte er aus seiner Börse den Ring, den ihm Edie Ochiltree nach Glenallan-Haus gebracht hatte. Der Anblick dieses Zeichens hatte eine seltsame und unmittelbare Wirkung auf die alte Frau. Sie wandte sich an ihren Sohn und ihre Schwiegertochter und hieß sie gebieterisch die Hütte verlassen, damit sie mit Lord Geraldin (so nannte sie ihn noch immer) allein sein könne.
Aber Maggie Mucklebackit, deren heftigster Schmerz sich gelegt hatte, war gar nicht willens, sich in ihren eigenen vier Pfählen von ihrer Schwiegermutter Vorschriften machen zu lassen, zumal die alte Frau, die nun so plötzlich wieder aufzuleben schien, schon langst nichts mehr zu sagen hatte.
»Schnurrig ist's doch,« sagte sie in brummigem Tone, denn laut zu schimpfen wagte sie doch nicht in Gegenwart des Lords Glenallan, »daß eine Mutter aus ihrem eigenen Hause gewiesen wird, wo noch die Träne ihr im Auge hängt und wo kaum ihr Sohn als Leiche zur Tür hinausgetragen worden ist.«
Der Fischer setzte in trotzigem, verbissenem Tone hinzu:
»Das ist kein Tag für deine Geschichten aus der alten Welt, Mutter, – Mylord, wenn er ein Lord ist, kann ein andermal wiederkommen – oder er mag rasch sagen, was er zu sagen hat, wenn es ihm beliebt. Hier ist niemand, der ein Interesse hat, ihm oder dir zuzuhören. Aber weder wegen eines Lords noch wegen des ärmsten Kerls will ich mein Haus verlassen an dem Tage, wo mein armer –«
Seine Stimme stockte und er konnte nicht weiter sprechen; aber da er aufgestanden war, als Lord Glenallan hereingetreten war, warf er sich jetzt störrisch auf einen Stuhl und blieb in der mürrischen Stellung eines Mannes, der entschlossen ist, sein Wort zu halten.
Aber die alte Frau, der die Krise alle ihr früher in hervorragendem Maße eigenen geistigen Kräfte wiederzugeben schien, erhob sich, trat auf ihn zu und sagte mit feierlicher Stimme:
»Mein Sohn, so du nicht deiner Mutter Schande mitanhören willst, so du nicht freiwillig Zeuge ihrer Schuld sein willst, so du ihren Segen dir verdienen und ihrem Fluch aus dem Wege gehen willst – so fordere ich dich auf, bei dem Leibe, der dich geboren und genährt hat, laß mich allein, daß ich ungestört mit Lord Geraldin sprechen kann, was keines Menschen Ohr als sein eigenes mitanhören darf. Gehorche meinen Worten, daß, wenn du mich begräbst – o! wär der Tag erst da! – du dieser Stunde gedenken kannst, ohne daß du dir den Vorwurf machen mußt, das letzte Geheiß, das deine Mutter dir gegeben hat, nicht befolgt zu haben!«
Diese feierlichen Worte erweckten in dem Herzen des Fischers die Gewohnheit instinktiven Gehorsams, in der seine Mutter ihn erzogen hatte und der er sich früher unbedingt unterworfen hatte. Er nahm seine widerstrebende Frau am Arm und führte sie aus der Hütte hinaus, indem er hinter sich die Tür zuschloß.
Als die unglücklichen Eltern gegangen waren, drang Lord Glenallan, der befürchtete, die Alte könnte wieder in ihre Lethargie verfallen, von neuem in sie, ihm zu sagen, weshalb sie so dringend nach ihm verlangt habe.
»Sie werden es früh genug erfahren,« antwortete sie, »ich bin jetzt klar bei Verstand, und es ist nicht anzunehmen – zum wenigsten glaube ich es nicht – daß ich wieder vergessen könnte, was ich zu sagen habe. Es steht mir vor den Augen, als wäre es gestern gewesen, wie ich in Craigburnfoot gewohnt habe. Der grüne Strand – da, wo der Bach in die See mündet – die beiden kleinen Jollen mit den gerafften Segeln, in der von der Natur gebildeten Bucht verankert – die hohe Klippe, die die Gärten des Schlosses Glenallan mit dieser Bucht verbindet und hoch über dem Wasser herabhängt – ach! wohl kann ich vergessen, daß ich einen Mann gehabt habe und ihn verlor – daß von unseren vier hübschen Söhnen bloß noch einer lebt – daß Unglück auf Unglück unseren schlecht erworbenen Reichtum verschlungen hat – daß sie die Leiche meines ältesten Enkelkindes heute morgen aus dem Hause getragen haben – aber ich kann nie die Tage vergessen, die ich im holden Craigburnfoot verlebt habe.«
»Du warst ein Liebling meiner Mutter,« sagte Lord Glenallan, der sie auf den Punkt zurückzubringen wünschte, von dem sie abschweifte.
»Das war ich – das war ich – Sie brauchen mich nicht daran zu erinnern. Sie hat mich über meinen Stand erhoben, sie hat mir mehr Bildung beigebracht als meinen Kollegen und Dienstkameraden, aber wie der böse Versucher hat sie mich neben vielem Guten auch in das Böse eingeweiht.«
»Um Gottes willen, Elsbeth,« sagte der erstaunte Graf, »fahr fort, wenn du kannst, und erkläre näher, was du so schrecklich andeutest – ich weiß wohl, du bist die Mitwisserin eines furchtbaren Geheimnisses – sprich weiter.«
»Das will ich, das will ich,« sagte sie, »nur ein wenig Geduld müssen Sie mit mir haben.«
Und nun kam sie auf den Gegenstand, der so lange schon ihr Gewissen bedrückt hatte und der ohne Frage sie oftmals beschäftigt hatte, wenn sie gegen ihre Umgebung tot zu sein schien. Und so sehr wirkte die geistige Energie auf ihre physischen Kräfte und ihr Nervensystem, daß bei all ihrer sonstigen Schwäche und Taubheit jedes Wort, das Graf Glenallan während dieses merkwürdigen Zwiegesprächs fallen ließ – und wenn er es auch im leisesten Tone des Entsetzens oder des Schmerzes sagte – in voller Deutlichkeit und Verständlichkeit an Elsbeths Ohr schlug. Auch sie selbst sprach klar und deutlich und langsam, als fürchte sie, daß sonst die Mitteilung, die sie zu machen hatte, nicht genau verstanden werden könne. Ihre Sprache verriet eine bessere Erziehung und einen ungewöhnlich starken, entschlossenen Geist, und einen Charakter von jener Art, von der sich große Tugenden oder große Verbrechen erwarten lassen.
Dreizehntes Kapitel
»Ich brauche Ihnen nicht zu sagen,« sagte die alte Frau zu Graf Glenallan, »daß ich der Liebling und die vertraute Dienerin von Joscelinde Gräfin von Glenallan war, der der Herr gnädig sein möge,« Mit diesen Worten bekreuzte sie sich. »Und ich denke, Sie werden nicht vergessen haben, daß sie viele Jahre lang große Stücke auf mich hielt, aber durch einen kleinen Akt des Ungehorsams verfiel ich in Ungnade – eine Person hatte es ihr hinterbracht, die mich nicht mit Unrecht in dem Verdacht hatte, daß ich auf alles, was die Gräfin und auch Sie, Mylord, begannen, insgeheim ein scharfes Auge hätte.«
»Ich sage dir, Weib,« unterbrach sie der Graf mit vor leidenschaftlichem Zorne bebender Stimme, »nenne nicht ihren Namen vor meinen Ohren!«
»Ich muß sie nennen!« versetzte die Alte fest und ruhig. »Wie sollten sonst Sie mich verstehen?«
Der Graf stützte sich auf einen der Holzstühle, zog den Hut übers Gesicht, ballte die Fäuste und biß die Zähne aufeinander, wie jemand, der äußersten Mut zusammennimmt, um eine schmerzhafte Operation über sich ergehen zu lassen, und winkte ihr, fortzufahren.
»Ich sage also,« begann die Alte wieder, »daß ich bei meiner Herrin in Ungnade fiel, das verdankte ich vor allem Fräulein Eveline Neville, die damals in Glenallan-Haus aufgezogen wurde als Tochter eines Vetters und engen Freundes Ihres Vaters, der schon gestorben war. Es war vieles nicht ganz klar mit ihr, aber wer hätte wohl gewagt, sich näher danach zu erkundigen, da die Gräfin nichts darüber verriet. Alles in Glenallan-Haus liebte Fräulein Neville – alles, bis auf zwei – Ihre Mutter und ich – wir beide haßten sie.«
»Gott! aus welchem Grunde? Nie hat die Erde ein Wesen getragen, das so sanft und gut war und so dazu geschaffen schien, geliebt zu werden!«
»Das mag wohl so gewesen sein,« versetzte Elsbeth, »aber Ihre Mutter haßte alles, was aus der Familie Ihres Vaters war – alles, bloß ihn selber nicht. Der Grund war wohl ein Streit, der kurz vor ihrer Verheiratung zwischen ihnen vorfiel, das Nähere tut hier nichts zur Sache. Aber doppelt haßte sie Eveline Neville, als sie gewahr wurde, daß zwischen Ihnen und der unglücklichen jungen Dame ein Liebesverhältnis im Entstehen war! Sie werden selber noch wissen, daß die Abneigung der Gräfin zunächst nur soweit ging, daß sie sich sehr kühl zu ihr stellte – wenigstens ließ sie sich sonst nichts weiter merken. Aber schließlich artete ihre Abneigung in solch wilden Haß aus, daß Fräulein Neville Zuflucht suchen mußte auf Schloß Knockwinnock bei Sir Arthurs Frau, die damals noch lebte – Gott Hab sie selig!«
»Du zerreißt mir das Herz mit diesen Einzelheiten – aber fahre fort!«
»Ein paar Monate war sie weg gewesen,« fuhr Elsbeth fort, »da wachte ich eines Nachts auf meiner Hütte, wo ich auf meinen Mann wartete, der vom Fischen heimkommen mußte, und ich weinte bittere Tränen, weil mein Stolz sich in mir aufbäumte, daß ich in Ungnade gefallen war. Da öffnete sich die Tür und die Gräfin, Ihre Mutter, trat herein. Ich dachte, ich hätte ein Gespenst gesehen, denn diese Ehre hatte sie mir nie erwiesen, und sie sah auch so bleich und geisterhaft aus, als sei sie eben aus dem Grabe gestiegen. Sie setzte sich nieder und rang die Nässe aus ihrem Haar und ihrem Mantel, denn es regnete in dieser Nacht und sie war durch die Pflanzungen gegangen, die vom Tau bedeckt waren. Ich erwähne das alles nur, damit Sie sehen sollen, wie genau ich mich noch auf diese Nacht besinnen kann, wie deutlich sie noch in meiner Erinnerung lebt – und das mit Recht. Ich war sehr erstaunt, sie zu sehen, aber ich wagte nicht zuerst zu reden – denn es war für mich schlimmer, als wenn ich ein wirkliches Gespenst gesehen hätte – für mich, die ich doch manches Bild des Grausens geschaut hatte und nie dabei gezittert habe. Nach einem Schweigen sagte sie also: Elsbeth Cheyne (denn sie nannte mich immer bei meinem Mädchennamen), bist du nicht die Tochter jenes Reginald Cheyne, der sein Leben ließ für seinen Herrn, Lord Glenallan, den er auf dem Felde von Sheriffmuir rettete? Und ich antwortete ebenso stolz fast wie sie mich fragte: So gewiß Sie die Tochter jenes Grafen von Glenallan find, den mein Vater rettete an diesem Tage seines eigenen Todes.«
Nach diesen Worten trat eine lange Pause ein.
»Und was folgte? was folgte? – Um Himmelswillen – gute Frau – doch warum brauche ich dieses Wort? Einerlei, ob gut, ob böse – ich befehle dir, erzähle weiter!«
»Und wenig Gehör würde ich einem irdischen Befehl noch leihen,« antwortete Elsbeth. »Hätte nicht im Schlafen und Wachen eine Stimme zu mir gesprochen, die mich angetrieben hätte, diese traurige Geschichte zu erzählen. Also, Mylord, die Gräfin sagte zu mir: »Mein Sohn liebt Eveline Neville – sie sind beide einig – sie haben sich verlobt – wenn sie einen Sohn bekommen sollten, so ist mein Recht auf Glenallan erloschen, und von diesem Augenblick sinke ich, die Gräfin, herab zu einer elenden Person, die von ihren Zinsen lebt oder gar von Gnadengeld ihr Dasein fristet – ich, die ich Ländereien und Vasallen und edles Blut und alten Ruhm meinem Gatten eingebracht habe, ich muß aufhören, Herrin zu sein, wenn mein Sohn einen männlichen Erben hat. Aber darum geht es mir schließlich nicht – hätte er nur eine andere geheiratet als eine von den verhaßten Nevilles, so hätte ich mich damit abgefunden. Aber um ihretwegen, damit sie und ihre Abkömmlinge sich der Vorrechte und Ehren meiner Ahnen erfreuen sollen – das geht mir durchs Herz wie ein zweischneidiges Schwert. – Und dieses Mädchen gar, sie ist mir ein Greuel!« – »Und ich, denn mein Herz wurde heiß bei ihren Worten, ich sagte ihr, mein Haß sei dem ihren gleich.«
»Erbärmliche!« rief der Graf, trotz seines Entschlusses, sich still zu verhalten. »Erbärmliches Weib! Was für eine Ursache zum Haß hätte dir ein so unschuldiges und sanftes Wesen geben können!«
»Ich haßte, was meine Herrin haßte, wie es bei den Untertanen des Hauses Glenallan üblich war. Denn wenn ich auch unter meinem Stande heiratete, Mylord, so ist doch kein Ahne von Ihnen je zum Schlachtfeld geritten, ohne daß ein Ahne der gebrechlichen, schwachsinnigen, alten nutzlosen Hexe, die jetzt mit Ihnen spricht, ihm den Schild getragen hätte. Aber das war nicht alles,« fuhr die Vettel fort, in der die bösen Leidenschaften wieder sich entfachten, je mehr sie sich bei der Erzählung erhitzte, »das war nicht alles. Ich haßte Fräulein Eveline Neville um ihrer selbst willen. Ich hatte sie aus England hergebracht und auf dem ganzen Wege hatte sie sich über meine nordische Sprache und Manier lustig gemacht. Aber ich leugne nicht, daß ich sie mehr haßte, als sie es verdiente. Auch der Haß meiner Gebieterin war wilder geworden und sie sagte zu mir: Elsbeth Cheyne, dieser ungehorsame Bursche wird sie heiraten – wenn noch die früheren Zeiten waren, dann könnte ich ihn und seine Buhle in den Kerker von Glenallan werfen, aber diese Zeiten sind vorüber. Höre mich, Elsbeth Cheyne, wenn du deines Vaters Tochter bist wie ich die Tochter meines Vaters, so will ich Mittel und Wege finden, daß sie nicht zusammenkommen sollen. Sie geht oft nach der Klippe, die dein Wohnhaus überragt, und schaut aus nach dem Boote ihres Geliebten. (Sie erinnern sich vielleicht noch, welche Freude das für Sie immer war, wenn Sie auf See waren.) Er soll sie vierzig Klaftern tiefer finden, als er erwartet. Ja, Sie mögen die Augen aufreißen und die Fäuste ballen, aber – so wahr ich vor dem einzigen Wesen stehe, das ich je gefürchtet habe – o! hätte ich doch den dort oben mehr gefürchtet! – das waren Ihrer Mutter Worte! Was sollte es für mich für Nutzen haben, Sie zu belügen? Aber ich wollte nicht mir die Hände mit Blut beflecken. Dann sagte sie: Bei der Religion unserer heiligen Kirche, sie sind zu nahe miteinander versippt. Da aber der böse Feind stets in Köpfen wie dem meinen arg sein Wesen treibt, so ließ ich mich verlocken, hinzuzufügen: Aber es läßt sich so einrichten, daß man sie sich selber für so naheverwandt miteinander halten kann, daß kein christliches Gesetz ihre Vereinigung gestatten würde.«
Graf von Glenallan unterbrach sie mit einem so durchdringenden Aufschrei, daß fast das Dach der Hütte zu beben schien.
»Ah! Eveline Neville war also nicht ...«
»Nicht die Tochter Ihres Vaters, wollen Sie sagen?« fuhr Elsbeth fort. »Nein, mag es Ihnen nun eine Marter sein oder ein Trost – Sie sollen die volle Wahrheit wissen: sie war ebenso wenig eine Tochter aus Ihres Vaters Hause wie ich.«
»Weib, hintergeh mich nicht – mach nicht, daß ich dem Andenken der Mutter fluche, die ich vor kurzem ins Grab legte, daß ich sie verfluche als Mitschuldige an einem Komplott, dem grausamsten, höllischsten Komplott...«
»Bedenken Sie sich, Lord Geraldin, ehe Sie dem Andenken einer toten Mutter fluchen – lebt denn nicht noch einer vom Blute der Glenallans, der eben die Ursache zu dieser furchtbaren Katastrophe gewesen ist?«
»Meinst du meinen Bruder? – der ist auch tot.«
»Nein,« erwiderte die Sibylle, »Sie selber meine ich. Hätten Sie nicht den Gehorsam eines Sohnes mit Füßen getreten und heimlich Eveline Neville, als Sie in Knockwinnock zu Gaste waren, geheiratet – so hätte unser Komplott Sie wohl eine Zeitlang voneinander trennen können, aber Ihr Kummer wäre dann wenigstens nicht durch Gewissensbisse verbittert gewesen. Aber Ihr eigenes Verhalten hat das Gift der Waffe, die wir schleuderten, beigefügt, und sie durchdrang Sie um so gewaltiger, als Sie in den tödlichen Wurf hineinliefen. Wäre Ihre Heirat eine offene, anerkannte Handlung gewesen, so hätte unser Plan, Ihnen ein unübersteigbares Hindernis in den Weg zu legen, nicht ausgeführt werden können.«
»Großer, Gott!« sagte der unglückliche Edelmann. »Wie Schuppen fällt es mir von den Augen, Ja, nun versteh ich die fragwürdigen Trostesworte, die meine Mutter undeutlich hinwarf. Damit hat sie nur die Beweise der Schreckenstat ausmerzen wollen, an der ich mir die Schuld allein beimessen sollte!«
»Sie hat nicht deutlicher sprechen können,« antwortete Elsbeth, »wenn sie nicht ihren eigenen Betrug, hätte eingestehen sollen, und lieber hätte sie sich von wilden Pferden zerreißen lassen, als daß sie ihre Tat enthüllt hätte. Und wenn sie noch am Leben wäre, auch mir sollte niemand das Geheimnis entreißen! Starke Herzen waren sie; die Weiber von Glenallan und die Männer auch.«
Der unglückliche Edelmann war in seine eigenen verwirrten abschweifenden Gedanken versunken.
»Großer Himmel!« rief er. »So bin ich frei von der entsetzlichsten Schuld, mit der der Mensch befleckt sein kann und deren Bewußtsein – ob ich auch die Tat nicht wollte oder mit Absicht begangen hatte – mir den Frieden vernichtet, die Gesundheit untergraben und mich frühzeitig an den Rand des Grabes gebracht hatte. Nimm,« setzte er in inbrünstigem Tone hinzu, die Augen gen Himmel erhebend, »nimm meinen innigsten Dank! – Wenn ich auch ein elendes Leben geführt habe, wenigstens werde ich nicht sterben mit dem unnatürlichen Schandfleck dieser Schuld! – Und du, fahr fort, wenn du noch mehr zu sagen hast – fahr fort, solange du noch eine Stimme hast zu reden, und ich die Kraft zu hören.« »Ja,« antwortete die Vettel, »die Stunde, da du hören sollst und ich reden werde, eilt reißend vorbei. Der Tod hat sein Kreuz dir schon auf die Stirn gezeichnet, und mir greift seine Faust tagtäglich kälter ans Herz, – Unterbrechen Sie mich nicht mehr mit Ausrufen, Stöhnen und Anklagen und hören Sie meine Geschichte zu Ende an. – Und dann – wenn Sie wirklich ein solcher Lord von Glenallan sind, wie ich die Glenallans zu meiner Zeit gekannt habe, dann lassen Sie Ihre Leute Holz und Reisig sammeln, und sie sollen es hoch auftürmen bis zum Giebel des Hauses, und dann verbrennt, verbrennt, verbrennt die alte Hexe Elsbeth und mit ihr alles, was daran erinnern kann, daß eine solche Kreatur je zwischen Himmel und Erde herumgekrochen ist!«
»Weiter! weiter!« sagte der Graf. »Ich will dich nicht wieder unterbrechen.«
Er sprach mit halb erstickter Stimme, aber in entschlossenem Tone, denn er wollte nicht durch übergroße Erregung seinerseits sich die Gelegenheit entgehen lassen, Beweise für die wunderbare Geschichte zu erhalten, die er nun hörte.
Aber Elsbeth war durch die ununterbrochene Erzählung von so ungewöhnlicher Länge erschöpft, der zweite Teil der Geschichte kam verworrener zu Bericht und, wenn er auch in allen Teilen klar verständlich war, so fehlte ihm doch die Schärfe und die fast grelle Klarheit, die den ersten Teil in so erstaunlichem Grade ausgezeichnet hatte. Als sie ein paar erfolglose Versuche gemacht hatte, in ihrer Erzählung fortzufahren, mußte Lord Glenallan ihrem Gedächtnis nachhelfen, indem er sie fragte, was sie für Beweise für die Geschichte vorzubringen hätte, die so ganz anders laute, als, sie sie ursprünglich angegeben hätte.
»Der Beweis,« sagte sie darauf, »von Eveline Nevilles wahrer Herkunft befand sich im Besitz der Gräfin, und sie hatte alle Ursache, ihn eine Zeitlang geheim zu halten. Wenn sie die Papiere nicht vernichtet hat, so werden sie sich noch in dem Schubkasten linker Hand des Ebenholzschränkchens finden, das im Ankleidezimmer stand – sie wollte sie solange verbergen, bis Sie wieder im Auslande wären, denn sie dachte, vor Ihrer Rückkehr Fräulein Eveline Neville in ihre Heimat zurückzubringen oder sie mit irgendwem zu verheiraten.«
»Aber hast du mir nicht Briefe von meinem Vater gezeigt, die – wenigstens schien es mir so, sofern nicht alle meine Sinne mich in dieser entsetzlichen Stunde verlassen haben – das Geständnis zu enthalten schienen, daß er mit dieser Unglücklichen...«
»Das taten wir,« versetzte die Hexe, »und wie hätten Sie danach an der Sache zweifeln können? Aber die wahre Erklärung dieser Briefe haben wir unterdrückt, nämlich, daß Ihr Vater es für Recht und angeraten hielt, daß die junge Dame eine Zeitlang für seine Tochter gelten sollte, aus gewissen Familiengründen, die sie für sich behielten.«
»Aber weshalb wurde diese furchtbare List beibehalten, nachdem ihr von unserer Vereinigung gehört hattet?«
»Erst als Lady Glenallan diese Lüge aufgebracht hatte, kam sie auf den Verdacht, daß Sie sich, tatsächlich hätten trauen lassen – selbst dann gaben Sie es noch nicht zu, so daß sie noch nicht völlige Gewißheit haben könnte, ob die Feier wirklich zwischen Ihnen vollzogen worden sei. Aber Sie werden sich noch sehr gut erinnern – ach! wie könnten Sie es nicht? – was bei der furchtbaren Unterredung sich zutrug.«
»Weib! bei den Evangelien beschwurst du, was du jetzt als unwahr bezeichnest.«
»Das tat ich, und ich hätte selbst einen noch heiligeren Eid darauf geleistet, wenn es einen heiligeren gegeben hätte – mein Blut sogar hätte ich dafür hingegeben oder meine Seele verkauft, um dem Hause Glenallan zu dienen.«
»Elende! Eid nennst du diesen entsetzlichen Meineid, der von noch entsetzlicheren Folgen begleitet war – meinst du damit dem Hause deiner Wohltäter einen Dienst geleistet zu haben?«
»Ich diente ihr, die damals das Oberhaupt der Glenallans war, und ich diente ihr, wie sie es verlangte. Die Sache hat sie mit Gott und ihrem Gewissen abgemacht – wie es gemacht werden sollte, das war zwischen meinem Gewissen und dem Himmel auch ins reine gebracht, nun ist sie hingegangen, Rechenschaft abzulegen, und ich will und muß ihr folgen. – Hab ich Ihnen nun alles erzählt?«
»Nein,« antwortete Lord Glenallan, »du hast noch mehr zu sagen – du hast mir vom Tode des Engels zu erzählen, den dein Meineid zur Verzweiflung getrieben hat, weil sie sich befleckt glaubte – belastet mit einem so furchtbaren Verbrechen. Sprich die Wahrheit – war dieses schreckliche Geschehnis –« er vermochte die Worte kaum auszusprechen, »trug sich dieses schreckliche Geschehnis so zu, wie es berichtet wurde – oder war es ein weiterer Akt der entsetzlichen Grausamkeit, von andern verübt?«
»Ich verstehe Sie,« sagte Elsbeth, »aber hier hat das Gerücht die Wahrheit gesagt – unser falsches Zeugnis war allerdings die Ursache, die Tat hat sie aber selber im Wahnsinn verübt. Bei dieser furchtbaren Enthüllung stürzten Sie von der Gräfin weg, sattelten Ihr Pferd und verließen das Schloß wie ein Feuersturm. Die Gräfin hatte daher von Ihrer geheimen Ehe noch nichts erfahren. Sie aber jagten davon, wie wenn Furien hinter Ihnen wären, und Fräulein Neville wurde in sicheren Gewahrsam gebracht. Aber der Wächter schlief – und die Gefangene wachte –. der Weg lag vor ihr, da war die Klippe und da war die See. O, wenn ich doch das vergessen könnte!«
»Und so ist sie gestorben,« sagte der Graf, »ganz so, wie es berichtet wird?«
»Nein, Mylord, ich war zur Bucht hinausgegangen, da sah ich einen weißen Gegenstand wie eine Seemöwe von der Klippe herunterschießen, dann gibt es einen lauten Klatsch, das Wasser gischt auf und ich sehe, daß ein menschliches Wesen in die Wogen gefallen ist. Ich war stark und mutig und vertraut mit der Flut. Ich stürzte mich hinein und faßte ihr Gewand und zog sie heraus und trug sie auf meinen Schultern – zwei solche hätte ich damals tragen können, und legte sie auf mein Bett. Da schickt ich zur Gräfin – und die Gräfin schickte ihre spanische Dienerin Theresa. Wenn je ein böser Feind in Menschengestalt auf Erden gewandelt ist, so war sie einer. Sie und ich sollten über der Unglücklichen wachen und keinen anderen zu ihr lassen. Der Himmel allein weiß, was der Spanierin aufgetragen worden war – sie hat es mir nicht gesagt – aber der Himmel nahm den Abschluß selber in die Hand. Die arme Dame kam vor der Zeit nieder und gebar ein Kind männlichen Geschlechts und starb in meinen Armen – in den Armen ihrer Todfeindin. Ja, Sie mögen weinen! – Ich ließ Theresa bei der Leiche und dem neugeborenen Kinde, um die Gräfin zu fragen, was nun geschehen solle. Es war schon spät, aber ich traf sie noch, und spät wie es war, rief sie noch nach Ihrem Bruder. Es ging damals die Rede, daß sie ihn zu ihrem Erben machen wollte. Was sie miteinander gesprochen haben, weiß ich nicht und kann ich nicht sagen, da ich es nicht gehört habe. Lange und ernst haben sie miteinander beraten, und als Ihr Bruder durch das Zimmer, wo ich wartete, hindurchging, da schien mir, als sei das Feuer der Hölle selber ihm in Gesicht und Augen entfacht worden. Aber seine Mutter schien er angesteckt zu haben. Sie kam wie eine Irrsinnige herein, und ihre ersten Worte waren folgende: »Elsbeth Cheyne, hast du je eine frisch erblühte Blume gepflückt? Ich sagte ja, das hatte ich wohl schon oft getan. Dann, sagte sie, wirst du am besten wissen, wie diese sündige, ketzerische Knospe vernichtet werden kann, die in dieser Nacht entsprossen ist zur Schande für das Haus meines edlen Vaters. Sieh hier, das Blut von Glenallans darf nur durch Gold vergossen werden, und mit diesen Worten gab sie mir eine goldene Nadel. Dieses Kind, sagte sie weiter, ist schon so gut wie tot, du und Theresa seid die einzigen, die überhaupt von seinem Dasein etwas wissen, so macht mit ihm, was ich von euch erwarte.« Und in Wut ging sie weg und ließ mich stehen mit der goldenen Nadel in der Hand. Hier ist sie. Diese und der Ring des Fräuleins sind alles, was mir von meinem schlecht erworbenen Gute noch übrig ist – denn groß war der Lohn, den ich erhielt, und gut hab' ich das Geheimnis bewahrt.«
Und mit ihrer langen Knochenhand hielt sie Lord Glenallan eine goldene Nadel hin, an der er im Geiste noch das Blut seines Kindes herniederrieseln sah.
»Teufelin! Hattest du das Herz?«
»Weiß nicht, ob ich's hätte tun können oder nicht. Ich kehrte in meine Hütte zurück, ohne den Boden zu fühlen, den ich betrat, aber Theresa und das Kind waren nicht mehr da. Es war nur noch die Leiche da.«
»Und hast du nie erfahren, was aus meinem Kinde geworden ist?«
»Ich konnte nur raten, nur vermuten. Was Ihre Mutter beabsichtigte, das hab' ich Ihnen erzählt, und daß Theresa ein böses Weib war, habe ich gewußt. Sie ist in Schottland nie wieder gesehen worden, und soviel, ich gehört habe, ist sie in ihre Heimat zurückgekehrt. Ein finsterer Vorhang ist über die Vergangenheit gefallen, und die wenigen, die etwas davon hatten merken können, konnten nur Verführung und Selbstmord vermuten. Sie selber ....« »Ich weiß – ich weiß alles.«
»Sie wissen nun allerdings alles, was ich sagen kann. Und nun, Erbe von Glenallan, können Sie mir vergeben?«
»Darum bitte Gott, nicht Menschen!« sagte der Graf und wandte sich ab.
»Und wie sollte ich vom Reinen und Unbefleckten erflehen, was eine Sünderin wie ich sich selber verweigert? – wenn ich gesündigt habe, so habe ich aber auch gelitten. Nicht einen Tag habe ich Frieden gehabt, seit diese langen nassen Locken aus meinem Kissen in Craigburnfoot gelegen haben. Mein Haus ist niedergebrannt mit dem Kinde in der Wiege. Meine Boote sind zerschellt, wo alle andern das Wetter überstanden. Und alles, was mir nahe stand und lieb war, hat Buße tun müssen für meine Sünden. O, wenn doch nun erst dieser Staub zum Staube geworden wäre!«
Lord Glenallan ging zur Tür, aber die Edelmütigkeit seiner Natur bewog ihn, doch noch ein paar tröstliche Worte zu der Verworfenen zu sprechen.
»Möge Gott dir vergeben, elendes Weib,« sagte er, »so aufrichtig wie ich es tue. Wende dich um Erbarmen an ihn, der allein Gnade spenden kann, und mögen deine Gebete erhört werden. – Ich will dir einen frommen Bruder senden.«
Nein, nein, keinen Priester!« rief sie, und die Tür der Hütte öffnete sich, ihr das Wort abschneidend.
Vierzehntes Kapitel
Beiderseitiges Erstaunen lag auf ihren Gesichtern, als der Altertümler und Lord Glenallan sich begrüßten. Herr Oldbuck zeigte stolze Zurückhaltung, der Graf große Verlegenheit.
»Mylord Glenallan, wo mir recht ist?« sagte Herr Oldbuck.
»Ja – sehr verändert seit der Zeit, da er Herrn Oldbuck kannte.«
»Ich wollte Euer Lordschaft nicht stören,« sagte der Altertümler; »ich wollte nur diese unglückliche Familie besuchen.«
»Und Sie haben damit einen gefunden, der noch größern Anspruch auf Ihr Beileid hat.« »Mein Beileid? – Lord Glenallan kann meines Beileids nicht bedürfen. Und wenn er des bedürfte, so würde er mich wohl kaum darum angehen.«
»Unsere frühere Bekanntschaft,« sagte der Graf. ...
»Liegt nun ja so weit zurück, Mylord – und war auch von so kurzer Dauer und mit so außerordentlich peinlichen Umständen verknüpft, daß ich wohl meine, wir können von jeder Erneuerung absehen.«
Mit diesen Worten wandte der Altertümler sich ab und verließ die Hütte, aber Lord Glenallan folgte ihm hinaus, und trotzdem Oldbuck ihm nur ein flüchtiges »Guten Morgen, Mylord,« zurief, bat doch der Graf ihn um eine kurze Unterredung und seinen Rat in einer wichtigen Angelegenheit.
»Euer Lordschaft werden viele geeignetere und bessere Ratgeber finden, Mylord, die es sich zur Ehre anrechnen werden, von Ihnen gefragt zu werden. Ich meinerseits lebe zurückgezogen vom Geschäft und der Welt und bin kein Freund davon, die vergangenen Geschehnisse meines nutzlosen Lebens wieder auszukramen. Und nehmen Sie mir's nicht übel, aber es würde für mich ganz besonders schmerzlich sein, zu jener Periode meines Lebens zurückzukehren, wo ich wie ein Esel handelte und Euer Lordschaft wie ...«
»Wie ein Schurke, wollten Sie sagen,« ergänzte Lord Glenallan, »allerdings muß ich Ihnen so vorgekommen sein.«
»Mylord, Mylord, ich habe kein Verlangen, Ihre Beichte anzuhören,« sagte der Altertümler.
»Aber, Herr, wenn ich zeigen kann, daß man mehr an mir gesündigt hat, als daß ich gesündigt habe – daß ich ein unglücklicher Mann – ein unsagbar unglücklicher Mann gewesen bin, der jetzt nach dem frühzeitigen Grabe als dem Hafen der Ruhe sich sehnt – so werden Sie sich nicht weigern, mich anzuhören oder dagegen Einspruch erheben, daß ich Ihr Erscheinen in diesem kritischen Augenblick als einen Wink vom Himmel ansehe.«
»Gewiß, Mylord, werde ich nicht länger der Fortsetzung dieser außergewöhnlichen Zusammenkunft aus dem Wege gehen.«
»Ich muß Sie dann an die gelegentlichen Begegnungen vor etwa zwanzig Jahren im Schloß Knockwinnock erinnern. – Sie werden sich auf eine Dame besinnen können, die damals zur Familie gehörte.« »Das unglückliche Fräulein Eveline Neville, Mylord, – ich erinnere mich recht gut.«
»Sie brachten ihr Neigung entgegen.« –
»Eine weit tiefere Neigung, als ich je zuvor und je seither einem Mitglieds ihres Geschlechts entgegengebracht habe. Ihre Sanftmut, ihre Gelehrigkeit, ihr Vergnügen an den Studien, die ich ihr wies, machten mir wohl das Herz wärmer, als meinem Alter geziemte (ich war allerdings noch gar nicht mal so sehr alt) oder bei der Solidität meines Wesens sich gehörte. Aber ich brauche Eure Lordschaft wohl nicht daran zu erinnern, auf wie mannigfache Weise Ihre Spottlust sich an dem linkischen zurückgezogenen Studenten betätigte, den die ihm so ganz neuen Gefühle verwirrten – und wahrscheinlich hat die junge Dame an der wohlverdienten Verhöhnung teilgenommen, – das ist ja so die Manier des Weibsvolks. Eure Lordschaft können versichert sein, daß ich mich noch auf alles sehr wohl erinnern kann, und Sie können Ihre Geschichte ohne Bedenken und ohne überflüssiges Zartgefühl erzählen.«
»Das will ich,« sagte Lord Glenallan, »zuvörderst aber will ich Ihnen sagen, daß Sie dem Andenken der zartesten, liebsten und unglücklichen aller Frauen unrecht tun, wenn Sie meinen, Sie hätte mit der Zuneigung eines so biederen Mannes wie Sie Spott treiben können. Oft genug hat sie mich getadelt, wenn mein Leichtsinn sich Sie zum Ziel erkor. Darf ich nun annehmen, daß Sie jetzt über die Ausgelassenheit hinwegsehen, die Ihnen damals weh tat?«
»Mylord, Sie haben volle Verzeihung,« sagte Herr Oldbuck, »Sie sollten wissen, daß ich wie andere damals keine Ahnung davon hatte, daß ich mit Eurer Lordschaft in Nebenbuhlerschaft trat; ich dachte damals, daß Fräulein Neville noch über ihre Hand zugunsten eines ehrlichen Mannes hätte entscheiden können. Aber ich vergeude nur Zeit, – ich. wünschte, ich könnte glauben, daß die Absichten anderer ebenso ehrlich und wohlgemeint gewesen wären wie meine.«
»Herr Oldbuck, Sie urteilen hart.«
»Nicht ohne Grund, Mylord. Als ich allein von allen Obrigkeitspersonen dieser Gegend – weil ich nicht wie viele unter ihnen die Ehre hatte, Ihre einflußreiche Familie zu kennen, noch auch wie wieder andere so feige war, eine so mächtige Familie zu fürchten – als ich, wie gesagt, als einziger eine Nachforschung darüber anstellte, wie Fräulein Neville ums Leben gekommen wäre – ich erschüttere Sie, Mylord, aber ich muß Ihnen reinen Wein einschenken – so muß ich zugeben, daß ich alle Ursache hatte, zu glauben, daß ihr höchst niederträchtig mitgespielt worden sei und daß sie entweder durch die Vorspiegelung einer Heirat betrogen oder sehr gewaltsame Maßregeln ergriffen worden seien, die Beweise einer wirklichen Heirat zu vernichten. Und ob diese Grausamkeit von seiten Eurer Lordschaft nun aus Ihrem freien Willen entsprungen oder aus der Beeinflussung der Gräfin hervorgegangen sein mag – ich kann bei mir selber nicht daran zweifeln, daß Sie dadurch die unglückliche junge Dame zu der verzweifelten Tat getrieben haben, mit der sie ihr Leben endete.«
»Sie irren sich, Herr Oldbuck, und folgern falsch, wenn Sie auch in ganz natürlicher Weise aus den Umständen Ihre Schlüsse ziehen. Haben Sie die Güte, mit Platz zu nehmen auf dieser Bank, denn ich bin nicht imstande, länger zu stehen, und hören Sie die seltsame Entdeckung an, die ich heute gemacht habe.«
Sie setzten sich, und Lord Glenallen begann seine unglückliche Familiengeschichte zu erzählen – seine heimliche Heirat – die entsetzliche Lüge, durch die seine Mutter die geschlossene Verbindung unmöglich gemacht hätte. Er schilderte eingehend die Künste, durch die die Gräfin die Dokumente über Fräulein Nevilles Geburt unterdrückt hätte, und wie sein Vater eine Zeitlang aus Familiengründen eingewilligt habe, daß sie für seine natürliche Tochter erklärt worden sei, und wie er unmöglich den Betrug seiner Mutter hätte ahnen oder gar entdecken können, zumal die Dienstpersonen Elsbeth und Theresa die Sache beschworen hätten.
»Ich verließ mein Vaterhaus,« schloß er, »als wenn die Furien der Hölle mich vorwärts getrieben hätten, und jagte in wahnwitziger Schnelligkeit – wohin, weiß ich nicht. Auch habe ich nicht die mindeste Erinnerung, was ich getan oder wohin ich mich begeben habe, bis mein Bruder mich aufgefunden hatte. Ich will Sie nicht behelligen mit einer Beschreibung meines Krankenlagers und meiner Genesung, oder wie ich lange nachher noch Nachforschungen nach meiner unglücklichen Geliebten angestellt und erfahren habe, daß sie in ihrer Verzweiflung ein furchtbares Mittel gegen alles Leid gefunden hatte. Das erste, was mich wieder zur Besinnung brachte, war die Nachricht, daß sie in diese grausame Geschichte Licht zu bringen bemüht seien; und es wird Sie kaum wundernehmen, daß ich – da mir eine solche Darstellung der Sachlage beigebracht worden war, mich an den Bemühungen meiner Mutter und meines Bruders, Ihrer Nachforschung einen Riegel vorzuschieben, emsig beteiligte. Es gelang, Sie abzuschrecken und alle Zeugen, die bei der Eheschließung zugegen gewesen waren, mundtot zu machen oder außer Landes zu bringen. Ich selber, Herr Oldbuck,« fuhr der unglückliche Mann fort, »betrachtete mich von diesem Augenblicke an als ausgestrichen aus dem Buche der Lebenden und als einen, der auf dieser Welt nichts mehr zu suchen habe. Wenn während dieser zwanzig Jahre, Herr Oldbuck, ein Wesen auf der Erde herumgekrochen ist, das Ihr Mitleid verdiente, so bin ich dieses Wesen gewesen. Meine Nahrung hat mich nicht genährt – mein Schlaf hat mich nicht erfrischt – meine Frommheit hat mich nicht getröstet – alles, was für den Menschen erheiternd und nötig ist, hat sich für mich in Gift verwandelt. Dagegen anzukämpfen hätte eine Energie erfordert, die ich nicht mehr besaß, seit der vernichtende Schlag mich getroffen hatte. Ich vegetierte, so gut es eben ging – Phantasie, Gefühl, Urteil und Gesundheit gingen allmählich zugrunde, wie ein Baum eingeht, dessen Rinde zerstört wurde. Bemitleiden Sie mich nun? Vergeben Sie mir nun?«
»Mylord,« sagte der Altertümler, sehr ergriffen, – »meine Vergebung – mein Mitleid, haben Sie nicht zu erbitten, denn Ihre Geschichte ist an sich die triftigste Entschuldigung für alles, was in Ihrem Verhalten geheimnisvoll erscheinen konnte, und mag wohl selbst Ihre schlimmsten Feinde, Mylord (und zu denen habe ich nie gezählt), zu Tränen und Beileid rühren. Aber erlauben Sie mir danach zu fragen, was Sie nun tun wollen und weshalb Sie mir die Ehre erwiesen, mich bei dieser Gelegenheit ins Vertrauen zu ziehen, da doch meine Meinung hier kaum in Frage kommen kann?«
»Herr Oldbuck,« erwiderte der Graf, »die Natur des Bekenntnisses, das ich heute vernommen habe, konnte ich nicht voraussehen, und daher ist es mir, das brauche ich wohl nicht erst zu sagen, auch niemals in den Sinn gekommen, daß ich Sie einmal um Rat würde fragen müssen – aber ich bin ohne Freunde, an keine Geschäfte gewohnt durch meine lange Abgeschlossenheit, ich kenne auch nicht die Gesetze des Landes und die Gebräuche der lebenden Generation. Nun finde ich mich plötzlich in Dinge verwickelt, in denen ich gar nicht Bescheid weiß, und so greife ich wie ein Ertrinkender nach der ersten Stütze, die sich mir bietet, und wende mich an Sie um Rat, um Mitgefühl, um Hilfe.«
»Sie sollen es nicht vergebens getan haben, Mylord,« sagte Oldbuck, »aber die Sache will reiflich bedacht sein, und gestatten Sie mir zunächst die Frage, was Sie momentan beabsichtigen?«
»Ich will mir Gewißheit darüber verschaffen, was aus meinem Kinde geworden ist,« sagte der Graf, »mögen die Folgen sein, welche sie wollen, und ich will dem Andenken der Eveline Gerechtigkeit erweisen.«
»Und das Andenken Ihrer Mutter?«
»Muß seine eigene Last tragen,« versetzte der Graf seufzend, »besser sie wäre verdientermaßen des Betruges überführt, als andere ungerecht noch weit schrecklicherer Verbrechen angeklagt.«
»Wann haben wir zunächst dafür zu sorgen,« sagte Oldbuck, »daß die Mitteilungen dieser alten Frau in gesetzmäßiger Form aufgenommen werden. Das wird uns vor morgen nicht möglich sein, und ich mache Ihnen daher den Vorschlag solange in Monkbarns mein Gast zu sein. Morgen werden die armen Fischersleute ihrem Gewerbe wieder nachgehen, und wir treffen dann die alte Elsbeth allein und können ihre Aussage zu Protokoll nehmen.«
Nach einer förmlichen Entschuldigung der Umstände, die er ihm bereiten würde, nahm Lord Glenallan die Einladung an und ließ auf dem Heimweg geduldig die ganze Geschichte von John o'the Girnell über sich ergehen, eine Legende, die Herr Oldbuck bekanntlich jedem, der seine Schwelle betrat, zum besten gab.
Fünfzehntes Kapitel
Nach dem Kaffee ersuchte Lord Glenallan den Altertümler um eine Unterredung unter vier Augen und wurde von dem alten Herrn in die Bibliothek geführt.
»Ich muß Sie dem Kreise Ihrer freundlichen Familie entziehen,« sagte der Graf, »um Sie in die Wirrungen eines unglücklichen Mannes hineinzuziehen. Sie wissen Bescheid in der Welt, aus der ich seit langer Zeit verbannt bin. Denn Glenallan-Haus ist für mich mehr ein Gefängnis als eine Wohnung gewesen, ein Gefängnis, aus dem auszubrechen ich weder die Lust noch die Kraft gehabt habe.«
»Lassen Sie mich Eure Lordschaft zunächst fragen, was Sie in dieser Angelegenheit wünschen und beabsichtigen?«
»Ich wünsche vor allen Dingen,« antwortete Lord Glenallan, »meine unglückliche Heirat anzuerkennen und den Ruf der armen Eveline wiederherzustellen, das heißt, sofern Sie eine Möglichkeit sehen, wie sich das machen ließe, ohne das Verhalten meiner Mutter bekannt zu geben.«
»
»Aber Sie vergessen einen entsetzlichen Umstand,« sagte der Graf mit bewegter Stimme.
»Nicht daß ich wüßte,« versetzte der Altertümler.
»Das Schicksal des Kindes – es ist ja mit der treuen Dienerin meiner Mutter verschwunden, und nach Elsbeths Worten muß das Schrecklichste angenommen werden.«
»Wenn Sie meine freie Ansicht hören wollen, Mylord,« antwortete Herr Oldbuck, »und sich nicht zu vorschnell daran klammern als an eine Hoffnung, dann möchte ich sagen, es ist sehr wohl anzunehmen, daß das Kind noch am Leben sei. Denn soviel ich bei meinen früheren Nachforschungen in dieser beklagenswerten Sache erfahren habe, so hat ein Weib mit einem Kinde in jener Nacht die Hütte bei Craigburnfoot verlassen in einem vierspännigen Wagen, und zwar zusammen mit Ihrem Bruder, Edward Geraldin Neville, und er ist mit ihnen zusammen nach England gereist – ich habe seine Reise eine Strecke weit verfolgen können. Ich war damals der Meinung, die Familie hätte sich dahin entschlossen, ein Kind, das als illegitim gelten sollte, fortzubringen, damit es nicht später Schutz finden und Anspruch auf seine Rechte erheben könnte. Aber ich denke, Ihr Bruder hat das Kind nur entfernt gehalten, teils aus Rücksicht auf die Ehre des Hauses, teils wegen der Gefahr, der es in Nahe der Lady von Glenallan ausgesetzt gewesen wäre.«
Bei diesen Worten wurde Lord Glenallan sehr bleich und wäre fast von seinem Stuhle gesunken. Der bestürzte Altertümler rannte hin und her und suchte Arzenei, aber obwohl sein Museum mit tausend unnützen Sachen angefüllt war, so fand sich darin doch nicht das geringste, was bei dieser oder anderen Gelegenheiten zu brauchen gewesen wäre. Als er hinauseilte, um seiner Schwester Hausapotheke zu holen, konnte er sich nicht enthalten, ein paar brummige Worte der Betrübnis und Verwunderung zu äußern, daß sein Haus in letzter Zeit so manchen Handlungen unterworfen gewesen sei und daß es erst einem verwundeten Duellanten zum Krankenzimmer gedient habe und jetzt für einen todwunden Edelmann das Sterbezimmer hergeben müsse.
»Und doch,« sagte er, »habe ich mir alles Soldatentum und alles Adelstum immer zehn Schritt vom Leibe gehalten, mein
Als er mit der Arzenei wiederkam, befand sich Lord Glenallan wieder viel wohler. Das neue unerwartete Licht, das Herr Oldbuck in die traurige Geschichte seiner Familie gebracht hätte, habe ihn fast überwältigt.
»Sie denken also, Herr Oldbuck – denn Sie sind imstande zu denken, und das bin ich nicht – Sie denken also, es ist möglich – das heißt, es ist nicht unmöglich, daß mein Kind noch am Leben ist?«
»Ich denke,« sagte der Altertümler, »daß durch Ihres Bruders Hand ihm unmöglich ein Leid angetan worden sein kann. Er war als flott und verschwenderisch bekannt, aber nicht als grausam oder unehrenhaft – auch ist es, wenn er Schlimmes im Schilde geführt hat, nicht anzunehmen, daß er sich selber so für das Kind verwendet hätte, wie er es getan hat – und das will ich Eurer Lordschaft beweisen.«
Mit diesen Worten öffnete Oldbuck einen Schubkasten am Schranke seines Ahnherrn Aldobrand und nahm ein Päckchen Papiere heraus, die mit einem schwarzen Bändchen umschnürt waren und die Aufschrift trugen: »Untersuchungen etc., angestellt von Jonathan Oldbuck über den 18. Februar, 17 ....« – ein paar Zeilen tiefer standen in winziger Schrift geschrieben: »Eheu Evelina!«
Dem Grafen rannen die Tränen rasch aus den Augen, als er vergebens versuchte, den Knoten zu lösen, der diese Schriftstücke zusammenhielt.
»Eure Lordschaft tun besser,« sagte Herr Oldbuck, »das nicht jetzt zu lesen – Sie sind schon sehr erregt und haben noch viel vor sich, da sollten Sie Ihre Kraft nicht vorzeitig erschöpfen. Sie sind, vermute ich, nun der Erbe Ihres Bruders und es wird Ihnen ein leichtes sein, unter den Dienern und Lehnsleuten Nachfrage zu halten, wo das Kind geblieben ist, wenn es eben das Glück will, daß es noch am Leben ist.«
»Das wage ich kaum zu hoffen,« sagte der Graf mit einem tiefen Seufzer, »warum sollte denn mein Bruder es mir verschwiegen haben?«
»Nein, Mylord! warum hätte er im Gegenteil Eurer Lordschaft mitteilen sollen, daß ein Wesen noch lebt, welches Sie für den Abkömmling ....«
»Sehr wahr – er hat offenbar in guter Absicht geschwiegen. Wenn in der Tat irgend etwas das Grausen des gespenstischen Traumes, der mir das Dasein vergiftet hat, noch hätte erhöhen können, so wäre es das Bewußtsein gewesen, daß ein solches Kind des Elends noch am Leben sei.«
»Also,« fuhr der Altertümler fort, »wenn es auch voreilig wäre, wenn man jetzt nach über zwanzig Jahren die Überzeugung aussprechen würde, daß Ihr Sohn, noch am Leben sein müsse, weil er als kleines Kind nicht umgebracht worden wäre, so meine ich doch, Sie sollten ohne Säumen mit den Erhebungen beginnen.«
»Das soll geschehen,« versetzte Lord Glenallan und griff schnell nach der ihm so gebotenen Hoffnung, der ersten, die er seit vielen Jahren wieder hegte. »Ich will an einen treuen Verwalter meines Vaters schreiben, der in derselben Stellung auch bei meinem Bruder Neville gewesen ist – aber, Herr Oldbuck, ich bin nicht Erbe meines Bruders.«
»Nicht! – das ist ja schade, Mylord – es ist ein ansehnliches Gut, und die Ruinen des alten Schlosses von Neville-Burg allein – die stolzesten prächtigsten Reste der anglo-normannischen Architektur, die wir in dieser Gegend überhaupt haben – sind ein Besitz, der sehr hoch zu halten ist. Ich dachte, Ihr Vater hätte keinen Sohn oder nahen Verwandten sonst.«
»Das hatte er auch nicht, Herr Oldduck,« erwiderte Lord Glenallan; »aber mein Bruder hat sich zu andern politischen Parteien geschlagen und auch eine andere Religion angenommen, als bisher in unserm Hause üblich gewesen ist. Wir waren schon lange durch entgegengesetzte Gesinnungen auseinander gekommen, und auch meine unglückliche Mutter hat nicht hinreichend Einfluß über ihn gewinnen können. Kurz, es gab einen Familienstreit, und mein Bruder, der über seine Besitzungen frei verfügen konnte, hat die ihm erteilte Befugnis sich zu nutze gemacht und einen Fremden zu seinem Erben erkoren. Das ist mir bisher völlig gleichgültig gewesen, denn wenn weltliches Besitztum das Elend leichter machen könnte – ich habe ja genug, ja übergenug! Aber jetzt sollte es mir doch leid tun, wenn deswegen sich irgendwelche Schwierigkeiten in unsern Nachforschungen ergeben sollten. Und ich ahne schon, daß das der Fall sein wird. Denn wenn ich einen gesetzlichen leiblichen Sohn habe, und mein Bruder ohne Nachkommen gestorben ist, so fielen jetzt meines Vaters Besitztümer diesem meinem Sohne zu. Es ist daher nicht wahrscheinlich, daß der von meinem Bruder gewählte Erbe, wer er auch sein mag, uns bei einer Untersuchung behilflich sein dürfte, die so sehr zu seinen Ungunsten ausfallen könnte.«
»Und aller Wahrscheinlichkeit nach ist auch der Verwalter, von dem Eure Lordschaft gesprochen hat, auch bei ihm in Dienst,« sagte der Altertümler.
»Das ist sehr wahrscheinlich, und da der Mann Protestant ist, so wird er einem protestantischen Erben günstiger gesonnen sein als einem Katholiken – wenn allerdings mein Sohn im Glauben seines Vaters erzogen worden ist – oder wenn er überhaupt noch lebt!«
»Wir müssen uns ganz genau darüber informieren,« sagte Oldbuck, »ehe wir uns in die Sache einlassen. Ich habe einen Freund in York, mit dem ich wissenschaftlich korrespondiere, ich will an diesen Herrn, Dr. Dryasdust, sofort schreiben und mich ganz genau über den Charakter des Mannes, der Ihren Bruder beerbt hat, erkundigen, und wer für ihn die Geschäfte besorgt, und was sonst noch Klarheit in die Angelegenheit Eurer Lordschaft bringen kann. Inzwischen kann Eure Lordschaft die Beweise für die Ehe aufbringen, die sich doch wohl noch beschaffen lassen werden.«
»Ohne Frage,« versetzte der Graf, »die Zeugen, die vor Ihren Nachforschungen seinerzeit zurückgezogen wurden, sind noch am Leben. Mein Erzieher, der die Ehe eingesegnet hat, war nach Frankreich geschickt worden und ist vor kurzem als Emigrant, als ein Opfer seiner Königstreue und seiner Religion, wieder in seine Heimat geflüchtet.«
»Das ist eine glückliche Folge der französischen Revolution, das müssen Sie zum mindesten zugeben, Mylord,« sagte Oldbuck; »aber nichts für ungut, ich will mich Ihrer Sache so warm annehmen, als wenn ich in Politik und Glauben eines Bekenntnisses mit Ihnen wäre. Und hören Sie auf meinen Rat – wenn Sie irgend eine Sache sauber und sorgfältig besorgt haben wollen, so legen Sie sie in die Hände eines Antiquars, denn da ein Antiquar stets seine Begabung und seinen Forschereifer an kleinen Dingen betätigt, so ist er wichtigen Dingen stets trefflich gewachsen, denn Übung macht den Meister.«
Sechzehntes Kapitel
Am Morgen des folgenden Tages wurde der Altertümler, der ein Langschläfer war, eine Stunde früher, als er sonst aufzustehen pflegte, von Caxon aus dem Bett geholt.
»Was ist los?« rief er gähnend und streckte die Hände nach der großen dicken Repetieruhr aus, die auf seinem seidnen Taschentuch wohlbehalten gebettet neben seinem Kopfkissen lag. »Was ist denn los, Caxon? Es kann noch nicht 8 Uhr sein.«
»Nein, Herr, – aber Mylords Diener ist zu mir gekommen, denn er hält mich für Ihren
»Ach was!« rief Oldbuck, »diese großen Herren verfügen über Zeit und Haus eines Mannes, als wenn sie ihr eigen wären. Na schön, einmal und nicht wieder. Hat sich Hanne nun über Steenies Tod beruhigt?«
»Na, immer noch nicht ganz, Herr,« erwiderte der Barbier, »sie ist heute morgen mit der Schackelade wieder nicht recht bei Sinnen gewesen und hätte sie gar leicht ins Spülichtfaß gegossen und dann hat sie sie in ihrer Aufregung allein getrunken – aber schließlich hat sie sich beruhigt, weil ihr Fräulein M'Intyre gut zugeredet hat.«
»Also ist mein ganzes Weibsvolk schon auf den Beinen und spukt herum, und ich kann nicht länger mich an meinem ruhigen Bett erfreuen. Alle Ordnung in meinem Haushalt ist zum Kuckuck. Langt mir meinen Rock her. – Und was gibt's denn in Fairport?«
»Nun, Herr, was soll es dort weiter Neues geben als die große Neuigkeit von ,Mylord,« sagte der alte Mann, »der ist doch die zwanzig Jahre lang über seine Schwelle gekommen, und jetzt besucht er Euer Ehren!«
»Aha!« sagte Monkbarns. »Und wie denkt man denn nun darüber?«
»Allerdings, Herr, darüber herrschen verschiedene Meinungen. Die Kerle, die sogenannten Dehmelkraten, die gegen den König sind und gegen Perücken und Haarpuder – eine Bande von Spitzbuben – die sagen, er war gekommen, um mit Eurer Ehren darüber zu sprechen, daß er seine Hochlandsleute herunterkommen lassen will, um in die Zusammenkünfte der Volksfreunde einzugreifen – und wie ich den Leuten sagte, daß Euer Ehren sich in solche Dinge niemals einmische, wo es Schlägereien und Blutvergießen setzen könnte, da haben Sie gesagt, wenn Euer Ehren das auch nicht täte, dann tät's doch Ihr Neffe, der war ja bekannt als Königstreuer und kämpfe gern, bis ihm's Blut an die Knie ginge, und Sie wären der Kopf und er wäre die Hand, und der Graf brächte die Mannschaft und das Silber.«
»Na,« sagte der Altertümler lachend, »da bin ich nur froh, daß dieser Krieg mich nichts weiter kosten wird als einen guten Rat.«
»Nein, nein,« sagte Caxon, »das denkt auch keine Menschenseele, daß Euer Ehren selber mitkämpfen oder auch nur einen Pfifferling Silber für irgendwelche Partei ausgeben würde.«
»Hum! Na, das wäre die Meinung der Dehmelkraten, wie Ihr sie nennt. – Was sagen denn nun die übrigen Leute in Fairport?«
»Na, viel was Besseres,« sagte der aufrichtige Berichterstatter, »ist es nicht. Es wäre nicht recht, daß noch solche Papisten, die so viele Freunde in Frankreich hätten wie Graf Glenallan, durchs Land gingen, und – aber Euer Ehren werden sich ärgern.«
»Denke nicht daran, Caxon,« sagte Oldbuck, »schieße nur los, Alter. – Ich habe ein dickes Fell.«
»Nun, Herr, es heißt, Sie wären kein guter Freund von der Regierung, und wenn nun ein so mächtiger Mann wie der Graf und ein so kluger Mann wie Sie Zusammenkünfte abhalten, da sollte man doch scharf Obacht auf Sie haben, und manche sagen sogar, Sie sollten gleich alle beide nach Edingburgh auf Nummer Sicher gebracht werden.«
»Auf mein Wort,« sagte der Altertümler, »ich bin meinen Nachbarn für ihre gute Meinung sehr verbunden. Ich, der ich mich nie um ihre Nergeleien gekümmert habe, außer um zur Ruhe und Mäßigung zu raten, ich werde also von beiden Parteien aufgegeben und für einen Hochverräter an König und Volk zugleich erklärt. Gebt mir meinen Rock, Caxon, gebt mir meinen Rock! Es ist nur ein Glück, daß ich nicht von dem guten Leumund lebe. – Haben Sie was von Leutnant Taffril und seinem Boot gehört?«
Caxon schnitt ein saures Gesicht.
»Nein, Herr, und es ist heftiges Unwetter gewesen, und es ist ein sehr gefährliches Kreuzen an dieser Küste, wenn Ostwind ist. Ein Schiff kann da schneller krachen gehen, als ich ein Rasiermesser schleifen kann, – es gibt keinen Hafen und keine Zufluchtsstätte an dieser Stätte, und nichts wie Scheren und Klippen. – Ein Schiff, das hier auf den Strand läuft, fliegt auf wie der Puder, wenn ich die Quaste schüttle – und es ist da kaum dran zu denken, irgendwen zu retten. – Das sag' ich immer meiner Tochter, wenn sie den Mut verliert, weil noch immer kein Brief von Taffril kommt. Na, das kann man doch dann unter diesen Umständen entschuldigen. Du solltest ihm keinen Vorwurf machen, Hannchen, sag ich zu ihr, denn du weißt ja gar nicht, was alles passiert sein kann.«
»Na ja, Caxon, Ihr habt zum Tröster eben so viel Geschick als zum Kammerdiener. – Geben Sie mir eine weiße Binde her, Mensch! denken Sie denn, ich kann mit einem Halstuch um den Hals hinuntergehen, wenn ich Besuch habe?«
Vorm Frühstück ging Lord Glenallan, der in besserer Stimmung zu sein schien als am Abend vorher, mit Herrn Oldbuck alle jene Einzelheiten durch, die dessen Bemühungen früher zutage gefördert hatten. Er wies auf die Mittel hin, die ihm zur Verfügung ständen, den Beweis für seine Eheschließung zu vervollständigen, und sprach seinen Entschluß aus, sogleich die peinliche Suche nach den Beweisen für Fräulein Nevilles Geburt in die Hand zu nehmen, welche Beweise ja, wie Elsbeth gesagt hätte, im Besitz ihrer Mutter gewesen wären.
»Und doch, Herr Oldbuck,« sagte er, »ich fühle mich wie ein Mann, der wichtige Nachrichten erhält, ehe er noch ganz munter ist, und nicht recht weiß, ob diese Nachrichten dem tatsächlichen Leben angehören oder ob sie nicht eine Fortsetzung seines Traumes sind. Diese Frau, die Elsbeth – sie steht im höchsten Alter und ist schon halb blödsinnig. Bin ich nicht – es ist eine häßliche Frage – etwas vorschnell gewesen, ihre gegenwärtige Aussage gelten zu lassen gegenüber ihrem frühern Zeugnis in derselben Sache?«
Herr Oldbuck hielt einen Augenblick inne, und dann antwortete er mit Festigkeit:
»Nein, Mylord, ich kann nicht glauben, daß Sie irgendwelchen Grund hätten an der Wahrheit dessen zu zweifeln, was sie Ihnen erzählt hat, daß sie es aus einem andern Antrieb als ihren Gewissensbissen gestanden hat. Ihr Bekenntnis war freiwillig, uneigennützig, klar, in sich geschlossen und in Zusammenhang mit all den andern bekannten Umständen der Geschichte. Ich würde ohne Säumen alle andern Dokumente, auf die sie Bezug genommen hat, prüfen und ordnen, und ich bin auch der Meinung, daß die Angaben der Frau zu Protokoll genommen werden müßten, wenn das irgend möglich ist. Wir haben ja schon daran gedacht, das zusammen abzumachen. Aber es wäre für Euer Lordschaft eine Erleichterung und würde vor allem auch mehr unparteiisch aussehen, wenn ich allein die Untersuchung als Magistratsbeamter in die Hand nehme. Ich will das besorgen, das heißt, ich will es versuchen, sobald ich das Weib in geeignetem Geisteszustand antreffe, um ein solches Verhör über sich ergehen zu lassen.«
Lord Glenallan drückte dem Altertümler die Hand in dankbarer Zustimmung.
»Ich kann Ihnen nicht sagen,« sagte er, »Herr Oldbuck, wie sehr Ihre Mithilfe in dieser dunkeln und traurigen Angelegenheit mir Erleichterung und Zutrauen verschafft. Ich kann mir selber nicht Beifall genug zollen, daß ich dem Impuls nachgab, der mich bewog, Sie ins Vertrauen zu ziehen. Was auch der Ausgang dieser Dinge sein mag, – und ich möchte gern hoffen dürfen, daß endlich eine bessere Sonne über den Geschicken meines Hauses aufgehen möchte, wenn auch ich selber mich nicht daran werde erfreuen können, solange lebe ich ja nicht mehr – aber wie auch der Ausgang sein mag, Sie haben mich und meine Familie zu dauerndem Danke verpflichtet.«
»Mylord,« sagte der Altertümler, »ich muß vor Eurer Lordschaft Familie die größte Hochachtung hegen, denn Ihre Familie ist, wie ich ja sehr gut weiß, eine der ältesten in Schottland, sicher abzuleiten von Sir Aymer de Geraldin, der im Parlament zu Perth gesessen hat unter der Regierung Alexanders II. und der seinerzeit nach der Tradition des Landes von Marmor von Clochnaben abstammen soll. – Bei all meiner Ehrfurcht aber vor Ihrer alten Herkunft muß ich doch zugeben, daß ich Eurer Lordschaft mehr noch deswegen beispringe, weil Ihr Kummer mir aufrichtige Teilnahme abnötigt und weil die Betrügereien, denen Sie solange zum Opfer gefallen sind, mich mit Abscheu erfüllen. – Aber, Mylord, das Frühstück ist fertig. – Erlauben Sie mir, Mylord, daß ich Sie durch die Irrgänge meines
Aber das war allerdings bei Lord Glenallan ausgeschlossen. Nachdem er die Gesellschaft mit der ernsten schwermütigen Höflichkeit, die sein ganzes Wesen auszeichnete, begrüßt hatte, stellte sein Diener eine Schnitte geröstetes Brot und ein Glas frisches Wasser vor ihn – das war sein gewöhnliches Frühstück. Während noch der junge Soldat und der alte Antiquar in weit reichlicherer Weise ihr Morgenmahl hielten, wurde das Gerassel von Rädern vernommen.
»Der Wagen Eurer Lordschaft, glaube ich,« sagte Oldbuck, ans Fenster tretend. »Auf mein Wort, das ist ein feines Viergespann!«
»Und ich kann dreist sagen,« rief Hektor, begierig aus dem Fenster blickend, »vier hübschere und besser zusammengestellte Blässen sind noch nie angeschirrt worden. Darf ich fragen, ob die Tiere aus Eurer Lordschaft Gestüt sind?«
»Ich – ich – glaube wohl,« sagte Lord Glenallan, »aber ich habe mich so wenig um meine Hausangelegenheiten gekümmert, daß ich mich zu meiner Beschämung an Calvert wenden muß –,« dabei sah er auf seinen Bedienten.
»Die Pferde sind aus dem Gestüt Euter Lordschaft,« sagte Calvert, »von Mad Tom aus Jemima und Yariko, Eurer Lordschaft Zuchtstuten.«
»Sind noch mehr solche da?« fragte Lord Glenallan.
»Zwei, Mylord, – beides sehr schöne Tiere.«
»Dann soll Dawkind sie morgen nach Monkbarns bringen,« sagte der Graf »ich hoffe, Kapitän M'Intyre wird sie annehmen – wenn sie überhaupt zu gebrauchen sind.«
Kapitän M'Intyres Augen blitzten, und er erging sich in dankbarer Anerkennung, während Oldbuck den Grafen am Ärmel zupfte und einem Geschenk vorbeugen wollte, das seinem Kornboden und Heuschober nicht vorteilhaft sein könnte.
»Mylord – Mylord – sehr verbunden – sehr verbunden – aber Hektor steht bei einer Fußtruppe und steigt auch im Felde nie zu Pferd – auch ist er Hochländer und seine Uniform ist für den Dienst eines Kavalleristen schlecht geeignet. Seine Liebhaberei ist nur, einen Wagen zu kutschieren, und den sich zu kaufen, hat er erstens kein Geld und zweitens hat er gar nicht das Geschick, einen zu fahren. Wenn er nun erst gar zwei solche Vierfüßler hat, so ist überhaupt nichts mehr mit ihm anzufangen.«
»Augenblicklich müssen Sie freilich uns alle im Zaume halten, Herr Oldbuck,« sagte der Graf höflich, »aber ich hoffe. Sie werden nicht im Ernst Einspruch dagegen erheben, daß ich meinem jungen Freunde eine Freude mache.«
»Wenn's ein nützlicher Gegenstand wäre, Mylord,« sagte der Altertümler, »aber kein curriculum – ich sage Ihnen, er wird dann bald auf den Gedanken kommen, sich gar eine quadriga zu halten. Und kaum daß ich davon spreche, da kommt faktisch die alte Postkutsche von Fairport angerasselt – was soll das heißen? Ich habe nicht nach ihr geschickt.«
»Aber ich, Onkel,« sagte Hektor mürrisch, denn seines Oheims Einmischung war ihm nicht sehr angenehm gewesen.
»Du, mein Sohn?« wiederholte der Altertümler. »Und was hast du denn mit der Postkutsche vor? – Soll diese glänzende Equipage – diese biga, wie ich das Ding nennen kann – als eine Vorbereitung zu einer
»Wenn es nötig ist, Onkel,« versetzte der junge Soldat, »dir so genaue Auskunft zu geben, ich habe in Fairport etwas zu besorgen.«
»Wirst du mir erlauben, Hektor, danach zu fragen, was das wohl sein mag?« antwortete sein Oheim, der gern ein wenig seine Autorität über seinen Neffen geltend machte. »Ich dächte doch, Regimentsangelegenheiten ließen sich durch deine wackere Ordonnanz erledigen – ein biederer Mann, der so liebenswürdig ist, sich hier häuslich niederzulassen, seit er hergekommen ist – ich dächte, wie gesagt, der könnte deine Geschäfte besorgen, ohne daß du einen Tag lang zwei Gäule dir mietest und solch' eine Kombination von verfaultem Holz, zerbrochnem Glas und Leder – solch ein Skelett von einer Postkutsche, wie sie da vor der Tür hält.«
»Es sind keine Regimentsangelegenheiten, Onkel, die mich rufen. Und da du darauf bestehst, es zu erfahren, so muß ich dir es ja wohl sagen. Caxon hat mir heute morgen die Mitteilung gebracht, daß der alte Ochiltree, der Bettler, vernommen werden soll, ehe er vor Gericht gestellt wird, und da will ich hinein und sehen, ob sie mit dem alten Kerl gerecht verfahren – das ist alles.«
»Hm! – Davon hab' ich auch gehört, aber ich habe mir nicht denken können, daß es Ernst sei. Und bitte, Kapitän Hektor, der du in allen Streitsachen ziviler oder militärischer Art, zu Lande oder zu Wasser, dich jedermann bereitwillig zum Sekundanten zur Verfügung stellst, was hast du im besondern mit dem alten Edie Ochiltree zu schaffen?
»Er hat als Soldat in der Kompagnie meines Vaters gestanden, Onkel,« versetzte Hektor, »und als ich dabei war, eine sehr große Dummheit zu begehen, da hat er versucht, mich davon abzuhalten, und hat mir einen fast ebenso guten Rat erteilt, wie du selber es nicht besser verstanden hättest.«
»Und mit demselben guten Erfolg, darauf kann ich wohl Gift nehmen – he, Hektor? – Komm, gesteh, der Rat war natürlich vergebens?«
»Allerdings, aber ich sehe nicht ein, warum meine Torheit mich daran hindern sollte, ihm für seine beabsichtigte Güte dankbar zu sein?«
»Bravo, Hektor! Das ist das verständigste Wort, das ich aus deinem Munde gehört habe – aber sage mir doch immer, was du vor hast – ohne Zurückhaltung. Nun, ich will selber mit dir gehen. Junge. Ich bin überzeugt, der alte Mann ist unschuldig, und ich will ihm in dieser Klemme wirksamer behilflich sein, als du es könntest. Und dann sparst du auf diese Weise eine halbe Guinee, und das ist eine Rücksicht, die ich dich öfter im Auge zu haben bitten möchte.«
Lord Glenallan hatte Lebensart genug, sich abzuwenden und mit den Damen zu plaudern, als der Streit zwischen Oheim und Neffe zu lebhaft zu werden begann für das Ohr eines Fremden. Als aber am friedlichen Ton des Altertümlers zu hören war, daß wieder Friede und Freundschaft eingetreten war, nahm der Graf wieder an der Unterhaltung teil. Nachdem der Lord sich kurz hatte berichten lassen, was für eine Beschuldigung gegen den Bettler erhoben worden sei –die Oldbuck übrigens ohne Besinnen der Niederträchtigkeit Dusterschielers zuschrieb – fragte er, ob der Mann früher Soldat gewesen sei? – Die Frage wurde bejaht.
»Hatte er nicht,« fuhr seine Lordschaft fort, »einen groben, blauen Kittel mit zinnernem Schild? – War er nicht groß, mit einem interessanten Gesicht, grauem Haar und Bart – ein Mann, der sich auffallend gerade hält und auch in einem selbstbewußten, freimütigen Tone redet, der einen starken Gegensatz zu seinem Berufe bildet?«
»All dies gibt ein genaues Bild von dem Manne,« entgegnete Oldbuck.
»Ich fürchte freilich, ich werde ihm in der gegenwärtigen Lage nicht viel nützen können,« fuhr Lord Glenallan fort, »wenn es aber derselbe ist, dann bin ich ihm Dank schuldig, denn er war der erste, der mir Nachrichten von größter Wichtigkeit gebracht hat. Ich würde ihm gern ein behagliches Alter sichern, wenn er nur erst aus seiner derzeitigen schwierigen Lage heraus ist.«
»Ich fürchte, Mylord,« sagte Oldbuck, »es würde ihm schwer fallen, seine Landstreicher-Gewohnheiten aufzugeben und den freundlichen Vorschlag Eurer Lordschaft anzunehmen, wenigstens weiß ich, daß der Versuch schon einmal ohne Erfolg gemacht worden ist. Das Publikum im großen und ganzen anzubetteln, betrachtet er als Unabhängigkeit im Vergleich dazu, daß er seinen Lebensunterhalt von einer einzigen Person beziehen sollte. Er ist insoweit Philosoph, als er ein Verächter aller gewöhnlichen Regeln und einer geordneten Zeiteinteilung ist. Wenn er Hunger hat, dann ißt er, wenn er Durst hat, trinkt er, wenn er müde ist, schläft er, und so gering sind seine Ansprüche in dieser Hinsicht, daß er sicher noch nie schlecht gegessen hat oder schlecht einquartiert gewesen ist. Dann ist er gewissermaßen das Orakel des Kreises, in dem er seine Runde macht, – der Genealoge, der Neuigkeitskrämer, der Hundedoktor oder auch wohl gar der Gottesmann. Ich sage Ihnen, er hat zu viele Pflichten und läßt sich ihre Ausübung sehr angelegen sein, als daß er sich leicht zur Aufgabe seines Gewerbes bereden ließe. Aber es sollte mir aufrichtig leid tun, wenn sie den armen alten Mann mit dem leichten Herzen auf Wochen ins Gefängnis stecken würden. Ich bin überzeugt, die Haft würde ihm das Herz brechen.«
Damit schloß die Besprechung. Lord Glenallan verabschiedete sich von den Damen und stellte Kapitän M'Intyre seine Besitzungen zum Jagen frei, was mit Freuden angenommen wurde.
Dann nahm Lord Glenallan Platz in seinem Wagen und die vier schönen Pferde führten ihn davon. Oldbuck und sein Neffe aber setzten sich in die Fairporter Postkutsche, die unter Knarren und Rasseln der berühmten Seestadt zuholperte und sich freilich ganz anders ausnahm, als die Equipage des Grafen, die schnell und leicht und weich wie im Fluge verschwunden zu sein schien.
Siebzehntes Kapitel
Dank der Mildtätigkeit der Leute in der Stadt und mit Hilfe der vielen Vorräte, die er mit in die Haft gebracht hatte, hatte Edie Ochiltree es ein paar Tage ganz gut ausgehalten und den Mangel an Freiheit um so weniger hart empfunden, als das Wetter sehr schlecht geworden war.
»Das Gefängnis,« sagte er, »ist gar kein so schlechter Platz als immer gesagt wird. Man hat doch ein gutes Dach über'm Kopf, das das Wetter abhält. – Wenn die Fenster auch keine Scheiben haben, so ist es dafür nur luftiger und angenehmer zur Sommerzeit. Und Leute sind auch genug da, mit denen man einen Plausch haben kann, und ich habe ja Brot genug, was brauch' ich mich da um das Weitere zu grämen?« Der Mut unsers Bettlers begann indessen doch ein wenig zu sinken, als die Sonnenstrahlen heiter auf die rostigen Sparren seines vergitterten Fensters fielen und ein armer, kläglicher Hänfling, dessen Bauer ein armer, kläglicher Schuldhäftling sich wahrscheinlich ans Fenster hatte hängen dürfen, ihn mit seinem Pfeifen begrüßte.
»Du bist froher gelaunt als ich,« fügte Edie zu dem Vogel, »denn ich kann nicht pfeifen, wenn ich an die schönen Hügel und grünen Täler denke, die ich eigentlich bei solchem Wetter durchstreifen sollte. Aber hier, da hast du ein paar Krumen, weil du so lustig bist! Du hast ja auch noch alle Ursache, zu singen, wie dir der Schnabel gewachsen ist, denn daß du im Käfig sitzt, das hast du dir nicht selber eingebrockt, und ich habe es mir selber zuzuschreiben, daß ich an diesem trübseligen Fleck hier eingekerkert bin.«
Ochiltree wurde in seiner Selbstbetrachtung gestört, denn es kam eine Gerichtsperson herein, um ihn vor den Richter zu führen. So schritt er nun in erhabener Protektion zwischen zwei jammervollen Kreaturen dahin, die alle beide nicht so stämmig waren wie er, um zum Verhör gebracht zu werden. Als der bejahrte Gefangene von den gebrechlichen Wärtern durch die Straßen geführt wurde, riefen die Leute einander zu:
»Seht den alten Kerl, der soll noch jemand überfallen haben – und ist doch schon für's Grab reif!«
Und die Kinder wünschten den Wärtern, die sie bald fürchteten, bald verspotteten, Glück dazu, daß sie diesmal einen Gefangenen hätten, der so alt wäre wie sie selber.
Also geführt, wurde Edie Ochiltree (keineswegs zum erstenmal) vor den ehrwürdigen Amtmann Kleinhans gestellt, der, im Gegensatz zu seinem Namen, ein stattlicher, hochgewachsener Beamter war, bei dem die ihm zugeflossenen Gerichtsgebühren trefflich angeschlagen hatten. Er war ein eifriger Königstreuer aus der alten eifrigen Zeit, ein wenig streng und rücksichtslos in der Ausübung seines Amtes und ein wenig durchdrungen vom Bewußtsein seiner Macht und seiner Bedeutung, sonst aber ein ehrbarer, wohlmeinender und nützlicher Bürger.
»Herein mit ihm, herein mit ihm!« rief er. »Das muß ich sagen, wir leben jetzt in einer entsetzlichen, unnatürlichen Zeit; die Bettler Seiner Majestät, die von seiner Gnade leben, sind die ersten, wenn es gilt, die Gesetze nicht zu halten.
– Hier hat denn nun ein alter Blaurock Diebstahl begangen. Ich vermute, der nächste wird zum Dank für das königliche Privilegium, das ihm Kleidung, Pension und die Freiheit zu betteln gewährt, sich an Hochverrat beteiligen oder mindestens dazu verleiten. Aber nur immer herein mit dem Kerl!«
Edie machte seine Ehrenbezeugung und stand dann, wie gewöhnlich, fest und aufgerichtet, das Gesicht ein wenig seitwärts nach oben gekehrt, wie um jedes Wort zu vernehmen, das der Beamte an ihn richten würde. Auf die ersten allgemeinen Fragen, die nur seinen Namen und sein Gewerbe betrafen, antwortete Edie schnell und exakt, aber als der Beamte, nachdem diese Angaben von dem Schreiber zu Protokoll genommen worden waren, die Frage stellte, wo der Bettler sich in der Nacht befunden hätte, als Dusterschieler das bekannte Unglück widerfahren sei, da fing Edie mit Umschweifen an.
»Können Sie mir sagen, Herr Amtmann, – und Sie kennen sich ja doch, aufs Gesetz aus – was es für mich für Vorteil haben wird, wenn ich Ihnen auf Ihre Fragen Bescheid gebe?«
»Vorteil? Gar keinen jedenfalls, höchstens kann ich Sie in Freiheit setzen, das heißt, wenn Sie wahrheitsgetreue Angaben machen und vor allem unschuldig sind.«
»Aber mir kommt es doch vernünftiger vor, wenn Sie, Herr Amtmann, oder alle andern, die mir was nachzusagen haben, jetzt erst mal beweisen, daß ich schuldig bin, – nicht daß ich beweisen soll, daß ich unschuldig bin.«
»Ich sitze nicht hier,« sagte der Beamte, »um über Rechtsfragen mit Ihnen zu debattieren. Ich frage, wollen Sie nun antworten auf die Frage, ob Sie an dem von mir genannten Abend bei dem Förster Ringan Eichholz gewesen sind?«
»Wahrhaftig, Herr, ich möchte nicht behaupten, daß ich mich noch genau darauf besinnen könnte,« antwortete der vorsichtige Bettler.
»Oder ob Sie im Laufe dieses Tages oder dieser Nacht,« fuhr der Beamte fort, »mit Steenie oder Steffen Mucklebackit zusammengetroffen sind? – Den Mann haben Sie doch wohl gekannt, wie?«
»O, sehr gut hab' ich Steenie gekannt, den armen Jungen,« antwortete der Gefangene, »aber ich kann mich nicht genau erinnern, wann ich ihn in der letzten Zeit gesehen habe.«
»Sind Sie im Laufe dieses Abends' zu irgendeiner Zeit in den Ruinen von St. Ruth gewesen?«
»Amtmann Kleinhans,« sagte der Bettler, »wenn Euer Ehren nichts dagegen haben, dann wollen wir einer langen Geschichte rasch ein Ende machen, und ich will Ihnen sagen, ich habe nicht die geringste Lust, irgendeine dieser Fragen zu beantworten. Ich bin ein viel zu alter Landstreicher, als daß ich mir noch das Maul verbrennen sollte.«
»Schreiben Sie,« sagte der Beamte, »der Beschuldigte weigert sich auf irgendwelche Fragen zu antworten, aus Rücksicht darauf, daß er sich, wenn er die Wahrheit sagte, in Verlegenheiten bringen könnte.«
»Nein, nein,« sagte Ochiltree, »ich will nicht, daß das zu Papier gebracht wird als Antwort von mir – ich wollte damit nur gesagt haben, daß es, soweit ich für meine Person mich erinnern kann, noch nie zu was gutem geführt hat, wenn man müßige Fragen beantwortet.«
»Schreiben Sie,« sagte der Amtmann, »der Beschuldigte kennt sich durch langjährige Erfahrung auf gerichtliche Verhöre aus, und da er oft Nachteil dabei erfahren hat, wenn er ihm vorgelegte Fragen beantwortet hat, so verweigert er – –«
»Nein, nein, Amtmann,« wiederholte Edie, »auch auf diese Weise lasse ich mich nicht von Ihnen fangen.«
»Dann diktieren Sie die Antwort selber, Freund,« sagte der Beamte, – und der Schreiber wird sie wörtlich, wie Sie sie sagen, niederschreiben.«
»Na, ja, na, ja,« sagte Edie, »das nenn ich doch ehrlich gehandelt. Das will ich tun, ohne weiter Zeit zu versäumen.
– Also, Nachbar, Sie können hinschreiben, daß Edie Ochiltree, der Beschuldigte, sich die Freiheit nimmt, –nein, das darf ich auch nicht sagen, – ich bin kein Freiheitsmensch, – bei den Aufständen in Dublin hab' ich gegen diese Sorte gefochten, und außerdem eß' ich nun schon eine liebe lange Zeit des Königs Brot. Halt, lassen Sie mal sehen – ja – jawohl – schreiben Sie, daß Edie Ochiltree, der Blaurock, für sich das Privilegium – geben Sie acht, daß Sie das Wort auch richtig schreiben, es ist so lang – das Privilegium, das alle Untertanen dieses Landes genießen, beansprucht, nicht ein Wort auf alle heute an ihn gestellten Fragen zu antworten, ehe ihm nicht gezeigt wird, was es für einen Zweck haben soll. Das schreiben Sie hin, Sie Mann.«
»Also, Edie,« sagte der Beamte, »da Sie mir keine Auskunft in der Sache geben wollen, muß ich Sie wieder ins Gefängnis schicken, bis Sie nach erledigter Anklage herausgelassen werden können.«
»Nun ja doch, Herr, sofern es des Himmels und der Menschen Wille ist, du liebe Güte, so muß ich mich halt drein schicken,« versetzte der Schnorrer. »Gegen das Gefängnis hab' ich nichts weiter einzuwenden, nur ist es eine böse Sache, daß man überhaupt nie ein bißchen raus kann. Und wenn es Ihnen, Herr Amtmann, recht wäre, dann will ich auch mein Wort darauf geben, daß ich an Gerichtsstelle erscheinen will an jedem Tage und an jedem Orte, wohin ich bestellt werde.«
»Ich denke, mein guter Freund,« antwortete Amtmann Kleinhans, »Ihre Bürgschaft ist nicht weit her, wenn Ihnen der Hals in der Schlinge sitzt. Ich möchte fast glauben, Sie würden auf alle unsere Vorladungen pfeifen. Aber wenn Sie mir eine ausreichende Sicherheit geben könnten, dann schließlich ...«
In diesem Augenblicke traten der Altertümler und Kapitän M'Intyre herein.
»Guten Morgen, meine Herrn,« sagte der Beamte, »Sie finden mich bei meiner schweren Berufsarbeit, wie gewöhnlich – beschäftigt, die Vergehen des Volkes zu ahnden – für die
»Sehr gut, Monkbarns, ausgezeichnet, aber ich nehme das Schwert nicht als Justizbeamter, sondern als Soldat zur Hand – allerdings sollte ich richtiger sagen, Flinte und Bajonett – dort stehen sie an der Lehne meines Stuhles. Ich bin nämlich noch nicht imstande mitzuexerzieren – ein kleiner Anfall von meinem alten Bekannten, dem Podagra – aber ich kann ja die Beine ruhig halten, während unser Sergeant mich in der Handhabung unterweist. Ich möchte gern wissen, Kapitän M'Intyre, ob er es richtig macht.« Mit diesen Worten hinkte er zu seinem Gewehr, um zu erklären, was ihm zweifelhaft erschiene, und seine Fortschritte zu zeigen.
»Es ist eine wahre Lust, so eifrige Verteidiger zu haben, Herr Amtmann,« sagte Herr Oldbuck, »und ich denke, Hektor wird Sie zufrieden stellen, indem er Ihnen seinen Beifall zu Ihren Fähigkeiten in diesem neuen Gewerbe ausspricht. Aber wir haben jetzt andres zu tun, also lassen Sie den Krieg ruhen.«
»Schön, mein guter Herr,« sagte der Amtmann, »und was haben Sie zu befehlen?«
»Hier steht ein alter Bekannter von mir, mit Namen Edie Ochiltree, den ein paar von Ihren Myrmidonen ins Gefängnis gebracht haben, weil er diesen Kerl, den Dusterschieler, überfallen haben soll, von dessen Anklage ich nicht ein Wort glaube.«
Der Beamte nahm eine ernste Miene an.
»Sie sollten doch wohl wissen, daß er unter der Anklage des Diebstahls steht, nicht nur des Überfalls – das ist eine sehr schwere Sache – solche Verbrechen sind mir nicht oft zur Kenntnis gekommen.«
»Und,« setzte Oldbuck hinzu, »da haben Sie sich, nun drauf versteift, dieses Ereignis nun auch nach Kräften auszuschlachten. Aber steht die Sache dieses alten Mannes wirklich so schlecht?«
»Es ist eigentlich gegen die Vorschrift,« sagte der Amtmann, »da Sie aber selber Friedensrichter sind, Monkbarns, so kann ich Ihnen ja ruhig die Erklärung Dusterschielers zeigen und was sonst die Voruntersuchung zu Tage gefördert hat.«
Und er legte dem Altertümler die Papiere in die Hand, der die Brille aufsetzte und sich in eine Ecke zurückzog, um sie durchzulesen.
Die Beamten erhielten Weisung, ihren Gefangenen inzwischen in ein andres Zimmer zu bringen, aber zuvor benutzte M'Intyre die Gelegenheit, den alten Edie zu begrüßen und ihm eine Guinea in die Hand zu stecken.
»Gott segne Ihro Gnaden,« sagte der Alte, »die Gabe kommt von einem jungen Soldaten und sollte sicherlich einem alten nur Gutes bringen. Ich will sie nicht zurückweisen, obwohl es gegen meine Grundsätze ist. Aber wenn sie mich hier einsperren, dann werden meine Freunde mich Wohl bald vergessen. Aus den Augen, aus dem Sinn – das ist ein altes Sprichwort. Und für mich, der ich ein Königsbettler bin und in der ganzen Welt betteln darf, würde es sich nicht geziemen, wenn ich zum Fenster heraus mit einem Strumpfe an einer Schnur nach Hellern angeln wollte.«
Und er machte seine Ehrenbezeugung und wurde aus dem Zimmer hinausgeführt.
Die Erklärung des Herrn Dusterschieler enthielt eine übertriebene Darstellung der ihm zugefügten Tätlichkeit und seines Verlustes.
»Wonach ich ihn aber gern gefragt hätte,« sagte Monkbarns, »das ist, was er wohl in den Ruinen von St. Ruth, einem so einsamen Ort, zu einer solchen Stunde und mit einem solchen Gefährten wie Edie Ochiltree zu suchen hatte. Eine Chaussee führt nicht dort vorbei, und ich kann mir nicht denken, daß die bloße Lust am Malerischen den Deutschen in einer solchen stürmischen Nacht dorthin geführt haben sollte. Verlassen Sie sich darauf, er hat irgend eine Spitzbüberei vorgehabt und ist ohne Zweifel nur in eine selbst gestellte Falle gelaufen.
Der Beamte gab zu, es sei etwas Geheimnisvolles an diesem Umstände und entschuldigte sich, daß er Dusterschieler nicht befragt habe, weil er seine Aussage aus freien Stücken gemacht hätte. Aber zur Bekräftigung der Anklage legte er ihm die Zeugenaussage Eichholzens vor, der darüber Auskunft gegeben hatte, in welchem Zustand Dusterschieler gefunden worden sei, und der ferner die sehr wichtige Tatsache bekannt gegeben hatte, daß der Bettler in der Nacht die Scheune, in der er geschlafen habe, verlassen habe und auch nicht dorthin zurückgekehrt sei.
Zwei Angestellte der Fairporter Beerdigungsanstalt, die in jener Nacht bei dem Begräbnis der Gräfin von Glenallan zu tun gehabt hätten, hatten ferner bekundet, sie seien hinter zwei Leuten hergeschickt worden, die St. Ruth verlassen hätten, sobald der Leichenzug angekommen wäre. Man hätte geglaubt, daß die beiden von dem Leichenschmuck etwas hätten stehlen wollen. Auf der Verfolgung hätten sie sie mehrmals aus den Augen verloren, weil das Gelände dort so uneben sei, daß es sich schlecht reiten ließe. Sie hätten sie aber immer wieder entdeckt, und schließlich hätten sie sie in Mucklebackits Hütte gehen sehen. Einer der Leute gab auch noch an: er, Zeuge, sei vom Pferde gestiegen und an das Fenster der Hütte getreten. Da habe er den alten Blaurock und den jungen Steenie Mucklebackit mit den andern essen und trinken sehen. Er habe ferner bemerkt, wie Steenie Mucklebackit den andern eine Brieftasche gezeigt habe. Er, Zeuge, habe daher nicht daran gezweifelt, daß Ochiltree und Steenie Mucklebackit die Männer gewesen waren, denen sie hätten nachreiten müssen.
Als der Zeuge gefragt worden war, warum er nicht in besagte Hütte hineingegangen sei, hatte er erklärt, dazu sei er nicht befugt gewesen. Überdies seien ihm Mucklebackit und seine Familie als grobe Leute bekannt, und er habe daher keine Lust gehabt, sich in ihre Angelegenheiten hineinzumischen. Dies habe er der Wahrheit getreu bekundet usw. usw.
»Was sagen Sie nun zu diesen schwerwiegenden Beweisen gegen Ihren Freund?« fragte der Beamte, als er sah, daß der Altertümler das letzte Blatt umgedreht hatte.
»Jenun, wenn es sich um eine andre Person handelte, dann würde ich gewiß sagen, die Sache sähe
»Wirklich!« rief Amtmann Kleinhans. »Wenn ich das genau wüßte, das würde allerdings die Sache erheblich anders gestalten.«
»Richtig. Indem er ihn geprügelt hat,« bemerkte Oldbuck, »hat der Bettler bewiesen, daß er dem König dankbar ist und mit den Feinden des Königs kein Federlesen macht. Und wenn er ihn beraubt hätte, so hätte er nur einen Ägypter geplündert, den seines Reichtums zu entkleiden gesetzlich erlaubt ist. Nehmen Sie an, daß dieses Erscheinen in den Ruinen von St. Ruth mit Politik zu tun hatte, – und diese Geschichte von verborgenen Schätzen bloß nur ein Köder von der anderen Seite des Kanals für irgend
eine hohe Person oder das Kapital, das einem revolutionären Klub das Bestehen sichern sollte?«
»Mein Herr!« rief der Beamte, »Sie nehmen mir die Gedanken aus dem Kopf! Wie glücklich würde ich mich schätzen, wenn ich das bescheidene Werkzeug würde, solchen Gesellen das Handwerk zu legen! – Meinen Sie nicht, es wäre besser, wir riefen die Freiwilligen zusammen und gäben die Parole aus: Drauf und dran!«
»Na, jetzt gleich noch nicht, weil das Podagra die Freiwilligen eines bedeutenden Mitgliedes berauben würde. – Aber wollen Sie mich mal den Ochiltree ins Gebet nehmen lassen?«
»Gewiß. Sie werden aber erst recht nichts mit ihm anfangen können. Er gab mir deutlich zu verstehen, daß er wisse, wie gefährlich es sei, als Angeklagter vor Gericht eine Aussage zu machen. Dadurch sei schon mancher ehrlicherer Mann, als er, an den Galgen gekommen.«
»Na, aber, Amtmann,« sagte Oldbuck, »Sie haben also nichts dagegen, wenn ich mir den Gefangenen vornehme?«
»Nicht das geringste, Monkbarns. – Unten hör ich den Unteroffizier, wir werden derweil noch ein paar Griffe klopfen. – Junge, trage mein Gewehr und Seitengewehr in die Stube unten, dort machts weniger Lärm, wenn wir Chargierungen machen.«
Und so ging der kriegerische Amtmann hinaus.
»Hektor, mein Junge,« sagte Oldbuck, »häng dich an ihn. Häng dich an ihn. Beschäftige ihn auf eine halbe Stunde, mein Sohn – füttre ihn mit ein paar Kriegslehren – lobe seine Uniform und seine Tüchtigkeit.«
Kapitän M'Intyre, der wie viele seines Berufes mit unendlicher Verachtung auf diese bürgerlichen Soldaten blickte, erhob sich nur widerstrebend und bemerkte, er wisse nicht, was er zu Herrn Kleinhaus sagen solle, und es sei doch zu lächerlich, einen solchen alten von der Gicht geplagten Menschen mit kriegerischen Waffen hantieren zu sehen.«
»Kann schon sein, Hektor,« sagte der Altertümler, der, selten jemand unbedingt zustimmte, »kann schon so sein in diesem und in einigen andern Fällen, aber das Land ist eben zurzeit zu vergleichen mit den kleinen Gerichtshöfen, wo die Parteien sich selber vertreten, weil sie nicht Kleingeld genug haben, um sich einen solchen Helden von der Anwaltskammer zu leisten. Im einen Falle läßt sich die Pfiffigkeit und Redegewandtheit der Advokaten entbehren, und so hoffe ich auch, baß wir im andern Falle mit unsern Herzen und Flinten zurecht kommen werden, wenn wirs auch nicht zur Manneszucht solcher Kampfhähne wie Ihr bringen werden.«
»Ich habe sicherlich nichts dagegen einzuwenden, Onkel, daß die ganze Welt sich in den Haaren läge und bekämpfe, wenn sie nur mich dabei in Ruhe lassen möchte,« sagte Hektor und erhob sich mit mürrischer Unlust.
»Ja, du bist allerdings ein sehr ruhiger Mensch,« brummte sein Oheim. »Du kannst deine Zank- und Kampflust ja keine fünf Minuten lang bezähmen.«
Aber Hektor hatte keine Lust, seinen Onkel in dieser Tonart weiter zu hören.
Achtzehntes Kapitel
Um nun den Angeklagten zu vernehmen, wozu ihm die Befugnis erteilt worden war, hielt es der Altertümler für besser, sich nach dem Zimmer zu begeben, in das Ochiltree gebracht worden war. Er wollte nicht, daß die Vernehmung irgendwelchen amtlichen Anstrich hätte, deshalb ließ er ihn nicht in das Zimmer des Beamten bringen. Er sah den alten Mann am Fenster sitzen, das aufs Meer hinaussah. Während er auf die Landschaft herabblickte, traten ihm unwillkürlich große Tränen in die Augen und rollten ihm über die Wangen hinab in den grauen Bart.
Sein Gesicht war dabei friedlich und ruhig, und seine Haltung sprach Geduld und Ergebung aus. Oldbuck war an ihn herangetreten, ohne bemerkt zu werden, und weckte ihn jetzt aus seinen Betrachtungen mit den freundlichen Worten:
»Es tut mir leid, Edie, daß ich Euch in so tiefer Niedergeschlagenheit wegen dieser Sache finde.«
Der Bettler fuhr auf, trocknete sich hastig die Augen mit dem Rockärmel, und indem er versuchte, im gewöhnlichen Tone der Gleichgültigkeit und Spottlust zu sprechen, sagte er mit trotzdem merklich zitternder Stimme:
»Hätt' mirs denken können, daß Sie es wären, Monkbarns, oder doch so einer wie Sie, der mich hier stört – denn es ist ein großer Vorteil der Gefängnisse und Gerichtshöfe, daß die Herren jederzeit hereindürfen, wenn es ihnen Spaß macht und daß die, die drin sind, gar nicht einmal fragen dürfen, was sie drinnen zu suchen haben.«
»Na, Edie, ich hoffe,« sagte Oldbuck, »was Euch augenblicklich Kummer macht, das läßt sich wieder aus der Welt schaffen.«
»Und ich hätte gehofft, Monkbarns,« erwiderte der Bettler in vorwurfsvollem Tone, »Sie hätten mich besser gekannt, als daß Sie glauben könnten, ich würde wegen einer solchen Lappalie Tränen vergießen. Haben doch meine Augen schon ganz andres Leid gesehn! – Über ich habe nämlich das arme Mädel, Caxon seine Tochter, gesehen, die suchte Trost, aber es könnt ihr niemand keinen geben. Seit dem letzten Sturm hat man nichts mehr von Leutnant Taffril seiner Brigg gehört. Und im Hafen geht das Gerücht, ein königliches Schiff sei am Riff von Rattray gescheitert und versunken mit Mann und Maus. Gott verhüts! Denn dann war auch der arme junge Lovel, den Sie so gern hatten, Monkbarns, mit zu Grunde gegangen.«
»Jawohl! Gott verhüts!« wiederholte der Altertümler angstvoll. »Lieber wollt ich, in Monkbarns flöge der rote Hahn auf! Mein armer teurer Freund und Mitarbeiter! – gleich will ich nach dem Hafen gehen.«
»Ich weiß, Sie werden dort nichts weiter hören, als was ich Ihnen sagte, Herr,« entgegnete Ochiltree. »Die Gerichtsdiener hier waren nämlich sehr freundlich (soweit das überhaupt solche Leute sein können) und sie haben alle Zeitungen und Berichte durchgesehen und doch nichts genaues herausbringen können.«
»Es kann nicht der Fall, sein – es soll nicht sein,« sagte der Altertümler, »und ich will es nicht glauben. – Taffril ist ein ausgezeichneter Seemann – und Lovel (mein armer Lovel!) hat alle Eigenschaften eines vernünftigen und liebenswürdigen Gefährten zu Lande und Wasser. – Er ist ein so vornehmer edler Charakter, daß ich mit ihm, wenn ich das überhaupt je täte, selbst eine Seereise machen könnte – aber allerdings werde ich das nie tun, höchstens fahr ich mal über den Forth, fragile mecum solvere phasclum. Aber wie gesagt, mit ihm riskierte ichs, denn er ist so einer, an dem die Elemente ihre Rache nicht auslassen würden. Nein, Edie, es ist nicht der Fall und es kann nicht sein. Es ist eine Erfindung der nichtsnutzigen Weibsperson, der Fama, die ich am liebsten mitsamt ihrer Trompete am Galgen sehen würde, denn sie bringt mit
ihren Unkenrufen, nur ehrliche Leute aus der Ruhe. – Nun aber sagt mir, wie Ihn in diese Teufelsküche geraten seid.«
»Fragen Sie mich, Monkbarns, als Magistratsperson, oder tun Sie es bloß aus persönlichem Interesse?«
»Lediglich aus persönlichem Interesse,« versetzte der Altertümler.
»Dann tun Sie Ihr Notizbuch und Ihren Bleistift weg, denn ich sage Ihnen nicht ein Sterbenswörtchen, solange Sie das Schreibzeug bei der Hand haben. Die sind für Leute wie unsereinen ein Greuel. Hols der Henker! So ein Federfuchser wie der da drüben, kann schwarz auf weiß was hinschreiben, wofür man dann baumeln kann, ehe man noch überhaupt weiß, was man gesagt hat.«
Monkbarns willfahrte der Grille des alten Mannes und steckte sein Notizbuch ein.
Nun berichtete Edie mit großem Freimut, was dem Leser an der Geschichte schon bekannt ist. Er erzählte ihm, was in den Ruinen von St. Ruth zwischen Dusterschieler und dessen Gönner vorgefallen war und was er selber mitangesehen hatte. Er gestand offen ein, daß er der Versuchung nicht habe widerstehen können, den Schwarzkünstler noch einmal zu dem Grabe Schwarzrocks zu locken, weil er ihm einmal seine Schwindeleien gründlich habe versalzen wollen. Den Steenie, der ja ein leichtsinniger Bursche gewesen wäre, hätte er ohne Schwierigkeiten dazu bestimmt, ihm behilflich zu sein. So hätten sie beide sich den Jux gemacht, aber die Sache sei zu einem bösern Ende gekommen, als sie beabsichtigt hätten. Was die Brieftasche Dusterschielers anbetreffe, so habe er gleich am Abend noch Steenie gesagt, daß es ihm gar nicht lieb, sei, sie in seinen Händen zu wissen; der Fischer hätte sie aber ganz ohne Absicht an sich genommen, hätte auch vor allen Bewohnern der Hütte fest versprochen, sie am folgenden Tage wieder abzuliefern. Daran hätte ihn dann sein unerwarteter Tod gehindert.
Der Altertümler überlegte einen Augenblick und sagte dann:
»Euer Bericht klingt sehr nach Wahrheit, und soweit ich die beteiligten Personen kenne, glaube ich auch daran in allen Stücken. Aber ich glaube auch, daß Ihr noch weit mehr wißt, als Ihr sagen wollt, das heißt, was die Schatzgräberei anbelangt. Ich vermute, Ihr habt die Rolle des
»Du meine Güte, Herr,« erwiderte der Bettler, – »was weiß ich von Hauluhraria? Das klingt ja wie Hundesprache, aber nicht wie Menschen reden.«
»Ihr habt aber doch gewußt, daß die Kiste mit dem Schatz da war?« fuhr Oldbuck fort.
»Werter Herr,« antwortete Edie und nahm eine Miene großer Einfalt an, – »wie sollte denn das wohl möglich sein? Meinen Sie denn, ein so armer, alter Kerl hätte von so einer Kiste voll Silber etwas wissen können, und hätte nicht dabei sein Profitchen gemacht? Und Sie wissen doch selber, daß ich gar nichts davon verlangt und auch nichts gekriegt habe? Wie sollte also ich etwas damit zu tun haben?«
»Das eben solltet Ihr mir erklären,« sagte Oldbuck, »denn ich bin überzeugt, Ihr habt gewußt, daß der Schatz da war.«
»Euer Ehren sind freilich einer, dem man kein X für ein U machen kann, Monkbarns, und ich muß allerdings zugeben, Sie treffen sehr oft den Nagel auf den Kopf.«
»Ihr gebt also zu, daß meine Annahme begründet ist?«
Edie nickte bejahend.
»Dann bitte erklärt mir die ganze Sache von Anfang bis zu Ende,« sagte der Altertümler.
»Wenn es mein Geheimnis wäre, Monkbarns,« erwiderte der Bettler, »dann sollten Sie nicht zweimal fragen, denn hinter Ihrem Rücken hab ich's oft gesagt, abgesehen von so einem bißchen Humbug, was Sie sich bisweilen in den Kopf setzen, sind Sie der vernünftigste, klarste Kopf hier unter unserm Landadel. Aber ich will offen zu Ihnen sein und Ihnen sagen, es ist das Geheimnis eines Freundes, und lieber mögen die Richter mich von wilden Pferden zerreißen lassen oder mich auseinander sägen, wie sie's mit den Kindern Ammons getan haben, ehe ich ein Wort weiter über die Sache verrate. Nur das will ich noch sagen, es ist keine böse Absicht dabei, sondern nur ein guter Zweck, und es sollte damit jemand geholfen werden, der mehr wert ist als zweitausend solche Kerle wie ich. Aber so ein Gesetz gibt's doch wohl nicht, daß es einem als Verbrechen ausgelegt werden kann, wenn man weiß, wo andrer Leute ihr Silber liegt, streckt man nur selber nicht die Hände danach aus.«
Oldbuck durchmaß ein paarmal das Zimmer in tiefem Sinnen. Er suchte eine Erklärung für so geheimnisvolle Vorkommnisse zu finden. Aber diesmal ließ ihn sein Scharfsinn im Stich. Dann trat er wieder vor den Gefangnen.
»Eure Geschichte, Edie, ist ein Rätsel durch und durch, und es müßte erst ein zweiter Ödipus geboren werden, es zu lösen. Wer Ödipus gewesen ist, das sag ich Euch ein andermal, wenn Ihr mich daran erinnern wollt. Aber ob ich es nun der Klarheit im Kopf oder dem Humbug zu danken habe – um im Tone Eures liebenswürdigen Kompliments zu reden – ich fühle mich stark bewogen, zu glauben, daß Ihr die Wahrheit gesagt habt, um so mehr, weil Ihr dabei keine jener Berufungen auf höhere Mächte eingeflochten habt, wie Euresgleichen immer tut, wenn es gilt, andre Leute anzuführen.« (Bei diesen Worten mußte Edie unwillkürlich lächeln.) – »Wenn Ihr mir daher noch auf eine Frage Auskunft geben wollt, so werde ich dafür sorgen, daß Ihr wieder auf freien Fuß gesetzt werdet.«
»Die Frage lassen Sie mich doch erst hören,« sagte Edie, mit der Vorsicht eines pfiffigen Schotten, »und dann will ich Ihnen sagen, ob ich drauf antworten will.«
»Die Frage ist sehr einfach,« sagte der Altertümler. »Hat Dusterschieler etwas über den Versteck der Silberkiste gewußt?«
»Der niederträchtige Schurke!« versetzte Edie im offenherzigsten Tone, »wenn Dusterschieler was davon gewußt hätte, dann wär wohl wenig davon übrig geblieben. Da wär wohl der Bock der Gärtner gewesen. Da wär's wohl gegangen, wie verschwinde, verschwinde, wie die Wurst im Spinde.«
»Das hatte ich mir gedacht,« sagte Oldbuck. »Schön, Edie, wenn ich Euch nun auf freien Fuß setzen lasse, dann müßt Ihr auch pünktlich an dem Tage der Vorladung erscheinen, damit ich die Kaution, die ich stellen muß, nicht verliere, denn die Zeiten sind jetzt schlecht, und eigentlich sollte ein vorsichtiger Mann sich gar nicht auf sowas wie eine Kaution einlassen, sofern Ihr verraten könntet, wo noch eine
»Ach!« sagte der Bettler und schüttelte den Kopf, »ich fürchte, der Vogel, der diese goldnen Eier gelegt hat, ist davon geflogen – denn eine Gans mag ich ihn nicht nennen, wenn er auch im Märchenbuche so heißt. Aber ich werde mich pünktlich, einstellen, Monkbarns, an mir sollen Sie nicht einen Pfennig verlieren. Allerdings wär ich gern wieder draußen, jetzt, wo das Wetter so schön ist – und dann hab ich auch die besten Chancen, von unsern Freunden was zu hören.«
»Na, Edie, unten wird nicht mehr gestampft und gedonnert, und so wird wohl der Amtmann Kleinhaus seinen militärischen Lehrmeister wieder weggeschickt haben und nun von der Arbeit des Mars zum Dienste der Themis zurückkehren. Ich will mit ihm reden. Aber von Euern Hiobsbotschaften kann und will ich keine glauben.«
»Gott geb's, daß Euer Ehren Recht haben!« sagte der Bettler, als Oldbuck hinausging.
Der Altertümler fand den Amtmann erschöpft von den Exerzitien, er lehnte in seinem Sorgenstuhl und summte die Melodie: »'s gibt kein schöner Leben als Soldatenleben!« und nach jeder Zeile nahm er zur Stärkung einen Löffel Mockturtlesuppe.
Er ließ für Oldbuck auch eine Portion zur Erfrischung kommen, der aber schlug es ab mit dem Bemerken, er sei kein Militär und Pflege außer seinen regelmäßigen Eßzeiten nichts zu sich zu nehmen.
»Soldaten, wie Sie, Amtmann, müssen im Fluge ihre Brocken aufschnappen, wie sie eben kommen. Aber es tut mir leid, daß schlimme Nachrichten von der Brigg des jungen Taffril im Umlauf sind.«
»Ach ja! der arme Bursche! die Stadt konnte stolz auf ihn sein,« sagte der Amtmann, »hat sich am ersten Juni sehr ausgezeichnet.«
»Ich glaube nicht eine Silbe davon,« sagte Oldbuck. »Doch nun zu meiner Angelegenheit! Sie müssen für den Alten da Kaution annehmen, Amtmann– hoch, darf sie allerdings nicht sein, verstehen Sie.«
»Sie bedenken nicht, was Sie da verlangen,« sagte der Amtmann. »Die Anklage lautet auf Raub und Überfall.«
»Pst! gar keine Rede davon!« sagte der Altertümler. »Ich ließ doch vorhin schon so eine Andeutung fallen. Ich werde Ihnen die Sache später noch näher erklären – es ist ein Geheimnis dabei im Spiele, das kann ich Ihnen versichern.«
»Aber, Herr Oldbuck, wenn es den Staat betrifft, da habe doch ich, der hier die ganze Plackerei auf sich hat, wirklich einen kleinen Anspruch darauf, mit zu Rate gezogen zu werden, und ehe nicht das –«
»Still doch!« sagte der Altertümler, indem er ihm zublinzelte und den Finger an die Nase legte, »Sie sollen die ganze Sache in die Hand bekommen, wenn's erst soweit ist. Aber das ist ein starrsinniger Alter, der nichts davon wissen will, daß zwei Männer in sein Geheimnis eingeweiht sind, und er hat mir noch nicht völligen Einblick in die Schurkereien Dusterschielers verschafft.«
»Gut, die Sache soll gemacht werden. Wollen Sie mit Vierhundert Mark für den Alten bürgen?«
»Vierhundert Mark für einen alten Blaurock? Nein, streichen Sie eine Null! Mit vierzig Mark will, ich mich einverstanden erklären.«
»Na, Herr Oldbuck, jedermann in Fairport tut gern Ihnen einen Gefallen. Ich weiß, Sie sind ein vorsichtiger Mann und würden ebenso ungern vierzig wie vierhundert Mark verlieren. Ich will also Ihre Kaution annehmen –
»Dann mag Ihr Schreiber den Schein aufsetzen und ich will ihn unterschreiben.«
Nach Erledigung dieser Förmlichkeit machte der Altertümler Edie die erfreuliche Mitteilung, daß er wieder auf freiem Fuße sei, und forderte ihn auf, sich sogleich in Monkbarns einzufinden, wohin er sich selber nach Vollendung des guten Werkes mit seinem Neffen begab.
Neunzehntes Kapitel
Am folgenden Tage befand sich Herr Oldbuck mit seinem Neffen und dem Bettler auf dem Wege zur Hütte Mucklebackits.
»Da wären wir angelangt,« sagte Edie, als sie vor der Tür des Häuschens standen. »Möchte nur wissen, warum Sie sich mit mir so viel Schererei machen? Ich sage Ihnen aufrichtig, viel Lust, hier hineinzugehen hab ich nicht. Ich kann den Gedanken nicht ertragen, wie die jungen Leute um mich her dahingegangen, sind und ich als alter nutzloser Strunk zurückgeblieben bin, an dem kaum noch ein Blättchen grün ist.«
»Die alte Elsbeth hat Euch als Boten zum Grafen von Glenallan geschickt, nicht wahr?« fragte Oldbuck.
»Nanu!« versetzte der erstaunte Bettler. »Woher wissen Sie das?«
»Lord Glenallan hat mir's selber gesagt,« antwortete der Altertümler. »Er wünscht, ich soll ihre Aussage über Familienangelegenheiten zu Protokoll nehmen, und deshalb nehme ich Euch mit, denn so wie es mit der Alten steht, die zwischen Irrsinn und Bewußtsein schwankt, ist es möglich, daß Euer Anblick ihre Erinnerung auffrischt, was sich auf andre Weise am Ende nicht erreichen läßt. Der Menschengeist will behandelt sein wie verfilzte Seide, man muß erst ein freies Ende finden, ehe man ans Aufknüpfen gehen kann.«
»Davon weiß ich nichts,« sagte der Schnorrer, »aber wenn meine alte Bekannte noch sich selber gleicht, so wird sie uns wohl ein ordentliches Knäuel zu wickeln geben. Es ist förmlich zum Gruseln, wenn sie die Arme bewegt und ihr Englisch spricht wie ein gedrucktes Buch – und dabei ist sie bloß einem alten Fischer sein Weib. Aber freilich, sie hat eine gute Schule genossen und hatte viel los, als sie ein wenig unter ihrem Stande heiratete. Sie kann etwa zehn Jahre älter sein als ich, aber ich besinne mich noch gut darauf, es wurde viel davon gesprochen, als sie den Simon Mucklebackit, Saunders'n seinen Vater, geheiratet hatte. Wie wenn sie eine Adelige gewesen wäre. Sie haben viel Geld bekommen und dann sind sie aus dem Grundgebiet der Gräfin weggezogen und haben sich hier niedergelassen. Aber sie haben es nie zu was bringen können, es hat ihnen nichts so recht geglückt. Aber sie ist doch sehr gebildet, und wenn sie mit ihrem Englisch loslegt, dann kann sie uns allen eine Nuß zu knacken geben.«
Als der Altertümler die Tür öffnen wollte, war er nicht wenig erstaunt, als er Elsbeth in grausig klagendem Tone eine alte Ballade singen hörte:
»Der Hering gern das Mondlicht sieht,
Den Wind liebt die Makrele,
Doch die Auster liebt ein Fischerlied,
Denn sie ist von edlerer Seele.«
Als sorgfältiger Sammler dieser sagenhaften Brocken antiker Poesie, blieb er vor der Schwelle stehen und griff unwillkürlich zu Notizbuch und Bleistift. Von Zeit zu Zeit wisperte die Alte dazwischen, als spräche sie zu Kindern: »Eia popeia, Kinderchens! Bisch! Bisch! Ein hübscheres Liedchen nun!«
»Nun, Frau'n und Männer, schweigt hübsch brav
Und groß und klein gebt acht,
Ich singe vom Glenallan Graf,
Der schlug die Harlaw-Schlacht.
Am Bennachie der Pibroch klang,
Am Don und ringsumher,
Gar blutig war der Waffengang,
Das Hochland trauert schwer.
Den nächsten Vers kann ich nicht mehr, mein Gedächtnis ist jetzt so schwach, und ich hab an so mancherlei zu denken gehabt. Der Herr führe uns nicht in Versuchung!«
Ihre Stimme erstarb in undeutlichem Murmeln.
»Es ist eine historische Ballade!« sagte Oldbuck begierig.
»Ja, aber es ist doch recht traurig,« sagte der Bettler, »wenn man ein Menschengemüt so völlig zerstört sieht, daß es alte Balladen singt, wo doch eben im Hause der Tod zu Gaste gewesen ist.«
»Still! Still!« sagte der Altertümler. »Sie hat wieder angefangen.«
Und ehe er noch ausgeredet hatte, erklang das Lied:
»Gezäumt die Rappen stehn zu Hauf,
Die Schimmel sonder Zahl,
Und stolze Ritter satteln auf,
Von Kopf zu Fuß in Stahl.
Kaum eine Meile ging's im Trab –
Holla! was ficht euch an?
Sprengt Donald nicht ins Tal herab
Mit zwanzigtausend Mann?
Breit weht der Banner stolzer Schwall,
Die Schwerter blinken hell,
Der Pibroch klingt im Widerhall,
Er schmettert laut und grell.
Der Graf im Bügel hoch sich hob
Und rief im Jubel aus:
Auf, Ritter werb um Ruhm und Lob,
Hier gilt es harten Strauß!
Was möchte wohl, mein Knappe brav,
Jetzt deine Losung sein,
Wärst du von Glenallan der Graf
Und ich wär Roland Cheyne?
Flucht wäre Schande, Knappe mein,
Und Kampf bringt Todesschlaf!
Was tätst du nun, mein Roland Cheyne,
Wärst du Glenallans Graf?
»Ihr müßt wissen, Kinderchen, dieser Roland Cheyne, so arm und alt ich auch hier am Kamin sitze, war mein Vorfahr, und ein fürchterlicher Mann war er an diesem Tage in der Schlacht, besonders seit der Graf gefallen war. Denn er machte sich's selber zum Vorwurf, daß er diesen Rat gegeben hatte, den Kampf zu wagen.«
Ihre Stimme klang lauter, als sie den kriegerischen Rat ihres Ahnherrn sang:
»Wär ich der Graf Glenallan, traun,
Und Ihr wärt Roland Cheyne,
So ließ ich schießen Rappes Zaum,
Den Sporn drückt ich ihm ein.
Und sind sie tausend auch an Zahl
Und wir nur ein paar Schock,
So tragen wir das Kleid von Stahl,
Sie nur den Schottenrock.
Mein Roß braust ihre Reih'n hindurch,
Wie es durchs Moorland bricht,
Wer edle Normann kennt die Furcht
Vor Hochlandsknappen nicht.«
»Hörst du, Neffe,« sagte Oldbuck, »deine gälischen Ahnen standen nicht eben in hoher Achtung bei den Kriegern des Tieflandes.«
»Ich höre,« sagte Hektor, »ein schwachsinniges altes Weib eine blödsinnige Ballade singen. Ich bin überrascht, Onkel, daß du, der du von Ossians Gesängen nichts hören willst, an solchem Tratsch Geschmack findest. Ich habe noch nie eine armseligere Dreierballade gehört, und ich glaube, bei jedem Hausierer oder Bänkelsänger finden wir bessere. Es wäre eine Schande, wenn ein solches Gefasel an der Ehre des Hochlandes rühren könnte.« Und er warf den Kopf in die Höhe und schnaufte verächtlich.
Die Alte hörte wohl ihre Stimmen, denn sie brach ihr Lied ab und rief:
»Nur herein, ihr Herren, nur herein, wer in guter Absicht kommt, bleibt nicht auf der Schwelle stehn.«
Sie traten ein, und zu ihrer Verwunderung sahen sie die Alte ganz allein. Wie ein Gespenst saß sie am Herde, runzlig, elend und widerlich, wackelnd und zitternd, triefäugig und von mißfarbiger Leichenblässe.
»Sie sind alle fort,« sagte sie, als die Männer eintraten, »wenn Ihr aber ein Weilchen Platz nehmen wollt, es wird bald wer kommen. Wenn ihr mit meiner Schwiegertochter oder mit meinem Sohne was zu besorgen habt, die werden wohl bald da sein. Ich selber kümmre mich nie um Geschäfte. Kinderchen, gebt Stühle her – ja so, die Kinder sind wohl auch weg.«
Sie sah sich um.
»Ich habe lange gesungen,« fuhr sie fort, »damit sie still sein sollten, aber nun sind sie auf und davon. Nehmt nur Platz, ihr Herren, es wird bald wer kommen.«
Sie ließ die Spindel, die sie hielt, aus der Hand gleiten, daß sie auf dem Boden sich tanzend drehte. Bald schien sie nur noch mit ihrer Spinnerei beschäftigt und schien von der Anwesenheit der Fremden gar nichts mehr zu wissen.
»Edie,« sagte der Altertümler, »versucht, ob Ihr sie daran erinnern könnt, daß sie Euch nach Glenallan-Haus geschickt hat!«
Edie erhob sich und stellte sich in derselben Haltung vor sie hin, die er in ihrem frühern Gespräch innegehabt hatte.
»Freut mich, daß ich Euch so wohl und munter wieder finde, zumal, seit ich das letztemal hier war, der Tod in Euerm Hause eingekehrt ist.«
»Ja,« sagte Elsbeth, der aber freilich nur eine allgemeine Vorstellung von erfahrenem Mißgeschick vorschwebte, ohne daß sie sich des einzelnen Vorfalles der letzten Zeit noch erinnerte, »wir haben Kummer gehabt. Mich wundert's nur, wie die jüngern Leute es überwinden. Mich drückt es schwer. Ich kann den Wind nicht pfeifen und die See nicht heulen hören, dann seh ich schon das Boot kieloben treiben und die Ertrinkenden mit den Wogen ringen. – Ach, ihr Herren, schlimme Träume hat man zwischen Schlafen und Wachen, ehe man zum langen tiefen Schlafe kommt. Manchmal ist mir ganz so, als wär mein Sohn oder Steenie gestorben und ich hätte gesehen, wie sie ihn zu Grabe getragen haben. Ist das nicht ein schnurriger Traum für eine alte, taube Bettel? – Das ist ganz gegen die Natur.«
»Ich glaube, mit dieser blödsinnigen Alten wird wenig anzufangen sein,« sagte Hektor verächtlich. »Wir vergeuden nur Zeit, wenn wir hier sitzen und ihr Gefasel mitanhören.«
»Hektor,« sagte der Altertümler, »wenn du auch ihr Unglück nicht respektierst, so ehre wenigstens ihr Alter und ihre grauen Haare – es ist dies das letzte Stadium des Daseins, das der lateinische Dichter so fein beschreibt:
Schrecklicher noch als aller Glieder Verlust ist der Wahnsinn,
Der nicht die Namen der Sklaven erkennt, noch das Antlitz des Freundes,
Welcher Abends zuvor mit ihm saß beim Mahle, noch jene,
Die er erzeugt und erzogen...
»Das ist lateinisch!« sagte Elsbeth, und richtete sich auf, als lauschte sie den Versen, die der Altertümler mit feierlicher Betonung sprach, »das ist lateinisch.« Und sie warf einen wilden Blick um sich her. »Hat endlich ein Priester mich aufgesucht? Ich will keinen Priester haben,« begann sie wieder mit ohnmächtigem Ingrimm. »Wie ich gelebt habe, so will ich sterben. Niemand soll sagen, daß ich meine Herrin verraten habe, wär's auch um meine Seele zu retten.«
»Das hat ein böses Gewissen gesprochen,« sagte der Bettler, »gewiß möchte sie gern sich der Schuld entladen, wär's nur um ihrer selbst willen.«
Und er drang von neuem in sie.
»He, Alte, Ihre Botschaft an den Grafen hab ich ausgerichtet.«
»An was für einen Grafen? Ich kenn keinen Grafen. Eine Gräfin hab ich früher Mal gekannt. Denn aus dieser Bekanntschaft, Nachbar, da kam –« und sie zählte an ihren verwelkten Fingern ab, während sie sprach: »erst Stolz, dann Hinterlist, dann Rache, dann falsches Zeugnis, und auch der Mord hat angepocht, wenn er auch nicht hereinkam. Und sind das nicht angenehme Gäste gewesen im Herzen eines Weibes, wie? Ich meine, es war eine stolze Gesellschaft.«
»Aber, Mütterchen, ich spreche ja gar nicht von der Gräfin Glenallan,« fuhr der Bettler fort, »sondern von ihrem Sohne, dem Lord Geraldin.«
»Jetzt versteh ich,« sagte sie. »Hab ihn gar lang nicht gesehen, und wir haben eine schwere Besprechung miteinander gehabt. Ach, Herren, der schmucke junge Lord ist so alt und gebrechlich geworden wie ich. So richtet Herzeleid und zerstörtes Liebesglück das junge Blut hin. Aber darum hätte seine Mutter sich kümmern müssen. Wir waren ja nur ihre Diener und Untertanen, wißt ihr. Mir kann gewiß niemand einen Vorwurf machen. Er war ja nicht mein Sohn und sie war meine Gebieterin. Und er war ja auch nur ein Halbblut, aber in ihr floß das reine, echte Blut der Glenallans. Nein, nein, was ich für die Gräfin Joscelinde getan habe und gelitten habe, das tut mir nicht leid. Das wird mir nie leid tun.«
Sie zog den Flachs vom Rocken mit der verstockten Miene einer Person, die nicht beichten will, und fuhr mit Spinnen fort.
»Wie ich gehört habe, Alte,« sagte der Bettler und begann nun mit dem, was Oldbuck ihm von der Familiengeschichte erzählt hatte, »wie ich gehört habe, sollen zwischen dem Grafen, das heißt Lord Geraldin, und seiner Braut böse Zungen Unheil gestiftet haben?«
»Böse Zungen?« sagte sie rasch und bestürzt. »Und was hatte denn sie von bösen Zungen zu befürchten? Sie war gut und schön – so sagte wenigstens alle Welt. Aber wenn sie nur selber die Zunge vor andern Leuten im Zaume gehalten hätte, dann hätte sie wie eine Lady trotz allem noch heute dastehn können.«
»Aber wie ich gehört habe,« fuhr Ochiltree fort, »ging im Lande das Geklatsch, sie wären beide zu nahe miteinander verwandt gewesen, als sie sich trauen ließen?«
»Wer wagt's, davon zu sprechen?« versetzte die Alte hastig. »Wer wagt's zu sagen, sie hätten sich trauen lassen, sie wären verheiratet gewesen? – Wer hat davon etwas gewußt? – Die Gräfin nicht – ich nicht – wenn sie sich heimlich geheiratet haben, so sind sie heimlich wieder geschieden worden. Sie tranken von der Quelle ihres eignen Betruges.«
»Nein, verwünschte Bettel,« rief Oldbuck, der nicht länger still sein konnte, »getrunken haben sie von dem Gift, das du und deine gottlose Herrin ihnen gebraut habt.«
»Ha ha!« versetzte sie. »Hab ich's doch gedacht, daß es dahin kommen würde. Wenn sie mich verhören wollen, dann brauch ich nur ganz still zu sitzen. Tortur gibt's ja nicht mehr heutzutage – und, gäb es sie noch, meinetwegen mögen sie mich zerreißen! Schlecht ständ es um den Mund eines Dieners, der den verrät, des Brot er ißt.«
»Sprecht mit ihr, Edie,« sagte der Altertümler, »sie kennt Eure Stimme und gibt bereitwillig darauf Antwort.«
»Wir werden nichts mehr aus ihr herauskriegen,« sagte Ochiltree, »wenn sie sich so niedergehockt hat und die Arme so über der Brust gekreuzt hat, dann soll sie, wie die Ihren sagen, wochenlang nicht ein Wort reden. Und nebenbei kommt mir's so vor, als wenn ihr Gesicht sich, seit wir hereingekommen sind, auffallend verändert hätte. Aber ich will's noch mal mit ihr versuchen, um Euer Ehren einen Gefallen zu tun. – Es ist Ihnen also nicht mehr in Erinnerung, Mütterchen, daß Ihre alte Herrin, die Gräfin Joscelinde, begraben worden ist?«
»Begraben!« rief sie, denn dieser Name übte noch immer seine Wirkung auf sie. »Dann müssen wir also folgen. Alle müssen reiten, wenn sie im Sattel sitzt. Dem Lord Geraldin sollen sie sagen, wir wären voraus geritten. Bringt mir Hut und Schärpe – ich kann doch nicht zu meiner Herrin in den Wagen steigen mit so liederlichem Haar!«
Sie hob die verschrumpften Arme und schien beschäftigt, sich den Mantel umzuhängen, dann ließ sie die Arme langsam und steif sinken, und dieselbe Idee einer Reise ging ihr noch durch den Kopf und sie faselte überstürzt und abgebrochen weiter:
»Ruft Fräulein Neville. – Was wollt Ihr mit Lady Geraldin? Fräulein Neville sagt ich – nicht Lady Geraldin – eine Lady Geraldin gibt's nicht – sagt ihr das, und sie soll ihr nasses Kleid ausziehen und nicht so bleich dreinschauen. Ein Kleines? – Was sollte sie mit einem Kindchen zu tun haben? – Mädchen kriegen doch keins. Theresa, Theresa – die Gnädige ruft uns! Bringt eine Kerze, die große Treppe ist finster wie die Mitternacht – wir kommen, Gnädige!«
Mit diesen Worten sank sie auf ihren Sitz zurück, und von da der Länge nach auf die Dielen.
Edie lief hin, sie zu stützen, aber er hatte sie kaum aufgefangen, so rief er:
»Es ist alles vorbei – mit dem letzten Wort ist sie hinüber.«
»Unmöglich!« rief Oldbuck und trat herzu. Hektor eilte an seine Seite.
Aber es war nicht mehr daran zu zweifeln. Mit dem letzten hastigen Worten hatte sie den Geist aufgegeben, und nichts war verblieben, als die sterblichen Reste des Geschöpfes, das so lange mit dem Bewußtsein verborgener Schuld und mit allem Jammer des Alters und der Armut gerungen hatte.
Zwanzigstes Kapitel
Von der Zeit an, da Sir Arthur den Schatz im Grabe Schwarzrocks gefunden hatte, hatte Sir Arthur sich in einer Stimmung befunden, die mehr einer Verzücktheit als vernünftiger Verständigkeit glich. Einmal hatte seine Tochter wirklich für seine fünf Sinne gefürchtet, denn, da er tatsächlich das Geheimnis zu besitzen wähnte, zu unermeßlichem Reichtum zu gelangen, so sprach er und benahm sich ganz wie jemand, der den Stein der Weisen gefunden hatte.
Er sprach davon, ausgedehnte Güter anzukaufen, die vom einen Ende der Insel bis zur andern sich erstrecken sollten, wie wenn er fest entschlossen wäre, keinen Nachbar, als die See neben sich zu dulden. Mit einem berühmten Baumeister verhandelte er über den Neubau seines väterlichen Schlosses. Ein riesiger Park sollte gleichfalls angelegt werden. Scharen von Dienern in prächtigen Livreen sah er schon in seinen Sälen stehen und die Krone eines Marquis oder Herzogs (denn der Reichtum gibt ja Anspruch auf alle Ehren) strahlte ihm vor den Augen.
Und auf welche Partien hatte nicht seine Tochter nun Anrecht? Sogar ein Schwiegersohn aus königlichem Blute lag nicht außer der Sphäre seiner Hoffnung. Seinen Sohn sah er schon als General – und sich selber auf einem Posten, wie ihn höchster Ehrgeiz nur irgend in seinen wildesten Phantasten erträumen kann.
Der Leser wird sich die Verwunderung Fräulein Wardours denken können, als sie nicht, wie sie erwartet hatte, in Verhör wegen Lovels Liebeswerbungen genommen wurde, sondern daß sie aus allen Worten ihres Vaters nur entnehmen konnte, wie sehr all sein Denken und Trachten erhitzt war von der Hoffnung auf den grenzenlosesten Reichtum.
Aber in ernste Unruhe geriet sie, als Dusterschieler nach dem Schloß geholt wurde – als sich ihr Vater mit ihm einschloß – ihm zu seinem Unfall sein Beileid aussprach – ihn in Schutz nahm und ihm den erlittenen Verlust ersetzte. Das Mißtrauen, das sie so schon gegen den Mann gehegt hatte, stieg noch, als sie ihn so eifrig bemüht sah, die goldnen Träume ihres Vaters zu nähren und unter den mannigfachsten Vorwänden sich soviel wie irgendmöglich von dem Sir Arthur so seltsam in die Hände gefallenen Schatze zu sichern.
Andere böse Anzeichen machten sich eines nach dem andern bemerkbar. Briefe kamen mit jeder Post, die Sir Arthur, sobald sie kamen, von allen Seiten betrachtete und dann ins Feuer warf, ohne sie zu öffnen. Fräulein Wardour konnte sich des Argwohns nicht erwehren, daß diese Briefe, deren Inhalt ihr Vater sozusagen zu wittern schien, von drängenden Gläubigern kamen. Die Hilfe, die ihm vorübergehend der gefundene Schatz gewährt hatte, schwand inzwischen rasch dahin.
Bei weitem der größere Teil war von dem fälligen Wechsel verzehrt worden, dessen Betrag von sechshundert Pfund Sir Arthur mit unvermeidlicher Katastrophe bedroht hatte. Der Rest ging zu einem Teile an den Adepten, zu anderm Teile wurde er in extravaganten Anschaffungen verschwendet, zu denen der arme Ritter sich angesichts seiner hoch aufgeblühten Hoffnungen durchaus für berechtigt hielt, ein dritter Teil wurde verwendet, um besonders einigen jener rücksichtsvollen Geldleiher »das Maul zu stopfen«, die der ewigen Vertröstungen müde waren und endlich mal etwas Geld sehen wollten.
Endlich stellte es sich heraus, daß schon nach wenigen Tagen alles ausgegeben war, auf neuen Zuschuß aber nicht gerechnet werden konnte. Sir Arthur wurde natürlich ungeduldig und machte Dusterschieler von neuem Vorwürfe, daß er seine Versprechungen, alles Blei zu Golde zu machen, nicht erfülle.
Dieser Ehrenmann aber hatte jetzt ausgedient und sein Plan stand fest. Er hatte Anstand genug, den Zusammenbruch eines Hauses, das er untergraben hatte, nicht noch mitanzusehen, und gab sich Mühe, Sir Arthur mit einigen Kunstausdrücken abzuspeisen. Er verabschiedete sich von Knockwinnock mit der Versicherung, daß er am folgenden Morgen wiederkommen werde, und zwar mit einer Nachricht, die Sir Arthur aus aller Not befreien würde.
»Denn solange ich nun schon auch mich mit diesem Studium befasche,« sagte Hermann Dusterschieler, »soweit bin ich noch nie bis tschum
Der Schwarzkünstler ging mit dieser Versicherung, fest entschlossen, den letztern Teil seines Vorschlages möglich zu machen und nie wieder vor seinem hintergangnen Gönner zu erscheinen. Sir Arthur blieb in zweifelhafter angstvoller Stimmung zurück. Die selbstbewußten Versicherungen des Weisen mit den schweren Worten Panchresta, Basilius und so weiter machten ja wohl einigen Eindruck. Aber er war schon oft mit solchem Kauderwelsch genasführt worden, und daher fühlte er sich auch jetzt nicht von allen Bedenken befreit. Er zog sich für den Abend in seine Bibliothek zurück, in der schrecklichen Stimmung eines Mannes, der über einem Abgrunde hängt und, ohne entrinnen zu können, den Stein, auf dem er sitzt, allmählich vom Felsen sich lösen fühlt, um mit ihm in die Tiefe hinabzustürzen.
Die Träume der Hoffnung sanken zusammen, und dafür wuchs die fieberhafte Qual der bösen Ahnung, mit der ein in vornehmem Sinne erzogener und an Überfluß und Wohlleben gewöhnter Mann – der überdies der Träger eines alten Namens und Vater zweier blühender vielversprechender Kinder war – die Stunde herannahen sah, die ihn all des Glanzes, ihm mit der Zeit unentbehrlich gewordenen Glanzes berauben und ihn mitten hinein in den alltäglichen Kampf mit der Armut, Habgier und Verachtung werfen sollte.
Am dritten Morgen nach dem Verschwinden Dusterschielers, legte der Diener wie gewöhnlich die Zeitungen und Briefe des Tages auf den Frühstückstisch. Fräulein Wardour nahm die Briefe an sich, um ihrem Vater, der schon sich heftig geärgert hatte, weil das geröstete Brot zu scharf gebräunt war, neuen Verdruß zu ersparen.
»Ich sehe schon, wie es sich verhält,« sagte Sir Arthur, »meine Diener haben mein Glück mit mir geteilt – jetzt aber denken sie, es ist in Zukunft doch nicht viel mehr bei mir zu holen. Aber solange ich noch der Herr dieser Schurken bin, solange will ich es sein und mir keine Nachlässigkeiten bieten lassen – nicht eines Haares Breite sollen sie mir von dem Respekt versagen, den ich berechtigt bin, von ihnen zu verlangen.«
»Ich bin bereit, den Dienst Euer Ehren auf der Stelle zu quittieren,« sagte der Diener, dem das Versehen mit dem Frühstücksbrot vorgeworfen worden war, »sobald Sie mir meinen Lohn auszahlen lassen.«
Wie von einer Schlange gestochen, fuhr Sir Arthur mit der Hand in die Tasche und langte sofort das Geld heraus, das er darinnen hatte – es langte aber nicht für die Ansprüche des Mannes.
»Was haben Sie für Geld bei sich, Fräulein Wardour?« fragte er mit erkünstelter Ruhe, aber man hörte ihm an, wie heftig erregt er war.
Fräulein Wardour gab ihm ihre Börse, er versuchte die Banknoten zu zählen, die sie enthielt, konnte aber die Summe nicht zusammenrechnen. Nachdem er sich zweimal verrechnet hatte, warf er alles seiner Tochter hin und sagte in strengem Tone:
»Bezahle den Schurken, dann soll er auf der Stelle aus meinem Hause!«
Mit diesen Worten schritt er stolz hinaus.
Herrin und Diener sahen sich an, gleich verwundert über seine Aufregung und Heftigkeit.
»Wirklich, Gnädige, wenn ich gewußt hätte, daß ich an der Sache schuld wäre, dann hätt ich mich nicht verantwortet, wie Sir Arthur mich ausschalt. Ich bin lange in seinem Dienst und er ist immer ein freundlicher Herr gewesen wie Sie eine gütige Herrin. Ich möchte nicht, daß Sie von mir dächten, ich ginge wegen eines unfreundlichen Wortes weg. Es mag freilich unrecht von mir gewesen sein, daß ich von dem Lohne was gesagt habe, wo Sir Arthur jetzt vielleicht seine Schwierigkeiten hat. Ich hätte nie daran gedacht, daß ich einmal auf diese Weise dieses Haus verlassen sollte!«
»Gehen Sie hinunter, Robert,« sagte seine Herrin, »es ist etwas vorgefallen, worüber mein Vater sich geärgert hat – gehen Sie hinunter, und wenn es klingelt, soll Mick an die Tür gehen.«
Als der Mann hinausging, trat Sir Arthur wieder ein, als hätte er warten sollen, bis der Diener gegangen wäre.
»Was soll das heißen?« sagte er hastig, als er das Geld noch auf dem Tische liegen sah. »Ist der Mann nicht entlassen? Wird mir der Gehorsam verweigert als Gebieter wie als Vater?«
»Er ist gegangen, und wird seinen Posten als Hausverwalter an einen andern abtreten, Vater – ich dachte nicht, daß es so sehr eilig wäre.«
»Es ist eilig, Tochter,« fiel ihr der Vater ins Wort. »Was ich hinfort noch im Hause meiner Ahnen tue, muß schnell oder nie verrichtet werden.«
Dann setzte er sich nieder und nahm mit zitternder Hand eine für ihn zurechtgestellte Tasse, trank sie aber sehr langsam, um den Augenblick, wo er die auf dem Tische vor ihm liegenden Briefe öffnen mußte, noch möglichst hinauszuschieben. Inzwischen warf er ihnen ab und zu einen Blick zu, als wären sie ein Nest von Ottern, die im Nu lebendig werden und auf ihn losfahren könnten.
»Es wird dich sehr freuen zu hören,« sagte Fräulein Wardour, die ihren Vater gern von seinen düstern Gedanken ablenken wollte, »daß Leutnant Taffrils Brigg glücklich in Leith Roads angelangt ist. Wie ich höre, ist man in Sorge um sein Leben gewesen – es freut mich, daß wir nichts davon gehört haben, bis wir nun vernehmen, daß er außer aller Gefahr ist.«
»Und was geht mich Leutnant Taffrils Brigg an?«
»Aber Papa!« rief Fräulein Wardour erstaunt. Denn in seiner gewöhnlichen Stimmung brachte Sir Arthur all dem Geklatsch des Tages und des Kreises ein kleinliches Interesse entgegen.
»Ich wiederhole,« sagte er in höherm und ungeduldigerm Tone, »was kümmert es mich, wer gerettet wird oder wer draufgeht? Das geht doch mich nichts an, dächt ich.«
»Ich wußte nicht, daß du beschäftigst seiest, Papa. Da aber Herr Taffril ein braver Mann und obendrein aus unsrer Gegend ist, so glaubt ich, du würdest dich glücklich schätzen ...«
»O, ich schätze mich glücklich – so glücklich wie möglich – und damit auch du dich glücklich schätzen kannst, sollst du nun auch ein paar von meinen erfreulichen Nachrichten dafür zu hören bekommen.« Und er nahm einen Brief zur Hand. »Es kommt nicht drauf an, welchen ich zuerst öffne. Sie singen alle die gleiche Leier.«
Er brach rasch das Siegel auf, überflog das Schreiben und warf es dann seiner Tochter hin.
»Glücklicher hätte ich es gar nicht treffen können! – Das gibt den Rest!«
In stummem Entsetzen nahm Fräulein Wardour den Brief auf.
»Lies laut! – lies laut!« sagte ihr Vater. »Es kann nicht zu oft gelesen werden. Das wird dich vorbereiten, auf andre gute Nachrichten derselben Art.«
Sie begann mit stockender Stimme zu lesen:
»Werter Herr!«
»Mit werter Herr redet er mich auch noch an, siehst du wohl – diese unverschämte Schreiberseele – ich vermute, nächstens avanciere ich sogar zu seinem werten Ritter.«
»Werter Herr,« fuhr Fräulein Wardour fort, aber sie unterbrach sich, »ich sehe, der Inhalt ist nicht eben angenehm. – Du wirst dich nur darüber ärgern, wenn du ihn laut lesen hörst.«
»Wenn du mir noch mein eignes Vergnügen gestattest, Tochter, dann lies bitte weiter. Wenn es nicht nötig wäre, so würde ich wahrscheinlich dir nicht die Mühe bereiten.«
»Da ich in letzter Zeit,« fuhr Fräulein Wardour den Brief zu lesen fort, »in Teilhaberschaft getreten bin mit Herrn Gilbert Grünhorn, dem Sohne Ihres verstorbenen Korrespondenten und Geschäftsführers, Girnigo Grünhorn, Hochwohlgeboren und Sachwalter, dessen Geschäfte als Protokollführer im Parlament ich mehrere Jahre hindurch besorgt habe, und da unsere Geschäfte künftig unter der Firma Grünhorn & Grinderson weitergeführt werden (worauf ich Sie der richtigen Adresse wegen für die Zukunft hiermit aufmerksam gemacht haben möchte) – und da Ihre letzte verehrliche Zuschrift an meinen besagten Teilhaber, Herrn Gilbert Grünhorn, der zur Zeit anläßlich der Rennen in Lamberton weilt, in meine Hände gekommen und von mir geöffnet worden ist, so erlaube ich mir hierdurch ergebenst, auf dieses Ihr Schreiben zu antworten....«
»Wie du siehst, weiß mein Freund den Hund zu führen und erklärt mir erst, wie ich zu einem so vornehmen und bescheidnen Briefwechsel komme. – Fahr nur fort, ich kann's ertragen.«
Und er ließ jenes bittre Lachen hören, das vielleicht der entsetzlichste Ausdruck für seelisches Elend ist. Zitternd vor dem, was sie weiter lesen werde, und doch besorgt, ihren Vater durch Ungehorsam noch mehr zu reizen, fuhr Fräulein Wardour fort zu lesen:
»In meinem und meines Teilhabers Namen muß ich unser Bedauern aussprechen, daß wir Ihnen für die genannten Summen keine längere Frist gewähren können und daß wir uns ferner auch nicht für eine längere Stundung der Forderungen Goldvogels verwenden können. Ein solches Verfahren würde uns in das Licht größter Inkonsequenz setzen, da wir aufgefordert worden sind, besagten Goldvogel vor Gericht zu vertreten. In dieser Eigenschaft haben wir Ihnen einen Zahlungsbefehl über die Summe von 4756 Pfund durch den Gerichtsvollzieher zugestellt, und wir erwarten, daß die betreffende Summe nebst Zinsen und Kosten in der erforderlichen Frist an uns gezahlt wird, damit alle weitern Unannehmlichkeiten vermieden werden. Gleichzeitig sehe ich mich genötigt, unsere eigene Forderung in Erinnerung zu bringen, welche sich auf 769 Pfund 10 Schillinge und sechs Pence beläuft. – Umgehende Begleichung wäre uns sehr erwünscht. Da wir aber Ihre Papiere, Privilegien und Rechtstitel als Unterpfand in Händen haben, so sind wir nicht abgeneigt, eine gemessene Prolongierung zu gewähren, nämlich bis zum nächsten Fälligkeitstermin. In meinem und meines Teilhabers Namen habe ich noch hinzuzufügen, daß wir von Herrn Goldvogel den Auftrag haben,
Ich verbleibe, in meinem und meines Teilhabers Namen werter Herr, Ihr ergebner p. Grünhorn & Grinderson Gabriel Grinderson.«
»Undankbarer Schurke!« sagte Fräulein Wardour.
»Ei nicht doch, das ist ganz, wie es gemacht zu werden pflegt. Der Schlag hätte nicht so völlig zerschmetternd sein können, wenn eine andre Hand ihn geführt hätte. Es ist durchaus, wie es sein sollte,« antwortete der arme Baron, und die zitternde Lippe und das rollende Auge straften die erkünstelte Ruhe Lügen. »Aber hier ist noch ein Postskriptum – das hab ich nicht bemerkt. Bitte, lies die Epistel zu Ende.«
»Ich habe hinzuzufügen (nicht in meinem, sondern lediglich in meines Teilhabers Namen), daß Herr Grünhorn gern Ihr silbernes Tafelgeschirr und Ihr Viergespann von Füchsen, wenn sie gesund an Lunge und Gliedern sind, als Teilzahlung annehmen wird.«
»Gott vernicht ihn!« rief Sir Arthur und verlor über diesen herablassenden Vorschlag alle Selbstbeherrschung. »Sein Großvater hat noch meinem Vater die Pferde beschlagen, und dieser schuftische Abkömmling eines Grobschmieds will mich aus meinem Hause setzen. Aber ich will ihm eine Antwort schreiben, die sich gewaschen haben soll!«
Er setzte sich hin und schrieb mit Ungestüm, dann hielt er inne und las laut:
»Herrn Gilbert Grünhorn.
In Erwiderung auf zwei Briefe, die ich vor kurzem erhielt, teile ich Ihnen mit, daß mir eine Zuschrift zugegangen ist von einer Person, die sich Grinderson nennt und sich als Ihren Teilhaber ausgibt. Wenn ich mich an jemand wende, so möchte ich mir doch verbeten haben, mir durch einen Stellvertreter zu antworten. Ich denke, ich bin Ihrem Vater von Nutzen gewesen und freundlich und zuvorkommend gegen Sie, und es setzt mich nun in Erstaunen, ... Und doch,« sagte er und hielt plötzlich inne, »warum sollte denn dies oder irgendetwas mich in Erstaunen setzen? oder warum sollte ich meine Zeit vergeuden, indem ich an solch einen Schurken schreibe? – Man wird mich doch nicht für immer im Gefängnis sitzen lassen, denk ich, und wenn ich wieder herauskomme, soll es mein erstes sein, diesem Schweinehund die Knochen zu brechen!«
»Im Gefängnis, Vater?« sagte Fräulein Wardour tonlos.
»Ja, im Gefängnis, gewiß. Fragst du danach auch noch? – Scheinbar ist des Herrn Soundso Brief in seinem und seines Teilhabers Namen für dich verlorene Liebesmüh gewesen, oder du mußt viertausend und soundsoviel hundert Pfund nebst der nötigen Summe an Pence und halben Pence parat haben, daß du seine Forderungen bezahlen kannst.«
»Ich, Vater? – O wenn ich die Mittel hätte! – Aber wo ist mein Bruder? – Warum kommt er nicht? und solange weg aus Schottland? – Er kann vielleicht etwas für uns tun?«
»Wer, Reginald? – Der wird wohl mit Herrn Grünhorn oder sonst einem liebenswürdigen Herrn zum Rennen nach Lamberton sein. Vergangne Woche habe ich ihn zurück erwartet. Aber es kann mich nicht wunder nehmen, wenn meine Kinder mich aufgeben, wie alle andern Leute. Aber dich sollt ich um Verzeihung bitten, liebes Kind, denn du hast mir nie in deinem Leben weh getan.«
Und er küßte sie auf die Wange, während sie die Arme um seinen Hals schlang. Er empfand den Trost, den ein Vater in der größten Not fühlt, wenn er die Liebe eines Kindes besitzt.
Fräulein Wardour benutzte diese weiche Stimmung und versuchte, ihren Vater zu beruhigen. Sie erinnerte ihn daran, daß er ja noch viele Freunde hätte.
»Ich
»Sollte ich nicht Monkbarns holen lassen?« Fragte die Tochter.
»Zu welchem Zweck? Er kann mir eine solche Summe nicht leihen, und wenn er's auch könnte, so täte er es auch nicht, denn er weiß, daß ich anderweitig auch noch bis über die Ohren in Schulden stecke. Er würde mir nur misanthropische Brocken und schnurrige Schnitzelchen Latein zum besten geben!«
»Aber er ist klug und verständig und ist im Geschäft in der Lehre gewesen, und er hat unser Haus stets geliebt.«
»Ja, das glaube ich – aber es ist weit mit uns gekommen, wenn die Liebe eines Oldbuck für einen Wardour etwas zu sagen hat! Aber wenn es zu einer Katastrophe kommt, was ich jeden Augenblick erwarte, dann können wir ihn ja ebensogut holen lassen. Und nun geh ein wenig spazieren, mein liebes Kind – ich bin jetzt ruhiger, seitdem ich dir die furchtbare Enthüllung gemacht habe. – Du kennst nun das Schlimmste und kannst es täglich, ja stündlich erwarten, ja darauf gefaßt sein. Geh spazieren – ich möchte ein Weilchen allein sein.«
Als Fräulein Wardour hinausgegangen war, benutzte sie sofort die halb erteilte Erlaubnis ihres Vaters und schickte den Boten nach Monkbarn, der den Altertümler und seinen Neffen in der Fischerhütte traf.
Sie wußte kaum, wohin sie ging, und der Zufall führte sie mach der sogenannten Brierybank. Ein Wässerchen, das zu frühern Zeiten den Schloßgraben gespeist hatte, kam hier in enger Klamm zu Tal, zu der hinan Fräulein Wardour einen reizenden Weg hatte legen lassen. Der Pfad war sauber gehalten und leicht zu steigen, ohne daß er künstlich geschaffen und erhalten aussah.
Auf diesem Pfade hatte jene Auseinandersetzung zwischen Fräulein Wardour und Lovel stattgefunden, die der alte Edie Ochiltree mitangehört hatte. Mit sanfter gestimmtem Gemüt – das von den Schatten des ihrer Familie drohenden Unglücks gedämpft war, – erinnerte jetzt Fräulein Wardour sich an jedes Wort und jeden Umstand, den Lovel zur Unterstützung seiner Werbung angeführt hatte, und sie mußte sich selber eingestehen, daß es sie nicht mit geringem Stolze erfüllen dürfe, einen jungen Mann von so hervorragender Begabung zu einer so starken und uneigennützigen Liebe beseelt zu haben.
Daß er einen Beruf aufgegeben hatte, in dem er so schnell emporzusteigen begann, daß er sich in einer so unangenehmen Stadt wie Fairport festgesetzt hatte, und daß er dort über einer unerwiderten Liebe brütete, das hätten freilich wohl weniger romantische Seelen lächerlich gefunden, sie aber, der diese Leidenschaft galt, verzieh ihm natürlich diese Überschwenglichkeit der Liebe.
Wenn er eine – wenn auch bescheidene – unabhängige Stellung gehabt oder unbestrittenen Anspruch auf den gesellschaftlichen Rang gehabt hätte, den einzunehmen er so voll befähigt schien, dann hätte es jetzt in ihrer Macht gelegen, für die Zeit ihres Unglücks dem Vater in ihrem eignen Heim eine Heimstätte zu bieten. Diese dem abwesenden Verehrer so günstigen Gedanken drängten sich einer nach dem andern auf mit einer bis in die Einzelheiten genauen Wiederholung seiner Worte, Blicke und Gebärden – ein deutliches Zeichen dafür, daß sie nur der Pflicht, nicht ihrer eignen Neigung gehorcht hatte, als sie ihn zuerst abwies.
Wahrend Isabella abwechselnd über diesen Gegenstand, und über ihres Vaters Unglück nachsann, bog der Pfad um einen kleinen, mit Gebüsch bewachsenen Hügel herum, und hier erblickte sie plötzlich den alten Blaurock.
Mit einer Gebärde, als habe er etwas Wichtiges und Geheimnisvolles mitzuteilen, zog er den Hut und näherte sich mit dem behutsamen Schritt und sprach im behutsamen Ton eines Mannes, der nicht gern von einem dritten gehört sein möchte.
»Es ist mein dringender Wunsch gewesen, mit Euer Ladyschaft zusammenzutreffen – denn Sie wissen, ins Haus darf ich nicht kommen wegen Dusterschieler.«
»Ich habe gehört, Edie,« sagte Fräulein Wardour, ein Almosen in seinen Hut werfend, »daß du etwas sehr Dummes, wenn nicht etwas sehr Schlechtes getan hast, und das hat mir leid getan.«
»Ei, meine gute Dame, dumm – dumm ist ja alle Welt – wie sollte da der alte Edie weise sein? und was Schlechtes? mögen doch die, die mit Dusterschieler zu tun haben, mir sagen, ob er einen Deut mehr abgekriegt hat, als er verdient. Aber davon wollen wir jetzt nicht reden. Von Ihnen selber wollt ich mit Ihnen sprechen. Wissen Sie, was dem Hause von Knockwinnock bevorsteht?«
»Großes Unglück, fürchte ich, Edie, aber es wundert mich, daß es schon so öffentlich bekannt ist.«
»Öffentlich? Kehraus, der Gerichtsvollzieher, wird heute noch mit seiner ganzen Sippschaft da sein. Das weiß ich von einem seiner Kollegen. Und sie werden ohne weiteres an die Arbeit gehen, – und wen sie scheren, der braucht keinen Kamm mehr, denn es bleibt nicht ein Haar übrig.«
»Weißt du's gewiß, Edie, daß diese schlimme Stunde so nahe ist? – Sag's nur, ich weiß es ja doch einmal.«
»Es ist, wie ich Ihnen gesagt habe, Lady! Aber lassen Sie den Mut nicht sinken, es ist ein Himmel über Ihrem Haupte, auch jetzt, wie damals bei der Flut. Wenn die Not am größten, ist Gottes Hilf am nächsten. Und ich bin in aller Eile hierher gelaufen und Sie müssen dafür sorgen, daß ich heute noch weiterfahren kann.«
»Aber wo willst du denn hin, Edie?«
»Nach Tannonburgh, Mylady« (das war die erste Postkutschenstation von Fairport aus, aber noch ein gutes Stück näher an Knockwinnock heran) – »und zwar ohne Verzug – es betrifft Ihre eignen Angelegenheiten.«
»Unsre eignen, Edie? Ach, ich glaube herzlich gern, daß du es gut meinst, aber...«
»Da gibt's kein Aber, Gnädige, denn ich muß hin,« sagte der hartnäckige Blaurock.
»Aber was willst du denn in Tannonburgh? oder wie kann es meinem Vater irgendwas nützen, wenn du hinfährst?«
»Meine liebe gute Lady,« sagte der Schnorrer, »dieses kleine Geheimnis müssen Sie schon dem alten Edie lassen und dürfen auch gar nicht danach fragen. Wenn ich mein Leben in jener Nacht für Sie gewagt habe, so werden Sie mir wohl nicht zutrauen, daß ich jetzt was Böses gegen Sie im Schilde führte.«
»So komm mit, Edie,« sagte Fräulein Wardour, – »und ich will zusehen, daß ich dir Pferd und Wagen nach Tannonburgh verschaffen kann.«
»Dann beeilen Sie sich, gute Lady, machen Sie schnell, um des Himmels willen!«
Und so mahnte er sie zur Eile, bis sie im Schloß angelangt waren.
Einundzwanzigstes Kapitel
Als Fräulein Wardour im Schloßhofe anlangte, erkannte sie auf den eisten Blick, daß die Gerichtsbeamten schon sich eingestellt hatten. Verwirrung und mürrische und traurige Stimmung herrschte, und Neugierde unter dem Dienstpersonal, während die Exekutoren von einem Platz zum andern gingen und ein Inventarium aller Gegenstände aufsetzten, die unter ihren Beschlagnahme-Befehl fielen. Kapitän M'Intyre flog Isabella entgegen, als sie, von der jähen Erkenntnis des völligen Zusammenbruchs wie betäubt, auf der Schwelle stehen blieb.
»Teueres Fräulein Wardour,« sagte er, »machen Sie sich keine Sorge, mein Oheim wird gleich da sein, und er wird sicher Mittel und Wege finden, das Haus von diesen Schurken zu säubern.«
»Ach, Kapitän M'Intyre, ich fürchte, es wird zu spät sein.«
»Nein,« antwortete Edie, ungeduldig, »wenn ich nur nach Tannonburgh könnte. Ums Himmels willen, Kapitän, finden Sie Mittel und Wege, daß ich hinkommen kann, und Sie werden dieser ruinierten Familie den besten Dienst erweisen, den sie seit den Tagen Rothands erfahren hat. Denn wenn je eine alte Sage zur Wahrheit würde, so würde heute Knockwinnock Haus und Land an einem Tage verloren und gewonnen.«
»Was könntet Ihr denn tun, Alter?« fragte Kapitän M'Intyre.
Aber Robert, der Diener, mit dem Sir Arthur sich am Morgen entzweit hatte, ergriff die Gelegenheit, seinen Eifer zu betätigen, trat rasch vor und erklärte sich bereit, den Bettler in einer Stunde im Wagen nach Tannonburgh zu fahren.
»In Gottes Namen,« sagte der Alte, »spannt an, Robert, und beeilt Euch, denn jeder Augenblick ist kostbar!«
Aber als er den Wagen aus dem Stalle gezogen hatte und das Pferd anspannen wollte, klopfte ihm ein Exekutor auf die Schulter:
»Mein Freund, das Pferd müssen Sie da lassen, das ist beschlagnahmt.«
»Was?« sagte Robert, »soll ich nicht das Pferd meines Herrn nehmen dürfen, um den Auftrag des Gnädigen Fräuleins auszuführen?«
»Sie dürfen absolut nichts von hier wegbringen,« sagte der Beamte, »oder Sie müssen für alle Folgen aufkommen.«
»Was zum Teufel, Mann,« sagte Hektor, der mitgegangen war, um Edie Ochiltree näher nach der Art seiner Hoffnungen und Erwartungen auszufragen, – schon längst kochte in seinen Adern das Blut und er suchte nur nach einem Vorwand, seinem Ingrimm Luft zu machen, »was ist das für eine Unverschämtheit, den Diener hier an der Ausführung seiner Befehle zu verhindern?«
Es lag im Ton und in der Haltung des jungen Soldaten etwas, das darauf zu deuten schien, daß er sich bei seiner Verwahrung am Ende nicht mit bloßen Worten begnügen würde. Wenn damit auch Aussicht war auf die Vorteile eines Strafverfahrens wegen Widerstandes gegen die Staatsgewalt und tätlicher Beamtenbeleidigung, so mußten doch erst die Unannehmlichkeiten hingenommen werden, die den Tatbestand für eine solche Anklage zu liefern hatten.
»Kapitän M'Intyre,« sagte der Beamte, »ich habe mich mit Ihnen nicht herumzustreiten – aber wenn Sie mich in meiner Amtswaltung behindern, so machen Sie sich strafbar, und ich werde den Fall zur Anzeige bringen.«
»Scher mich den Teufel drum,« rief Hektor, »ob ich mich strafbar mache – vor allen Dingen sind Sie strafbar und die Strafe soll sogleich an Ihnen vollzogen werden, wenn Sie noch länger den Burschen hier daran hindern, die Pferde anzuspannen und den Befehlen seiner Herrin nachzukommen.«
In diesem Augenblick kam der Altertümler zur rechten Zeit an, um einem Auftritt ein Ende zu machen, der für Hektor unangenehme Folgen hätte haben können. Er kam pustend und keuchend, das Taschentuch hatte er sich unter den Hut gebunden und die Perücke auf das Ende seines Stockes gesetzt.
»Was zum Kuckuck geht hier vor?« rief er, indem er hastig Perücke und Kopfbedeckung wieder in Ordnung brachte. »Ich bin dir nachgerannt, weil ich Angst hatte, du könntest dir deinen Brausekopf an einem Felsen einrennen. Und hier bist du kaum von deinem Bucephalus herunter, so zankst du dich auch schon mit Kehraus. Mit einem Gerichtsvollzieher, Hektor, ist nicht gut Kirschen essen.«
»Soll ich etwa ruhig dabeistehen und zugucken, wie ein Schuft wie dieser Mensch da – mag er sich zehnmal Gerichtsvollzieher seiner Majestät schimpfen – eine junge Dame vom Hause Wardour beleidigt?«
»Alles ganz gut und schön, Hektor,« sagte der Altertümler, »aber der König hat wie alle andern Leute ab und zu lumpige Geschäfte zu erledigen und – laß dir's ins Ohr sagen – dazu braucht er eben auch lumpige Kerls. Aber angenommen selbst, du weißt nicht mit den Statuten Wilhelms des Löwen Bescheid, in denen –
Dann sprach er mit dem Gerichtsvollzieher, der sich beruhigte und Herrn Oldbucks Bürgschaft annahm, daß Pferd und Wagen in zwei bis drei Stunden wieder zurück sein würden.
»Schön, Herr, da Sie so zuvorkommend sind,« sagte der Altertümler, »so sollen Sie nun etwas ganz besonders Feines überwiesen bekommen – ein bißchen was im Gebiete der Politik – ein Verbrechen, das in die
Und er flüsterte ein paar Minuten mit dem Beamten, und gab ihm ein Blatt Papier. Darauf stieg der Beamte auf sein Pferd und ritt mit ein paar seiner Unterbeamten im Galopp davon. Der Unterbeamte, der allein zurückblieb, schien seine Amtstätigkeit absichtlich sehr in die Länge zu ziehen, verrichtete alles aufs langsamste und mit der Vorsicht und Genauigkeit eines Untergebenen, dem ein kundiger und strenger Kontrolleur auf die Finger sieht.
Inzwischen nahm Oldbuck seinen Neffen am Arm und ging mit ins Haus, und sie traten vor Sir Arthur Wardour, der in seiner Erregung, seinem verletzten Stolze, der qualvollen Angst und dem vergeblichen Bemühen, seine wahren Gefühle unter erkünstelter Gleichgültigkeit zu verbergen, ein schmerzlich interessantes Bild abgab.
»Sehr erfreut, Sie zu sehen, Herr Oldbuck – immer erfreut, meine Freunde zu sehen in schönem und trübem Wetter,« sagte der arme Baron, der nicht nach Fassung rang, sondern sich heiter gestimmt zu stellen versuchte – eine Künstelei, die in starkem Kontrast stand zu dem nervösen und langen Händedruck und der Aufregung seines ganzen Wesens; »freut mich sehr, Sie zu sehen – sind zu Pferde da, wie ich sehe – hoffentlich fehlt es in diesem Tohuwabohu den Pferden an nichts – ich liebe es, daß die Pferde meiner Freunde ordentlich versorgt werden – na, das kann ja nun allerdings leicht geschehen, – denn von meinen eignen werden mir ja keine gelassen, wie Sie, sehen – hehehe! wie, Herr Oldbuck?«
Dieser verunglückte Scherz wurde von einem hysterischen Kichern begleitet, das wie ein gleichgültiges Lachen herauskommen sollte.
»Sie wissen doch, ich reite nie, Sir Arthur,« sagte der Altertümler.
»Verzeihung! Aber Ihren Neffen Hab ich doch ganz gewiß vor kurzem zu Pferde ankommen sehen. Offizierspferde wollen besonders gepflegt sein, und das war ein hübscher grauer Renner, soviel ich gesehen habe.«
Sir Arthur wollte läuten, aber Herr Oldbuck sagte:
»Mein Neffe ist auf Ihrem eignen Grauschimmel hergekommen, Sir Arthur.«
»Auf meinem!« sagte der arme Baron. »Das war mein Pferd? Na, da bin ich es freilich wert, kein Pferd mehr zu besitzen, da ich es nicht einmal selber mehr erkenne, wenn es mir vor Augen kommt.«
Guter Himmel, dachte Oldbuck, wie hat sich dieser Mann verändert, der früher die Steifheit und Blödheit in Person war – er wird schalkhaft im Unglück.
»Sir Arthur, wir müssen notwendig von Geschäften sprechen.«
»Ei gewiß,« sagte Sir Arthur. »Es war nur so ausgezeichnet, daß ich das Pferd nicht erkannt habe, das ich nun seit fünf Jahren reite. Hahaha!«
»Sir Arthur,« sagte der Altertümler, »wir wollen nicht die kostbare Zeit vergeuden. Zum Scherzen werden wir, hoff ich, noch weit bessere Zeit haben –
»Nennen Sie den Namen nicht, Herr!« rief Sir Arthur und die erkünstelte Heiterkeit verwandelte sich jäh in wildesten Ingrimm – seine Augen sprühten – sein Mund schäumte – seine Fäuste ballten sich. »Nennen Sie den Namen nicht, Herr!« fluchte er. »Wenn ich nicht vor Ihren Augen in Wahnsinn verfallen soll! – Daß ich ein solcher Esel gewesen bin – ein solcher blödsinniger Schafskopf – solch ein dreifach verballhorntes Rindvieh – daß ich mich von solch einem Schurken habe anführen und zum Narren halten lassen und unter so lächerlichen Gaunereien! – Herr Oldbuck, ich könnte mich selber zerreißen, wenn ich daran denke!«
»Ich wollte nur sagen,« antwortete der Altertümler, »daß dieser Bursche wohl noch seinen Lohn empfangen wird; und ich kann mir nicht anders denken, als daß wir ihm einen Schreckschuß einjagen und etwas entpressen werden, was uns von Nutzen sein kann. Er hat sicher eine gesetzeswidrige Korrespondenz mit Personen auf dem Festlande geführt ...«
»Hat er? hat er? hat er wirklich? dann hol alles Hausgerät und Hab und Gut und Pferde und so weiter der Satan – als ein glücklicher Mann will ich ins Gefängnis ziehen, Herr Oldbuck – ich hoffe zum Himmel, es wird sich ein Grund finden, daß er an den Galgen kommt?«
»Grund genug,« sagte Oldbuck, der ihn in dieser Annahme unterstützen wollte, um ein Gegengewicht gegen die Gefühle zu schaffen, die den armen Mann um den Verstand zu bringen drohten. »Es sind schon ehrlichere Männer an den Galgen gekommen – aber diese unglückliche Sache von Ihnen hier – kann denn nichts geschehen? – lassen Sie mich mal den Vollstreckungsbefehl sehen.«
Er nahm die Papiere, und beim Lesen wurde sein Gesicht hoffnungslos finster und trostlos. Fräulein Wardour war inzwischen eingetreten, sie heftete die Augen auf Herrn Oldbuck, wie um ihr Schicksal in seinen Blicken zu lesen, und sah unschwer an dem Spiel seiner Augen und dem herabgesunknen Unterkiefer, wie wenig zu hoffen war.
»So sind wir unrettbar ruiniert, Herr Oldbuck?« fragte die junge Dame.
»Unrettbar? das hoff' ich nicht. Aber die Forderung ist sehr hoch – und es werden noch andre haufenweis kommen.«
»Ja, das ist nicht zu bezweifeln, Monkbarns,« sagte Sir Arthur, »wo Aas ist, sammeln sich die Geier. Den Geier aber, der so lange auf mir herumgehackt hat – den haben Sie doch sicher?«
»Sicher genug!« sagte der Altertümler. »Der Ehrenmann wollte heute auf den Flügeln der Morgenröte davon – nämlich mit der Postkutsche. Aber er hätte schon in Edinburgh Leimruten gefunden. So weit ist er aber gar nicht erst gekommen – denn die Kutsche ist umgeworfen – er ist dabei schlecht gefallen und in eine Hütte bei Kittlebrig gebracht worden. Damit er nun auf keinen Fall entkommen kann, hab' ich Ihren Freund Kehraus hingeschickt, der soll ihn in
Und der Altertümler nahm ihn mit in die Bibliothek.
Sie waren etwa zwei Stunden dort eingeschlossen, da störte sie Fräulein Wardour, die in Mantel und Hut, wie zu einer Reise fertig, hereintrat. Sie sah sehr bleich aus, aber doch verriet ihr Gesicht die ihr eigne Fassung und Ruhe.
»Der Gerichtsvollzieher ist zurück, Herr Oldbuck.«
»Zurück? – Was zum Teufel! er hat doch nicht etwa den Kerl aus den Klauen gelassen?«
»Nein, wie ich höre, hat er ihn in Gewahrsam gebracht, und nun ist er zurückgekehrt, um meinen Vater zu holen, er sagt, er kann nicht länger warten.«
»Dann hilft es nichts,« sagte Oldbuck, »ich fürchte, Sie werden mit dem Manne nach Fairport gehen müssen, fürs erste ist nichts dagegen zu machen– ich werde mit Ihnen gehen, um zu sehen, was zu tun ist – mein Neffe wird Fräulein Wardour nach Monkbarns bringen – ich hoffe, sie wird in Monkbarns bleiben, bis die Unannehmlichkeiten beseitigt sind.«
»Ich gehe mit meinem Vater, Herr Oldbuck,« sagte Fräulein Wardour fest. »Ich habe schon meine und seine Kleider gepackt – ich hoffe, man wird uns doch den Wagen zur Verfügung stellen.«
»Alles, wie es sich gehört, gnädiges Fräulein,« sagte der Exikutor. »Der Wagen steht schon draußen – ich steige auf den Bock zum Kutscher– aber zwei meiner Unterbeamten müssen Sie zu Pferde begleiten.«
»Ich reite auch mit,« rief Hektor und lief hinunter, sich selbst ein Pferd zu sichern.
»So müssen wir gehen,« sagte der Altertümler. »Ins Gefängnis,« sagte der Baron und seufzte unwillkürlich. »Und was ist denn weiter dabei?« fuhr er im Tone erkünstelter Heiterkeit fort. »Das ist 'ja schließlich nur ein Haus, aus dem man nicht herauskann. Wenn ich einen Anfall von Gicht bekommen hätte, ginge mir's in Knockwinnock ebenso. Ja ja, Monkbarns, sagen wir, es wäre ein Gichtanfall ohne die verd..... Schmerzen!«
Aber bei den Worten traten ihm die Tränen in die Augen und die versagende Stimme verriet, wie schwer ihm die erzwungene Heiterkeit wurde.
Auf der ersten Treppruhe machte Sir Arthur überwältigt Halt. Als er die Augen des Altertümlers angstvoll auf sich gerichtet sah, sagte er mühsam, doch würdevoll:
»Ja, Herr Oldbuck, dem Sprößling eines alten Geschlechts – dem Abkömmling Richards mit der roten Hand und Gamelyns de Guardover mag es verziehen sein, daß er seufzt, indem er aus dem Hause seiner Väter in dieser armseligen Weise hinaustransportiert wird. Als ich im Jahre 1745 mit meinem Vater selig zum Tower gebracht wurde – da geschah es wegen einer Anklage des Hochverrats – einer Beschuldigung, die unsere Abkunft nicht beeinträchtigte – und wir wurden eskortiert von einem Trupp der Leibgarde. Und nun werde ich in meinen alten Tagen von der Schwelle meines Hauses geschleppt durch einen so erbärmlichen Menschen wie dieser da (und er deutete auf den Gerichtsvollzieher) und wegen einer erbärmlichen Schuld von Pfunden, Schillingen und Pence.«
»Wenigstens haben Sie jetzt die Gesellschaft einer liebevollen Tochter,« sagte Oldbuck, »und eines aufrichtigen Freundes, und das kann ein Trost sein – aber da hör ich diesen heißblütigen Burschen schon wieder und noch lauter als sonst! Hoffentlich hat er sich nicht wieder was eingebrockt!«
In der Tat wurde plötzlich großer Lärm vernommen, und in dem Gewirr ließ sich Hektors nordischer Akzent vorherrschend vernehmen.
Zweiundzwanzigstes Kapitel
Das Triumphgeschrei Hektors klang in seiner kriegerischen Art fast wie ein Schlachtgeschrei. Aber als er mit einem Päckchen in der Hand die Treppe hinaufeilte und rief: »Lang lebe ein alter Soldat! hier kommt der alte Edie mit einem ganzen Haufen guter Nachrichten!« – da war es klar, daß seine gegenwärtige Ursache zum Jubelgeschrei nur angenehmer Art sein konnte. Er übergab Oldbuck den Brief, schüttelte Sir Arthur die Hand und wünschte mit all der offenherzigen Freude eines Hochländers Fräulein Wardour Glück.
Der Gerichtsvollzieher, der eine Art instinktiver Furcht vor Kapitän M'Intyre hatte, trat dicht an seinen Gefangenen und hatte ein wachsames Auge auf die Bewegungen des Soldaten.
»Bilden Sie sich nicht ein, daß ich mich an Ihnen vergreifen will, Sie Schmierfink,« sagte der Soldat, »da ist 'ne Guinea für die Angst, die ich Ihnen eingejagt habe.«
Der Gerichtsvollzieher (einer von den Hunden, die sich auch schließlich vor einem schmutzigen Bissen nicht ekeln) fing die Guinea auf, die Hektor ihm ins Gesicht schnippte, und wartete nun neugierig, was für eine Wendung die Dinge nehmen würden. Inzwischen wurden von allen Seiten Fragen laut, die zu beantworten jedoch niemand Eile hatte.
»Was ist denn los, Kapitän M'Intyre?« fragte Sir Arthur.
»Fragen Sie den alten Edie,« sagte Hektor, »ich weiß nur, daß alles in Ordnung und gut ist.«
»Was bedeutet das alles, Edie?« fragte Fräulein Wardour den Bettler.
»Eure Ladyschaft müssen Monkbarns fragen, denn er hat den Brief.«
»Heil dir im Siegerkranz!« rief der Altertümler, als er einen Blick in den Inhalt des Päckchens getan hatte, und vor Überraschung vergaß er Anstand und Würde, Philosophie und Phlegma und warf seinen Dreispitz in die Luft, von wo er nicht wieder herunterkam, da er an einem Arm des Kronleuchters hängen blieb.
Alle stürmten nun auf ihn ein und begehrten lärmend den Grund zu einer so plötzlichen Verzückung zu wissen – wie beschämt über seine Freude, drehte er sich um, stieg zwei Stufen auf einmal hinauf und stand nun auf der Treppruhe, wo er sich' umdrehte und die erstaunte Zuhörerschaft anredete wie folgt:
»Meine guten Freunde,
Was das Päckchen enthielt, kam in der Tat so unerwartet, daß man dem Altertümler sein Entzücken nicht verargen konnte, noch auch sein Verlangen, erst selber sich darüber völlig klar zu werden und es geistig zu verdauen, ehe er es den andern mitteilte.
In der Hülle war ein Brief an Jonathan Oldbuck, Wohlgeboren, folgenden Wortlauts:
Werter Herr!
»An Sie als an den bewährten und geschätzten Freund meines Vaters wende ich mich, da ich durch dringende militärische Pflichten hier zurückgehalten werde. Sie müssen jetzt über die verwirrte Lage unserer Verhältnisse unterrichtet sein, und ich weiß. Sie werden es mit großer Freude vernehmen, daß ich glücklicherweise und unerwartet in die Lage gekommen bin, zur Regelung dieser Verhältnisse wirksamen Beistand zu leisten. Wie ich höre, haben Leute, die früher Sir Arthurs Geschäftsführer gewesen sind, ihm jetzt mit energischen Maßregeln gedroht. Auf den Rat eines achtbaren Geschäftsmannes hier habe ich mir das beigefügte Schreiben verschafft, das meines Erachtens das Verfahren dieser Leute so lange aufhebt, bis ihre Ansprüche gerichtlich festgesetzt und auf den rechtmäßigen Betrag herabgesetzt worden sind. Ich schließe Noten in Höhe von eintausend Pfund bei, damit andre dringende Forderungen bezahlt werden können, und ersuche Sie als Freund den Gebrauch davon zu machen, den Sie bei Ihrer Umsicht für den vorteilhaftesten halten. Sie werden erstaunt sein, daß ich Ihnen so viel Mühe mache, da es natürlicher erschiene, mich in Sachen meines Vaters an diesen selber zu wenden. Aber ich habe noch nicht die Gewißheit, daß ihm die Augen geöffnet sind und daß er einen Mann durchschaut, vor dem Sie, wie ich weiß, ihn oft gewarnt haben und dessen unheilvoller Einfluß in erster Linie zu diesem Unglück geführt hat. Mein Freund, der, wie er sagt, einen Stein bei Ihnen im Brett hat, wird in dem eingeschlossenen Briefe Ihnen einiges Persönliche schreiben. Ich muß diesen Brief nach Tannonburgh schicken, da die Zustände auf dem Postamt in Fairport berüchtigt sind, aber der alte Mann Ochiltree, den besondre Umstände als vertrauenswürdig empfohlen haben, ist unterrichtet, zu welcher Zeit wahrscheinlich die Sendung dort ankommen wird und wird sie abholen und Ihnen zustellen. Ich denke binnen kurzem Gelegenheit zu haben, mich wegen der Ihnen verursachten Umstände persönlich zu entschuldigen, und habe die Ehre zu sein
Ihr sehr ergebner Reginald Gamelyn Wardour. Edinburgh, 6. August 179–.«
Der Altertümler brach rasch das Siegel des eingelegten Umschlags auf, und der Inhalt bereitete ihm Erstaunen und Freude zugleich. Nachdem er sich nach so unerwarteten Nachrichten wieder einigermaßen gefaßt hatte, besichtigte er die andern Papiere sorgfältig, die sich alle auf Geschäfte bezogen – steckte die Noten in sein Notizbuch und schrieb eine kurze Bestätigung, die mit der nächsten Post abgehen sollte, denn er war in Geldsachen sehr gewissenhaft. Dann begab er sich, übervoll von Neuigkeiten, in den Salon hinunter.
»Kehraus,« sagte er, als er eintrat, »Sie müssen machen, daß Sie hier herauskommen mit Ihrer ganzen Sippschaft. Sehen Sie dieses Dokument, Mann?«
»Ein Suspensationsbefehl,« sagte der Gerichtsvollzieher enttäuscht. »Hab mir's ja gleich gedacht, daß es eine sonderbare Sache wäre, einen so hohen Herrn wie Sir Arthur auszupfänden – na ja, dann muß ich schon gehn mit meinen Leuten – und wer bezahlt mir meine Kosten?«
»Die Leute, in deren Auftrag Sie gekommen sind,« versetzte Oldbuck, »das wissen Sie ja auch sehr gut. – Aber da kommt ein andrer Eilbote – dies ist ein Tag der Neuigkeiten.«
Diesmal war es Herr Briefbeutel auf seiner Mähre, und er brachte einen Brief an Sir Arthur und einen an den Gerichtsvollzieher, die beide sofort bestellbare Eilsendungen waren. Der Gerichtsvollzieher öffnete den seinen und bemerkte, Grünhorn und Grinderson wären ja gut genug für die Kosten und der Brief hier enthalte die Weisung, die Pfändung einzustellen. Er verließ daher ohne weitern Aufenthalt das Zimmer.
Sir Arthurs Brief war von Grünhorn und in seiner Art eine Kuriosität. Wir geben ihn mit den Randglossen des würdigen Barons wieder:
»Mein Herr (o, ich bin also nicht mehr sein
Ihr sehr ergebner und untertäniger Diener Gilbert Grünhorn.«
»Schön gesagt, Herr Grünhorn,« sagte Monkbarns. Ich sehe jetzt, es ist ganz vorteilhaft, wenn zwei Anwälte eine Firma haben. Ihr Verhalten gleicht dann dem des Männchens und des Weibchens in einem deutschen Wetterhäuschen. Wenn der Klient schönes Wetter hat, kommt der Herr heraus und wedelt mit dem Schweif wie ein Wachtelhündchen; wenn es schlechtes Wetter ist, kommt der andre Partner heraus und bellt wie ein Bullenbeißer. »Na, da dank' ich doch Gott, daß mein Geschäftsführer noch immer seinen Dreispitz trägt, ein Haus in der Altstadt hat, sich vor einem Pferde ebenso grault wie ich, Sonnabends mal Golf spielt, Sonntags mal in die Kirche geht und, weil er keinen Partner hat, nur für sich um Entschuldigung zu bitten hat, wenn er mal 'ne Dummheit macht.«
Rasch war ein Tisch gedeckt, und die Gesellschaft nahm zu fröhlichem Mahle Platz, selbst Ochiltree bekam einen Seitenplatz in einem großen ledernen Armstuhl.
»Was liest du so eifrig in der Zeitung, Hektor?« fragte im Laufe der Mahlzeit der Altertümler seinen Neffen. »Steht was Wichtiges drin?«
»Nichts Besonderes.« erwiderte dieser. »Aber mein Arm ist nun wieder so gut wie heil, und ich werde dich nun bald von meiner Gesellschaft befreien und in wenigen Tagen nach Edinburgh gehen. Ich lese, daß Major Neville dort angelangt ist. Ich möchte ihn gern sehen.«
»Was für ein Major?« fragte sein Oheim.
»Major Neville, Onkel,« antwortete der junge Soldat.
»Und wer ist dieser Major Neville?« fragte der Altertümler.
»O, Herr Oldbuck,« sagte Sir Arthur, »Sie müssen doch oft in der Zeitung von ihm gelesen haben – ein ausgezeichneter junger Offizier. Aber ich sehe zu meiner Freude, daß Kapitän M'Intyre nicht von Monkbarns weg muß, um ihn zu sehen, denn wie mir mein Sohn schreibt, kommt er mit dem Major nach Knockwinnock, und ich brauche nicht zu sagen, wie glücklich ich mich schätzen werde, die jungen Herren miteinander bekannt zu machen – sofern sie allerdings nicht schon miteinander bekannt sind.«
»Nein, nicht persönlich,« antwortete Hektor, »aber ich habe schon viel von ihm gehört.«
»Haben Sie denn,« warf Edie ein, »noch nicht gehört, daß die Franzosen kommen sollen?«
»Die Franzosen, du Schafskopf?« versetzte Oldbuck. »Bah!«
Dies gab dem Gespräch eine neue Wendung und brachte sie auf die Vaterlandsverteidigung und auf die Pflicht, für das Land, in dem man lebt, zu kämpfen. Dann aber war es Zeit, auseinanderzugehen. Der Altertümler und sein Neffe schieden von Knockwinnock mit den wärmsten Ausdrücken gegenseitiger Wertschätzung und traten den Heimweg an.
Dreiundzwanzigstes Kapitel
Am folgenden Morgen stand der Altertümler zeitig auf, und da der alte Caxon sich noch nicht eingestellt hatte, seit er anläßlich der befürchteten französischen Invasion als Leuchtturmwärter in Fairport bestellt worden war, so begann er, das Geschwätz und die kleinen Klatschereien, die der Friseur ihm sonst immer hinterbrachte, allmählich zu vermissen. Indessen machte das Erscheinen Edie Ochiltrees ihm diese Entbehrung weniger schmerzlich. Mit dem Gebaren eines Mannes, der sich ganz zu Hause fühlt, kam der Bettler an den zugestutzten Taxushecken herangeschlendert. Er war in der letzten Zeit so oft gekommen, und alles hatte sich so sehr daran gewöhnt, ihn fast wie zur Familie gehörig anzusehen, daß selbst Juno ihn nicht anbellte, sondern sich damit begnügte, ihn mit scharfen, wachsamen Blicken zu verfolgen. Der Altertümler trat im Schlafrock hinaus und empfing und erwiderte den Gruß des Alten.
»Nun kommen sie aber in allem Ernst, Monkbarns. Eben komm' ich von Fairport, um Ihnen die Nachricht zu überbringen. Gleich will ich wieder weg. Die ›Suche‹ ist in die Bai gekommen – und wie es heißt, ist sie von einer französischen Flotte verfolgt worden.«
»Die ›Suche‹?« sagte Oldbuck und sann einen Augenblick nach. »Oho!«
»Ja doch, die ›Suche‹ – Kapitän Taffrils Brigg.«
»Was! Eine Verwandte wohl mit ›Suche No. I‹ – wohl gar ›Suche No. II‹, was?« fragte Oldbuck, und der Name des Schiffes schien in den geheimnisvollen Schatzfund Licht zu bringen.
Der Bettler hielt, wie einer, der über einem launigen Streich ertappt wird, den Hut vors Gesicht und lachte aus vollem Halse.
»Der Teufel steckt in Ihnen, Monkbarns. – Sie kommen doch auch hinter alle Schliche. Wer hätte auch meinen mögen, daß nun dieser Name Sie auf die Spur brächte? – Na ja, nun bin ich entdeckt und entlarvt.«
»Jetzt ist mir alles klar,« sagte Oldbuck, »so klar, wie die Inschrift auf einer gut erhaltenen Münze. Die Kiste, in der das Metall gefunden wurde, gehörte zu dem Kanonenboot, und der Schatz gehörte meinem Phoenix.« (Edie nickte zustimmend.) – »Und ist dort vergraben worden, damit Sir Arthur in seiner bedrängten Lage Hilfe finden sollte?«
»Von mir und zweien von der Mannschaft der Brigg ist sie vergraben worden. Aber die Leute haben nicht gewußt, was drin war,« sagte Edie, »und dachten, es wäre so ein bißchen was Gepaschtes von ihrem Kapitän. Ich habe Tag und Nacht aufgepaßt, bis ich sie in den richtigen Händen sah; und als dieser deutsche Satan den Deckel der Kiste so anstarrte, da hat mir's, glaub ich, ein schottischer Teufel eingegeben, ihm diesen Streich zu spielen. – Na nun sehen Sie, daß ich dem Amtmann Kleinhans nicht mehr habe sagen können, denn Herr Lovel wäre sehr böse gewesen, wenn ich sein Geheimnis ans Licht gebracht hätte. – Da dachte ich denn, lieber läßt du das Schlimmste über dich ergehen!«
»Ich muß sagen, er hat sich seinen Vertrauensmann gut zu wählen gewußt,« sagte Oldbuck.
»Wenn es sich darum handelt, Monkbarns,« antwortete der Bettler, »jemand Silber anzuvertrauen, so bin ich freilich, das kann ich wohl selber sagen, der geeignetste Mann im ganzen Lande. Denn ich kann Silber nicht brauchen, trage kein Verlangen danach und wüßte auch nichts damit anzufangen, wenn ich's hätte. Aber dem guten Jungen blieb auch keine große Wahl übrig, denn er dachte damals, er müßte für immer aus dem Lande. Darin hat er sich ja nun allerdings geirrt. Es war bereits Nacht geworden, als wir durch einen seltsamen Zufall von Sir Arthurs schwerer Notlage Kenntnis erhielten, und Lovel mußte bei Tagesgrauen an Bord der Brigg gehen. Aber fünf Nächte später ging die Brigg wieder in der Bucht vor Anker, und es war verabredet worden, daß ich dort auf das Boot warten sollte. Und da haben wir dann den Schatz dort vergraben, wo er gefunden worden ist.«
»Das war ein recht romantisches, fast törichtes Unternehmen,« sagte Oldbuck. »Warum habt Ihr Euch nicht mir oder einem andern Freunde anvertraut?«
»Das Blut vom Sohne Ihrer Schwester,« versetzte Edie, »war an seinen Händen, vielleicht konnte Ihr Neffe gar tödlich getroffen sein – wie hätte er da Zeit haben sollen, jemand um Rat zu fragen? – und wie hätte er sich gar an Sie wenden sollen?«
»Da habt Ihr allerdings recht. – Wenn aber Dusterschieler euch beiden zuvorgekommen wäre?«
»Wir brauchten wohl kaum zu befürchten, daß er ohne Sir Arthur dorthin gekommen wäre. Er wußte recht gut, daß er den ersten Fund selber dort angelegt hatte. Wie hätte er da auf einen zweiten rechnen sollen? Er machte nur so viel Geseires davon, damit er Sir Arthur nur desto besser rupfen konnte.«
»Wie hätte aber Sir Arthur dorthin kommen sollen,« sagte Oldbuck, »wenn der Deutsche ihn nicht hingeführt hätte?«
»Hm!« machte Edie trocken. »Ich hatte mir schon so eine Geschichte von Schwarzrock zurecht gelegt, da wären sie beide sofort drauf reingefallen. Außerdem war bestimmt anzunehmen, daß er nochmal dorthin gehen würde, wo er das erste Silber gefunden hatte – das Geheimnis kannte er ja nicht. Kurz, das Silber war gefunden wurden – Sir Arthur befand sich in größter Bedrängnis, und Lovel war entschlossen, ihn nie wissen zu lassen, wer ihm geholfen habe. – Das war seine allergrößte Sorge – und obwohl wir lange hin und her überlegten, konnten wir kein besseres Mittel finden, ihm den Schatz in die Hände zu spielen. Wenn durch einen queren Zufall Dusterwühler seine Klauen draufgelegt hätte – dann hätte ich sofort Sie oder den Sheriff in die ganze Geschichte eingeweiht.«
»Trotz all dieser weisen Vorsichtsmaßregeln habt ihr mit euerm Komplott doch mehr Glück gehabt, als es in seiner Plumpheit verdient hätte, Edie. Aber wie zum Kuckuck ist Lovel zu einer solchen Masse von Silberbarren gekommen?«
»Das kann ich Ihnen nun allerdings nicht sagen, aber das Metall ist mit seinen Sachen aus Fairport an Bord gebracht worden, und wir haben es in einer der Munitionskisten von der Brigg verstaut, damit es versteckt sein und sich besser transportieren lassen sollte.«
»Liebe Güte!« sagte Oldbuck und dachte zurück an den Anfang seiner Bekanntschaft mit Lovel; »und für diesen jungen Mann, der Hunderte bei einem so schnurrigen Versteckspiel riskiert, habe ich die Fähre bezahlt! – Es soll aber auch das erste und letztemal gewesen sein, daß ich für irgendwen die Fähre bezahle. – Und so habt Ihr wohl in ständigem Verkehr mit Lovel gestanden?«
»Ein paar Zeilen bekam ich von ihm mit der Mitteilung, daß – als wie gestern – ein Paket in Tannonburgh sein würde mit Briefen, die für die Leute von Knockwinnock von größter Wichtigkeit wären. Denn über Fairport wollten sie die Sendung nicht gehen lassen, weil sie fürchteten, der Brief könnte dort auf dem Postamt aufgemacht werden. Und das ist wahr, denn es steht fest, daß der Frau Briefbeutel die Postagentur weggenommen wird, weil sie sich um andrer Leute Sachen gekümmert hat und nicht um ihre eignen. Aber froh war ich doch, wie ich aus dem Gefängnis herauskam. Denn ich dachte, wenn nun der Brief ankommt, und ich sitze nun hier eingeschlossen wie eine Auster, und alles sollte deswegen schief gehen? Und schon dachte ich, ich sollte alles bekennen und Ihnen alles verraten – aber auch das konnt' ich nicht gut, weil ich da doch Herrn Lovels direkten Weisungen zuwider gehandelt hätte. Ich vermute, er hat in Edinburgh erst noch mit irgendwem zusammentreffen müssen, ehe er für Sir Arthur hat tun können, was er sich vorgenommen hatte.«
»Na, und Eure Neuigkeiten aus der großen Welt? Also kommen sie wirklich, Edie?«
»So sagen die Leute, Herr, und es sind auch. Befehle angekommen, daß die Bürgerwehr sich bereit halten soll – ein kluger junger Mann käme, um unsere Verteidigungsmittel zu besichtigen. – Aber wie wird's denn nun mit meiner Gerichtssache werden?«
»Ich habe heute früh einen Brief bekommen, aus dem hervorgeht, daß der Schuft die gegen Euch erhobenen Beschuldigungen zurücknimmt, und er erklärt sich bereit, Enthüllungen zu machen, auf Grund deren sich die Angelegenheiten Sir Arthurs leichter glatt machen ließen, als wir fürchteten – so schreibt der Sheriff. Er hat, setzt er hinzu, der Regierung wichtige Eröffnungen gemacht, auf welche hin der Schurke in seine Heimat geschickt werden soll, um dort abgeurteilt zu werden.«
»Und die guten Maschinen alle und die Räder und Gruben und Schachten unten in Glen-Withershin – was soll, daraus werden?« fragte Edie.
»Ich hoffe, die Arbeiter werden, ehe sie auseinandergehen, ein ordentliches Freudenfeuer anstecken, wie eine Armee ihre Artillerie vernichtet, wenn sie eine Belagerung aufzugeben gezwungen ist. Und die Gruben, Edie, die können als Rattenlöcher dienen, denn sobald wird wohl niemand wieder auf solchen Humbug hereinfallen.«
»Du liebe Güte, Herr, die Maschinen verbrennen! Das ist doch jammerschade und heißt doch das Geld mit Fäusten wegwerfen. Wär's nicht besser, wenn Sie versuchten, die Dinger zu versteigern und Ihre hundert Pfund auf diese Weise wieder herauszuholen?« fuhr er fort im Tone geheuchelten Beileids.
»Nicht einen Heller!« sagte der Altertümler verdrossen, wandte sich von ihm und tat ein paar Schritte. »Geht ins Haus, Edie, und beherzigt, was ich Euch rate: sprecht mir nie wieder von Bergwerken.«
»Ich muß nach Fairport zurück,« sagte der Landstreicher. »Ich muß hören, was die Leute über die Invasion sagen. Aber ich will dran denken, was Eure Ehren mir gesagt haben. Hätte doch nicht gedacht,« setzte er mit erkünsteltem Erstaunen hinzu, »daß Sie so empfindlich wären – meinte immer, Sie hätten bloß zwei schwache Stellen: das Praetorium da drüben und den alten Dreier, den Sie sich für 'ne antike Münze haben andrehen lassen.«
»Ach was! Ach was!« machte der Altertümler, wandte sich rasch von ihm ab und ging ins Haus.
Vierundzwanzigstes Kapitel
Der Leuchtturmwärter – niemand anders als der alte Caxon – hatte sich den Gedanken an die nahe bevorstehende Hochzeit seiner Tochter hingegeben und freute sich schon auf seine Würde als Schwiegervater des Leutnant Taffril. Dabei lugte er ab und zu nach dem Signalposten aus, mit dem er Verbindung halten sollte. Er rieb sich die Augen, sah wieder hin und sah nun ein Licht, das näher und näher kam. –
»Der Herr behüte uns!« rief Caxon. »Was ist nun zu tun? Aber die Frage mögen weisere Leute entscheiden – ich will nur das Feuer anstecken.«
Und er tat es, und die lange, flackernde Lohe stieg zum Himmel, schreckte die Seevögel aus ihren Nestern und warf einen Glutschein weithin über die wogende See. Die Kameraden Caxons waren ebenso wachsam auf ihren Posten, sahen das Signal und gaben es weiter. Auf Vorgebirgen, Klippen und Hügeln flammten die Feuer auf, und der ganze Distrikt wurde alarmiert und mobil gemacht.
Wer je eine solche Szene mitangesehen hat, kann allein sich vorstellen, was für ein Leben und Treiben in Fairport herrschte. Die Fenster erstrahlten von hundert Lichtern, die rasch erschienen und verschwanden und die Verwirrung im Innern der Häuser erkennen ließen. Die Weiber der geringern Klasse versammelten sich lärmend auf dem Marktplatz. Die Yeomen kamen aus ihren verschiedenen Tälern und galoppierten durch die Straßen, einige einzeln, andere truppweis zu fünfen bis sechsen, wie sie sich unterwegs zusammengefunden hatten.
Die Trommeln und Pfeifen der Freiwilligen riefen zu den Waffen, übertönt von den Stimmen der Offiziere, dem Schall der Hörner und dem Läuten der Glocken, die im ganzen Sprengel erklangen. Die Schiffe im Hafen waren erleuchtet, und von den Schiffen stießen Boote ab, die Mannschaften und Kanonen an Land brachten zur Unterstützung und Verteidigung der Stadt. Das Gewirr und Getöse wurde größer und größer. Diesen Teil der Rüstungen leitete Leutnant Taffril mit großer Umsicht und Emsigkeit. Zwei bis drei leichte Schiffe hatten bereits die Anker gelichtet und gingen in See, um den erwarteten Feind zu suchen und zu signalisieren.
So allgemein war die Verwirrung, als Sir Arthur Wardour, Oldbuck und Hektor unter mancherlei Schwierigkeiten in dasjenige Viertel der Stadt den Weg sich bahnten, in welchem das Gemeindeamt lag. Es war ganz erleuchtet, und die Obrigkeit mit vielen Adelsherren der Umgegend war bereits versammelt.
Kapitän M'Intyre betätigte sich als militärischer Ratgeber und als Adjutant der obersten Magistratsperson und zeigte hierbei eine Geistesgegenwart und Fachkenntnis, die sein Oheim ihm nicht im geringsten zugetraut hätte.
Wenn Oldbuck an seine sonstige Unbedachtheit und sein Ungestüm dachte, war er förmlich verblüfft, ihn jetzt in so ruhiger, zielbewußter Weise seine Anordnungen treffen zu sehen, wie die Erfahrung sie ihm eingab. Er fand die verschiedenen Korps in bester Ordnung, obwohl sie aus so bunt zusammengewürfelten Material bestanden; sie waren alle voller Zuversicht und hohen Mutes.
Zweierlei wurde noch mit Begier erwartet: die Ankunft der Freiwilligen Glenallans, die gemäß der Bedeutung dieses Hauses ein Korps für sich gebildet hatten, und die Ankunft des bereits genannten Offiziers, dem die Verteidigung dieses Küstenstrichs vom Oberkommandierenden übertragen worden war und der befugt war, über die militärischen Kräfte freie Verfügung zu treffen.
Endlich ließen sich die Hörner der Yeomenschaft von Glenallan vernehmen, und der Graf selber erschien an der Spitze der Mannschaft in voller Uniform, zur großen Überraschung aller, die seine Lebensweise und seinen Gesundheitszustand kannten.
Die saubere und zweckmäßige Ausrüstung dieser stattlichen Schwadron, die vollständig in Hochlandstracht gekleidet war, erregte die Bewunderung Kapitän M'Intyres; sein Oheim aber war noch mehr darüber erstaunt, daß bei diesem Anlaß der alte militärische Geist dieses Hauses die gebrochene Gestalt des Grafen, ihres Führers, neu zu beleben und mit neuen Kräften zu erfüllen schien.
Endlich verkündete ein Geschrei unter dem Volke: »Da kommt endlich der brave Major Neville mit einem andern Offizier,« und ihre vierspännige Postkutsche fuhr unter dem Hussah der Freiwilligen und Einwohner herein. Die Stadtverordneten und Personen der Obrigkeit eilten an die Tür des Gemeindehauses, um ihn zu empfangen.
Aber wie erstaunt waren alle Anwesenden, vor allen aber der Altertümler, als sie gewahr wurden, daß in der hübschen Uniform und der Soldatenmütze die Gestalt und das Antlitz des friedlichen Lovel steckte! Mit einer warmen Umarmung und einem herzlichen Händedruck mußte sich Oldbuck erst davon überzeugen lassen, daß seine Augen ihn nicht betrogen. Sir Arthur war nicht minder überrascht, daß er seinen Sohn, Kapitän Wardour, in Lovels oder richtiger Major Nevilles Gesellschaft fand. Die ersten Worte der jungen Offiziere gaben allen Anwesenden die Versicherung, daß der Mut und der Eifer, den die Bevölkerung gezeigt hatte, ganz vergebens gewesen wäre und nur insofern einen Zweck gehabt hätte, daß sie einen trefflichen Beweis ihres Mutes und ihrer Schlagfertigkeit damit geliefert hätten. »Der Wärter auf der Halketspitze,« sagte Major Neville, »ist, wie wir auf unserm Herweg ausgekundschaftet haben, in sehr natürlicher Weise durch ein Freudenfeuer irregeleitet worden, das müßiges Volk in Glen-Withershins in der Richtung des Leuchtturms, der dem seinen gegenüberlag, auf dem Hügel angesteckt hatte.«
Oldbuck warf dem Baron einen verständnisinnigen Blick zu, den dieser mit einem ebenso schafigen und einem Achselzucken erwiderte.
»Das muß die Maschinerie gewesen sein,« sagte er, »die wir in unserer Wut zum Feuertode verurteilt haben. Hol' der Teufel den Dusterschieler!«
Lord Glenallan zupfte ihn jetzt am Ärmel und zog ihn in ein besondres Gemach.
»Um Gottes willen, wer ist der junge Herr, der so große Ähnlichkeit hat mit –«
»Mit der unglücklichen Eveline,« unterbrach ihn Oldbuck. »Mir war gleich das Herz warm, wie ich ihn sah, und Euer Lordschaft bringen mich nun selber erst darauf, woher das eigentlich kam.«
»Aber wer – wer ist er?« fuhr Lord Glenallan fort, den Altertümler krampfhaft festhaltend.
»Früher hätte ich ihn Lovel genannt, nun stellt es sich aber heraus, daß er Major Neville heißt.«
»Den mein Bruder als seinen natürlichen Sohn aufgezogen hat – den er zu seinem Erben ernannt hat – gütiger Himmel! Das Kind meiner Eveline!«
»Sachte – Mylord – sachte!« mahnte Oldbuck. »Geben Sie sich nicht zu voreilig solcher Vermutung hin! Was für eine Wahrscheinlichkeit liegt dafür vor?«
»Wahrscheinlichkeit? Keine! Aber Gewißheit! Absolute Gewißheit. Der Agent, von dem ich zu Ihnen sprach, hat mir die ganze Geschichte geschrieben. Gestern erhielt ich den Bericht – früher nicht. Bringen Sie ihn mir her, um Gottes willen, daß ihn eines Vaters Augen segnen können, ehe er scheidet!«
»Das will ich; aber um Ihrer und um seinetwillen lassen Sie ihm ein Weilchen Zeit sich darauf vorzubereiten.«
Entschlossen, noch eingehendere Erhebungen anzustellen, ehe er an eine so seltsame Geschichte glaubte, suchte er Major Neville auf und fand ihn beschäftigt, die nötigen Maßregeln zu treffen und die versammelten Streitkräfte wieder nach Hause zu schicken.
»Bitte, Major Neville, überlassen Sie dieses Geschäft auf ein Weilchen dem Kapitän Wardour und Hektor, mit dem Sie sich hoffentlich völlig ausgesöhnt haben« (Neville lachte und schüttelte Hektor über den Tisch hinüber die Hand), »und gönnen Sie mir einen Augenblick Gehör.«
»Sie haben Anspruch auf mich, Herr Oldbuck, und wenn mein Geschäft noch so dringend wäre,« sagte Neville, »denn ich habe mich Ihnen unter falschem Namen aufgedrängt und Ihre Gastfreundschaft belohnt, indem ich Ihren Neffen verwundete.«
»Sie haben ihm heimgeleuchtet, wie er's verdient hatte,« sagte Oldbuck, – »heute allerdings hat er Verstand und Mut gezeigt» daß es eine Freude war.«
»Sehr nett, daß Sie mein Verhalten so gütig entschuldigen, Sie werden das um so bereitwilliger tun, wenn Sie hören, daß ich auf den Namen Neville, unter dem ich in der großen Welt Auszeichnung errang, kein besseres Anrecht habe als auf den Namen Lovel, unter dem Sie mich kennen lernten.«
»Wirklich! Dann glaube ich bestimmt, wir werden einen finden, auf den Sie ein festes, gesetzmäßiges Anrecht besitzen.«
»Mein Herr! Sie meinen doch nicht etwa, daß das Mißgeschick meiner Geburt –«
»Keine Rede davon, junger Mann!« unterbrach ihn der Antiquar, »ich glaube, von Ihrer Geburt weiß ich mehr, als Sie selber. Damit Sie sich davon überzeugen, sage ich Ihnen, Sie sind erzogen worden und bekannt gewesen als natürlicher Sohn Geraldin Nevilles von Nevilles-Burg in Yorkshire und, wie ich vermute, von diesem von vornherein zum Erben bestimmt worden.«
»Verzeihen Sie – solche Aussichten sind mir nicht gemacht worden. Ich bin sehr freigebig erzogen und zum Offizier herangebildet worden, es hat mir an Geld nie gefehlt, aber ich glaube, mein mutmaßlicher Vater hat lange Zeit die Absicht gehabt, sich zu verheiraten, wenn er sie auch nie ausgeführt hat.«
»Sie sagen Ihr
»Ich weiß, Herr Oldbuck, Sie würden diese Fragen nach einem so heikeln Gegenstande nicht zur Befriedigung bloßer Neugierde stellen. Ich will Ihnen daher offen sagen, daß ich im vergangenen Jahr in Französisch – Flandern, in einer kleinen Stadt, die wir besetzten, in meinem Quartier – einem Kloster – eine Frau fand, die auffallend gut Englisch sprach. Sie war eine Spanierin und hieß Theresa d' Acunha. Wir wurden näher miteinander bekannt, und sie entdeckte mir nun, wer ich wäre, und gab sich mir als die Person zu erkennen, die mich als kleines Kind gepflegt hatte. Sie machte allerlei Andeutungen, auf welchen Rang ich Anspruch hätte und was für Ungerechtigkeit mir angetan worden sei, und versprach, die ganze Wahrheit zu enthüllen, sobald eine gewisse Lady in Schottland, zu deren Lebzeiten sie das Geheimnis zu bewahren entschlossen sei, gestorben wäre. Sie deutete auch an, daß Herr Geraldin Neville nicht mein Vater sei. Wir wurden vom Feinde angegriffen und aus der Stadt geworfen, die dann von den Republikanern grausam geplündert wurde. Die religiösen Orden waren besondere Zielpunkte ihres Hasses und ihrer Roheit. Das Kloster wurde niedergebrannt, und mehrere Nonnen kamen um, unter ihnen Theresa – und mit ihr ging alle Hoffnung dahin, hie Geschichte meiner Geburt kennen zu lernen – nach allem, was ich davon gehört habe, muß sie wohl recht tragisch gewesen sein.«
»
»Ich wandte mich an Herrn Neville brieflich, aber ohne Erfolg. – Dann erhielt ich Urlaub, warf mich ihm zu Füßen und beschwor ihn, mir die Enthüllung zu vollenden, die Theresa begonnen hatte. Er weigerte sich und warf mir entrüstet die Wohltaten vor, die er mir erwiesen hätte. Ich war der Meinung, er mißbrauche die Befugnis eines Wohltäters, und wir gingen in gegenseitiger Verstimmung auseinander. Ich gab den Namen Neville auf und nahm den an, unter dem Sie mich kennen lernten. Zu jener Zeit lernte ich im Norden Fräulein Wardour kennen und war so romantisch, ihr nach Schottland zu folgen. Verschiedene Lebenspläne hatte ich mir unschlüssig entworfen, und ich beschloß, mich noch einmal an Herrn Neville wegen einer Erklärung meiner Geburt zu wenden. Es währte lange, ehe ich eine Antwort erhielt. Sie waren zugegen, als mir das Schreiben ausgehändigt wurde. Er schrieb mir, wie schlecht es um seine Gesundheit stünde, und beschwor mich, um meiner selbst willen nicht weiter nach der Natur seiner Beziehungen zu mir zu forschen, sondern mich mit seiner Erklärung zufriedenzugeben, ich stünde ihm so nahe und in solchem Verwandtschaftsgrade zu ihm, daß er mich zu seinem Erben eingesetzt hätte. Als ich mich fertig machte, Fairport zu verlassen und zu ihm zu gehen, brachte mir ein zweiter Eilbrief die Nachricht, daß er gestorben sei. Der Besitz großen Reichtums vermochte nicht die Gewissensbisse und Reue zu unterdrücken, mit denen ich nun an mein Verhalten meinem Wohltäter gegenüber dachte. Einige Worte in seinem Briefe schienen darauf zu deuten, daß auf meiner Geburt ein noch tieferer Fleck laste als der der Illegitimität.«
»Und über diese trübseligen Gedanken grübelten Sie nach, bis Sie krank wurden, statt zu mir zu kommen und mich um Rat zu fragen und mir die ganze Geschichte zu erzählen?« fragte Oldbuck.
»Gewiß; und dann kam mein Zwist mit Kapitän M'Intyre, und ich mußte von Fairport und Umgegend weg.«
»Und von Liebe und Poesie – von Fräulein Wardour und der Kaledoniade?«
»Freilich, freilich.«
»Und seit dieser Zeit haben Sie Pläne geschmiedet, wie Sie Sir Arthur helfen wollten?«
»Ja, Herr Oldbuck, mit Hilfe Kapitän Wardours in Edinburgh.«
»Und mit Hilfe Edie Ochiltrees hier – Sie sehen, ich kenne die ganze Geschichte. Aber wie sind Sie zu diesem Schatze gekommen?«
»Es war eine Unzahl silberner Geräte, die meinem Oheim gehörten und in Fairport bei einem Bekannten in Verwahrung waren. Kurze Zeit vor seinem Tode hatte er Weisung dorthin geschrieben, das Silberzeug einzuschmelzen. Er wünschte vielleicht nicht, daß ich das Wappen der Glenallans darauf sehen sollte.«
»Nun, Herr Neville – oder lassen Sie mich lieber sagen, Lovel – denn das ist mir der liebste Name – ich glaube, Sie müssen Ihre beiden alias fallen lassen und Namen und Titel eines Lord Geraldin annehmen.«
Wer Altertümler erzählte ihm nun den seltsamen und traurigen Verlauf vom Tode seiner Mutter.
»Ohne Zweifel,« sagte er, »hegte Ihr Oheim den Wunsch, daß das Gerücht vom Tode des dieser unglücklichen Ehe entsprungenen Kindes sich bewahrheiten möchte – vielleicht hoffte er selber einmal seinen Bruder zu beerben; denn damals war er noch ein flotter wilder Jüngling. Aber von allen Plänen gegen Ihre Person – wie viele ihrer auch die alte Elsbeth in ihrem bösen Gewissen ihm unterschoben haben mochte – hat Theresas und Ihre eigene Aussage ihn völlig freigesprochen. Und nun, mein lieber Herr, gönnen Sie mir das Vergnügen, einen Sohn einem Vater vorzustellen.«
Wir wollen nicht versuchen, ein solches Zusammentreffen zu beschreiben. Die Beweise nach allen Seiten hin wurden vollständig vorgefunden, denn Herr Neville hatte einen ausführlichen Bericht aller Begebenheiten in einem versiegelten Paket hinterlassen, das erst nach dem Tode der alten Gräfin geöffnet werden sollte. Sein Beweggrund so lange das Geheimnis zu bewahren, lag offenbar in der Furcht vor der Wirkung, die die mit so vieler Schande beladene Entdeckung auf ihr heftiges Gemüt hätte ausüben müssen.
Am Abend dieses Tages tranken die Yeomenschaft und die Freiwilligen von Glenallan auf das Wohl ihres jungen Herrn. Einen Monat später wurde Lord Geraldin mit Fräulein Wardour getraut. Der Altertümler schenkte der Dame einen Trauring, einen schweren massiven Ring von antiker Ziselierung, der den Wahlspruch Aldobrand Oldbucks trug: »
Der alte Edie, die bedeutendste Person, die je einen blauen Kittel getragen hat, wandert noch immer rüstig vom Hause eine Freundes zum andern und rühmt sich mit Stolz, daß er nur bei sonnigem Wetter auf der Wanderschaft ist. In der letzten Zeit hat er die Absicht durchblicken lassen, sich einen ständigen Wohnsitz zu wählen; denn man hat ihn oft in der Ecke einer behaglichen Hütte zwischen Monkbarns und Knockwinnock gefunden – in welche Hütte nach der Hochzeit seiner Tochter mit Leutnant Taffril der alte Caxon sich zurückgezogen hatte, um stets in der Nähe der drei letzten Perücken des Sprengels zu sein, die er noch immer in bester Pflege hält, wenn auch nur zu seinem eignen Vergnügen und Zeitvertreib.
Hektor avanciert rasch im Heere und steigt im selben Maßstab auch in der Gunst seines Oheims. Die Leute reden von einer Heirat zwischen Fräulein M'Intyre und Kapitän Wardour, doch entbehrt dieses Gerücht noch der Bestätigung.
Der Altertümler ist oft zu Gast in Knockwinnock und in Glenallan-Haus, er verfolgt dabei den Zweck, zwei Abhandlungen zu vollenden: eine über den Panzer des großen Grafen und eine über den linken Handschuh des »geharnischten Teufels«. Er fragt regelmäßig, ob Lord Geraldin die »Kaledoniade« angefangen habe, und schüttelt den Kopf über die Antworten, die er erhält. Einstweilen hat er aber die Noten fertig gestellt, die, wie wir glauben, jedem frei zur Verfügung stehen, der sie der Öffentlichkeit übergeben will – selbstverständlich aber ohne Risiko und ohne Unkosten für
Sir Walter Scott, 1816